Joschka Fischer
Für einen neuen Gesellschaftsvertrag
Eine politische Antwort auf die globale Revolution
Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG
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Joschka Fischer wurde 1948 in Gerabronn geboren. Von 1994 bis 2006 war er Mitglied des Bundestages, von 1998 bis 2005 Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. 2006/7 Gastprofessor an der Universität Princeton, USA. Joschka Fischer lebt in Berlin.
Weitere Titel bei Kiepenheuer und Witsch:
»Risiko Deutschland«, 1994. »Mein langer Lauf zu mir selbst«, 1999. »Die Rückkehr der Geschichte. USA, Europa und die Welt nach dem 11. September«, 2005. »Die rot-grünen Jahre. Deutsche Außenpolitik – vom Kosovo bis zum 11. September«, 2009. »I am not convinced«, 2011. »Scheitert Europa?«, 2014.
Joschka Fischers programmatisches Buch »Für einen neuen Gesellschaftsvertrag« war weit mehr als eine politische Plattform für einen Regierungswechsel im Herbst 1998. Jenseits reiner Besitzstandswahrung und entfesseltem Marktfetischismus entwarf der damalige Fraktionschef von Bündnis 90/DIE GRÜNEN eine Politik für das nächste Jahrzehnt, in der technisch-wirtschaftliche Innovation, moderne Formen der Arbeit und des Eigentums, sozialstaatliche Sicherung, Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und Demokratie keine Gegensätze bildeten. Ohne Rücksichtnahme auf Interessengruppen, Gewohnheitsrechte und auch potentielle Koalitionspartner plädierte Joschka Fischer radikal für ein grundlegendes Umdenken, für neue Konzepte in der Steuer- und Arbeitsmarktpolitik, beim Bildungssystem wie bei den Renten, in der Energie- und Sozialpolitik.
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei KiWi Bibliothek
© 2018 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
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Impressum der Reprint Vorlage
ISBN (eBook) 978-3-462-41171-3
Andreas Zielcke: Der neue Doppelgänger. Die Wandlung des Arbeitnehmers zum Unternehmer. Eine zeitgemäße Physiognomie. FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, 20. Juli 1996
Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort. MEW Bd. 13, Berlin 1964, S. 9 – (MEW = Karl Marx und Friedrich Engels: Werke. Hrsg.v.Institut für Marximus-Leninismus beim ZK der SED. 39 Bde.u.Erg.-Bde. Berlin 1957 bis 1968)
Darunter sind vor allem die beiden Parteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen und ihre Mitglieder und Anhänger zu verstehen, ebenso die Gewerkschaften, unabhängige Gruppen der verschiedenen sozialen Bewegungen, kirchliche Basisinitiativen und auch der soziale Flügel der Unionsparteien. Mit der aktuellen Sozialstaatskontroverse wird das positive oder negative Verhältnis zum Sozialstaat und zu seiner Zukunftsfähigkeit mehr und mehr zum innenpolitisch zentralen Abgrenzungskriterium zwischen links und rechts.
»Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.« Karl Marx: Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte. MEW Bd. 8. Berlin 1960, S. 115
»Vor zwei Jahrzehnten hungerten noch 36 Prozent der Bevölkerung in Entwicklungsländern, heute sind es 20 Prozent. In Asien wie in Lateinamerika ging es rapide aufwärts. Nur in Afrika südlich der Sahara nahm nicht nur die Zahl der Hungernden zu, sondern auch ihr Bevölkerungsanteil von 38 (1969) auf 43 (1992) Prozent. Von den 840 Millionen Menschen, die nach den Studien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in aller Welt hungern, leben 300 Millionen in Afrika südlich der Sahara. Von diesen sind etwa 215 Millionen chronisch unterernährt.« FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, 13. Nov. 1996, S. 5
Karl Polanyi: The Great Transformation. Frankfurt am Main 1978
»Sowohl die soziale Bedeutung von Mitgliedschaften aufgrund von Individualisierungsprozessen als auch die Reduzierung von Verteilungsspielräumen sowie der Verlust von Steuerungsfähigkeiten des Staates entziehen zunehmend die Basis für die Integrationsleistung. Insbesondere aber kann sich das Kapital dem Zwang zum politischen Tausch im Zuge der Globalisierung gewinnbringend entziehen: Viele Unternehmen verlassen die Institutionen.« Wilhelm Heitmeyer: Sind individualisierte und ethnisch-kulturell vielfältige Gesellschaften noch integrierbar? In: Was hält die Gesellschaft zusammen? Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Weg von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft, Bd. 2. Hrsg.v.Wilhelm Heitmeyer, Frankfurt am Main 1997, S. 61
Michel Albert: Kapitalismus contra Kapitalismus. Frankfurt am Main 1992, S. 25
»… eine wiedererstehende Linke (kann) aber nicht umstandslos an den Kampfbedingungen anknüpfen, wie sie in den zwanziger Jahren bestanden. Damals hatte sie es mit einem Unternehmertum zu tun, das zwar schon international operierte, aber doch national dachte und im Einklang mit eigentumsstarken Schichten im eigenen Land eine konservative, das Politische kontrollierende Machtposition schaffen, stabilisieren und ausbauen wollte. Über solche Prozesse waren Wirtschaftsprozesse zu definieren und zu beeinflussen. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Standortfreiheit und Automatisierung haben heute die Industrie in einem Maße von Arbeitern und Angestellten in einem bestimmten Land unabhängig gemacht, das vor dreißig oder siebzig Jahren undenkbar zu sein schien. Von dieser Realität muß die Linke ausgehen, wenn sie politisch wirksam werden will.«Jürgen Busche: Kampf um den Vorsprung. Katholizismus, Kommunismus, Konservativismus, Klassenkampf: Was unterscheidet heute noch linke und rechte Politik? BERLINER ZEITUNG, 17./18. Jan. 1998, S. II
George Sorros: Die kapitalistische Bedrohung. DIE ZEIT, 17. Jan. 1997, S. 25
Die deutsche Geschichte von 1848 bis 1948 beweist: Hundert Jahre lang wollten die herrschenden Klassen in Deutschland der demokratischen Revolution entkommen und landeten schließlich bei Hitler, im politischen Verbrechen und im fast gelungenen nationalen Suizid. Und schlußendlich hat sie dann doch gesiegt in Deutschland, die demokratische Revolution, nach barbarischen Umwegen und grauenhaften Opfern, und heraus kam die Bundesrepublik Deutschland. Welch ein Umweg und zu welch einem Preis!
Lester C. Thurow verwendet dieses Bild der Plattentektonik für seine Analyse der Zukunft der globalen Weltwirtschaft auf sehr zutreffende Weise. Siehe Lester C. Thurow: Die Zukunft des Kapitalismus. Düsseldorf/München 1996, S. 67ff.
Siehe dazu Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. München 1995, S. 21ff.
Alain Minc sieht in der postkommunistischen Ära gar einen totalen Ordnungsverlust in der europäischen Politik und daraus ein »neues Mittelalter« entstehen. Wenn man diese These ihrer reißerischen Dramatisierung entkleidet, ist sie durchaus bedenkenswert: »Zweifellos geht nicht alles vom Ende des Kommunismus aus, aber alles kommt in ihm zusammen. An der Elle des Untergangs der großen Mächte gemessen, gab es vermutlich seit Ende des Römischen Reichs keine solche Erschütterung mehr. Das Ende des Osmanischen Reichs, das Zerbröckeln der Donaumonarchie, die Niederschlagung der Versuche, ein Deutsches Reich zu bilden, scheinen im Vergleich regionale Vorkommnisse zu sein. Weil sie Weltmacht werden wollte, war es der Sowjetmacht gelungen, die ganze Welt zu bestimmen … Aus einem solchen Erdbeben wie dem Sturz des Kommunismus geht niemand unbeschadet hervor. Die Zeit nach dem Sturz des Kommunismus steht weder im Zeichen eines unbestreitbaren Sieges der Marktwirtschaft noch einer Wiedergeburt des Nationalismus in Europa oder einer amerikanischen Hegemonie. Eine vorherrschende oder ausschließliche Folgeerscheinung gibt es nicht. Alle stimmen und sind doch falsch. Die Unmöglichkeit, ein Prinzip zu entdecken, auf das sich die postkommunistische Welt gründet, führt uns auf ihre Weise in ein neues Mittelalter.« Alain Minc: Das neue Mittelalter, Hamburg 1994, S. 8
W.I. Lenin: Staat und Revolution. Werke, Bd. 25, S. 407ff., S. 47off., Berlin 1960
»Die gegenwärtige Armut hat mit dem Massenelend früherer Zeiten kaum etwas gemeinsam und bewegt sich in der Regel deutlich oberhalb eines physischen Existenzminimums. Es handelt sich um Armut im Wohlstand. Das Wohlstandsniveau der alten Bundesrepublik ist nicht nur historisch einmalig, sondern auch im Vergleich zu anderen Gesellschaften beachtlich (Platz 11 der Weltrangliste). … Die Wohlstandssteigerung hat aber offensichtlich nicht verhindern können, daß wir einen Anstieg der Armut feststellen müssen. So hat sich die Zahl der Empfänger von Sozialhilfe zwischen 1970 und 1991 mehr als verdoppelt … Nach der quasi-offiziellen Armutsgrenze des Bundessozialhilfegesetzes wurden 1991 insgesamt 4,2 Mio. Personen (3,7 Mio. im früheren Bundesgebiet und 489000 in den neuen Ländern und Berlin-Ost) dauernd oder zeitweise durch die Sozialhilfe unterstützt … 1992 waren es insgesamt 4,7 Mio. Personen (4,03 Mio. im früheren Gebiet und 685047 in den neuen Ländern …). Die Zahlen der Sozialhilfestatistik beziehen sich dabei immer nur auf die bekämpfte Armut. Die bekämpfte Armut impliziert immer auch eine Dunkelziffer an Personen, die zwar sozialhilfeberechtigt sind, diesen Anspruch aber nicht verwirklichen … Man spricht auch von verdeckter Armut. Auf zwei Sozialhilfeempfänger dürften nach informierten Schätzungen nochmals ein bis zwei Verdeckt-Arme fallen.« Hans Hartwig Bohle: Armut trotz Wohlstand. In: Was treibt die Gesellschaft auseinander? Bundesrepublik Deutschland: Auf dem Weg von der Konsens- zur Konfliktgesellschaft, Bd. 1. Hrsg.v.Wilhelm Heitmeyer. Frankfurt am Main 1997, S. 125
Paul Kennedy: In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1993, S. 79
»Globalisierung bezeichnet den Prozeß, bei dem die Produktion weltweit organisiert und über eine wachsende gegenseitige Verflechtung der Länder verbunden wird. Sie drückt sich damit in einem steigenden Exportanteil der Weltproduktion aus. Die Exporte erhöhten sich daher in den letzten Jahren um mehr als 100 Prozent, während die Weltproduktion nur um 60 Prozent zunahm. Noch rascher wuchsen die nationalen Kapitalmärkte zusammen. Die internationalen Kapitalströme schwollen seit den siebziger Jahren rapide an. Die überproportionale Zunahme der Portfolioinvestitionen, die weltweit zu nahezu gleichen Bedingungen erfolgen können, führte dazu, daß die Realzinsen der meisten Industrieländer heute deutlich näher beieinanderliegen als in früheren Zeiten. Es wäre jedoch falsch, sowohl die enge Handelsverflechtung als auch die hohen internationalen Kapitalströme als völlig neues Phänomen zu betrachten. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg war ebenfalls von einer Globalisierung gekennzeichnet, die dann jedoch unterbrochen wurde. Der Anteil der Exporte an der Weltproduktion erreichte erst 1970 wieder den Wert von 1913. Die Nettokapitalströme, die u.a. der Finanzierung der Eisenbahnen und anderer Infrastrukturinvestitionen dienten, lagen Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts bei drei bis vier Prozent des Bruttosozialproduktes wichtiger Industrieländer. Heute sind es etwa zwei Prozent.« Hermann Clement/Volkhart Vincentz: Globalisierung und Osteuropa. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung DAS PARLAMENT, B 44–45/97, 24. Okt. 1997, S. 28
»Die derzeitige Periode der Globalisierung ist nicht bloß eine Fortsetzung der Ausbreitung des Kapitalismus und des Abendlands. Wollte man ihren spezifischen Ausgangspunkt bestimmen, wäre es die erste Nachrichtenübertragung per Satellit. Seit dieser Zeit ist verzögerungsfreie elektronische Kommunikation über den ganzen Erdball nicht nur möglich, sondern beginnt beinahe unmittelbar in das Leben vieler Millionen einzugreifen. … Die Globalisierung ist weder das gleiche wie die Entwicklung eines ›Weltsystems‹, noch geschieht sie bloß ›dort draußen‹, wo sie mit ganz erdumspannenden Einflüssen zusammenhängt. Zugleich ist sie ein Phänomen, das sich auch ›hier drinnen‹ abspielt und das unmittelbar verknüpft ist mit den Umständen des lokalen Lebens. Unter der Globalisierung sollten wir uns keinen einheitlichen Prozeß vorstellen, der in eine einzige Richtung tendiert, sondern eine komplexe Menge von Veränderungen mit gemischten und recht häufig auch widersprüchlichen Ergebnissen. Die Globalisierung beinhaltet zwar die Vorstellung einer Weltgemeinschaft, doch von sich aus bringt sie sie nicht hervor.« Anthony Giddens: Jenseits von Links und Rechts. Frankfurt am Main 1997, S. 119
»Um die Mitte unseres Jahrhunderts war die Weltbevölkerung auf 2,5 Milliarden gestiegen. Die Industrialisierung war noch stärker angewachsen, fast um das Dreifache, und sie reichte jetzt in sehr viel weitere Gebiete hinein: Osteuropa, die Sowjetunion, Australien Japan, Indien und andere Teile Asiens. … Jetzt, in den 90er Jahren, haben sich die Trends verstärkt. Die Weltbevölkerung hat sich seit den 1950ern mehr als verdoppelt, aber die wirtschaftliche Tätigkeit in der Welt hat sich sogar mehr als vervierfacht. Die Bevölkerungswelle in den Entwicklungsländern hat auf Dschungel, Feuchtgebiete und Weideland übergegriffen, da mehr und mehr Menschen die sie umgebenden natürlichen Ressourcen ausbeuten. Dieser Druck wird durch weitere Industrialisierung Asiens und anderswo noch verstärkt: Neue Fabriken, Montagehallen, Straßensysteme, Flughäfen, Wohnungskomplexe reduzieren nicht nur die Fläche an Naturlandschaft, sondern tragen auch zur Nachfrage nach mehr Energie (insbesondere Elektrizität), mehr Personen- und Lastwagen, besserer Infrastruktur, mehr Lebensmittel, Zement, Stahl und Erzen bei. Die ökologischen Folgen sind nicht zu übersehen: verschmutzte Flüsse und tote Seen, smogbedeckte Städte, industrieller Abfall, Bodenerosion und zerstörte Wälder auf der ganzen Erde. Allein seit der Mitte des Jahrhunderts hat die Welt fast ein Fünftel ihres Mutterbodens verloren, ein Fünftel ihres tropischen Regenwaldes und nach einigen Einschätzungen Zehntausende ihrer Pflanzen- und Tierarten.« Paul Kennedy, a.a.O., S. 131/132
»Wenn die globale Erwärmung so ernst ist, wie einige der Einschätzungen andeuten, werden unsere Kinder und, wahrscheinlicher noch, unsere Enkel vor schweren Umweltproblem stehen. Und das ist ironischerweise das Haupthindernis der Reform. Die Umweltschützer fordern die Gesellschaft von heute in reichen und armen Ländern auf, drastische Veränderungen vorzunehmen – in ihrer ökonomischen Erwartung, in ihrer Lebensweise, in ihrem gesellschaftlichen Verhalten –, um Schäden abzuwehren, die zukünftige Generationen treffen werden. Sie fordern sie auf, ihre Grundannahmen und ihren Lebensstil jetzt für ihre Nachkommen in dreißig oder fünfzig Jahren zu ändern. … Nach einer kürzlichen Schätzung der UN-Umweltschutzbehörden würden die Entwicklungsländer 125 Milliarden Dollar pro Jahr brauchen, um neue Umweltschutzprogramme bezahlen zu können – das sind 70 Milliarden Dollar mehr als alle finanzielle Hilfe, die sie jetzt bekommen. Die Forderung wurde schnell auf 5 bis 10 Milliarden Dollar im Jahr reduziert, um sie überhaupt in den Bereich des politisch Möglichen zu rücken. Wahrscheinlich wird es daher nur eine Anzahl von internationalen Vereinbarungen auf Teilgebieten geben … Ob das die Vernichtung der Regenwälder oder die Erschöpfung der Wasserreserven aufhalten wird, ob es etwas am verschwenderischen Verbrauch des Mineralöls und allen unseren anderen gefährlichen Gewohnheiten ändern wird, erscheint mehr als fraglich – schlechte Aussichten für die zukünftigen Bewohner der dünnen Lebenshülle unserer Erde.« Ibid., S. 160/161
Karl Marx: Das Kapital, Bd. I. MEW Bd. 23. Berlin: 1968, S. 532
»Im Zuge der Globalisierung organisieren sich die meisten relevanten ökonomischen Strukturen in überstaatlichen Räumen, das heißt, sie werden ent-territorialisiert und ent-nationalisiert. Der Zugriff durch den Nationalstaat stößt daher zunehmend ins Leere, er bekommt die neuen Strukturen nicht mehr zu fassen, da sie nicht mehr im wesentlichen an ein Territorium fixiert sind, welches unter seiner gesetzlichen, administrativen und fiskalischen Kontrolle steht. Die ökonomischen Strukturen bilden ein globales Netzwerk, das sich der Steuerung seitens einer Partikulargewalt entzieht. Der Kern dieses Globalisierungsprozesses liegt in der Internationalisierung wesentlicher ökonomischer Parameter, die immer weniger an ein materielles Substrat gebunden sind, sondern sich in ein Spiel von Daten und Informationen auflösen. Dies gilt zunächst für die Geld- und Finanzströme im engeren Sinne, bei denen es sich um einen internationalen Fluß von elektronischen Signalen handelt, die ungehindert (und unhinderbar) den Weg suchen, der ihren eigenen Imperativen am besten angemessen ist. Die neuen spekulativen Muster, die sich hierbei bilden, sind keiner nationalstaatlichen Kontrolle mehr zugänglich, sondern sie organisieren sich selbst, unabhängig von der Anbindung an einen politischen Raum.« Rolf Peter Sieferle: Weltmarkt und Nationalstaat. In: Markt und Macht in der Geschichte. Hrsg.v.Helga Breuninger und Rolf Peter Sieferle. Stuttgart 1995, S. 358
Jeremy Rifkin: Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft. Frankfurt am Main 1995, S. 178
»Die Argumentation der Verfechter des Laissez-faire beruft sich stillschweigend ebenso auf die Perfektion wie der Kommunismus. Sie behaupten, weil Umverteilung zu Mängeln und Verzerrungen führe, könnten die Probleme durch die Ausschaltung der Umverteilung gelöst werden – so wie der Kommunismus behauptete, die in der Konkurrenz implizierte Verdoppelung sei verschwenderisch, daraus ergebe sich die Überlegenheit einer zentral geplanten Wirtschaft. Aber Perfektion ist unerreichbar. Wohlstand akkumuliert sich in den Händen seiner Eigentümer, und wenn für die Umverteilung keinerlei Mechanismen vorgesehen sind, kann es zu unerträglichen Ungerechtigkeiten kommen.« George Sorros, a.a.O., S. 27
Rolf Peter Sieferle, a.a.O., S. 357/358
»Der Anschluß ans internationale Finanzsystem kommt für die betroffenen Länder einem »faustischen Pakt‹ gleich, kommentierte das US-Nachrichtenmagazin Newsweek. Zunächst verschafft es den Regierungen Zugang zu den global verfügbaren Kapitalreserven. Die Staaten können sich für ihre Investitionen weit höher verschulden, als wenn sie nur auf das Geld der heimischen Sparer und Reichen angewiesen wären. … Über ein Drittel der deutschen Staatsschuld liegt heute in ausländischer Hand. Doch der Eintritt in die Sphäre der Weltfinanzen muß teuer bezahlt werden: mit der Unterwerfung unter das Gesetz der Zinshierarchie und der Auslieferung an Mächte, von denen die meisten Wähler kaum eine Vorstellung haben.« Hans Peter Martin/Harald Schumann: Die Globalisierungsfalle. Reinbek bei Hamburg 1996, S. 96
»Knowledge, more than ever before, is power. The one country that can best lead the information revolution will be more powerful than any other. For the foreseeable future, that country is the United States. America has apparent strength in military power and economic production. Yet its more subtle comparative advantage is its ability to collect, process, act upon, and disseminate information, an edge that will almost certainly grow over the next decade.« Joseph S. Nye, Jr./William A. Owens: America’s Information Edge. FOREIGN AFFAIRS, Vol. 75, Nr. 2, März/April 1996, S. 20
Christian Nürnberger beschreibt diese ungewöhnliche Geschichte: »IBM – elitär, geheimnistuerisch, vor Selbstbewußtsein strotzend – wurde geführt wie eine Armee, und diese Struktur spiegelte sich im Produkt, dem Mainframe, an dem viele hundert dumme ›Terminals‹ hingen. … Aber dann kam die 68er Bewegung, der große Widerstand gegen das Establishment. In Amerika, besonders in Kalifornien, marschierten unter den Protestierenden auch Computerfreaks, Hacker … so schrieben sie in einer der ersten Hackerzeitschriften, der People’s Computer Company: ›Computer werden meistens gegen Menschen eingesetzt, anstatt für Menschen, um Menschen zu kontrollieren, anstatt sie zu befreien. Es ist Zeit, all das zu ändern‹ Überall in Kalifornien keimten Zellen einer elektronischen Volksbewegung. Die ersten Garagenbastler versuchten sich an einem Computer für jedermann, kauften sich Bauteile, programmierten Software, tauschten ihr Wissen aus, ihre selbstgeschriebenen Programme, ihre selbst gebastelten Maschinchen. Niemand dachte damals daran, für Software Geld zu verlangen, außer einem: Bill Gates. … Es herrschte eine kuriose Atmosphäre aus trockener Informationstechnologie, politischer Rebellion, Science-fiction, Hippie-Kultur, Esoterik, Rockmusik und Drogen. Was in Deutschland nie zusammenging – hier die Technophilen, dort die Natur-Romantiker, dazwischen die Verkünder der Emanzipation –, in Kalifornien fanden sie zusammen und bauten den Personal Computer, die Befreiungstechnologie.« Christian Nürnberger: Der Apple der Erkenntnis. SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 9. August 1997, S. 13
»Der tatsächliche physische Kontakt mit Geldnoten scheint – außer für den Schwarzmarkt und Drogenhändler – schnell redundant zu werden. Papierfluten sind durch elektronische Transaktionen rund um die Uhr ersetzt worden. Sie werden von einem Kapitalmarkt übernommen, wenn ein anderer für die Nacht schließt. … Der tägliche Geldumschlag beträgt bis zu 900 Milliarden Dollar und geht bei weitem über die Summen hinaus, die auf internationaler Ebene für den Einkauf von Gütern und Dienstleistungen aufgewandt werden. In den späten 1980-ern hatten in der Tat 90 Prozent dieses Handels an den Börsen der Welt nichts mehr mit dem realen Warenfluß zu tun.« Paul Kennedy, a.a.O., S. 73. – Neuere Zahlen zeigen ein erhebliches Anwachsen dieses globalen Finanzmarktes: »Das Volumen des weltweiten Devisenhandels übersteigt inzwischen mit täglich 1,2 Billionen Dollar den Finanzierungsbedarf des Güterhandels um das Zehnfache. Derivatgeschäfte hatten Ende 1985 ein Volumen von nominal nur erst 16 Milliarden Dollar erreicht und sind bis Ende 1995 auf die unvorstellbare Summe von 58 Billionen Dollar hochgeschnellt. Die Währungsreserven aller Notenbanken dieser Welt, die für Stabilisierungszwecke eingesetzt werden könnten, haben hingegen Ende 1995 zusammen nur 1,4 Billionen Dollar betragen.« Karlheinz Kleps: Droht Europa den Anschluß zu verlieren? Überlegungen vor dem Hintergrund der Globalisierung. NEUE ZÜRCHER ZEITUNG, 27./28. Sept. 1997, S. 39
Im jüngsten Weltbevölkerungsbericht der Vereinten Nationen, der insgesamt ein mehr optimistisches Bild der zukünftigen Entwicklung der Weltbevölkerung entwirft, heißt es: »In einem großen Teil der Welt sinken die Fertilitätsraten, aber immer noch wächst die globale Bevölkerung um 81 Millionen im Jahr. … Mitte 1997 beträgt die Weltbevölkerung 5,85 Milliarden Menschen. Im Zeitraum 1990 bis 1995 verlangsamte sich das Wachstum auf 81 Millionen pro Jahr, verglichen mit jährlich 87 Millionen im Zeitraum 1985 bis 1990, in dem die Wachstumskurve ihren Höhepunkt erreichte. Das durchschnittliche jährliche Wachstum lag in den weniger entwickelten Regionen, in denen 80 Prozent der Weltbevölkerung leben, bei 1,8 Prozent, anderswo bei 0,4 Prozent. … Die langfristigen Vorausschätzungen des Bevölkerungswachstums fallen niedriger aus: Es wird erwartet, daß die Welt im Jahr 2050 zwischen 7,7 und 11,1 Milliarden Menschen zählen wird; als wahrscheinlichste Prognose gilt die Zahl von 9,4 Milliarden, also fast eine halbe Milliarde weniger, als 1994 angenommen wurde.« Weltbevölkerungsbericht 1997 der UNFPA (Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen). Hrsg. v. der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V., Bonn 1997, S. 3
»Bei zunehmender Liberalisierung des Kapitalverkehrs geht von den internationalen Finanzmärkten ein immer stärkerer Druck auf Anpassung bzw. Beseitigung nationaler Regulierungen aus. … Im internationalen Bereich verwischen sich die Grenzen zwischen den einzelnen Teilmärkten mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit, gleichzeitig lassen sich auch die nationalen Finanzmärkte immer weniger gegen internationale Einflüsse abschirmen.« Otmar Issing: Einführung in die Geldpolitik. München 1996, S. 63
Siehe dazu Martin/Schumann, a.a.O., S. 74ff.
»Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit steht uns eine globale Wirtschaft zur Verfügung, in der alles überall jederzeit produziert und verkauft werden kann. Für kapitalistische Volkswirtschaften bedeutet das, daß alle Produkte und Dienstleistungen jeweils dort hergestellt werden können, wo die dafür entstehenden Kosten am niedrigsten sind. … Durch die rasante technische Entwicklung sind die Kosten für Transport und Kommunikation rapide gesunken. Gleichzeitig stieg die Geschwindigkeit, mit der beide Vorgänge abgewickelt werden können, entsprechend an.« Lester C. Thurow, a.a.O., S. 169
Ibid., S. 47
»Große Anbieter von Telekommunikationsleistungen haben ihre Kundenbetreuung nach Mittelamerika verlagert, und einige große deutsche Firmen lassen ihre Reisekostenabrechnung bereits in Indien machen. Indien ist heute ein Staat, der mehr englischsprachige Universitätsabgänger ausbildet als die USA; das Land besitzt 140 Universitäten. Die Kosten für qualifiziertes Personal betragen in Indien etwa ein Zehntel der Kosten in Deutschland. Indien spielt in der Softwareentwicklung mittlerweile eine wichtige Rolle mit über 220000 qualifizierten Mitarbeitern und über 60000 indischen Beschäftigten in dieser Branche in Kalifornien. Basis hierfür ist der hohe Ausbildungsstand, das leistungsfähige Netzwerk von Fachleuten, aber auch die schon lange bestehende Kompetenz indischer Fachleute im Bereich der Mathematik und Statistik. Der indische Softwareexport liegt 1996 bereits bei über einer Milliarde DM, und das Land ist über die reine Softwareherstellung hinaus auch im telematikbasierten Dienstleistungssektor stark.« Franz Josef Rademacher: Zukunft der Arbeit. MERKUR Nr. 582/583, 51. Jg., Sept./Okt. 1997, S. 830. – Eine Zusammenfassung des gesamten Problemkomplexes siehe bei Jörg Becker/Daniel Salamanca: Globalisierung, elektronische Netze und der Export von Arbeit. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung DAS PARLAMENT, B 42/97, 10. Okt. 1997, S. 31ff. – Siehe dazu auch Martin/Schumann, a.a.O., S. 141ff.: »Drei Inder für einen Schweizer« haben die Autoren dieses Kapitel in ihrem Buch überschrieben.
Thomas Hobbes: Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates. Frankfurt am Main/Berlin/Wien, 1976, S. 131
»In Wirklichkeit bewies die erste Nachkriegszeit in Deutschland ebenso wie in Italien, daß der Bolschewismus nicht die geringste Siegeschance hatte. Sie zeigte aber auch eindeutig, daß die Arbeiterklasse, ihre Gewerkschaften und ihre politischen Parteien sich im Krisenfall über die Regeln des Marktes hinwegsetzen könnten, der die Vertragsfreiheit und die Heiligkeit des Privateigentums als absolute Werte konstituierte, eine Möglichkeit, die für die Gesellschaft nur die schlimmsten Folgen haben konnte, denn sie würde Investoren entmutigen, die Kapitalakkumulation verhindern, die Löhne auf einem unprofitablen Niveau halten, die Währung gefährden, die Kreditwürdigkeit im Ausland untergraben, das Vertrauen schwächen und die Unternehmen lähmen. Nicht die eingebildete Gefahr einer kommunistischen Revolution, sondern die unleugbare Tatsache, daß die Arbeiterklasse in der Lage war, möglicherweise ruinöse Eingriffe zu erzwingen, war die Quelle der latenten Angst, die im kritischen Augenblick zur Panikreaktion des Faschismus führte.« Karl Polanyi, a.a.O., S. 259
»Der klassische Gesellschaftsvertrag zur Begründung des bürgerlichen Staates hatte die ökonomischen Beziehungen und die in ihnen enthaltenen Ungleichheiten außer acht lassen müssen – anders hätte man ihn nicht ›schließen‹ können. Darin bestand auch der Zwiespalt der ›droits de l’homme et du citoyen‹. Der Wohlfahrtsstaat nimmt diese Beziehungen gewissermaßen in den Vertrag auf, indem er die ökonomische Ungleichheit als Antriebskraft für die Vergesellschaftung einsetzt. Dabei baut er auf das Versprechen eines prinzipiell unendlichen Wachstums und nimmt dabei den kapitalistischen Geist, der das Versprechen ursprünglich gegeben hatte, beim Wort. Citoyen und Homo oeconomicus, die seit der industriellen Revolution unversöhnlich nebeneinandergestanden hatten, sollen im Wohlfahrtsstaat miteinander verbunden, versöhnt werden. … Dies schien sich während der Glanzzeiten der Wohlfahrtsstaaten zu erfüllen. Der Wohlfahrtsstaat konnte, vor allem in Skandinavien, Deutschland, Österreich und den Niederlanden, den entscheidenden Teil der Arbeitnehmerschaft in die Logik keynesianischen Wirtschaftsverhaltens einbinden, nicht zuletzt mit Hilfe der Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Parteien.« Claus Koch: Die Gier des Marktes. Die Ohnmacht des Staates im Kampf der Weltwirtschaft. München/Wien 1995, S. 55/56
Unter der Kapitelüberschrift »Shareholder Value: Das Ende der Deutschland AG« schreiben Martin/Schumann: »Der Druck auf die Unternehmen und ihre Topmanager geht vom transnationalen Finanzmarkt aus, dem Kraftzentrum der Globalisierung. Der grenzenlose Aktienhandel löst die nationalen Bindungen gründlicher noch als die Vernetzung der Produktion. Daimler-Benz-Aktien befinden sich schon zu einem Drittel in ausländischer Hand. Die Anteile des Hauptaktionärs Deutsche Bank werden zu 43 Prozent von ausländischen Anlegern gehalten. Bayer, Hoechst, Mannesmann und viele andere sind mehrheitlich in ausländischem Besitz. … Wirklich eingekauft in Deutschland haben sich hauptsächlich Investment-, Versicherungs- und Pensionsfonds aus den USA und Großbritannien. Deren Management bemüht sich nun, aus dem Auslandsengagement mindestens soviel Ertrag herauszuholen wie aus den jeweiligen heimischen Portfolios und stellt bei den betroffenen Unternehmen unnachgiebig Forderungen.« A.a.O., S. 181
Karl Marx/Friedrich Engels: Das Manifest der Kommunistischen Partei. MEW Bd. 4. Berlin 1964, S. 464–467
Siehe dazu David Kaiser: Kriege in Europa. Machtpolitik von Phillip II. bis Hitler. Hamburg 1992
Hagen Schulze: Staat und Nation in der europäischen Geschichte. München 1994, S. 64
»In der Geschichte der politischen Organisationsformen in Europa bedeutet der höfische Absolutismus eine Phase des Übergangs: Der mittelalterliche Personenverbandsstaat ist bereits durch den frühmodernen Staat abgelöst, der ja im Unterschied zu jenem durch institutionelle und sachliche, vor allem aber gebietsmäßige Zusammenhänge bestimmt ist. Auf dieser frühen Entwicklungsstufe ist der neuzeitliche Staat aber noch einmal ganz und gar auf die Person als tragendes Bauprinzip ausgerichtet – weniger an der Basis, wo die alten personellen Verbindlichkeiten zunehmend von neuzeitlich-sachlichen abgelöst werden, von dem Untertanenverband des Flächenstaates vor allem, wohl aber an seiner Spitze. Der Fürst des höfischen Absolutismus bedeutet die höchste Steigerung des für Alteuropa so wichtigen personellen Prinzips. Damit war aber zugleich der dialektische Umschlag erreicht, so daß in den darauffolgenden Zeitabschnitten das Personelle Schritt für Schritt in den Hintergrund trat und der neuzeitlich moderne Staat mehr und mehr von rein sachlichen Kriterien bestimmt wurde. Die erste Phase dieser dialektischen Gegenbewegung war der aufgeklärte, bürokratische Absolutismus, in der der Fürst zwar noch eine zentrale Rolle spielt, aber bereits als Diener einer sachlich-funktional aufgebauten Staatsmaschinerie.« Heinz Schilling: Höfe und Allianzen. Deutschland 1648–1763. Berlin 1989, S. 16
»Das merkantilistische Wirtschaftssystem – nach dem Finanzminister Ludwig XIV. Colbertismus genannt – war im 18. Jahrhundert zur Praxis der Monarchien geworden. Der Staat begünstigte eine Industrie, die vor allem dem Luxuskonsum der Höfe, des hohen Adels und Klerus wie des reichen Bürgertums diente – z.B. mit den Gobelins und königlicher Spiegelmanufaktur – oder der Armee und Marine mit Kanonengießereien, Arsenalen und Werften. Durch Förderung des Exports und hohe Zölle für den Import wollte man das Geld anderer Länder ins eigene Land locken.« Ulrich Im Hof: Das Europa der Aufklärung. München 1993, S. 169
Sehr anschaulich zusammengefaßt wurde diese Geschichte des europäischen Staatsverständnisses in dem Buch von Hagen Schulze: Staat und Nation in der europäischen Geschichte, a.a.O.
Heinz Schilling: Aufbruch und Krise. Deutschland 1517–1648. Berlin 1988, S. 435
»In Western societies still shaped by the industrial revolution, in which the majority of the employed population remained manual workers even into the 1960s, uniform and universal national services in health, education and welfare remained popular. Populations that had only recently escaped the crisis of unregulated capitalism continued to welcome collective state social protection, even as they began to enjoy the new mass affluence created by full employment and the long boom after 1945. This perception of the state has changed out of all recognition and with surprising rapidity. The revolutions of 1989 in Eastern Europe and their aftermath have led to a widespread perception of the modern world as one in which nation states are losing their capacities for governance and national level processes are ceding their primacy to global ones. What 1989 ended was a specific structure of conflict between allied groups of nation states, the Cold War. The driving force of this conflict was mutal fear between two armed camps; it was then exploited on both sides for ideological purposes but it was not primarily a clash of ideologies. The Cold War reinforced the need for the nation state, for its military capacities and for the national-level forms of economic and social regulation necessary to sustain them. The states system was frozen into a pattern of rigid passive confrontation at the centre, with conflict by proxy at the margins. The state remained necessary, even though its powers remained in reserve in a suspended conflict.« Paul Hirst, Graham Thompson: Globalization in Question. Cambridge 1996, S. 175
Wie selbstverständlich beginnt Hagen Schulze sein Buch »Staat und Nation in der europäischen Geschichte« mit dem Satz: »Das römische Reich war vergangen.«
»Man mag es als eine der großen Ironien der Geschichte ansehen, daß diese Erneuerung der Einheit des Imperiums am Anfang der bunten Staatenvielfalt Europas stand. Denn das Römische Reich, das Karl der Große erneuern wollte, konnte nicht dauern. … Das Imperium hätte auch ohne die Erbstreitigkeiten zwischen den Nachkommen Karls zerfallen müssen; die Eilfertigkeit, mit der Karl der Große die römische Krone über die Stammesordnungen stülpte, schloß ein wirkliches Großreich in Europa aus. Gerade weil der Versuch unternommen wurde, gegen die ökonomischen, verkehrstechnischen, rechtlichen Mittel und Möglichkeiten des frühen Mittelalters in imperialen Formen zu leben, erhielten die partikularen Kräfte ihre eigenen, dauerhaften Formen.« Hagen Schulze, a.a.O., S. 20/21
»Herrschaft im Mittelalter war, in Deutschland und lange auch in Frankreich und England, nicht-staatliche Herrschaft, Herrschaft adliger Familien, deren Macht im wesentlichen auf Landbesitz und Gefolgschaft beruhte. Das schloß ein, daß der Schutz von Leben und Besitz sowie die Ahndung von Rechtsbrüchen nicht in den Aufgabenbereich einer wie auch immer beschaffenen öffentlichen Gewalt fielen.« Herfried Mückler: Im Namen des Staates. Die Begründung der Staatsraison in der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 1987, S. 172
»Under these conditions, government per se will essentially become privatized, losing much of its public character. The world will be a neofeudal one, in which overlapping and democratically unaccountable private regimes, regional arrangements, transnational market structures, »global cities«, nongovernmental organizations (NGO), quasi-autonomous NGOs and international quasi-autonomous NGOs, with rump governments – the extreme form of the residual state – attempting to ride free on global/local trends of short-term competitive interests. Collective action will take many forms, and the state will be perceived as relatively powerless with regard to the pursuit of a wide range of collective goals.« Philip G. Cerny: Globalization and the Changing Logic of Collective Action. INTERNATIONAL ORGANIZATION, Vol. 49, Nr. 4, Autumn 1995, S. 624/625
»Das Ende des Kalten Krieges hat die Notwendigkeit beseitigt, die handelspolitischen Interessen der USA zu kompromittieren, um die Allianzpartner in der Abwehrfront gegen die Sowjetunion zu stärken. Die Klammer der Sicherheitspolitik fällt heute weg. Sie ist weder ein Hebel noch ein Faktor, der zur Rücksichtnahme gegenüber den Verbündeten zwingt.« Andreas Falke: Auf dem Weg zu einer neuen Handelspolitik? Die USA und das Welthandelssystem nach dem Ende des Kalten Krieges. In: Amerikanische Weltpolitik nach dem Ost-West-Konflikt. Hrsg.v.Matthias Dembinski, Peter Rudolf und Jürgen Wilzewski. Baden-Baden 1994, S. 267
»Die Weltwirtschaftskrise und die im Zusammenhang mit ihr unternommenen Versuche einer Beeinflussung der Konjunktur mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen ließen eine Krise des Laissez-faire-Staates deutlich werden. Gerade in den USA war das Prinzip der Autonomie der wirtschaftlichen Entwicklung besonders rein ausgeprägt gewesen … Erst Roosevelts New Deal brach mit dieser traditionsgeheiligten Denkweise. Die von Franklin D. Roosevelt seit März 1933 unter dem von ihm gewählten Motto des ›New Deal· (Neuausgabe von Spielkarten) eingeleiteten Maßnahmen zur Überwindung der Depression lassen sich grob in drei Bereiche einteilen: – Maßnahmen, die bestimmt waren, die akute Krise des Frühjahrs 1933 unter Kontrolle zu bringen; – Maßnahmen, die auf eine mittel- oder langfristige Belebung der Konjunktur abzielen; – Reformen mit sozialpolitischem Hintergrund.« Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode: Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Berlin/New York 1973, S. 242
»In jedem Staat gibt es drei Arten von Gewalt: die gesetzgebende Gewalt, die vollziehende Gewalt in Ansehung der Angelegenheiten, die vom Völkerrecht abhängen, und die vollziehende Gewalt hinsichtlich der Angelegenheiten, die vom bürgerlichen Recht abhängen. Vermöge der ersten gibt der Fürst oder Magistrat Gesetze … Vermöge der zweiten schließt er Frieden oder führt Krieg … Vermöge der dritten straft er Verbrechen oder spricht das Urteil in Streitigkeiten von Privatpersonen. Ich werde die letzte die richterliche Gewalt und die andere schlechthin die vollziehende Gewalt des Staates nennen. … Wenn in derselben Person oder dergleichen obrigkeitlichen Körperschaft die gesetzgebende Gewalt mit der vollziehenden Gewalt vereinigt ist, gibt es keine Freiheit … Es gibt ferner keine Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von der gesetzgebenden und vollziehenden getrennt ist. … Alles wäre verloren, wenn derselbe Mensch oder die gleiche Körperschaft der Großen, des Adels oder des Volkes diese drei Gewalten ausüben würde …« Charles de Secondat Montesquieu: Vom Geist der Gesetze, Bd. I. Tübingen 1992, S. 214/215
Alexis de Tocqueville: Über die Demokratie in Amerika, Bd. I. Zürich 1987, S. 86/87. In seinem Vorwort von 1848 beschrieb der Autor, ebenfalls höchst aktuell, den Unterschied zwischen Europa und Amerika: »Derweil alle Nationen Europas von Kriegen verwüstet wurden oder sich in Bürgerzwisten zerrissen, lebte das amerikanische Volk als einziges der Kulturwelt in Frieden. Fast ganz Europa wurde durch Revolutionen erschüttert; Amerika hatte nicht einmal Aufstände; die Republik brachte dort keine Unruhe, sondern Bewahrung aller Rechte, das persönliche Eigentum war besser geschützt als in irgendeinem anderen Lande der Welt, die Anarchie blieb dort ebenso unbekannt wie die Despotie.« Ibid., S. 7
»Wir, Wilhelm von Gottes Gnaden …« hieß das noch hundert Jahre später in Deutschland.
Thomas Hobbes: Leviathan, a.a.O., S. 134/135
Unabhängigkeitserklärung 4. Juli 1776. Zitiert aus: Udo Sautter: Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Stuttgart 1994, S. 555
Es gibt keine Utopie auf dieser Welt, die bei ihrer Realisierung nicht sehr bittere und dunkle Seiten vorzuweisen hätte. In der Geschichte der USA sind dies die Indianerkriege und das Schicksal der indianischen Völker, die Sklaverei und die Rassendiskriminierung gegenüber den Afroamerikanern.
»Die Zeiten, die Ereignisse und die Gesetze haben dem Demokratischen nicht nur das Übergewicht, sondern die Alleinherrschaft verliehen … So stellt also Amerika in seiner Gesellschaftsordnung eine höchst merkwürdige Erscheinung dar; die Menschen sind dort durch größere Gleichheit an Vermögen und Geist gekennzeichnet, oder – mit anderen Worten – sie sind gleichmäßiger stark als in irgendeinem anderen Volk der Erde und zu irgendeiner Zeit, soweit das Gedächtnis der Geschichte zurückreicht.« Alexis de Tocqueville, a.a.O., S. 80
Benjamin R. Barber: Djihad und McWorld. Der Mythos von der regulativen Kraft des Marktes. FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, 24. Juli 1996, S. 9
»Informationsgesellschaft made in America«, nennt dies Uwe Jean Heuser. »Die digitale Revolution ist dagegen zuallererst Sache der Amerikaner. Von Nicholas Negroponte bis Bill Gates, von Peter Drucker bis Alvin Toffler kommen die bekannten Ausrufer der Informationsgesellschaft allesamt von jenseits des großen Teiches. Dort ist der neuerliche Wandel am weitesten vorangeschritten und bereits so fest in der Politik und im öffentlichen Bewußtsein verankert, wie es in Deutschland und anderen europäischen Ländern frühestens zum Ende des Jahrzehnts der Fall sein dürfte. … Der Cyberspace ist großenteils im Land der unbeschränkten Möglichkeiten entstanden und hat das nationale Selbstvertrauen gestärkt. Auf einmal, so scheint es, liegt die amerikanische Volkswirtschaft wieder weit vorne, und das Land weist den Weg in die digitale Zukunft.« Uwe Jean Heuser: Tausend Welten. Die Auflösung der Gesellschaft im digitalen Zeitalter. Berlin 1996, S. 93/94
»The phenomenon we call ›globalization‹ – integration of markets, trade, finance, information and corporate ownership around the globe – is actually a very American phenomenon. It wears Mickey Mouse ears, eats Big Macs, drinks Coke, speaks on a Motorola phone and tracks its investments with Merrill Lynch using Windows 95. So countries that plug into globalization are really plugging into a high degree of Americanization. … People in other cultures cannot always distinguish between globalization and American power, exports and cultural assaults. … The only answer is multilocalism – democratizing globalization so that people everywhere feel some stake in how it affects their lives.« Thomas L. Friedman: From America, a Case Study in Successful Globalization. INTERNATIONAL HERALD TRIBUNE, 12. Dez. 1996, S. 6
»… unsere Lebenswelt (ist) zwischen die antagonistischen Entwicklungen eines neuen »Stammesbewußtseins« und einer globalen Integration geraten. Wir ziehen uns in eine fragmentierte Vergangenheit zurück und bewegen uns doch gleichzeitig auf die Zukunft einer grenzenlosen Kultur zu. Die Orientierung an der Vergangenheit bietet den düsteren Ausblick auf die Rückentwicklung großer Teile der Menschheit durch Krieg und Blutvergießen: eine drohende Balkanisierung der Nationalstaaten, in deren Verlauf sich Kultur gegen Kultur, Stamm gegen Stamm stellt. Dieser ›Djihad‹, dieser Heilige Krieg gegen jede Art der Abhängigkeit, trifft auf über uns hereinbrechende zukunftsorientierte ökonomische, technologische und ökologische Kräfte, die nach Integration und Vereinheitlichung verlangen und die Völker überall durch schnelle Musik, schnelle Computer und schnelles Essen in ihren Bann schlagen – MTV, Macintosh und McDonald’s. Die Nationen werden in die Form einer homogenen globalen Kultur gepreßt, in eine Kultur des McWorld, zusammengehalten durch Kommunikation, Information, Unterhaltung und Handel. Unser Planet befindet sich im Spannungsverhältnis zwischen Disneyland und Babel; er fällt jäh auseinander und wächst doch gleichzeitig zögernd zusammen; Djihad versus McWorld. … Weder McWorld noch Djihad können die Zivilgesellschaft erhalten. Die globale Kultur des McWorld ist nicht die Kultur der Demokratie. Kurzfristig mögen sich die Kräfte des Djihad durchsetzen und die unmittelbare Zukunft beherrschen, denn sie sind lauter und erregen mehr Aufmerksamkeit als McWorld. Doch langfristig bewirkt die Stärke von McWorld den langsamen unbeirrbaren Vorstoß der westlichen Zivilisation.« Benjamin R. Barber, a.a.O.
Siehe dazu die Polemik von Viviane Forrester: Der Terror der Ökonomie. Wien 1997
So heißt es in der »Erklärung der Rechte des Menschen und Bürgers«, verabschiedet von der ersten französischen Nationalversammlung am 27. August 1789 und der Verfassung von 1791 vorangestellt: »Alle Menschen werden frei an Rechten geboren und bleiben es. Gesellschaftliche Unterschiede können nur auf den gemeinsamen Nutzen gegründet sein. … Der Ursprung aller Souveränität ruht seinem Wesen nach im Volk. Keine Körperschaft, kein einzelner kann Autorität ausüben, die nicht ausdrücklich daraus fließt. … Jede Gesellschaft, in der weder die Garantie der Rechte zugesichert noch die Trennung der Gewalten festgelegt ist, hat keine Verfassung.« Aus: Heidelmeyer (Hrsg.): Die Menschenrechte. Paderborn/München/Wien/Zürich 1997, S. 57–59. – Allerdings gab es, wie Wolfgang Heidelmeyer in seiner Einführung schreibt, in Frankreich bereits 1776 ein »Recht auf Arbeit«: »Ein besonderes Grundrecht hatte bereits ein französisches Gesetz aus dem Jahre 1776 (wohl unter dem Einfluß der Schule der Physiokraten) allgemein aufgestellt: In dem Edikt zur Aufhebung der Zünfte wurde ein ›Recht auf Arbeit‹ durch Ludwig XVI. als ›geheiligtes und unveräußerliches Recht der Menschheit‹ anerkannt … In der französischen Menschenrechtserklärung von 1789 findet man es nicht wieder.« Ibid., S. 17
Jean-Jacques Rousseau: Abhandlung über die politische Ökonomie. J.-J. Rousseau: Politische Schriften, Bd. I. Paderborn 1977, S. 32
Michel Albert, a.a.O., S. 9ff.
Robert Reich: Locked in the Cabinet. New York 1997, S. 27/28. – Wer die aktuelle deutsche Debatte um Steuerreform und Steuersenkung verfolgt, kann sich angesichts dieser amerikanischen Erfahrung nur an den Kopf fassen. Es steht zu befürchten, daß die Kostenexplosion einer verfehlten Einheitspolitik die Rolle von Reagans Expansion des Rüstungsetats übernimmt und der Rest, verbunden mit Steuersenkungen, sich dann quasi von selbst ergibt.
Heute befinden sich in den USA mehr junge schwarze Männer in den Gefängnissen als auf den Colleges des Landes. Gefängnisneubau und -unterhaltung werden für die Bundesstaaten zu einem erdrückenden Etatposten, und resignierende Liberale erzählen Besuchern in den USA, daß die Gefängnisse so etwas wie die pervertierte Sozialstaatsvariante für die männlichen schwarzen Jugendlichen in einer sich zunehmend desintegrierenden Gesellschaft darstellen würden, denn im Gefängnis würden sie ernährt, untergebracht, gekleidet und sogar ausgebildet. All dies wäre für die Mehrzahl dieser Jugendlichen in Freiheit keineswegs eine Selbstverständlichkeit, sondern eher die Ausnahme! Einer der führenden Arbeitsmarktökonomen der USAFRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG