Hortense Ullrich

How to be really bad

Roman

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

Über Hortense Ullrich

Hortense Ullrich ist im Saarland geboren und in Bad Homburg aufgewachsen. Nach ihrem Design-Studium in Wiesbaden arbeitete sie in einer Werbe- und PR-Agentur in Frankfurt. Nachdem sie bei verschiedenen Fachzeitschriften Redakteurin, Ressortleiterin und Chefredakteurin war, entschloss sie sich, Drehbuchautorin zu werden. Inzwischen lebt sie als erfolgreiche Autorin zahlreicher Kinder- und Jugendbücher mit ihrer Familie in Bremen.

Über dieses Buch

Eine turbulente Liebesgeschichte zwischen himmlischen Gefühlen und höllisch viel Stress!

 

Nein, das war nicht die beste Idee, die der Teufel da hatte: seine Tochter Lilith als Austauschschülerin zu den Menschen zu schicken. Ein Jahr bei einer fremden Familie wird ihr helfen, sich an Regeln zu gewöhnen und Disziplin und Ordnung zu lernen. Dachte er. Schließlich soll sie später mal die «Firma» übernehmen. Doch Lilith denkt nicht daran, sich an die Spielregeln zu halten! Sie hat höllisch viel Spaß – bis sie sich verliebt. Verliebt? Teufel können sich doch gar nicht verlieben. Katastrophe! Denn nun ist die Hölle los ...

 

«Hortense Ullrichs schneller Witz ist unschlagbar.»

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

 

«Hortense Ullrich treibt die Handlung pointensicher, gespickt mit absurden Slapstickszenen, voran.»

DEUTSCHLANDFUNK

Impressum

Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Februar 2013

Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Lektorat Silke Kramer

Umschlaggestaltung: any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt

(Illustration: thinkstock)

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Buchausgabe 978-3-499-21648-0 (1. Auflage 2013)

ISBN Digitalbuch 978-3-644-46481-0

www.rowohlt-digitalbuch.de

ISBN 978-3-644-46481-0

Kapitel 1

«Aber Lilith, ich meine es doch nur gut mit dir.»

Oh Boy, jetzt kam diese Nummer wieder. Mein Vater müsste doch in all den Jahren gelernt haben, dass er damit bei mir nicht durchkommt. Im Ernst jetzt – wenn Eltern nicht weiterwissen, bringen sie als letzten, verzweifelten Versuch diesen Satz. Wenn wir dann nicht reumütig einlenken, fangen sie an zu brüllen.

Was erwarten sie eigentlich, wenn sie so was sagen? Dass Teenager dann erstaunt ausrufen: «Ach so, du meinst es nur gut! Das ist natürlich was anderes! Dann ändere ich auf der Stelle meine Meinung!»

Meine Güte! Solche Gespräche führten wir in regelmäßigen Abständen. Na gut, ich würde ihm alles noch einmal ganz langsam und freundlich erklären müssen.

«Paps, du machst mir schon wieder Vorschriften. Ich bin doch kein kleines Kind mehr, ich bin erwachsen.»

«Also, genau genommen bist du ein Teenager. Und davon abgesehen räumen Erwachsene durchaus ihre Zimmer auf.»

Noch hatte ich Geduld mit ihm: «Wenn ich aufräume, finde ich nichts mehr.»

«Eigentlich ist es umgekehrt.»

«Nicht bei mir. Damit würde ich mir nur mein Leben schwermachen. Und das willst du doch nicht, oder?» Ich sah ihn ganz lieb lächelnd an. Das brachte ihn meistens etwas aus dem Konzept.

Hach! Es funktionierte.

Er zögerte, schluckte und biss sich leicht auf die Lippen. Na bitte. Ich wollte schon aufstehen und gehen, denn ich hielt unser Gespräch für beendet, da stoppte er mich mit einer Handbewegung und bedeutete mir, ich solle mich wieder hinsetzen.

Ach? Kam noch was?

Tatsächlich, er nahm einen neuen Anlauf und bemühte sich sogar um einen neutralen Tonfall, als er sagte: «Mit etwas mehr Ordnung und Disziplin würdest du dir dein Leben einfacher machen. Wenn du morgens dein Outfit zusammenstellst, musst du die Kleider, die du für nicht angemessen hältst, ja nicht auf den Boden werfen, sondern du legst sie wieder zurück in den Schrank. Es stehen immer mindestens fünf halb leergetrunkene Mineralwasserflaschen in deinem Zimmer herum, da frage ich mich: Wieso? Schmeckt immer nur die obere Hälfte des Wassers gut? Und ganz zu schweigen von den Tellern mit Essensresten, die so alt sind, dass sie sich einen Pelzüberzug zulegen. Wieso musst du überhaupt in deinem Zimmer essen?»

Ich sah ihn streng an und sagte: «Paps! Du hörst mir gar nicht zu. Ich hab dir doch eben erklärt, wie das bei mir funktioniert!»

Er unterdrückte erst einen Wutausbruch, dann einen Seufzer. Er versuchte, ruhig durchzuatmen und sagte schließlich: «Lilith, kannst du es nicht mir zuliebe tun?»

«Wenn ich etwas dir zuliebe tun soll, dann kann ich ja dein Zimmer aufräumen. Aber wieso meins? Du bist doch nie in meinem Zimmer, wieso ist es für dich so wichtig, dass mein Zimmer aufgeräumt ist?»

Seine Augen funkelten bereits wütend, jetzt musste ich schnell die Universalwaffe zum Einsatz bringen.

Ich machte ein unglaublich enttäuschtes Gesicht, bemühte mich um ein, zwei Tränchen und stammelte: «Warum tust du mir das an?»

Bingo! Das war’s. Er schwieg.

Aber nicht lange.

Er sah mich an und meinte in sehr energischem Vaterton: «Lilith du musst dich ändern. Du wirst Pflicht, Ordnung und Disziplin lernen.»

«Wofür brauche ich das?»

«Für … Weil ich es sage!»

Na bitte, er weiß es selbst nicht. So endet es immer. Wenn er keine Argumente mehr hat, dann kommt dieser Satz.

«Du wirst eine Zeitlang unter den Menschen leben.»

«Ach? Wie denn das?»

«Als ganz normaler Teenager. Zur Schule gehen. Dich in eine Gemeinschaft einfügen. Pflichten und Aufgaben übernehmen. Dich an Regeln und Vorschriften halten. Kurz: Du musst lernen, dass du nicht einfach tun und lassen kannst, was du willst.»

Mein Vater, der Träumer. Ich musste lächeln.

«Wie stellst du dir das vor? Du ziehst mit mir in eine Reihenhaussiedlung, meldest mich in einer Schule an, gehst zu Elternabenden?»

«Nein, ich nicht. Nur du. Du wirst in einer Familie mit anderen Kindern deines Alters leben.»

«Und du meinst, es fällt der Familie nicht auf, wenn plötzlich ein Kind mehr am Tisch sitzt?»

«Du wirst an einem Schüleraustausch teilnehmen. Teenager in deinem Alter machen das oft. Ich schicke dich als Austauschschülerin zu einer Familie.»

Ich lachte herzlich. «Guter Witz!»

An dieser Stelle sollte ich vielleicht erwähnen, dass mein Vater der Teufel ist. Wörtlich. Er heißt Luzifer, ich bin seine Tochter, und mein Leben ist die Hölle. Echt jetzt. Kein Spruch. Ich lebe in der Hölle. Paps ist der Teufel. Der Boss. Und ständig nervt und nörgelt er. Er nennt es «Erziehung», ich nenne es «Einmischung in mein Privatleben».

Ich weiß nicht, wie ihr euch die Hölle vorstellt, aber wir leben im obersten Stockwerk eines riesigen Bürohochhauses im Geschäftsviertel, mitten in der Stadt. In welcher Stadt? Sorry, kann ich leider nicht preisgeben. Aber wir haben Zweigstellen in jeder Stadt. Auch in eurer. Um unser Penthouse herum verläuft eine Terrasse, die einen spektakulären Blick über die Stadt bietet. Mein Vater hatte den Standort der Hölle mitten in die Stadt verlegt. Die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel ist besser, das kulturelle Angebot attraktiver, die Einkaufsmöglichkeiten schier unendlich und – wir sind näher an unseren Kunden dran.

Die meisten unserer langjährigen Mitarbeiter wohnen und arbeiten hier im Haus. Unsere Firma hat sieben Abteilungen, für jede Todsünde eine. Unten gibt es einen Empfang, sehr schick, dort melden sich Interessenten an und werden dann in die jeweilige Abteilung geschickt. Da die Mitarbeiter meines Vaters äußerst geschult, geschickt und gerissen sind, werfen viele der Interessenten schon nach wenigen Besuchen ihre moralischen Bedenken – falls sie denn überhaupt welche hatten – über Bord und schließen mit uns einen Vertrag, der ihnen ein fabelhaftes Leben in Saus und Braus garantiert und ihre kühnsten Träume wahr werden lässt.

Wie immer hat so eine Sache natürlich einen Haken: Als Gegenleistung müssen sie etwas aufgeben. Und zwar die Liebe. Sie werden nicht lieben und werden nicht geliebt werden. Das scheint den meisten eine geringe und unbedeutende Gegenleistung zu sein; sie lassen sich darauf ein. Und – darauf legt mein Vater großen Wert – alles freiwillig. Denn so sagt er stets: «Wir sind ehrliche Leute. Wir haben Vorschriften und Regeln, an die wir uns halten.»

Die Regeln besagen, dass wir den freien Willen respektieren müssen. Wir dürfen nur verführen und locken. Die Leute müssen sich aus freien Stücken dazu entscheiden, zu uns zu kommen. Wir müssen die Schwachstellen der Leute finden und damit arbeiten: dem Hochmut, der Gier, dem Neid, dem Zorn, der Faulheit, der Wollust und der Völlerei. Den sieben Todsünden eben. Dafür braucht man Menschenkenntnis und Geduld. Wir sind nicht an schnellen Erfolgen interessiert, sondern an langfristigen.

Mir ist das alles ziemlich egal. Mein Leben ist prima. Ich habe und bekomme, was ich will, und tue, was ich will. Also, kein Interesse an einer Veränderung. Und schon gar nicht an den disziplinarischen Erziehungsmaßnahmen meines Vaters. Den Austausch kann er selbst machen, wenn er das so spannend findet.

«Das ist kein Witz, Lilith, ich habe schon alles vorbereitet.»

«Ach was, du hast eine Familie gefunden, die freudig die Tochter des Teufels beherbergt?»

«Sie wissen nicht, wer du bist und woher du kommst.»

«Sie werden es aber wissen wollen.»

«Sie glauben, du kommst aus Nebraska.»

«Nebraska? Wie dämlich ist das denn! Ich will nicht aus Nebraska sein. Ich will aus New York sein. Von mir aus auch aus London oder Paris.»

«Nebraska kennt kaum jemand, und eventuelle Ungereimtheiten in deinem Benehmen kann man damit erklären, dass du eben aus Nebraska kommst.»

«Moment mal, es ist piepe, ob Nebraska oder New York: Ich will nicht!»

Kapitel 2

«Lilith! Herzlich willkommen!» Greta, meine Austauschpartnerin, kam aufgeregt auf mich zu und fiel mir um den Hals.

Mein Vater hatte sich durchgesetzt. Er fand, es sei an der Zeit, mal energisch durchzugreifen. Na toll. Er hätte mir ja Fernsehverbot geben können oder mein Taschengeld streichen, aber nein, es musste etwas Monumentales sein. Er dachte, wenn ich lerne, mich an die Regeln einer Gastfamilie zu halten, würde es mir leichter fallen, auch seine Regeln zu akzeptieren. Er hatte immer noch die Illusion, dass ich später mal die «Firma» übernehmen würde, und dafür, sagte er, sei es unerlässlich, dass ich endlich lerne, Anordnungen zu befolgen, Regeln zu akzeptieren und Verantwortung an den Tag zu legen.

Ich hatte überhaupt keine Lust auf diesen Austausch, aber rauskommen aus dem Ganzen würde ich sowieso nicht. Also entschied ich mich, das Beste draus zu machen. Hey – kann doch lustig werden. Menschen können sehr amüsant sein.

Greta Birnstein trug ein buntes Strickkleid, und ihre langen roten Haare waren mit einem Zopfgummi gebändigt. Die Frau neben ihr sah ihr frappierend ähnlich. Ihr Strickkleid war in dunkleren Tönen gehalten, und sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihre Haare zu einer Frisur zu zwingen. Man sah auf den ersten Blick, dass die beiden derselben Familie angehörten. Und nicht nur das, sie schienen auch zur selben Sekte zu gehören. Urbaner Hippie mit Öko-Sendungsbewusstsein.

Na bravo, voll mein Stil! Danke, Paps!

Ich schob Greta leicht schaudernd von mir. «Wir umarmen nicht.»

Berührungen, vor allem menschliche, verursachen ein ausgesprochen unangenehmes Gefühl bei uns.

Greta blickte mich verdutzt an.

«Du meinst, in Nebraska umarmt man sich nicht?», fragte mich ihre Mutter erstaunt.

Auch da hatte mein Vater nicht nachgegeben. Er bestand auf Nebraska.

Frau Birnstein hatte bereits ihre Arme für eine Umarmung ausgebreitet, aber nach meiner Ankündigung ließ sie sie wieder sinken, was wie ein ungeschickter Flugversuch aussah.

«Genau.»

Daraufhin wandte sie sich an den Herrn, der neben mir stand.

«Und Sie sind?», fragte sie, während sie ihm die Hand hinstreckte.

Der Herr war mein Vater. Er hatte darauf bestanden, mich höchstpersönlich zum Flughafen zu bringen. Die uns eigene Aversion vor Berührungen führte jedoch dazu, dass er beide Hände tief in seine Taschen steckte und die Frau nur abfällig ansah, anstatt ihr die Hand zu geben.

Er hatte mit Familie Birnstein einen Treffpunkt vor dem Flughafen ausgemacht, um den Anschein zu wahren, ich sei gerade mit dem Flieger aus Nebraska gekommen. So weit, so gut. Was sich als ungünstig erwies, war die Tatsache, dass wir mit dem Taxi vorfuhren und genau an der Stelle hielten, an der Frau Birnstein und ihre Tochter bereits auf uns warteten. Sehr ungeschicktes Timing. Wer hatte aber auch damit rechnen können, dass die beiden zwanzig Minuten zu früh dort sind? Da die «Vermittlungsagentur», sprich mein Vater, der Familie ein Foto von mir geschickt hatte, hatten sie mich gleich erkannt, als ich aus dem Taxi gestiegen war.

Mein Vater musterte äußerst kritisch die Abgesandten meiner Gastfamilie. Bei aller Kritik an mir neigte er dennoch zum Überbehüten, und ich hatte plötzlich den Eindruck, als sei ihm die Sache nicht mehr ganz geheuer.

Tja, zu spät. Nun war ich hier.

Die Frage, die Frau Birnstein an meinen Vater gerichtet hatte, hing immer noch unbeantwortet in der Luft: «Und Sie sind?»

Mein Vater schwieg.

Ich sprang ein. «Er ist … auch aus Nebraska.»

Ihr Blick richtete sich auf das Taxi, das am Straßenrand auf meinen Vater wartete. «Sie sind mit dem Taxi gekommen?»

Blöde Frage.

«Aus Nebraska? Mit dem Taxi?», erkundigte sich Greta, und ich konnte nicht ausmachen, ob sie es ironisch meinte.

Ich stellte klar: «Wir sind mit dem Flugzeug gekommen.» Damit war das Taxi noch nicht erklärt. «Der Flieger kam früher an, wir haben noch eine Runde mit dem Taxi gedreht, um uns die Gegend anzusehen.»

«Ach», meinte Frau Birnstein, und auch Greta sah etwas erstaunt drein.

Ich hoffte, die Tatsache, dass ich für sie aus Nebraska kam, würde wirklich einige Merkwürdigkeiten erklären.

Mein Vater drehte sich abrupt um und ging zurück zum Taxi.

Ich rief ihm hinterher: «Es war nett, Sie im Flugzeug kennengelernt zu haben, ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt und ähm … weiterhin gute Geschäfte.»

Mein Vater drehte sich um und sah mich noch einmal sehr streng an.

Zu meiner neuen Familie sagte ich erklärend: «Die sind nicht sehr freundlich, die Leute aus Nebraska.»

Mein Vater stieg ins Taxi, es fuhr los. Ich sah ihm hinterher, bis es verschwunden war, dann drehte ich mich zu Greta und ihrer Mutter und sah sie erwartungsvoll an.

«Also, schön, dass du da bist, Lilith!» Frau Birnstein tätschelte mich zweimal vorsichtig auf die Schulter. So ganz ohne körperliche Sympathiebezeugungen kam sie wohl nicht aus. Ich ertrug es mit zusammengekniffenen Lippen.

Und nun? Worauf warteten wir?

«Wo wohnen Sie denn?» Ich wollte los und versuchte sie daran zu erinnern, dass sie ein Zuhause hatte, wo sie mich jetzt wohl hoffentlich hinbringen würden.

Es wirkte.

«Ja», meinte sie, «dann machen wir uns mal auf den Weg.» Sie griff nach meinem Koffer. «Oh, der ist aber schwer.»

«Er hat Rollen, man kann ihn neben sich herschieben.» Ich nahm ihn ihr aus der Hand, stellte ihn hochkant hin und zog einen Griff nach oben.

«Das ist ja praktisch!», rief sie begeistert.

Offensichtlich war sie leicht zu begeistern.

«Wir sind noch nie geflogen. Ist auch das erste Mal, dass wir in einem Flughafen sind.» Technisch gesehen waren sie noch nicht mal in dem Flughafen, wir standen ja nur davor. Aber diese Illusion wollte ich ihr nicht rauben.

Wir liefen los. Und zwar zu einer Straßenbahnhaltestelle.

«Wir fahren mit der Straßenbahn?», fragte ich und versuchte meine Verblüffung etwas zu zügeln. «Haben Sie kein Auto?»

«Doch, aber nur für das Gemüse.»

Für das Gemüse. So, so. Wächst es dort, oder wird es von Zeit zu Zeit zum Spaß durch die Gegend gefahren? Oder fährt es selbst? Und wer darf fahren? Nur große Kohlköpfe oder auch kleine Radieschen und Erbsen?

«Wie kommen Sie denn ohne Auto irgendwohin?»

«Mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad. So leisten wir unseren Beitrag, die Umwelt sauber zu halten.»

«Aha», sagte ich, weil ich keine Ahnung hatte, was man normalerweise dazu sagt: «Herzlichen Glückwunsch» oder «Vielen Dank»?

Die Straßenbahn kam, wir stiegen ein.

Ich sah Greta an und deutete auf ihr Outfit. «Schickes Kleid», sagte ich, ohne es zu meinen.

«Selbstgestrickt», nickte Greta.

«Du?»

«Nein, meine Mutter. Wenn du willst, kann sie dir auch so ein Kleid stricken.»

«Nein danke.» Der enttäuschte Blick veranlasste mich hinzuzufügen: «Ich will keine Umstände machen.»

«Och, das macht mir keine Umstände. Ich tue es gern», versicherte Frau Birnstein. «Das geht ruck, zuck. So ein Kleid hab ich in zwei Tagen gestrickt.»

Meine Güte, bloß nicht, in so einem Teil würde ich aussehen wie ein Sofa mit Schonbezug.

«Auf keinen Fall. Um auf das Gemüse zurückzukommen», wechselte ich das Thema. «Wieso braucht das Gemüse ein Auto?»

Bereitwillig gab sie Auskunft. Also: Das Gemüse fuhr tatsächlich nicht selbst, es wurde gefahren. Und zwar von ihrem Mann. Zum Markt. In einem kleinen Lieferwagen. Herr Birnstein betrieb nämlich seit zwanzig Jahren einen Gemüsestand auf dem Markt, der ihn nicht reich, aber ziemlich glücklich machte.

«Das Gemüse baut er selbst an. Mein Mann liebt Obst und Gemüse. Es ist seine Leidenschaft.»

Die Straßenbahn hielt an.

«Hier müssen wir umsteigen», sagte Frau Birnstein.

Und dann ging es weiter mit dem Bus. Und dann mussten wir noch laufen. Vorbei an sehr netten Einfamilienhäusern, an einer modernen Reihenhaussiedlung, an einfachen Mietshäusern. Hm. Ich bekam leichte Panikattacken, dass Familie «Wir-stricken-selbst» sich womöglich auch ihr eigenes Häuschen gestrickt hätte.

So ähnlich war es dann auch. Ganz am Ende der Straße stand ein altes Bauernhaus. Ein breites, langgezogenes Gebäude mit Fachwerk und reetgedecktem Dach. Das hier war also jetzt mein neues Zuhause. Nun gut.

«Wir haben das Haus von meinen Großeltern geerbt. Es hat einen riesengroßen Garten. Ständig bekommen wir Angebote von Baufirmen, die uns das Grundstück abkaufen und eine weitere Reihenhaussiedlung hier bauen wollen.»

«Die bieten Ihnen doch bestimmt eine Menge Geld dafür.»

«Oh ja, sehr viel Geld. Aber was sollen wir denn mit dem Geld anfangen?»

War die Frage ernst gemeint?

«Na ja, wenn es wirklich so viel Geld ist, dann müssen Sie doch nicht mehr arbeiten», sagte ich.

«Und dann?»

«Wie und dann?»

«Was sollen wir denn dann machen?»

«Das Leben genießen.»

«Oh, das tun wir doch schon.»

Ach so.