Sam Heughan / Graham McTavish
Zwei Männer, Kilts
und jede Menge Whisky
Aus dem Englischen von
Barbara Schnell
Knaur eBooks
Sam Heughan wurde durch die Erfolgsserie Outlander berühmt, in der er die Hauptfigur Jamie Frasier spielt Seine Karriere erstreckt sich über Theater, Fernsehen und Film. Zuletzt war er in dem Film Bloodshot an der Seite von Vin Diesel zu sehen.
Graham Mctavish kann auf eine 35-jährige Schauspielkarriere zurückblicken - am besten bekannt sind dabei seine Rollen als Dougal Mackenzie in der Starz-Hit-Serie Outlander und als Zwerg Dwalin in der Hobbit-Trilogie von Peter Jackson.
Die englische Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel »Clanlands« bei Hodder & Stoughton, London.
Copyright © Sam Heughan and Graham McTavish 2020
© 2021 der deutschsprachigen Ausgabe Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Petra Zimmermann
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München unter Verwendung von
Coverabbildung: Cover photographs © Dave Foster
ISBN 978-3-426-46290-4
Dieses Buch ist für meine Mam und meinen Pa, die mir gezeigt haben, was Träume bewirken können, und für meine Kinder Honor und Hope, die mir mehr gegeben haben, als ich mir je hätte erträumen können.
– Graham
Für unsere Fans, die mit auf diese Reise gekommen sind und mich immer unterstützen.
Für Schottland und seine Menschen, die weltoffen und fortschrittlich geblieben sind. Ich hoffe, dass wir weiter jeden Neuankömmling willkommen heißen werden, die Berge, Täler … und Mücken zu erleben.
»Alba« hat mich immer inspiriert und füllt mir das Herz.
– Sam
Also, am Anfang … war ein Mann im Kilt.
Ich war immer schon der Ansicht, dass man, wenn man etwas tun möchte, damit anfangen sollte. Und wenn es das Richtige ist, dann kommt einem das Universum quasi entgegen. Ich habe also angefangen, einen Roman über einen Mann mit einem Kilt zu schreiben, und das Universum hat mir eine TV-Serie gebracht.
Seit ich Outlander geschrieben habe, gehen indirekt eine Menge Merkwürdigkeiten auf meine Kappe – von
… fünf Staffeln (bis jetzt) einer erfolgreichen TV-Serie
… den Namen Dutzender Rassehunde, Rennpferde und Neubaugebiete
… Tausenden Babys mit den Namen Brianna oder Jamie (soweit ich weiß, hat noch niemand ein Kind »Murtagh« genannt, was mich verwundert)
… Lord John Grey Tee
… Orchesterkompositionen
… einem Musical
… einer schottischen Tuchfabrik, die auf traditionellen Tartan spezialisiert ist
… zwei großartigen Kochbüchern
… drei Millionen Strick-Loops
… Dutzenden weiblicher Fans, die bei Signierstunden ihre Hose herunterziehen, um mir die »Da mi basia mille«-Tattoos auf ihrem Kreuz zu zeigen (wie mein Mann zu mir meinte: »Na ja, wie viele Menschen können auf Lateinisch ›Leck mich am Arsch‹ sagen?«).
… einer Zunahme des Tourismus in Schottland um 72 % (wie mir VisitScotland freundlicherweise mitgeteilt hat) bis hin zu
… einem exzellenten Whisky namens »Sassenach«.
Aber dieses Buch ist vermutlich eins der merkwürdigsten Dinge und definitiv eins der besten!
Es ist mir eine große Ehre, dass mich Sam und Graham gebeten haben, das Vorwort zu einem der interessantesten, ungewöhnlichsten (gelinde ausgedrückt …) und komischsten Bücher zu schreiben, die ich seit Langem gelesen habe. Ich bin mir nicht ganz sicher, als was man es bezeichnen sollte, aber ich kann ja auch meine eigenen Bücher nicht in fünfundzwanzig Wörtern beschreiben. Also macht das wahrscheinlich nichts.
Erst einmal ist es ein Kumpelbuch. Zwei gute Freunde hänseln und zanken sich quer durch die schottischen Highlands und riskieren ihre Hälse auf diese beiläufige Weise, die Männer so attraktiv macht. Warum? Tja, weil sie beide Schotten und beide ein wichtiger Teil von Outlander sind (nicht nur der TV-Serie, sondern des ganzen verrückten Phänomens), weil ihnen klar geworden ist, dass sie Schotten sind (das passiert, wenn man zwei Jahre lang täglich einen Kilt trägt) – und weil sie herausfinden wollen, woher sie kommen und was es eigentlich bedeutet, Schotte zu sein (abgesehen davon, dass man mit einer Vorliebe für Whisky zur Welt kommt).
Dann ist es ein Reisebuch. (Denkt an Jack Kerouac, aber mit weniger Drogen, mehr Zeilenumbrüchen und ohne Sex. Also fast ohne Sex …)
Eigentlich drehen unsere beiden Freunde eine Fernsehserie über eine Reihe historischer Sehenswürdigkeiten in den Highlands. In Begleitung eines kleinen Filmteams – darunter eine begnadete Stylistin und ein Drohnenpilot – besuchen sie einige spektakuläre Orte in den Highlands, um die wahre Geschichte einiger der bekanntesten Massaker, Scharmützel, Treulosigkeiten, Enthauptungen und anderer typisch schottischer Freizeitbeschäftigungen zu erfahren. Dies ist die Geschichte dieser Reise, bewerkstelligt mit einem betagten Fiat-Wohnmobil, einem Tandem, einem Kajak und einer Reihe anderer unglaublicher Transportmittel, die nur Menschen sinnvoll finden können, die an Testosteronvergiftung leiden.
Und unterwegs reden sie. Nicht nur miteinander, sondern auch mit sich selbst. Streckenweise ist das Buch eine doppelte Autobiografie. Jeder der beiden lässt sein Leben als Schauspieler Revue passieren – stückweise –, weil Schauspieler (genau wie Schriftsteller) ständig improvisieren. Was zur Folge hat, dass viele der Geschichten von der Sorte sind, die für die Beteiligten nur mit zwanzig Jahren Abstand komisch sind, die den Zuschauern aber beste Unterhaltung liefern.
Zu diesen Erinnerungen zählen auch viele Anekdoten von den Outlander-Dreharbeiten. Ich selbst bin nur hin und wieder dabei, aber ich erinnere mich an den Tag beim Dreh zur zweiten Staffel, als Sams Pferd just beim Aufsteigen beschloss, auf den Rat seiner Mutter zu hören und sich zu erleichtern, ehe es aus dem Haus ging (es gibt einen Grund, warum die meisten Kostüme mehrfach angefertigt werden). Und eine andere Begebenheit aus der zweiten Staffel, bei der Graham ein mechanisches Pferd reiten musste (wie der Regisseur zu mir sagte: »Es sieht zwar doof aus, aber man kann es im Film ja nicht sehen.«).
Das mechanische Pferd war auf einen Laster montiert, dem ein anderer Laster mit einer Kamera folgte, und Graham sollte während der Fahrt in den Sattel des mechanischen Pferdes springen (als spränge er von einem anderen Pferd darauf).
Wie beim TV-Dreh üblich, haben sie die Szene wieder und wieder gedreht, um sicherzugehen, dass sie genügend Material für die gewünschten Bilder hatten. Als sie schließlich fertig waren, kam Graham von der Straße, wo gedreht wurde, bergab gewankt. Bei mir und Anne Kenney (der glänzenden Drehbuchautorin der zweiten Folge dieses Dreh-Blocks) ist er kurz stehen geblieben, um zu sagen: »Ich hatte gerade ein Gespräch mit meinen Eiern. Sie haben gesagt: ›Es wäre uns lieber, wenn du das nicht noch einmal machen würdest.‹« Und im Weiter-Wanken hat er noch gemurmelt: »Ich wusste, dass ich heute Morgen einen Cup hätte anziehen sollen …«
Und schließlich handelt das Buch tatsächlich von der Geschichte des »Clan-Lands«, verwoben mit dieser Erzählung einer Reise. Die Weggefährten besuchen die interessantesten/berühmtesten/bedeutendsten Schauplätze in den Highlands, wo sie buchstäblich erfahren, woher sie selbst stammen. Dabei helfen ihnen einige der schillerndsten Anwohner dieser Orte.
Eigentlich bekommen Sie also vier Bücher zum Preis von einem! (Ein echtes Schnäppchen …)
Aber das Wichtigste an diesem Buch ist die Freundschaft seiner Autoren, die jede Seite färbt und prägt.
Das Buch hat mich sowohl fasziniert als bestens unterhalten, aber es hat mich auch persönlich berührt. Einer der unerwartetsten Aspekte des gesamten Outlander-Phänomens ist, auf welch erstaunliche Weise es Menschen zusammenzubringen scheint. Menschen lesen die Bücher und schauen die Serie – und sie wollen darüber reden. Also gründen sie Fanclubs und Lesezirkel und Facebook-Foren und tiefe, dauerhafte Freundschaften. Und das alles, weil jede/r von ihnen dieselbe Geschichte liebt.
Ich werde nie vergessen, wie mir eine Frau ein Buch zum Signieren gebracht und mir erzählt hat, dass sie allein lebte, seit vielen Jahren allein war, selten vor die Tür kam und keine Familie hatte – aber dass die Geschichte sie in ihren Bann gezogen hatte, sie dann andere Menschen gefunden hatte, die ähnlich empfanden und sie eingeladen hatten, mit ihnen zu Signierstunden, Premieren und Conventions zu gehen. »Jetzt habe ich Freunde!«, sagte sie. Sie hat geweint – und ich auch.
Ich hoffe, Sie werden diese Art von Freundschaft auf diesen Seiten spüren.
Ein letztes Wort, da es in diesem Buch darum geht, zu den eigenen Wurzeln zurückzukehren:
Vor ein paar Jahren hat eins meiner Bücher die Corine als bester internationaler Roman gewonnen, und man hat mich nach Deutschland eingeladen, um den Preis entgegenzunehmen. Das war eine große Sache für meinen deutschen Verlag, der meine Anwesenheit genutzt hat, um mich von der ganzen deutschen Presse interviewen zu lassen: Zeitungen, Magazine, Radio, Fernsehen, Literaturmagazine, alles Mögliche. Am Ende der Woche fehlte mir einiges an Schlaf, und mein Blick war schon etwas glasig, als ich einem freundlichen Herrn begegnet bin, der für ein Literaturmagazin schrieb.
Reizender Mensch, er hat sich ausführlich (und sehr schmeichelhaft) über die Bücher geäußert. Er liebte meinen Erzählfluss, meine Figuren wären fantastisch, meine Bildsprache transzendent!
Ich sitze also angenehm eingelullt da und denke: »Ja, ja, bitte mehr davon«, als er plötzlich sagt: »Ich habe nur eine Frage: Können Sie mir erklären, was einen Mann im Kilt so attraktiv macht?«
Wäre ich ganz bei Bewusstsein gewesen, hätte ich es vielleicht nicht gesagt (andererseits …). So jedoch habe ich ihn einen Moment angesehen und gesagt: »Na ja … es ist wohl die Vorstellung, dass man in einer Sekunde mit ihm an einer Wand lehnen könnte.«
Räusper.
Ein paar Wochen später bekomme ich zu Hause in Arizona von der deutschen Verlegerin ein Päckchen mit Zeitungsausschnitten, und ganz oben liegt dieses Interview mit einem Post-it der Verlegerin: »Ich weiß nicht, was du zu diesem Mann gesagt hast, aber ich glaube, er hat sich in dich verliebt!«
Ein Mann im Kilt. Ein kraftvolles, unwiderstehliches Bild, ja …
Und hier haben Sie jetzt zwei davon …
Schenken Sie sich einen guten Whisky ein, schlagen Sie das Buch auf … und dann viel Spaß!
Slàinte mhath!
Diana Gabaldon
Scottsdale, Arizona
August 2020
Mitgenommen
Die Geschichte zweier Männer, die keine Ahnung haben.
Sam und Graham
Es ist eine gefährliche Sache, Frodo, aus deiner Tür hinauszutreten. Du betrittst die Straße, und wenn du nicht auf deine Füße aufpasst, kann man nicht wissen, wohin sie dich tragen.
J.R.R. Tolkien, Der Herr der Ringe
Während ich mich auf dem Beifahrersitz des »Fiat Auto Roller«-Wohnmobils anschnalle, beschleicht mich ein Gefühl der Angst in der Magengrube – ich bin noch nie von Sam gefahren worden. Nie. Wir wissen beide genau, was wir können. Ich bin ein sehr guter Autofahrer. Ich habe ein schnelles Auto für die Midlife-Krise; allerdings fahre ich nie schneller als erlaubt (okay, bis auf ein paar Mal vielleicht), und ich hatte in vierzig Jahren nicht einen Unfall. Sam dagegen kann auf eine ganze Litanei von Zusammenstößen und Kratzern zurückblicken.
In Los Angeles hat er seine Schlüssel in den Kofferraum gesperrt, einen Mustang rückwärts gegen einen Pfosten gesetzt (der anscheinend »aus dem Nichts« aufgetaucht war) und ein brandneues Elektrofahrzeug an der kompletten Beifahrerseite zerschrammt – angeblich die Schuld der Stadt der Engel, weil es eine »blöde Stelle für ein Kanalrohr« war.
Ich sehe sein jungenhaftes Grinsen, als er an der Gangschaltung rüttelt und sich das Kichern kaum verkneifen kann, und mir wird klar, dass dies ein Mann ist, der zu allem fähig ist. Vielleicht wird er uns von einer Klippe fahren, nur um zu sehen, wie das ist. Vielleicht wird er während der Fahrt aus dem Camper springen, sodass ich um die Kontrolle eines durchgehenden Wohnmobils kämpfen muss. All diese Gedanken wirbeln durch mein verkatertes Gehirn, als Sam den Rückwärtsgang einlegt.
Krtschonk – quieeetsch – krtschonk
Ich gehe davon aus, dass er die Kupplung getreten hat, aber das Kreischen der Schaltung sagt mir etwas anderes. Er fummelt noch ein bisschen an den Gängen herum, während er mich mit dem Lächeln eines Psychopathen ansieht, und in diesem Moment wird Clanlands geboren – ohne Plan, ohne Drehbuch, nur ganz wir selbst: ein Mann, der sich für einen harten Kerl ausgibt, wird von einem komplett Irren durch die Gegend gefahren.
Ich bin mir sicher, dass Sam neue, schreckliche Wege finden wird, mein Leben aufs Spiel zu setzen.
Sam: »Als ob ich das tun würde …«
Beiläufig erzählt er mir, dass er seit fünf oder sechs Jahren kein Auto mit Schaltung mehr gefahren ist und noch nie ein so großes wie dieses Wohnmobil. Na großartig.
Sam: »Ich habe keine Ahnung, welches Pedal ich benutzen muss.«
Graham: »Das ist ein Scherz, oder?«
Sam: »Nein. Äh, Gas, Bremse, Kupplung?«
Graham: »Ja, aber in welcher Reihenfolge? Gas rechts oder links?«
Sam: »Es fängt links an.«
Graham: »Nein, rechts. Gas, Bremse, Kupplung.«
Man könnte auch »Gang rein, Besonnenheit, Konsequenz« sagen, aber ich habe es hier mit einem Menschen zu tun, der meint, dass er sich durchmogeln und die Rolle des kompetenten Fahrers spielen kann und dass Konsequenzen nur aufregende Dinge sind, die noch nicht passiert sind.
Sam: »Alles gut bei dir, Graham?«
Wenn er eine Handtasche hätte, würde sich McTavish jetzt daran festklammern, und wir sind noch nicht einmal vom Parkplatz runter. Ja, das Getriebe hat ein oder zweimal geknirscht, aber zu meiner Verteidigung bin ich seit Jahren nicht mehr mit Schaltung gefahren, vielleicht fünf- oder sechsmal … und noch nie so ein großes Fahrzeug; nicht, dass ich vorhabe, Graham das zu erzählen … noch nicht. Schließlich finde ich den Rückwärtsgang, hole tief Luft und setze mit ordentlichem Tempo zurück.
Graham: »Himmel!«
Während sich Graham am Griff festhält und sich auf dem Sitz windet, schießt mir das Adrenalin durch den Körper. Das hier wird cool, selbst wenn wir es nicht vom Parkplatz herunterschaffen. Allein zu sehen, wie er wimmert und ächzt, ist hochgradig befriedigend. Er wirft mir einen vernichtenden Blick zu, und ich schalte mit einem mächtigen Rums in den ersten Gang. Wir werden schneller und verfehlen das Schild des Kingshouse Hotels um ein paar Zentimeter.
»Na, dann mal los!«, sage ich mit großer Überzeugung. »Clanlands, die Geschichte zweier Männer, die …«
»… keine Ahnung haben!«, beendet Graham meinen Satz.
Und er hat recht. Wir befinden uns am Beginn einer gemeinsamen Reise – einer Entdeckungsreise auf der Suche nach dem wahren Schottland und danach, was es bedeutet, Schotte zu sein. Aber wir haben nur einen sehr groben Plan. Wir wissen, dass wir mehr über sechs der wichtigsten Highlandclans erfahren und so viele interessante Menschen wie möglich kennenlernen wollen, von Clanoberhäuptern (die sich auch heute noch zanken) hin zu Musikern, Historikern, Köchen (Graham braucht Nahrung) und natürlich den besten Whiskybrennern (warum auch nicht?). Aber da wir nur eine Woche haben, in der wir das alles unterbringen müssen, werden wir uns kopfüber ins Abenteuer stürzen und uns von Whisky, Adrenalin und Koffein tragen lassen.
Hhhhhrrr-GONKKKK
Graham: »Das ist der zweite, nicht der vierte.«
Wir beginnen an einem Ort, den man als das Herz der Highlands bezeichnen könnte – Glencoe, ein Tal mit steilen Wänden, das von einem Eiszeitgletscher gebildet wurde und von einem Flüsschen namens Coe durchflossen wird. Es ist eine Gegend in Schottland, die ich gut kenne, weil ich hier schon oft Urlaub gemacht habe. Außerdem ist es der Ort, an dem 1692 das Massaker von Glencoe stattgefunden hat, und das hat vor über zwanzig Jahren mein Interesse an schottischer Geschichte geweckt.
1992, um genau zu sein.
Ich war immerhin schon einunddreißig und finde den Gedanken schockierend, dass Sam vermutlich gerade die Grundschule hinter sich hatte und wahrscheinlich noch in kurzen Hosen herumlief. Vielleicht sogar noch ins Bett machte? Ich nehme mir einen Moment Zeit, diese schmerzvolle Erkenntnis zu verdauen.
Ich hatte damals ein Engagement am Pitlochry Festival Theatre und habe neun Monate lang mitten in den Highlands jede Woche sechs verschiedene Stücke gespielt. Es war fantastisch. Die Highlands haben mich schon von frühester Jugend an fasziniert, und ich habe mich der Gegend immer tief verbunden gefühlt. Mein Vater jedoch konnte nicht schnell genug aus Schottland fortkommen. Er stammt aus Glasgow und hat als Pilot die ganze Welt bereist. Jedes Mal, wenn er Schottland überflog, hat er gesagt, es wäre unter Wolken gewesen!
Was auch immer also mein Interesse an den Highlands und ihrer Geschichte geweckt hat, kommt aus mir selbst, fast wie eine Art »kollektives Gedächtnis«, ein Begriff, der bedeutet, dass die langjährigen Erlebnisse einer Gruppe von Menschen oder eines Stammes vererbt werden können.
Ich hatte mich schon vorher in der Nationalbibliothek schlaugemacht, und in Pitlochry hat es mir das berüchtigte Massaker von Glencoe dann endgültig angetan. Also habe ich den Plan gefasst, anlässlich des dreihundertsten Jahrestags etwas zu schreiben – und ich habe ein Konzept mit dem Titel Clanlands geschrieben und versucht, jemanden dafür zu interessieren, es mit mir für das Fernsehen zu verfilmen … was natürlich für einen dreißigjährigen schottischen Theaterschauspieler komplett utopisch war.
Jahre später habe ich Sam beim Outlander-Dreh pausenlos mit meiner Vorliebe für schottische Geschichte in den Ohren gelegen, weil mir gefiel, wie begeisterungsfähig er war. Sam springt zwar gern ins kalte Wasser – trotzdem hätte ich mir niemals träumen lassen, dass er sechs Jahre später in Argyll auf einem Tandem hinter mir sitzen würde. Aber der Reihe nach …
Im März 2019 stand ich gerade in Neuseeland in meiner Küche, als Sam anrief. Er wusste, dass ich schon einmal darüber nachgedacht hatte, eine Dokumentation über schottische Geschichte zu drehen, und fragte mich, ob wir nicht zusammen einen Podcast machen könnten. Ich war sofort angetan von der Vorstellung, mit ihm beim Whisky im Pub zu sitzen und herumzufrotzeln. Allerdings hat es dann nicht lange gedauert, und aus dem Podcast war die Idee geworden, dass wir mit GoPros losziehen und uns gegenseitig beim Wandern und Reden filmen würden.
Super, habe ich gedacht, obwohl ich keine Ahnung hatte, wie das funktionieren würde. Ich habe bestenfalls oberflächliche Ahnung von Technik, und so habe ich es schon kommen gesehen, dass Sam professionelles Material von mir drehen würde, während ich noch damit kämpfte, den Aufnahmeknopf an meinem Gerät zu finden.
Doch dann hat Sam eine richtige TV-Kamera vorgeschlagen mit richtigen Menschen, die tatsächlich wissen, was sie tun. Okay – das wurde ja immer größer. Wir haben beschlossen, die Clans als Schlüssel zur schottischen Geschichte zu benutzen und einen Clan ins Zentrum jeder Episode zu stellen. Ich hatte meine Favoriten schon im Kopf, weil ich diese kleine Vorliebe für Fehden habe. Man sagt, »Schottland ist im Kampf entstanden«, und die Highlandclans haben Fehden wahrhaftig zu einer Kunstform erhoben. In Venedig gibt es Glas, in Persien Teppiche, und die Schotten haben ihre Fehden. Also habe ich Sam meine Vorschläge geschickt, und am Ende haben wir die Clans, die wir vorstellen wollten, nach ihrer Region und Erreichbarkeit ausgewählt, weil erstens unser Zeitplan so lachhaft eng war, weil wir zweitens dem schottischen Septemberwetter ausgeliefert sein würden (Dummköpfe!), und weil wir drittens weder ein Drehbuch hatten noch – viertens – irgendwie proben konnten, sondern einfach nur spontan drauflosfilmen würden.
Aus einer Kamera wurden zwei und dann drei … plus eine Drohne.
Schließlich sind wir dann mithilfe diverser Flugzeuge, Züge und Autos am Kingshouse Hotel angekommen, am südlichen Ende der Bergkette von Glencoe. Dort sind wir zu unserer großartigen Produzentin Michelle Methven und dem Rest unserer Crew gestoßen.
Ich möchte euch das Team vorstellen. Da haben wir:
Michelle Methven – unsere Produzentin, der fleißigste Mensch in ganz Schottland. Sie besitzt eine großartige Gummistiefelsammlung. Sie ist Terminguru, erfahren am Offroader-Steuer, und jeder möchte sie in seiner Mannschaft haben, weil sie jede Position besetzen kann.
Alex Norouzi – Produzent und Regisseur. Jungfrau in Whisky-Dingen, bis ich ihm begegnet bin. Ein Kreativgenie mit einem lustigen Akzent.
John Duncan – Kameramann und genialer Drohnenpilot.
Jonnie Lewis – Kamera-Assistenz. Begeisterungsfähig, fantastische Haare.
Tim Askew – Kamera-Assistenz am letzten Wochenende. Hat reichlich Detailaufnahmen und Outtakes gesammelt (vergrößerte Ausschnitte, Nahaufnahmen von Disteln, Bergen, Grahams wütendem Bart); bei einem Teil davon werde ich leugnen, dass sie je geschehen sind!
Merlin Bonning – Sound-Zauberer, der hinten im Wohnmobil mitgefahren ist.
Wendy Kemp Forbes – Stylistin / Friseurin / Leitung der Moralbrigade. Lacht herzhaft, was zu ihrem großen Herzen passt. Hat sich extra Mühe mit Grahams Kahlkopf gegeben. [Graham: »Ich habe fünf Minuten im Friseursessel verbracht; Sam hat ihn kaum verlassen. Ständig haben sie an ihm herumverschönert wie bei einer Hundeschau.«] [Sam: »Das liegt daran, dass ich Haare habe, Graham.«]
Laura Strong und Linzi Thompson – die Stylistinnen, die ihr Lager im Glen Etive aufgeschlagen haben.
Davie »Hollywood« Stewart – während der sechs Outlander-Jahre mein Fahrer, der das Steuer übernommen hat, wenn wir zu betrunken zum Fahren waren. Also meistens. [Graham: »Gott sei Dank, dass er das getan hat.«]
Paul/Stewart/Daniel – persönliche Assistenten / Fahrer und Jungs für alles: Kaffee kochen, Whisky einschenken, Licht halten, Graham mit Latte und Snacks versorgen.
Peter Sandground – unser Fotograf, der in Sekunden tolle Bilder hinbekommt und meine Begeisterung dafür teilt, Graham in brenzlige Lagen zu bringen. [Graham: »Ich darf nicht vergessen, Peter Sandground ordentlich zu verprügeln.«]
Michelle Methven ist ein echtes Arbeitstier; sie ist sich für nichts zu schade. Ich glaube, wir sind alle an diesem Projekt beteiligt und verstehen uns so gut, weil keiner es um des Ruhmes willen macht (ausgenommen vielleicht Graham mit seiner unersättlichen Lust auf guten Wein, gutes Essen und Luxushotels). Was Michelle so besonders macht, ist, dass sie nicht nur mit dem Herzen bei der Sache ist, sondern auch nie die gute Laune verliert. Nicht einmal, wenn sie es mit einer Crew und zwei durchnässten Schauspielern zu tun hat, die ausgehungert, verkatert und leicht benommen sind. Sie denkt an alles.
Ich habe Michelle vor ein paar Jahren bei einem Werbedreh kennengelernt. Sie ist einen rostigen alten Land Rover gefahren und hatte ein Paar ihrer Barbour-Kultstiefel und eine ramponierte Wachsjacke an. Sie hat mich angestrahlt und gesagt, ich soll einsteigen. »Möchtest du auch mal?«, hat sie gefragt, als sie sah, dass ich darauf brannte, den Wagen durch das offene Gelände zu fahren. Das war zwar total regelwidrig, aber sie war sofort überzeugt, dass ich klarkomme, als ich auf den Fahrersitz gesprungen bin und mit festem Blick den steilen Hang hinuntergesehen habe. Ich habe aufs Gas getreten, und ab ging’s in die Tiefe. »O Gott!«, kam ein Aufschrei der Stylistin Wendy, die sich auf dem Rücksitz die Augen zuhielt und manisch kicherte. »Keine Sorge«, sagte Michelle, die niemals in Panik gerät und immer einen Plan B hat. Während wir den Hang hinunterrasten, konnte ich sehen, wie sie darüber nachdachte, was sie tun würde, falls wir uns in einem Graben wiederfanden. Wir sind die steile Böschung heil hinuntergekommen und neben unseren verdatterten Auftraggebern zum Halten gekommen. Ich bin aus der Fahrertür gesprungen und habe mich schnell hinter Wendy versteckt. Keine leichte Aufgabe angesichts der Tatsache, dass sie einen halben Kopf kleiner ist als ich. Aber ehe die Chefetage dazu kam, ihrer Besorgnis Ausdruck zu verleihen, ist Wendy – allzeit bereit – mit ihrem bezaubernden Lächeln in die Bresche gesprungen. »Tässchen Tee? Oder ist es zu früh für einen heißen Punsch?« Die Anzugträger haben sich entspannt, und während sie einhellig ihre Meinung kundtaten, dass es im Leben nie zu früh ist, habe ich begriffen, dass Michelle eine Frau ist, die man immer an seiner Seite haben möchte.
Wendy ist noch so ein unglaubliches Crewmitglied, ohne das ich verloren wäre. Wir arbeiten seit den Anfängen von Outlander 2013 zusammen. Sie trägt mein Make-up in Rekordzeit auf, normalerweise etwa fünfundvierzig Minuten für Dreck, Blut, Altersfalten, Perücke und was sonst für den Dreh eines jeweiligen Tages benötigt wird. Wendy ist nicht nur dafür verantwortlich, dass bei meiner Figur Jamie Fraser – der häufig Prügel bezieht – die Kontinuität des Aussehens gewahrt wird, sondern sie bringt auch die Narben auf meinem Rücken an, die ich trage, wenn ich ohne Hemd zu sehen bin. [Graham: »Was ziemlich oft der Fall ist. Er kann einfach die Klamotten nicht anbehalten. Ich bin mir fast sicher, dass er diese Passage nackt schreibt.«] Anfangs hat ein Dreierteam drei Stunden dafür gebraucht, aber Wendy hat die Technik immer mehr perfektioniert und kann mich jetzt in nur neunzig Minuten komplett mit Narben bedecken. Ob es regnet oder friert, ob es mitten in der Nacht ist oder wir in einer Kriebelmückenwolke stecken – immer hat sie ein Lächeln und einen Witz für mich. Wir lachen wirklich viel und sind uns gegenseitig sehr ans Herz gewachsen.
Und falls Sie Outlander nicht kennen, wo haben Sie gesteckt? Nein, es ist nicht der Teil, in dem Sean Connery einen Spanier spielt und ein Franzose einen Highlander. Obwohl dieser Film einen grandiosen Soundtrack hatte (Queen – »Who Wants to Live Forever«) und sie in einer Szene in einem Ruderboot darüber diskutieren, was in einem Haggis steckt (was wiederum von Graham und mir stammen könnte).
Outlander ist die preisgekrönte Serie über Claire Beauchamp Randall, eine Krankenschwester aus den 1940ern (gespielt von meiner unendlich geduldigen, fantastischen Filmpartnerin Caitriona Balfe), die ins Schottland des achtzehnten Jahrhunderts zurückbefördert wird – zwei Jahre vor dem Jakobitenaufstand von 1745 – und der Liebe ihres Lebens begegnet, dem flammenhaarigen Jamie Fraser, gespielt von mir. Der vollständige Name meiner Figur ist James Alexander Malcolm MacKenzie Fraser. Ihr könnt gern einmal versuchen, das fünfzigmal vor einer Gruppe schwitzender Schauspieler mit Perücken und falschen Bärten aufzusagen, die sich wie Heranwachsende benehmen – mal sehen, wie es euch dabei ergeht!
Caitriona und ich sind jetzt fast sieben Jahre gemeinsam auf dieser sagenhaften Reise. Wir wurden beide als ziemliche Greenhorns zusammengeworfen, um die Seelenverwandten Jamie und Claire zu spielen. Aber Caitriona ist nicht nur von Anfang an eine großartige, einfühlsame Kollegin gewesen, sondern auch meine treue Freundin geworden. Cait und ich sind wie Bruder und Schwester; wir wissen, wie der andere tickt. Wir arbeiten entspannt und vertrauensvoll zusammen, und wir sind natürlich nicht immer einer Meinung. Doch am Ende stärken wir uns immer gegenseitig den Rücken. Als die Verträge für die erste Staffel ausgehandelt wurden, habe ich darauf bestanden, dass wir die gleichen Verträge/Honorare bekommen und dass wir alles gemeinsam entscheiden. Jetzt als Produzenten haben wir zusätzliche Verantwortung gegenüber der Besetzung und dem Team, gegenüber Diana und den Fans. Wir müssen es richtig hinbekommen. Wir vertrauen uns einander an, und ich betrachte sie als eine meiner engsten Freundinnen. Es ist kaum möglich, beim Dreh nicht herumzuspaßen, und wir lachen viel, weil wir beide den gleichen kindischen Humor haben. Wir verstehen uns ohne Worte, und ich kann mich immer wieder an Caits Schulter ausweinen – oder sie hat einen guten Rat für mich. Was für ein Glück, dass sie meine Partnerin auf dieser Reise ist. Und ich denke, die »Chemie« kommt dadurch ganz von selbst.
Die TV-Serie Outlander basiert auf einer Romanserie der mega-talentierten Autorin Diana Gabaldon. Diana hat sich von Dr. Who inspirieren lassen: In einer Folge gab es einen Mann im Kilt, der Jamie hieß und von Frazer Hines gespielt wurde (der wiederum in der ersten Outlander-Staffel einen Auftritt als Sir Fletcher Gordon hatte, der Gefängnisverwalter von Wentworth). Ihre Bücher sind eine einzigartige Mischung aus historischen Fakten, Action, Romanze, Spiritualität, seelischen Abgründen, medizinischem Wissen und Humor [Graham: »Und deutlich mehr Nahaufnahmen von Heughans Hintern als unbedingt nötig; die beste Beschreibung für die Serie ist ›Tartan und Softporno‹.«] [Sam: »Gemeinheit.«] und haben eine treue Leserschaft, die gar nicht genug davon bekommen kann. Zum Glück haben uns die Fans mit offenen Armen aufgenommen. Es ist uns eine Freude, ihnen unsere Version von Dianas Büchern zu bescheren, und ich betrachte mich als Hüter ihrer Schöpfung Jamie Fraser. Allerdings gibt es eine kleine Gruppe hartgesottener Fans, die glauben, dass ich eine schlechte Wahl bin, den »King of Men« zu spielen, weil ich zwei Zentimeter kleiner bin als Jamie.
Außerdem habe ich weder rote Haare [Graham: »Irgendwie schon.«], noch bin ich unberührt.
Nachdem wir mit Michelle gequatscht und das Team begrüßt haben, fühlen Sam und ich uns gleichermaßen aufgeregt und etwas eingeschüchtert, weil wir in so knapper Zeit an so viele Orte fahren und so vielen Menschen begegnen werden, dass es schon fast den Regeln der Physik spottet. Es ist also lebenswichtig, dass wir am ersten Drehtag morgens fit sind; wir essen zusammen einen Happen und trinken ein Glas in der Bar. Und alles ist gut, bis … AUFTRITT VON RECHTS Duncan Lacroix (Murtagh in Outlander) und sein trunksüchtiger Kumpel »Der Ire«, beide schon gut vorgeglüht und zu allem bereit. Wir hatten Duncan – ein echter Draufgänger à la Oliver Reed – gefragt, ob er bei unserem Abenteuer eine komische Rolle spielen würde, und er hat bereitwillig zugestimmt. Aber jetzt dämmert mir, dass das ein schrecklicher Fehler gewesen sein könnte …
Der Abend beginnt mit Whisky, dann Wein und dann Whisky. Sehr viel Whisky, der mein alkoholisches Schicksal bis drei in der Nacht besiegelt. Sam schleicht sich ziemlich blau um eins davon; der Halunke hat doch tatsächlich daran gedacht, ins Bett zu gehen. Bei mir dagegen ist es immer so: Je wichtiger die Aufgabe des nächsten Tages, desto später gehe ich ins Bett. Nicht ideal, ich weiß.
Mein Wecker klingelt lauter, als er sollte. Argh. Es ist sieben Uhr. Ich ziehe meine Augenlider auseinander und fühle mich furchtbar. Unten beim Frühstück sehe ich zu meinem Erstaunen Duncan, wie er leibt und lebt. Vielleicht ist er gar nicht im Bett gewesen? Bei näherer Betrachtung sieht er allerdings aus, als könnte er jeden Moment das Zeitliche segnen oder als wäre er eine Leiche, die noch die Kleider trägt, in denen sie beerdigt wurde. Sein irischer Freund ist nirgendwo in Sicht – vermutlich im Bett, vielleicht am Leben, vielleicht auch nicht.
Sam ist nervig und munter wie eh und je und strotzt vor Energie wie eine Art muskelbepackter Springer-Spaniel. Nachdem wir zum Frühstück Porridge, das schottische Sortiment mit Würstchen, Black Pudding und gegrillten Tomaten, Toast, Marmelade – das volle Programm – hinuntergewürgt haben (also ich jedenfalls), sind Sam und ich schließlich in unserem Wohnmobil unterwegs und rasen im dritten Gang durch den Glencoe zu einer Stelle, wo Duncan so tun soll, als wollte er per Anhalter fahren. In seinem Zustand wird es ein Wunder sein, wenn er den Daumen hochhalten kann. Sam hat ihn vor uns erspäht. Er fragt mich, was wir tun sollen. Ich sage ihm, dass ich nicht die leiseste Ahnung habe – er hat diesen Ausflug organisiert! Er rast auf Duncan zu. »Langsam«, sage ich. Er bremst ab, und wir beide gaukeln komplettes Erstaunen darüber vor, unseren Kumpel Duncan mitten in den Highlands zu sehen.
Graham: »Sollen wir ihn mitnehmen?«
Sam: »Nö.«
Ich kurbele das Fenster hoch und sperre Duncans erwartungsvolles, verhärmtes und übertrieben kräftig aufgefrischtes Gesicht aus. Beim Davonfahren gibt sich Sam alle Mühe, die Räder dieses Plastik-Leviathans zum Durchdrehen zu bringen. John, der Kameramann, schlägt vor, dass wir uns beim Wegfahren über Duncan unterhalten – vielleicht ein schlechtes Gewissen haben, weil wir ihn zurücklassen. Aber ich sage, es ist viel komischer, wenn wir kein Wort darüber verlieren. Wir fahren einfach weiter, ohne uns damit zu beschäftigen.
Ein Stückchen weiter öffne ich mein Fenster wieder, weil mir mulmig wird. Ich habe beim Frühstück eimerweise Kaffee getrunken, aber das Koffein hört schon auf zu wirken. Die Sonne wärmt mir das Gesicht (im September), und plötzlich fange ich an, unsere unglaubliche Umgebung wahrzunehmen. Sam und ich recken beide die Hälse, um besser zu sehen, und um das atemberaubende, herzerweichend schöne, majestätische, in Wirklichkeit aber raue und ungastliche Tal in uns aufzunehmen.
An einem Tag wie heute geht nichts über die schottische Landschaft. Die Schichten aus Blut, Fehden, Romantik, Mythos und Leidenschaft sind wie der Fels der Berge selbst, gewaltig dimensioniert, uralt und manchmal überwältigend.
Das Leben ist hart in diesen Hügeln. Der Fels in den Highlands ist so hart, dass er als Barriere für das ablaufende Wasser wirkt. Topografie-Alarm! Der Regen sammelt sich in den Tälern, in denen es keine unterirdischen Sammelbecken gibt, sodass das Land sumpfig, nass und trügerisch ist. Bis zum achtzehnten Jahrhundert waren die Highlands im Prinzip eine Insel, abgeschnitten durch den Firth of Forth und den Firth of Clyde, und die einzige Route dorthin führte über Stirling. Deshalb konnte Robert the Bruce in Bannockburn 1314 Hunderte englischer Ritter ertränken, obwohl die Chancen gegen ihn standen. Das sumpfige Land rings um Stirling wurde erst im späten achtzehnten Jahrhundert entwässert; bis dahin bewegten sich die Menschen in den Highlands meistens auf dem Seeweg fort.
Ihr habt vielleicht schon gemerkt, dass Graham eine Art Geschichtsnerd ist, denn – sind wir doch einmal ehrlich – er stammt aus einer anderen Zeit (und von einem anderen Planeten!). Ich glaube, er ist in den 1940ern zur Welt gekommen … [Graham: »1961, vielen Dank.«] Jedenfalls weiß er wirklich eine Menge über die Clans und seine schottischen Vorfahren; ich selbst interessiere mich zwar sehr für mein schottisches Erbe, aber ich muss noch diverse Lücken in meinem Stammbaum füllen. Ich brenne darauf, mehr zu erfahren – einer der Gründe, weshalb ich beschlossen habe, diese Serie zu drehen. Für mich gibt es keine bessere Art zu lernen, als mich mitten ins Geschehen zu stürzen. Ich bin ein Typ, der gern anpackt, und einen Ausflug in die Highlands zu organisieren, bei dem ich mit einem Kumpel eine Vielzahl schottischer Charaktere kennenlernen und unverdünnten Whisky trinken werde, ist eine Geschichtsexkursion nach meinem Geschmack. Wenn also »Big G« bei diesem Abenteuer der verstaubte Professor mit den buschigen Augenbrauen ist, muss ich Steven Spielberg sein! Kahlkäppchen ist zwanzig Jahre älter als ich und bringt diese senile Detailversessenheit mit, wenn es um Dinge geht wie Schlachtendaten, Opferzahlen, Verletzte und wie das Wetter gewesen ist – ein schräger, unerwarteter Pluspunkt unserer generationsübergreifenden Freundschaft!
Vor uns liegt eine epische Reise, die im grandiosen Tal von Glencoe beginnt. Der dramatische Buachaille Etive Mor (schottisches Gälisch für »Der Hirte von Etive«), der Wächter des Tals, sieht in der frühen Morgensonne unwirklich aus. Zur Rechten liegt der zerklüftete, schmale Grat von Aonach Eagach, der parallel zum Tal verläuft. Man kann ihn nur in eine Richtung überqueren, mithilfe von Kletterzeug und Seilen. Das wollte ich immer schon tun. [Sam: »Graham, hast du Lust?«] [Graham: »Heute nicht, danke.«] Er wird von einer alten Militärstraße gekreuzt, die passenderweise »Devil’s Staircase« (Teufelstreppe) heißt und selbst für sehr abenteuerliche Seelen eine steile Klettertour ist. Als Kind war ich oft in Glencoe; als Teenager habe ich hier sogar Skifahren gelernt. Aber im Gegensatz zu Graham, der seine Jugend in Glasgow verbracht hat, bin ich auf dem Land aufgewachsen. Ich bin 1980 in einem Steinhäuschen in der Ortschaft Balmaclellan in Galloway im Südwesten Schottlands zur Welt gekommen …
Graham: »Ich meine, mich zu erinnern, dass ich 1980 eine Erschütterung im Gleichgewicht der Welt gespürt habe.«
Sam: »Das hier wird dir gefallen, Graham. Meine Eltern haben mich tatsächlich manchmal ›Samwise‹ genannt, und mein Bruder heißt Cirdan, nach den Figuren aus Tolkiens Herr der Ringe.« Graham war in der Hobbit-Trilogie der missmutige schottische Zwerg Dwalin. Manche Rollen wird er einfach nicht los.
Graham: »Tatsächlich? Das wusste ich gar nicht, Kumpel. Ich wusste aber, dass es einen Grund gibt, warum ich dich mag. Obwohl, wenn ich es recht bedenke, Samwise in Herr der Ringe der Hobbit war, der mir am meisten auf die Nerven gegangen ist. Insgeheim habe ich immer gehofft, dass Sauron ihn mit einer Art Mordor-Bann belegt.«
Sam: »Nett von dir. Mit unserer Mama Chrissie sind wir nach New Galloway gezogen (das ist der kleinste Landkreis von Schottland). Da haben wir in einem umgebauten Stallgebäude auf dem Gelände von Kenmure Castle gewohnt, einer Burgruine aus dem dreizehnten Jahrhundert am Loch Ken.« [Graham: »Du bist buchstäblich in einem Stall aufgewachsen wie ein schottisches Jesuskind.«] Wir waren damals knapp bei Kasse, aber das war nicht schlimm, weil mein Bruder und ich den alten Burggarten, die Wiesen (in meiner Fantasie der Übungsplatz für die Bogenschützen) und die dichten Wälder als Spielplatz hatten. Heute ist mir klar, was für eine Idylle das war und welches Glück wir hatten. Wir waren auf Schritt und Tritt von Geschichte umgeben. Die alte Burg mit ihren offenen Fenstern und dem Tor hat auf uns heruntergeschaut wie die Fratze eines Monsters, das jederzeit bereit war, kleine Kinder zu verschlingen. Manchmal habe ich meinen Mut zusammengenommen und mich in die verfallende Burg geschlichen, wo ich Spuren früherer Bewohner gefunden habe, eine alte Feuerstelle, freigelegte Wände und Bodendielen. Ich habe mir vorgestellt, wie Krieger die Wendeltreppe hinaufschleichen, so wie ich es in Outlander getan habe. In dieser Gegend habe ich angefangen, zu spielen und meine Fantasie zu entwickeln. Ich war total besessen von Merlin, Excalibur, König Arthur und Robert Bruce – Mythen, von denen viele ihren Anfang dort in den Lowlands genommen haben sollen.
Peng!
Wir sind ungebremst über eine Bodenwelle gefahren.
Graham: »Langsam! Himmel! Das ist ja wie ein billiges Remake von Speed.«
Sam: »Und du bist Sandra Bullock?«
Graham: »Sandra Bullock ist gefahren! (PAUSE) Und was genau ist das?«
Grahams Bart sträubt sich, und er befingert mit einem sehr langen Zeigefinger das Mini-Highlandrind, das am Rückspiegel baumelt. »Was ist das?«, fragt er, und sein Ton ist noch argwöhnischer als sonst, als ob er damit rechnet, dass das Figürchen Muh sagt oder ihm ins Gesicht fliegt. Ich habe das Wohnmobil mit allen schottischen Souvenirs ausgestattet, die ich zu Hause und bei der Wohltätigkeitsinitiative um die Ecke finden konnte. Alte Landkarten von Schottland, ein kaputter Dudelsack, ein antikes Schwert, ein Shintyschläger, eine schottische Flagge, zwei rostige Fahrräder, die am Heck festgebunden sind, und was ich sonst an »Keksdosenkitsch« finden konnte, damit sich der Haarlose wie zu Hause fühlt. »Das ist alles Anschauungsmaterial, plus ein paar Überraschungen«, grinse ich. So bleibt er immer schön auf alles gefasst und fühlt sich nicht so entspannt, dass er einschläft. Ich stelle ihn mir mit der Tartandecke auf den Knien vor, darauf die Handtasche.
Sam: »Ich habe einen Single Malt unter dem Waschbecken versteckt. (Und Shortbread-Plätzchen, die er nicht finden darf.) Und ich habe dir sogar eine Zigarre mitgebracht …«
Graham: »Nett von dir. Ich habe noch nie geraucht; ich würde mich vermutlich nur am Rauch verschlucken und sterben.«
Sam: »Das war der Plan.«
Graham zieht die Augenbrauen bis zur Decke hoch, und sein Mund öffnet sich.
Graham: »Warum macht der Motor dieses komische Geräusch?«
Sam: »Mist, falscher Gang.«
Graham: »Mein Mund fühlt sich an wie der Boden eines Papageienkäfigs – ich brauch ’nen Latte.«
Graham braucht immer einen Latte. Beim Outlander-Dreh war das Grahams Motto: »Ich trink dann mal ’nen Latte«, und er wurde schnell nur noch Lady McTavish genannt, weil er so verwöhnt ist – das absolute Gegenteil des abgehärteten Kriegshäuptlings Dougal MacKenzie, den er in Outlander spielt. Und wenn Graham unterzuckert ist, sind wir verloren. Ehrlich, der Mann wird von seinem Magen angetrieben. Man muss dafür sorgen, dass er ständig grasen kann. Ich trinke normalerweise morgens ein paar Tassen schwarzen Kaffee, um meinem Hirn aus dem Schlummer und auf die Sprünge zu helfen, und vielleicht esse ich eine Schale heißen Porridge. Aber Graham isst Porridge, eine komplette Frühstückspfanne, Toast, Joghurt … Er ist jemand, der immer Vor- und Hauptspeise und womöglich die Käseplatte bestellt, und der Erste, der dazu nach der Weinkarte fragt. Ich widme mich meistens direkt dem Whiskysortiment.
»Zu meiner Verteidigung, ich bin nicht verwöhnt; ich bin einfach nur ein Mensch, der zu jeder Tageszeit Kaffee braucht, und wenn ich am Dreh ankomme oder an einem Ort wie einem Hotel, habe ich gern ein paar simple Infos: wo ich meine Sachen unterbringen kann, wo ich mich hinsetzen kann, wo der Kaffee ist und wie spät es Frühstück gibt …«
Graham: »Ich weiß nur einfach gern, wann ich das nächste Mal etwas zu essen bekomme.«
Er lächelt mich an. Wann bin ich diesem Mann das erste Mal begegnet? War es Liebe auf den ersten Blick? Ich weiß es nicht mehr. Ich denke zurück:
Outlander
Blackadder[Graham: »Da war er noch nicht weiß. Das ist erst bei dieser Autofahrt passiert.«]
Das erste Mal bin ich Sam im August 2013 begegnet. Ich hatte gerade die Hobbit-Trilogie zu Ende gedreht und war zweieinhalb Jahre als Zwerg verkleidet in Neuseeland herumgerannt. Ein unvergleichliches Erlebnis. Prothesen, ein 30-Kilo-Kostüm, Freundschaften fürs Leben, die inmitten eines 750-Millionen-Dollar-Budgets geschmiedet wurden. Es ist fantastisch gewesen, aber jetzt war ich für etwas Neues bereit. Etwas ohne Prothesen. Ich weiß noch, dass mir die Produzentin gesagt hatte, sie hätten damit gerechnet, dass es sehr schwierig werden würde, Jamie Fraser zu besetzen, dass sie ihn aber auf Anhieb gefunden hatten. Sein Name wäre Sam Heughan. Ich habe ihn natürlich gegoogelt. So attraktiv, dass es schon fast nicht mehr schön war, und trotz seiner kurzen Filmografie hatte er gerade die Hauptrolle in der hochkarätigen TV-Verfilmung einer unglaublich populären Romanserie (damals waren es sieben Bücher) ergattert – mitsamt der Möglichkeit mehrerer Staffeln. Dieser verdammte Glückspilz, dachte ich und habe ihn auf der Stelle gehasst.
»Ist der Mistkerl etwas größer als ich?« [Sam: »Ja!«]Hobbit
immer
Hier sind wir nun sieben Jahre später in dieser Margarinedose auf Rädern. Die Straßen in diesem Teil Schottlands sind herrlich kreuzungsfrei. General George Wade war der britische Offizier, der die Idee hatte, dass Soldaten von richtigen Straßen profitieren würden (mancher würde das für offensichtlich halten, da es selbst die Römer schon 2000 Jahre früher begriffen hatten). Als er dann im achtzehnten Jahrhundert seine Straßen in die Highlands gebaut hat, um die Highlander zu »zivilisieren« und zu unterwerfen, hat er sich nicht viele Gedanken über Nebenstraßen und Ausweichbuchten gemacht. Unser Abzweig würde rechts sein, wahrscheinlich der einzige für die nächsten zwanzig Meilen – und Sam hatte ihn verpasst.
Sam: »Ernsthaft?«
Es folgte ein angsteinflößendes Wendemanöver, um denselben Weg zurückzufahren. Ich glaube, die Schafe am Wegrand haben im Kauen innegehalten, um staunend zuzusehen, wie die Gangschaltung gequält und der verirrte Fiat auf Touren gebracht wurde. Highlandrinder haben sich schamvoll abgewendet. Zum Glück gab es sonst keinen Verkehr auf der Straße.
endlichwir
BMW
59 (Mehr über diese gesponserten Sachen später …)
Schließlich begreift der BMW-Fahrer [Graham: »Audi – ich hab’s auf Film.«], und da er begreift, dass wir uns nicht bewegen, setzt er zu einer Stelle zurück, an der wir vorbeikönnen. Wir winken und bedanken uns; er wirft einen verächtlichen Blick auf unser verbeultes Wohnmobil. Ich war zwar anfangs auch kein Fan davon, aber inzwischen ist mir der Camper richtig ans Herz gewachsen. Ein Stückchen weiter wandert ein Mann mit einem langen Zottelbart entschlossen mitten auf der Straße. Er weigert sich gute fünfzehn Minuten lang, uns vorbeizulassen – er sieht aus wie Duncan Lacroix. Vielleicht ist es Duncan? Er setzt sich an den Straßenrand und hebt den Kopf zum Himmel, einen irren Ausdruck im Blick. Ja, das könnte er definitiv sein.
Sam: »Whiskyprobe.«
Sam: »Alk gegen den Kater, alter Griesgram.«