Nevernight

Jay Kristoff

Nevernight

Die Rache

Roman

Aus dem australischen Englisch von Kirsten Borchardt

FISCHER E-Books

Über Jay Kristoff

Jay Kristoff verbrachte den Großteil seiner Jugend mit einem Haufen Bücher und zwanzigseitiger Würfel in seinem spärlich beleuchteten Zimmer. Als Master of Arts verfügt er über keine nennenswerte Bildung. Er ist zwei Meter groß und hat laut Statistik noch 13.020 Tage zu leben. Zusammen mit seiner Frau und dem faulsten Jack-Russell-Terrier der Welt lebt er in Melbourne. Jay Kristoff glaubt nicht an Happy Ends.

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.tor-online.de und www.fischerverlage.de

Über dieses Buch

Die Großen Spiele enden mit dem kühnsten Mord in der Geschichte der itreyanischen Republik – nur leider erwischt es den falschen. Der Konsul Julius Scaeva überlebt das Attentat, und seine Macht im Staat ist nun beinahe grenzenlos. Genauso wie sein Hass auf Mia Corvere.

Gejagt von den Assassinen der Roten Kirche und den Soldaten der itreyanischen Republik bricht Mia zu ihrer letzten großen Reise auf, um das Geheimnis ihrer Herkunft zu lüften und herauszufinden, wie sie Scaeva besiegen kann. Doch sie muss sich beeilen, denn das nächste Wahrdunkel naht, und Nacht fällt über die Republik.

Impressum

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Darkdawn« bei Thomas Dunne Books, St. Martin’s Press, New York

© 2019 Neverafter PTY LTD.

 

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2020 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

Covergestaltung: Guter Punkt, München, nach einer Idee und mit einem Motiv von Jason Chan

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

 

ISBN 978-3-10-490931-8

Fußnoten

Teenagerhormone, edle Freunde. Was soll man dazu sagen?

Von den drei Draken-Gattungen, die man in den Meeren von Itreya findet – Weißdraken, Säbeldraken und Sturmdraken –, sind die Sturmdraken bei weitem die dümmsten. Diese Viecher fressen buchstäblich alles, was in ihre Mäuler passt, also auch Artgenossen und die eigenen Jungtiere. Eine vollständige Liste aller Seltsamkeiten, die man in den Mägen von Sturmdraken bisher fand, wird in den zoologischen Archiven des Ehernen Kollegs aufbewahrt und umfasst unter anderem:

  • eine komplette Panzerrüstung,

  • eine Chaiselongue aus Leder,

  • eine sechs Fuß lange Blattsäge,

  • eine ganze Familie (vermutlich sehr erzürnter) Stachelschweine.

Die Gewohnheit, alles zu fressen, was auch nur halbwegs interessant aussieht, hat ihnen bei den itreyanischen Fischern den Spitznamen »Mülltonne der Meere« eingetragen.

Vier Fuß, sechs Zoll.

Wie ihr euch vielleicht erinnert, edle Freunde, halten sich selbst die mordlustigen Bastarde der Roten Kirche bei ihren Operationen an eine Art Kodex, der als das Rote Versprechen bekannt ist. Seine fünf Grundsätze lauten wie folgt:

  • Unvermeidlichkeit: In der Geschichte der Roten Kirche blieb nicht eine Opfergabe, die je in Auftrag gegeben wurde, unerfüllt.

  • Unantastbarkeit: Wer die Kirche mit einem Anliegen beauftragt hat, kann nicht zum Ziel eines anderen Auftrags werden.

  • Geheimhaltung: Die Kirche spricht nicht über die Identität ihrer Auftraggeber.

  • Treue: Eine Klinge darf nur einem Auftraggeber zur selben Zeit dienen.

  • Hierarchische Freigabe: Alle Opfergaben müssen von dem Herrn respektive der Herrin der Klingen oder aber der Verehrten Mutter respektive dem Verehrten Vater abgesegnet werden.

Es sollte darauf hingewiesen werden, dass das Rote Versprechen noch niemals von einer Klinge der Kirche gebrochen wurde. Die Anhänger Unserer Hohen Frau gesegneten Mordes nehmen es sehr ernst und geben sich außerordentliche Mühe, damit es gewahrt bleibt. Eine berühmte Geschichte dazu erzählt von einer Klinge namens Forde, die den Auftrag erhielt, Agvald III., den König von Vaan, zu ermorden.

Agvald interessierte sich mehr für Ausschweifungen als für die Regierung seines Reiches, und nachdem man mehrere Runden lang den Hut hatte herumgehen lassen, bekamen seine Höflinge auch endlich das nötige Kleingeld zusammen, um jemanden vom Fach mit seiner Beseitigung

zu beauftragen. Und so schlich sich Forde in der Nimmernacht der dreißigsten Geburtswende des Königs in dessen Schlafgemach und wartete im Dunkeln auf ihr Opfer.

Agvald hatte beschlossen, seinen Dreißigsten angemessen zu begehen. Nach einem ausgiebigen Trinkgelage mit seinen Höflingen zog er sich mit sechs Konkubinen und einem ganzen Spanferkel in sein Boudoir zurück. Während der folgenden Exzesse versuchte Agvald, eine große Portion Rippchen zu verzehren, während ihn drei seiner Favoritinnen gleichzeitig beglückten. Leider erforderte dies eine größere Koordination als erwartet, und im Gegensatz zu seinen Damen atmete der König im falschen Augenblick ein, anstatt zu schlucken.

Agvald stürzte zu Boden, umklammerte seine Kehle und lief allmählich blau an. Aber während die königlichen Konkubinen ihm gebannt dabei zusahen, trat Forde aus den Schatten und klopfte dem König so lange auf den Rücken, bis der den verräterischen Rippenknochen hochgehustet und quer durch sein Schlafgemach gespuckt hatte. Forde bot dem König daraufhin einen Becher Wasser an, damit er sich wieder beruhigte. Und nachdem der Souverän seine Gelassenheit zurückerlangt hatte, stach ihm die Klinge sechsmal ins Herz und schnitt ihm die Kehle von einem Ohr zum anderen durch.

»Warum?«, schrie eine der entsetzten Konkubinen. »Wieso rettet Ihr ihm erst das Leben, um ihn dann zu töten?«

Die Klinge ließ den Blick über das Schweinerippchen gleiten und zuckte die Achseln.

»Ich hatte das Versprechen abgelegt, es selbst zu tun.«

Ihr werdet euch vielleicht noch erinnern, dass sich die Diener der Hohen Frau gesegneten Mordes in zwei Gruppen aufteilen: Klingen, die als Assassinen in die Republik ausgesandt werden, und Gehilfen, die so gut wie alles andere erledigen. Obwohl viele, die dem Orden der Dunklen Mutter beitreten, zunächst zum Ziel haben, in ihrem Namen zu morden, besitzen doch nur wenige jene einzigartige Mischung aus Geschick, Gefühllosigkeit und Irrsinn, die es braucht, um ein professioneller Auftragsmörder zu werden.

Die meisten, die der Kirche beitreten, enden tatsächlich als Helfer in der Versorgung und Verwaltung, was nicht besonders romantisch ist und kaum Stoff für großartige, epische und phantastische Erzählungen bietet. Aber die durchschnittliche Lebenserwartung einer Klinge liegt bei fünfundzwanzig Jahren, während die meisten Gehilfen tatsächlich ein gesegnetes Alter erreichen.

Wäre es euch lieber, dass man Bücher über euch schriebe, oder würdet ihr lieber lange genug leben, um Bücher über andere zu lesen, edle Freunde?

Beides zugleich ist uns nur selten vergönnt.

Nach alter itreyanischer Überlieferung wurden die Toten einst Niahs Fürsorge überantwortet, die sie auf ewig in ihrer liebenden Umarmung hielt. Aber nachdem die Mutter in Ungnade gefallen war, wurde beschlossen, dass Niahs Tochter Keph sich an ihrer statt der rechtschaffenen Toten annehmen sollte. Tsana, die Göttin des Feuers, schuf in Kephs Domäne eine mächtige Esse, um die Toten warm zu halten. Und dort wohnen sie in Licht und Glückseligkeit bis zum Ende der Welt.

Grausamen Seelen hingegen bleibt ein Platz am Feuer verwehrt. Sie, die als die Essefernen bezeichnet werden, spielen eine große Rolle in der itreyanischen Sagenwelt und werden für beinahe alles verantwortlich gemacht, was im Alltag schiefläuft. Wenn Schafe von der Weide verschwinden – klarer Fall, das waren die Essefernen. Wenn man seine Schlüssel verlegt hat – auch das ist die Schuld der verdammten Essefernen. Wenn das letzte Zuckertörtchen verspeist wurde – nein, Liebste, ich war es nicht, es waren die Essefernen!

Warum es die Menschen aller Zeiten vorziehen, Übernatürliche zu Sündenböcken zu machen, statt für den eigenen Scheiß geradezustehen, ist eines der großen Geheimnisse der Welt.

Allerdings kann man sich wirklich gute Gruselgeschichten über sie erzählen.

Grabgebein ist ein eigenwilliges Material, das nur an einem Ort in der ganzen Republik zu finden ist – in den Rippen und dem Rückgrat im Herzen Gottesgrabs. Es ist so leicht wie Holz, aber härter als Stahl, und die Geheimnisse seiner Verarbeitung gingen inzwischen verloren – oder werden vom Ehernen Kolleg streng bewacht. Selbst wenn ein kühner Dieb das richtige Werkzeug hätte, um sich ein Stück davon abzuschlagen – die Verunstaltung der Rippen oder des Rückgrats ist ein Verbrechen, das mit Kreuzigung geahndet wird.

Waffen und Rüstungen aus Grabgebein sind entsprechend wertvoll. Der Besitz eines Gegenstands aus diesem legendären Material ist ein sicheres Zeichen für Prestige und Wohlstand, und der itreyanische Adel war dafür bekannt, diese Dinge zu horten. Vor der Rebellion, die ihren Ehemann das Leben kostete, sammelte Königin Isabella, die Gattin Francescos XV., grabbeinerne Kuriositäten aller Art – angeblich mit der Absicht, einmal ein Museum für »die kleinen Leute« zu eröffnen, wie sie die Gottesgraber Bürger so gern nannte.

Zu ihrer Sammlung grabbeinerner Spielereien zählten Brieföffner, Schuhanzieher, Beißringe, eine Vielzahl von Haarbürsten, Kämme und Nadeln, ein vierundsiebzigteiliges Tafelservice und ein Dutzend spezieller, von mindestens sieben verschiedenen itreyanischen Königinnen in Auftrag gegebener Spielzeuge für den ganz besonders intimen Einsatz.

Wer sagt denn, dass Geld nicht doch glücklich machen kann?

Gab es nicht. Alle Pläne für eine illustrierte zweite Auflage wurden aufgegeben, nachdem sich Fiorlinis Gattin mit den Umsätzen der ersten aus dem Staub machte, begleitet von ihrem liisianischen Hausdiener Lorenzo und ihrem Hund Teekeks.

Die Hafenmeisterei von Gottesgrab zählt zu den einflussreichsten Positionen in der ganzen Stadt. Vor vielen Jahren wurde der Posten durch die Administratii vergeben, aber die Tatsache, dass sich bei den Kontrollen dessen, was nach Gottesgrab hinaus- und hineintransportiert wurde, enormer Profit machen ließ, weckte schließlich auch die Aufmerksamkeit der örtlichen Braavi – der Diebe, Erpresser und Schläger, die das organisierte Verbrechen Gottesgrabs ausmachten.

Es floss reichlich Blut, und die Hafenmeister lagen schneller flach als Frischverheiratete in der Hochzeitsnacht. Bis schließlich Julius Scaeva vorschlug, die Verbrecherbanden selbst bestimmen zu lassen, wer dieses Amt übernahm – ein politischer Geniestreich, durch den er nicht nur in der Gunst der städtischen Kaufleute stieg (die einfach nur wollten, dass ihre Ladungen pünktlich gelöscht wurden), sondern auch bei den Braavi (die auch allmählich keine Lust mehr hatten, alle paar Wochen einen neuen Hafenmeister aus dem Weg zu räumen) und bei den Administratii (die inzwischen nämlich große Schwierigkeiten hatten, irgendjemanden zu finden, der blöd genug war, den Posten anzutreten).

Nach einer gründlichen Diskussion einigten sich die Banden. Es wurde ein neuer Hafenmeister ernannt, die Morde hörten auf, und jeder kümmerte sich wieder darum, säckeweise Geld zu verdienen – übrigens auch Julius Scaeva, der zudem die ebenfalls geniale Idee gehabt hatte, den Hafenmeister ein Prozent Zins aller Profite an das Konsulat abführen zu lassen.

Die Schwesternschaft der Flamme, ein Ableger der Priesterschaft des Aa, verehrt Tsana, die Herrscherin des Feuers. Sie besteht ausschließlich aus Frauen, die ein Gelübde der Keuschheit, Bescheidenheit, Armut und Enthaltsamkeit ablegen und ihr Leben zumeist in stiller Einkehr innerhalb von Tempelmauern verbringen.

Es sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Tsana nicht nur die Schutzherrin der Frauen ist, sondern auch die der Kriegerinnen und Krieger, und dass die Mitglieder der Schwesternschaft nicht nur Künste wie Buchmalerei, Kräuterkunde und Geburtshilfe erlernen, sondern auch an Bogen, Schild und Schwert ausgebildet werden.

Es hat nicht nur mit dem Keuschheitsgelübte zu tun, dass man es sich zweimal überlegen sollte, ob man eine Tsana-Schwester aufs Kreuz legen will, edle Freunde.

So einen Service gibt es für zwei Bettler in jedem durchschnittlichen Hafenbordell, sogar mit einem Bier umsonst dazu, wenn der Kneipenwirt gute Laune hat.

Man darf nie die eigene Gesundheit vernachlässigen, edle Freunde. Immer schön auf sich selbst achten.

Die chartum liberii werden von jedem Sklaven der Republik Itreya heiß begehrt. Man nennt sie, da sie auf rotem Pergament verfasst sind, auch Rotzettel, und sie belegen, dass der Besitzer sich entweder selbst freigekauft oder dank eines gnädigen Herrn oder eines staatlichen Edikts seine Freiheit erlangt hat.

Aufgrund komplizierter arkemischer Prozesse des Ehernen Kollegs sind die Rotzettel so gut wie fälschungssicher und haben daher einen enorm hohen Wert. Rund um ihren Verkauf und Wiederverkauf ist ein florierender Schwarzmarkt entstanden, und kluge Rotzettel-Anbieter können sehr schnell sehr reich werden. Weniger kluge beschließen ihr Leben selbst in Sklaverei, ebenso wie ihre Verwandten, Freunde, Kollegen, Familia und Haustiere. Schließlich schmiert das Öl des Sklavenhandels die Wirtschaft der gesamten Republik.

Und wer versucht, das System zu ficken, der kann davon ausgehen, dass es einen derb zurückfickt, edle Freunde.

Das waren, wie sich herausstellte, fünf. Sechs, wenn man die mitzählte, die auf seinem Rücken ritt.

König Francisco III. ließ die Irrgärten von Weißfeste zur Unterhaltung seiner Mätressen anlegen (und um seine Affären vor seiner Braut Annalise geheim zu halten); heute zählen sie zu den großen Schätzen der Stadt. Die Irrgärten erstrecken sich über Meilen, und in den Jahren seit dem Fall der Monarchie haben sie sich zu einem beliebten Treffpunkt für Liebespaare entwickelt, wo nicht nur Händchen gehalten, sondern wie in einem Karnickelbau gerammelt wurde.

Ein berüchtigter Priester der Kirche des Aa, Marcus Suitonius, wandte sich in dem Ansinnen an den Senat, für eine »moralische Erneuerung« zu sorgen. Er beschwerte sich lauthals, man könne »keinen Stein in den Irrgarten werfen, ohne einen Unzüchtigen zu erschlagen«, und er schwor, dem unsittlichen Treiben ein Ende zu setzen. Leider gerieten seine Bemühungen für eine »Stärkung von Anstand und Moral« ein wenig ins Stocken, als man ihn dabei erwischte, wie er ausgerechnet in den Irrgärten, für deren Säuberung er sich so starkgemacht hatte, einen Freudenjungen pimperte, und bis heute sind die Gärten ein Zufluchtsort, in dem sich jeder Bürger der Republik, mit wem er auch immer möchte, das Hirn rausvögeln kann.

Es geht doch nichts über ein bisschen Romantik.

Arkemistensalz ist die kristallisierte Variante des Treibstoffs, mit dem viele der wundersamen Gerätschaften betrieben werden, die es in der Republik gibt, wie beispielsweise die Streitgänger und die großen Mekwerke unter den itreyanischen Arenen, aber auch ganz alltägliche Gegenstände wie Flintsteinfeuerzeuge und arkemische Laternen.

Der Treibstoff wird in einem recht gefährlichen Prozess so weit reduziert, bis er eine feste Form annimmt. Das auf diese Weise gewonnene Salz ist hochexplosiv; es ist verboten, es außerhalb des Ehernen Kollegs herzustellen. Allerdings liegt der Ertrag für ein Pfund Salz fünfmal höher als für den flüssigen Treibstoff, und das bedeutet, dass Schmuggler fünfmal mehr Gewinn machen, wenn sie sich dazu durchringen können, eine Bombe in ihr Schiff zu verladen.

Ein berühmter Vorfall ereignete sich mit einem Schiff namens Eisenzausel, das im Hafen von Lanzenrot vierzig Tonnen Arkemistensalz an Bord nahm, die jedoch schlecht gesichert wurden. In der Nimmernacht, bevor die Eisenzausel auslaufen sollte, beschloss ein betrunkener Matrose, der dringend eine rauchen wollte, sich über das absolute Verbot jeglichen offenen Feuers hinwegzusetzen, an das der Käpt’n seine Mannschaft nicht nur ein-, sondern zwanzigmal erinnert hatte, und schlich sich in den Laderaum, um sich dort einen Zigarillo anzustecken. Die anschließende Explosion konnte man bis Sturmwacht hören.

In Hafentavernen fällt heute noch gelegentlich der Ausdruck »den Zausel machen«, wenn man von einer Sache spricht, die besonders spektakulär in die Hose gegangen ist.

Ganz ehrlich, diese Redewendung fand ich schon immer seltsam. Mag sein, dass das Gemächt eines Esels von der Größe her an einem durchschnittlichen Kleinmann ziemlich beeindruckend wirken würde, aber generell sind die diesbezüglichen Proportionen eines Esels recht ausgewogen, wenn man sie mit anderen Exemplaren der itreyanischen Tierwelt vergleicht, jedenfalls, wenn man den Annalen der zoologischen Abteilung des Ehernen Kollegs Glauben schenken mag.

Der Weißdraken beispielsweise, das größte Raubtier der itreyanischen Meere, hat eine durchschnittliche Körperlänge von fünfundzwanzig Fuß, während seine Liebesharpune beinahe drei Fuß misst – ein Verhältnis von beinahe zehn zu eins. Liisianische Schwarzbullen sind beinahe sieben Fuß groß und haben eine Lanze von bis zu dreieinhalb Fuß, ein Verhältnis von fast zwei zu eins. (Interessanter Fakt am Rande: Wenn liisianische Bauern die überzähligen männlichen Kälber schlachten, heben sie die Penisse oft auf, lassen sie trocknen und verfüttern sie später an ihre Hunde, ein Leckerli, das als »Bullenhappen« bekannt ist.)

Das Bild des Schinder-Tintenfischs – ein hakenbewehrter Schrecken der Sternensee – wird noch erschreckender, wenn man weiß, dass sein Kindermacher so lang ist wie der gesamte Körper (ja, und außerdem auch einen Haken hat). Aber der sichere Gewinner in diesem zeitlosen Wettstreit, der Schwertmeister, der absolute capan de phalli capanni, ist überraschenderweise die ansonsten eher bescheidene gemeine Seepocke, deren kleiner Unterwasser-Admiral sich strecken kann, bis er fünfzigmal so lang ist wie ihr ganzer Körper.

Um das einmal ins Verhältnis zu setzen: Es wäre so, als hätte ein Mann von durchschnittlicher Größe einen Phallus von 300 Fuß.

Dankt euren Göttern, meine edlen Damen und Herren, dass dem nicht so ist.

Dankt verdammt nochmal euren Göttern.

Verbrecher vielleicht, aber nicht gesetzlos. Wie die meisten Beschäftigungen ist auch das Piratenleben in der Republik Itreya streng reglementiert. Die itreyanische Marine ist zwar Teil einer sehr beeindruckenden Militärmaschinerie, edle Freunde, und könnte einen einzelnen Freibeuter mit Leichtigkeit zerquetschen. Aber die Vier Meere sind ziemlich groß, und sie kann nicht an allen Orten gleichzeitig sein.

Es ist nun einmal so, edle Freunde – egal, was man besitzt, es gibt immer irgendwo jemanden, der es einem wegnehmen will. Und das trifft besonders auf Kerle zu, die eine Schwäche für Grog und Augenklappen haben.

Nach der Schlacht von Meereswall waren die itreyanischen Freibeuter gegenüber der Idee einer übergreifenden Zusammenarbeit sehr aufgeschlossen, aber es stellte sich schnell heraus, dass eine anarchistische Regierungsform für dieses Rudel diebischer Arschlöcher nicht das Richtige war. Wenn jede Stimme zählte, könnte das zu der irrigen Annahme verleiten, dass auch jeder das Recht hatte, seine Meinung zu sagen. Vielleicht ist das theoretisch auch so. Theoretisch hat auch jeder das Recht, einmal an jeder Wende kacken zu gehen, aber davon will ich auch nichts hören.

Seltsamerweise stellte man fest, dass ausgerechnet die Monarchie die ideale Lösung für die Piratenzunft darstellte. Und zwar keine Monarchie zum Fähnchen schwenken, sondern eine »Entweder du tust, was ich dir sage, oder wir schneiden alle, die du liebst, in Streifen und verfüttern sie an die Draken«-Monarchie.

Eine derart zentralistische Regierungsform ermöglichte zudem ein nettes Arrangement mit der itreyanischen Marine. Dort akzeptierte man, dass eine gewisse Anzahl von Schiffen pro Jahr geplündert würde, solange die Piraten für den Fall, dass diese Zahl überschritten würde, ihre Kollegen selbst zur Rechenschaft zögen und es der Marine ersparten, alle Vier Meere nach den Schuldigen zu durchstreifen.

Wenn das mal keine vernünftige Lösung ist.

Sonnenstahl ist die traditionelle Waffe der Luminatii, die an alle Kämpfer vom Rang eines Zweiten Speers und darüber ausgegeben wird. Die Geheimnisse seiner Herstellung werden streng geschützt, und die Schmiede der Luminatii müssen der Legion zwanzig Jahre lang treu gedient haben, bevor man sie in diese Kunst einweiht.

Theoretisch war es einmal so gedacht, dass nur die gottesfürchtigsten Gläubigen in der Legion des Aa in der Lage sein sollten, den Stahl zu entzünden, aber tatsächlich ist nicht jeder Luminatii ein humorloser, frömmelnder Idiot. Falls ihr mit dem Gedanken spielt, dort einzutreten, edle Freunde, dann lasst euch sagen, dass man mit einem Schwert, das auf Kommando zu brennen anfängt, jede Menge Spaß haben kann.

Ihr solltet euch nur nicht von euren Offizieren dabei erwischen lassen, wie ihr damit eure Wäsche trocknet oder einer Dona den Zigarillo anzündet.

Jetzt aber mal im Ernst: Einar Valdyr, genannt der Gerber, der Schwarzwolf von Vaan, Geißel der Vier Meere, ist der 107. König auf dem Halunkenthron und zweifelsohne einer der brutalsten Drecksäcke in der Geschichte der itreyanischen Republik.

Seinen ersten Mord – und zwar an seinem älteren Bruder Hakon – beging er im zarten Alter von zwölf Jahren mit einer Bratpfanne. Noch früher, mit zehn, verstümmelte er seinen jüngeren Bruder Jari schwer, indem er ihn den Hunden vorwarf. Angeblich tötete er seinen Vater an derselben Wende, an der er seiner Mutter die Zunge herausschnitt. So heißt es jedenfalls. Der Einzige, der je versuchte, diesem Gerücht auf den Grund zu gehen, war sein früherer Steuermann Oluf Dahlman, der daraufhin drei Monate lang gefoltert wurde (Valdyr ließ ihn bei rauschenden Festen aus dem Kerker schleppen und prügelte ihn dann zur Unterhaltung seiner Gäste mit glühenden Ketten). Seitdem hat niemand je wieder nachgefragt.

Valdyr wurde mit sechzehn als Sklave verkauft und kämpfte zwei Jahre lang unbesiegt bei Gladiatii-Veranstaltungen in und um Vaan für die Wölfe des Tacitus, wo er den Namen Schwarzwolf erhielt. Unter Aufsicht von Augustus, einem von Tacitus’ Söhnen, war er schließlich auf dem Weg zur Teilnahme an dem Venatus Magni, als ihr Schiff von einem liisianischen Freibeuter namens Giancarli angegriffen wurde. Valdyr tötete bei dem folgenden Kampf siebzehn Piraten und beeindruckte den Kapitän so sehr, dass dieser dem Sklaven einen Platz auf seinem Schiff anbot. Valdyr nahm seinen Vorschlag an und schnitt seinem früheren Herrn die Kehle durch.

Angeblich fickte er das Loch, das er dabei gerissen hatte, während Augustus an seinem eigenen Blut ertrank.

Ja, ihr habt richtig gelesen.

Zwölf Monate später hatte Valdyr Giancarli ermordet und dessen Schiff übernommen. Schon früh wurde er berühmt-berüchtigt, indem er drei Trireme der itreyanischen Marine versenkte, und die Tatsache, dass er das Entern eines Schiffs dem Beschuss durch Kanonen vorzog, brachte ihn in den Ruf eines blutrünstigen Kämpfers. Ungefähr zu dieser Zeit begann er damit, den Kapitänen, die er tötete, die Gesichtshaut abzuziehen und sie zu einem Ledermantel zusammenzunähen, der angeblich inzwischen so lang ist, dass ihm die Schöße wie eine Schleppe nachgetragen werden müssen. Diese Gewohnheit brachte Valdyr seinen zweiten Spitznamen »der Gerber« ein.

Nach fünf Jahren als Pirat und im reifen Alter von 23 Jahren ermordete Valdyr den 106. König, Salzspucker vom Meerspeer-Clan, und setzte sich selbst auf den Halunkenthron. Seit fünf Jahren herrscht er unangefochten über Itreyas Piratenzunft. Der bloße Anblick der Todesfee mit ihren ebenholzfarbenen Segeln genügt, damit sich der durchschnittliche Handelsfahrer die Gedärme aus dem Leib scheißt, und die Zahl der von ihm Getöteten liegt jüngsten Schätzungen zufolge bei 423 Männern, Frauen und Kindern.

Entschuldigung, edle Freunde, ich weiß, normalerweise würze ich diese Fußnoten mit ein wenig Humor. Aber glaubt mir einfach, wenn ich sage, dass es hier überhaupt nichts zu lachen gibt.

Es handelt sich um eine der erfolgreichsten Tavernen in Liis und sogar der gesamten itreyanischen Republik. Der ursprüngliche Besitzer des Etablissements, der »Rote« Giovanni, war ein Freibeuter, der seine unrechtmäßig erworbenen Reichtümer vernünftigerweise in ein Wirtshaus investierte, als Amai noch aus zwei vergammelten Stegen und einem windschiefen Schuppen bestand. In den Annalen des Ehernen Kollegs wird er zudem als Genie geführt, da er die großartigste Werbekampagne aller Zeiten ersann.

Giovanni hatte die Eingebung, dass man weder Tänzerinnen noch gutes Bier noch eine schöne Einrichtung benötigt, um die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen – man braucht lediglich einen Namen, den selbst der benebelteste, weggetretenste und sturzbesoffenste Gast nie mehr vergisst.

Im Zweifelsfall ist die einfachste Lösung eben doch die beste.

Es handelte sich um den Klassiker »Das Horn des Jägers«, in dem verschiedene junge Damen einem Wilderer namens Ernio kleine Lektionen dazu erteilen, was er alles so mit seinem beachtlichen Gerät anstellen kann … Aber lassen wir das.

In der Ernio entdeckt, dass es nicht ganz so einfach ist, in das eigene Horn …

Ach, ist ja auch egal.

So genannt, weil er einem garantiert ein Grinsen ins Gesicht zaubert, das von einem Ohr zum anderen reicht, edle Freunde.

Er starb bei dem missglückten Versuch, durch Erstickung zum Höhepunkt zu kommen, falls ihr euch das gefragt hattet.

Schwarzstahl, auch Eisenfeind genannt, war ein sagenumwobenes Metall, das die ysiirischen Sorcerii vor dem Sturz ihres Imperiums entwickelten. Man sagte, dass es aus Fragmenten der Sterne geschmiedet wurde, die hin und wieder vom nächtlichen Himmel herabstürzten. Schlaue Sorcerii gingen auf die Suche nach diesen Bruchstücken und schmiedeten aus dem Metall, das sie enthielten, unvergleichliche Waffen.

Schwarzstahl wurde niemals stumpf oder rostig und konnte unglaublich scharf geschliffen werden. Selbst ein kleines Stück dieses Materials war ein Vermögen wert – es war sogar wesentlich kostbarer als Grabgebein.

Wie Mauser an ein Schwert gelangt war, das vollständig aus diesem begehrten Metall bestand, ist nicht überliefert, aber ich würde darauf wetten, dass er keine Quittung für die Waffe hätte vorlegen können.

Der letzte Band einer ausgesprochen beliebten und für ihren unanständigen Inhalt berüchtigten Reihe namens Die Sechs Rosen, die das Leben und die unglaublichen Bettgeschichten von sechs Kurtisanen schildert, die am Hofe Franciscos X. lebten. Es handelte sich um biographische Werke, in denen viele hochrangige Höflinge sowie der König höchstpersönlich namentlich genannt wurden.

Der Inhalt war derartig explosiv und pikant (Kardinal Ludovico Albretti erlitt angeblich einen Herzinfarkt, als er die spannungsgeladene Bordellszene in Band 3 las), dass die Veröffentlichung des fünften Bandes in Gottesgrab einen größeren Aufstand auslöste. Die Reihe wurde schließlich von der Priesterschaft des Aa für illegal erklärt und auf Drängen Königin Ilses auch vom König verboten – obwohl Francisco X. die Bücher tatsächlich ziemlich großartig fand und nur auf ehelichen Druck zu dieser Maßnahme bereit war.

Die Autorin, Laelia Arrius, wurde lebenslänglich im Stein der Weisen eingekerkert und konnte die Reihe bedauerlicherweise nie beenden, weshalb der letzte Band sich schließlich in der Bibliothek der Toten wiederfand.

Ich selbst habe nur einmal durchgeblättert. Die Darstellung der politischen Zusammenhänge taugt nicht viel. Die schweinischen Stellen sind allerdings von allererster Güte.

Der Leviathan ist ein furchteinflößendes Raubtier der itreyanischen Meere und der natürliche Feind des Draken. Er besitzt hakenbewehrte Tentakel, einen rasiermesserscharfen Schnabel und vier große Augen von der Form einer Untertasse. Die Untiere leben sowohl in tiefem wie auch in flachem Wasser und werden gejagt wegen ihrer Tinte, die dokumentenecht, ein starkes Färbemittel und eine noch stärkere, halluzinogene Droge ist. Dweymeri benutzen die Tinte für ihre Gesichtstätowierungen und bei den Riten, die den Übergang zum Erwachsenalter begleiten, während sie für den Rest der itreyanischen Bevölkerung lediglich ein Mittel darstellt, um sich zuzudröhnen.

Tinte kann auf dreierlei Weise als Rauschmittel verwendet werden – man kann sie trinken, inhalieren oder spritzen. Die unterschiedliche Wirkungsweise ist schön zusammengefasst in diesem kleinen Gedicht, das auch gern von den Kindern Gottesgrabs beim Seilspringen oder ähnlichen Spielen aufgesagt wird.

Trinken macht dich müde,

Rauchen macht dich high,

Spritzen tun die Abgefuckten,

Sterben schnell dabei.

Morbide kleine Dreckskerle, was?

Die unheilige Natur der … äh … weiblichen Geschlechtsteile der mächtigen Niah wird unter Theologen erbittert diskutiert. Die meisten normalen Menschen hingegen sind felsenfest davon überzeugt, dass Niah welche hat, und sie zum Gegenstand von Flüchen zu machen wird tatsächlich von den Priestern der Kirche des Aa nicht nur toleriert, sondern mit Entschlossenheit gefördert.

Das sollte man niemals tun. Und wenn es zukünftige Kollegen auch noch so sehr beeindrucken würde. Zum einen ist rohes Fleisch schwerer verdaulich, zum anderen ist es voller übler Säfte.

Wenn man sich das Fleisch seiner Feinde einverleiben möchte, edle Freunde, sollte man sich stets die Zeit nehmen, es vorher zu kochen.

Königsmörder, das vielleicht älteste Trinkspiel in der itreyanischen Republik, war zunächst als »Bettler« bekannt. Die Regeln sind sehr einfach – in die Mitte des Tisches wird ein Glas gestellt, und die Mitspieler müssen versuchen, einen kupfernen Bettler hineinzuschnippen. Wem es gelingt, der darf einen anderen Spieler benennen, der daraufhin einen Schnaps trinken muss.

Der nominierte Spieler bekommt jedoch die Chance, sich zu »rächen«: Wenn er es schafft, mit seiner schwächeren Hand eine Münze in das Glas zu befördern, dann muss der erste Spieler zwei Gläser trinken. Allerdings hat auch der die Möglichkeit, auf Rache zu spielen, und wenn er seinen Bettler im Glas versenkt, dann verdoppelt sich die Zahl der Schnäpse ein weiteres Mal.

Man kann sich vorstellen, dass diese Racherunden bei beidhändigen Mitspielern die Zahl der zu konsumierenden Getränke schnell in astronomische Höhen schießen lassen. Die längste offizielle Racherunde fand Berichten zufolge zwischen Don Cisco Antolini und Francisco XI. bei der großen Gala zu Ehren der Krönung des genannten Monarchen statt. Ganze siebenundzwanzig Mal wurde der Bettler erfolgreich zwischen beiden hin

und her geschnippt, bis der König schließlich beim achtundzwanzigsten Versuch scheiterte.

Die Mathematiker unter euch werden schnell ausrechnen, dass der König damit in der Pflicht stand, 67108864 Gläser Goldwein zu trinken.

Francisco XI. war nicht der schlauste König, der je auf dem itreyanischen Thron saß, aber er stand zu seinem Wort. Da er seine Ehre nicht vor dem gesamten Hofstaat beschmutzt sehen wollte, beschloss der frischgekrönte Verlierer gegen den Rat seiner Königin, es zumindest zu versuchen. Er kippte 57 Gläser Goldwein, bevor er zusammenbrach, und trotz aller Anstrengungen seiner Ärzte starb er an der darauffolgenden Wende.

Die Regentschaft Franciscos XI. war die kürzeste in der Geschichte der itreyanischen Monarchie, aber bemerkenswerterweise fanden die meisten Untertanen sein Ende recht bewegend, und daher wurde das Spiel Bettler ihm zu Ehren in Königsmörder umbenannt.

Wenn man entweder von einem ehrlichen Idioten oder einem kompetenten Lügner regiert werden kann, entscheiden sich die meisten Leute für den Idioten.

Ach du Scheiße, denkt ihr jetzt bestimmt. Es ist schon eine Weile her, dass es die letzte Fußnote gab, wie kam denn das? Hatte es sich der Autor vielleicht zu Herzen genommen, dass jeder, der in seinem Buch vorkommt, sich schon darüber lustig machte, und beschlossen, für den letzten Teil des Romans darauf zu verzichten?

Das hättet ihr wohl gern, meine edlen Freunde.

Blutwespen sind fliegende, in der ysiirischen Wüste beheimatete Insekten, rotschwarz geringelt und ungefähr daumenlang. Und auch, wenn sie mit den wahren Schrecken der Wisperwüste, mit den Würgwürmern oder Kraken, nicht zu vergleichen sind, sind sie doch ziemlich eklige Drecksviecher. Ihr Stich ist ausgesprochen schmerzhaft, und seltsamerweise hat das Gift schwangerer Weibchen tatsächlich psychoaktive Eigenschaften. Menschen oder Tiere, die von einer werdenden Wespenmutter gestochen werden, drehen in ihrem Schmerz völlig durch, verletzen sich selbst oder greifen Lebewesen in ihrer Nähe an, um ihrem toxisch bedingten Leid ein Ende zu setzen. Herdentiere werden von ihren Artgenossen verstoßen oder, noch häufiger sogar, getötet, und es ist beobachtet worden, dass menschliche Opfer versucht haben, Selbstmord zu begehen, um ihrem Elend zu entfliehen.

Anschließend macht sich das Blutwespenweibchen daran, seine Eier in dem frischen Aas abzulegen. In einem solchen Gelege reifen mehr als einhundert Jungtiere heran, die etwa neun Tage später aus einer Blase ranzigen Blutes und verfaulenden Fleisches schlüpfen. Daher der etwas phantasielose Name.

Also, da habt ihr’s. Eine neue Fußnote. Und ich kann euch sagen, es sind noch jede Menge mehr in Vorbereitung, ihr undankbaren Drecksäcke.

Wenn ihr so große Literaturexperten seid, warum schreibt ihr dann nicht einfach selbst ein Buch?

Unter dem Imperator Julius Scaeva gibt es insgesamt achtundzwanzig itreyanische Legionen, und abgesehen von der Blutigen Dreizehnten – Itreyas berühmter Sklavenlegion – sind die Soldaten der Siebzehnten vermutlich die berüchtigtsten.

Unter der Führung von Caius »Decimus« Viridius (selbst ein Alumnus der Blutigen Dreizehnten) operiert die Siebzehnte am weitesten von der Zivilisation und von daher auch der Rechtsprechung Gottesgrabs entfernt und widmet sich dort der Aufgabe, den Frieden in einem größtenteils ungezähmten Land zu sichern, das über weite Strecken nur dem Namen nach zur Republik gehört. In einer so großen Region kann die Legion die Ordnung lediglich dank ihrer Reputation und nicht aufgrund ihrer tatsächlichen Präsenz aufrechterhalten. Und da wäre es wenig hilfreich, wenn man in dem Ruf stünde, kleine Kinder zu küssen und alten Damen mit ihren Marktkörben über die Straße zu helfen.

Entsprechend rücksichtslos ging die Einheit vor, als sich beispielsweise nach einer Steuererhöhung die Bevölkerung von Nuuvash erhob und die kleine Garnison itreyanischer Truppen zerstörte, die es dort gab. Die Siebzehnte, gut ausgebildet in Belagerungstechnik, nahm die Stadt schnell wieder ein. Aber Nuuvash war ein wichtiger Handelsknotenpunkt, so dass es schlicht nicht möglich gewesen wäre, sämtliche Bewohner zu köpfen. Daher führte Viridius die Strafe des »Rötelns« ein.

Die gesamte Bevölkerung, Männer, Frauen und Kinder, wurde in Gruppen zu je hundert Menschen zusammengefasst und gezwungen, nach dem Losverfahren Steine zu ziehen. Ein Zehntel davon war rot, und wer einen solchen bekam, wurde beiseitegeführt. Die übrigen neunzig wurden gezwungen, die zehn Verlierer zu steinigen.

Zwar ist nicht bekannt, wie groß die Zahl der Opfer am Ende war, aber eines wissen wir tatsächlich ganz genau: Bis zum Sturz der Republik erhoben sich die Menschen von Nuuvash nie wieder gegen Itreya.

Ohne euch hätte ich es auch nicht geschafft

Ich glaube, ich muss mich bei euch entschuldigen. Sowohl für das Ende des zweiten Teils von Mias Geschichte als auch für den aufgewühlten Zustand, in dem ich euch zurückließ. Seid versichert, dass dies nicht wieder vorkommen wird, denn schließlich folgt nun unser letztes gemeinsames Tänzchen. Wie versprochen wurdet ihr Zeuge von Mias Geburt, wurdet Zeuge ihres Lebens. Nun bleibt nur noch ihr Tod.

Aber bevor die Unanständigkeiten und das Gemetzel so richtig losgehen, gestattet mir eine letzte Auffrischung zugunsten all jener, deren Erinnerungsvermögen nicht so verlässlich ist wie das eures Erzählers. Und dann können wir endlich damit loslegen, unser mordlustiges kleines Miststück umzubringen, ja?

Mia Corvere – Assassine der Roten Kirche, Gladiatorin der Falken des Remus und jetzt die berüchtigtste Mörderin der itreyanischen Republik. Mia, Kind einer gescheiterten Rebellion, hat die letzten acht Jahre ihres Lebens damit zugebracht, eine tödliche Vendetta gegen die Männer zu führen, die ihre Familia zerstörten.

Nachdem sie entdeckte, dass die Rote Kirche am Mord an ihrem Vater beteiligt war, sagte sich Mia von den Assassinen los und verkaufte sich selbst an eine Gladiatorenstaffel. Nachdem sie die Großen Spiele von Gottesgrab gewonnen hatte, machte sie in schneller Folge eine Reihe erstaunlicher Entdeckungen:

Am Ende der Großen Spiele ermordete Mia Großkardinal Francesco Duomo. Anscheinend tötete sie auch Scaeva und brachte ihren Bruder in ihre Gewalt, bevor sie sich mit ihm in eine geflutete Arena voller Sturmdraken stürzte, dem fast sicheren Tod entgegen.

 

Herr Freundlich – Mias Vertrauter seit ihrer Kindheit. Er ist – je nachdem, wen man fragt – ein Dämon, Mitreisender oder Vertrauter, und er besitzt die Fähigkeit, die Angst eines Menschen zu verzehren. Er besteht aus Schatten und Sarkasmus. Trotz seines beißenden Humors ist er Mia offensichtlich in tiefer Zuneigung verbunden. Aber lasst ihn das bloß nicht hören.

Er erscheint in Gestalt einer Katze, obwohl sein Äußeres seinem eigentlichen Wesen nicht ganz gerecht wird.

 

Eclipse – ein weiterer Schattendämon. Sie war die Mitreisende von Lord Cassius, dem früheren Herrn der Klingen der Roten Kirche, und sie band sich an Mia, als Cassius starb.

Eclipse erscheint in Gestalt einer Wölfin, und sie und Herr Freundlich kommen genauso gut miteinander zurecht, wie man es Hunden und Katzen gemeinhin nachsagt.

 

Ashlinn Järnheim – eine Akolythin der Roten Kirche vaanianischer Abstammung. Ashlinn verriet die Meister, um ihren Vater Torvar zu rächen, und schaffte es beinahe, die Rote Kirche zu vernichten. Nachdem Mia ihre Pläne durchkreuzt hatte, trat Ashlinn in den Dienst von Kardinal Duomo, der sie mit der Aufgabe betraute, die Karte einer unbekannten Gegend im alten Ysiir zu besorgen – eine Karte, die für die Rote Kirche von entscheidender Bedeutung ist. Da sie selbst befürchtete, verraten zu werden, ließ Ashlinn sich die Karte mit spezieller arkemischer Tinte so auf den Rücken tätowieren, dass sie im Fall ihres Todes spurlos verschwinden würde.

Ashlinn half Mia bei ihrem Plan, die Großen Spiele zu gewinnen, und die beiden verliebten sich schließlich in einander.[1]

Und als ob das alles noch nicht gereicht hätte, enthüllte Scaeva zudem, dass er Mias Vater sei.

Dann wurde Ashlinn von den Assassinen der Roten Kirche angegriffen, aber von einer vertrauten, schattenhaften Gestalt gerettet …

 

Tric – ein Akolyth der Roten Kirche, halb Itreyaner und halb Dweymeri, der früher ebenfalls Mias Geliebter war. Er wurde von Ashlinn Järnheim ermordet, als sie versuchte, die Meister der Roten Kirche in ihre Gewalt zu bringen, und sein Leichnam stürzte vom Stillen Berg tief in den Abgrund.

Tric ist offenbar wieder ins Leben zurückgekehrt, wenn auch in einer dunklen, von Magik erfüllten Gestalt. Er zeigte sich Mia in der Nekropole von Galante, wo er sich ihr zwar nicht offenbarte, ihr aber mehrere kryptische Warnungen mit auf den Weg gab. Später rettete er Ashlinn vor den Angreifern der Roten Kirche.

Wie es ihm gelang, aus dem Reich der Schwarzen Mutter zurückzukehren, oder wieso er ausgerechnet seine Mörderin rettete, darüber kann nur spekuliert werden.

 

Der alte Mercurio – Mias Vertrauter und Mentor, bevor sie in die Rote Kirche eintrat. Mercurio war selbst lange Jahre eine Klinge der Kirche und diente ihr später als Bischof von Gottesgrab. Zwar ist er ein notorisch schlechtgelaunter alter Sack, aber er half Mia bei ihrem Plan, Duomo und Scaeva zu töten, obwohl ihm bewusst war, dass er damit den Zorn der Meister auf sich ziehen würde.

 

Julius Scaeva – dreimal hintereinander gewählter Konsul der itreyanischen Republik, bekannt als »Senator des Volkes«. Das Amt des Konsuls soll eigentlich stets von zwei Personen ausgefüllt werden, aber seit der Königsmacher-Rebellion vor acht Jahren hat Scaeva die alleinige Führung des Senats übernommen.

Er verlängerte seine Amtszeit und arbeitet seither mit der Roten Kirche daran, sich zum Imperator ernennen zu lassen und mittels einer Notstandsgesetzgebung dauerhaft die Macht über die Republik zu erlangen. Er überwachte die Hinrichtung von Mias Vater und verurteilte seine eigene Geliebte, Mias Mutter, zum Tod im Stein der Weisen, er entführte Mias kleinen Bruder und befahl, Mia selbst in einem Kanal zu ersäufen, obwohl er wusste, dass sie seine Tochter war.

Das Wort »Fotze« erscheint noch viel zu zahm für ihn.

Was uns auf eine andere Person bringt …

 

Drusilla – die Herrin der Klingen in der Roten Kirche, die trotz ihres hohen Alters zu den tödlichsten Assassinen der Republik zählt. Zwar behauptet sie, treu der Schwarzen Mutter Niah zu dienen, im Geheimen arbeitet sie aber daran, Scaeva die Herrschaft über die itreyanische Republik zu verschaffen.

Die Herrin der Klingen hegt eine Abneigung gegen Mia, seit ihre damalige Schülerin bei der Akolythenprüfung scheiterte. Es steht nicht zu vermuten, dass Mia seitdem in Drusillas Gunst gestiegen ist.

 

Solis – der Verehrte Vater und Shahiid der Lieder, Meister der Kampfkunst und der griesgrämigste Mensch der Welt. Er ist blind, lässt aber beim Fechten keinerlei Behinderung erkennen.

Mia brachte ihm bei ihrem ersten Fechtkampf im Stillen Berg eine Wunde im Gesicht bei. Er schlug ihr dafür den Arm ab. Seine Narbe behielt er, ebenso wie den Groll auf das Mädchen, das sie ihm beigebracht hatte.

 

Spinnentod – Shahiide des Saals der Wahrheiten und Herrin der Gifte. Mia war eine von Spinnentods begabtesten Akolythinnen, aber die Shahiide hatte ihr bereits die Gunst entzogen, noch bevor Mia beschloss, die Lehren der Kirche zu verraten.

Falls sie euch je ein Glas Goldwein anbietet, würde ich euch unbedingt dazu raten, es abzulehnen.

 

Mauser – Meister des Diebstahls und Shahiid der Taschen. Ein charmanter Kerl mit dem Gesicht eines jungen Mannes, den Augen eines alten und einem Faible für Damenunterwäsche.

Vor ihrem Verrat hatte Mauser nichts gegen Mia, aber man kann davon ausgehen, dass sie dank ihrer jüngsten Schweinereien inzwischen von seiner Geschenkeliste für das Große Zinsfest gestrichen worden ist.

 

Aalea – Meisterin der Geheimnisse und Shahiide der Masken. Die Zahl der Morde, die auf das Konto dieser verführerischen Schönheit gehen, wird nur durch die Zahl der Kerben an ihrer Bettkante übertroffen.

Sie mochte Mia vor ihrem Verrat tatsächlich sehr gern, aber wer sich seine Position als Meisterin der Roten Kirche erhalten will, kann sich keine Sentimentalitäten leisten.

 

 – eine der beiden Albino-Sorcerii, die der Roten Kirche dienen. Marielle ist Meisterin des Körperwebens, einer Form uralter Magik, die im untergegangenen Imperium von Ysiir praktiziert wurde. Sie kann Haut und Muskeln formen wie Ton, aber der Preis, den sie für diese Fähigkeit zahlt, ist hoch – ihr eigener Körper ist schrecklich deformiert, und es steht außerhalb ihrer Macht, etwas daran zu ändern.

Ebenso wie ihr Äußeres verstört die Tatsache, dass sie ihrem Bruder Marius ein wenig zu sehr zugetan ist.

 

Marius – der zweite Sorcerii, der im Stillen Berg dient. Marius ist ein Blutbeschwörer, der mit dem menschlichen Vitus arbeitet – er kann unter Zuhilfenahme von Blut Nachrichten übermitteln, es allein durch die Kraft seiner Gedanken manipulieren und Menschen und Objekte aus organischen Stoffen mittels der Blutbäder in den Kapellen der Roten Kirche über weite Strecken transportieren. Dank Marielles Künsten ist er unvergleichlich attraktiv.

Er tötete Ashlinns Bruder Osrik während des Luminatii-Angriffs auf den Berg, und er steht in Mias Schuld, da sie ihm das Leben rettete.

 

Aelius – der Chronist des Stillen Berges. Aelius ist der Meister des großen Athenaeums der Roten Kirche, einer riesigen und stetig wachsenden Bibliothek aus Büchern, die entweder zerstört wurden, im Laufe der Zeit verlorengingen oder überhaupt niemals geschrieben wurden. Er liegt im Streit mit den riesigen fleischfressenden »Bücherwürmern«, die im Dunkel zwischen den Regalreihen unterwegs sind, und seine Aufgaben werden zusätzlich durch den Umstand erschwert, dass er, wie alles andere in der Bibliothek der Schwarzen Mutter, tot ist.

Aber auch Tote brauchen etwas, wofür sie leben können …

 

 – eine Gehilfin der Roten Kirche, die Versorgungskarawanen für die Rote Kirche durch die Wisperwüste Ysiirs führt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten wurden sie und Mia Freundinnen und Vertraute.