Das Dach muss vor dem Winter drauf

Sehen Se, jetzt kennen Se alle meine Leutchen von den Zettelchen hinten und vorne her, aber mich, mich kennen Se vielleicht noch nich. Na, Sie werden mich kennenlernen, hihi. Mein Name ist Renate Bergmann, ich bin 82 Jahre alt, eine geborene Strelemann, und ich lebe in Berlin. Sicher, in Spandau, aber man kann es drehen und wenden, wie man will, es bleibt doch Berlin. Sehen Se, jetzt hätte ich fast vergessen zu schreiben, dass ich zwar alleinstehend, aber in meinem Leben ganze viermal verheiratet gewesen bin.

 

Bevor ich was vergesse, denke ich immer noch bei mir: «Renate, das musst du dir merken!» Später erinnere ich mich noch daran, dass ich mir was merken wollte, aber was es war, fällt mir beim besten Willen nicht mehr ein. Kennen Sie das? Ach, es ist ein Jammer. Kaum hat man im Kopp alles so weit beisammen, dass man denkt, man versteht ein bisschen was vom Leben, fängt man an zu vergessen. Und das Schlimme ist ja, dass ich als ältere Frau das nicht mal zugeben darf. Was meinen Sie, was dann los ist. Da fangen alle an sich zu kümmern und auf einen aufzupassen. Wenn Sie als jüngerer Mensch

Letzten Herbst war es bei mir so weit, ich hatte die Salzkartoffeln angesetzt – drei für Stefan, je zwei für Ariane und mich, eine für die kleine Lisbeth, na, und noch fünf für den Topf, da läutete es. Gerda Wichelsbach war da. Gerda bringt mir immer altbackene Brötchen, aus denen ich mit dem Höllenmischer von meiner Tochter Kirsten Semmelmehl reibe. Das macht ja heute auch fast keiner mehr, lieber wird alles weggeschmissen und für teures Geld Brösel angeschafft. Gerda selbst wohnt bei ihrer Tochter, die «diese Schweinerei nicht in der Küche haben will». Na ja, und wie das so ist, wenn man sich ein Weilchen nicht gesehen hat … wir wechselten ein paar Worte, Gerda berichtete, dass Schwester Sabine den Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer losgeworden war (denken Se sich das mal!), und so gab ein Wort das andere und wir vergaßen die Zeit. Gerdas Tochter, die sie gebracht hatte, hupte schon wie eine Wilde und deutete auf ihre Armbanduhr, und so verabschiedeten wir uns nach kaum einer Dreiviertelstunde. Wie ich wieder in meine Wohnung hochkomme, war da

 

Aber wer sollte das sein? Zuerst kommt einem da natürlich das eigene Kind, meine Tochter Kirsten, in den Sinn. Aber die wohnt weit weg, und ich kann nicht sagen, dass das schade ist. Warten Se nur ab, Sie werden noch verstehen, warum. Familie ist aber heutzutage nicht nur, wer im Stammbaum steht, sondern vielmehr, wer im Herzen wohnt. Also, Freunde und liebgewonnene Bekannte. Da muss man auch mal durchgehen, wer in Frage käme. Nun sage ich Ihnen ganz ehrlich, meine Freundinnen Ilse und Gertrud sind mein Jahrgang. Und Kurt, der Angetraute von Ilse, hat sogar noch ein paar Lenze mehr auf dem Buckel. Auf Hilfe und Betreuung von denen zu hoffen wäre vielleicht … etwas zu optimistisch.

Bliebe noch Stefan, was mein … lassen Se mich überlegen … Neffe, ja, er ist ein angeheirateter Neffenenkel oder so, ein Enkel des Bruders meines ersten Mannes Otto. Jedenfalls sagt er immer «Tante Renate» zu mir und hat eine gute und patente Frau, die Ariane. Und

Ja, solche Gedanken kommen einem im Alter. Während ich grübelnd darüber nachsann, ahnte ich noch nicht, wie sich alles bald fügen sollte, Stein für Stein.

Wissen Se, das Leben ist schon ein Schlawiner: Immer, wenn man denkt, nun ist alles in geordneten Bahnen, passiert was und stellt alles auf den Kopf.

Kaum war ich den Tach zur Tür rein, hatte Katerle versorgt und mich an den Küchentisch gesetzt, um die Post durchzugucken, ging die Türglocke. Es waren Stefan und Ariane, was mich sogleich stutzig machte. Ariane kommt sonst nur mit zu mir, wenn es unbedingt nottut. Sie hat immer Angst, dass sie die Schürze umbinden muss und Haushaltskniffe beigebracht kriegt, das ungeschickte Ding. (Nötig wäre es!)

Deshalb kommt Stefan meist allein zu mir. Ariane putzt lieber weiter bei Sonnenschein die Fenster und ärgert sich hinterher über die Schlieren. Jetzt war se aber mit, nur die Lisbeth hatten sie nicht dabei. Ach,

«Lisbeth ist bei Madlääään», erklärte mir Ariane sogleich. Madlääään ist die Nachbarin von Stefan und Ariane. Die guckt immer so miesepetrig. Bei der traut sich morgens nicht mal der Kaffee aus der Kanne. Sie kauft ihren Mokka, so hat sie mir das jedenfalls mal erklärt, nur vergehandelt und ist deshalb völlig übersäuert. So was überträgt sich doch auf das Kind! Ich sah es nicht gern, dass die Kleine bei dieser verkniffenen Person war, aber «sie kann ja nicht nur von alten Tanten erzogen werden», wie Ariane deutlich machte. Sie war ein bisschen blass um die Nase.

Es schien also was Ernstes zu besprechen zu geben.

«Tante Renate, komm, nun setz dich erst mal hin», begann Stefan das Gespräch.

Nanu.

Den Satz kannte ich doch, den hatte er doch schon

Ja, ich erinnerte mich genau. Es war damals, als der Stefan die Ariane frisch als Freundin hatte und die schon nach ein paar Wochen die kleine Lisbeth unter dem Herzen trug.

Ich lugte aus den Augenwinkeln rüber zu Ariane, und als ich sah, wie ihr so ein Zucken über das Gesicht huschte, na, da wusste ich Bescheid. Da flitzte sie auch schon los. Es war nämlich kein Magenflattern, sondern die Schwangerschaftsübelkeit, unter der sie wieder ganz furchtbar litt. Das arme Ding! Das ist wie bei der Prinzessin Kät von England, der Frau vom William, wissen Se? Die hat auch bei jedem Kind solche Probleme mit dem Thema. Immer muss sie alle Termine absagen, und der William kann zusehen, wie er allein mit den Kindern und dem Händeschütteln und Winken klarkommt.

«Ihr zwei seid mir welche. Meinen herzlichsten Glückwunsch! Wann ist es denn so weit?»

Die Schwangerschaft war noch ganz frisch. Es war noch in der Phase, wo man nur im ganz kleinen Kreis innerhalb der Familie darüber spricht und es noch nicht offiziell bekanntgibt. Mich freute das natürlich, die beiden sind jung und voller Energie, da sollen sie Kinder kriegen. Jetzt haben sie noch die Nerven und die Kraft,

Nee, wirklich, man kann das heutzutage so viel besser planen als wir damals. Da musste ein «Nein, Otto, heute nicht» reichen. Es gibt jetzt sogar Äppse für den Händi, wo die Frauen Tagebuch über … also, die können das da alles eintragen. Ich weiß das, Stefan hat mir das gezeigt. Ich war sehr verwundert, aber er sagt, er führt das für seine Kolleginnen ein bisschen mit und weiß so schon immer im Voraus, wann welche schlechte Laune hat.

 

«Wünscht ihr euch denn einen Jungen oder wieder ein Mädchen?», erkundigte ich mich, nachdem ich aufs herzlichste gratuliert und einen Korn zum Anstoßen geholt hatte. Für Ariane gab es … Wasser.

Wissen Se, im Prinzip ist das ja egal. «Hauptsache,

Na ja. Wie dem auch sei. Wir hatten also eine Situation, in der Renate Bergmann den Dienstags-Tanztee mit den Witwen erst mal aufschieben musste. Familie geht schließlich vor, und auch, wenn man sich nicht einmischen und den jungen Leuten reinreden darf, war es doch an mir, ein paar Denkanstöße zu geben.

Man musste gut überlegen, wie es weitergeht. Stefan und Ariane wohnten zur Miete, genau wie ich, aber nicht in Spandau, sondern ein Stückchen rein nach Mitte hin. Im Wedding. Sie haben zwei Zimmer und eine kleine Kammer, in der das Kind schläft. Die Kammer kann man nicht als Zimmer rechnen, so klein ist die. Eine Küche haben sie natürlich auch – in der bleibt der Herd zwar meist kalt, aber das ist jetzt nicht das Thema. Und Badestube und Spültoilette innen. Nicht, dass Se denken, die müssen auf den Hof oder die halbe Treppe runter, nee, so ist es nicht mehr. Aber es ist doch recht beengt und nicht sehr schön. Im Grunde wohnen sie nicht viel anders als Otto, mein erster Mann, und ich seinerzeit in Moabit. Das ist ganz dichte bei. Wenn ich Stefan und Ariane besuche und ein bisschen vor der Zeit bin, bummele ich da ab und an vorbei. Dann kommen die Erinnerungen wieder hoch: Hinterhaus, zwei Treppen hoch, zur Untermiete bei Mutter Vettschau. Da haben wir gewohnt. Nur war bei uns die Toilette auf dem Hof, und gebadet haben wir am Sonnabend in der Zinkwanne im Waschkeller. Mutter Vettschau hat die Miete immer

Ja, ist doch wahr, die Mieten werden jedes Jahr teurer, Sie ahnen ja nicht, was die einem abknöpfen mittlerweile! Und gerade in Berlin wird es immer verrückter. Wedding war früher ein Arbeiterviertel. Es war nie prächtig und schick, sondern schmuddelig und primitiv. Aber da es überall teurer wird, ziehen die jungen Leute dahin, wo die Preise noch halbwegs annehmbar sind. Das hat dann zur Folge, dass die Preise auch da immer mehr ins Unverschämte steigen. Mittlerweile gibt es in der Straße von Stefan und Ariane vier Läden, wo man Mackiatolatte kriegt. Aber Kurzwaren und Handarbeitsbedarf? Fehlanzeige! Letzthin haben da auch zwei Freundinnen von meiner Kirsten, die eben etwas ero… esoterisch unterwegs ist, eine Praxis eröffnet, in der sie beim «Finden der Mitte» helfen. Dabei ist Mitte nun wirklich nicht weit von Wedding, man kann den Fernsehturm schon sehen!

 

Da macht sich aber auch kein Politiker richtig Gedanken drüber, wie man das Problem mit dem Wohnen lösen kann. Es muss doch wohl möglich sein, dass man genügend bezahlbare Behausungen für alle hat; ich bitte Sie, der Krieg ist doch nun wirklich lange her. Neulich hat eine im Fernsehen gemurmelt, der «demographische Wandel» wäre schuld. Auf Deutsch: wir Alten. Eine Frechheit. Das sollte se mir mal ins Gesicht sagen, die würde mich aber kennenlernen! Früher haben wir gesagt

 

«Habt ihr euch denn schon Gedanken gemacht, wo ihr wohnen wollt, Stefan?», fragte ich.

«Na ja, so beengt wohnen geht auf Dauer natürlich nicht mit zwei Kindern. Wir müssen gucken, wo wir was Größeres finden. Aber die Mieten …»

«Es wird sich schon fügen, Tante Renate. Uns drängt ja erst mal nichts, Lisbeth ist untergebracht, und das Kleine kann die ersten Monate auch bei uns schlafen.» Das kann ich gut leiden an Ariane, wissen Se. Sie ist sehr patent und macht immer das Beste aus der Situation. Eine gute Frau hat sich der Stefan da ausgesucht, auch, wenn sie fertigen Kloßteig kauft.

Ariane bat mich noch, Augen und Ohren offen zu halten. «In deinem Bekanntenkreis wird doch vielleicht hier und da mal was frei, Tante Renate. Einer geht ins Altenheim oder … geht ganz … plötzlich heim.» Sie versuchte, pietätvoll zu bleiben. Ich sage Ihnen, das ist nicht bei allen der Fall. Es gibt auch richtig schlimme Gängster, die da Schindluder mit treiben. Denken Se sich nur, als Richard Hacksmann von uns gegangen ist, bekam seine Ursel zwei Tage, nachdem die Sterbeanzeige im Kurier war, eine Mahnung von einem Sexversand. Richard soll angeblich unanständigen Kram für bald 150 Euro gekauft haben, und nun bitte man doch, dass das diskret bezahlt und aus der Welt geschafft wird. Ursel war zum Glück helle und hat den Schriebs gleich ins Feuer geschmissen. Richard war nämlich seit zwei Jahren bettlägerig und konnte gar nicht im Schweinskramkatalog geblättert haben. Irgendwelche Halunken haben

Ach ja. Seit neuestem telefonieren die Wohnungssuchenden in Berlin nicht mehr nur die Wohnungsanzeigen ab, sondern auch die Traueranzeigen. Das ist vielleicht nicht sehr rücksichtsvoll den Angehörigen gegenüber, aber auch nicht dumm. Hin und wieder fügen sich da die Interessen gut zusammen: Die Kinder von der ollen Kneckemann, die nie gegrüßt und das Bein so nachgezogen hat, die haben die Wohnung – wie sie war! – an die Nachmieter übergeben und konnten sich die Sperrmüllabfuhr und das Malern sparen. «Winwinwinsituation», hat Stefan gemurmelt, und dass er da auch zugreifen würde. Darauf spielte Ariane an. Warum sollten die jungen Leute auch nicht von meinen ausgezeichneten Kontakten profitieren? Ich versprach, mich umzuhören, und stieß mit Stefan erst mal an. Wir mussten das alles ja auch nicht gleich heute entscheiden, das Baby war ja gerade frisch angesetzt, sozusagen. «Kommt Zeit, kommt Rat», hat Oma Strelemann schon immer gesagt. Ich verabschiedete die jungen Leute und mahnte Stefan, darauf zu achten, dass Ariane sich schont.

Ich wäre aber nicht Renate Bergmann, hätte ich nicht schon eine Idee im Sinn gehabt. Ha!

Damit Se verstehen, welche Idee ich da hatte, muss ich Ihnen (kurz!) von Franz erzählen. Franz war meine dritte standesamtliche Zuteilung – und ein Fehlgriff ins Gatten-Regal.

Es ist traurig, aber wahr: Die Jugend wird an die Jungen verschwendet. Ach, wenn wir Alten noch ein paar unserer frühen Tage hätten, wir könnten doch etwas viel Klügeres damit anfangen! Aber es wird wohl schon richtig so sein, die Jugend gehört gedankenlos verschwendet. «Lebt», sage ich den jungen Leuten immer, «lebt, genießt und schwelgt. Es wird noch früh genug beschwerlich, und dann hat man nur noch Erinnerungen.»

Wissen Se, ich will gar nicht noch mal jung sein. Was habe ich für Fehler begangen, Himmel, nee! Und Franz war nur einer davon. Es hat aber gar keinen Sinn, darüber nachzugrübeln. Die Lektionen sind gelernt, und nun lebe ich im Hier, Jetzt und Heute. Die Zeit, die mir noch bleibt, ist knapp genug. Die werde ich doch nicht damit vergeuden, über vergangene Tage zu jammern. Aber WENN ich noch mal jung wäre, ha, meinen Franz würde ich vor die Tür setzen. Mindestens!

Wissen Se, ich war ja als Schaffnerin im D-Zug oft lange weg. Heute würde man wohl sagen, dass wir von da an eine Wohngemeinschaft hatten. Wir lebten zusammen, aber getrennt von Tisch und Bett. Wie die jungen Leute bei mir im Haus: ein Mädchelchen und zwei Herren, die alle was studieren und sich eine Wohnung und die Miete teilen. Jeder schläft in seinem Zimmer, und ab und an kochen sie gemeinsam, aber im Grunde geht jeder seiner Wege. So hielt ich es mit Franz auch, seit ich dem verdorbenen Fremdgänger draufgekommen war. Der olle Zausel durfte auf dem Küchensofa schlafen und seine Sachen in der Anbauwand verwahren. Und damit war der noch gut bedient! Ich machte sogar

Was meinen Se, wie schwierig es war, den toten Franz nach Hause zu bekommen! Was auch immer vorgefallen war, er war mein Angetrauter, und es gehörte sich doch, dass ich ihn in Ehren – so viele Ehren, wie er eben noch

Da wurde es mir endgültig zu bunt. Die Zeit drängte ja auch, wissen Se, wir hatten Sommer, da musste der Kerl zügig unter die Erde!

Als Franz wieder im Osten war, hat ihm der Rachmeier, mein Haus-und-Hof-Bestatter, erst mal einen anständigen Anzug angezogen. Das rüschige Leichenhemd aus dem Westen hat er nicht anbehalten, das war ja würdelos! Das sah eher aus wie ein Taufkleid oder als wäre mein Mann einem «Käfig voller Narren» entsprungen. Aber den Sarg von drüben, den haben wir ihm

Franz hatte es schneller von der Platte geputzt, als ich ahnen konnte, und ich stand als nun dreifache Witwe da, immer noch jung und vorzeigbar. Ich betrauerte ihn, wie es sich gehörte, räumte das Küchensofa wieder frei, gab seine Anzüge zum Roten Kreuz und trug ein halbes Jahr Schwarz, wie es der Anstand gebot. Dann war es aber auch gut.

Kaum ein paar Wochen, nachdem wir ihn in Heimaterde zur letzten Ruhe gebettet hatten, kam raus, dass er mir nicht nur die Lebensversicherung, ein hübsches Sümmchen auf dem Sparbuch und den Namen Hilbert hinterlassen hatte, sondern auch ein Grundstück in Westberlin. Du meine Güte, was meinen Se, was das wieder für Ärger mit den Behörden gab. Es ging über JAHRE hin und her! Ich durfte ja nicht reisen, das Alter hatte ich noch lange nicht. Solange man rackern konnte, war man wertvolle Arbeitskraft, aber als Rentenbezieher hätte man ruhig drüben bleiben dürfen, das hätte die Kasse geschont. Irgendwann – es war wohl schon in den 80ern, wissen Se, die Behörden arbeiteten damals schon in einem Tempo, wie eine Schildkröte krabbelt –,

Wirklich nicht, Sie müssen gar nicht nachbohren! Ich hatte das Grundstück auch tatsächlich vergessen, das schwöre ich Ihnen, so wahr ich hier sitze und Renate Bergmann heiße. Ich schwöre es beim Rouladenrezept von Oma Strelemann! Sie wissen ja, wie das ist, man heftet so was in den «Wichtig»-Ordner und denkt sich mit ganz schlechtem Gewissen: «Da musst du mal wieder durchräumen.» Ein-, zweimal im Jahr nimmt man ihn sich wirklich vor und blättert durch, und dann fallen einem die Wasserabrechnung von 1984, das Gesundheitszeugnis von einem der Männer oder der Garantieschein für den Föhn oder die Fernsehtruhe in die Finger, und man stellt das Ding ganz schnell wieder weg, weil es ja sein kann, dass man das noch mal braucht.

Ich bin ja auch noch umgezogen zu Walter, meinem vierten Mann, und da denkt man nun wirklich gar nicht mehr an das Vorgängermodell. Erst recht nicht bei so einem Fremdgänger und Springinsfeld! Sie werden mich verstehen, meine Damen, oder? Sicher, ich weiß, was sich gehört, selbstverständlich wird Franz bepflanzt, geharkt und begossen wie die drei anderen Herren auch, da mache ich keinerlei Unterschiede. Schon, weil ich kein Gerede

 

PASS AUFKURTDA IST ROT

 

Wissen Se, Stefan und Ariane mit zwei Kindern in einer viel zu kleinen Mietwohnung – das muss doch wirklich nicht sein!

Beinahe hätte ich den jungen Leuten noch ein zweites Grundstück zur Auswahl anbieten können. Es wäre auch Spandau gewesen, noch ein bisschen größer als das von Franz und mit einem verfallenen Katen drauf. Das habe ich beim Pokern gewonnen! Aber schlussendlich kam ich nicht ins Grundbuch, weil Gretchen Görlitz tags zuvor mit den Tabletten neu eingestellt worden und daher «nicht geschäftsfähig» war. Pah! Na ja, ein Grundstück langte ja auch. Niemand kann erwarten, dass ich eine Palette von Liegenschaften zum Aussuchen in petto habe! Das eine war Glücksfall genug, Punkt.

 

Nee, eine Renate Bergmann ist eine Frau der Tat und fackelt nicht lange: Es lag doch auf der Hand, dass wir bauen würden! Also, ich sage jetzt «wir», aber eigentlich meine ich natürlich die jungen Leute. Ich hatte ein Grundstück, ein bisschen Geld auf der hohen Kante, na, und Stefan und Ariane waren jung, hatten zwei kräftige Hände zum Zupacken und was Ordentliches gelernt. Alter hin oder her – wir leben in einer Zeit, wo mit 80 (oder auch knapp drüber) noch lange nicht Schluss sein muss. Der Herr Hagekorn, der nette Apotheker, den ich vor einiger Zeit auf einer Busfahrt kennengelernt habe, der ist jetzt nach Mallorca gezogen und hat sich was Altengerechtes zugelegt. Er war erst eine Zeitlang bei

Ach, ein wunderbarer Mann ist das, der Herr Hagekorn.

Aber wissen Se, was für ihn Meeresrauschen, ist für mich Kinderlachen, und deshalb war die Vorstellung, mit den jungen Winklers hier zu bauen, ein Märchen, das wahr würde.

Mein Mallorca war Spandau!