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Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, April 2018

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ISBN Printausgabe 978-3-499-63307-2 (1. Auflage 2018)

ISBN E-Book 978-3-644-40227-0

www.rowohlt.de

 

Die angegebenen Seitenverweise beziehen sich auf die gedruckte Ausgabe dieses Buches.

ISBN 978-3-644-40227-0

Sepp Herberger

Fußball ist ein einfaches Spiel. Oder etwa nicht? Wer den Fußball der jüngeren Vergangenheit verfolgt, dürfte nicht immer das Gefühl haben, einen einfachen Sport vor sich zu haben. Früher hieß es: «Geht’s raus und spielt’s Fußball.» Heute ist von falschen Neunern die Rede und von abkippenden Sechsern, von Fünferketten und Matchplänen, von individueller Belastungssteuerung und von digitalen Scouting-Lösungen. Ist das, wie der kicker vorwurfsvoll formulierte, «der Versuch einer Elite, durch eine Verwissenschaftlichung der Begriffspalette jene von der Diskussion um den Volkssport Nummer eins auszuschließen, denen man ohnehin nicht zutraut, etwas von der Materie zu verstehen»? Anders gefragt: Was hat sich schon verändert? Ein Ball, 22 Spieler, ein Platz mit 7140 Quadratmetern – so war der Fußball, so wird er immer sein. Warum sollte der Sport plötzlich komplexer geworden sein, wie man allerorten hört?

Die Antwort liegt, wie Otto Rehhagel einst so schön sagte,

Der Wandel ereignete sich nicht von heute auf morgen. Ein Grund dafür ist das viele Geld, das mit dem Profifußball verdient wird. Die Umsätze der Spitzenklubs haben sich seit den neunziger Jahren verzehnfacht. Das Interesse am Fußball macht es möglich. Der Fan bezahlt, sei es für das Stadionticket, Merchandising oder Pay-TV-Abos. Viel von diesem Geld stecken die Klubs in irrwitzige Transfersummen und immer höhere Gehälter. Doch es fällt auch etwas für andere Bereiche ab: für die Nachwuchsarbeit, mit der bereits sehr junge Talente gesucht und gefördert werden, für immer modernere Trainingsplätze, auf denen Fußballer effektiver trainieren können, oder für technische Innovationen, die Spielern helfen, schneller zu regenerieren und besser Muskeln aufzubauen. Im

Der Fußball hat sich in sämtlichen Bereichen professionalisiert. Vorbei sind die Zeiten, als Manager aus Lust und Launen heraus Spieler verpflichteten. Horst Hrubesch, einer der treffsichersten Stürmer seiner Zeit, wurde erst entdeckt, als er schon 24 war, per Zufall, bei einem Spiel für einen Amateurklub. Heute beschäftigen die großen Vereine Kaderplaner, die genaue Vorstellungen entwickeln, welche Spieler zum Klub passen und welche nicht. Scouts leuchten mögliche Neuverpflichtungen aus bis ins kleinste Detail. Ärzte und Physiotherapeuten überwachen die Blutwerte der Spieler, stets besorgt, dass die Spieler konditionell oder athletisch abfallen. Möglichst wenig soll dem Zufall überlassen werden – in der Vergangenheit ein häufig bemühter Faktor im Fußball.

Den größten Einfluss auf die Entwicklung des Fußballs hatten aber nicht die hypermodernen Trainingszentren oder die Sponsoren mit dem vielen Geld. Es sind Menschen, die mit ihren Ideen die Welt verändern. Im Fußball findet man diese Menschen oft auf den Trainerbänken. Es liegt in der Natur des Berufs: Die Forschung mag große Durchbrüche in der Trainingswissenschaft erzielt haben, die Mannschaften mögen intelligenter zusammengestellt sein, die Spieler besser ausgebildet. Am Ende entscheidet der Trainer, wie eine Mannschaft spielt, wie sie trainiert, welche Taktik sie umsetzt. In der Geschichte des Fußballs gab es immer wieder Trainer, die auf diese Fragen neue, innovative Antworten gefunden haben.

Der Wandel des Fußballs hängt eng zusammen mit dem Wandel des Trainerberufs. Kein Posten im Fußball hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren so sehr verändert wie der Beruf des Trainers. Früher waren sie eben das: Fußballtrainer. Heute müssen sie zig Funktionen auf einmal erfüllen. Sie müssen Mannschaftsführer sein, Lehrer, Taktikfuchs, Psychologe, Physiotherapeut, Experte für die sich ständig weiterentwickelnde Trainingswissenschaft und – last, but not least – abgebrühte Medienprofis. Nie war das Scheinwerferlicht, das auf die Trainer fällt, greller als heute. Trainer genießen fast so viel Popularität wie ihre Spieler. Sieg oder Niederlage, Triumph oder Debakel, schöner oder hässlicher Fußball: All das wird häufig am Trainer festgemacht. Die Erwartungen steigen ins Unermessliche, wenn Pep Guardiola zu Bayern München oder José Mourinho zu Manchester United wechselt. Und das nicht ohne Grund, wie die vergangenen Jahre zeigen: Ein guter Trainer kann den Unterschied machen zwischen einer durchschnittlichen und einer sehr guten Mannschaft.

 

In diesem Buch möchte ich Ihnen Trainer vorstellen, die den Fußball in den vergangenen Jahren maßgeblich geprägt haben. Die Einfluss darauf hatten, wie heute Fußball gespielt wird. Ich möchte ihre Ideen vorstellen, ergründen, wie sie auf diese Ideen gekommen sind, und beschreiben, was sie einzigartig macht und wieso sie mit ihren Mannschaften Erfolge feiern. Erfolg muss nicht gleichbedeutend sein mit dem Gewinn von Titeln. Es kann auch ein Erfolg sein, wenn ein Trainer

Ein Fußballteam ist ein komplexer Organismus, Fußball ein komplexer Sport. Kondition, Technik, Psychologie, Taktik, Form, persönliche Animositäten und Kritik von außen – all diese Dinge entscheiden über Erfolg und Misserfolg. Ein Trainer muss die richtigen Entscheidungen treffen, um alle Themen unter einen Hut zu bekommen. Jeder Trainer hat Bereiche, in denen er sich besonders auskennt. Der eine mag ein Meister der Trainingslehre sein, der andere ein abgebrühter Medienprofi, der Dritte ein einfühlsamer Psychologe. Viele Wege führen nach Rom. Ich möchte zeigen, welche neuen Wege die Trainer in den jeweiligen Teilbereichen des Fußballs beschritten haben.

Ein Aspekt, der in den vergangenen Jahren immer wichtiger wurde, ist die Taktik. Es ist der Bereich des Fußballs, in dem ich mich besonders gut auskenne. Seit Jahren beobachte, analysiere, beschreibe ich Strategien und Taktiken, mit denen Spitzenteams Erfolge feiern. Als Blogger habe ich auf der Seite Spielverlagerung.de angefangen, über das Phänomen Taktik zu berichten. Mittlerweile habe ich das Hobby zum Beruf gemacht. Taktik nimmt auch in diesem Buch einen großen Stellenwert ein, ist sie doch der Bereich, der sich in den vergangenen Jahren maßgeblich gewandelt hat. Trainer definieren sich mehr denn je über ihre Spielphilosophie, über die taktischen Ideen, die sie ihren Spielern mitgeben. Die Professionalisierung hat dazu geführt, dass die Klubs mittlerweile Analysten und Scouts einstellen, die ihren Chefs zuarbeiten. Sie analysieren den kommenden Gegner, suchen Stärken und

Strategie und Taktik

Strategie und Taktik werden oft synonym verwendet, bezeichnen aber zwei unterschiedliche Konzepte. Die Strategie bezieht sich auf übergeordnete Fragen, die ein Trainer über längere Zeit prägt: Ist es ihm wichtiger, dass seine Mannschaft Tore schießt, oder soll sie in erster Linie Tore verhindern? Will ein Team den Ball haben, oder spielt es stärker auf Konter?

Die Taktik bezeichnet die einzelnen Elemente, die genutzt werden, um eine Strategie umzusetzen. Das Konterspiel ist beispielsweise ein strategisches Element. Der lange Ball, um schnell das Mittelfeld zu überbrücken, wäre ein dazu passendes taktisches Element.

Es ist kein Zufall, dass die erfolgreichsten Trainer der vergangenen Jahre auch die taktisch klügsten waren. Pep Guardiola und José Mourinho haben mehr Titel gewonnen als jeder andere Trainer. Sie sind zwei Taktikfüchse, jeder auf seine Art. Auch Jürgen Klopp, Joachim «Jogi» Löw oder Antonio Conte haben ihre Teams mit den richtigen Strategien an die Spitze geführt. Man könnte dies als Ex-post-Analyse abtun nach dem Motto: «Der Sieger schreibt die Geschichte.» Ich argumentiere andersherum: Zunächst stand bei all diesen Trainern die Spielidee, die Philosophie, nach der sie spielen ließen. Die Erfolge stellten sich erst ein, als ihre Spielideen fruchteten. Darum möchte ich mich auch gar nicht zu sehr auf ihre Titel, auf

Thomas Tuchel verglich ein Fußballspiel im Interview mit dem ZeitMagazin Mann mit einem Theaterstück: «Die Mannschaften gehen raus, dann ist Aufführung, und wir gucken alle das Spiel.» Ein bisschen gleicht der Trainerberuf tatsächlich dem eines Regisseurs: Er behält den Überblick, plant alles, versucht, den Spielern seine Vision zu vermitteln. Am Ende sind zwar die Spieler die Schauspieler, die das Stück aufführen. Es waren aber die Trainer, die ihnen das Wie an die Hand gaben. Insofern spiegelt ein Fußballspiel auch immer die Philosophie und ein Stück weit auch die Persönlichkeit eines Trainers, genau wie Theaterstücke häufig Spiegelbilder ihrer Regisseure sind. In meinen Porträts wiegen daher die Taten der Protagonisten mehr als ihre Worte; der Fokus liegt auf der Analyse ihrer Arbeit, ihrer Aufführungen, die sie der Welt präsentieren. Was sind die Methoden dieser Trainer? Wie sieht ihre bevorzugte Taktik aus? Wie sieht ihre tägliche Arbeit aus? Was machen sie anders als ihre Kollegen? Welche Menschen haben sie beeinflusst, und welchen Mitarbeitern vertrauen sie? Wie sieht ihre Trainingsmethodik aus, welche Strategie steckt hinter ihrer Aufstellung? Kurz: Wie denken sie den Fußball neu?

Die Biographien und die Persönlichkeiten der Trainer sind dabei wichtige Bausteine, um ihren Erfolg zu erklären. Unsere Umgebung formt uns zu dem, was wir sind. Ich werde in jedem Kapitel den Werdegang und die wichtigsten Eigenheiten eines Trainers vorstellen. Was ich nicht machen werde: Ihnen vorbeten, wie fleißig und fußballverrückt sie sind. Jedes Porträt ließe sich mit denselben Phrasen ausschmücken: Sie alle lieben den Fußball. Abgöttisch. Man könnte sie nachts

 

Für dieses Buch habe ich mir Tausende Fußballspiele angesehen, bin zu Trainings von Bundesliga-Vereinen gefahren, habe Zeitungen und Bücher nach Interviews und Anekdoten durchgewälzt. Ich habe Spieler getroffen, die unter diesen Trainern gearbeitet haben, und mit Journalisten und Experten gesprochen, die deren Karrieren bereits lange verfolgen. Ich habe mich bemüht, möglichst viele Informationen über die elf Trainer zusammenzutragen. Nur eines ist mir leider nicht gelungen: persönlich mit ihnen zu sprechen. Einerseits ist das nur zu verständlich: In Zeiten des totalen medialen Interesses am Fußball erhalten die Trainer Dutzende, teils Hunderte Interviewanfragen. Andererseits hat sich bei vielen Klubs mittlerweile eine Wagenburgmentalität entwickelt. Pressesprecher halten Journalisten auf Abstand, beantworten selbst einfache Fragen nicht mehr – Presseabwimmler wäre in den meisten Fällen die passendere Jobbeschreibung.

Sie werden wahrscheinlich nicht jedem Schluss zustimmen, den ich aus meinen Analysen ziehe. Vielleicht werden Sie auch nicht mit meiner Auswahl an Trainern einverstanden sein. Aber ich hoffe, dass Sie zumindest etwas lernen über die Trainer und ihre Methoden – und nebenbei auch darüber, wie der Fußball im Jahr 2018 funktioniert.

José Mourinho

«Für mich ist Schönheit, dem Gegner nicht zu geben, was er will. Es gibt viele Dichter im Fußball, aber die gewinnen keine Titel.»

Obwohl ich mich seit Jahren mit der Arbeit von Mourinho

Mourinho hat das Spiel mit den Medien perfektioniert. Jedes Mikrophon nutzt er als Bühne, um sich selbst darzustellen. Nicht nur der Mensch Mourinho verschwindet hinter dieser Fassade, sondern auch der Fußballtrainer. Was macht Mourinho eigentlich den ganzen Tag lang? Was zeichnet ihn als Trainer aus? Und wie konnte er zu einem der größten Trainer unserer Zeit werden? Diese Fragen sind gar nicht so leicht zu beantworten bei einem Menschen, der sein Image genau steuert. Der sein privates Ich vor der Öffentlichkeit abschottet und über jedes Detail wacht, das nach außen dringt. Doch wenn man sich näher mit Mourinho als Trainer beschäftigt, stellt man fest: Es steckt mehr hinter ihm, als man vermuten würde. Mourinho ist einen steinigen Weg gegangen, um zu einem der erfolgreichsten Trainer unserer Zeit zu werden. Und er steht beispielhaft für eine wichtige Einsicht: Ein großer Trainer muss kein großer Spieler gewesen sein.

 

Mourinhos «Bibel» liefert einen ersten Anhaltspunkt, wie der allseits bekannte und doch irgendwie völlig unbekannte Trainer Mourinho tickt. Als José Mourinho in den Neunzigern

Mourinhos Traum, mit Fußball sein Geld zu verdienen, war nahezu aussichtslos. Er versuchte es trotzdem. Mourinho hatte eine tiefe Verbindung zum Fußball, er wurde praktisch in den Fußball hineingeboren. Sein Vater Félix Mourinho war von Beruf Torhüter. Höhepunkt von dessen Karriere war ein Länderspieleinsatz für Portugal. Nach seinem Karriereende arbeitete er als Trainer. José schaute seinem Vater stets über die Schulter. Als kleiner Junge alberte er mit den Mitspielern seines Vaters herum, später war er Mitarbeiter des Trainerstabs. José arbeitete als sogenannter Scout: Er beobachtete für seinen Vater den nächsten Gegner. So lernte er früh das Trainergeschäft kennen – auch dessen Schattenseiten. Hilflos musste er mit ansehen, wie sein Vater wieder und wieder den Job verlor und wie die Familie darunter litt. Die wohl prägendste Erfahrung ereignete sich Weihnachten 1984: Familie Mourinho hatte sich gerade zum Weihnachtsessen eingefunden, als das Telefon klingelte. Der Vereinspräsident war am Apparat. «Tut mir leid, Félix.» Der Vater wurde entlassen. An Heiligabend.

Früher waren sie eine Ausnahmeerscheinung, heute stellt jeder Verein gleich mehrere an: Scouts. Der Begriff stammt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt «Kundschafter» bzw. «Späher». Scouts reisen für einen Verein zu Spielen anderer Klubs. Dort kundschaften sie die kommenden Gegner des Teams und deren Spieler aus. Sie beobachten auch mögliche Neuzugänge und prüfen, ob diese den Verein verstärken würden. Mittlerweile hat sich das Berufsbild aufgespalten: Die Klubs beschäftigen Spieler-Scouts, die sich ganz auf die Beobachtung von Transferkandidaten konzentrieren, Videoanalysten, die Videomaterial des kommenden Gegners sichten und für den Trainer aufbereiten, und Statistiker, die sich durch Zahlen und Daten wühlen.

Mourinho träumte dennoch davon, eines Tages ein Großer des Fußballs zu werden. Zunächst versuchte er sich als Spieler. Ihm fehlten jedoch die Statur und das Talent, um auf dem höchstem Niveau mithalten zu können. Nach einigen Einsätzen in der zweiten portugiesischen Liga beendete er seine Karriere. Dem Wunsch seiner Mutter, eine Banklehre zu machen, kam er genau einen Tag lang nach. Dann kündigte er. Stattdessen bewarb er sich für ein Studium der Sportwissenschaften in Lissabon. Sein Vater stand hinter ihm und half ihm, für die Aufnahmeprüfung zu büffeln.

Das Studium der Sportwissenschaften war der erste wichtige Wendepunkt in Mourinhos Leben. Er traf an der Universität Akademiker, die sein Bild vom Fußball prägen sollten. Bereits am ersten Tag lernte er Professor Manuel Sérgio kennen,

Nach seinem Studium verschaffte Jesualdo Ferreira, ein weiterer Dozent der Hochschule, Mourinho einen Posten als Assistenztrainer beim Klub Estrela da Amadora. Als Mourinho die Hochschule verließ, hatte er nicht nur seine erste Festanstellung im Fußballgeschäft, sondern auch eine neue Sichtweise auf den Sport gewonnen.

Periodisierung

Im Sport stammt das Konzept der Periodisierung aus der Leichtathletik. Die Trainingszeit wird in unterschiedliche Perioden eingeteilt, meist Zyklen genannt. Innerhalb der einzelnen Zyklen werden unterschiedliche Bereiche mit wechselnder Intensität trainiert. Die Zyklen dienen dazu, zu einem bestimmten Zeitpunkt in Bestform zu sein. Es ist ein Modell, das zur langfristigen Trainingsplanung dient. Dieses Modell wird heutzutage auf den Fußball übertragen.

Mourinho wechselte gemeinsam mit Robson zum FC Porto und später zum FC Barcelona. Dort arbeitete er zunächst weiter für den Briten. Als Barça Robson entließ, übernahm Louis van Gaal dessen Amt. Mourinho sollte eigentlich mit Robson den Verein verlassen, drängte sich jedoch dem neuen Trainer auf. Van Gaal imponierte Mourinhos Selbstbewusstsein. «Ein arroganter junger Mann» sei Mourinho gewesen, doch genau das faszinierte van Gaal an ihm. Mourinho habe seine Meinung nie versteckt. «Am Ende habe ich öfter auf Mourinho gehört als auf meine übrigen Assistenztrainer.»

 

Im neuen Jahrtausend verließ Mourinho Barcelona. Er wollte nicht länger Assistenztrainer sein, sondern als Cheftrainer selbst Verantwortung tragen. Nach einem kurzen Stelldichein bei Benfica Lissabon – Mourinho überwarf sich mit dem Präsidenten – führte er den Provinzklub União Leiria 2002 zu einem sensationellen fünften Platz, die beste

Mourinho selbst scherzte zu jener Zeit: «Nach 15 Jahren als Trainer gelte ich jetzt als Erfolg über Nacht.» Tatsächlich hatte er sich über ein Jahrzehnt auf den Trainerberuf vorbereitet. An der Universität von Lissabon und als Assistenztrainer in Barcelona entwickelte er seine Philosophie. Dass er in Porto derart große Erfolge feierte, hatte einen simplen Grund: Er war der Konkurrenz um mehrere Jahre voraus, und das in allen relevanten Bereichen des Fußballs: im Training, in der Taktik und in der Mannschaftsführung.

 

Im Training orientiert sich Mourinho bis heute an der Methodik von Seirullo, die er in Barcelona kennengelernt hat. Jede Trainingseinheit findet mit Ball statt. Ein isoliertes Konditionstraining, beispielsweise durch Waldläufe, verhöhnt Mourinho: «Ein begnadeter Pianist rennt nicht um sein Klavier oder macht Liegestütze auf seinen Fingern. Er spielt Klavier, sein ganzes Leben lang.» Wichtig ist für ihn ein ganzheitliches Training, das alle Aspekte des Fußballs vereint. Statt einzelner Übungen, bei denen nur ein Detail trainiert wird, sollten die Trainingseinheiten immer mehrere Elemente umfassen. Wenn Mourinho möchte, dass sein Team das Passen trainiert, stellt er keine Hütchen auf und lässt seine Spieler vorgegebene Passfolgen abspulen. Stattdessen wird das Passen in eine

Anders als die meisten Trainer plant Mourinho sein Training nicht «aus dem Bauch heraus», sondern gibt ihm einen wissenschaftlichen Anstrich. Mourinho trainiert dabei nach dem Konzept der «taktischen Periodisierung», das sein Universitätsprofessor Frade entwarf. Im Vordergrund steht die Vermittlung des Spielkonzepts, das Mourinho sehen möchte. Dieses Spielkonzept ist die Maxime. Die Maxime wird wiederum in einzelne Sub-Prinzipien unterteilt. Diese Organisation geht hinunter bis zu den Sub-Sub-Prinzipien. Entscheidend ist, dass alle zurückführen zur Maxime, dem Kern der Mannschaft. Die einzelnen Sub-Prinzipien müssen immer und immer wieder trainiert werden, damit die Spieler sie irgendwann unbewusst abrufen können. Somit entfernt sich Mourinho auch von der klassischen Trainingsmethodik, nach der die Spieler auf einzelne Höhepunkte «in Form gebracht» werden sollen. Mourinhos Methodik zielt darauf ab, sein Spielkonzept, die Maxime, so weit zu perfektionieren, dass die zahlreichen Sub-Prinzipien jederzeit abgerufen werden können, egal, ob in einem Spitzenspiel der Champions League oder einem Duell gegen einen Abstiegskandidaten. Er plant seine Trainingswochen lange im Voraus, um die einzelnen Sub-Prinzipien über lange Zeit perfektionieren zu können. Jede Trainingswoche enthält dabei Phasen der Regeneration

Abb. 1: Taktische Periodisierung

Mourinhos Training beim FC Porto war immer ganz darauf ausgerichtet, seinem Team Vorteile im taktischen Bereich zu verschaffen. Die Maxime seines Spielkonzepts, das strategische Ziel, war der Umschaltmoment nach Ballgewinnen. Heutzutage ist der Umschaltmoment in der Fußballsprache etabliert, jener Moment, in dem ein Team den Ball gewinnt und damit von Defensive auf Offensive umschalten kann. Anfang des Jahrtausends war das Wort «Umschaltmoment» ein Neologismus, eine Wortneuschöpfung, die kaum jemand benutzte. Mourinho, Organisationsfanatiker, wie er war, ließ genau trainieren, wie die Mannschaft den Ball zu erobern und wie sie nach Ballgewinnen umzuschalten hat. Mourinho erklärte den Umschaltmoment zur Maxime, dem sich alles im Spiel unterzuordnen hat. Wenn seine Mannschaft den Ball gewann, sollte sie nicht nach hinten oder zur Seite passen, sondern direkt nach vorne. «Je länger der Ball im Mittelfeld zirkuliert, umso wahrscheinlicher ist es, dass der Gegner uns den Ball abnehmen wird», so Mourinho. Schnelligkeit geht über Genauigkeit.

Das erste Sub-Prinzip, das für ein schnelles Umschaltspiel nötig ist: die Balleroberung. Mourinho wollte nicht, dass sein Team am eigenen Strafraum verharrt und auf den Gegner wartet. Nur wer den Ball am richtigen Ort erobere, könne schnell vor das gegnerische Tor gelangen. Die Abwehr sollte nach vorne rücken, das Mittelfeld ebenso. Die Mannschaft sollte die

Der Umschaltmoment bezeichnet den Moment, in dem der Ballbesitz wechselt: Ein Team erobert den Ball, das andere Team verliert den Ball. Die Mannschaften müssen nun von Offensive auf Defensive bzw. von Defensive auf Offensive umschalten. Umschaltspiel meint also, wie eine Mannschaft nach einem Ballgewinn oder Ballverlust reagiert. Oft wird dieser Begriff auch synonym mit dem Begriff «Konterspiel» verwendet. Hier bezeichnet das Umschaltspiel einzig das schnelle Spiel nach vorne, sobald ein Team den Ball erobert hat.

Räume eng machen, sodass sie Druck auf den Gegner ausüben kann. Alle Spieler mussten dafür defensiv mithelfen. «Es gibt Leute, die sagen, kreative Spieler seien von Abwehraufgaben zu entlasten», sagt Mourinho. «Wer dies behauptet, kennt den Fußball nicht. Alle elf Spieler müssen zu jeder Zeit genau wissen, was sie zu tun haben.»

Als Sub-Sub-Prinzip ließ Mourinho verschiedene Formen des Balleroberns trainieren: eine Variante, bei der der Gegner bereits in dessen Hälfte gestört wird – ein Angriffspressing. Eine Variante, bei der Abwehr und Mittelfeld eng aneinanderstehen und den Ball am Mittelkreis erobern – ein Mittelfeldpressing. Und eine Variante, bei der sein Team tief verteidigt und den Gegner in die eigene Hälfte lockt, um dort zuzuschlagen – ein Abwehrpressing. Mourinho forcierte dabei vor allem das Mittelfeldpressing: Wer den Ball im Mittelfeldzentrum gewinnt, könne am besten kontern. Die gegnerische Mannschaft ist dann aufgerückt, der Weg zum Tor nicht zu weit. Das

Pressing

Im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet man den Begriff Pressing, wenn das verteidigende Team den Gegner schon weit in dessen Hälfte attackiert. In der Fußball-Fachsprache bezeichnet das Pressing allerdings jeden Versuch, dem Gegner den Ball abzunehmen – egal, wo auf dem Feld das geschieht. Im modernen Fußball wird das meist im Kollektiv versucht, um dem Gegner keine Lücken zu bieten und die Chance auf einen Ballgewinn zu erhöhen. Das Gegenteil vom Pressing ist das Stellen des Gegners. Hierbei schließt man nur passiv die Passwege für den ballführenden Spieler, versucht aber nicht aktiv, den Ball zu erobern. Der Verteidiger bleibt hierzu vor dem Gegenspieler stehen und geht nicht aktiv in den Zweikampf.

Mourinhos Geniestreich in Porto war es, die einzelnen Varianten so weit zu perfektionieren, dass sein Team sie jederzeit abrufen konnte. Der FC Porto konnte seiner Maxime, dem Umschaltspiel, stets treu bleiben, sich dabei aber individuell an den Gegner und das Spiel anpassen. Dass sein Team die Stärken und Schwächen des Gegners bedenkt, ist Mourinho äußerst wichtig. Die Gegnerbeobachtung hat für den früheren Scout höchste Priorität. Als er bei Benfica als Cheftrainer anfing, war er mit der Qualität der Gegneranalysen

Die letzten zwei Trainingstage vor einem Spiel waren immer der Einstellung auf den kommenden Gegner vorbehalten. Mourinho ließ nicht nur eine Marschroute trainieren. Sein Torhüter Vítor Baía sagte später gegenüber dem Blizzard: «Ich erinnere mich an ein Spiel gegen Benfica. In der Woche vor dem Spiel hat er uns auf den Fall vorbereitet, dass wir ein Tor schießen. Er erklärte uns, welche Auswechslung José Antonio [Benficas Coach] vornehmen und wie er seine Taktik umstellen wird. Genau so ist es eingetroffen. Wir waren komplett darauf vorbereitet.» Mourinho überlässt nichts dem Zufall. Er studierte mit seiner Mannschaft sogar ein, wie sie sich bei einem Rückstand in den Schlussminuten zu verhalten hat. Anstatt den Ball einfach lang in den Strafraum zu schlagen, sollten sie Passmuster befolgen, die abgestimmt waren auf den Gegner. Oft ließ Mourinho auch Zettel auf das Spielfeld reichen. Dort notierte er detaillierte taktische Änderungen, die seine Spieler dann umsetzten.

Manchmal stand auf den Zetteln nur ein einziges Wort: «Gewinnt!» Das führt zu Mourinhos drittem großen Steckenpferd: der Psychologie. Mourinho hatte sich bereits als Student ausführlich mit der Psychologie des Menschen beschäftigt. Schon als kleines Kind hatte er Fußballspieler kennengelernt.