Meßmers Momente
Für Michael Felder
(1966 – 2012)
Meine Seele ist, wie ein Fisch aus ihrem Elemente auf den Ufersand geworfen, und windet sich und wirft sich umher, bis sie vertrocknet in der Hitze des Tages.
Friedrich Hölderlin
Was soll ich mit Gefühlen anfangen, als sie wie Fische im Sand der Sprache zappeln und sterben zu lassen?
Robert Walser
Gestern und heute ein wenig geschrieben […].
Es ist trotz aller Wahrheit böse, pedantisch, mechanisch, auf einer Sandbank ein noch knapp atmender Fisch.
Franz Kafka
Ich leide an Verfolgungswahn.
Das ist das Einzige, was mich von meinen
Verfolgern unterscheidet.
Dass die Narbe auf der Stirn heute wieder
zu bluten anfing, ist ein Zufall.
Aber einen reinen Zufall mag ich es nicht nennen.
Also ein unreiner Zufall.
Das Meer schöpf ich mit dem Fingerhut
in meine Wüste der Geduld.
Im Alphabet sind meine Schiffe gestrandet.
Würf ich mich nicht gern in die Höhe,
löste Fesseln mit blumigen Händen
und atmete mich frei! Aber ich bin
verurteilt zu schleppen
ein Schicksal scheppernder Schwärze.
Aus allen Sinnen strömt Verhängnis.
Von euren Gedanken bewohnt, verlasse ich mich.
Keinen Freund zu haben macht reich.
Ich predige den Insekten. Als Schmuck trage ich
Diagnosen.
Die Käfigstäbe lassen zu viel Welt herein.
Der Welt genügt es nicht, dich zu besiegen.
Du sollst ihr fort und fort gestehen, dass dir
Recht geschah.
Ich zu sagen tut weh. Ich bin die dritte Person.
Und der ist mit mir per Sie, auch wenn er mich
aufdringlich duzt.
Dass ich so gebunden bin an mich.
Könnt ich mich trennen, es käm mir zugut.
Man kann sich nicht verhalten, wie es
das Beste wäre für einen selbst. Bin ich
mein Feind?
Außer dir hast du keinen Feind.
Das haben sie dir beigebracht.
Ich kenne keinen, den ich, wenn ich ihm sage,
es gehe mir gut, nicht gegen mich einnähme.
Ich muss mich meiden.
Wie meidet man sich?
Am liebsten möchtest du nur noch
dir selber verständlich sein.
Es tut weh, die Sprache derer benützen zu müssen,
die dich schinden.
Sich zusammenfalten, verkleinern,
bis du ein Knäuel bist und hart.
Ich bin eine Wohnung, aus der ich ausgezogen bin.
Das Dasein ist ein Dickicht oder eine Leere.
In beidem ist es schwer, sinnvolle Bewegungen
zu machen.
Du verlierst mehr, als du gehabt hast.
Ich will nichts wissen von wirklichen Leiden.
Was nicht eingebogen ist in die Ausdrucksstraße,
will ich nicht sehen.
So auf Bedeutung bestehen
wie der und der? Ich zieh
es vor, nichts zu erleben,
ich mag gern vergehen.
Ich weiß nicht, wie, und weiß nicht, was,
nur dass ich gerne sänge,
aber mein Mund ist schwer und schwarz
und schreit vor Enge.
Die Wirklichkeit ist ein andauernder Attentatsversuch,
der schließlich zum Erfolg führt.
Die Welt ist alles, was verpfuscht ist.
Zertritt mich doch, Wunsch,
mit der Wucht deiner Unerfüllbarkeit.
Glaub nicht den Sekunden willkürlichen Stärkegefühls,
das dir vorgaukelt, du seist selbst die Quelle von
allem und unabhängig und könntest deshalb entwerfen,
bauen, gestalten, wie es dir beliebt. Das könnte alles
falsch sein. Vielleicht schön. Verlässlich ist nur, was du
nicht machst, sondern entgegennimmst. Schön oder
nicht, du hast keine Wahl.
Lass mich zwischen ein paar Geräuschen
niederknien und warten, bis keine
Hoffnungen mehr täuschen.
Wüsst ich Übriges, wär ich
älter, könnt ich schöner sagen,
was am Abhang reibt,
meinen Sturz zu bremsen.
Am liebsten bliebe ich in diesem Zimmer, für immer.
Und triebe mich im Trüben hin, bis ich fiele
und liegen bliebe, stumm und ohne Sinn.
Wenn man bei Schwerem erwischt wird,
muss man versuchen, die Überzeugung
zu produzieren, das sei einem passiert,
ohne dass man es wollte.
Türen zuwerfen, die schon lange
nicht mehr offen waren.
Abbegehren.
Die leeren Wände reden mit vollem Mund.
Zu gewissen Zeiten wirken alle Daten, gleichgültig,
aus welchen Bereichen sie kommen, entmutigend.
Sie wirken zusammen, obwohl sie nichts mit einander
zu tun haben. Durch mich werden sie vereint. Zu einer
unwiderstehlichen Kraft der Entmutigung.
Die Leere dröhnt. Die Armut geht spazieren.
Hüpf höher, liebe Depression,
ein Weltrekord ist geil auf dich.
Mich siedet die Sehnsucht.
So viel Kraft, jemanden zu schonen,
habe ich nicht.
Ich möchte so müde sein dürfen,
wie ich bin.
Wenn du nirgends mehr sein kannst,
dann bist du bei dir.
Ich muss mich auf dem Papier festhalten,
weil ich nirgends sonst möglich bin.
Wenn man eine Niederlage hinter sich hat
und es gibt keine Gelegenheit zu beweisen,
dass diese Niederlage ein Unrecht ist, wird man
hastig, drängt zur nächsten Gelegenheit hin,
führt sie so schnell wie möglich herbei.
In der Unruhe, mit der man wartet und drängt,
bereitet sich die nächste Niederlage vor.
Was ich denke, kann ich nicht sagen.
Und etwas sagen, was ich nicht denke,
kann ich auch nicht.
Jemanden, der Macht über mich hat, muss ich
beleidigen, weil ich sonst fürchten muss,
er meine, ich erkennte seine Macht über mich an.