Inhalt

  1. Cover
  2. Über dieses Buch
  3. Über die Autorin
  4. Titel
  5. Impressum
  6. Prolog
  7. Kapitel 1
  8. Kapitel 2
  9. Kapitel 3
  10. Kapitel 4
  11. Kapitel 5
  12. Kapitel 6
  13. Kapitel 7
  14. Kapitel 8
  15. Kapitel 9
  16. Kapitel 10
  17. Kapitel 11
  18. Kapitel 12
  19. Kapitel 13
  20. Kapitel 14
  21. Kapitel 15
  22. Kapitel 16
  23. Kapitel 17
  24. Kapitel 18
  25. Kapitel 19
  26. Kapitel 20
  27. Kapitel 21
  28. Kapitel 22
  29. Kapitel 23
  30. Kapitel 24
  31. Kapitel 25
  32. Kapitel 26
  33. Kapitel 27
  34. Kapitel 28
  35. Kapitel 29
  36. Kapitel 30
  37. Kapitel 31

Über dieses Buch

Nachdem die Kamerafrau einer Horrorfilm-Produktion unter mysteriösen Umständen spurlos verschwunden ist, werden die Privatermittler Suzanne Griesbaum und Henry Marbach vom Regisseur auf den Fall angesetzt. Wenig später taucht die Kamerafrau am Set im Willstätter Horrorhaus wieder auf, allerdings als Leiche. Hat sich die Tote wirklich bei einem Unfall auf der steilen Kellertreppe das Genick gebrochen, wie Staatsanwalt Paul vermutet? Suzanne und Henry sind nicht davon überzeugt und schließen auch einen Mord nicht aus. Als dann auch noch einer der Hauptdarsteller des Films aus dem Horrorhaus verschwindet, scheint sich ihr Verdacht zu bestätigen, dass hier ein Verbrecher am Werk ist.

Über die Autorin

Julia Bernard ist das Pseudonym der Autorin Julia Hofelich. Sie studierte zunächst Germanistik und Komparatistik, bevor sie zu Jura wechselte. Nach ihrem Referendariat arbeitete sie als Rechtsanwältin und absolvierte ein Fernstudium zur Drehbuchautorin. Julia Hofelich ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Prolog

Er würde diesen Tag nicht überleben. Aber Tod und Hölle schreckten ihn nicht, genauso wenig wie die »ehrbaren Bürger«, die in diesem Moment mit Stangen und Mistgabeln bewaffnet auf das Siechenhaus zustürmten. Ein stinkender, geifernder Mob. Der Lärm, den sie verursachten, war ohrenbetäubend. Hildebrandt starrte durch das offene Fenster im oberen Stock auf das Gewühle hinunter. Seine Lippen verzogen sich zu einem heimtückischen Lächeln und gaben den Blick auf braune, verfaulte Zähne frei. »Das hier ist mein Haus!«, brüllte er der Menge zu. »Und es wird immer mein Haus bleiben!«

Der Mob ignorierte ihn. Die ersten Häscher waren an der maroden Haustür angekommen; sie würde dem Ansturm nicht lange standhalten.

Hildebrandt entzündete seine Lampe. Mit leiser, beschwörender Stimme sprach er in die grünliche Flamme: »Jeden, der mein Haus gegen meinen Willen betritt, werde ich töten. Heute und bis in alle Ewigkeit.«

Im Licht ihrer Taschenlampe blätterte die Frau gespannt das Notizbuch des Regisseurs weiter durch, das sie vor ein paar Minuten im nächtlich verlassenen Filmcateringzelt gefunden hatte. Zu ihrem großen Bedauern befanden sich bisher noch keine Tagebucheinträge oder Geheimnisse darin, sondern lediglich noch mehr Bemerkungen und kurze Texte zu Hildebrandt, dem Massenmörder. Auf seiner Geschichte basierte der Horrorfilm »Dunkle Gemäuer«, der hier gedreht wurde. Ganz so realitätsnah, wie der Regisseur das gerne darstellte, war die Verfilmung allerdings nicht, das wurde der Frau nach ein paar Seiten klar. Da waren einige Leichen hinzugefügt worden, zum Beispiel die, die auf dem Flammkuchenblech gebacken wurde. Sie hatte sich sowas die ganze Zeit schon gedacht. Mit einem schiefen Grinsen sah sie auf. Es war mittlerweile ziemlich spät. Hoffentlich würde die Nachricht bald kommen, damit sie loslegen konnte. Sie hatte nicht vor, länger als nötig hierzubleiben. Bald, sehr bald würde sie ihr Ziel erreicht haben. Sie klappte das Notizbuch entschlossen zu.

Ein Zeitungsartikel fiel heraus, sie hob ihn auf und überflog ihn. Unter der Überschrift Kann man dem Bösen entkommen? fand sich eine Zusammenfassung des historischen Kriminalfalls um den Serienmörder Gottlieb Arnoldus Hildebrandt, der im Jahre 1421 drüben im Horrorhaus gewütet haben sollte und am Ende grausam gelyncht worden war. Es folgte ein Bericht über die Skelette mit gebrochenem Genick, die man im Laufe der Jahre im Keller des Gebäudes ausgegraben hatte, und über die mumifizierte Leiche aus der Mauer, die den Strick, mit dem sie erhängt worden war, noch um den Hals liegen gehabt hatte. Der Artikel endete mit den Worten: Geht Hildebrandt also bis heute um und überfällt seine unschuldigen Opfer? Wer das Willstätter Horrorhaus an einem dunklen Wintertag besichtigt, könnte das fast glauben.

Die Frau schüttelte den Kopf. Das Haus da drüben war nichts weiter als ein uraltes Gebäude mit knarrenden Dielen. Wenn dort irgendetwas umging, dann höchstens ein paar Spinnen. Sie steckte das Notizbuch in die Innentasche ihres Blazers, sie würde es später in einer Mülltonne irgendwo auf einem Autobahnrastplatz entsorgen. Eine kleine, letzte Rache. Der Regisseur war selbst schuld, so herablassend, wie er sie alle behandelte. In dem Funkgerät, das neben ihr auf dem Stehtisch lag, knackte es plötzlich. Die erlösende Nachricht kam. Perfekt! Alles lief nach Plan.

Sie warf einen Blick aus dem Cateringzelt. Alles ruhig und verlassen. Dann ging sie leise zum Horrorhaus hinüber, das sich schwarz und einsam gegen den Nachthimmel erhob.

Die dunkle Gestalt mit dem Strick in den behandschuhten Händen, die sich lautlos aus dem Schatten löste und ihr folgte, bemerkte sie nicht.

Kapitel 1

Nachdem die Autoscheinwerfer erloschen waren, war es auf dem Parkplatz stockfinster. Privatermittlerin Suzanne Griesbaum stieg aus ihrem Renault aus. Der Fall der verschwundenen Kamerafrau, der sie hergeführt hatte, war eindeutig einer der seltsamsten Ermittlungsaufträge, die sie je übernommen hatte. Aber auch hier musste es logische Erklärungen für all die scheinbar unerklärlichen Vorkommnisse geben, und die würde sie finden. Sie schloss ihre Jacke. Es war kalt, und der Novemberwind heulte gespenstisch. Am dunklen Himmel zogen Wolkenfetzen dahin.

Zügig ging sie zu dem alten, mit kahlen Weinranken bewachsenen Fachwerkhaus hinüber. An der Eingangstür schwankte eine Glühbirne an einem Kabel und ließ zwei verkrüppelte Büsche Monsterschatten werfen.

Suzanne schaute an der Fassade hoch. Hier, im Willstätter Horrorhaus, das im Moment als Kulisse für den Horrorfilm »Dunkle Gemäuer« diente, war vor drei Tagen die Kamerafrau Mona Laurent auf geheimnisvolle Art und Weise mitten in den Dreharbeiten spurlos verschwunden. Da seit dem Verschwinden niemand mehr etwas von ihr gehört hatte, hatte die Produktionsfirma Suzanne vorgestern damit beauftragt, die Frau wiederzufinden.

Kurz vor ihrem Verschwinden war die Kamerafrau von mehreren Leuten in einem der Zimmer im oberen Stock gesehen worden, dann war sie plötzlich weg gewesen, als habe sie sich in Luft aufgelöst. Wenn Suzanne den panischen Bericht des Regisseurs Danilo Petrow am Telefon richtig verstanden hatte, konnte die Frau das Haus unmöglich ungesehen verlassen haben. Im Haus war sie allerdings auch nicht mehr gewesen, denn sämtliche anwesende Filmmitarbeiter hatten erfolglos nach ihr gesucht. Die Sache schien unerklärlich, und Petrow hatte von einem »übernatürlichen Phänomen« gesprochen. Bislang war es Suzanne noch nicht gelungen, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, aber das würde sie sicherlich noch hinkriegen.

Ihre Schritte knirschten auf dem kalten Boden, als sie an dem Gebäude entlangging.

Der Regisseur, ein schlanker, kleiner, etwa sechzigjähriger Mann mit einer dicken schwarzen Intellektuellenbrille und einem Vollbart, wartete bereits an der Hausecke auf sie. Er wirkte angespannt. »Danke, dass Sie sofort nach meinem Anruf vorhin vorbeigekommen sind, obwohl es Sonntagabend ist«, sprudelte er los, nachdem sie sich die Hand gegeben hatten. »Aber ich mache mir große Sorgen um Mona. Als ich jetzt noch die Zeichnung gesehen habe, bin ich einfach panisch geworden.« Er atmete gepresst aus. »Kommen Sie, ich zeige es Ihnen.«

»Ich helfe Ihnen gerne«, sagte Suzanne und folgte dem Regisseur ums Haus herum. »Außerdem war ich gerade auf dem Heimweg von München. Über Willstätt zu fahren war nur ein winziger Umweg.«

Sie verspürte einen schmerzlichen Stich im Magen, weil sie wieder an das hinter ihr liegende Wochenende denken musste. Bis gegen siebzehn Uhr war sie in der bayrischen Hauptstadt bei einem Musikwettbewerb gewesen, um ihre Lieblingsband Dieselskandal und vor allem deren Sänger Liam zu unterstützen, für den sie seit Langem von ganzem Herzen schwärmte. Die Death Metal Band hatte eine geniale Show abgezogen, und »Scotch and Skeletons« und »My Bitch drives an old Banger« waren Hammersongs, aber trotzdem war Dieselskandal auf dem letzten Platz gelandet. Auf dem letzten. Eine schreiende Ungerechtigkeit. Keine Ahnung hatten diese Juroren von guter Musik. Liam, den sie seit Kurzem nicht nur von der Bühne, sondern auch persönlich kannte, war so geknickt gewesen, dass sie es kaum hatte ertragen können. Sie hatte daher all ihren Mut zusammengenommen und ihn gefragt, ob er nicht Lust hätte, sich ein paar Tage bei ihr auf dem Hof zu erholen, wo er schon einmal kurze Zeit gewohnt hatte. Und wundervollerweise war er, spontan wie er war, tatsächlich in ihr Auto gestiegen und mitgefahren. Sein Manager Achim, ein Anwalt, war unerwarteterweise auch gleich noch mitgekommen, weil er Liam in seiner gedrückten Stimmung nicht hatte alleinlassen wollen.

»Hier«, sagte Petrow in diesem Moment, blieb stehen und richtete den Strahl seiner Handytaschenlampe auf einen offenbar von der Filmcrew angebrachten Pappfensterladen im Untergeschoss. Dort hatte jemand ein großes, krakeliges Strichmännchen gemalt, dessen Kopf wie eine abgeknickte Blüte nach unten hing. Petrow zeigte auf den Hals des Männchens und sagte mit zitternder Stimme: »Für mich sieht das wie ein Genickbruch aus.«

»Glauben Sie nicht, dass sich hier nur ein Kind verewigt hat? Eines, das nicht sonderlich gut malen konnte, und dann ist ihm der Hals krumm geraten?«, versuchte Suzanne, den Regisseur zu beruhigen.

»Ein Kind?« Petrows Stimme überschlug sich fast. »Niemals.« Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Ich kann nur hoffen, dass diese abscheuliche Zeichnung nicht Mona darstellen soll.«

»Bisher gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass Ihre Kamerafrau tot ist, und schon gar nicht, dass ihr das Genick gebrochen wurde. Auch die Polizei geht nicht von einem Verbrechen aus«, sagte Suzanne.

»Mona wurde hier im Willstätter Horrorhaus das letzte Mal gesehen. Jetzt taucht hier ein Strichmännchen mit gebrochenem Genick auf«, widersprach Petrow. »Das kann doch kein Zufall sein. Kennen Sie die Geschichte des Gebäudes nicht?«

»Ich weiß, dass sich einige düstere Legenden …«

»Das sind keine düsteren Legenden, sondern wahre Begebenheiten.« Er tippte mit dem Finger mehrfach auf den Hals des Männchens. »Immer wieder wurden im Laufe der Jahre Menschen im Horrorhaus ermordet, und alle Ermordeten hatten ein gebrochenes Genick! Das sind Fakten. Glauben Sie mir, ich habe das Drehbuch zu diesem Film selbst geschrieben und mich wirklich ausführlich mit sämtlichen Forschungsergebnissen und historischen Quellen befasst.«

Er räusperte sich. »Das Haus ist uralt und diente viele Jahre als Siechenhaus, in dem man ansteckende Kranke isoliert hat, wussten Sie das? Die Mittelalterversion von Quarantäne. Nur dass damals so gut wie niemand das Haus lebend wieder verlassen hat.« Erneut tippte er auf den Hals des Männchens. »Und dann haben die hier zu allem Unglück auch noch Gottlieb Arnoldus Hildebrandt als Hausmeister und Nachtwächter eingestellt. Ein Monster. So hat das Morden angefangen. Schon in der ersten Nacht fiel er ohne Vorwarnung die Vorsteherin des Hauses an, die Siechenmutter Christina, und brach ihr das Genick. Einfach so. Er hatte Spaß am Töten, und in den folgenden Nächten hat er neben Christina noch mindestens fünf dahinsiechende Kranke und einen Müller getötet. Durch Genickbruch. Als er schließlich erwischt wurde, hat er behauptet, er habe die Leute ›seinem Haus‹ opfern müssen, um es gnädig zu stimmen. Können Sie sich das vorstellen? Am Ende wurde Hildebrandt von einem wütenden Mob die Kellertreppe hinabgestoßen, wobei er – seltsamerweise ebenfalls durch Genickbruch – gestorben ist.«

Petrow stieß pfeifend Luft aus. »Aber das Morden hat damit nicht aufgehört. Hildebrandt wurde zum Wiedergänger oder zum Geist, hier unterscheiden sich die Quellen etwas. Nur eines ist sicher: Bis heute kommen immer wieder Menschen im Horrorhaus um.« Er zeigte auf sein Genick. »Und das sind keine Legenden. Man hat die Skelette gefunden. Im Boden des Kellers und eingemauert in Zwischenwänden. Vielleicht liegt Mona jetzt auch schon da unten verscharrt.«

»Gibt es dafür irgendeinen konkreten Hinweis?«, fragte Suzanne. Nun wurde ihr doch etwas mulmig zumute.

»Das glücklicherweise nicht, aber vielleicht verstehen Sie jetzt, warum ich eine Zeichnung mit einem abgeknickten Hals in diesem Zusammenhang für so beunruhigend halte.«

Suzanne strich ihre schulterlangen blonden Haare hinter die Ohren. An Übernatürliches glaubte sie zwar nicht, aber es war selbstverständlich vorstellbar, dass das Strichmännchen als Drohung gemeint war, so kindlich es auch aussah. »Hat Ihre Kamerafrau Feinde?«

Petrow schien zu überlegen. Schließlich sagte er: »Hier am Set nicht, nein. Kleine Querelen vielleicht, aber nichts Gravierendes.« Er schürzte die Lippen. »Und über ihr Privatleben weiß ich so gut wie nichts. Aber sie ist ein ruhiger und zuverlässiger Mensch. Wen sollte sie so verärgert haben?« Er knetete seine Hände. »Wenn ich ehrlich bin, gibt es nur einen, den ich mir da vorstellen … Halten Sie mich bitte nicht für verrückt, aber ich glaube mittlerweile, dass diese Dreharbeiten verflucht sind. Es hört sich absurd an, aber was, wenn Hildebrandt etwas dagegen hat, dass wir seine Geschichte verfilmen, und gerade mit allen Mitteln versucht, uns aus seinem Haus zu vertreiben? Wenn er deswegen Mona etwas angetan hat?« Er zog seinen eleganten Mantel enger um sich.

»Hildebrandt ist seit Jahrhunderten tot. Ich glaube nicht, dass er etwas mit der Sache zu tun hat.« Suzanne machte mit dem Handy Fotos von dem Strichmännchen. »Aber es wäre natürlich schon möglich, dass jemand, und zwar jemand aus Fleisch und Blut, etwas gegen Ihren Film hat. Erst die ganzen Requisiten, die verschwunden sind. Jetzt auch noch die Kamerafrau. Und dann taucht dieses Strichmännchen auf. Vielleicht hängt das alles zusammen?«

Petrow schaute auf den Boden und nickte langsam. Suzanne steckte ihr Handy wieder ein. Seit Beginn der Dreharbeiten geschahen tatsächlich seltsame Dinge am Set. Angefangen hatte es damit, dass immer wieder Kamerazubehör und Requisiten auf merkwürdige Weise abhandengekommen waren. Als ob wirklich jemand versuchte, die Dreharbeiten zu behindern. Ihre Detektei bearbeitete auch diese Vorkommnisse, bislang ohne Ergebnis. War es vorstellbar, dass der Requisitendieb jetzt auch noch dafür gesorgt hatte, dass ein Mensch verschwand? Hatte er die Kamerafrau entführt, um dem Film zu schaden?

»Haben Sie eine Idee, wer außer diesem Geist etwas gegen Ihren Film haben könnte?«, hakte sie nach.

Petrow wand sich sichtlich. Dann sagte er so schnell, dass er sich fast verhaspelte: »Nein, auf gar keinen Fall. Wer sollte denn außer Hildebrandt etwas gegen meinen Film haben?«

Sie hatte das Gefühl, dass er ihr gerade nicht die Wahrheit gesagt hatte. »Sind Sie sicher?«

Er nestelte an seinem Mantel herum. »Ganz sicher. Es ist eisig hier draußen. Wollen wir nicht endlich ins Haus gehen? Dann zeige ich Ihnen noch die Stelle, an der unsere Kamerafrau verschwunden ist. Alles andere können wir ja morgen klären.«

Sie stimmte zu, auch ihr war trotz ihrer Daunenjacke ziemlich kalt. Gemeinsam gingen sie zur Tür. Der Regisseur zog einen altmodischen Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn ins Schloss. Die Tür sprang mit einem leisen Quietschen auf.

»Ich bin ungern bei Nacht hier«, gestand er, drückte einen Lichtschalter und machte einen zögerlichen Schritt über die Schwelle. Alles an ihm schien sich gegen das Haus zu sträuben. Wie bei einer Katze, die gezwungen wird, ins Wasser zu springen.

»Aber spielen viele Szenen in einem Horrorfilm nicht bei Nacht?« Neugierig folgte Suzanne ihm in das berüchtigte Willstätter Horrorhaus. Abgestandene Luft und ein schwacher Schimmelgeruch schlug ihr entgegen. Sie fand das alte Haus mit dem Lehmboden und den weißen, abgenutzten Wänden nicht sonderlich gruselig.

»Das ist richtig, so kann man die Urangst der Zuschauer vor der Dunkelheit nutzen, um den Film für sie noch bedrohlicher zu machen. Blöd nur, dass eben nicht nur die Zuschauer diese Urangst haben. Die Szenen in den Rheinauen sind kein Problem für mich, aber hier … Na ja, es heißt, Hildebrandt gehe nur nachts um …« Petrow lächelte peinlich berührt. »Im Haus drehen wir zur Sicherheit jedenfalls nur am Tag. Mit lichtundurchlässigen Pappfensterläden. Sie haben ja gerade einen gesehen.« Während er erzählte, stiegen sie eine knarzende Holztreppe ins Obergeschoss hoch. Suzanne kam ganz schön außer Atem und schwor sich, endlich ein paar Kilo abzunehmen und mehr Sport zu treiben. Nicht, dass sie dick war, aber ihre Jeans saß in letzter Zeit schon ein bisschen stramm an den Oberschenkeln und am Bauch. Abgesehen davon war einunddreißig eindeutig zu jung, um beim Treppensteigen zu keuchen.

Oben angekommen, gingen sie den Flur bis fast zum anderen Ende entlang. Schließlich blieb Petrow stehen und zeigte auf einen mit einer Kette und einem großen Durchgang-verboten-Schild gesperrten Treppenabgang zu seiner Rechten. »Das hier ist übrigens die ehemalige Bedienstetenstiege. Hier ist Hildebrandt immer hochgeschlichen, wenn die Mordlust ihn überkam.«

Suzanne schaute hinunter. Die Wendeltreppe war baufällig und führte in mit schwarzen Schatten gefüllten Windungen zurück ins Untergeschoss.

Gegenüber der Wendeltreppe befand sich eine schmale Tür, die der Regisseur nun aufstieß. Die beiden betraten ein ärmliches kleines Zimmer mit grauen Wänden. Der Wind jammerte im gemauerten Kamin und rüttelte an den auch hier angebrachten Pappfensterläden. Knarrend ging die Tür wie von Geisterhand wieder zu, und für eine Sekunde war es stockfinster, bis Petrow, der seinem lauten Keuchen zufolge ziemlich panisch wurde, den Lichtschalter gefunden und gedrückt hatte. »Genau das meine ich. Das sind diese Dinge, die Hildebrandt tut.« Er holte immer noch leicht keuchend Luft, ging zwei Schritte vor und blieb neben dem einzigen Möbelstück im Raum stehen, einer schmalen Holzpritsche. »Hier im ehemaligen Schlafzimmer der ermordeten Siechenmutter wurde Mona das letzte Mal gesehen. Donnerstagabend gegen 18.00 Uhr.« Seine Stimme klang angespannt.

»Wer hat sie hier gesehen?«

»Ihr Mann. Er wollte sie abholen. Er stand draußen im Hof und war überzeugt davon, sie durchs Fenster in diesem Raum ausgemacht zu haben. Beim Befestigen eines Pappfensterladens. Unser Hauptdarsteller, Benni Koch, hat sie wenige Minuten vor ihrem Verschwinden ebenfalls hier oben gesehen. Und die beiden waren nicht die Einzigen. Wir waren gerade dabei, mit kleiner Besetzung Szenen durchzusprechen und nebenbei im ganzen Gebäude die Fensterläden anzubringen, und Mona hat geholfen. Aber als der Ehemann ins Haus ist, war sie einfach weg.«

Das konnte bedeuten, dass die Frau lediglich keine Lust gehabt hatte, ihren Ehemann zu treffen, dachte Suzanne. »Wissen Sie zufällig, ob sie Streit mit ihrem Mann hatte?«, fragte sie.

Petrow fuhr sich mit der Hand über den Bart. »Wie gesagt, über ihr Privatleben weiß ich wenig. Aber ich habe den Eindruck, dass sie eine glückliche Ehe führt. Ihr Mann schien auch ziemlich besorgt zu sein, nachdem sie wie vom Erdboden verschluckt war. Hat sogar die Polizei gerufen. Wir mussten schließlich unsere Arbeit an dem Tag abbrechen, weil er so einen Wirbel gemacht hat.« Er fummelte an seiner Brille herum. »Und selbst wenn die Eheleute Streit gehabt haben sollten, erklärt das immer noch nicht, wie sich Mona in diesem Haus in Luft auflösen konnte.« Er machte eine hilflos wirkende Bewegung mit der rechten Hand.

»Könnte sie nicht einfach ungesehen das Gebäude verlassen haben?«

»Nein, eben nicht.« Petrow klang ungeduldig. »Zwei Darsteller und ich haben gerade unten im Flur eine Szene durchgesprochen. Wenn sie durch die Haustür gewollt hätte, hätte sie an uns vorbeigemusst, aber niemand hat sie gesehen.«

»Und die Haustür ist die einzige Tür? Keine sonstigen Ausgänge?«

Petrow nickte.

»Bestünde die Möglichkeit, dass Frau Laurent heimlich durch ein Fenster hinausgestiegen ist?«

»Hier oben wäre das nicht gegangen, da sind die Fenster viel zu klein, wie Sie sehen. Sie hätte sich außerdem den Hals gebrochen, wenn sie rausgesprungen wäre. Und unten? Von der Größe der Fenster her wäre es möglich. Mona hätte durch die gesperrte Bedienstetenstiege, die ich Ihnen gerade gezeigt habe, vielleicht auch ungesehen ins Untergeschoss gelangen können. Allerdings hatten wir zu dem Zeitpunkt, als sie verschwunden ist, unten bereits an allen Fenstern die Pappfensterläden angebracht. Sie sehen ja hier, dass die ziemlich gut befestigt sind.« Er zeigte auf die zwei winzigen Fenster, hinter denen die robuste Pappe mit dickem Draht und viel Klebeband festgemacht war. »Das ist unten genauso. Und in den meisten Zimmern haben wir innen sogar noch eine weitere Abdeckung auf den Scheiben, die aussieht wie eine normale Wand. Damit das im Film so wirkt, als wären es fensterlose Räume. Da rauszuklettern, ohne dass jemand etwas bemerkt, ist unmöglich. Wir waren etwa fünfzehn Leute hier im Haus. Zumindest hätte sie einen Fensterladen entfernen müssen, aber die waren alle noch dran. Und warum um alles in der Welt hätte sie überhaupt durch ein Fenster hinaussteigen sollen? Das ergibt doch gar keinen Sinn. Und wo ist sie dann jetzt? Warum hat seither niemand mehr etwas von ihr gehört?« Petrow schüttelte den Kopf.

»Könnte sie sich im Haus versteckt gehalten haben, als Sie nach ihr gesucht haben, und das Gebäude erst später verlassen haben?«

»Nein, das ist unmöglich. Wir haben alles mehrfach und sehr gründlich abgesucht, sogar den Keller und die Bühne. Wir dachten erst, dass sie ohnmächtig geworden oder gestürzt ist und irgendwo liegt. Ganz ehrlich, ich hatte wirklich Angst, dass wir sie mit gebrochenem Genick finden. Aber Gott sei Dank war sie einfach nur weg.« Wieder schob er seine Brille nach oben. »Wir können uns das Ganze einfach nicht erklären. Und dann war da ja noch die Sache mit dem Leuchten.«

»Was für ein Leuchten?«

Petrow druckste ein wenig herum, dann sagte er: »Na ja, es gibt das Gerücht, dass kurz bevor in diesem Haus jemand stirbt, ein geheimnisvolles grünes Licht aufleuchtet. Das Hildebrandtslicht. Es heißt, die Flamme von Hildebrandts Nachtlampe, die er bei seinen unsäglichen Taten mit sich geführt hat, hätte sich kurz vor einem Mord immer grün gefärbt.« Er räusperte sich. »Unser Hauptdarsteller ist sich sicher, dass er an dem Tag, an dem Mona verschwunden ist, ein grünes Licht im Zimmer der Siechenmutter gesehen hat.«

»Könnte das irgendeine Filmbeleuchtung gewesen sein?«

»Eben nicht, nein.«

»Gut. Ich würde die Leute, die an dem Tag hier waren, gerne einmal befragen«, sagte sie. »Vor allem mit dem Ehemann und dem Hauptdarsteller Benni Koch sollte ich sprechen. Und gibt es vielleicht jemanden am Set, mit dem Frau Laurent befreundet ist und der mehr über ihren Verbleib wissen könnte?«

»Monas Ehemann ist ein Zahnarzt und Kieferorthopäde aus Kehl. Dr. Laurent«, erläuterte Petrow. »Und mit unserem Hauptdarsteller könnten Sie morgen kurz hier reden, wenn Sie möchten. Benni hat Mona nicht nur vor ihrem Verschwinden noch gesehen, er ist auch derjenige, mit dem sie sich hier vermutlich am besten verstanden hat. Was den Rest meiner Leute angeht …« Petrow räusperte sich erneut. Schließlich brachte er hervor: »Es wäre mir lieber, wenn zunächst nicht alle erführen, dass Sie wegen Mona ermitteln. Ich meine, die Polizei war ja schon hier und … Falls wirklich nichts weiter dahintersteckt als ein banaler Streit zwischen Eheleuten oder Mona einfach mal eine Auszeit von den Dreharbeiten gebraucht hat, wäre es … Es wäre nicht sonderlich gut für meinen Ruf als Regisseur, wenn jeder denken würde, dass ich wegen Hildebrandt Panik geschoben habe, verstehen Sie?«

Sie nickte. »Wenn meine Detektei nicht offiziell ermitteln soll, bestünde die Möglichkeit, dass wir einen Detektiv undercover in die Filmproduktion einschleusen. Jemanden, der bei den Dreharbeiten vor Ort ist und unauffällig so viel wie möglich über Ihre Kamerafrau und deren seltsames Verschwinden herausfinden kann. Gleichzeitig können wir so dem Requisitendiebstahl auf den Grund gehen.«

Der Regisseur nickte: »Ein Undercover-Detektiv klingt gut.« Er musterte Suzanne mit zusammengekniffenen Augen. »Haben Sie schon einmal in einem Film mitgespielt? Sie könnten die Rolle einer Bauernmagd übernehmen. Ich glaube, diese mittelalterlichen Trachten würden Ihnen stehen. Haben Sie nicht neulich erwähnt, dass Sie Ziegen mögen? Wir besorgen eine, die Sie hinter dem Horrorhaus auf einer Weide … Das könnte sogar in eine Splatterszene münden. Hildebrandts Geist könnte zum Beispiel in die Ziege fahren und sie zum Mordwerkzeug machen. Da müsste ich das Drehbuch ein wenig umschreiben, aber das ist kein Problem. Vielleicht kommen Sie ganz groß raus. Ich meine, ›Dunkle Gemäuer‹ ist nicht irgendein billiger Horrorfilm, er wird unter Insidern schon als Kandidat für den Deutschen Filmpreis gehandelt.« Er lächelte stolz.

Nur über meine Leiche, dachte Suzanne, auch wenn sie sich ein klein wenig geschmeichelt fühlte. Petrow war ein preisgekrönter Filmemacher, und eine Menge Leute würden sich vermutlich einen Finger abhacken, wenn sie dafür in einem seiner Filme mitspielen könnten. »Ich glaube, die Schauspielerei ist überhaupt nichts für mich. Aber ich schaue morgen mal, wer von meinen Leuten dafür in Frage kommen könnte.«

»Wunderbar, danke. Ich hoffe, Sie werden Mona schnell wiederfinden und herausbekommen, ob hinter ihrem Verschwinden etwas … etwas Übernatürliches steckt. Und es wäre natürlich großartig, wenn Sie auch den Requisitendieb dabei entlarven. Wir können es uns nämlich langsam nicht mehr leisten, den Dreh von irgendwelchen Szenen zu verschieben, weil wichtige Gegenstände plötzlich fehlen. Ich habe selbst einiges an Geld in den Film …«

Wie als Kommentar ertönte über ihnen plötzlich ein lautes, hässliches Kratzen. Der Regisseur zuckte zusammen und wurde ganz blass. »Wir müssen hier raus. Sofort«, stieß er hervor.

Es dauerte eine Weile, bis Suzanne ihn davon überzeugen konnte, dass es sich bei den Geräuschen nur um ein Tier handelte, wahrscheinlich um einen Marder. So richtig schien er ihr aber nicht zu glauben, und sie wandten sich zum Gehen. Trotz Petrows Protesten bestand sie darauf, über die gesperrte, dunkle Bedienstetenstiege nach unten zurückzugehen, da sie herausfinden wollte, wie die Kamerafrau in diesem Haus hatte »verschwinden« können. Unten angekommen, blieb Suzanne stehen und sah sich um. Angenommen, die Kamerafrau war hier unbemerkt heruntergekommen, was konnte sie nun getan haben? Der Ausgang der Stiege war hinter einem massiven, großen Schrank mit dreckigen Glastüren verborgen. Von hier aus konnte man die Eingangstür des Hauses nicht sehen und von dort aus auch nicht gesehen werden. Und direkt neben dem Stiegenabgang befand sich eine wurmstichige schwarze Holzpforte, die mit seltsamen Monsterfratzen verziert war. Da hinein hätte Mona Laurent problemlos ungesehen schleichen können. Wobei sich natürlich immer noch die Fragen stellten, warum um alles in der Welt sie das getan haben sollte und wo sie jetzt war. Suzanne zeigte auf die Pforte. »Wo geht es da hin?«, fragte sie.

»In den Keller.«

Sie griff nach der Klinke. Im Gegensatz zu den anderen Türen des Hauses, die sie bisher geöffnet hatten, ging die Kellertür vollkommen lautlos und geschmeidig auf. Als habe jemand sie erst vor Kurzem frisch geölt, was Suzanne in Anbetracht des maroden Zustands des Rests des Hauses recht auffällig fand.

»Bitte, lassen Sie das. Auf keinen Fall können wir bei Dunkelheit in diesen Keller.« Petrow klang panisch. »Das Licht ist mies, und die Treppen sind sehr steil. Das ist lebensgefährlich! Wir bräuchten zumindest eine starke Taschenlampe, aber noch besser wäre es, wenn die Scheinwerfer an wären, und das sind sie nur bei Tag. Dann läuft nämlich unser Generator. Die Elektrik hier im Haus ist mehr als unzuverlässig.«

Suzanne konnte gar nicht richtig zuhören. Gebannt starrte sie in den schwarzen Keller hinunter. Eine unnatürliche Kälte schien aus der Dunkelheit aufzusteigen, modrig und feucht. Ein Gefühl der Beklemmung machte sich plötzlich in ihr breit. Als werde sie von etwas beobachtet. Sie wusste, dass das Unfug war, dass es keine Untoten und keine Geister gab, aber sie musste sich richtiggehend zwingen, die Hand auszustrecken und den Lichtschalter an der Wand neben der Treppe zu drücken. Ein dunkelgelbes Licht flackerte auf und gab den Blick frei auf eine steile Treppe, dann wurde es mit einem Schlag stockfinster. Die Pappfensterläden waren wahrlich lichtundurchlässig.

Hinter ihr schrie Petrow auf. Auch Suzannes Herzschlag beschleunigte sich. In der Sekunde, bevor das Licht ausgegangen war, hatte nämlich etwas aus dem Keller zu ihr heraufgestarrt. Es hatte ausgesehen wie eine Skelettfratze. Schnell tastete sie sich Richtung Tür. Ein paar Sekunden später klickte es, das Licht ging wieder an. Der Regisseur hatte Schweißperlen auf der Stirn. »Sie spüren es auch, oder?«, fragte er. »Dass mit dem Haus etwas nicht stimmt?«

»Absolut nicht, nein. Mir sitzt nur das Wochenende ein bisschen in den Knochen«, brachte sie heraus. Was war das da unten gewesen?

Der Blick, den Petrow ihr zuwarf, zeigte deutlich, dass er ihr das nicht abnahm.

»Aber ich denke, es schadet tatsächlich nicht, wenn wir uns den Keller morgen bei Tag und in Ruhe anschauen«, fügte sie hinzu.

Sie verließen das Gebäude. Sobald sie wieder draußen in der eisigen Novemberluft standen, ärgerte sich Suzanne über ihre Ängstlichkeit, die so gar nicht typisch für sie war. Eine Skelettfratze, so ein Unsinn. Wahrscheinlich war es eine alte Jacke oder sowas gewesen, die in dem schlechten Licht ein wenig unheimlich ausgesehen hatte. Sie musste wirklich sehr erschöpft sein.

Nebeneinander gingen Petrow und sie zum dunklen Parkplatz zurück, wo Liam und Bandmanager Achim auf sie warteten. Der Sänger von Dieselskandal sah immer noch vollkommen niedergeschlagen aus, wie er da an die Motorhaube gelehnt dastand und auf die schwarze Kinzig starrte. Suzannes Herz krampfte sich vor Mitleid zusammen, gleichzeitig hatte sie ein paar Schmetterlinge im Bauch. In den nächsten Tagen würde sie alles tun, was in ihrer Macht stand, um Liam wieder aufzumuntern und ihm klarzumachen, dass die Juroren Idioten und Dieselskandal die genialste Band der Welt war.

Achim kam ihnen nun entgegen geschlendert, und Suzanne stellte ihn Petrow vor. Der Anwalt drückte dem Regisseur herzlich die Hand, dann sagte er: »Sie sind aber nicht der Petrow, oder? Der ›Uschi legt den Richter flach‹ gemacht hat? War ein Kultfilm, als ich Jura studiert habe.«

Petrow blieb wie angewurzelt stehen. »Sie kennen mein Frühwerk?« Er lächelte, ein wenig unangenehm berührt, wie es schien. »Uschi war ein besonderer Film«, fügte er dann hinzu. »Porno trifft feministische Sozialkritik, sowas ging nur in den Neunzigern.«

»Die Sozialkritik isch mir wohl entgangen.« Achim zog die Augenbrauen hoch.

»Na, die Uschi kam doch aus schwierigen Verhältnissen«, half der Regisseur ihm auf die Sprünge. »Hat sich dann aber bis zur Sekretärin hochgeschlafen. Was ich immer als Symbolbild für die Unterdrückung der Frau im kapitalistischen Patriarchat des Justizsystems angesehen habe.«

Achim verzog die Lippen zu einem Grinsen. »Für einen politischen Film wurde es aber ziemlich ausführlich gezeigt. Wie Uschi sich hochgeschlafen hat, meine ich.« Und bevor Petrow, der grimmig die Stirn in Falten legte, etwas erwidern konnte, fragte der Anwalt: »Und jetzt sind Sie ins Horrorgenre gewechselt?«

»Ich mache, was der Markt von mir will«, stieß der Regisseur hervor. Er sagte es auf eine Art, als sei »der Markt« eine Gottheit, die zu ihm spräche, und zwar nur zu ihm. Allerdings auf eine ziemlich herrschsüchtige Art, die ihn zwang, Dinge zu tun, die er eigentlich gar nicht wollte.

Suzanne hatte mit einem Mal ein unangenehmes Gefühl im Bauch. Irgendetwas an der Art, wie Petrow das mit dem Markt gesagt hatte, war seltsam gewesen. War es vorstellbar, dass er gar keine Lust hatte, »Dunkle Gemäuer« zu drehen, vielleicht, weil er Angst vor Hildebrandt hatte, und daher jetzt selbst dafür sorgte, dass der Film nicht zustande kam, indem er Requisiten und sogar eine Kamerafrau verschwinden ließ? Aber warum hätte er den Job als Regisseur dann überhaupt annehmen und behalten sollen?