Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2017
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Konvertierung Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin
ISBN Printausgabe 978-3-499-63285-3 (1. Auflage 2017)
ISBN E-Book 978-3-644-40119-8
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-40119-8
Hinweis: Eine Liste der Bücher und Artikel, die mich beim Schreiben dieses Buches inspiriert haben, habe ich auf meiner Homepage unter www.florian-schroeder.com/frauen zusammengestellt. Dort finden Sie auch alle konkreten Quellen- und Literaturnachweise.
Die große Frage, die ich trotz meines 30-jährigen Studiums der weiblichen Seele nicht zu beantworten vermag, lautet: Was will eine Frau eigentlich?
Sigmund Freud
Und ohne dreißigjähriges Studium geht’s mir auch nicht besser.
Florian Schroeder
Vielleicht ist die Wahrheit ein Weib, das Gründe hat, ihre Gründe nicht sehen zu lassen.
Friedrich Nietzsche
Was muss die Frau sein? Sie muss topmodelmagerschlank sein, sie muss Kinder wollen, und sie muss sie im richtigen Moment wollen, also nicht mit 20, aber auch nicht mit 40. 20 ist zu früh, 40 zu spät. Sie muss also die richtige Anzahl Kinder mit dem perfekten Mann zum richtigen Zeitpunkt kriegen. Die richtige Anzahl, das ist nicht eins, das wäre ego, aber auch nicht fünf, das wäre assi. Wenn sie dann Kinder hat, muss sie arbeiten, Karriere machen – selbstbewusst sein, aber nicht als Emanze, feministisch organisiert, aber nicht verbissen, und vor allem: gut drauf. Und während sie Karriere macht, darf sie keine Rabenmutter sein, und während sie zu Hause ist, muss sie trotzdem Karriere machen, sie muss weiter topmodelmagerschlank sein, man darf ihr die Kinder, die sie gekriegt hat, nicht ansehen. Ihrem Partner muss sie außerdem Liebhaberin, Mutter, beste Freundin, alles auf einmal sein, und den Stress, den sie dabei hat, den DARF MAN NIEMALS SPÜREN!
Diese Sätze habe ich in einem Anflug kabarettistischer Atemlosigkeit in der NDR Talk Show in die Welt hinausgestoßen. Das war Anfang 2016. 50 Sekunden, die sich wie alles, was kurz und deftig ist, mit großer Dynamik viral verbreiteten. Typisch Mann: Möglichst viele Frauen mit ’ner schnellen Nummer aufreißen und sich dann nie wieder melden. Nicht mit mir, dachte ich und machte mich an die Beziehungsarbeit. Ich recherchierte, um zu verstehen, was hinter der gesellschaftlichen Veränderung, dem neuen Blick auf die Frau von heute steckt.
Frauen scheinen eher mehr mit den Anforderungen der Gegenwart zu hadern. Ihr Leben ist heute grundsätzlich anders als noch vor einer oder gar zwei Generationen. Es ist anspruchsvoller, komplexer, unvorhersehbarer.
Frauen wissen, was sie können, und damit steigt auch der Anspruch an uns Männer: Der Mann soll sensibel sein, aber stark dabei, er soll Augenhöhe bieten, aber am liebsten doch ein wenig älter und ein wenig reicher sein als die Frau selbst.
Frauen treffen Entscheidungen, auch in der Beziehung. Sie beginnen die Beziehungen, sie geben den Takt vor, und sie trennen sich schneller und kompromissloser: Sie sind weniger bereit, ein totes Pferd zu reiten, selbst wenn es noch zuckt. Frauen leben länger als Männer, und stirbt er tatsächlich vor ihr, sieht man Frauen plötzlich aufblühen, während der Witwer hilflos eingeht wie eine Primel. Ich kenne eine Frau, die hat nach dem Tod ihres Mannes den Trainerschein für Selbstverteidigungskurse absolviert. Mit 78!
Aber es gibt ein entscheidendes Problem: Im Kopf sind wir im 21. Jahrhundert, emotional aber nach wie vor in der Steinzeit. Es ist paradox: Frauen bezahlen noch immer deutlich mehr beim Friseur, bei Douglas und wo sonst noch Zeugs rumsteht, von dem Männer glauben, dass Frauen es brauchen. Zugleich verdienen sie weniger, sind öfter alleinerziehend und bedeutend häufiger von Altersarmut betroffen. Jedes Kind frisst ihnen nicht nur die Haare vom Kopf, sondern auch die Rente aus der Tasche.
Im Job sollen Frauen auftreten wie Männer, werden dann aber als schwierig, zickig und hysterisch abgestempelt. Frauenquoten sollen sie auf der Karriereleiter nach oben bringen, wo sie dann als Quotenfrau im besseren Fall belächelt, im schlechteren angefeindet werden.
Und was ist überhaupt aus diesem Feminismus geworden? Ist er wirklich der Zombie, zu dem Alice Schwarzer ihn hat verkommen lassen? Spricht man mit Frauen, finden sie ihn wichtig, wollen aber lieber nichts damit zu tun haben. Irgendwie uncool, ein Männerschreck. Der Feminismus ist der Damenbart unter den Geschlechterfragen. Vielleicht ist er einfach nicht mehr anschlussfähig, erschöpft sich zu sehr in reflexhaftem Hashtag-Geschrei, dessen Lautstärke mit seiner Folgen- und Bedeutungslosigkeit zusammenfällt.
Was also ist die Frau von heute, warum ist sie so gestresst, warum hat sie es so schwer mit sich – und warum haben wir Männer es so schwer mit ihr? Diesen Fragen versucht dieses Buch nachzugehen. Aus der Sicht eines Mannes, was an sich schon ein Skandal ist, verschärft durch die Tatsache, dass er sich selbst für ein weißes, heterosexuelles und damit per se privilegiertes Mitt-Enddreißiger-Exemplar dieser ohnehin schon degenerierten Chromosomenfolge hält. Es droht also heteronormativer, eurozentristischer Unfug.
Da kann ich nur sagen: Jawoll, freuen Sie sich, liebe «Binnen-I», «_» und «X»-FetischistInnen, wir werden viel Spaß zusammen haben.
Und damit auch dies gleich vorweg geklärt ist: Frauen haben ihre Tage. Das war schon immer so und wird mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit auch so bleiben. Und ob es PMS gibt oder nicht, ist mir so egal wie die Frage, ob gestern in China ein Handy explodiert ist. Dasselbe gilt für die Frage, warum Frauen nicht wissen, was sie anziehen sollen, ob sie prinzipiell zu viele Schuhe haben oder nicht einparken können. Wenn Sie darauf Antworten suchen, müssen Sie ins Olympiastadion Ihres Vertrauens eilen.
Aber Frauen können eben auch eine Konferenz leiten, verlorengegangene Schnuller wiederfinden, sich Geburtstage merken, zehn verschiedene Rottöne auseinanderhalten und Männern so viele Fragen stellen, dass sie die Antworten finden, die sie, die Frauen, hören wollten. Und das alles zur selben Zeit!
Dieses Buch ist der Versuch, einer Überlastung auf die Spur zu kommen, die kennzeichnend ist für die Zeit, in der wir leben. Insofern beschreibt es einen Übergang, in dem Erwartung und Enttäuschung näher beieinanderliegen als Wunsch und Erfüllung, in dem Anspruch und Wirklichkeit, Anstrengung und Belohnung oft nichts miteinander zu tun haben.
Frauen sind Jongleure des Lebens – sie werfen zehn Bälle nach oben und fangen sie irgendwie alle wieder auf, während Männer sich verbissen auf den einen Ball konzentrieren und ihn dann erst recht fallen lassen.
Fahren Frauen in den Urlaub, legen sie ihre Klamotten schon drei Wochen vorher auf acht verschiedene Stapel, für jedes Wetter, jede Tages- und Nachtzeit und auch für jedes Urlaubsziel. Alles ist Teil eines großen Plans, den nur sie kennen. Sie denken daran, die Blumen zu gießen und die Wäsche aus dem Trockner zu holen, und sie schaffen es, dem Mann ein, zwei nicht allzu schwere Handlangerdienste zuzuweisen, damit er nicht ganz so sinnlos in der Gegend herumsteht. Frauen switchen mühelos von der Sprache der Dreijährigen in den Business-Speech, können Bauchschmerzen heilen und auf Partys bis zum Morgen tanzen, ohne dass sie zwei Tage danach krank sind. Sie schaffen es, eine Beziehung so zu beenden, dass der Mann das Gefühl hat, er müsse sich grundlegend ändern, um es in diesem Leben überhaupt noch zu irgendetwas zu bringen. Ist es da so schlimm, dass sie ihr Auto in einem mittelgroßen Parkhaus nicht mehr wiederfinden?
Dies ist ein Buch über ein Geschlecht, für das der Begriff des Multitaskings nicht weit genug gefasst ist und das an den Erwartungen der Zeit doch zu verzweifeln droht. Es ist der Versuch einer Liebeserklärung an die Frauen. Zumindest fast.
Über Liebe, als Beziehung zwischen den Geschlechtern, gebe es nichts Neues mehr zu berichten (…) – solche Verlautbarungen sind zu lesen; sie verkennen, dass das Verhältnis zwischen den Geschlechtern sich ändert, dass andere Liebesgeschichten stattfinden werden.
Max Frisch
Jetzt sitze ich hier. Allein an diesem Tisch, in diesem kleinen italienischen Restaurant, das ich ausgewählt habe für das erste Date. Ich warte. Und Sarah ist zu spät. Schon zehn Minuten. Der Kellner hat mich bereits dreimal gefragt, ob ich in die Karte schauen oder noch etwas trinken will. Wenn ich mit dem Wein so weitermache, liege ich unterm Tisch, bevor sie da ist. Ich lehne also dankend ab und komme mir vor wie ein Zechpreller, der noch gar keine Schulden hat. Ich übe mich in Geduld. Nicht meine Stärke, aber es muss sein. Ich bin ihr das schuldig, obwohl wir uns gar nicht kennen. Ich neige nämlich selbst maximal zum Zuspätkommen. Wenn mir all die Zeit, die ich Menschen auf mich habe warten lassen, von meiner Lebenszeit abgezogen werden würde, läge ich mit 50 unter der Erde. Während ich so dasitze, denke ich, zu spät kommen ist ja irgendwie auch eine Machtgeste. Wer warten lässt, muss sich seiner selbst sehr sicher sein, muss davon ausgehen, dass ich bleibe und nicht einfach wieder gehe, weil ich mich versetzt fühle. Oder hat sie einfach nur eines dieser Datingberatungsbücher gelesen? «Eröffne nicht das Gespräch. Fixiere die Männer nicht mit deinen Blicken und rede nicht zu viel. Rufe ihn nicht an und rufe nur selten zurück. Beende Telefongespräche immer als erste. Triff dich nicht mehr mit ihm, wenn er dir nicht an deinem Geburtstag oder am Valentinstag ein romantisches Geschenk kauft.»
Oder, wie der Volksmund sagt: «Willst du was gelten, mach dich selten.» Tatsächlich? So sieht das also aus, wenn ihr euch, liebe Frauen, im 21. Jahrhundert Vorschriften macht, wie ihr es mit den Männern zu halten habt? Wenn es nach dem Millionenseller The Rules – die Regeln – geht, schon. Er beschreibt die eisernen Regeln des Datings. Mir fehlen dort aber ein paar wichtige Grundregeln: Wenn du ihm einen Drink bezahlst, kommt automatisch die Polizei. Wenn er deinen BH nicht öffnen kann, ohne hinzugucken, verlasse wortlos den Ort, an dem ihr seid. Vielleicht ein bisschen blöd, wenn es deine eigene Wohnung ist, aber hey, du findest bestimmt eine neue. Andere Mütter haben auch schöne Buden.
Ein passenderer Titel für dieses Buch wäre meiner Ansicht nach Die Kunst, den Mann fürs Leben mit dusseligen Regeln in die Flucht zu schlagen. Wie ist es möglich, dass dieser Steinzeitschinken durch die Decke ging? In einer Zeit, in der das höchste Gut Selbstbestimmung ist, in der Frauen das Leben selbst in die Hand nehmen, den ersten Schritt und auch den letzten machen und gerade nicht darauf warten sollen, dass der Prinz erscheint? Irgendwie passt das alles nicht zusammen. Oder ist gerade die scheinbare Zögerlichkeit die wahre Autonomie, von der heute alle reden? Eine erste Prüfung meiner Geduld, meines Willens, meines Durchhaltevermögens? Es ist kompliziert.
Mit fast einer halben Stunde Verspätung trifft Sarah dann ein. Etwas durch den Wind, Zugverspätung, einchecken bei einer Freundin und so. Irgendwie gibt sie mir das Gefühl, dass das keine angelesene The Rules-Strategie ist. Und doch meine ich ein Funkeln in ihren Augen zu erkennen, als ob es ihr ganz gelegen kommt, schon hier und jetzt testen zu können, wie genervt oder entspannt ich auf ihre Verspätung reagiere. Ich bin natürlich entspannt. Vor meinem inneren Auge läuft meine eigene Zuspätkommens-Schuldenuhr rauf und runter, und da werde ich sehr schnell sehr nachsichtig. Zu viele unnötige Gedanken meinerseits. Vielleicht denken wir auch einfach zu viel, statt einfach zu leben, denke ich, während ich mir vornehme, in Zukunft weniger zu denken.
Der Kellner lächelt verschmitzt-beruhigt. Das wiederum beruhigt mich, denn er sieht so was sicher häufiger, und wenn er jetzt grinst, ist das so, als ob der Arzt sagen würde: Es ist nichts Schlimmes, das wird schon. Und es wurde. Wir wurden ein Paar. Langsam und vorsichtig zuerst, um nicht zu schnell an den zu großen Erwartungen zu scheitern, dann aber doch mit gemeinsamen geplanten Wochenenden und mit so viel Verbindlichkeit, dass wir uns trauten, Konzertkarten zu kaufen, auch wenn das Event erst in sechs Wochen stattfand. Wir waren stolz auf uns, dass wir uns dabei gar nicht spießig fanden.
Später, es war einige Zeit ins Land gegangen, zog Sarah in meine damalige Stadt, aber, wie sie betonte, einfach, weil sie was Neues anfangen wollte, und nicht wegen mir. Es schien also eher Zufall, eine Fügung, eine nette Wendung, keinesfalls sollte es nach Absicht aussehen. Erst nach Monaten gab sie zu, sie habe in einer dauerhaften Fernbeziehung keinen Sinn gesehen. Nur meinetwegen sei sie gekommen.
Mein Freund Olli sagte einmal: «Keine Frau ist so cool, wie sie sich gibt.» Gut, das gilt für Männer auch, aber bei uns kennt man das nicht anders. Harte Schale, weicher Kern und so. Darum fragen wir uns: Warum verhaltet ihr euch so? Warum baut ihr Mauern der Freiheit um euch, um sie dann später einzureißen? Die Soziologin Eva Illouz sagt, das Problem von modernen Partnerschaften sei die Dialektik aus Anerkennung und Autonomie: «Sei unabhängig, lebe dein Leben.» Dieser Satz wurde uns eingetrichtert von Kindesbeinen an. Zugleich wollen wir von anderen Menschen, insbesondere denen, die wir lieben, Anerkennung. Wir wollen bedingungslos geliebt und verstanden werden, aber es soll bloß nicht so aussehen, als wären wir darauf angewiesen. Das klappt so gut, als ob man mit Schneeketten und 220 km/h auf der Überholspur fahren will.
Die Auswirkungen dieses Umstandes zeigten sich bei Sarah und mir immer wieder. Exemplarisch am Valentinstag: Ich sollte von mir aus den Liebesbeweis erbringen, den sie stillschweigend erwartete, was aber nicht so erwartungsvoll aussehen sollte, wie es war. Enttäuschte ich dann, erntete ich Verärgerung dafür, dass ich eine Erwartung nicht erfüllt hatte, die es offiziell gar nicht gab.
Olli sagte einmal, es gebe in jeder Beziehung einen, der mehr und einen, der weniger liebt. Letzterer sei immer im Vorteil: Er hält die Distanz, an welcher der andere verzweifelt, weil er sich fühlt, als würde man ihn am ausgestreckten Arm verhungern lassen. Diesen Part übernehmen, ich muss es eingestehen, nach wie vor mehrheitlich wir Männer. Meine Freundin Maren erzählte von den Kämpfen, die sie ausfechten musste, damit er sich endlich mal zwei, drei Wochen für einen gemeinsamen Urlaub freinimmt. Es ist das alte Lied: Im Zweifel ziehen wir Männer uns zurück auf unsere Arbeit, das vermeintlich letzte Refugium, das uns Männlichkeit und Unabhängigkeit erlaubt. Arbeit, das ist ja auch Macht, das ist Status und alles, was da dranhängt. Und darauf stehen die Frauen doch, haben wir gelernt. Oder ist das anachronistischer The Rules-Unsinn?
Eva Illouz schreibt in ihrem Buch Warum Liebe weh tut, früher, zu Zeiten des Patriarchats, sei Grönemeyers Frage: «Wann ist der Mann ein Mann?» leicht zu beantworten gewesen: Wenn er eine Familie gründete und Vater wurde. Heute ist das für ihn eine Option unter vielen, die sich zudem aufschieben lässt. Frauen haben diese Möglichkeit zum Aufschub nicht. Für die Frau ist das Ende der Fruchtbarkeit die biologische Schranke. Darum sollte irgendwann mit Mitte 30 mal der Kerl an Land gezogen sein, der auch für die großen Fragen des Lebens mehr als ein «Mal gucken» übrig hat. Dann müssen die wesentlichen Entscheidungen des Lebens getroffen werden. Will ich Kinder und wenn ja, mit wie vielen? Ich kann euch verstehen: Bei einer Lebenserwartung von über 80 Jahren ist das so, als würde die Natur beschließen, dass Bäume nur zwei Sommer lang blühen. Das ist mies und ungerecht und fühlt sich aufgrund der heutigen Lebenserwartung sehr steinzeitlich an, aber es ist nicht zu ändern.
Maren sagte, sie werde vielleicht ein Kind kriegen, aber dann erst Ende 30, kurz vor Torschluss noch schnell. Die Jahre bis dahin wolle sie nutzen, um zu leben und vor allem im Job weiterzukommen. Aus ökonomischer Sicht ist späte Mutterschaft absolut sinnvoll: Ihr bekommt mehr Rentenpunkte, profitiert vom Lohnwachstum, erreicht eine größere Unabhängigkeit von einem mutmaßlichen Versorger, erhaltet mehr Elterngeld. Ganz abgesehen von den emotionalen Vorteilen: Je gefestigter Mütter und Väter sind und fühlen, desto stabiler sind Wissen und Werte, die sie weitergeben. Darum sind auch umstrittene Maßnahmen der Reproduktionsmedizin ausdrücklich zu befürworten. Social freezing etwa, die Gebärchance für moderne Paare, die über all dem Social Networking, Liking, Teiling, Favorisiering und Kommentiering das Real-Life-Kindermaching vergessen haben. Und deren Babys dann nicht mehr Scheyenne Savannah oder Jacqueline Chantalle heißen, sondern Frozen Margarita.
Warum sollen sich Frauen von dieser bekloppten biologischen Uhr ausbremsen lassen? Die Menopause bei einer Frau kommt im Schnitt heute vier Jahre später als zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Vier Jahre in 150 Jahren, das ist eine verdammt schlechte Quote. Vor 150 Jahren wurde eine Frau rein statistisch im Schnitt 38 Jahre alt, ein Mädchen, das heute geboren wird, hat eine durchschnittliche Lebenserwartung von 82 Jahren. Das macht 45 Jahre mehr Leben in 150 Jahren, aber nur vier Jahre mehr Zeit bis zur Menopause.
Alle Geschäfte haben bis 20 Uhr oder länger geöffnet, nur der feine Bioladen von Mutter Natur macht Miese, weil er schon am späten Vormittag die Schotten dichtmacht.
Männer können sich hingegen bis ins hohe Alter fortpflanzen und sich zudem mit deutlich jüngeren Frauen paaren, um den Nachteil, den ihr Genpool im Alter möglicherweise mit sich bringt, auszugleichen. Egal, wie viele Beulen und Schrammen die Auffahrunfälle des ungestümen männlichen Lebens hinterlassen haben, beweisen sie am Ende nur: Wir haben Erfahrung, und was will Frau mehr als einen vielleicht lädierten Kerl, der aber weiß, wie man diese Vollcrashs in Zukunft vermeiden kann? Irgendwie auch schräg von euch Frauen: Würdet ihr bei einem Fahrer einsteigen, der damit angibt, ein perfekter Fahrer zu sein, weil er gerade von der Medizinisch-Psychologischen Untersuchung kommt?
Von vielen werden die Jahre des ratlosen Zauderns meist noch mit Bewunderung bewertet: Hat er bis 50 noch nicht wirklich eine feste Beziehung auf die Reihe gekriegt, sich dann aber eine jüngere Frau geangelt, muss er ein toller Hecht sein. Umgekehrt bleibt diese Bewunderung aus: Genießt sie das Leben und angelt sich dann einen Jüngeren, ist es bestimmt nur ein Toyboy. Dann hat sie’s wohl nötig. Wahrscheinlich hat er nur ihr Winkfleisch noch nicht gesehen. Hinter vorgehaltener Hand belächelt man sie noch immer ein wenig mitleidig: Offenbar gelingt es ihr nicht, einen Kerl aus der eigenen Kohorte für sich zu begeistern, also krallt sie sich einen unerfahrenen Jungen, der ihre Zicken mit Weisheit verwechselt. Was bei ihm Zeichen von Potenz ist, ist bei ihr bemitleidenswerte Midlife-Crisis.
Männer haben größere Wahlmöglichkeiten. Damit, so Eva Illouz in ihrem Buch weiter, diktieren die Kerle nach wie vor die Spielregeln des Zusammenseins. Zudem grassiere bei uns die Bindungsangst. Zerrissen zwischen Familienwunsch und Freiheitsdrang, Festanstellung und Flausen im Kopf und dem Druck unausgesprochener Ansprüche der eigenen Eltern und ausgesprochener tickender biologischer Uhren bei euch. Je länger wir den Moment der Fortpflanzung aufschieben, desto mächtiger werden wir, desto erpressbarer werdet ihr – sofern ihr einen Kinderwunsch habt. Ist er da, lassen sich viele von euch auf Kompromisse ein, die sie vorher nie akzeptiert hätten. Maren zum Beispiel wollte unbedingt heiraten, ihr Exfreund nicht, aber sie hat sogar das akzeptiert, solange sie nur ein Kind bekommen würden. Vielleicht auch in der Hoffnung, dass er, wäre das Kind erst einmal da, schon noch einlenken würde.
Die Crux dabei: Je verbindlicher und nachdrücklicher ihr werdet, desto mehr müsst ihr fürchten, dass wir Reißaus nehmen. Vielleicht hat Sarah mich bei unserem ersten Date so lange warten lassen, weil sie ahnte, dass sich das Verhältnis später umkehren würde. Insofern ließ sie mich mit einem Vorschuss-Guthaben starten, im Wissen, dass ich das Konto schnell überziehen würde.
Bindungsangst als männliches Phänomen abzutun ist ein bisschen zu einfach, finde ich. Ich kenne Männer, die spätestens mit Anfang 40 eine ähnliche Torschlusspanik entwickeln wie Frauen, wenn sie noch keine Partnerin zur Erzeugung des Nachwuchses gefunden haben. Verfolgt von der panischen Angst, der Transfermarkt für weibliche Mitspieler könnte alsbald leer gefegt sein. Meinen Freund Toby konnte ich mittlerweile davon überzeugen, nicht ganz so offensiv mit der Tür ins Haus zu fallen, und nicht gleich beim zweiten Date zu erwähnen, wie sehr er Hochzeiten mag, und für die Treffen nicht gezielt Cafés in der Nähe von Kinderspielplätzen auszusuchen, damit er, sollte sich ein Kind verirren, gleich zeigen konnte, welch liebevoller Vater er doch wäre. Seitdem rennt er mit Karacho die Hintertür ein, indem er schlecht verklausulierte Disclaimer voranschickt: «Also, nicht, dass du jetzt denkst, ich wollte dich gleich … es ist nicht so gemeint, wie es jetzt klingt, aber ich dachte, fragen kann man ja mal, also wie sieht es denn so aus bei dir, langfristiger, ohne dass ich jetzt gleich final …, aber Kinder und so, also nur prinzipiell, hat jetzt nichts mit uns zu tun …»
Für Toby hat sich nur eines geändert: Früher flog er vorne raus und kam hinten wieder rein. Heute geht er hinten rein und fliegt vorne wieder raus. Und die Frau schließt sowohl vorne als auch hinten zweimal ab.
Umgekehrt habe ich Frauen erlebt, die Männer auf Distanz zappeln ließen, als Affäre, friends with benefits