Markus Spieker

MONO
Die Lust auf Treue

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Markus Spieker

Markus Spieker, Dr. phil, Historiker, Fernsehredakteur im ARD-Hauptstadtstudio und Autor des Bestsellers »Mehrwert – Glaube in heftigen Zeiten«, sowie von »Faithbook – Ein Journalist sucht den Himmel«. Spieker ist 1970 geboren, hat in Gießen und Los Angeles studiert und lebt in Berlin.

Impressum

eBook-Ausgabe 2014

Pattloch eBook

© 2011 Pattloch Verlag GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise–

nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Bernhard Meuser

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

ISBN 978-3-629-32033-9

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Fußnoten

1

umgangssprachlich für »Vagina«

Für Torsten und Juliane

01

Du willst es doch auch!

Einleitung

Mir ist wohl bei größtem Schmerze,

Denn ich weiß ein treues Herze.

(Paul Fleming)

 

Er sieht aus, als wäre er mit einer Infusion Testosteron oder einer Pulle Viagra in den Tag gestartet. Ein Mann, der mich erinnert an Anthony Quinn und der in den Sandalenfilmen der 50er einen passablen römischen Centurio gegeben hätte. Bronzehaut, Granitkinn, Schrankschultern und blaue Augen, die von Bambi auf Terminator umschalten können. Dass er gute Gene hat, zeigt sich auch darin, dass seine Tochter bei einer großen Miss-Wahl gewonnen hat. Schuld daran ist natürlich ebenso seine Frau, selbst eine Schönheit, und um die geht es zumindest indirekt in unserem Gespräch. Ein gemeinsamer Freund hat mich mit ihm zu diesem Interview verkuppelt. Jetzt sitze ich mit Block und gezücktem Kugelschreiber im Büro des bulligen Mittelständlers und bin gespannt. Er soll mir Lust auf Treue machen.

»Ich habe meine Frau nach Strich und Faden betrogen«, sagt er. Fängt ja gut an. Seine Story klingt wie die vieler verheirateter High-Potenz-ials. Mit Anfang 20 trifft er seine Traumfrau, baggert so lange, bis sie ihm das Jawort gibt, dann kommen drei Kinder, der Spaß im Ehebett nimmt ab, der Stress im Job zu, und der außereheliche Sex wird sein Ventil. Angefixt wird er von anderen Geschäftsleuten. Wenn sie ein Arbeitsessen haben, geht es anschließend routinemäßig in den Puff. Aber die meisten Frauen kriegt er gratis: Er trifft sie im eigenen Betrieb, bei Kundenbesuchen, in Bars. Sein Aufreißerinstinkt entwickelt sich, verfeinert sich: »Wenn ich in eine Kneipe gegangen bin und die Frauen gecheckt habe, wusste ich auf den ersten Blick, mit welcher was gehen würde.« Seiner Frau erzählt er etwas von Überstunden und Extraausgaben. Sie kriegt ein kleines Taschengeld, während er die Kohle für Getränke und Geschenke raushaut.

Mit 30 fängt sein sexuelles Doppelleben an, zunächst mit sporadischen Affären für den kleinen Hunger zwischendurch, bald mit zwanghaftem Fremdgehen, One-Night-Stands und längeren Affären. Manchmal laufen drei Affären parallel. »Ich war wie ein Alkoholiker«, erinnert er sich, »und … absolut unglücklich.« Oft schlief er auch mit Frauen, die verheiratet waren, sich aber einsam in ihren Beziehungen fühlten. Anschließend fühlten sich zumindest die Frauen schlechter als vorher: »Ich konnte ihnen ja nicht geben, was sie wollten: Liebe, Nähe, dauernde Zärtlichkeit.« Seine Frau ahnte nichts: »Sie hat mir blind vertraut.« Zehn Jahre lebt er im ungezügelten Rausch der Hormone.

Bis jetzt hat er mir keine Lust auf Treue gemacht, höchstens Unlust auf Untreue. Aber ich bin auf solche Geschichten angewiesen. Denn ich kann zu beidem, Treue und Untreue, nicht so viel Autobiographisches beisteuern. Ich kann auf keinen runden Hochzeitstag zurückblicken, noch schlimmer, ich kann auf gar keinen Hochzeitstag zurückblicken. Ich wandere in Sachen Liebe nicht, wie es in einem Gedicht von Robert Gernhardt heißt, »durch die Landschaft meiner Niederlagen«, auch nicht durch die Szenerien meiner Triumphe. Als Single, der über Treue schreibt, komme ich mir vor wie der Eunuch im Harem. Als Journalist bin ich es gewohnt, mich öffentlich über Dinge zu äußern, bei denen ich kein Experte bin. Allerdings muss ich selten mehr als zwei Fernsehminuten mit Secondhand-Knowhow füllen. Und ich habe nicht die Aufgabe, meinen Zuschauern Lust auf etwas zu machen. Schon gar nicht Lust auf etwas vermeintlich so Abstraktes wie die Treue.

Deshalb warte ich darauf, was mein Gesprächspartner außer Pleiten, Pech und Pannen sonst noch auf der Pfanne hat und ob sich bei mir irgendwann Appetit auf Treue einstellt. »Und heute?«, unterbreche ich seine Laster-Aufzählung. Er legt seine gut manikürten Pranken auf den Holzschreibtisch und lächelt sanft: »Heute gehe ich nicht aus dem Haus, ohne meine Frau in den Arm zu nehmen, sie zu küssen und ihr zu sagen, dass ich sie liebe.« Er beugt sich vor und bleckt freundlich die Zähne: »Der Sex ist übrigens super.« Ach? Er ist Mitte 60. Ich habe inzwischen die Jahreszahlen, die er mir genannt hat, im Kopf durchgerechnet. Er ist seit einem Vierteljahrhundert »clean«. Damals brachte ihn ein Pfarrer, bei dem er sich als Affärenjunkie outete, dazu, seiner Frau alles zu beichten. Fast ein halbes Jahr ließ sie ihn nicht mehr an sich heran. Und er ließ keine andere an sich heran. Die sexuelle Nulldiät fiel ihm noch nicht einmal schwer. Denn in der Zwischenzeit hatte er sich neu in seine Frau verliebt, wollte sie wieder erobern. Noch einmal, für immer. Schließlich vergab sie ihm.

Nur einmal landete er wieder im Bordell. Bei einer Männertour hatten sich seine alten Freunde über seine Proteste hinweggesetzt und ein Eroscenter angesteuert. Aber der Ex-Casanova ließ nichts anbrennen: »Ich bin als Erster zu den Mädchen gegangen und habe denen gesagt: Wir wollen alle nur was trinken; wir sind glücklich verheiratet. Und meine Kumpels haben sich gewundert, warum die Girls sich nicht blicken ließen. Ich hab die Geschichte dann gleich meiner Frau erzählt. Wir haben beide so gelacht …«

Die Geschichte hat mir so gut gefallen, dass ich die aktuellen Scheidungszahlen, die ich vom Statistischen Bundesamt bekommen habe, auf die späteren Kapitel verschoben habe und es zum Auftakt bei diesem Erlebnisbericht belasse. Mir hat er jedenfalls Lust gemacht. Und um Lust, Gefühle, Sehnsüchte geht es in diesem Buch vor allem.

Für »Mono« habe ich Aspekte und Anekdoten über die Treue gesammelt und geordnet. Manchen wird mein Ansatz zu bekenntnishaft und zu wenig ironisch vorkommen. Aber was ist Ironie? Ironie ist Distanz, eine Haltung der Schadensbegrenzung. Also nichts für Leute, die gerade herauswollen aus einer distanzierten Betrachtung der Dinge. Ich schreibe ein Buch für Menschen, die sich echtes Gelingen in Leben und Liebe wünschen. Deshalb rede ich auch von mir. Ich will das auch. Das perfekte Rezept für Treue habe ich nicht. Treue ist ja auch kein Ziel, das man irgendwann erreicht, sondern eine Richtung, in die man geht. Ich will diese Richtung präzisieren, Hindernisse beschreiben und einen halbwegs sicheren Weg skizzieren. Wer eine Mitfahrgelegenheit in dieselbe Richtung sucht, ist bei »Mono« richtig.

Erster Teil

Warum?
Der Sinn der Treue

02

Pro Mono

Das Comeback der Treue

When leaders can’t be trusted

When heroes let us down

And innocence lies rusted

Frozen beneath the ground.

Why do we marry?

Why do we fall in love?

Keep on believing in love?

Because love, love is my sword,

Love is a weapon,

Love is a lesson

And we, we are the conquerors

We are the soldiers

We are the lovers

That’s why we fall in love

That’s why we believe in love

That’s why we marry.

(Lucinda Williams, Plan to Marry)

 

Die Treue kommt zurück.

Das ist jetzt schon die Nachricht des Jahrzehnts. Mit Nachrichten kenne ich mich aus. Mein Job ist es, sie im Fernsehen zu verbreiten. Wenn das hier kein Buch, sondern ein Fernsehprogramm wäre, würde ich ein Laufband durchs Bild schicken:

»Breaking News: Die Treue kommt zurück.«

Das Thema ist leider nicht besonders bildstark. Sex zu zeigen ist einfach. Nackte Körper in Action, fertig. Aber dauerhafte Liebe? Was gibt es da für Bilder? Händchenhalten? Dackelblick? Das Reservoir ist erschöpflich. Treue ist eine Langfristtugend. Momentaufnahmen geben das nicht wieder. Wenn Liebe, wie Richard David Precht in seinem gleichnamigen Bestseller feststellt, »ein unordentliches Gefühl« ist, dann ist die Treue die Ordnung, die die Liebe am Leben hält, auch wenn die Gefühle mal weg sind. Aber wie filmt man das?

Es gibt allerdings Momente, wo sich die Treue, die sonst dezent im Hintergrund bleibt, selbstbewusst nach vorne schiebt. So einen Moment habe ich erlebt und anschließend begonnen, dieses Buch zu schreiben.

Ich kam gerade von einem Besuch in Los Angeles zurück. Da redeten alle noch vom »Tiger Woods Syndrom«, benannt nach dem als Serien-Seitenspringer enttarnten Weltklassegolfer. Für viel Gesprächsstoff sorgte auch Jesse James, der bullige Biker, der seine Gattin Sandra Bullock mit einem wahrhaft bildstarken Tattoo-Model betrogen hatte. Damit nicht genug: Kate Winslet trennte sich gerade von ihrem Mann, Cameron Diaz von ihrem Lover, Jennifer Anniston war auch wieder solo. Elizabeth Edwards, die gehörnte Ex-Frau des Präsidentschaftskandidaten Jonathan Edwards, rächte sich mit Alles-muss-raus-Memoiren, Bill Clinton wurden wieder einmal Affären nachgesagt, aber das störte keinen mehr. Für die parteipolitische Ausgewogenheit sorgten einige republikanische Spitzenpolitiker mit ihren außerehelichen Techtelmechteln. Und kaum zurück in Deutschland, erfuhr ich auch noch, dass Lothar Matthäus seiner vierten Ehefrau Liliana den Laufpass gegeben hatte und dem STERN kurz darauf in einem Interview treuherzig versicherte, dass alles nicht seine Schuld war: »Ich bin sehr gewissenhaft. Auf mich kann man sich verlassen. Ich bin treu.« Zwischenzeitlich soll er wieder mit Liliana angebandelt haben. Für Schlagzeilen außerhalb des eigentlichen Spielfeldes sorgte auch die englische Fußballnationalmannschaft. Da schien jeder gerade mit irgendwem in flagranti erwischt worden zu sein.

Ich war also, wie man in meiner Branche zu sagen pflegt, »drin im Thema«, als ich meinen Eltern einen Besuch abstattete. Die beiden sind seit über 41 Jahren verheiratet. Als sie sich das Jawort gaben, war er 23, sie 25, und die sexuelle Revolution auf ihrem Höhepunkt. Meine Eltern kriegten von Woodstock allerdings nicht viel mit, auch nicht von Oswald Kolle und den Schulmädchen-Reports, und statt »Honky Tonk Woman« oder »Whole Lotta Love« sangen sie Choräle. Einige Jahre später trat mein Vater seine erste Pfarrhausstelle an und blieb da bis zur Rente. In der barocken Schlosskirche fand fast an jedem Wochenende eine Trauung statt, die Leute kamen von weit und breit und ließen die Blumen als Gottesdienst-Deko zurück.

Wenn eine Ehe auseinanderging, erfuhren wir das auch ziemlich schnell. Die Klatschmäuler vom Dienst machten ihren ersten Stopp meistens im Pfarrhaus. Dass meine Eltern auch auseinandergehen könnten, kam uns drei Geschwistern nie in den Sinn. Wenn die zwei sich stritten, was selten vorkam, machten sie vorher die Tür zu. Vor dem Schlafengehen hatten sie sich dann meistens wieder vertragen. Ich habe ausgerechnet, dass die beiden bis heute auf rund 15 000 gemeinsame Nächte und 50 000 Mahlzeiten gekommen sind. Was bei ihnen nicht dazu geführt hat, dass sie sich verschlissen, sondern dass sie sich immer besser gleichschalteten. Jetzt, als ich sie besuchte, saßen sie nebeneinander am Wohnzimmertisch und feierten den Geburtstag meiner Mutter. In alter Tradition sprach mein Vater ein Dankgebet. Er fing an mit »Lieber Vater im Himmel …« und kam bis zu »… für meine liebe Frau«. Dann war Schluss. Er fing an zu weinen. Ich linste hinüber zu den beiden, die nun beide heulten und dabei Händchen hielten.

Meine Seele machte klick. Das Bild ging in meinen Datenspeicher und bekam einen Sperrvermerk. Wer sich jetzt krümmt, weil das nach In-Your-Face-Kitsch klingt, dem kann ich auch nicht helfen. Ich habe jedenfalls auch rote Augen gekriegt und anschließend wieder mal offene dafür, was ich wirklich will im Leben.

»All You Need Is Love«, haben die Beatles gesungen. Darüber, was unter Liebe verstanden werden kann, gehen die Meinungen auseinander. Für mich ist die einzige Liebe, die das Etikett nicht beschmutzt, die treue Liebe. Die Liebe, die sich über den Moment hinaus verspricht und die dieses Versprechen hält. Wieder die Beatles: »Will you still feed me, will you still need me, when I’m 64

Die XL-Version des Lebens heißt 3L. Das ist für mich die Abkürzung für Lebenslängliche Liebe. Manchmal zweifle ich daran, ob wir modernen Menschen noch die Fähigkeit für 3L haben. Wir wollen sie auf jeden Fall. Das sagen alle Statistiken, inklusive der jüngsten Shell-Jugendstudie. Wir wünschen uns, dass wir wie der zynische Tyrann in Schillers Ballade »Die Bürgschaft« feststellen dürfen: »Die Treue – sie ist doch kein leerer Wahn!« Ob Treue dann tatsächlich den Dauercheck übersteht, das steht auf einem anderen Blatt. Aber dass sie zumindest als Sehnsucht hochaktuell ist, bestätigen die Demoskopen.

 

 

Es ist verblüffend, aber das Ideal der Treue übersteht mühelos alle Varianten des Zeitgeistes – bürgerliche, unbürgerliche, antibürgerliche, konservative, liberale, rechte, linke. Treue ist zeitlos. Ja, Treue ist die zeitlose »In«-Tugend, wie Blau die zeitlose »In«-Farbe ist. Hartnäckig hält Blau den ersten Platz in der Farben-Hitparade der Deutschen. Die Farbe Blau symbolisiert die Treue, aber auch die Sehnsucht und die Ferne, vielleicht deshalb, weil es Treue als Sehnsucht und als Versprechen und als Erinnerung gibt, nicht als ekstatische Momenterfahrung.

Als ich das Thema im Freundeskreis als Titel meines nächsten Buches angeteased habe, gab es immer positive Reaktionen. Mir fiel auf, dass sich bei meinen weiblichen Gesprächspartnern die Augen noch etwas weiter öffneten, emphatisch und erwartungsvoll, bevor sie sich wieder verengten: »Treue – gibt’s das noch?«, habe ich öfter gehört.

Die Skepsis ist berechtigt. Jede dritte Ehe in Deutschland wird geschieden, fast jede zweite bei den neu geschlossenen Ehen. Und weil wir Menschen uns in der Regel nicht von Wünschen, sondern von Erfahrungen leiten lassen, weil wir unser Verhalten bei anderen abschauen, ist anzunehmen, dass sich die Beziehungsbrüche in Zukunft noch vermehren werden.

Kein Grund zur Panik, versichern uns affärengestählte Promis. Til Schweiger mutmaßt: »Die Monogamie hat sich die Kirche ausgedacht.« Das heißt also: Untreue ist normal. Aha. Mario Adorf weiß noch mehr: »Nach einem Seitensprung fängt die Ehe erst an.« Ehebruch als Ehestimulans? Aha. Zusammengeschusterte Familien werden von der Ausnahme zur Regel. Mittlerweile hat das Patchwork-Prinzip auch im Schloss Bellevue Einzug gehalten.

Was denen da oben recht ist, ist denen da unten billig. Als rustikales Alternativprogramm zur feinen Berlin-Mitte-Gastronomieszene habe ich einmal mit einem Freund die Neuköllner Eckkneipe »Gießkanne« besucht: »Du musst unbedingt Horst und Heidi kennenlernen!« Das Mobiliar sah aus, als stammte es aus der Nachkriegszeit, und es roch auch so. Aber die Moral war auf der Höhe unserer Zeit. Mein Freund hatte eine Reportage über den Kiez geschrieben und dabei ein alteingesessenes Ehepaar, eben Horst und Heidi, kennengelernt. Die beiden gehörten zur Stammbelegschaft der »Gießkanne«. »Jeden Abend um Punkt neun kommen die beiden und setzen sich an ihren Stammplatz«, sagte mein Freund und guckte auf die Uhr. »Pass auf, gleich sind sie wieder da.« Tatsächlich. Um 21 Uhr ging die Holztür auf. Herein kam Horst und pflanzte sich an den Tresen. Nur – wo war Heidi? Mein Freund fragte nach. Die Wirtin klärte uns auf: »Die ist weg von ihm.« Horst kippte sein Bier hinunter und sah nicht so aus, als könnte er sich mit neuen Facebook-Freunden über Heidis Abgang hinwegtrösten.

Da würde es mir bessergehen. Ich nähere mich bei Facebook der 1000-Freunde-Schwelle. Ich gehöre noch zu den Usern, die der Gründer des Sozialnetzwerks, Mark Zuckerberg, persönlich geworben hat, vor ein paar Jahren auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos. Damals war er nur ein Promi unter vielen, noch kein Über-VIP, und ich im Auftrag der ARD unterwegs, um über die Folgen der Weltfinanzkrise zu berichten. Aus verschiedenen Zeitungsartikeln hatte ich den Eindruck gewonnen: Der Mann wird mal wichtig. Besser, schon mal einen Erstkontakt herzustellen. Also unterbrach ich sein Gespräch mit einigen anderen nerdy aussehenden Konferenzteilnehmern und stellte mich als deutscher Journalist vor. Ich erwähnte auch, dass ich justament ein Buch mit dem Titel »Faithbook« geschrieben hatte, und hoffte auf einen kleinen Schmunzler von ihm. Er guckte mich regungslos und roboterhaft an und sagte nur: »Germany?« Dann referierte er die neuesten Facebook-Zuwachszahlen im deutschsprachigen Raum und forderte mich auf, selbst beizutreten. Als er fertig war, drehte er sich wieder zu seinen Gesprächspartnern um. Auf meine Bitte nach einem Interview reagierte er gar nicht. Ich schluckte meine Eitelkeit hinunter und kompensierte meine Nicht-Bekanntschaft mit Zuckerberg dadurch, dass ich auf Facebook fleißig auf Freundschaftsakquise ging. Jetzt habe ich den Vorteil, dass ich mit vielen Leuten bekannt bin, die ich nicht kenne. Eine von ihnen hat mich kürzlich bei Facebook angechattet. »Hallo.« Ich war neugierig, was sie von mir wollte. Eine Minute später schrieb sie: »Mein Freund hat sich von mir getrennt.« He, tat sich da was auf für mich? Zehn Sekunden später: »Sorry, das war jetzt nicht für dich bestimmt, ich habe dich verwechselt …« Ich habe mir trotzdem vorgestellt, wie sie mit bleichem oder verheultem Gesicht vor ihrem Monitor sitzt. Ich jedenfalls saß weiter alleine vor meinem Monitor.

Am Ende des oscarprämierten Spielfilms »Schwarze Augen« rechtfertigt sich ein von Marcello Mastroianni gespielter Lebemann dafür, dass er seine Chance auf das große Liebesglück vermasselt hat: »Es ist das 20. Jahrhundert! Wer denkt da noch an jemand anderen? Wer wartet noch auf jemand anderen?« Und: Wer bleibt bei noch jemand anderem?

Mich hat nicht nur das leuchtende Vorbild meiner Eltern motiviert, das Buch zu schreiben, sondern auch das abschreckende Beispiel von einigen Freundinnen. Die letzten Jahre gehen in meine Annalen ein als die »Jahre der traurigen Frauen«. Gleich mehrere haben mir geschildert, wie sie auf die eine oder andere Art Untreue erlebt haben. Sie wurden betrogen, verraten, verlassen, schwer enttäuscht. Jetzt überlegen sie sich, ob sie sich noch einmal aufs Schlachtfeld der Liebe heraustrauen sollen. Wenn die sich noch mal auf die Piste begeben, denke ich mir, dann nur noch mit schwerem Panzer und sorgfältig einstudierten Abwehrreflexen. Verglichen mit unseren Vorfahren, bleiben uns viele Heimsuchungen erspart. Von einem Schicksalsschlag müssen wir aber vermutlich mehr wegstecken als irgendeine Generation vor uns: dem Beziehungsbruch.

Vielleicht ist das der Preis, den wir für unsere neuen Freiheiten und Möglichkeiten zahlen müssen. Das behauptet der Philosoph Sven Hillenkamp in seinem Buch: »Das Ende der Liebe«. Der Untertitel sagt bereits alles: »Gefühle im Zeitalter unbegrenzter Freiheiten«. Der Ansatz ist nicht neu: Der Essayist Denis de Rougemont schrieb in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts eine Monographie über »Die Liebe und das Abendland«. Darin prognostizierte er das Ende der Treue, denn: »Für den Menschen des gegenwärtigen Jahrhunderts ist die Treue die am wenigsten natürliche unter den Tugenden, und es ist die Tugend, die für das Glück scheinbar am unvorteilhaftesten ist.«

Jetzt leben wir im 21. Jahrhundert. Wir, die vorläufig letzten Menschen, leben länger, schneller, diverser, flexibler, mobiler, unabhängiger als unsere Vorfahren. Alles wird lockerer, logischerweise auch unser Bindungsverhalten. »Monogamie langweilt mich fürchterlich.« Wer das gesagt hat? Carla Bruni, die Gattin des französischen Präsidenten, hört man. Spricht sie nur aus, was viele denken?

»AMEFI« kürzt der Paartherapeut Michael Mary die Zielvorstellung »Alles mit einer für immer« ab – und hält sie für überholt und sogar schädlich. Der Zukunftsforscher Matthias Horx hat errechnet, dass die Idealzahl der vorehelichen Romanzen bei rund 12 liegt. Dann sei man bestens gerüstet für das Abenteuer »Ehe«. Über sieben Brücken musst du gehen. Oder über zwölf Leichen. Das Betongelöbnis »Ich bleibe bedingungslos bei dir« will Horx ersetzen durch die Kunstnebel-Formel: »Ich werde dir stets dabei helfen, deine Potentiale weiterzuentwickeln.«

Vielleicht haben sie ja recht. Vielleicht sollten wir uns an den Gedanken gewöhnen, dass Treue für immer von gestern ist. Am Ende gewinnt der, der den besseren Ehevertrag aushandelt und die AGBs gründlicher liest, der den smarteren Scheidungsanwalt engagiert und der, bevor es zu hässlichen Szenen kommt, den Möbelwagen vorfahren lässt. Schließlich gilt beim Schlussmachen das Prinzip: Der Erste macht das Licht aus und der andere bleibt im Dunkeln zurück.

Das Standardargument gegen 3L, lebenslängliche Liebe, sieht so aus: Wir leben länger und weniger abhängig voneinander. Heutzutage sind es nicht wirtschaftliche und soziale Notwendigkeit, sondern nur Gefühle, die Paare zusammenbringen – und wieder auseinander. Unsere Ansprüche an die Liebe überfordern die Ehe, sie sprengen sie irgendwann, was nicht weiter schlimm ist: Allem neuen Anfang wohnt eben auch ein Zauber inne. Wir bleiben treu, aber nur abschnittsweise. Serielle Monogamie ist das Konzept der Zukunft. Wir sind nun einmal schwach. Und die Verhältnisse sind, wie sie sind.

Ich akzeptiere beides nicht: nicht meine Schwäche, nicht die Verhältnisse.

Ich plädiere für eine Laufzeitverlängerung der Liebe. Auf unbefristet.

Und ich bin damit im Trend. Ich werde für die lebenslange Treue noch viele Argumente anführen. Hier liste ich schon einmal Argumente auf, die für ihr Comeback im 21. Jahrhundert sprechen.

 

 

Um es zusammenzufassen: Der Meinungstrend spricht für das Florieren der unbedingten Treue, die Fakten dagegen. Das ist nicht weiter verwunderlich: Die Sehnsucht wächst proportional zu den Schwierigkeiten, sie erfüllt zu bekommen. Je begrenzter das Angebot, desto größer die Nachfrage.

»Nichts, was gut ist, ist nicht auch schwierig«, pflegt eine Freundin von mir zu sagen, die auch schon heftige Kämpfe an der Beziehungsfront hinter sich hat. Treue ist, wie jede große Errungenschaft, nicht selbstverständlich und naturgegeben. Aber sie ist möglich.

Jede Zeit hat ihre besondere Herausforderung, die Wiedergewinnung der Treue als anerkannte und praktizierte Tugend ist die Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Die Frage: »Wie bekomme ich eine glückliche und dauerhafte Beziehung?«, schwingt fast in jedem persönlichen Gespräch mit, das ich führe, ob mit Singles oder mit Verheirateten. Sie bewegt die Menschen mehr als die Fragen, die ich in der »Tagesschau« zu beantworten versuche: ob die Rente sicher ist, der Euro stabil, die Klimakatastrophe abwendbar. Die Leute fürchten sich weniger davor, dass die Arktis schmilzt, als dass sie irgendwann alleine und ungeliebt dastehen.

In der berühmten »Bedürfnispyramide« des Psychologen Abraham Maslow sind die Selbstverwirklichungsbedürfnisse »on top«. Darunter liegen als Fundament unsere Grund-, Sicherheits- und Gemeinschaftsbedürfnisse. Erst kommt die Beziehungsarbeit, dann das Selbstverwirklichungsspiel. Freiheit entfaltet sich am besten innerhalb sicherer Bindungen. Laut D.H. Lawrence ist wahre Freiheit das »Umklammern des richtigen Haltes«. Wo die Stabilität sozialer Zusammenhänge, vor allem von Ehe und Familie, nicht mehr gewährleistet ist, droht Selbstverzettelung statt Selbstverwirklichung. In den letzten Jahrzehnten ist die Bedürfnispyramide auf den Kopf gestellt worden. Dieser Trend muss dringend umgekehrt werden. Auch darum geht es bei »Mono«.

Treue transzendiert die politischen Lager. Treue ist genauso gut ein »rechter« wie ein »linker« wie ein »mittiger« Wert. Treue sichert den Erhalt des Guten, schafft der Freiheit eine sichere Basis, sorgt für Gerechtigkeit zwischen Menschen, die sich einander anvertraut haben.

Wenn ich von »treuer Liebe« schreibe, meine ich nicht nur, aber insbesondere: die romantische, die exklusive, die monogame Liebe, und zwar die lebenslängliche. Und ich schreibe über die heterosexuelle Liebe, weil das die einzige ist, mit der ich mich auskenne.

Okay, so gut auch wieder nicht, sonst wäre ich nicht Single.

Zero statt Mono.

Schöner Treue-Experte.

Wenn dieses Buch nur von einem Ehe-Veteranen hätte geschrieben werden dürfen – 25-jährige Treue-Praxis aufwärts –, dann hätte ich den Job meinen Eltern überlassen müssen. Aber was wissen die von den spezifischen Herausforderungen für Männer, die sich im Global-Digital-Hochgeschwindigkeits-Zeitalter festlegen wollen auf Alles-mit-Einer-für-Immer?

Seit Jahren muss ich mir von den Familienvätern in meinem Bekanntenkreis anhören, dass ich im Gegensatz zu ihnen nichts für die Rente tue. Seit meine Bekannten wissen, dass ich dieses Buch schreibe, wollen die Witzeleien gar nicht mehr aufhören. Immer wieder fragen sie mich, woran es bei mir hapert: An der Treue? An der Liebe?

Meine offizielle Antwort: Ich habe die Richtige noch nicht gefunden.

Meine inoffizielle Antwort: Ich war bisher vermutlich auch noch nicht der Richtige, das heißt: nicht liebes- und treuefähig genug. Manche brauchen halt mehr Vorlaufzeit.

Seit ungefähr einem Vierteljahrhundert träume ich von der großen Liebe. Vielleicht liegt es an meiner Pfarrhaussozialisation, dass ich mich immer mehr von schönen Seelen als von sexy Körpern angezogen gefühlt habe. Zwar ist auch bei mir der direkte Draht von den Augen in die Lendengegend ziemlich kurz und heiß. Aber ich hatte nie den Wunsch, mich in kurze Affären zu stürzen. Als Teenager hatte ich noch nie etwas gehört von Roland Barthes, aber wenn ich damals schon seine »Fragmente einer Sprache der Liebe« gelesen hätte, dann hätte ich den folgenden Satz als meine persönliche Absichtserklärung reklamiert:

»Ich begegne in meinem Leben Millionen von Leibern; von diesen Millionen kann ich nur einige hundert begehren; von diesen Hunderten aber liebe ich nur einen.«

Meine bisherige Beziehungsbilanz sieht so aus: mit ungefähr 1000 Frauen hatte ich das, was man als »Begegnung« bezeichnen könnte: ausführliche Gespräche, gegenseitige Sympathiebekundungen. Von ungefähr 100 Frauen habe ich mich romantisch angezogen gefühlt. Mit ungefähr zehn Frauen hatte ich das, was man heute als »Dating Relationships« bezeichnet: Beziehungsouvertüren, die aber nicht in die treue Zweierkiste führten. Eine feste Beziehung hatte ich bisher nur einmal.

Ungewöhnlich für einen 39-Jährigen.

Unfassbar für einen 39-Jährigen, der beruflich und privat von Event zu Event springt, der auf Parteitagen unterwegs ist, auf der Berlinale, der Popkomm, dem Artforum und den dazugehörigen After-Show-Partys. Trotzdem immer noch solo? Das ist der Stoff, aus dem Hollywood-Komödien gemacht sind.

Den Stoff, aus dem Tragödien gemacht sind, haben einige der Frauen geliefert, die ich auf der Suche nach der »Einen« getroffen habe. Ich hätte nur allzu gerne, aber die Traumfrauen in spe wollten am Ende doch nicht springen. Konnten sich nicht hergeben. Hörten, wenn ich lyrische Zuneigungsbeteuerungen formulierte, nur Kratzgeräusche. Hatten sich in einer Unsicherheits-Endlosschleife zwischen »Tu mir nicht weh« und »Hab mich ganz lieb« eingeklemmt. Oder fanden mich einfach nicht toll genug. Was weiß ich. Ihre Geschichten haben mich darin bestärkt, weiterhin alles auf eine Karte zu setzen und mich nicht mit Kurzfristromanzen zu verzocken.

Was sie voneinander unterschied, war, dass die einen vertrauensvoll waren und die anderen nicht. Was daran lag, dass die einen bisher nur ein paar Blessuren vom Schlachtfeld der Liebe davongetragen hatten und die anderen schwere Verletzungen. Diese hübschen Liebes-Invaliden hatten sich beziehungsunfähigen Partnern anvertraut: Narzissten und Autisten, Alkoholikern und Erotomanen. Sie hatten ihren Partnern das geladene Gewehr der Liebe in die Hand gedrückt, dabei zaghaft »Schieß nicht« gehaucht – und waren kaltblütig abgeballert worden. Wo die einen Frauen sich freuten, wenn sie das Wort »Liebe« hörten, brach den anderen der Angstschweiß aus.

Mit Frauen ist es wie mit Popsongs. Der perfekte Popsong, hat der Pet Shop Boy Neil Tennant gesagt, ist »schön mit einem Schuss Traurigkeit«. Ich weiß noch genau, wie ich mit pumpendem Herzen und lockerem Mundwerk einer solchen schön-traurigen Frau zum x-ten Mal gegenübersaß und meinen x-ten Versuch startete, emotionale Intimität herzustellen. Ich fragte sie nach ihren Zukunftsplänen, Männer betreffend. Sie ging darauf nicht ein, sondern sagte: »Ich werde es nicht zulassen, dass mich ein Mann jemals wieder verletzt.« Ich fragte zurück: »Wie kannst du das ausschließen?« Sie schüttelte stur den Kopf: »Ich werde es nicht zulassen. Nie wieder. Nie.« Dabei sah sie durch mich hindurch und scannte die kahle Restaurantwand ab. Sie hatte einige Beziehungen gehabt, mit der genauen Zahl wollte sie nicht herausrücken. Drei, fünf, sieben, mehr? Der Philosoph Ortega y Gasset schätzt, dass jeder Mensch maximal drei große Liebschaften verträgt. Sind unsere Kapazitäten für große Gefühle irgendwann erschöpft? »How much of yourself can you give away«, singen Everything But The Girl, »after someone left your life in disarray?«

Ist nicht mein Stil. Ist nicht mein Charakter. Ist nicht meine Vorstellung von Liebe. Ich denke mir: Auch wenn sie’s wissen will, will sie eigentlich etwas anderes. Jedenfalls will ich etwas anderes.

Ich habe allerdings keine Ahnung, was gute Vorsätze wert sind, wie viel Druck die Treue aushält und ob ich sie überhaupt finde: die Liebe, die passt und hält.

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Dieses Buch ist keine ausgewogene, ergebnisoffene Beziehungsanalyse, sondern ein moralistisches Manifest pro mono. Ich betätige mich hemmungslos als Treue-Lobbyist.