Dieter Kühn
Spätvorstellung
Mein Theaterbuch
FISCHER E-Books
Dieter Kühn, geboren 1935 in Köln, gestorben 2015 in Brühl, war einer der produktivsten und einfallsreichsten Autoren der letzten Jahrzehnte. Für seine Biographien, Romane, Erzählungen, Hörspiele und hochgerühmten Übertragungen aus dem Mittelhochdeutschen (das ›Mittelalter-Quartett‹) erhielt er den Hermann-Hesse-Preis, den Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und die Carl-Zuckmayer-Medaille. Zu seinen Werken gehören große Biographien (über Clara Schumann, Maria Sibylla Merian, Gertrud Kolmar sowie sein berühmtes Buch über Oswald von Wolkenstein), Romane (›Geheimagent Marlowe‹), historisch-biographische Studien (›Schillers Schreibtisch in Buchenwald‹) und Erzählungsbände (›Ich war Hitlers Schutzengel‹). Zuletzt erschienen die beiden autobiographischen Bände ›Das Magische Auge‹ und ›Die siebte Woge‹.
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Immer wieder hat Dieter Kühn zwischen seinen großen Biographien, Romanen und Übertragungen aus dem Mittelhochdeutschen auch für das Theater geschrieben. Schon von schwerer Krankheit gezeichnet, hat er sechs seiner Stücke, überwiegend Komödien, für dieses Buch ausgewählt. Sie werden hier erstmals oder in komplett überarbeiteten Fassungen gedruckt. Es ist das klassische ›Well-made play‹, zu dem sich Kühn mit diesen Stücken bekennt, getrieben von schlüssigem Plot, psychologisch profilierten Rollen, blitzenden Dialogen, überbordender Spielfreude. Vorhang auf!
Covergestaltung: hißmann, heilmann, hamburg / Sonja Steven
Foto: Privatarchiv Dieter Kühn
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main 2016
Aufführungs- und Senderechte:
Verlag JUSSENHOVEN & FISCHER, Theater und Medien
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403718-9
Vorwort
Immerhin hatte ich erleben können, dass Stücke von mir zur Uraufführung gelangten, Anfang der siebziger Jahre, in Frankfurt, Wiesbaden, Oberhausen, Braunschweig, Düsseldorf. Gelegentliche Neuinszenierungen. Sogar Aufführungen in Paris und Djakarta. Aber dann riss der Faden, erst mal bei mir – ich gab mich auf als Theaterautor, konnte mich, auch ohne Stücke zu schreiben, entfalten. Blieb jedoch Zuschauer, auch bei später berühmten Inszenierungen.
Grübers Winterreise im Berliner Olympiastadion. Eiskalte Dezembernacht; in kleinem Segment des ansonsten leeren Stadions ein paar hundert Zuschauer; Decken waren verteilt. Auf dem Fußballfeld ein Zelt, eine Imbissbude, ein Nachbau des Portikus des Anhalter Bahnhofs. Fragmentarische Textvermittlung über die Anzeigetafel, über einen Dauerläufer, der Hölderlin rezitierte während seiner Runden.
Steins Projekt Shakespeare’s Memory in Hallen des CCC-Filmstudios. Dort konnte man in einer überdimensionierten Wunderkammer lustwandeln, in Gruppen, in Scharen. Installationen und Präsentationen; das Gesamtkonzept schien, zumindest in der Erinnerung, weithin vom Zufall bestimmt. Stets jedoch, in der Generalperspektive, Shakespeare: Vorspiele, Vorübungen; Begleiterscheinungen, kaleidoskopisch. Aufwendige, vielfältige Annäherungsversuche an ein übergroßes Phänomen … Waren eher der Bühnenbildner, der Ausstatter gefragt als der Regisseur?
Heymes Wallenstein in Köln: Grandios die Konzeption, »Das Lager«, »Die Piccolomini« und »Wallensteins Tod« nicht aufzureihen, sondern ineinander zu verschränken: das Lager, Wallensteins Basis der Selbstrealisierung als Feldherr, nun nicht als Vorspiel, sondern wiederholt in kurzen Szenen Präsenz gewinnend, wechselweise mit dem Geschehen auf Führungsebene …
Und wieder Grüber, eine Performance im Rudiment des bombengeschädigten Riesenhotels Esplanade. Nicht die geringste Erinnerung an ein Stück oder Text-Arrangement in den verbliebenen Räumlichkeiten, nachwirkende Präsenz aber jenes Ambientes: Wir Zuschauer flanierten. Ein Salon, noch mit Stuckaturen … ein kleinerer Raum, mit Stroh ausgelegt, das unsere Schritte raschelnd hörbar machte … ein Raum, ein Fenster mit Ausblick: auf die Mauer, neonhell beleuchtet, etwa hundert Meter entfernt. Stille. Oder hörte man gelegentlich das Bellen von Streifenhunden? Ein Hochhaus, weiter entfernt, mit riesigen Leuchtbuchstaben westwärts: DDR. Diese Konstellation vor allem hat sich eingeprägt: vom Zufall verschonte Räume eines fast völlig verschwundenen Grandhotels … leere Fläche zwischen Ruine und Mauer … Sichtverbindungen: Wilhelminische Ära – Kriegszeit Zwo – Teilung des Landes.
Das wirkte nach, also holte und hole ich nach, präzisierend: Erhalten blieben samt Innendekorationen Frühstückssaal und Kaisersaal … Nach dem Krieg eingeschränkter Restaurantbetrieb … Tanzveranstaltungen und Modeschauen … Das Hotelrudiment beinah zum Abriss freigegeben … Nach der Wende die legendäre »Translozierung«: Der Kaisersaal als isolierter Kubus hydraulisch um fast hundert Meter verschoben … Der Frühstückssaal in ein halbes Tausend Fragmente zerlegt und wieder zusammengepuzzelt. Die Saalbauten als Fundstücke eingefügt in das Sony-Center am Potsdamer Platz: Exponate in hochkant gestellter Vitrine … Da hätte man gleich Rekonstruktionen installieren können …
Und wieder Köln: ein radikaler, ganz und gar nicht werkgetreuer, dennoch schlagartig überzeugender Eingriff in Lessings Nathan der Weise (Nicolas Stemann)! Der Tempelherr mäht mit einer Maschinenpistole alle Figuren nieder, Nathan erscheint auf der Fläche mit Leichen; jetzt erst, neben seiner toten Pflegetochter, die berühmte Ringparabel: Wie eine Arie über einem »killing field« – mir blieb die Luft weg.
Ich begann, frühere Stücke nicht nur zu bearbeiten, sondern grundlegend umzuschreiben. Es kamen neue Projekte hinzu; in den Jahren 2013, 2014 habe ich weitergewerkelt im Bewusstsein, dass ich mit »well-made plays« keine Chance habe, aber die wollte ich nutzen, dem bewährten Spruch folgend. Obwohl ich in dieser Zeit mehrfach realisieren musste, dass Theaterstücke weithin als Trampoline dienen, auf denen Regisseure und Regisseurinnen möglichst sensationelle Sprung- und Flugfiguren präsentieren.
So arbeitete ich an Stücken weiter in einer Ära, in der entschiedene, mehr als nur irritierende Positionswechsel stattfanden: dominierend auf deutschsprachigen Bühnen längst nicht mehr der Autor, sondern der Regisseur. Das wurde 2014 offiziös: Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, proklamierte im Deutschlandradio das Aus für Theaterautoren. Stichwort: Abschaffung des Stückemarkts.
Worum war es da gegangen? In öffentlichen Veranstaltungen hatten Schauspielerinnen und Schauspieler Texte neuer, noch nicht aufgeführter Stücke vorgestellt. Ich war mal mit von der Partie, im Berlin der siebziger Jahre: Szenische Lesung von Separatvorstellung. 1978 die Uraufführung in Wiesbaden. Jener Stückemarkt sollte also abgeschafft werden. Symptom von Veränderungen, die bereits seit Jahrzehnten laufen, sich immer radikaler entwickelnd. Auch ich fühle mich direkt und indirekt betroffen; dieser Bericht soll allerdings nicht unter dem Vorzeichen subjektiver Gefühle formuliert werden, ich zitiere aus einem publizierten Begleitdiskurs (nachtkritik, Ulf Schmidt) zur Entscheidung in Berlin. Leitfrage: Warum Autoren am Theater nicht mehr gebraucht werden.
Antwort: »Der Autor des Theaters sei nicht mehr der Schreiber, sondern der Regisseur – das führte der Leiter der Berliner Festspiele 2014 in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur aus. Das Faktische scheint ihm dabei recht zu geben: Gefeierte Theaterstars sind heute nicht mehr Dramatiker (ein Wort, das man kaum mehr ernsthaft benutzen kann), sondern Regisseure bzw. ›Macher‹.«
Ja, es hat sich ein veritables »Feindbild« entwickelt, »sofern es sich um schreibende Autoren handelt. Denn mit der Autoritätskritik der sechziger Jahre wurde auch der Autorenbegriff problematisch.« Und so landet das Konzept Autorschaft »auf dem Müllplatz der Geschichte«. (Zumindest in deutschsprachiger Theaterwelt; der »German virus« erweist sich jedoch als grenzüberschreitend.)
Fazit: »Eine goldene Regiegeneration trat an.« Die zeichne aus ein »hochgradig pragmatischer Umgang, der sich von Text-Autoritäten abwendet. Man produziert eigene sprachliche Artefakte im Produktionsprozess. Die können von Experten des Alltags kommen, es sind Aktentexte oder andere selbst erarbeitete Texte. Dabei wird die klassische Autorschaft ausradiert.« Werk ist nur noch »so ein hübscher alter Begriff«. Denn es »langweilt einen Regisseur, der Fremdes aneignen will. Am Text entlang zu inszenieren, ist altmodisch, jedenfalls aber nicht ruhmesförderlich auf dem Regiemarkt.«
Auch Zuschauer »lassen sich heute nicht mehr mit dem Niveau der Tradition abspeisen«. Als Folge: Das »einsame Schaffen am Schreibtisch des Schreib-Autors ist vorbei«. Wieder der Leiter des Berliner Theatertreffens: Heute gelten Theater als »Orte, in denen Autoren arbeiten, und diese Autoren nennen sich Regisseure«.
Wenn dieses Buch im Druck erscheint, ist das alles vielleicht schon vergessen, samt Kommentar. Hier aber, im begleitenden Werkbericht, müssen solche Faktoren zumindest erwähnt werden. Keine Begleitmusik, das nun doch nicht, aber Begleiterscheinungen, die wahrgenommen wurden, mit Irritationen. Denn natürlich fragte ich mich zuweilen: Was machst, was treibst du da eigentlich? Arbeitest lustvoll Dialoge aus, baust Handlungsbögen auf, lässt Figuren agieren in Abläufen, die stringent sein, in Plots, die tragen sollen. Alles letztlich kontraproduktiv, oder?!
Regisseur-Autoren brauchen also keine Stücke mehr, sondern »Materialien«, die sie tradierten Schauspielen entnehmen und textfern umsetzen, falls nicht Romane oder Drehbücher berühmter Filme für Bühnen adaptiert werden, sei es von John Cassavetes oder Fritz Lang – wobei fast ständig Filmausschnitte projiziert werden! Zudem Anreicherungen, fast notorisch, durch Popsongs (etwa in Zeitabständen von Werbeblöcken im TV) sowie durch frei eingefügte Zitatsequenzen.
Solch ein regiegeneriertes »Artefakt im Produktionsprozess« sah, beispielsweise, im Hamburger Schauspielhaus vor vielen Jahren schon so aus: »Mephisto. Nach dem Roman von Klaus Mann von Andres Paulin. Mit Texten von Goethe, Mnouchkine, Nietzsche, Sloterdijk, von Wangenheim, Gründgens, Thomas Mann u.a.«
Oder man nimmt gleich das Telefonbuch als Material. Offenbar, offenkundig lässt sich sogar hier ein interpretatorischer Überbau kreieren. Was nun folgt, ist keine Realsatire, sondern ein theatereigener Begleittext der Hamburger Dramaturgie: »Nichts Geringeres schwebt uns vor, als das Telefonbuch als literarisches Dokument zu würdigen und für das Theater zu entdecken. Einem literarischen Mammut wird ein theatralisches Denkmal gesetzt. Welch ein Werk! Seine Entstehung entspringt einem Grundbedürfnis des Menschen nach Austausch. Nichts anderes war die Rolle der Rhapsoden bei den Alten, Homer ihr bekanntester Vertreter. In allen Epochen ging damit ein enzyklopädischer Anspruch einher. Eine ganze Welt, eine ganze Zeit sollte gefasst werden. Das war bei den antiken Epen nicht anders als in der Neuzeit bei Marcel Proust. Welch ein Werk! Es bewegt sich ganz auf der Höhe zeitgenössischen Erzählens.« Ich staune: Ein Telefonbuch, und sei es das der Hansestadt Hamburg, es ist von gleichem Rang wie homerische Epen, wie Prousts mehrbändiger Roman?! Obskures »upgrading«!
Statt weiterem Kommentar ein Zitat aus einem Interview mit der großen Regisseurin Andrea Breth. »Das heutige Theater ist wie ein Supernaschmarkt ohne irgendeine Zielsetzung. Ich bin der Meinung, dass der Regisseur ein Handwerker ist, kein Primärkünstler. Ich verstehe mich als Sekundärkünstlerin. Ohne den Text des Dichters wäre meine Arbeit nicht möglich. Auf der anderen Seite: Dieselben Leute, die so riesige Probleme haben, wie das Theater noch funktionieren soll, die sieht man Schlange stehen für einen fürchterlich melodramatischen Film. Viele Theaterleute erklären vehement, man könne heute keine Geschichten mehr erzählen. Und dann rennen sie ins Kino und sehen dort: Geschichten.«
Ja, dort gibt es sie weiterhin: Storys mit ausgefeilten Dialogen! Übermittelt von Schauspielern, Schauspielerinnen, sorgfältig ausgewählt – glaubwürdige Verkörperung von Figuren in glaubwürdiger Story.
Und erst mal die sogenannte E-Musik! Da wird nicht, frei nach Castorf, der Slogan ausgegeben, Partituren seien »nicht sexy«, da wird eine Komposition nicht zum Klangmaterial, über das frei disponiert werden kann, vielmehr bleibt es dabei: primär der Komponist, in zweiter Reihe der Interpret. Das wird im Reich der E-Musik weiterhin als selbstverständlich respektiert, besonders, wo »authentische Interpretation« erarbeitet wird.
Was für E-Musik, Literatur, Film gilt, das ist im Destruktionsareal heutiger Bühnen völlig out. Isoliertes Geschehen auf einer Insel, die immer weiter wegdriftet von den Kontinenten.
In jener weithin dominierenden Situation (mit rühmlichen Ausnahmen wie Breth oder Bondy!) war es fast erklärungsbedürftig, Theatertexte zu schreiben mit stringenter Story, profilierten Rollen. Und doch setzte ich immer wieder an zum Schreiben, zum Neuschreiben von Stücken, vor allem zum Komödiantischen hin. Die Lust am Entwickeln von Plots, die Lust am Entwerfen von Bildern, die Lust am Spiel mit adaptierten oder frei erfundenen Figuren. Ich schaffe mir Freiräume, eröffne Spielräume. Ich setze frei, fühle mich frei.
Zur Lust am Entwerfen von Bildern die Lust am Schreiben von Dialogen. Das ist zurzeit auf deutschsprachigen Bühnen auch kaum gefragt. So findet wenig Präsenz, was lange Zeit gefeiert wurde, zu Recht. Frei entfalten konnte ich mich hingegen in Hörspielen. Einige von ihnen sind, formal, ein durchlaufender Dialog, ohne Zäsuren, ohne Einschübe, und seien sie musikalisch – da heißt es, Spannungsbögen aufbauen.
1977 fand in Braunschweig die Uraufführung statt der Frühversion von Herbstmanöver. Das Schauspiel erschien auch im Druck: Spectaculum 27. So lässt sich leicht vergleichen, verifizieren, dass in der langen Zwischenzeit ein fast völlig neues Stück entstanden ist. Dies, auch dies verbunden mit Zuspruch und Einspruch: Helmar Harald Fischer hat die langfristige Arbeit an meinen Stücken mit produktiver Kritik begleitet.
Die Grundkonstellation des Stücks ist geblieben: Exilierter Kaiser und ausgemusterter U-Boot-Kapitän bei Holzarbeiten im Park von Huis Doorn. Das wurde in Braunschweig auf der Bühne nicht vorgetäuscht: aufgebockt ein veritabler Baumstamm. Und damit spezifische Erfahrungen: Bei der Arbeit mit der großen Baumsäge wurden für die Protagonisten im relativ kleinen Bühnenraum Sägespäne und Borkenstückchen frei: Durstgefühl, austrocknender Mund … Das hatten sich Autor, Dramaturgie, Regie nicht so vorgestellt. Besser also von vornherein Simulation. Was wiederum zur Gesamtkonstellation des Stückes passt: Wilhelm neigte zum Posieren, Simulieren.
Auch Separatvorstellung (Theater Heute 12/1978) lässt oder ließe sich leicht vergleichen. Es wurde ein ganz anderes Stück, erhielt den neuen Titel Ach so, wir sollen sparen. Und Ihr?! – auch wenn König Ludwig und Richard Wagner die Protagonisten bleiben. Aber damals, in den siebziger Jahren, waren Sparprogramme noch kein Thema. Das lässt sich heute festmachen auch und gerade am Beispiel »Märchenkönig, Spartheater«, zu Lebzeiten Inbild grenzenloser Verschwendung (von der heute der Freistaat Bayern durchaus profitiert).
Krieg, Krieg, Krieg! wurde 2012 als »Szenisches Ritual« in der Mykenae Theaterkorrespondenz abgedruckt. Damals hatte das Stück noch die Form eines Rituals von Wiederholungen – was für das »Jahrhundert der Kriege« zutraf und permanent leider Fortsetzung findet im einundzwanzigsten Jahrhundert. Diese Litanei als Form und Aussage überzeugte mich nicht mehr, ich packte das Projekt in neuem Zugriff an: Wie kreieren wir auf Bühnen Bilder vom Kriege? Wie weit führt, beispielsweise, Reenactment? – Probierbewegungen, Probesequenzen, integriert in strenge Form. Schon ein kurzer Einblick in die beiden Druckfassungen kann zeigen, dass ich bei Änderungen entschieden vorgehe. Da ist erst mal, über längere Zeit hinweg, ein mulmiges Gefühl: Ein Stück hat noch nicht so recht seine Form gefunden. Und die ist ja nun eine Aussage. Irgendwann (hier in einem überschaubaren Zeitraum zwischen 2012 und 2014) der Zündpunkt für einen Neuansatz. Und es entwickelt sich ein letztlich neues Stück.
Ich habe mir wahren Luxus geleistet: zwischen der Arbeit an Büchern das Schreiben von Theaterstücken – aus purer Lust. Was sich bei der Lektüre (vielleicht, hoffentlich) überträgt. Fragen der Umsetzung, der Rezeption als Bühnenstücke blieben (und bleiben) weit jenseits des »Ereignishorizonts«.
Es gibt keine »Textsorte«, die in der Umsetzung so starken, so harten Belastungen ausgesetzt ist wie ein Theaterstück. Bis zu den (heute gesehen:) virtuellen Proben und Aufführungen kann ich aber nicht (mehr) warten, also macht mir der Verlag dieses Buch letztlich zum Geschenk. Gedruckte Theaterstücke hatten es immer schon schwer, die hier erst recht: Stücke, die in den vorliegenden Fassungen allesamt (noch) nicht aufgeführt wurden. Aber sie bilden eine Entwicklungslinie, wenn auch gestückelt, die sich ins Gesamtgewebe meiner Arbeiten, meiner Publikationen einfügt. Nun wird diese Linie erkennbar, ablesbar im Printmedium. Und ich atme auf: Sechs Stücke liegen vor. Ein Angebot!
Juni 2015
Alleingang
ROLAND
Getränkemarkt. ROLAND schiebt einen Gitterwagen mit Leergutkästen, obendrauf ein praller Plastiksack. Am Leergutautomaten steckt er eine Flasche in die Eingabeöffnung, die Flasche kommt zurück.