Dr. med. Anna-Theresa Lipp
Fett ist nett
Das ungeliebte Organ endlich verstehen
FISCHER E-Books
Dr. med Anna-Theresa Lipp wurde in Salzburg geboren. Später studierte sie Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Ihren Facharzt absolvierte sie am Klinikum Rechts der Isar und dem Universitätsklinikum der TU München. Dort schrieb sie auch ihre Doktorarbeit. Anna-Theresa Lipp praktiziert und forscht heute in München. Ihr besonderes Engagement gilt dabei der Lipödem-Forschung, weil sie Frauen mit unheilbaren Fettstoffwechselerkrankungen helfen möchte.
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Jede Zweite steht mit ihrem Körperfett auf Kriegsfuß - dieses Buch ist ein Versöhnungsangebot
Die meisten Menschen stellen sich ihr eigenes Fett als wabbelige Masse vor, die sich um den Körper gelegt hat und eigentlich weg soll. Vom Po, den Oberschenkeln, dem Bauch oder dem Kinn. Und wenn wir über Fett lesen, dann wird es klassifiziert und stigmatisiert als ›böses Fett‹ oder ›gutes Fett‹, ohne dass wir je eine Verbindung zu diesem lebenswichtigen Organ aufgebaut haben. Dabei ist Fett das vielseitigste und letztendlich auch größte endokrine Organ, das wir besitzen. Anna-Theresa Lipp erklärt, warum wir unser Fett lieben sollten und was wir tun können, wenn unser Fettstoffwechsel gestört ist.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstraße 114, D-60596 Frankfurt
Covergestaltung: Susanne Krauss, pixxwerk
unter Verwendung von Abbildungen von shutterstock und Katharina Schmidt/kwittiseeds
Illustrationen Innenteil: © Katharina Schmidt kwittiseeds
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-491376-6
Fett ist nett? Wie komme ich dazu, so etwas zu behaupten? Fett ist ungesund, sieht auf Bauch, Beinen und Po hässlich aus und stört. Dicksein ist schlecht für unser Herz und unsere Gelenke, es führt zu Bluthochdruck, Schlaganfall und Diabetes sowieso. Nein! Fett ist viel besser, als Sie denken, Fett gehört zu uns, wir brauchen Fett. Deshalb möchte ich Ihnen etwas über Ihr Fett als Organ und Ihren Fettstoffwechsel erzählen. Und nun fragen Sie sich, wer ich bin, dass ich Ihnen das erklären kann.
Ich bin kein alter Professor, der Ihnen mit erhobenem Zeigefinger gute Ratschläge erteilt. Ich bin auch kein Chefarzt, der bereits jahrzehntelang ein hartes Regiment in der Chirurgie geführt hat und mit mahnendem Blick zu Ihnen als Patienten spricht.
Mein Name ist Anna-Theresa Lipp, und bei mir dreht sich alles ums Fett. Ich komme aus der Praxis, Fett ist mein Forschungsgebiet, in dem ich täglich untersuche, ob es »krank« oder »gesund« ist. Und ich möchte mich nun zu Ihnen an den Tisch oder aufs Sofa setzen, um Ihnen ein wenig von diesem schillernden »Organ« zu berichten. Denn ja, es ist ein bewundernswertes Organ und eines, das viel zu oft diskreditiert wird. Völlig zu unrecht. Doch im normalen Leben, jenseits der schweren Labortüre, kennt man die vielen Mechanismen unseres Fettgewebes meist gar nicht. Wenn ich die Klinikgänge verlasse, treffe ich Frauen, Männer, Junge und Alte, die Probleme mit dem Gewicht haben, mit ihrer Gesundheit und vor allem mit ihrem Fett. Die Begriffe, die sie verwenden, um ihr Fett zu beschreiben, sind daher alle negativ.
Ich möchte aber auch meine ganz persönlichen »fetten« Einsichten und Erkenntnisse mit Ihnen teilen. Denn ich selbst habe Fett mit mir herumgeschleppt, es gehasst und verflucht. Im Laufe der Zeit habe ich mein Fett aber auch als nützlichen Bestandteil des Körpers kennengelernt. Ich bin dieser ungeliebten Masse zu Leibe gerückt. Und habe es durchschaut. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Alles begann vor rund 15 Jahren, als meine Beine in der Pubertät immer dicker wurden, mein Oberkörper aber derselbe blieb. Es war schrecklich. Ich hatte das Gefühl, plötzlich nicht mehr in der Lage zu sein, über meinen Körper selbst zu bestimmen. Die Proportionen veränderten sich, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Als Kind war ich dünn und später ein sportlicher, schlanker Teenager, großgewachsen mit langen, ebenso schlanken Beinen und vielen sportlichen Hobbys. Die Veränderung kam daher für mich wie ein Schock.
Meine Eltern waren beide Universitätsprofessoren und gehörten bereits der Öko-Bewegung an, Jahrzehnte bevor es »angesagt« wurde, grün oder vegan zu sein. Soweit es die Bilddokumentation und Erzählungen zulassen, glaube ich behaupten zu können, dass mein Bruder und ich in unserem Leben kein einziges Gläschen mit industrieller Babynahrung gefüttert bekamen und wir auch sonst aus unserem Garten saisonal ernährt wurden. Zu fette Ernährung oder Bewegungsmangel waren also nicht schuld an meinem Problem. Ich war kein Opfer frühkindlicher Fehlernährung. Und doch wurde ich untenrum breiter und breiter. Nichts half dagegen. In meiner Familie waren alle ratlos. Übergewicht war meinen Eltern und meinem Bruder fremd.
Irgendwie wurden die dicken Beine Teil meines Alltags, ebenso wie die schwarzen Hosen und die Verbannung aller kurzen Röcke und Kleider. Von den Schmerzen, die ich zunehmend in den Beinen verspürte, ganz zu schweigen.
Als ich mit 24 Jahren mein Medizinstudium in München als approbierte Ärztin abschloss, hatte sich an meiner Beinform leider nichts verändert, aber die Schmerzen beim Stehen und die blauen Flecken an meinen Beinen wurden immer stärker.
Im Anschluss an mein Studium entschied ich mich zu einer Ausbildung als Plastische Chirurgin. Die Wiederherstellung versehrter oder entstellter Körper war etwas, das mich interessierte. Ich war bereit, in die Welt der Medizin hinauszugehen, aber meine Beine machten mir leider immer häufiger einen Strich durch die Rechnung. Langes Stehen, wendige Schritte, das war alles nichts mehr für mich.
Als drahtige Sportskanone konnte man mich nun wahrlich nicht (mehr) bezeichnen, aber ich war zäh und hatte einen starken Willen. Zumindest das war mir vom Sport geblieben.
Doch besonders während der Nachtdienste quälten mich nicht nur Schlafmangel, sondern auch meine schmerzenden Beine.
Im Rückblick erscheint es mir logisch, dass ich diese Dienste nicht sehr gerne mochte. Meine Schmerzen waren besonders stark, wenn wir nachts notfallmäßig Patienten operierten, die sich schwere Verletzungen oder Verbrennung zugezogen hatten. Die meisten Kollegen waren einfach nur müde, hungrig oder schlecht gelaunt, weil sie aufstehen mussten. Ich aber hatte richtige Schmerzen, die sich bis zu meinen Füßen runterzogen. Trotz Kompressionsstrümpfen glaubte mir das kaum jemand, wenn ich nachts um 4.00 Uhr nach der Operation Schmerzmittel nehmen und die Beine hochlegen musste.
Ähnliches hatte ich auch schon bei Freunden und Bekannten erlebt. Die meisten Menschen sehen nur das, was sie sehen wollen, und brauchen eine Schublade, in die sie alles und jeden stecken können. Für mein Lipödem hatten aber selbst ärztliche Kollegen keine passende Schublade, und so machten sie Schokolade für meine dicken Beine verantwortlich. Dabei aß ich die äußerst selten. Im Gegenteil. Jahrelang probierte ich Diäten und neue Diätpillen, ich schluckte entwässernde Medikamente, die sonst nur Herzkranke schlucken, und ernährte mich hauptsächlich von Salat. Kalorienbomben kamen so gut wie nie bei mir auf den Tisch. Doch an meinem Körper änderte sich nichts.
Das alles trieb mich in die Verzweiflung und näher an den Glauben, dass ich eben so sei und man nichts ändern könne. Mein Selbstwertgefühl sank unter den Nullpunkt, und ich entwickelte einen pathologischen Neid auf Menschen mit sichtbaren Knöcheln. Bei mir hingegen schienen die Waden formlos direkt in meine Füße überzugehen – ohne Knöchel. Ich hatte »Wöchel«. Eine Mischung aus Waden und Knöchel.
Die Suche nach den Ursachen für meine dicken Beine gab ich jedoch nicht auf. Doch obwohl ich bereits seit zwei Jahren in der Chirurgie tätig gewesen war, brauchte es noch drei verschiedene Fachärzte, unzählige Gespräche und langen Atem, um endlich herauszufinden, dass ich an einem Lipödem litt und nichts für meine schweren und unproportional dicken Beine konnte.
Ein Lipödem ist per Definition eine Fettverteilungsstörung, die sehr häufig vorkommt. Es heißt, dass in Deutschland 11 Prozent der Frauen an dieser Krankheit leiden. Bei vielen von ihnen bleibt sie jedoch unerkannt. Signifikant sind dicke Beine oder Arme, Schmerzen und auffällige blaue Flecken (Hämatomneigung). Die Krankheit wird durch weibliche Hormone getriggert und manifestiert sich daher meistens in der Pubertät, in der Schwangerschaft oder mit Einnahme der Antibabypille. Wer noch nie etwas davon gehört oder gelesen hat, kennt vielleicht den Begriff Säulenbein oder Reiterhosen – so wird es gerne im Volksmund genannt.
Fettzellen, die an meinen Beinen wachsen und immer mehr und größer werden, ohne dass ich einen spürbaren Einfluss darauf haben könnte? Wenn ich das vor der Pubertät geahnt hätte – ich wäre gerne ewig Kind geblieben.
Nach der Diagnose kamen bei mir die Dinge ins Rollen. Die nachfolgenden Jahre musste ich mehreren Operationen unterziehen, in denen das kranke Fett entfernt wurde und ich langsam zu dem Menschen werden konnte, der ich eigentlich schon viel früher hätte sein können. Die Veränderung war gravierend. Ich fühlte mich wie neugeboren. Hätte es mir nur irgendjemand mal eher gesagt.
Das Tragikomische an der ganzen Sache war auch gewesen, dass mir in meiner Familie bis dato niemand geglaubt hatte, meine Mutter von der Krankheit nicht betroffen war. Ich hatte sie von meiner Großmutter väterlicherseits geerbt, die unter denselben Symptomen gelitten hatte wie ich. Damals aber wusste niemand, was ein Lipödem war, geschweige denn, wie man es richtig behandelt. Niemals hatte sie sich insofern über ihre Beine oder deren Form beklagt. Sie hatte gelernt, damit zu leben. Als meine Großmutter starb, war ich fünf Jahre alt und weit davon entfernt zu wissen, dass mich das gleiche Schicksal ereilen würde.
Viele Jahre stand ich daher nicht nur dem Zweifel meiner Kollegen gegenüber, sondern auch dem meiner durchweg schlanken Familie, die einfach nicht an so etwas wie ein Lipödem glauben wollte. Entschlossen, ihnen zu beweisen, dass meine Fettzellen anders tickten als ihre, startete ich meine ersten Wissenschaftsversuche mit Lipödem-Fettzellen im Labor. Und so begann mein schicksalhaftes Abenteuer mit dem Fett.
Zurückblickend kann ich sagen, dass es genauso verrückt war, wie eine Nadel im Heuhaufen zu suchen. Doch ich ließ mich von meiner wissenschaftlichen Intuition leiten und fand nach zwei Jahren unter anderem genau jene Faktoren, die Lipödem-Fettzellen von normalen Fettzellen unterscheiden.
Fünf Jahre, zahlreiche Publikationen und dreißig Kongresse später sitze ich nun hier und schreibe für Sie diese Zeilen. Wenn Sie mich jetzt noch einmal fragen, was mich dazu befähigt, Ihnen etwas über den Fettstoffwechsel zu erzählen, dann kann ich dazu nur sagen: Ich habe am eigenen Leib erfahren, welche Vorurteile »Fett« mit sich bringt. Ich bin wieder und wieder in die Diätfalle getappt. Ich habe mein Selbstwertgefühl unter dem Teppich gesucht und schließlich ganz woanders wiedergefunden. Ich bin mit Anfang dreißig eine begeisterte junge Fettstoffwechselforscherin und habe als Plastische Chirurgin Hunderten von Patientinnen das kranke Fett entfernt und ihnen damit in gewissen Sinne zu einem neuen Leben, vor allem aber einem neuen Lebensgefühl verholfen.
Diese Reise zu dem Wissen, das ich heute habe, war einmalig. Mein Perspektivwechsel von der Patientin zur Fett-Wissenschaftlerin und Ärztin ermöglichte mir einen 360-Grad-Blick auf die Welt des Fettgewebes.
Fett ist nicht nur schlecht, böse oder gefährlich. Und es muss auch nicht zwangsläufig operativ entfernt werden. Aber Fett ist definitiv mehr als wabbelige Masse. Ich möchte Ihnen dieses ungeliebte Organ ans Herz legen. Und das ist in diesem Fall überhaupt nicht gesundheitsschädlich – im Gegenteil!
Vor allem auch meinen Lipödem-Patientinnen und Leidensgenossinnen lege ich dieses Buch ans Herz. Denn sie denken vielleicht: Ist das nicht widersprüchlich? Unser Fett ist doch krank und schlecht, wie kann es da nett sein? Sie werden überrascht sein.
Meine eigene Geschichte soll Mut machen und zugleich trösten. Wir sind unserem Fett und unseren genetischen Anlagen nur ein Stück weit wirklich ausgeliefert. Ein großer Vorteil ist, dass wir in der heutigen Zeit leben und nicht wie meine Großmutter vor rund einhundert Jahren. Hätte sie die Chancen gehabt, die wir heute haben, und das Wissen, das uns zur Verfügung steht – sie hätte vielleicht ein ganz anderes Leben gelebt.
Der Schlüssel zur Veränderung liegt in unserer Hand, und jede Veränderung beginnt mit dem ersten Schritt. Und dieser heißt verstehen. Wenn Sie bereit sind, den ersten Schritt zu machen, dann kann es jetzt losgehen!
Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen und am Ende eine fette Erleuchtung.
Herzlich willkommen in der wunderbaren Welt des Fetts!
Schillernd, dynamisch, schützend, isolierend, ernährend, wandelbar. Ich bin mir sicher: Es gibt so viele Dinge, die Sie über Fett noch nicht wissen. Die meisten Ratgeber zum Thema Fett beschäftigen sich mit den Möglichkeiten, wie man Fett eliminiert, wie man es loswird, und das alles möglichst schnell. Leider wird oft nicht die ganze Geschichte vom lieben Fett erzählt. Fett ist nicht nur böse. Es hat auch einen Sinn. Und es ist eigentlich unser größtes, ja auch überlebenswichtigstes Organ.
Nun fragen Sie sich vielleicht: Fett ist ein Organ? Ja. Ein Stoffwechselorgan. Denn ein Organ ist per Definition ein Gewebeverbund von Zellen. Eingebettet in eine gitternetzartige Struktur aus Bindegewebe liegt unser hochkomplexes Organ Fett. Nun zu seiner Anatomie: Das Fettgewebe besteht aus tiefen Schichten, oberflächlichen Schichten und kleinen Fettdepots, die sich um unsere Organe schmiegen. Nur weil wir viel davon nicht sehen können, heißt es nicht, dass es nicht aktiv ist. Es ist höchst lebendig. Es gibt uns Form, Wärme, Schutz und Energie.
Wie wichtig dieses Organ Fett für uns ist, merken wir erst, wenn wir zu wenig davon haben oder zu viel und es dann nicht mehr kontrollieren können. Wenn im Sommer der Bikini perfekt passt oder wir problemlos schwanger werden können, denken wir nicht an unser Fett. Sobald wir jedoch Probleme bekommen, erkennen wir, wie wichtig die Stoffwechselvorgänge im Organ Fett für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden eigentlich sind. Es ist ein Zusammenspiel aus unendlich vielen Faktoren. Ein Uhrwerk ist plump dagegen. Das Erstaunlichste dabei ist, dass wir unseren Fettstoffwechsel (med. Metabolismus, aus dem Altgriechischen, was so viel wie Umwandlung oder Veränderung bedeutet) beeinflussen können, wenn wir aus dem »Unbewussten« in das »Bewusste« wechseln. Deshalb sollten wir uns dringend unseres Fetts bewusst werden!
Wie bei den meisten Prozessen im Körper fungiert unser Gehirn als übergeordnete Schaltzentrale. Und immer wieder entdeckt die Wissenschaft bisher unbekannte Signalwege und Botenstoffe und bietet uns so Einblick in den menschlichen Metabolismus. Doch diese Erkenntnisse sorgen leider auch oft für Verwirrung. Die Publikationen, die Mediziner und Wissenschaftler veröffentlichen, gelangen so gut wie nie an die Öffentlichkeit, außer wenn sie von pfiffigen WissenschaftsjournalistInnen gelesen und für die Bevölkerung übersetzt werden. Es ist ein Wust aus Zahlen und Namen, aus Fachbegriffen und Hypothesen, die man nur verstehen kann, wenn man in dieser Sprache geübt ist. Ich möchte Ihnen in diesem Buch die wichtigsten Codes aus diesen Schriften gerne übersetzen und die relevanten Fakten zum Thema Fett erklären. Die Zusammenhänge zwischen Fett, Gehirn, Darm und Reproduktionsorganen sind faszinierend.
Gerade hier und heute, in einer Welt, in der es Millionen von Informationen abrufbar im Internet gibt, in der man kostenlos Diätpläne zusammenstellen kann, und Diät-Apps uns täglich überfluten, brauchen wir dringend neue Erkenntnisse über unser Fett! Warum? Weil wir in einer Zeit leben, in der Information alles zu sein scheint und Wissen nichts. Aber was können Sie mit einer Information anfangen, die so komplex ist, dass es keinen Mehrwert für Sie hat? Geben Sie doch bitte mal das Wort Fett in Ihre Suchmaschine ein. Sie erhalten ungefähr 16 Millionen Treffer. Und die ersten acht Treffer klingen bereits so langweilig, dass man keine Lust hat, sie zu öffnen. Dazwischen erscheinen Anzeigen über – wie könnte es anders sein – Gewichtsabnahme und Körperfettreduktion.
Und immer wieder lesen wir:
»Fett hat mehr als doppelt so viele Kalorien wie Kohlenhydrate und Eiweiße.«
»Zu viel Fett ist ungesund.«
»Fett macht fett.«
Blicken wir also noch einmal kurz zurück auf das, was wir eigentlich denken: Fett nicht nett.
Die meisten Menschen stellen sich ihr eigenes Fett vermutlich als stinkende und ölige Masse vor, die sich wie Lava durch den Körper zieht und möglichst verschwinden soll von da, wo es jetzt sitzt. Am Po, an den Oberschenkeln, am Bauch. Oder unterm Kinn. Wenn wir über Fett lesen, dann wird es klassifiziert und stigmatisiert als »böses Fett« oder »gutes Fett«, ohne dass wir je eine Verbindung oder gar Beziehung zu diesem lebenswichtigen Organ aufgebaut haben.
Wir wollen jeden Frühling wieder unser Fett »loswerden«, manchmal bekommen wir auch unser »Fett weg«, was umgangssprachlich bedeutet, dass man Ärger bekommt. Die Redewendung kommt übrigens aus einer Zeit, in der beim Schlachten von Tieren die proteinreichen nahrhaften Stücke des Schweins den Privilegierten am Tisch vorbehalten waren, wohingegen die »fettigen« Ränder an die weniger gut gestellten Knechte oder Mägde verteilt wurden. So oder so, Fett hat in unserer Gesellschaft heutzutage keinen guten Ruf.
Vermutlich begeben sich die meisten Menschen auf die Suche nach Informationen über »Fett«, weil sie ein »fettes« Problem haben. Körperzonen sind nicht mehr so definiert, wie sie sein sollten; man macht sich Sorgen um seine Gesundheit, weil der Nachbar kürzlich einen Herzinfarkt hatte und man jetzt auch auf »gesunde Fette« umsteigen will, um das Schlimmste zu vermeiden. Es gibt so viele Motivationen dafür, sich über Fett zu informieren. Was dahintersteckt, ist die Suche nach ein und derselben Sache. Die Suche nach der Information, die einen weiterbringt, die Logik des Fett zu verstehen. Aber abgesehen von lehrbuchhaften Einträgen und Informationen, welche Omega-Fettsäuren in welchen Fischen stecken, erhalten wir eigentlich nicht viel Nützliches von Google & Co. Ganz zu schweigen von den vielen selbsternannten »Ernährungs-Gurus« aus der Fitnessbranche, die ihre eigenen Erfahrungen in sozialen Medien teilen und denen man gerne glauben möchte, weil man ihre makellosen Körper bewundert. Aber wissen die wirklich, wovon sie reden? Wenn man sie fragen würde, welche Funktion die »Lipoproteinlipasen« haben – glauben Sie, man bekäme eine richtige Antwort? (Aber Sie, liebe Leser und Leserinnen, werden es bald nicht nur wissen, Sie werden es verstehen und sogar anderen erklären können!)
Und darüber hinaus: Von mir bekommen Sie eine frisch aufbereitete Datenanalyse, die auf Sie zugeschnitten ist. Denn was ist wertvoller als die Daten? Erfahrung in der Datenanalyse. In den vergangenen zwölf Jahren meines beruflichen Lebens habe ich mich intensiv mit dem Thema Fett beschäftigt – nicht zuletzt aufgrund meiner persönlichen Geschichte.
Vergessen Sie nun all das, was Sie über Fett zu wissen glauben, und beginnen Sie eine Reise, die Sie verändern wird. Wenn Sie mit mir auf diese Reise »durchs Fett gehen«, werden Sie am Ende zu sich selbst finden. Das klingt nach einem fetten Buchversprechen? Ist es auch. Ich stelle Ihnen die wichtigsten Grundprinzipien dieses Organs vor und lasse es für Sie in einem völlig neuen Licht erscheinen.
Sie werden aufhören, ausschließlich schlecht über Fett zu denken. Sie werden Ihren ganz persönlichen lästigen Fettkreislauf durchbrechen.
Ich verspreche Ihnen, dass Sie Dinge erfahren werden, von denen in keinem anderen Buch über Fettstoffwechsel oder Diäten die Rede ist. Die Reise wird von der Hülle bis zur Zelle gehen und Sie hoffentlich erstaunen, begeistern und erleuchten – so wie es mir erging. Danach werden Sie dauerhaft etwas verändern.
Fett ist mehr als nur eine Reserve. Fett ist nützlich. Fett ist wandelbar. Fett gehört zu uns. Fett ist das vielfältigste, ja man könnte sagen, es ist das schillerndste Organ unseres Körpers.
Sie werden Ihr Fett von nun an mit anderen Augen betrachten und es (auch) als wertvollen Teil Ihres Organismus kennenlernen. Sie werden verstehen, warum es möglicherweise an Ihnen »klebt« und Sie einfach nicht verlassen möchte. Oder warum es Ihnen vielleicht sogar schwerfällt, es loszulassen. Sie werden Nützliches über Fett-Vererbung erfahren, was man dagegen tun kann und woran es liegt, dass Menschen, die viel Fett essen, dennoch sehr schlank bleiben können.
Sie lernen etwas über starken Heißhunger und warum theoretisches Wissen aus fünf neuen Diätbüchern meist nichts nützt. Wir beschäftigen uns mit der »emotionalen« Funktion des Fetts und ergründen, warum Stress und Fett unzertrennlich wie zwei dicke alte Freunde sind.
Darüber hinaus entschlüsseln wir jene Mechanismen, die für unser Ess-Verhalten und damit auch für die Gewichtszunahme zuständig sind. Erleben Sie, was Ihr Fettstoffwechsel den ganzen Tag macht! Was Ihr Körper mit einer Avocado anstellt und wie er eine Rostbratwurst verarbeitet.
Und nicht zuletzt werden wir uns anschauen, wie unser Gehirn mit dem Fett kommuniziert. Denn nicht unser Fettgewebe entscheidet, wann wir den nächsten Apfel essen oder uns nach einem Stück Kuchen sehnen, sondern unser Gehirn.
Ich wünsche mir, dass Sie Ihren Körper nicht nur besser verstehen, sondern auch spüren lernen. Weil Sie erfahren werden, was Ihr Fett ganz persönlich mit Ihnen und Ihrem Wohlbefinden zu tun hat. Von Kopf bis Fuß.
Natürlich wäre es vermessen zu schreiben, dass Sie Ihren Körper nach der Lektüre dieses Buches uneingeschränkt lieben werden. Vielleicht kann ich Ihnen aber ein paar Türen öffnen, an denen Sie jahrelang vorbeigegangen sind, ohne sie wahrgenommen zu haben. Man kann keine Türe öffnen, geschweige denn durch sie hindurchgehen, wenn man gar nicht weiß, dass sie existiert. Lassen Sie mich also beim Thema Fettstoffwechsel Ihr Geheimtüröffner sein und Sie auf dem Weg zur Ihrer ganz persönlichen »Fett-Erleuchtung« begleiten. Ein Weg, wie man heutzutage mit einer normalen Ernährung (was ist das überhaupt?) dauerhaft gut leben kann. Und nicht ein bis zwei Kilogramm pro Jahr mehr auf die Waage bringt und sich von jeder Neujahrsdiät spätestens im Februar wieder frustriert zurückzieht. Ich werde Ihnen in diesem Buch nicht nur die Tür zeigen, die Sie nie gesehen haben, sondern Ihnen auch die passenden Schlüssel mit auf den Weg geben: Praktische Tipps und jede Menge Tricks, die garantiert funktionieren.
Und wir sollten Fett vor allem ein anderes, besseres Image verpassen. Es ist an der Zeit, ein neues Fettverständnis zu erlangen. Ins Gleichgewicht zu kommen mit den Molekülen, die uns ausmachen, dank denen unsere Vorfahren in der Savanne nicht verhungert und in den Alpen nicht erfroren sind. Denn nur wer die Zusammenhänge versteht zwischen Magen-Darm-Trakt, Gehirn und Oberschenkeln wird sich mit diesem ungeliebten Organ Fett versöhnen.
Am Ende – das verspreche ich Ihnen – werden Sie verstehen, warum Sie alles selbst in der Hand haben: Ihr Gewicht, Ihr Fett, Ihr Wohlbefinden. Wetten?
Wo sollen wir anfangen? Ich schlage vor, wir beginnen den Weg mit einem Blick auf uns selbst. Zunächst einmal ganz oberflächlich. Stellen wir uns also vor den Spiegel – doch bevor wir nun an uns rummäkeln, weil dieses oder jenes nicht perfekt oder ideal ist, sollten wir ganz unvoreingenommen und wertfrei an unseren Körper herangehen. Nur mal gucken sozusagen. Was sehen Sie? Einen Mann oder eine Frau? Simple Frage – aber eine entscheidende. Auch in Sachen Fett.
Doch Menschen unterscheiden sich fettmäßig nicht nur aufgrund ihres Geschlechts, das Fett hat uns auch individuell geformt. Es ist nicht bei allen gleich angelegt, das gilt für Frauen wie für Männer. In jeder Familie tummeln sich die verschiedensten Typen: Es gibt die kugelrunde dicke Tante und den hageren Onkel. Die dürre Cousine und den rundlichen Neffen. Die Oma hat breite Hüften, ihre Schwester nicht. Wie sieht es bei Ihnen aus? Schauen Sie sich Ihre Figur mal in Ruhe an.
Innerhalb dieser Figur hat sich das Körperfett auf eine ganz spezielle und individuelle Art und Weise verteilt. Das geschieht selten gleichmäßig, meist sitzt an der einen Stelle mehr als an der anderen.
Man spricht daher von verschiedenen Fett-Typen und diesen liegen unterschiedliche Fettverteilungsmuster zugrunde.
So entstehen die dicke Tante, der dürre Onkel – und der Typ, der als »Sexiest man alive« auf dem GQ-Cover abgebildet wird.
Der amerikanische Mediziner und Psychologe William Sheldon hat 1942 drei Somatotypen unterschieden. Schauen wir uns zunächst diese Typologie an:
Der ektomorphe Körpertyp hat einen sehr schmalen Körperbau. Er ist meist sehr dünn mit schmalen Schultern und hat wenig Körperfett.
Der endomorphe Typ hat eher breite Schultern und Hüften und neigt leider zum Übergewicht.
Der mesomorphe Typ hat einen voluminösen Brustkorb, breite Schultern, aber wenig Körperfett. Er neigt zur Muskulösität, sein Körper gleicht dem eines V.
Und schon merkt man, dass diese Einteilung nicht besonders zielführend ist, diese Typen kommen in Reinform auch eher selten vor. Meist begegnen uns Mischformen, also Menschen, die Merkmale aller drei Typen in sich vereinen.
Daher ist diese Einteilung auch meiner Meinung nach überholt, ich wollte Sie Ihnen aber keinesfalls vorenthalten.
Mir persönlich gefällt die nächste Einteilung besser.
Der Apfeltyp (häufiger bei Männern) setzt das Fett in der Körpermitte an. Und auch da ist Fett nicht gleich Fett. Es gibt die eher weichen, sogenannten »Schwimmringe« oder den festen prallen »Bierbauch«.
(Natürlich gibt es auch Apfelmänner, die einen »gemütlichen« Bierbauch vor sich hertragen, obwohl sie gar kein Bier trinken.)
Frauen mit einer Apfelfigur haben meist sehr schlanke Beine, dafür eher »Schwimmringe« und oft auch eine große Oberweite.
Der Birnentyp kommt häufiger bei Frauen vor. Hier lagert sich überschüssiges Fett an Hüften, Gesäß und Oberschenkeln ab. Der Oberkörper bleibt weitestgehend verschont.
Vielleicht haben Sie eine Freundin, die dauernd über ihre »Reiterhosen« klagt, und dass sie immer an den falschen Stellen abnimmt. Das liegt daran, dass sich diese Fettpolster tatsächlich schwerer abbauen lassen. Allerdings können auch Männer eine Fettverteilung nach dem Birnenmuster haben. Auffällig hierbei sind breite Hüften, ein kräftiges ausladendes Gesäß und stämmige Beine.
Haben Sie eine schmale Taille, sind Schultern und Hüfte ungefähr gleich breit? Herzlichen Glückwunsch, dann sind Sie der ideale Figur-Typ. Bei Ihnen hat sich das Fett an den richtigen Stellen gleichmäßig und gut verteilt.
Im Alltag werden so zumeist Männer mit einem stark ausgeprägten Nacken genannt. Wobei die Extremitäten eher schlank sind. Einen Stiernacken kann man sich natürlich auch im Fitnessstudio antrainieren. Aber unter medizinischen Gesichtspunkten handelt es sich hier um eine sichtbare Gewebeansammlung im Nackenbereich. Und da hat überschüssiges Fettgewebe eigentlich nichts verloren.
Hier haben wir es mit der Reithosenfettsucht zu tun, also wirklich auffälligen Fetteinlagerungen an den seitlichen Oberschenkeln. Anders als die oben genannte Birnenfreundin, die vielleicht nur etwas mehr Speck um Beine und Hüften hat, sind die Säulenbeine eine ernstzunehmende Angelegenheit.
Apfel, Birne oder Sanduhr? Natürlich haben diese Typen nicht nur eine optische oder ästhetische Bedeutung. Dafür gibt es Gründe. Gute sogar. Wichtig für die Einteilung ist dabei der Taille-Hüfte-Quotient. Dieser wird errechnet, indem der Taillenumfang durch den Hüftumfang dividiert wird.
Je höher der Quotient, desto größer der Anteil des Viszeralfetts, also jenes Fett, das sich im Bauchraum breitmacht. Und damit einher geht ein Gesundheitsrisiko. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von einem erhöhten Risiko, wenn der Quotient bei Frauen über 0,85 und bei Männern über 0,9 liegt. Nehmen wir mal an, eine Frau hat einen Taillenumfang von 75 cm und einen Hüftumfang von 100 cm. Ihr Taille-Hüfte-Quotient liegt somit bei 0,75, also im Normbereich. Bei Männern wäre das zum Beispiel ein Bauchumfang von 80 cm und 95 cm Hüftumfang, der daraus errechnete Quotient liegt bei 0,84, also auch normal. Liegt bei der Frau der Taillenumfang aber plötzlich nach Gewichtszunahme bei 90 cm und bei unserem Beispielsmann bei 100 cm, kommen wir auf Quotienten von bei 0,9 beziehungsweise 1,0. Und somit besteht ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf Erkrankungen.
Wenn wir nun bei einem Bummel über die Einkaufsstraße oder einem Spaziergang im Park die Männer und Frauen um uns herum betrachten, dann begegnen uns Birnen, Äpfel und Sanduhren, leider auch Menschen mit Säulenbeinen oder Stiernacken.
Haben die einen also einfach Glück und die anderen Pech gehabt? Wer oder was entscheidet, ob wir Apfel oder Birne beziehungsweise gesunder Apfel und gesunde Birne sind?
Fangen wir mit dem signifikantesten Unterschied an: Dem zwischen Mann und Frau. Zunächst ist das weibliche Geschlechtshormon Östrogen »schuld« daran, dass Frauen generell mehr Fett einlagern als Männer: Ihr Körperfettanteil beträgt im Normalfall 20 bis 25 Prozent, der von Männern hingegen nur 10 bis 15 Prozent.