Weiße Fracht

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Der 16. Juli 2017 war ein unverschämt schöner Tag. Die Hitzewelle, die die Ostalgarve seit zwei Wochen in Schach gehalten hatte, war über Nacht durch einen Platzregen abgemildert worden. Auf 28 Grad am frühen Morgen.

Über der Villa Elias hing der Geruch von Regen. Die ausgebrannte und verdorrte Erde wies keine Risse mehr auf, sondern war sanft aufgeworfen. Selbst am Himmel, der in der Glut der letzten beiden Wochen unnatürlich hell gewirkt hatte, erstrahlte wieder jenes satte Azur, von dem die Bewohner Fusetas behaupteten, das gäbe es nur hier.

Leander Lost, der Alemão und Asperger-Autist, den es als Austauschkommissar für ein Jahr hierher verschlagen hatte, wusste mittlerweile, dass diese Behauptung eine Übertreibung war. Der Stolz der Portugiesen – und das nahm ihn für sie ein – galt meist keiner persönlichen Errungenschaft, sondern etwas Ideellem, das Teil der Gemeinschaft war – oder ihr zur Verfügung stand. Die Saudade etwa, die typische portugiesische Melancholie. Sie war Ausdruck der Traurigkeit einer kleinen Nation am Rande Europas über den Verlust ihres Status als mittelalterliche Weltmacht, als Spanien und Portugal Kontinente und Meere untereinander aufgeteilt hatten. Verblasst. Und der Verlust manifestierte sich noch viele Generationen später als drückender Schmerz in der Brust. Das waren Soraias Worte, der Schwester seiner portugiesischen Vorgesetzten.

 

Abzüglich seines Jahresurlaubs hatte Leander Lost noch anderthalb Monate in Fuseta vor sich. Da er sich am wohlsten fühlte, wenn er alles unter Kontrolle hatte, waren natürlich Art, Umfang und Zeitpunkt seiner Rückkehr nach Hamburg bis ins allerletzte Detail organisiert – in einer idealen Welt.

Tatsächlich war nichts davon erledigt. Gar nichts.

Er hatte all das aufgeschoben. Was bedeutete, dass ihm seine bevorstehende Rückkehr ständig wieder in den Sinn kam und er sie mit einer Willensanstrengung stets aufs neue beiseiteschob. Er musste die Sache ruhen lassen, bis er mit Soraia gesprochen hatte. Persönlich.

Und falls die Rückkehr unausweichlich war, das hatte er sich fest vorgenommen, musste er sich noch etwas für die Insekten überlegen.

 

Leanders erster Gang führte ihn nämlich wie jeden Morgen über den schmalen Pfad aus warmen, weichen Steinen zum Pool. Und das Zirpen der Grillen, das ihn in den Schlaf wiegte wie sonst nur der Regen in Hamburg, begleitete ihn dabei.

Der von weißem Oleander und Kakteen umsäumte Pool der Villa Elias maß zwölf auf vier Meter. Dahinter erstreckten sich Wiesen, die die Sonnenglut in eine gelblich-braune Savanne verwandelt hatte. Das nächste Nachbarhaus befand sich in einem Kilometer Entfernung. Erst dahinter fiel das Land zu den Dächern von Fuseta und zum Atlantik ab, der schon am Vormittag verlockend in der Sonne glitzerte.

Leander nahm den Kescher und fischte damit Bienen,

Wenn er alleine war, tat Leander das splitternackt, er wusch sich in der Außendusche und zog dann ein paar Bahnen, um danach zu frühstücken und mit dem Motorrad ins Kommissariat nach Faro zu fahren. Aber heute war Sonntag, und bis auf die Rettung einiger Insekten standen keinerlei Verpflichtungen an.

 

Seitdem Zara Pinto, die Vollwaise, das kleine Besucherhaus dauerhaft bewohnte, kam er morgens bekleidet zum Pool. Meist führte auch ihr Weg hierher. Sie schritt nicht grazil in das Becken, sondern sie sprang direkt hinein.

Hätte Leander das passende Bild für den Charakter der jungen Frau bestimmen müssen, er hätte dieses gewählt – der direkte, unerschrockene Sprung ins Wasser.

Zara schwamm etwas hin und her, tauchte, zog ein paar Bahnen (wie üblich sah das alles nicht nach einem Plan aus) und sagte beim Verlassen des Pools, dass sie Hunger habe und gerne mit ihm frühstücken wolle.

Das tat sie jeden Morgen.

Sie sagte es nicht, um ihn zu informieren. Denn Leander merkte sich alles. Nicht, weil er wollte. Sondern, weil er musste. Er war nicht in der Lage, sich etwas nicht zu merken.

Zara tat es, um ihm einen Gefallen zu tun. Sie wusste, dass er seine Rituale ebenso brauchte wie sie die unerschütterliche Geborgenheit, die er ihr bot und deren Unerschütterlichkeit darin bestand, dass Lost sich opfern würde, um sie zu schützen. Er hatte es schon einmal unter Beweis gestellt und fast mit dem Leben bezahlt.

Und Leander, dem List ebenso fremd war wie Hintersinn oder gar Ironie, als wären sie allesamt eingekapselt in einer Welt, zu der ihm der Zugang verwehrt war, nahm nur den Informationswert ihrer Wörter wahr – nicht ihren tieferen Sinn.

 

Auf Zara wartete am nächsten Tag trotz der Schulferien eine Aufnahmeprüfung. Früher hatte sie die Schule sträflich vernachlässigt. Statt etwa während einer Klassenarbeit einen zweistündigen Aufsatz über die Nelkenrevolution in Portugal zu verfassen, schrieb sie dem Geschichtslehrer lieber, was für ein Esel er war, und verließ das Klassenzimmer nach zwei Minuten. Autoritäten erschienen ihr suspekt, und Vorschriften wollte sie sich um nichts in der Welt beugen. Zara verscherzte es sich auf diese Weise auch mit jenen Lehrern, die es gut mit ihr meinten, und schmiss die Schule.

Durch Leander, der ihr ein Leben ohne Vorschriften ermöglichte, hatte sie aber nach und nach verinnerlicht, dass Bildung der Schlüssel zu einem freien, unabhängigen Leben war.

Daher hatte Zara sich auf den Hosenboden gesetzt und für die Zulassung in die Sekundarstufe gebüffelt.

Es sprach für ihre Hartnäckigkeit und Disziplin, trotz der 33 Grad im Schatten, die inzwischen herrschten, mittags nach Fuseta zu fahren, um sich dort zusammen mit einer gleichgesinnten Freundin weiter auf die Prüfung vorzubereiten.

Leander schickte Toninho, ihrem Freund, wie abgesprochen eine SMS. Keine zehn Minuten später knatterte der 20-jährige Student auf seinem Moped auf den sandigen Hof. Die Kabel waren mehrfach geflickt, der Sitz eingerissen, das Schutzblech verbeult, und der Auspuff hing nur noch in einer Schelle und

Toninho zog den Helm mit der spiegelverkehrten Aufschrift Fuck you vom Kopf und schenkte Leander ein verschmitztes Lächeln.

»Bom dia. Como está?«

»Bom dia, Toninho.«

Der nickte, klappte den länglichen Sitz hoch und gab damit den Blick auf allerlei Werkzeug frei, das aus Dutzenden von Werkzeugkoffern stammte.

 

Sie frästen, bohrten und sägten, verlegten Kabel und versenkten Dübel in der Wand.

Das Besucherhaus der Villa Elias bestand aus einem größeren Schlaf- und einem Badezimmer, aber durch einen Raumteiler hatten sie Platz für eine kleine Küchenzeile geschaffen. Die verbauten die beiden jetzt, damit Zara morgen das Geschenk erhielt, das sie sich gewünscht und Leander ihr unter einer Bedingung versprochen hatte: die erfolgreiche Prüfung, die ihr den Besuch der Sekundarstufe erlaubte.

 

Toninho und Zara waren erst seit knapp drei Monaten ein Paar. Und sie konnten voneinander nicht genug kriegen. Während Zara dabei ihr tägliches Lernpensum für die Prüfung nicht aus dem Blick verlor, ließ Toninho alles schleifen und schwebte mit einem entrückten Lächeln durch die Gegend.

»Wenn er mit diesem abwesenden Blick lächelt, sieht er völlig zurückgeblieben aus«, hatte Carlos Esteves gesagt, Leanders Kollege bei der Polícia Judiciária, der portugiesischen Kripo. Graciana Rosado hatte Carlos von der Seite angesehen, während sie auf der Nationalstraße 125 eine Schlange von vier Autos in einem Rutsch überholte und dabei den dritten Gang bis in den

»Sei nicht gemein. Er ist verliebt – und glücklich«, wandte seine Vorgesetzte Graciana Rosado ein, einen knappen Kopf kleiner als er und die Haare im Dienst zu einem Pferdeschwanz gebändigt.

»Ich war auch schon verliebt und glücklich und habe dabei nicht ausgesehen wie ein Idiota.«

»Er sieht nicht aus wie ein Trottel, er schwebt einfach nur etwas.«

»Hoffentlich schwebt er nicht irgendwann gegen eine Wand«, hatte Carlos geantwortet.

 

Toninho trug in der brütenden Hitze nur Shorts, die halblangen Haare fielen ihm leicht gelockt auf die gebräunten Schultern. Er und Leander Lost wuchteten den schmalen Kühlschrank unter die Anrichte, die sie gerade in der Wand verankert hatten.

Trotz der Anstrengung war Leanders Miene ausdruckslos. Bei genauer Betrachtung hatte er weniger Lachfältchen um die Augen als Toninho, obwohl er dreizehn Jahre älter war. Seine Haare waren millimeterkurz geschoren.

Nachdem sie den Kühlschrank angeschlossen hatten, kümmerten sie sich als Letztes noch um den kleinen Dampfgarer. Zara hatte es auf die vegetarische Seite verschlagen, und sie war fest entschlossen, ihr Gemüse so zuzubereiten, dass die Vitamine beim Garvorgang erhalten blieben – also im Dampf, wie sie erklärte, nicht im Wasser.

Die Kollegen der Polícia Judiciária hatten daraufhin für den Dampfgarer zusammengelegt, denn obwohl Leander de facto als ihr Vormund fungierte, fühlten sich alle nicht nur mit ihr verbunden, sondern in gewisser Weise auch für sie verantwortlich.

Und so hatte sie damals Stück für Stück Vertrauen zu dem blassen, schlaksigen Deutschen gefasst, ihre Angst schließlich überwunden und ihnen den entscheidenden Tipp gegeben, der letztlich zum Täter geführt hatte.

Formell hatten die Rosados, die Eltern seiner Vorgesetzten Graciana Rosado, sie adoptiert. Informell lebte sie hier, im Besucherhaus der Villa Elias. In der Geborgenheit, die der Alemão ihr bot.

 

Nach dem Test des Dampfgarers waren Leander und Toninho mit ihrer Arbeit fertig. Sie fegten und saugten noch die Holz- und Metallsplitter weg, bevor sie sich einigermaßen erschöpft am Pool unter den Sonnenschirm setzten. Sie tranken einen Orangensaft, den Lost gegen Mittag frisch ausgepresst und dann kalt gestellt hatte. Die Gläser beschlugen in der Hitze im Nu.

Mittlerweile ging es auf den Abend zu. Leander nahm den Kescher, balancierte am Beckenrand entlang und fischte zwei Wespen aus dem Wasser, die er neben dem Oleander ausschüttelte.

»Warum tust du das immer?«, fragte Toninho.

»Weil sie sonst ertrinken.«

Toninho lächelte schief. Der Alemão war schon ein Kauz. Aber er hatte gehörigen Respekt vor ihm. Und inzwischen hatte der junge Student auch gelernt, ihm Fragen besser direkt zu stellen.

»Ja, ich verstehe, aber … es sind doch nur Insekten. Wenn es ein Kaninchen wäre oder eine Katze oder ein Hund …«

Toninho überlegte einen Moment. »Kommt darauf an.«

»Auf was? Welche kognitiven Fähigkeiten es hat?«

»Na ja«, wich Toninho aus. Was hatte ihn bloß geritten, Leander Lost diese Frage zu stellen?

»Oder ob sie in der menschlichen Skala von Schönheit weiter oben rangieren? Ist eine Spinne weniger wert als ein Kaninchen?«

»Das spielt sicher eine Rolle.«

»Auch ob das Tier uns gefährlich werden könnte?«

»Ja, wohl auch das.«

»Und ob es ein Nutztier ist – also, ob wir es nur versorgen, um es später zu essen?«, fragte Leander Lost ruhig und balancierte weiter über die warmen Begrenzungssteine den Beckenrand entlang.

»Ich weiß nicht, ich muss noch mal drüber nachdenken, glaube ich. Worauf es letzten Endes ankommt. Wie der Wert eines Tieres entsteht.«

»Kein Tier bringt einen Wert an sich mit. Es hat nur den, den wir ihm zubilligen. Viele Menschen glauben, der Wert eines Lebewesens wird durch das am weitesten entwickelte Lebewesen bestimmt. Durch uns.«

»Das heißt, für dich haben die Tiere keinen unterschiedlichen … Wert?«

»Das ist nicht das Kriterium, nach dem ich mich verhalte.«

Leander erntete einen verblüfften Blick von Toninho.

»Und was ist das Kriterium dann?«

»Ob jemand Hilfe braucht.«

Toninho sah ihm beim Insektenretten zu und fragte sich, ob der Alemão sich über ihn lustig machte. Aber Leander Lost konnte nicht lügen. Es war sein absoluter Ernst. Er fischte bei über dreißig Grad alles raus, was sich noch gegen das Ertrinken stemmte.

»Ungefähr 64.«

»Desculpa, Leander, aber die werden alle umkommen.«

»Ja. Aber nicht in diesem Pool. Würdest du gerne nur von Weizenbrot und Hafergrütze leben?«

»Etwas Salz dazu wäre schon nicht schlecht«, antwortete Toninho. Leander sah ihm irritiert in die Augen.

»Das war Ironie«, schob der junge Portugiese schnell nach.

»Ohne Insekten keine Bestäubung. Das meiste Obst und Gemüse würde es nicht mehr geben. Ebenso wie viele Wildblumen, die für eine Menge Tiere die Nahrungsgrundlage darstellen. Diese Tiere würden aussterben. Ebenso jene, die sich hauptsächlich von Insekten ernähren. Die Erhaltung der Insekten ist logisch eng verknüpft mit dem Erhalt unserer Spezies.«

Und deswegen stand nun auch Toninho auf, ließ den Orangensaft stehen, rettete ungefähr 30 von den kleinen Quälgeistern und fuhr dann zurück nach Fuseta. Und ja, zugegeben, schon an der ersten roten Ampel fühlte er sich ein wenig besser.

 

Soraia.

Das war die kleinere, filigrane Schwester seiner Vorgesetzten mit den Grübchen, an die Leander in den letzten Wochen immer öfter denken musste. Denken musste war nicht ganz korrekt, wie Leander sich korrigierte. Teile ihres Gesichts oder ein Satz, den sie gesagt hatte, oder der Klang ihres Lachens – etwas davon schob sich einfach unvorhersehbar in seine Gedanken. Überraschte ihn und lenkte ihn so sehr ab, wie das bis jetzt nur seinen drei Steckenpferden – die Kolonialisierung des Mars, Albert Camus und Doc Holliday – möglich gewesen war.

Das war offensichtlich die Folge des Kusses, den sie ihm unvermittelt beim Abschluss des letzten Falls gegeben hatte, was ein unbeschreiblich schönes Gefühl in ihm ausgelöst hatte.

»Und wie hat sich das angefühlt?«, hatte sie gefragt, weil sie

»Wie das Spritzen eines Kontrastmittels«, hatte Leander geantwortet.

Jede andere Frau hätte bei so viel Romantik vermutlich das Weite gesucht, aber Soraia hatte schon bald nach seiner Ankunft im vergangenen Jahr als Erste erkannt, was es mit Leander auf sich hatte. Er war auch nicht darauf aus, ein Kompliment zu machen. Vermutlich wusste er gar nicht, was das ist, hatte Soraia gedacht. Und wenn doch, hielt er Komplimente mit Sicherheit für überflüssig.

Dass ihr Kuss ihn am ehesten an die Wirkung eines frisch injizierten Kontrastmittels erinnerte, wohnte aber ein Kompliment inne – das hatte Soraia verstanden. Denn mit einem Kontrastmittel, das einen sofort vom Ohrläppchen bis zum kleinen Zeh mit Wärme erfüllte und durch das man – als eine Art neue Dimension des Bewusstseins – jede einzelne Zelle des Körpers mit einem Kribbeln wahrnahm, konnte man sich in seiner Gesamtheit fühlen, als stünde man unter leichtem Strom – tja, das hatte noch kein Mann durch einen ihrer Küsse empfunden.

Mit dem Ergebnis, dass Leander nach einer gewissen Bedenkzeit (vier Minuten) sie von sich aus küsste.

»Ist es immer noch wie ein Kontrastmittel?«

»Ja.«

»Dann ist es gut.«

 

Am Tag darauf war Soraia für eine längere Fortbildung nach Coimbra in den Norden gefahren. Heute endlich würde sie zurückkehren. Heute konnte er sich Klarheit verschaffen.

Auf seiner alten Dienststelle in Hamburg würde er ohnehin nicht lange bleiben, falls er dorthin zurückkehren müsste. Dort

Auch die einzigen beiden Kollegen, die ihn abends mal zu sich nach Hause eingeladen hatten. Zum Grillen. Mit ihren Frauen. Die Paare hatten den ganzen Abend gelacht, und Leander hatte keinen Schimmer, worüber eigentlich. Aber es musste ihnen sehr gefallen haben.

M&M, wie seine Kollegen sich selbst nannten: Manz und Mohrmann.

 

Wie üblich verließ Leander die Villa Elias in einem schwarzen Anzug samt weißem Hemd und schwarzer Lederkrawatte. Er wollte hinüber nach Fuseta fahren und Soraia ohne telefonische Vorankündigung zum Essen einladen.

Die Kombination aus schwarzem Anzug und weißem Hemd hielt er zwölffach vorrätig.

Dieses Erscheinungsbild hatte er sich vor 19 Jahren, vier Monaten und drei Tagen auf Herrn Winterbergs Beerdigung zugelegt. Endlich ein Anlass, für dessen angemessene Kleiderwahl er sich nicht den Kopf zerbrechen musste und nicht wie üblich den Zwang empfand, den Kleidungsstil eines anderen Heimkindes nachzuahmen. Bei Beerdigungen trug man Schwarz. Das war eine gesellschaftliche Konvention. Leander liebte so etwas: Es gab ihm Halt und Orientierung, wenn etwas klar geregelt war.

Mit einem schwarzen Anzug fiel man bei einer Beisetzung nicht auf. Nicht aufzufallen war schon immer etwas, um das er sich akribisch bemüht hatte.

Jedenfalls hatte jemand ihm bei der Beerdigung des Waisenheimdirektors gesagt, der Anzug stehe ihm.

Da Leander von Mode oder einem gelungenen Äußeren überhaupt keine Ahnung hatte, war er einfach dabeigeblieben. Seit seinem 14. Lebensjahr. Schwarzer Anzug, weißes Hemd,

Um anfangs nicht aufzufallen, hatte er sich kurz nach seiner Ankunft in Fuseta exakt so gekleidet wie der Kollege Esteves, der zu dieser Zeit mit Shorts, Hemd und Espadrilles herumlief – und der sich das verbat. Leander war dem Wunsch nachgekommen, die Espadrilles dagegen, die waren angenehm leicht und bequem, weswegen er sie auch heute noch zum Anzug trug.

 

Er stieg auf seine gelbe Ducati Scrambler, eine Maschine mit Speichenrädern und auch sonst im Retro-Look, und wollte sich gerade auf den Weg zu Soraia machen, als ihn der Notruf von Luís Dias erreichte.

Und zwar über Funk.

»Code 249«, vernahm Leander dessen Stimme zusammen mit dem typischen Funkrauschen. Leander Lost kannte alle Funkcodes auswendig, aber diesen hier musste sowieso kein Polizist in Portugal nachschlagen. Code 249 rangierte nach Code 16 für einen nationalen Ernstfall und Code 77 für ein terroristisches Attentat auf Platz drei. Er wurde von Polizisten in akuter Lebensgefahr abgesetzt und firmierte in der Amtssprache unter Polizeibeamter in Not.