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Impressum

Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg

Copyright für diese Ausgabe © 2017 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung Anzinger | Wüschner | Rasp, München

 

 

Impressum der zugrundeliegenden gedruckten Ausgabe:

 

 

ISBN Printausgabe 978-3-463-40131-7

ISBN E-Book 978-3-688-10642-4

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-688-10642-4

Anmerkungen

Kapitel 1 Mein zwölfter Geburtstag

ROBERT M.W. KEMPNER. Von seinem Chef Hermann Göring aus dem Staatsdienst entfernt, mußte er Amerikaner werden, um Nationalsozialisten vor Gericht zu bringen – als stellvertretender Hauptankläger der Nürnberger Prozesse.

Ba Nacht ofn Alten Mark

MAMELOSCHN, auch Mammeloschen, ist im Jiddischen die Bezeichnung für Muttersprache.

Vom Geist des Marxismus und vom Ungeist des kommunistischen Systems

LENIN heißt auch ein biographischer Essay, den Eugen Kogon in Band IX der Enzyklopädie »Die Großen der Weltgeschichte« publiziert hat.

Kapitel 6 Vier Herren unterhalten sich

RICHARD WILLSTÄTTER, der 1915 den Nobelpreis erhielt, war jüdischer Abstammung. 1924 legte er aus Protest gegen antisemitische Strömungen innerhalb der Fakultät seinen Lehrstuhl in München nieder.

DIE FÜNF BÜCHER MOSIS werden von den Juden als Thora (Lehrek, Gesetz) bezeichnet. Die fünf Bücher Mosis bilden Auftakt und Kernstück des Alten Testaments. Über die fünf Bücher Mosis haben Gisela Uellenberg und Konrad Koller gemeinsam einen ausführlichen Beitrag in »Kindlers Literatur Lexikon« verfaßt. Die Gestalt des Mose beschreibt ein Beitrag von Hermann Levin-Goldschmidt in Band I der Enzyklopädie »Die Großen der Weltgeschichte«.

Hertha

HELGA BEMMANN hat 1990 im »Verlag der Nation Berlin« eine Tucholsky-Biographie veröffentlicht, die ich hervorragend finde.

Ein »Schimmel« geht um die Welt

VON URSULA VON KARDORFF veröffentlichte der Kindler Verlag 1974 ihr Buch »Adieu Paris«.

Kapitel 12 Eine Freundschaft (1932)

GÜNTHER WEISENBORN schenkte mir nach dem Krieg einen Privatdruck seiner Erzählung »Klopfzeichen«. Sie hat nur einen Umfang von vier Seiten, enthält aber, wie mir Weisenborn sagte, den wichtigsten Bericht seines Lebens: als er nach Verhaftung und Überführung in eine Zelle im Keller der Prinz-Albrecht-Straße um sein Leben klopfte. W. verdankt den Klopfzeichen mit dem Zellennachbarn die Rettung seines Lebens. 1963 nahm Hermann Kesten die Schilderung Weisenborns in die Anthologie »Europa heute« auf.

3. Februar 1933

KURT FREIHERR VON HAMMERSTEIN-EQUORD soll über Hitlers Vortrag empört gewesen sein. Hammerstein gehörte zu der kleinen Gruppe republiktreuer Offiziere. Als Gegner des Nationalsozialismus trat er 1934 als Chef der Heeresleitung zurück. Er wird dem militärischen Widerstand zugerechnet.

»Erika«

DAS ZITAT ist dem Beitrag »Vom Geist und Ungeist des Hauses« in Band 3 des Werkes »Hundert Jahre Ullstein (1877–1977)« von Heinrich Satter entnommen.

Nach dem Aufstand des Warschauer Ghettos

ERICH PECHER ist auch Verfasser der Bildbiographie »Johannes XXIII.«, die 1958 im Kindler Verlag erschienen ist.

Ein Pfarrer besucht mich

JESUS ist auch der Titel eines Beitrages, den Gertrude Sartory in Band II der Enzyklopädie »Die Großen der Weltgeschichte« veröffentlicht hat. Hinzuweisen ist auch auf das Buch »Wer war Jesus von Nazareth?«, das Gerhard Strube 1972 im Kindler Verlag herausgegeben hat.

Nina

MARIA DAISY ORSKA war eine gefeierte, umjubelte Darstellerin in Rollen der »femme fatale« wie Wedekinds »Lulu«. Mit 47 Jahren schied sie, drogensüchtig, 1930 in Wien aus den Leben.

OSTERMÄRSCHE waren jährliche Demonstrationszüge um die Osterzeit von Gegnern atomarer Rüstung. Ostermärsche gab es in Großbritannien seit den 1950er Jahren, in der BRD ab 1960, später auch in Österreich. Zu Beginn der 1980er Jahre knüpfte die Friedensbewegung wieder an die Tradition der Ostermärsche an.

Requiem auf einen Schutzengel

LITERATUR ZU ILSE STÖBE UND/ODER RUDOLF HERRNSTADT:

Karl-Heinz Biernat und Luise Kraushaar:

»Die Schulze-Boysen/Harnack-Organisation im antifaschistischen Kampf«. (Dietz Verlag, Berlin-Ost 1972)

Margret Boveri:

»Wir lügen alle. Eine Hauptstadtzeitung unter Hitler». (Walter Verlag, Olten 1965)

Heinz Höhne:

»Kennwort: Direktor«. (S. Fischer, Frankfurt 1972)

Gerhard Kegel:

»In den Stürmen unseres Jahrhunderts«. (Dietz Verlag, Berlin-Ost 1984)

Juri Korolkow:

»Die innere Front». (Verlag Volk und Welt, Berlin-Ost 1973)

Greta Kuckhoff:

»Vom Rosenkranz zur Roten Kapelle. Ein Lebensbericht«. (Verlag Neues Leben, Berlin-Ost. Lizenzausgabe: Röderberg Verlag, Frankfurt/M. 1974)

Klaus Lehmann:

»Widerstand im Dritten Reich. Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack«. (VVN-Verlag, Berlin-Ost 1948)

Günther Nollau und Ludwig Zindel:

»Gestapo ruft Moskau. Sowjetische Fallschirmagenten im 2. Weltkrieg«. (Blanvalet Verlag, München 1979)

Harald Poelchau:

»Die letzten Stunden. Erinnerungen eines Gefängnispfarrers«, aufgezeichnet von Graf Alexander Stenbock-Fermor. (Verlag Volk und Welt, Berlin-Ost 1949)

Ulrich Sahm:

»Rudolf von Scheliha. 1897–1942. Ein deutscher Diplomat gegen Hitler«. (C.H.Beck, München 1990)

Rudolf Radler:

»Die deutsche Gruppe der Roten Kapelle« in: Leopold Trepper: »Die Wahrheit«. Autobiographie. (Kindler Verlag, München 1975)

Carola Stern:

»Ulbricht. Eine politische Biographie«. (Kiepenheuer & Witsch, Köln/Berlin 1963)

VVN/Westberlin (Hg.):

»Ehrenbuch der Opfer von Berlin-Plötzensee«. (verlag das europäische buch. Berlin-West 1974)

Peter Weiss:

»Die Ästhetik des Widerstands«. 3. Band. Roman. (Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1981)

Ilse Stöbe:

»Die Hohe Tatra« in: Neue Zürcher Zeitung vom 25. Februar 1934.

HERMANN PREY UND DIETRICH FISCHER-DIESKAU. Hermann Prey veröffentlicht seine Erinnerungen »Premierenfieber« 1981 im Kindler Verlag. Dietrich Fischer-Dieskau schrieb einen biographischen Essay über Franz Schubert für Band VII der Enzyklopädie »Die Großen der Weltgeschichte«.

REVUE

REINHART HOFFMEISTER ist auch Herausgeber des 1980 im Kindler Verlag erschienenen Bandes: »Rolf Hochhuth – Dokumente zur politischen Wirkung«.

Kollegenschelte

P.E.N. Abk. für poets und playrights (Lyriker und Dramatiker), essayists and editors (Essayisten und Herausgeber), novelists (Romanautoren). P.E.N. ist eine internationale Schriftstellervereinigung und hat Zentren in zahlreichen Ländern. Eine Charta, die Mitglieder zu unterschreiben haben, verpflichtet zur Bekämpfung von Rassen-, Klassen- und Völkerhaß sowie zum aktiven Eintreten für Pressefreiheit und Meinungsvielfalt. Der P.E.N.-Club hat durch engagierten Einsatz von Mitgliedern und Präsidien, zum Teil gemeinsam mit »amnesty international«, für verfolgte Schriftsteller und Journalisten in aller Welt mehr getan als jede vergleichbare Organisation.

Gespräche in Frankfurt und München

VLADIMIR MAJAKOWSKI ist in den Augen des Schriftstellers Hugo Huppert der »Poet der Revolution«. Hupperts Beitrag findet sich in Band X der Enzyklopädie »Die Großen der Weltgeschichte«.

Louis Aragon

HANS MAYER eröffnet Band VII der Enzyklopädie »Die Großen der Weltgeschichte« mit einem meisterhaften Goethe-Essay, den er mit den Worten abschließt: »Der jahrhundertalte Versuch deutscher Schulen und Hochschulen, die Gestalt Johann Wolfgang Goethes als geistige Verpflichtung für jeden Deutschen zu etablieren, mußte notwendigerweise mißglücken. Goethe muß gesucht und gefunden werden. Dann aber vermag er zu erleuchten und auch, aller geschichtlichen Irrtümer ungeachtet, weiter zu leuchten: ›unendlich Licht mit seinem Licht verbindend‹.« (Die Bedeutung Goethes als Naturwissenschaftler wird in einem eigenen Beitrag von Werner Heisenberg in diesem Band der »Großen der Weltgeschichte» gewürdigt.)

Graphologie

MANON HOFFMEISTER hat später Psychologie studiert und war Jahre als Klinische Psychologin an der Universitäts-Kinderklinik in Tübingen beschäftigt. Heute hat sie in Tübingen eine psychoanalytische Praxis. Unsere Enzyklopädie »Die Psychologie des zo. Jahrhunderts« enthält in Band 3 ihre Arbeit über »Michael Balints Beitrag zur Theorie und Technik der Psychoanalyse«, die auch als Kindler-Taschenbuch erschien.

Die Schriften der Anna Freud

DIE SCHRIFTEN DER ANNA FREUD wurden von Helga Watson und Michael Schröter ediert. Michael Schröter ist auch der von Anna Freud autorisierte Übersetzer für die nicht von der Autorin selbst hergestellten Fassungen.

Malerei

DEM INTERNATIONALEN HERAUSGEBERGREMIUM von »Kindlers Malerei Lexikon« gehörten an:

Germain Bazin, Paris (für die Französische Malerei), Horst Gerson, Den Haag (für die Niederländische Malerei), Lawrence Gowing, London (für die Englische Malerei), Jean-Claude Lemagny, Paris (für die Französische Malerei), Rolf Linnenkamp, München (für die Deutsche, Österreichische und Schweizer Malerei), Wojslaw Molè, Krakau (für die Osteuropäische Malerei), Alfred Neumeyer, Oakland (für die Amerikanische Malerei), Leif Østby, Oslo (für die Dänische, Finnische, Isländische, Norwegische und Schwedische Malerei), Sir Herbert Read, London (für die Malerei des zo. Jahrhunderts), Andrzej Ryszkiewicz, Warschau (für die Osteuropäische Malerei), Peter C. Swann, Oxford (für die Asiatische und Islamische Malerei), Joaquin Vaquero Palacios, Madrid (für die Portugiesische und Spanische Malerei), Luisa Vertova, Florenz (für die Italienische Malerei), Wolfgang Fritz Volbach, Rom (Von den Anfängen bis zur Tafelmalerei).

Zeitweise wurde dieses Kollegium noch um Heinz C.R. Martin (München), Herbert Marwitz (München) und für den letzten Band, ein Sachwörterbuch der Weltmalerei, um Kurt Fassmann unter Mitwirkung von Wilhelm Rüdiger erweitert.

Literatur

HANS-GEERT FALKENBERG ist auch Herausgeber des Essaybandes »Die sieben Todsünden« als Kindler-Taschenbuch 1965. Stolz, Geiz, Völlerei, Wollust, Trägheit, Neid und Zorn sind die sieben Todsünden. Mit diesem Sündenkatalog setzen sich sieben englische und sieben deutsche Autoren auseinander.

Psychologie

ALS HERAUSGEBER DER »PSYCHOLOGIE DES 20. JAHRHUNDERTS« gewann ich: Heinrich Balmer, Dieter Eicke, Hans Zeier, Gerhard Strube, Roger A. Stamm, Gerhard Steiner, Annelise Heigl-Evers, Peter Hahn, Uwe Henrik Peters, Walter Spiel, François Stoll, Hans Joachim Schneider und Gion Condrau.

Anthropologie

FRIEDENSLIEBE ALS POLITISCHE DIMENSION. Ich muß folgendes vorausschicken:

Um die Einfügung dieser Anmerkung habe ich den Verlag nachträglich gebeten. An und für sich hatte ich mein Manuskript am 19. Dezember 1990 abgeschlossen und es nach letzten Korrekturen an diesem Tag dem Lektor, Rolf Cyriax, zur Weitergabe an die technische Herstellung ausgehändigt. Heute ist der 19. Februar 1991. Es ist Krieg. Seit einem Monat sterben Menschen am Golf. Und in diesen Tagen stellten mir Freunde die Frage, ob ich mich in Anbetracht des Golfkriegs noch immer zu dem bekenne, was ich an dieser Stelle und an anderen Stellen meiner Autobiographie zu den Themen Friedensliebe als politische Dimension, Friedensbewegung, Gewaltverzicht, Pazifismus, Kriegsdienstverweigerung, Lebenssicherung und Lebensbewahrung zitiert und geschrieben habe.

Meine Antwort betrachte ich nicht als Widerruf, vielmehr als eine nun notwendig gewordene Ergänzung. Pazifismus kann sich nur behaupten, wenn Industrie, Handel, Wissenschaft und Politik – genauer: Industrielle, Kaufleute, Wissenschaftler und Politiker – sich die Ethik vorbehaltloser Lebensbewahrung zu eigen machen und wenn die Bevölkerung Politiker wählt, die Abrüstung, Exportverbot von Kriegsgütern und strengste Kontrolle verdächtiger Produkte durchsetzen.

Wenn jedoch Kriegsverhütung versagt, weil man die Beseitigung der Kriegsursachen sträflich vernachlässigt hat, weil Gier und Profit alles Tun und Handeln bestimmten, weil ein krimineller irakischer Machthaber zum umworbenen Empfänger genehmigter und getarnter Waffenexporte und ein bevorzugter Vertragspartner wurde, dann darf man sich nicht wundern, wenn Menschen, verzweifelt und ohnmächtig, demonstrieren und protestieren.

Aber gewollt hat den Krieg der irakische Machthaber. Er hat erbarmungslos Krieg geführt gegen Iran. Er hat Kurden in seinem Land mit Giftgasgeschossen umgebracht. Er hat gerüstet und gerüstet. Er hat Kuwait annektiert. Er verspricht aufgehetzten fanatischen Massen in Araberstaaten den Völkermord in Israel. Firmen aus der Sowjetunion, aus China, aus Frankreich und aus Deutschland lieferten die Waffen. Die deutsche Firma Messerschmitt-Bölkow-Blohm (MBB) verhalf dem Iraker dazu, die Reichweite seiner Raketen bis hin nach Israel zu erweitern. Und Thyssen Rheinstahl hat ihm in einem Liefervertrag eine Israel-Klausel zugestanden: »Wir und unsere Unternehmen boykottieren Israel wirtschaftlich und unterhalten keine Beziehungen zu Israel.«

Wenn hierzulande von Israel gesprochen wird, so hat man meist verdrängt, daß die drei Kriege, die Israel überlebt hat, dem kleinen Land von der arabischen Welt aufgezwungen worden sind. Und der Forderung nach einem Palästinenserstaat sollte als Forderung vorausgehen: die Anerkennung der Existenzberechtigung des Staates Israel von seiten der Palästinenser und aller arabischen Länder.

Was folgt aus alldem: Zur Verhütung des nächsten Krieges, nämlich eines Krieges gegen Israel, ist die Vernichtung Saddam Husseins und seiner Waffenarsenale unerläßlich. Deshalb verdienen die Amerikaner und ihre Verbündeten jede Unterstützung. Einem – hoffentlich in absehbarer Zeit – besiegten Saddam Hussein dürfen dann auch die in den Iran geflogenen Maschinen der irakischen Luftwaffe nicht mehr verfügbar sein. Er hat sie offensichtlich für den beabsichtigten Angriff auf Israel dorthin in Sicherheit gebracht. Sein Krieg gegen Israel muß mit allen Mitteln verhindert werden.

Ich sage das als Deutscher und als Nichtjude – in der Überzeugung, daß Lebenssicherung und Lebensbewahrung das höchste ethische Gebot pazifistischer Gesinnung sind. Jetzt geht es um die Lebenssicherung und Lebensbewahrung des jüdischen Volkes.

Sebastian Haffner

SEKUNDÄRLITERATUR ZU FREUD, die ich verlegt habe. Schwerpunkte zu Freud und die Psychoanalyse bilden erstens zahlreiche Titel der von meiner Frau Nina Kindler begründeten Reihe »Geist und Psyche«; zweitens mehrere Bände in dem 15bändigen Werk »Die Psychologie des zo. Jahrhunderts«. In diesem Werk sind zwei Bände ausschließlich »Freud und den Folgen« gewidmet. Aber auch in den beiden Bänden »Ergebnisse für die Medizin« und zwei weiteren Bänden »Konsequenzen für die Pädagogik« steht Freuds Lehre im Vordergrund, und auch im letzten Band »Transzendenz, Imagination und Kreativität« basieren wesentliche Kapitel auf Freud und der Psychoanalyse. Freud ist aber auch in anderen Sammelbänden des Kindler Verlages berücksichtigt. Schon in »verboten und verbrannt« findet sich als Leseprobe ein Abschnitt aus Freuds Schrift »Das Unbehagen an der Kultur«. In unserer Enzyklopädie »Die Großen der Weltgeschichte« hat Tobias Brocher in Band IX den Beitrag »Freud« veröffentlicht. Von Einzeltiteln im Kindler Verlag seien genannt: Jörg Drews »Freud anekdotisch«, Jürgen vom Scheidt »Der unbekannte Freud«, Jack J. Spector »Freud und die Ästhetik«, Adam Kardiner »Meine Analyse bei Freud«, Theodor Reik »Dreißig Jahre mit Sigmund Freud«.

SEKUNDÄRLITERATUR ZU BRECHT, die ich verlegt habe. Es begann mit Brechts »Ballade von dem Baum und den Ästen« in der Dokumentation »verboten und verbrannt«. In Band X der Enzyklopädie »Die Großen der Weltgeschichte« verfaßte Klaus Völker den Beitrag über Brecht. In »Kindler Literatur Lexikon« wurden 27 Werke von Brecht beschrieben und interpretiert; in der Neuausgabe sind es 29 Werke sowie ein eigener Beitrag über Brechts Lyrik. Kurt Fassmann schrieb eine vielgelesene Brecht-Bildbiographie. In seiner Studie »Bertolt Brecht« im Kindler Verlag untersucht Hellmuth Karasek die Theaterstücke Brechts unter dem Aspekt, ob sie der unkritischen Haltung, die Publikum und Bühne ihnen gegenüber einnehmen, Vorschub leisten oder nicht. André Müller stellte in einem Band »Geschichten vom Herrn B.« für unseren Verlag zusammen. »Brecht in der Kritik«, herausgegeben von Monika Wyss, enthält Rezensionen aller Uraufführungen. Der Kindler Verlag hat Herbert Iherings Ausspruch »Bert Brecht hat das dichterische Antlitz Deutschlands verändert« als Titel für eine Sammlung gewählt, die sämtliche Arbeiten Iherings über Brecht enthält. Es müssen aber auch »Brecht und Weill« von Gottfried Wagner sowie das Werk »Laßt euch nicht verführen« über Brecht und die Musik von Albert Dümling in unserem Verlag genannt werden.

Mein Abschied als Verleger

WERNER SCHNEYDER gewann ich 1982 für ein Kästner-Porträt. Es war das erste Buch des Satirikers und Kabarettisten im Kindler Verlag. Während die zuvor erschienene Bildbiographie, die Kästners Lebensgefährtin Liselotte Enderle verfaßt hat, von Liebe diktiert ist, kann sich Schneyder aus der Distanz eine kritische Würdigung Kästners erlauben und auch dessen langjährige Liebesbeziehung zu Friedel Siebert in Zürich offenlegen, aus der ein Sohn stammt, der 1957 geboren wurde und auf Kästners Antrag seit 1964 Thomas Kästner heißt.

In New York

KURT WEILL UND GEORGE GERSHWIN. In Dümlings Buch über Brecht und die Musik »Laßt euch nicht verführen« spielt auch Kurt Weill eine beträchtliche Rolle. George Gershwin, sein Leben und seine Musik werden nicht nur von Antonio Mingotti in der Kindler-Bildbiographie beschrieben, sondern auch kenntnisreich und kompetent in einem biographischen Essay in Band X der Enzyklopädie »Die Großen der Weltgeschichte« von Werner Burkhardt behandelt. Burkhardt geht es darin um die melodischen und harmonischen Grundlagen des Jazz.

Nina, Dir zu danken, schrieb ich dieses Buch

Die Gliederung meiner Autobiographie in die drei Hauptteile

»Das gesprochene Wort«,

»Das geschriebene Wort«,

»Das gedruckte Wort«

verdanke ich einem Brief

des Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland,

Richard von Weizsäcker.

In dem Brief, den er mir zu meinem

75. Geburtstag am 3. Dezember 1987

schrieb, heißt es: »Ihre Leidenschaft galt

stets dem Wort, zunächst dem gesprochenen,

dann dem geschriebenen, später dem

gedruckten.«

Prolog

Von der Poesie des Korbflechtens

Freilich erfahren wir erst im Alter, was uns in der Jugend begegnete.

 

Goethe

 

Es war wie das Schlußbild eines Films: eine einsame Landstraße, baumgesäumt, die auf den ersten Blick verlassen wirkte, ausgestorben, bis das Auge einen Menschen erspäht, der sich immer weiter entfernt. Es muß ein Mann sein, ein älterer Mann, der gegen Ende der Straße, da, wo die gegenüberstehenden Bäume scheinbar immer enger zusammenrücken, ins Unendliche geht – zu einem Punkt wird, der verschwindet. Wer ist dieser Mann? Sein Gesicht kann ich nicht beschreiben. Ich habe ja nicht einen Mann gesehen, sondern nur den Rücken eines Menschen, einen gebeugten Rücken, rheumagebeugt oder ischiasgebeugt, wer weiß, offenbar schmerzgebeugt.

Diesen Schmerz versuchte der Mann einzudämmen, zu lindern, erträglicher zu machen, indem er beim Gehen die rechte Hand gegen den Rücken preßte. So entschwand er meinen Augen.

Dieses verblassende Bild hatte sich meiner Netzhaut eingeprägt, als mein Vater mir, dem Zehnjährigen, seinen Großvater beschrieb, in knappen, dabei anschaulichen Worten. Also von meinem Urgroßvater ist die Rede, von meinem Urgroßvater, den ich nie gesehen habe. Als er starb, war ich noch nicht auf der Welt.

Wie gesagt, mein Vater hatte mir geschildert, wie er als Kind seinem Großvater, den er liebte, nach einem Besuch im elterlichen Haus nachgeblickt hatte, bis dieser Großvater in der Ferne verschwand. Den schmerzgeplagten Gang seines Großvaters hatte mir mein Vater, indem er von ihm sprach, mitleidend vorgemacht, andeutungsweise. Und er hatte mir seinen Großvater als charaktervolle Persönlichkeit zu schildern vermocht – mit Hilfe eines einziges Satzes, der tief in mein Knabenhirn eindrang. Mein Vater sagte zu mir: »Dein schmerzgebeugter Urgroßvater war ein aufrechter Mann.«

Es hätte meinem Vater weh getan, wenn ich bei der Vorstellung »Ein gebeugter aufrechter Mann« das Gesicht verzogen hätte. Und heute würde ich es mir übelnehmen, wenn mir diese Kennzeichnung paradox erschiene.

Ich übernehme den Satz: Mein Urgroßvater war ein gebeugter aufrechter Mann.

Was hätte er doch alles mit seiner Hand, mit der er nun so häufig den ihn quälenden Rücken zu besänftigen versuchte, zustande gebracht.

Das, was er mit seinen Händen ein Leben lang gemacht hatte, war auch seinem Sohn noch ziemlich geläufig, und der Enkel, mein Vater, versuchte, mindestens die elementaren Geheimnisse seines geliebten Handwerks zu ergründen: das Handwerk eines Korbmachers. Mein Urgroßvater hatte es sich ausgesucht. Korbflechten war eine Fähigkeit, die früher in manchen Familien auf dem Lande für eigene Bedürfnisse ausgeübt wurde. Korbwaren »haben«, lesen wir in Stifters Nachsommer, »so gut wie bedeutendere Gegenstände ihre Geschichte«. Man brauchte Wiegen für die Neugeborenen, man brauchte auch Waschkörbe, Henkelkörbe für das Einsammeln von Früchten, Futterkrippen für die Ställe, Tragkörbe für die Weinernte, Brutkörbchen für das Nisten der Hühner, vielleicht auch Bienen- oder Angler-Körbe. Natürlich verlangte Korbflechten als Beruf besondere Kunstfertigkeit.

Kürzlich habe ich in Camacha auf Madeira Korbmachern zugesehen, die im Gebirge in 700 Meter Höhe inmitten von Weidenpflanzungen arbeiteten.

Ich ließ mir sagen, daß die Weidenruten »geköpft« werden, um möglichst lange, glatte Ruten zu bekommen. Das heißt, man nimmt der Weide alle Zweige, die dann in Gestalt langer Ruten nachwachsen und eine neue Krone bilden. Wird das Köpfen Jahre hindurch wiederholt, vernarbt das obere Ende des Stammes schließlich, und der Baum wird zur »Kopfweide«.

Überwältigend war die Vielfalt der Handarbeiten, die ich sah, von kleinen, grazil geflochtenen Schachteln und Körbchen bis zu herrlichen Korbsesseln, bewundernswert der Motivreichtum der Muster, schmückend, zierend, dekorativ: geometrische Ornamente, geschwungene Leisten, Mäanderformen, Girlanden, Gitterdekore, stilisierte Blätter, Rankenwerk und Rosetten, teppichartige Wirkungen voller überraschender Einfälle. Ich sah in Camacha, daß die geschmeidigen Weidenzweige geschält oder ungeschält verarbeitet werden. Will man sie schälen, so zieht man sie im frischen Zustand durch eine elastische hölzerne oder eiserne Zange und löst die geplatzte Rinde mit den Händen ab. Nach dem Schälen werden die Ruten an der Luft und Sonne möglichst schnell getrocknet. Zu ganz feinen Arbeiten spaltet man die Ruten in drei oder vier Schienen. Dies geschieht mit dem Reißer, einem etwas kegelförmig gedrechselten Stück von hartem Holz, welches von der Mitte bis an das obere dünne Ende so ausgeschnitten ist, daß es drei oder vier keilförmige, wie Strahlen von einem Mittelpunkt auslaufende Schneiden bildet. Zur Verwandlung der dreiseitigen Spaltstücke in glatte Schienen zieht man sie wiederholt durch den Korbmacherhobel und dann durch den Schmaler, um die Seitenkanten zu beschneiden und alle Schienen gleich breit zu machen. Beim Flechten selbst fertigt man zuerst den Boden des Korbes und dann die Seitenwände. Dies geschieht auf einem einfachen Gestell, der Maschine, auf welcher der Boden befestigt wird. Eckige Körbe werden über hölzernen Formen geflochten.

Der Beruf des Korbmachers ist selten geworden. Im Tessin dürfte es nur noch drei oder vier Leute geben, die Körbe flechten. Und auch in Graubünden, wo einst Obersaxen als Hochburg der Korbflechterei galt, setzt sich das Erbe nicht auf die Jugend fort. Heute hat sich die Industrie der Produktion von Korbmöbeln angenommen, und Designer entwerfen einfallsreiche Modelle.

Mein Großvater, der die Korbmacherei im Gegensatz zu seinem Vater auch nur noch nebenher, man könnte sagen zum Vergnügen ausübte, konnte Sinn und Bedeutung dieses Handwerks lediglich in einfachen Worten ausdrücken. So sagte er zum Beispiel: »Das Korbflechten stärkt Geist und Seele.« Er empfand Genugtuung an einer Beschäftigung, die einem Menschen Phantasie, Fingerfertigkeit und Konzentration abverlangt. »Ist dieser Korb nicht nützlich und schön?« begann mein Großvater das Gespräch, wenn er aus der reichhaltigen Sammlung seines Vaters ein besonders gelungenes Stück entnahm und der komplizierten Verschlingung und Verschränkung des Flechtmaterials mit dem Zeigefinger nachspürte. Bewundernd verwies mein Großvater auf die Korbböden: kreisförmige, spiralenförmige, sternförmige, strahlenförmige. Ich habe damals nur ein begrenztes Interesse für die Kostbarkeiten aus dem reichhaltigen Sortiment aufgebracht. Aber wahrgenommen habe ich sie doch. So sehe ich in der Erinnerung einen Torten- und Kuchenständer mit drei Stockwerken vor mir, der nur bei festlichen Gelegenheiten benutzt wurde. Meine Großmutter wachte über all die Korbwaren, staubte sie täglich sorgfältig ab. Den überlieferten Schaukelstuhl, in dem mein Großvater abends die Zeitung las, überließ er mir, seinem Enkelsohn, wenn ich in den Ferien zu Besuch kam. Mein Großvater wußte natürlich mehr von seinem Vater zu erzählen als mein Vater von seinem Großvater. Demnach hatten meine Urgroßeltern ein kleines Anwesen in Langenöls und nahe dem Haus zwei Morgen Land gepachtet mit einem Roggen- und einem Zuckerrübenfeld. Das Roggenfeld lieferte meinem Urgroßvater das Stroh für einfachere Flechtwaren, aber auch für Wassereimer – Wassereimer aus Stroh, deren Böden und Seitenflächen mit Harz abgedichtet wurden. Das Zuckerrübenfeld war meinem Urgroßvater willkommen, weil es seiner Meinung nach den besten Grund für eine kleine Weidenplantage abgab, die er mit großen Mühen anlegte und Jahr für Jahr hegte und pflegte. Puschkin widmet eines seiner Gedichte der Weide: »Und voller Dank hat sie mit mir gelebt,/Um, wenn ich schlaflos lag, mit Trauerzweigen/Sich mir, Träume fächelnd, herzuneigen.« (Aus dem Russischen von Urs Heftrich.) Schließlich ist die Weide das edelste Gewächs in den Händen eines Korbmachers. »Die Weide biegt sich – aber brechen tut sie nicht«, zitierte mein Großvater meinen Urgroßvater. Die Weide wird als Königin unter den Flechtpflanzen bezeichnet. Ja, mein Urgroßvater soll nicht davon abzubringen gewesen sein, zu betonen, daß von der Weide besondere Kräfte ausgehen. Flechtarbeiten aus Weiden hätten, so meinte er, eine heilende Ausstrahlung. Was er nicht wußte: Weide heißt lateinisch salix.

Tatsächlich wird von der Weide Salicyl gewonnen, ein Mittel, das Schutz gegen Pilze und Bakterien bietet. Wenn junge Hunde an den Hundekörben knabbern, bleiben sie von der kaum heilbaren Staupe für ihr ganzes Leben verschont.

 

Den im Phantasiefilm sich entfernenden Großvater habe ich in meinem späteren Leben noch einige Male vor meinem inneren Auge gesehen. Als Verleger machten meine Frau und ich 1970 die Bekanntschaft einer Autorin, Isabella Bielicki, auf die wir durch einen Beitrag in der von Alexander Mitscherlich herausgegebenen Zeitschrift »Psyche« aufmerksam geworden waren. Er befaßte sich mit pädagogischen Fragen aus psychotherapeutischer Sicht und war von seltener Klarheit. In dem Artikel war auch davon die Rede, welche Rolle Großeltern zukommt. Ich fühlte mich angesprochen. Erstens, weil meine Frau mich mit ihren langjährigen tiefenpsychologischen Studien angesteckt hatte; zweitens als Verleger, den die Autorin des Beitrags interessierte; drittens als Großvater, der am Leben seiner Enkel teilnehmen wollte. Es kam zu einem Briefwechsel, danach zu einem Besuch bei der Verfasserin in Mainz, die gerade im Begriff war, sich dort als Kinderärztin niederzulassen. Kurz zuvor war sie mit ihrem Mann, einem Psychiater, und den Söhnen aus Warschau in die Bundesrepublik übersiedelt. Die Familie, jüdischer Herkunft, hatte, wie auch andere der wenigen Überlebenden des Holocaust, den antisemitischen Druck von seiten der Regierung wie der Bevölkerung Polens nicht mehr ertragen können und war in die Bundesrepublik gezogen. In Polen erwiesen sich Antisemitismus und katholische Kirche auch unter kommunistischer Herrschaft als therapieresistent.

Isabella Bielicki war gern bereit, ein Buch für den Kindler Verlag zu schreiben, legte meiner Frau und mir dar, was ihr als Psychologin, als Ärztin und Pädagogin am Herzen lag. Sie sprach von einem Grundbedürfnis aller Babys, das sie aus dem vorgeburtlichen menschlichen Dasein ableitete.

Sie sagte, den wehrlosen kleinen Geschöpfen fehle die Wiege, die Korbwiege. Eine solche Korbwiege hatte in der Korbsammlung meines Großvaters in Kerzdorf ihren Platz gefunden. Ja, ich sah sie plötzlich vor mir. War die Wiege nicht über Jahrhunderte bei allen Völkern in Gebrauch, wie man antiken Bildern und Darstellungen entnehmen kann? Doch eines Tages, vor etwa 200 Jahren, hatte die Wiege ausgeschaukelt. Ein Braunschweiger Hofarzt hatte 1790 behauptet: »Die Milch wird durch die ständige Bewegung im Magen verkäst.« Zahlreiche Kollegen schlossen sich damals diesem Irrglauben an. Diese Meinung hat sich allerdings gründlich geändert. Frau Bielicki erinnerte daran, daß die Frucht im Mutterleib während der ganzen Schwangerschaft in einem flüssigen Medium aufgehängt ist. »Ständig ist die Frucht im Mutterleib der wiegenden, rhythmischen Bewegung des Körpers der Mutter ausgesetzt. Sie wird gewiegt von dem rhythmischen Pulsschlag des mütterlichen Herzens, von ihrem Atem, von jeder Bewegung und Regung. Die Bewegung des Körpers der Mutter wirkt durch den Gleichgewichtssinn der Frucht – einen vollendeten Aufnahmeapparat – als ein natürlicher und unentbehrlicher Reiz für die richtige Entwicklung des Kindes; von Anfang an ist er einer der wichtigsten Wege für den Kontakt mit der äußeren Welt, mit der Mutter.

Bei den europäischen Völkern spielten die Wiegen und die Wiegenlieder, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, wahrscheinlich die Rolle des sanften Übergangs vom ›Wiegen‹ im Mutterschoß zum selbständigen Wiegen auf den eigenen Beinen.« (Nachzulesen in Isabella Bielicki, »Dein Kind braucht Liebe«, das 1971 im Kindler Verlag erschien.)

Ich hoffe, meine Enkeltochter Jessica, die sich mit 19 Jahren in Istanbul verheiratet hat, wird einmal ihrem Kind eine Korbwiege gönnen.

 

Eine andere »Wiederbegegnung« mit meinem Urgroßvater verdanke ich um dieselbe Zeit einem poetischen Werk: Die Erinnerung stellte sich bei der Lektüre eines Buches ein. Das kam so: Wolfgang von Einsiedel, einer der letzten deutschen Privatgelehrten, verantwortlich für die Umsetzung des von Graf Bompiani in dessen Verlag in Mailand herausgegebenen Werkes »Dizionario delle Opere di tutti i Tempi e di tutte de Letterature« in ein entsprechendes deutschsprachiges Werk – das als »Kindlers Literatur Lexikon« bekannt werden sollte –, Wolfgang von Einsiedel hatte im Laufe der Vorarbeiten damit begonnen, diejenigen Literaturen aufzulisten, aus denen jeweils Werke bedeutender Autoren behandelt, das heißt analysiert und interpretiert werden sollten. Zahlreiche Fachgelehrte halfen ihm dabei. Die Liste wurde immer umfangreicher. Von Bompiani blieb nur noch wenig übrig. Ich stieß beim Lesen der Listen auf mir völlig Unbekanntes, darunter die neuprovenzalische Literatur, die sogar einen Nobelpreisträger aufzuweisen hatte: Frédéric Mistral. Gabriela Mistral, die Dichterin, die 1945, einundvierzig Jahre nach Frédéric Mistral, den Nobelpreis verliehen bekam, war mir durchaus ein Begriff. Teile der Werke der chilenischen Dichterin kannte ich schon, bevor ich 1955 chilenischer Honorarkonsul in München wurde, und mir fiel auch ein, daß Gabriela Mistral, die mit bürgerlichem Namen Lucila Godov Alcayaga hieß, sich aus Bewunderung für den provenzalischen Dichter seinen Namen als Pseudonym für ihre Lyrik gewählt hatte. Aber erst 1962 oder 1963 las ich sein sicher berühmtestes Buch Mirèio, das Hans Roesch in deutscher Übersetzung Mireille nennt. Mistrals Epos wurde seinerzeit im europäischen Schrifttum in eine Reihe gestellt mit Shakespeares Romeo und Julia, mit Bernardin de Saint-Pierres Paul et Virginia und Gottfried Kellers Romeo und Julia auf dem Dorfe, denn wie diese gehört Mireille zu den Dichtungen, in denen die aufkeimende Liebe zweier junger Menschen das Thema ist, eine Liebe, die unerfüllt bleibt und einen tragischen Verlauf nimmt. Aber was mich an dem Buch fesselte, war etwas anderes: Vater und Sohn waren Korbflechter.

Im ersten der zwölf Gesänge erfährt der Leser bereits, daß vor ihrem Häuschen unmittelbar am Ufer der Rhone, von Fluten umspült, zwei Männer handwerkern, ein alter und ein junger, Vater und Sohn, der Korbmachermeister Ambrosius und der Korbmachergeselle Vinzenz.

Und die zweite Strophe des siebenten Gesangs von Mireille lautet:

Der Alte sitzt vor seinem Rhonehüttchen

– es ist kaum größer als die Schale einer Nuß –,

vorm Wind geschützt, auf einem Baumstumpf

und schält die Rinde von den Weidenzweigen;

der junge Mann, der auf der Schwelle hockt,

biegt mit den kräftigen, geschickten Händen

die weißen Ruten flink zum Korbgestell zusammen.

Frédéric Mistrals Mireille empfand ich als Hommage für meinen Urgroßvater.

Meine Gedanken überspringen den so oft besungenen Strom der Rhone, an dem der Korbflechter und sein Sohn ihrer Beschäftigung nachgehen. Meine Gedanken halten Tausende von Kilometern entfernt inne, an einem unscheinbaren Flüßchen, dem Queis (heutiger Name Kwisa), der vom Isergebirge an der kleinen Ortschaft Wingendorf vorbeiführt, nahe dem bescheidenen Gehöft, in dem mein Vater geboren wurde. Meine Großeltern wohnten dort, bevor sie Jahre später, als mein Vater und seine vier Brüder versorgt waren, in ein bequemeres Haus im nicht weit entfernten Kerzdorf zogen, wo die Erinnerungsstücke an meinen Urgroßvater das Wohnzimmer schmückten.

In Wingendorf also machen wir halt und gehen zu dem weidenumstandenen Queis, der mit der Kindheit meines Vaters eng verbunden ist. Er erzählte manchmal davon, daß er sich mit einem Bauernburschen eine Flasche Kirsch mit Rum geteilt habe und beide torkelnd ins Wasser gefallen und beinahe ertrunken seien. Kirsch mit Rum war in dieser Zeit in Schlesien sehr beliebt. Ich bin dem Getränk (2/3 Kirschlikör, 1/3 Rum) als After-Dinner-Genuß bis heute zugetan. Ein andermal watete er im Queis mit dem jungen Töchterchen eines benachbarten Bauernhofes, das ihm seinen ersten Kuß erlaubte. War die Erzählung meines Vaters nicht vergleichbar der Liebesgeschichte zwischen Vinzenz und der zauberhaften Mireille, die Mistral in seinen Versgesängen beschworen hat? Und wachsen nicht am Rhonearm Weiden wie am Uferrand des Queis? Und war das Haus von Ambrosius und Vinzenz nicht ebenso häufig von steigenden Fluten der Rhone bedroht wie das Haus der Großeltern in Wingendorf, wenn der Queis Hochwasser führte? Mein Vater hat es meinem Bruder und mir manchmal erzählt: Der sonst harmlose Queis schwoll bei Schneeschmelze im Gebirge so mächtig an, daß er zu einem reißenden Fluß wurde, über die Ufer trat, mit Geröll, Steinen und Holzblöcken gegen das Haus brandete. Das änderte sich erst nach dem Bau der Talsperren von Marklissa und Goldenberg.

Wenn mein Vater meinte, der Queis berge manche Geheimnisse, so hielten wir das für recht phantasievolle Ausschmückungen seiner Kindheitserlebnisse. Wenn wir es noch hinnahmen, daß mein Vater als Junge im Flußsand Muscheln gesucht hatte, so zweifelten wir doch an seiner Erzählung, wonach er mehrfach eine Muschel, die eine Perle enthielt, gefunden haben wollte. Und über seine kühne Behauptung, im Queis hätten er und seine Brüder Goldkörnchen aufgespürt – wobei sie sich geschworen hatten, diese Entdeckung niemandem zu verraten –, diese Geschichte nahm ich ihm nicht ab. Hingegen zweifelte ich nicht daran, daß er aus den Ruten wildgewachsener Weiden am Queis seinen ersten selbstgefertigten Korb zustande gebracht hat.

Als mir meine Eltern zur Konfirmation ein vielbändiges Konversationslexikon schenkten, ein antiquarisches Exemplar des »Meyer« aus dem Jahr 1890, sagte mein Vater: »Schlag doch mal im Band 13 unter dem Stichwort Queis nach.« Dort las ich, daß der Queis 1020 m über dem Meeresspiegel auf dem Hohen Iserkamm entspringt. Er fließt in nördlicher Richtung und mündet nach einem Lauf von 105 Kilometern zwischen Sprottau und Sagan in den Bober, den größten linken Nebenfluß der Oder. Der Queis »bildet die Grenze zwischen Schlesien und der Lausitz und enthält Perlmuscheln und Goldsand«.

Bücher, immer wieder Bücher, die Erinnerungen heraufbeschwören:

Ich kann nicht mehr sagen, wann ich Horst Langes Roman Schwarze Weide gelesen habe. Erschienen ist er während der Nazijahre im Henry Goverts Verlag. Lange lebte mit seiner Frau, der Dichterin Oda Schaefer, bis zu seinem Tod 1971 in München. Die Taschenbuchausgabe, die, nachdem die Originalausgabe vergriffen war, im Kindler Verlag erschien, konnte er 1965 hoch erfreut in Empfang nehmen.

In seinem Roman schildert Lange die dramatischen Ereignisse in einem kleinen schlesischen Dorf, durch das sich ein verschilfter Bach, die »Schwarze Weide«, schlängelt, dem das Dorf seinen Namen verdankt. Dieser Bach schwillt an und überschwemmt die kleine Ortschaft mit seinen reißenden Fluten. In meiner Vorstellung sah ich Wingendorf und den idyllischen Queis, der sich, wie wir gehört haben, bei Unwetter und Schneeschmelze in einen gefährlich überflutenden Strom verwandelte. Eine Passage gegen Ende des Buches erinnerte mich an Ferien, die ich bei meinen Großeltern in Schlesien verbracht hatte. Ich war vielleicht zwölf Jahre alt. Mein Großvater, der wußte, daß ich Klavierstunden bekam, nötigte mich während einer Rast nach einem ausgedehnten Spaziergang in einer Dorfwirtschaft, in der ein Klavier stand, ihm etwas vorzuspielen. Mein Spiel muß erträglich gewesen sein, denn nach der Rückkehr sagte er, wie sehr er sich freue, daß ich musikalisch sei (was ich keineswegs war); er habe eine Überraschung für mich. Und er entnahm der Schublade einer Kommode eine kleine Flöte. Ich solle einmal versuchen, darauf zu spielen. Das mißlang. »Ich schenke dir diese Flöte. Dann kannst du darauf üben. Ich habe sie selbst geschnitzt, sie ist aus Weidenholz gefertigt.«

In Horst Langes Roman macht der Autor – oder ist es der Held des Romans? – am Ufer des friedlichen Baches aus trockenem Schilf und toten Erlenästen ein Feuer und läßt sich alsbald auf einem Weidenstumpf nieder. »Ich wählte«, so schreibt er, »unter den biegsamen Gerten diejenige aus, welche am dicksten war und die wenigsten Augen zeigte, schnitt sie ab und zerteilte sie dort, wo sie mir brauchbar zu sein schien. Dann begann ich die Rinde rundum vorsichtig mit dem Griff meines Messers locker zu klopfen. Es war mir früher nie gelungen, eine Weidenflöte zu machen, die Töne gegeben hätte; immer zerstörte die Ungeduld, welche in meinen Fingern saß, alles, kaum daß es der Vollendung nahe gewesen war, aber jetzt wollte ich es noch einmal versuchen … Es hatte lange gedauert, bis die Rinde vom weißen Holz abkam, das sich so glatt anfühlte, als wäre es mit Seife eingerieben. Ich trocknete das hohle, feuchte Rohr, nachdem ich die Fingerlöcher und die Mundkerbe eingeschnitzt hatte, über der Glut meines Feuers, setzte den Stöpsel ein und führte die Flöte an meine Lippen. Endlich, nach mehreren vergeblichen Bemühungen, gab es ein schwaches, hauchiges Pfeifen. Ich blies stärker, die Rinde begann unter meinen Fingerspitzen zu vibrieren, der Laut wurde dunkler und voller, und zuletzt, indes ich die Löcher zudeckte und wieder öffnete, brachte ich drei, vier Töne hervor, die dem Ruf des Pirols glichen und die ich wieder und wieder mir selbst vorspielte.«

Mich überkam beim Lesen dieser Passage ein beklemmendes Gefühl. Denn das Geschenk meines Großvaters, die kleine Flöte, hatte mir so gut wie nichts bedeutet. Freude und Dank hatte ich vorgetäuscht und nicht nachempfunden, wie stolz der Großvater auf seine kleine Weidenflöte war und wieviel Liebe daraus sprach, daß er sie mir schenkte.

Nie habe ich Töne herausgebracht, die dem Ruf des Pirols glichen.

 

Ich schließe, fünfundsiebzigjährig, diesen Rückblick in die Kindheit mit Goethes Marienbader Korb, worüber Eckermanns Gespräche vom 24. September 1827 über eine Fahrt mit Goethe nach Berka Auskunft geben: »Im Wagen zu unseren Füßen lag ein aus Binsen geflochtener Korb mit zwei Handgriffen, der meine Aufmerksamkeit erregte. ›Ich habe ihn‹, sagte Goethe, ›aus Marienbad mitgebracht, wo man solche Körbe in allen Größen hat, und ich bin so an ihn gewöhnt, daß ich nicht reisen kann, ohne ihn bei mir zu führen. Sie sehen, wenn er leer ist, legt er sich zusammen und nimmt wenig Raum ein; gefüllt dehnt er sich nach allen Seiten aus und faßt mehr, als man denken sollte. Er ist weich und biegsam und dabei so zähe und stark, daß man die schwersten Sachen darin fortbringen kann.‹ Er sieht sehr malerisch und sogar antik aus, sagte ich. ›Sie haben recht‹, sagte Goethe, ›er kommt der Antike nahe, denn er ist nicht allein so vernünftig und zweckmäßig als möglich, sondern er hat auch dabei die einfachste, gefälligste Form, so daß man also sagen kann: er steht auf dem höchsten Punkt der Vollendung. Auf meinen mineralogischen Exkursionen in den böhmischen Gebirgen ist er mir besonders zustatten gekommen. Jetzt enthält er unser Frühstück. Hätte ich einen Hammer mit, so möchte es nicht an Gelegenheit fehlen, hin und wieder ein Stückchen abzuschlagen und ihn mit Steinen gefüllt zurückzubringen!‹«

Dieses Gespräch, das mir erneut die Augen öffnete für die Kunstfertigkeit des Korbflechtens, ist für mich eine Laudatio an den Vater des von mir geliebten Großvaters.

 

Vielleicht interessiert es den Leser zu erfahren, wann ich diese Rückschau geschrieben habe. Es war, wenige Tage nachdem ich im Jahr 1987 folgendes Gedicht von Heinrich Böll zu lesen bekam:

Wir kommen weit her

Liebes Kind

und müssen weit gehen

keine Angst

alle sind bei Dir

die vor Dir waren

Deine Mutter, Dein Vater

und alle, die vor ihnen waren

Weit weit zurück

alle sind bei Dir

keine Angst

wir kommen weit her

und müssen weit gehen

liebes Kind

 

Dein Großvater

8. Mai 1985

Böll hatte dieses Gedicht seiner Enkeltochter Samay am 8. Mai 1985 in ihr Poesiealbum geschrieben.

Und ich sollte hinzufügen, daß ich die »Wiederbegegnung« mit meinem Urgroßvater und seinem Handwerk, dem Korbflechten, der Literatur verdanke. Nicht zuletzt verdanke ich sie Büchern, die ich später verlegt habe. Sie dokumentieren bereits drei von mehreren Schwerpunkten des Kindler Verlags: die Psychologie (mit dem Band Dein Kind braucht Liebe von Isabella Bielicki), das enzyklopädische Programm (mit Kindlers Literatur Lexikon, in welchem Frédéric Mistrals Buch Mireille behandelt wird) und die Belletristik (mit dem Roman Schwarze Weide von Horst Lange).

Ich will damit sagen: Diese Rückschau konnte ich nur schreiben, weil ich 1945 Verleger wurde. Deshalb gehört sie an den Anfang meiner Autobiographie.

Teil I Das gesprochene Wort