Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2018
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ISBN 978-3-644-00075-9
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Ein terminologischer Hinweis: Der Begriff «Zeit» wird in unterschiedlichen, wenn auch miteinander zusammenhängenden Bedeutungen verwendet: 1. «Zeit» ist das allgemeine Phänomen des Aufeinanderfolgens von Ereignissen («Die Zeit ist unerbittlich»). 2. «Zeit» gibt ein Intervall in dieser Abfolge («in der schönen Frühlingszeit») oder 3. eine Dauer («Wie lange hast du gewartet?») an. 4. «Zeit» kann auch einen bestimmten Augenblick angeben («Es ist Zeit zum Aufbruch»). 5. «Zeit» gibt die Variable an, welche die Dauer misst («Die Beschleunigung ist die Ableitung der Geschwindigkeit nach der Zeit»). In diesem Buch verwende ich den Ausdruck «Zeit» wie in der Alltagssprache unterschiedslos in allen genannten Bedeutungen. Sollte Verwirrung aufkommen, erinnere sich der Leser an diesen Hinweis.
Streng genommen, manifestiert sich der Zeitpfeil auch in Phänomenen, die nicht direkt mit Wärme zu tun haben, aber entscheidende Aspekte mit ihr teilen. Zum Beispiel beim Arbeiten mit dem retardierten Potenzial in der Elektrodynamik. Auch für solche Phänomene gelten die nachfolgenden Ausführungen und insbesondere die Schlussfolgerungen. Der Einfachheit halber verzichte ich darauf, alle Spezialfälle im Einzelnen zu erörtern.
Der Punkt ist nicht, dass die Abläufe in einem kalten Löffel, der in eine Tasse heißen Tee getaucht wird, davon abhängen, ob meine Sichtweise unscharf ist oder nicht. Was mit dem Löffel und seinen Molekülen geschieht, vollzieht sich natürlich unabhängig davon, wie ich sehe. Es geschieht einfach. Der Punkt ist, dass die Beschreibung in Begriffen von Wärme, Temperatur, dem Abfließen der Wärme des Tees in den Löffel eine unscharfe Sicht dessen ist, was geschieht. Und nur in dieser unscharfen Sicht zeigt sich dieser auffällige Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft.
«Zeitschleifen», in denen die Zukunft zur Vergangenheit zurückführt, mögen denjenigen erschrecken, der daran denkt, dass ein Sohn seine eigene Mutter töten könnte, noch bevor sie ihn zur Welt gebracht hat. Aber es gibt keinen logischen Widerspruch in der Existenz solcher geschlossener Zeitlinien oder von Reisen in die Vergangenheit. Wir sind es, die die Dinge mit wirren Phantasien von der Freiheit der Zukunft komplizierter machen.
Ich musste Kritik dafür einstecken, dass ich die Wissenschaftsgeschichte so dargestellt habe, als sei sie allein vom Denken weniger Genies vorangebracht worden, obwohl sie doch aus der langsamen Forschungsarbeit ganzer Generationen hervorgegangen ist. Die Kritik ist berechtigt: An dieser Stelle leiste ich Abbitte bei den Generationen, die diese unverzichtbare Arbeit geleistet haben und sie weiterhin leisten. Als einzige Entschuldigung verweise ich darauf, dass ich weder eine detaillierte historische Analyse noch eine wissenschaftliche Methodologie betreibe. Ich fasse nur die entscheidenden Schritte zusammen. Unzählige Werkstätten von Malern und Künstlern mussten über lange Zeit die Technik, die Kunst und die Kultur weiterentwickeln, damit die Sixtinische Kapelle gestaltet werden konnte. Aber ausgemalt hat sie am Ende Michelangelo.
Einstein musste eine lange Wegstrecke hinter sich bringen, um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen: Sie endete nicht mit der Niederschrift der Feldgleichungen 1915, sondern setzte sich in gewundenen Bemühungen fort, deren physikalische Bedeutung zu verstehen. Dabei hat er seine Meinung wiederholt geändert. Besonderes Kopfzerbrechen bereiteten ihm die Existenz von Lösungen seiner Gleichungen ohne Materie und die Frage, ob Gravitationswellen real seien oder nicht. Endgültige Klarheit erlangte er erst in seinen letzten Schriften, insbesondere in «Relativity and the Problem of Space», das in der fünften Auflage von Relativity: The Special and General Theory, London 1954, mitabgedruckt wurde. Nachzulesen ist dieser Anhang unter http://www.relativitybook.com/resources/Einstein_space.html. Aus urheberrechtlichen Gründen fehlt er in den meisten Ausgaben des Buchs. Eine eingehende Erörterung gibt es in Kapitel 2 meiner Arbeit Quantum Gravity, Cambridge 2004.
Der für Wechselwirkung verwendete Fachbegriff der «Messung» führt etwas in die Irre, weil er scheinbar impliziert, dass es zur Schaffung von Realität einen experimentierenden Physiker im weißen Kittel braucht.
Ich nutze hier die relationale Interpretation der Quantenmechanik, die ich am ehesten als plausibel erachte. Die nachfolgenden Betrachtungen, insbesondere der Verlust der klassischen Raumzeit, die Einsteins Gleichungen genügt, gelten auch für jede andere mir bekannte Interpretation.
Reichenbachs Beobachtung in diesem Text, einem grundlegenden innerhalb der analytischen Philosophie mit Blick auf die Untersuchung der Zeit, ist insofern besonders interessant, als sie ganz nahe bei den Gedanken zu liegen scheint, die den Ausgangspunkt von Heideggers Überlegung bilden. Dann tut sich zwischen beiden eine gewaltige Kluft auf: Reichenbach sucht in der Physik, was wir von der Zeit der Welt, der wir angehören, wissen, während Heidegger sich dafür interessiert, was die Zeit für die existenzielle Erfahrung des Menschseins bedeutet. Die beiden sich jeweils daraus ergebenden Bilder von der Zeit sind spektakulär verschieden. Sind sie zwangsläufig unvereinbar? Warum sollten sie? Sie erkunden zwei verschiedene Probleme: auf der einen Seite die effektiven zeitlichen Strukturen der Welt, die sich in dem Maße, in dem wir den Blick erweitern, immer dürftiger zeigen; auf der anderen den grundlegenden Aspekt, den die Zeit für uns, für unsere konkrete Befindlichkeit (unser «Hiersein») in der Welt hat.
Das ändert sich gerade. Verschiedene in jüngerer Zeit veröffentlichte Studien kommen zum selben Schluss wie dieses Buch. Daniel Graham (2006) zieht in einem vor nicht allzu langer Zeit erschienenen Buch über die ionische Naturphilosophie ganz ähnliche Schlussfolgerungen. In der Einleitung einer Sammlung von Aufsätzen, Anaximander in context (2003), heißt es: «Wir sind überzeugt, dass Anaximander zu den größten Denkern gehört, die jemals gelebt haben, und wir glauben, dass diese Tatsache in den bisherigen Studien nicht genügend gewürdigt wurde.» Dirk Couprie, der sich intensiv mit Anaximanders Kosmologie auseinandergesetzt hat (2003), kommt zu dem Schluss: «Meines Erachtens ist er Newton zweifellos ebenbürtig.»
Aristoteles, Metaphysik, I, 2, 982 b.
Eine eingehende Erörterung zur Schichtung des Zeitbegriffs leistet zum Beispiel J.T. Fraser, Of Time, Passion, and Knowledge, New York 1975.
Der Philosoph Mauro Dorato hat die Notwendigkeit hervorgehoben, den elementaren konzeptionellen Rahmen der Physik ausdrücklich unserer Erfahrung anzupassen. Siehe hierzu Che cos’è il tempo?, Rom 2013.
So der Kern der Allgemeinen Relativitätstheorie, siehe hierzu A. Einstein, «Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie», in: Annalen der Physik 49 (1916), S. 769–822.
In der Näherung des schwachen Feldes (Newton’sche Näherung) ist die Metrik darstellbar als ds2 = (1 + 2Φ(x)) dt2–dx2, wobei Φ(x) das Newton’sche Potenzial ist. Die Newton’sche Gravitation folgt aus der einfachen Modifikation der Zeitkomponente der Metrik, g00, also aus der lokalen Verlangsamung der Zeit. Die geodätischen Linien dieser Metrik beschreiben das Herabfallen der Körper: Sie krümmen sich zum tieferliegenden Potenzial, wo sich die Zeit verlangsamt. (Diese und ähnliche Anmerkungen sind für Leser gedacht, die mit theoretischer Physik vertraut sind.)
«But the fool on the hill / sees the sun going down, / and the eyes in his head / see the world spinning ’round …»
C. Rovelli, Che cos’è la scienza. La rivoluzione di Anassimandro, Mailand 2011.
Zum Beispiel: tauf dem Tisch – tam Boden = 2gh/c2 tam Boden, wobei c die Lichtgeschwindigkeit, g = 9,8 m/s2 die Erdbeschleunigung Galileos und h die Höhe des Tischs ist.
Sie lassen sich auch mit einer einzigen Variablen t, der «Zeitkoordinate» darstellen, die aber nicht die von einer Uhr gemessene Zeit (bestimmt durch ds, nicht durch dt) angibt und die man willkürlich austauschen kann, ohne die beschriebene Welt zu verändern. Dieses t stellt keine physikalische Größe dar. Was die Uhren messen, ist die Zeit eben entlang einer Weltlinie γ, gegeben durch tγ = ∫γ (gab(x)dxa dxb)½. Zur physikalischen Beziehung zwischen dieser Größe und gab(x) siehe die Erörterung weiter hinten.
Rainer Maria Rilke, Duineser Elegien, in: Sämtliche Werke, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1955, I, Verse 83ff., siehe auch unter http://gutenberg.spiegel.de/buch/duineser-elegien-829/1.
Tatsächlich war die Zeit der Französischen Revolution auch eine besonders fruchtbare Ära der Wissenschaft, in der die Grundlagen der Chemie, der Biologie, der analytischen Mechanik und zahlreicher weiterer Disziplinen gelegt wurden. Die gesellschaftliche ging mit der wissenschaftlichen Revolution Hand in Hand: Jean-Sylvain Bailly, der erste Pariser Bürgermeister der Revolutionszeit, war Astronom. Lazare Carnot war Mathematiker. Und Jean Paul Marat betrachtete sich vor allem als Physiker. Der Chemiker Lavoisier engagierte sich politisch. Der Mathematiker und Astronom Joseph-Louis de Lagrange wurde von den unterschiedlichsten Regierungen ausgezeichnet, die in dieser ebenso tragischen wie glanzvollen Zeit der Menschheitsgeschichte aufeinanderfolgten. Siehe hierzu S. Jones, Revolutionary Science: Transformation and Turmoil in the Age of the Guillotine, New York 2017.
Sie verändern sich gegebenenfalls: zum Beispiel das Vorzeichen für das Magnetfeld in den Maxwell-Gleichungen, Ladung und Parität der Elementarteilchen usw. Wichtig ist die sogenannte CPT-Invarianz (CPT für Ladung, Parität und Zeit).
Newtons Gleichungen beschreiben die beschleunigte Bewegung von Objekten. Die Beschleunigung verändert sich nicht, wenn ein Film rückwärts abläuft: Die Beschleunigung eines in die Höhe geworfenen Steins ist dieselbe wie bei der eines herabfallenden: Wenn ich mir den Verlauf der Jahre im Rückwärtsgang vorstelle, läuft der Mond in Gegenrichtung um die Erde, erscheint von ihr aber gleichermaßen angezogen.
Die Schlussfolgerung bleibt dieselbe, wenn die Quantengravitation berücksichtigt wird. Zu Bemühungen, dem Ursprung der Richtung der Zeit auf die Spur zu kommen, siehe zum Beispiel H.D. Zeh, Die Physik der Zeitrichtung, Berlin 1984.
R. Clausius, «Über verschiedene für die Anwendung bequeme Formen der Hauptgleichungen der mechanischen Wärmetheorie», in: Annalen der Physik 125 (1865), S. 353–400, hier S. 390.
Insbesondere als Wärmemenge, die aus dem Körper abfließt, geteilt durch die Temperatur. Wenn Wärme aus einem wärmeren Körper in einen kälteren übergeht, wächst die Gesamtentropie: Der Temperaturunterschied sorgt dafür, dass die Entropie, die der abfließenden Wärme geschuldet ist, geringer als die der zufließenden Wärme geschuldeten ist. Haben alle Körper dieselbe Temperatur erreicht, ist die Entropie am größten: Das Gleichgewicht ist erreicht.
Arnold Sommerfeld (1868–1951).
Hans Christian Ørsted (1777–1851).
Die Definition der Entropie erfordert Coarse Graining, also die Unterscheidung zwischen Mikro- und Makrozuständen. Die Entropie eines Makrozustands wird von der Anzahl der entsprechenden Mikrozustände bestimmt. In der klassischen Thermodynamik ist Coarse Graining in dem Moment definiert, in dem man festlegt, einige Variablen des Systems (zum Beispiel Volumen oder Druck eines Gases) als von außen «manipulierbar» oder «messbar» zu behandeln. Ein Makrozustand wird durch Festsetzung dieser makroskopischen Variablen bestimmt.
Also auf deterministische Weise, wenn man die Quantenmechanik vernachlässigt, und probabilistisch, wenn wir sie in Betracht ziehen. In beiden Fällen auf gleiche Weise für die Zukunft und für die Vergangenheit.
Weiteres hierzu siehe Kapitel 11.
S = k log W. S ist die Entropie, W die Anzahl der mikroskopischen Zustände oder das entsprechende Volumen im Phasenraum und k die heute sogenannte Boltzmann-Konstante, welche die (willkürlichen) Einheiten festlegt.
So nach der Allgemeinen Relativitätstheorie, siehe A. Einstein, Die Grundlage der allgemeinen Relativitätstheorie, a.a.O.
Nach der Speziellen Relativitätstheorie, siehe A. Einstein, «Zur Elektrodynamik bewegter Körper», in: Annalen der Physik 17 (1905), S. 891–921.
J.C. Hafele und R.E. Keating, «Around-the-World Atomic Clocks: Observed Relativistic Time Gains», in: Science 177 (1972), S. 168ff.
Diese hängt sowohl von t als auch von der Geschwindigkeit und Position des sich bewegenden Beobachters ab.
So Poincaré (1854–1912). Lorentz (1853–1928) hatte versucht, t′ eine physikalische Definition zu geben, aber auf ziemlich verworrene Weise.
Einstein hat häufig darauf verwiesen, dass Michelsons und Morleys Experimente keine wichtige Rolle dabei gespielt hätten, ihm den Weg zur Speziellen Relativitätstheorie zu ebnen. Ich halte dies für zutreffend. Und meiner Meinung nach spiegelt es einen bedeutenden Aspekt der Wissenschaftsphilosophie wider. Für Fortschritte im Weltverständnis braucht es nicht immer neue experimentelle Daten. Kopernikus standen nicht mehr Beobachtungsdaten zur Verfügung als Ptolemäus: Dass die Erde eine Bahn um die Sonne zieht und nicht umgekehrt, stellte er dadurch fest, dass er dessen Beobachtungen besser interpretiert hat – wie es auch bei Einstein mit Blick auf Maxwell der Fall war.
«In Bewegung» relativ wozu? Wie bestimmt man, welches der beiden Objekte sich bewegt, wenn Bewegung nur relativ ist? Diese Frage stiftet bei vielen Verwirrung. Die (selten geäußerte) richtige Antwort lautet: In Bewegung relativ zum einzigen Bezugspunkt, dem Punkt im Raum, an dem sich die beiden Uhren trennen und später wiederbegegnen. Zwischen zwei Ereignissen A und B in der Raumzeit gibt es nur eine gerade Linie: diejenige, entlang der die Geschwindigkeit, bezogen auf diese Linie, die ist, die den Ablauf der Zeit im nachfolgenden Sinn verlangsamt. Wenn sich zwei Uhren trennen, sich aber nicht wiederbegegnen, ist die Frage sinnlos, welche vor- und welche nachgeht. Nur wenn sie einander wiederbegegnen, ist ein Vergleich möglich. Dann wird die Geschwindigkeit beider zu einem gut definierten Begriff.
Wenn ich im Fernrohr sehe, wie meine Schwester ihren 20. Geburtstag feiert, und ich ihr daraufhin per Funk meine Glückwünsche übermittle, die sie erst an ihrem 28. Geburtstag erreichen, kann ich sagen, dass jetzt ihr 24. Geburtstag ist: auf halbem Weg zwischen dem Zeitpunkt, da das Licht von dort (20.) abgegangen ist und dem, wenn mein Signal bei ihr eintrifft (28.). Dieser interessante Gedanke stammt nicht von mir, sondern aus Einsteins Definition für «Gleichzeitigkeit». Aber er definiert keine gemeinsame Zeit. Wenn sich Proxima b entfernt und meine Schwester dieselbe Logik anwendet, um den Moment auszurechnen, der mit ihrem 24. Geburtstag gleichzeitig ist, fällt der nicht mit dem gegenwärtigen Augenblick hier auf der Erde zusammen. Mit anderen Worten: Bei dieser Definition für Gleichzeitigkeit, bei der für mich ein Zeitpunkt A ihres Lebens gleichzeitig mit einem Zeitpunkt B meines Lebens ist, stimmt die Umkehrung nicht: Für sie sind A und B nicht gleichzeitig. Unsere verschiedenen Geschwindigkeiten definieren verschiedene Ebenen von Gleichzeitigkeit. Folglich gelangt man nicht einmal so zu einem gemeinsamen Begriff von «Gegenwart».
Die Gesamtheit der Ereignisse, die in raumartigem Abstand von hier liegen.
Als einer der Ersten erkannte dies Kurt Gödel (1906–1978) in «An Example of a New Type of Cosmological Solutions of Einstein’s Field Equations of Gravitation», in: Reviews of Modern Physics 21 (1949), S. 447–450. In seinen Worten: «Der Begriff ‹jetzt› ist höchstens ein bestimmtes Verhältnis eines bestimmten Beobachters zum übrigen Universum.»
Nur einen transitiven.
Auch die Existenz einer Teilordnung könnte mit Blick auf die Realität eine allzu starre Struktur sein, wenn geschlossene Zeitkurven vorliegen. Siehe hierzu zum Beispiel M. Lachièze-Rey, Voyager dans le temps. La physique moderne et la temporalité, Paris: Éditions du Seuil, 2013.
Dass Reisen in die Vergangenheit logisch keineswegs unmöglich sind, macht ein sympathischer Artikel von einem der größten Philosophen des vergangenen Jahrhunderts deutlich: David Lewis, «The Paradoxes of Time Travel», in: American Philosophical Quarterly 13 (1976), S. 145–152. Nachdr. R. Le Poidevin und M. MacBeath (Hrsg.), The Philosophy of Time, Oxford 1993.
So die Darstellung der Kausalstruktur in der Schwarzschild-Metrik in Eddington-Finkelstein-Koordinaten.
Unter den Gegenstimmen sind zwei bedeutende Wissenschaftler, denen ich besondere Freundschaft, Zuneigung und Wertschätzung entgegenbringe: Lee Smolin, Im Universum der Zeit. Auf dem Weg zu einem neuen Verständnis des Kosmos, München 2015, sowie George Ellis, On the Flow of Time, FQXi Essay, 2008, siehe unter https://arxiv.org/abs/0812.0240; «The Evolving Block Universe and the Meshing Together of Times», in: Annals of the New York Academy of Sciences 1326 (2014), S. 26–41; How Can Physics Underlie the Mind?, Berlin 2016. Beide heben hervor, dass es eine privilegierte sowie eine reale Zeit geben müsse, auch wenn diese von der gegenwärtigen Physik nicht erfasst würden. In der Wissenschaft ist es wie in der Liebe: Unsere Liebsten sind die, mit denen wir uns am heftigsten streiten. Zu einer gut aufgebauten Verteidigung des grundlegenden Aspekts der Realität der Zeit siehe R.M. Unger und L. Smolin, The Singular Universe and the Reality of Time, Cambridge 2015. Ein weiterer lieber Freund, der die Vorstellung von einem realen Ablauf einer einzigen Zeit vertritt, ist Samy Maroun. Mit ihm habe ich die Möglichkeit ausgelotet, die Physik der Relativitätstheorie dadurch umzuschreiben, dass zwischen der Zeit, die das Tempo der Prozesse leitet (die «metabolische» Zeit), und einer «echten» universellen Zeit unterschieden wird. Siehe hierzu S. Maroun und C. Rovelli, «Universal Time and Spacetime ‹Metabolism›», 2015, unter http://smc-quantum-physics.com/pdf/version3English.pdf. Dies ist durchaus möglich. Damit ist der Standpunkt Smolins, Ellis’ und Marouns vertretbar. Aber ist er auch fruchtbar? Wir stehen vor der Alternative, entweder die Beschreibung der Welt zwanghaft an unsere Anschauungen anzupassen oder zu lernen, unsere Anschauungen an das anzugleichen, was wir über die Welt herausgefunden haben. Ich habe kaum Zweifel daran, dass die zweite Strategie die fruchtbarere ist.
R.A. Sewell u.a., «Acute Effects of THC on Time Perception in Frequent and Infrequent Cannabis Users», in: Psychopharmacology 226 (2013), S. 401–413. Eine unmittelbare und verblüffende Erfahrung.
V. Arstila, «Time Slows Down during Accidents», in: Frontiers in Psychology 3 (2012), S. 196.
In unserer Kultur. In anderen hat Zeit eine grundlegend andere Bedeutung. Siehe hierzu D.L. Everett, Das glücklichste Volk: sieben Jahre bei den Pirahã-Indianern am Amazonas, München 2012.
Mt 20,1–16.
P. Galison, Einstein’s Clocks, Poincaré’s Maps, New York, 2003, S. 126. (Dt.: Einsteins Uhren, Poincarés Karten: Die Arbeit an der Ordnung der Zeit, Frankfurt a.M. 2006.)
Einen gelungenen historischen Überblick darüber, wie Technologie unseren Zeitbegriff schrittweise verändert hat, gibt A. Frank, About Time: cosmology and culture in the twilight of the big bang, New York 2011.
D.A. Golombek, I.L. Bussi und P.V. Agostino, «Minutes, days and years: molecular interactions among different scales of biological timing», in: Philosophical Transactions of the Royal Society. Series B: Biological Sciences 369 (2014).
Die Zeit ist αριθμóς κινησεως κατα τò πρóτερoν καì υστερoν, «die Zahl der Veränderung betreffs des Früheren und des Späteren», Aristoteles, Physik, IV, 219 b 2, siehe auch 232 b 22–23.
Aristoteles, Physik, IV,11, 106 siehe unter http://www.zeno.org/Philosophie/M/Aristoteles/Physik/4.+Buch/11.+Capitel.
Siehe I. Newton, Mathematische Prinzipien der Naturlehre, 25, Anmerkung unter https://archive.org/stream/bub_gb_3ltOpqdl4LMC/bub_gb_3ltOpqdl4LMC_djvu.txt.
Ebenda.
Eine Einführung in die Philosophie von Raum und Zeit gibt B.C. van Fraassen, An Introduction to the Philosophy of Time and Space, New York 1970.
Newtons Grundgleichung lautet F = m d2x/dt2. Die Zeit (dt) ist zum Quadrat erhoben: Deswegen unterscheidet die Gleichung nicht t von –t, ist also vorwärts und rückwärts in der Zeit dieselbe, wie in Kapitel 2 dargelegt.
Viele Lehrbücher zur Geschichte der Naturwissenschaften präsentieren die Diskussion zwischen Leibniz und den Newtonianern seltsamerweise so, als sei Leibniz der Abweichler gewesen, der ganz neue gewagte relationalistische Anschauungen vertreten habe. Tatsächlich war das Gegenteil der Fall: Wenn auch mit einer ganz neuen Fülle an Argumenten, verfocht Leibniz das bislang vorherrschende traditionelle Verständnis des Raumes, das von Aristoteles bis zu Descartes von jeher relationalistisch gewesen war.
Dabei ist Aristoteles’ Definition genauer: Der Ort eines Dings ist der innere Rand dessen, was es umgibt – eine schöne und präzise Definition.
Ausführlicheres dazu siehe C. Rovelli, Die Wirklichkeit, die nicht so ist, wie sie scheint, Reinbek 2016.
Es ist unmöglich, einen Freiheitsgrad in einer Phasenraumregion zu lokalisieren, deren Volumen kleiner als die Planck-Konstante ist.
Die Lichtgeschwindigkeit, die Newton-Konstante und das Planck’sche Wirkungsquantum.
Maimonides, Der Führer der Unschlüssigen, I, 73, 106 a.
Wir können versuchen, Demokrits Position in der Frage aus entsprechenden Darlegungen bei Aristoteles (zum Beispiel in der Physik, IV, 213ff.) zu erschließen, was mir allerdings als kaum beweiskräftig erscheint. Siehe Democrito. Raccolta dei frammenti, interpretazione e commentario di Salomon Luria, Milano 2007. Eine deutsche Ausgabe zu Demokrit bieten H. Diels und W. Krantz (Hrsg.), Die Fragmente der Vorsokratiker, Griechisch und Deutsch, Bd. 2, 11. Nachdr. der 6. verbesserten Auflage, Zürich und Hildesheim 1985.
Außer wenn die De-Broglie-Bohm-Theorie gilt. Dann hätte es doch eine, würde sie aber verbergen – ein eher geringfügiger Unterschied.
Grateful Dead, Walk in the Sunshine.
N. Goodman, The Structure of Appearance, Cambridge, 1951.
Zu abweichenden Positionen siehe Anmerkung 37.
In der Terminologie des viel zitierten Artikels zur Zeit John McTaggart, «The Unreality of Time», in: Mind, N.S. 17 (1908), S. 457–474, Nachdr. The Philosophy of Time, a.a.O., läuft dies darauf hinaus, der A-Serie (der Organisation der Zeit als «Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft» die Realität abzusprechen. Die Bedeutung der zeitlichen Bestimmungen würde sich dann allein auf die B-Serie als eine Organisation von «früher als/später als» reduzieren. Für McTaggart beinhaltet dies, der Zeit keine Realität zuzugestehen. Meiner Meinung nach urteilt er dabei zu streng: Wenn mein Auto anders funktioniert, als ich es mir vorgestellt und in meinem Kopf definiert habe, heißt dies keineswegs, dass es nicht real ist.
Brief von A. Einstein an Michele Bessos Sohn und Schwester vom 21. März 1955, zitiert nach David Bodanis, Einsteins Irrtum. Das Drama eines Jahrhundertgenies, München 2017, siehe unter https://books.google.de/EinsteinsIrrtum.
Das klassische Argument für das Blockuniversum liefert der Philosoph Hilary Putnam (1926–2016) in seinem viel zitierten Artikel «Time and Physical Geometry», in: The Journal of Philosophy 64 (1967), S. 240–247. Putnam nutzt Einsteins Definition der Gleichzeitigkeit. Wie wir in Anmerkung 30 sahen: Wenn sich die Erde und Proxima b aneinander nähern, ist ein Ereignis A auf der Erde (für einen Erdbewohner) gleichzeitig mit einem Ereignis B auf Proxima, das seinerseits (für Beobachter auf Proxima) gleichzeitig mit einem Ereignis C auf der Erde ist, das in der Zukunft von A liegt. Putnam vermutet, dass «gleichzeitig sein» «jetzt real sein» impliziert, und schließt daraus, dass die zukünftigen Ereignisse (wie C) jetzt schon real sind. Der Fehler liegt darin, anzunehmen, dass Einsteins Definition der Gleichzeitigkeit ontologisch bedeutsam ist, während sie nur eine Behelfsdefinition darstellt. Sie dient dazu, einen relativistischen Begriff zu erklären, der sich in einer Näherung auf den nicht relativistischen reduziert. Die nicht relativistische Gleichzeitigkeit ist ein reflexiver und transitiver Begriff, die Einsteins dagegen nicht. Folglich ist die Annahme sinnlos, dass beide außerhalb der nicht relativistischen Näherung dieselbe ontologische Bedeutung haben.
Das Argument, wonach die physikalische Entdeckung, dass der Präsentismus unmöglich sei, beinhaltet, dass die Zeit eine Illusion ist, siehe Gödel, «A Remark about the Relationship between Relativity Theory and Idealistic Philosophy», in: P.A. Schilpp (Hrsg.), Albert Einstein: Philosopher-Scientist, Evanston 1949. (Dt.: Albert Einstein als Philosoph und Naturforscher. Eine Auswahl, Braunschweig 1983.) Der Irrtum besteht nach wie vor darin, die Zeit als einen einheitlichen konzeptionellen Block zu definieren, den es entweder vollständig oder überhaupt nicht gibt. Eine klare Darlegung hierzu gibt Mauro Dorato, Che cos’è il tempo?, a.a.O., S. 77.
Siehe zum Beispiel W.V.O. Quine, «On What There Is», in: The Review of Metaphysics 2 (1948), S. 21–38, sowie die herrliche Diskussion über die Bedeutung der Realität in J.L. Austin, Sense and Sensibilia, Oxford 1962. (Dt.: Sinn und Sinneserfahrung, Stuttgart 1986.)
Boethius, De hebdomadibus., II, 24, zitiert nach C.H. Kahn, Anaximander and the Origins of Greek Cosmology, New York 1960, S. 84f.
Beispiele für Thesen, die Einstein zunächst verfochten, seine Meinung dann aber geändert hat: 1. Über die Vorstellung von einem sich ausdehnenden Universum spottete er zunächst und akzeptierte sie dann. 2. Die Existenz von Gravitationswellen hielt er anfangs für offensichtlich, leugnete sie dann und akzeptierte sie später wieder. 3. Die These, dass die Gleichungen der Relativitätstheorie keine Lösungen ohne Materie zulassen, vertrat er lange, erkannte sie dann aber als irrig. 4. Den Irrtum, wonach jenseits des Schwarzschild-Horizonts nichts existiere, hat er wohl nie eingesehen. 5. In der Arbeit mit Grossmann von 1912 behauptete er, dass die Gleichungen des Gravitationsfelds nicht allgemein kovariant sein können, vertrat aber drei Jahre später das Gegenteil. 6. Er führte die kosmologische Konstante ein, bezeichnete sie dann aber als die «größte Eselei meines Lebens», obwohl er mit seiner Annahme recht gehabt hatte …
Die allgemeine Form einer Theorie der Mechanik, welche die Entwicklung eines Systems in der Zeit beschreibt, ist durch einen Phasenraum und eine Hamilton-Funktion H gegeben. Die Entwicklung wird durch die von H erzeugten Bahnen beschrieben, parametrisiert von der Zeit t. Die allgemeine Form einer Theorie der Mechanik, welche die Entwicklung der einzelnen Variablen in Bezug zueinander beschreibt, ist dagegen durch einen Phasenraum und eine Zwangsbedingung C gegeben. Die Beziehungen zwischen den Variablen werden von den Bahnen vorgegeben, die von C im Unterraum C = 0 generiert werden. Die Parametrisierung dieser Bahnen hat keine physikalische Bedeutung. Eine eingehende fachliche Erörterung hierzu findet sich in Kapitel 3 in C. Rovelli, Quantum Gravity, Cambridge 2004. Eine entsprechende Zusammenfassung gibt C. Rovelli, «Forget Time», in: Foundations of Physics 41 (2011), S. 1475–1490, unter https://arxiv.org/abs/0903.3832.
Die Wirklichkeit, die nicht so ist, wie sie scheint