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Sturm

 

 

 

 

 

Für die Haenyo,

die Seefrauen der Insel Udo

 

 

 

 

 

auf der Insel an.

Die Nacht füllt nach und nach die Senken, dringt zwischen die Felder, eine Schattenflut, die bald alles bedeckt. Im gleichen Moment verlassen die Touristen die Insel. Jeden Morgen treffen sie mit der Acht-Uhr-Fähre ein, ergießen sich wie ein Strom über die leeren Flächen, bevölkern die Strände und rinnen wie Schmutzwasser über Straßen und Sandwege. Wenn es Nacht wird, leeren sie die Tümpel wieder, fließen zurück, verschwinden. Die Schiffe schaffen sie fort. Und dann ist die Nacht da.

 

Ich war vor dreißig Jahren zum ersten Mal auf dieser Insel. Die Zeit hat alles verändert. Ich erkenne die Landschaft, die Hügel, die Strände und die Form des eingefallenen Kraters im Osten kaum wieder.

Warum bin ich hierher zurückgekehrt? Gibt es für einen Schriftsteller keinen anderen Ort, an dem er schreiben kann? Keine andere Zufluchtsstätte – fernab vom Lärm der Welt, mit weniger Geschrei, weniger Arroganz –, an der er sich vor einer Wand an seinen Arbeitstisch setzen kann, um seine Zeilen auf der Schreibmaschine zu tippen? Ich wollte diese

Dreißig Jahre, die Lebensdauer einer Kuh. Ich war gekommen wegen des Windes, des Meeres, der umherirrenden halbwilden Pferde, die ihre Leine hinter sich herziehen, wegen der Kühe nachts mitten auf den Wegen, ihres tragischen Muhens wie ein Nebelhorn und des Kläffens der angeketteten Hunde.

Vor dreißig Jahren gab es keine Hotels auf der Insel, nur Gästezimmer in der Nähe des Anlegers, die jeweils für eine Woche zu vermieten waren, und Esslokale in Holzbaracken am Strand. Wir hatten ein kleines Holzhaus ohne Komfort auf einer Anhöhe gemietet, es war ideal, auch wenn es feucht und kühl war. Mary Song war zwölf Jahre älter als ich, hatte schönes dunkles, fast schwarzblaues Haar, und Augen in der Farbe von Herbstblättern, sie hatte in Bangkok in einem Hotel für wohlhabende Touristen als Bluessängerin gearbeitet. Warum hatte sie darauf bestanden, mich auf diese abgelegene Insel zu begleiten? Es war nicht meine Idee gewesen, sie hatte mich auf den Gedanken gebracht, glaube ich. Oder sie hatte gehört, wie jemand von einer abgelegenen Felseninsel erzählt hatte, die bei Sturm vom Rest der Welt abgeschnitten war. »Ich brauche Stille.« Oder es war meine Idee gewesen, ich hatte an die Stille gedacht. Um zu schreiben, um nach den verlorenen Jahren wieder anzufangen zu schreiben. Die Stille, die Entfernung. Die Stille, umgeben von Wind und Meer. Die kalten Nächte, die Anhäufung von Sternen.

Jetzt ist all das nur noch eine Erinnerung. Das Gedenken ist unwichtig, folgenlos. Nur die Gegenwart zählt. Diese

 

Die Geschichte mit Mary, die mehr trank als zuträglich ist und die vom Meer verschlungen worden ist, hat sich erst viel später ereignet. »Das könnte ich auch«, hatte sie gesagt, als wir die Meerenge überquerten, die die Insel vom Kontinent trennt. Sie ist bei Sonnenuntergang ins Wasser gegangen. Die Ebbe hatte die Wellen geglättet, die weinfarbenen Kreise breiteten sich nur langsam aus. Jene, die sie ins Wasser haben gehen sehen, haben gesagt, sie sei ruhig gewesen und habe gelächelt. Sie trug ihren ärmellosen, halblangen blauen Schwimmanzug und ließ sich zwischen die schwarzen Klippen gleiten, dann begann sie zu schwimmen, bis die Wellen oder die Spiegelung der untergehenden Sonne sie den Blicken der Zuschauer entzogen.

 

Ich habe nichts davon gewusst, nichts gesehen, nichts geahnt. Im Schlafzimmer unserer Holzhütte lagen ihre Kleider sorgsam gefaltet und gestapelt, als wolle sie verreisen. Die Reisschnapsflaschen waren leer, die Zigarettenschachteln offen. Eine Reisetasche enthielt ein paar vertraute Gegenstände,

Ihre Leiche ist nie gefunden worden. Mary mit der zarten, bernsteinfarbenen Haut, den muskulösen Beinen einer Tänzerin, einer Schwimmerin, und dem langen schwarzen Haar. »Aber warum?«, hat der Polizeibeamte gefragt. Mehr hat er nicht gesagt. Als würde ich eines Tages eine Antwort darauf erhalten. Als besäße ich die Lösung des Rätsels.

 

Wenn Sturm aufkommt und der Wind ununterbrochen aus dem Osten weht, kommt Mary wieder. Ich habe nicht etwa Halluzinationen und auch keine Tendenz zum Wahn (selbst

Bei Sturm höre ich ihre Stimme, spüre ich ihr Herz, spüre ich ihren Atem. Der Wind pfeift durch die Zwischenräume in der Fensterwand, dringt durch die verrosteten Schmalseiten herein, strömt durch den Raum und lässt die Tür schlagen. Dann kommt alles auf der Insel zum Stillstand. Die Fähren überqueren nicht mehr den Meeresarm, die Motorroller und die Autos stellen ihren Reigen ein, der Tag ähnelt einer dunklen, von Blitzen durchzuckten Nacht ohne Donner. Mary ist an einem windstillen Abend im spiegelglatten Meer davongegangen. Bei Sturm kehrt sie wieder, wird Atom für Atom aus den Tiefen ausgestoßen. Anfangs wollte ich es nicht glauben. Ich war entsetzt, presste die Hände gegen die Schläfen, um diese Bilder zu verscheuchen. Ich erinnere mich an einen Ertrunkenen. Keine Frau, sondern ein siebenjähriges Kind, das

 

Dieses Bild verfolgt mich, der Körper dieser mit ausgebreiteten Armen und Beinen auf dem Boden liegenden Frau, während die Soldaten sie hernehmen, und das zu einem schwarzen Stern verkrustete Blut unter ihrem verletzten Mund. Und ihre Augen, die mich anblicken, während ich im Hintergrund in der Nähe der Tür stehe, ihre Augen, die durch mich

 

Bei Sturm kommt sie zu mir ins Schlafzimmer. Es ist ein Wachtraum. Ich werde vom Geruch ihres Körpers geweckt, der sich mit dem der Tiefen vermischt hat. Ein scharfer, kräftiger Geruch, herb, beißend, finster und tosend. Ich rieche den Algenduft ihres Haars. Ich spüre ihre zarte, durch die Reibung der Wellen geglättete, vom Salz schimmernde Haut. Ihr Körper treibt im Licht der Dämmerung, gleitet unter die Bettdecke, und mein steifes Glied dringt in sie, bis ich erschauere, sie umschließt mich mit ihrem eisigen Fieber, ihr Körper gleitet gegen meinen, ihre Lippen pressen sich um mein Glied, ich bin ganz in ihr, und sie ist ganz in mir, bis zum Orgasmus. Mary, die seit dreißig Jahren tot ist und deren Leiche man nie gefunden hat. Mary, die aus den Tiefen des Ozeans zurückgekehrt ist und mir mit ihrer leicht heiseren Stimme ins Ohr flüstert, die gekommen ist, um für mich vergessene Melodien zu singen, Sternenlieder, die sie für mich in der Bar des Hotels Oriental gesungen hat, als ich ihr zum ersten Mal begegnet bin. Eigentlich keine Bar für Soldaten, und auch sie war eigentlich keine Barsängerin. Als ich sie damals sah, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, wer sie war:

 

Das habe ich Mary nie erzählt. Als ich sie im Hotel Oriental kennenlernte, fragte sie mich, was ich gemacht hätte, nachdem ich die Armee verlassen hatte. Ich habe ihr geantwortet: »Nichts … Ich bin viel gereist, das ist alles.« Sie hat mir keine Fragen gestellt, im Übrigen hätte ich nie den Mut gehabt, ihr die Wahrheit zu sagen: »Ich bin zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden, weil ich Zeuge eines Verbrechens geworden bin und nichts unternommen habe, um es zu verhindern.«

Ich wollte mit Mary leben, mit ihr verreisen, ihr zuhören, wenn sie sang, das Leben und das Bett mit ihr teilen. Wenn ich ihr all das gesagt hätte, hätte sie mich vor die Tür gesetzt. Ich habe ein Jahr mit ihr zusammengelebt, bevor wir auf diese Insel kamen. Und eines Tages hat sie beschlossen, ins Meer zu

Ich erfinde nichts für andere Leute, sie interessieren mich nicht. Ich bin es nicht gewohnt, in Bars aus meinem Leben zu plaudern. Ich kenne die Familie aus Arkansas nicht, diese Farrells. Landwirte. Bei ihnen hat Mary gelernt, Vieh zu versorgen, Motorräder zu reparieren und einen Traktor zu fahren. Und eines Tages, mit achtzehn, hat sie sich davongemacht, um anderswo zu leben, um zu singen. Dazu fühlte sie sich berufen. Sie hat ein anderes Leben geführt, ist nie auf den Bauernhof zurückgekehrt. Als sie im Meer verschwunden ist, habe ich versucht, die Eltern wiederzufinden, ich habe Briefe an die County-Verwaltung geschrieben, um ihre Adresse herauszufinden. Keiner meiner Briefe ist zurückgekommen.

Als ich Mary kennenlernte, war sie fast vierzig, aber sie wirkte viel jünger. Ich war achtundzwanzig und gerade aus dem Gefängnis entlassen worden.

 

Der Sturm leiht mir seine Wut. Ich brauche seine gellenden Schreie, sein Fauchen wie der Blasebalg einer Schmiede.

Die Insulaner haben sich vergraben. Sie sitzen in ihren Unterkünften mit beschlagenen Scheiben auf dem Boden und spielen Karten, trinken Bier. Das elektrische Licht flackert, bald wird es die große Panne geben. Dann lassen die Kühltruhen der Geschäfte pissgelbes Wasser aussickern, die Salzfische schmelzen, verlieren ihre Augen, und die Eislollis mit Schokoladenüberzug weichen in ihrer Verpackung auf. Wegen des Sturms bin ich hierher zurückgekehrt. Ich fühle mich wieder wie im Krieg, als ich aufs Geratewohl der wilden Flucht der Truppen folgte und auf Lautsprecher horchte, aus denen unverständliche Befehle dröhnten. Ich versetze mich in eine frühere Zeit zurück, baue mir ein neues Leben auf. Wünschte mir, noch einmal auf die Türschwelle des Hauses in Hué zurückkehren und einen Blick hineinwerfen zu können, einen Blick, der die Zeit anhalten, Verwirrung stiften und die Frau von ihren Henkern befreien kann. Aber nichts von dem, was ich weiß, lässt sich aus dem Gedächtnis streichen. Die Insel ist die Bestätigung für die Unmöglichkeit der Erlösung. Der Beweis für die Unfähigkeit. Die Insel ist der letzte Hafenkai, die

 

 

 

 

 

June. Meine Mutter ist eine Seefrau. Ich habe keinen Vater. Meine Mutter heißt Julia, sie hat noch einen anderen Namen, der nicht christlichen Ursprungs ist, aber sie will nicht, dass ich ihn nenne. Als ich geboren wurde, hatte mein Vater meine Mutter bereits im Stich gelassen. Meine Mutter hat einen Vornamen für mich gesucht, ihr Großvater hieß Jun, ein chinesischer Name, weil er aus diesem Land stammte, und so hat sie mich June genannt, weil das auf Amerikanisch Juni heißt und weil ich in jenem Monat gezeugt worden bin. Ich bin groß, habe dunkle Haut, und die Familie meiner Mutter hat mich verwünscht, weil ich keinen Vater habe. Deshalb hat meine Mutter mich mitgenommen, und wir haben uns auf dieser Insel niedergelassen. Ich war vier, als wir hier gelandet sind, und ich erinnere mich nicht mehr an die Zeit davor und auch nicht an die Reise, nur daran, dass meine Mutter und ich mit einem Schiff hergekommen sind und dass es regnete, ich trug einen schweren Rucksack, in dem sie allen Schmuck und alle Wertsachen versteckt hatte, um sie nicht zu verlieren, denn sie hatte sich gesagt, dass niemand den Rucksack eines vierjährigen Mädchens stehlen würde. Anschließend hat sie fast allen Schmuck verkauft, bis

Meine Mutter ist keine richtige Seefrau, ich meine wie die hiesigen Frauen, die diesen Beruf seit ihrer Kindheit ausüben und die großen schwarzen Walen ähneln, vor allem wenn sie aus dem Wasser kommen und auf ihren dürren, alten Beinen taumeln. Meine Mutter ist noch jung, sie ist sehr hübsch und schlank, hat schönes glattes Haar und ein fast faltenloses Gesicht, aber vom vielen Muschelablösen sind ihre Hände rot geworden und ihre Nägel abgebrochen. Meine Mutter stammt nicht von hier. Sie ist in der Hauptstadt geboren, sie war Studentin, als sie schwanger wurde und mich erwartete. Mein Vater hat sie sitzen lassen, weil er kein Kind haben wollte, und ist ans andere Ende der Welt gegangen, und da hat meine Mutter beschlossen, sich bis zu meiner Geburt zu verstecken, und um ihrer Familie keine Schande zu machen, hat sie die Hauptstadt verlassen und ist aufs Land gegangen, um dort zu leben. Um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, hat sie alle möglichen Jobs angenommen, sie hat auf einer Entenfarm gelebt, sie hat in einem Restaurant gearbeitet, das Geschirr gespült und die Latrinen gereinigt. Und dann ist sie mit mir als Säugling von Stadt zu Stadt gezogen, bis in den Süden, und eines Tages hat sie von dieser Insel gehört, hat das Schiff genommen und ist hier gelandet. Zunächst hat sie in Restaurants gearbeitet, dann hat sie sich eine

Die meisten Seefrauen sind alt. Wenn ich mit ihnen spreche, rede ich sie mit »Großmutter« an. Meine Mutter war noch jung, als sie hier ankam. Die Frauen haben zunächst zu ihr gesagt: »Was willst du hier? Geh zurück in die Stadt, aus der du kommst.« Aber sie hat durchgehalten, und die Frauen haben sie schließlich akzeptiert. Sie haben ihr gezeigt, wie man taucht, den Atem anhält und die Stellen findet, an denen sich Muscheln oder Meeresschnecken befinden. Das Gute daran war, dass sie meine Mutter akzeptiert haben, ohne ihr Fragen zu stellen, die sich auf ihren Mann oder mich bezogen. Sie sind meine Familie, die Familie, die ich nie gehabt habe. Sobald ich alt genug war, um allein das Haus zu verlassen, waren sie das Ziel meiner Streifzüge. Ich brachte ihnen etwas heiße Suppe, wenn sie aus dem Wasser kamen, oder ein bisschen Obst. Ich wohne mit meiner Mutter in einem Haus auf einer Anhöhe, unsere Vermieterin hat früher selbst nach Seeohren getaucht. Sie ist eine verschrumpelte alte Frau mit ganz dunkler Haut, ich nenne sie Großmutter, sie hat nach einem Unfall, bei dem sie zu lange unter Wasser geblieben ist, aufgehört zu tauchen und seitdem ist sie etwas langsam. Sie verbringt den ganzen Tag damit, auf ihrem Süßkartoffelacker die Erde aufzuhacken und Unkraut zu jäten, und ich helfe ihr dabei, sobald ich aus der Schule komme. Sie hat einen Hund, der Chubb heißt, weil er dick und kurzbeinig ist, aber er ist keineswegs dumm. Im vorigen Jahr hat sich ein Typ bei Mama eingenistet. Er behauptet, er heiße Brown, als sei er Engländer, aber ich mag ihn nicht. Wenn er mit meiner Mutter zusammen ist, sagt er nur

In der Schule habe ich keine Freunde. Anfangs ging es ganz gut, aber in diesem Jahr hat sich alles geändert. Es gibt eine Gruppe von Mädchen, die sich einen Spaß daraus machen, mich zu provozieren. Ich habe mich mehrmals mit ihnen geprügelt, ich bin größer als sie und gewinne, aber manchmal tun sie sich zusammen, um mich zu verprügeln, und wenn ich auf der Straße nach Hause zurückgehe, werfen sie mit Erdklumpen oder kleinen Steinen nach mir und bellen wie ein Hund. Sie sagen, ich hätte keinen Papa, mein Vater sei ein Bettler und säße im Gefängnis, deshalb besuche er mich nie. Einmal habe ich gesagt: »Mein Vater ist nicht im Gefängnis, er ist im Krieg gefallen.« Sie haben höhnisch gelacht. »Das musst du uns beweisen«, haben sie geantwortet, doch ich kann es nicht beweisen. Ich habe meine Mutter gefragt: »Ist mein Vater lebendig oder ist er tot?« Aber sie hat nicht geantwortet, sondern nur den Kopf gesenkt und so getan, als hätte sie nichts gehört. Doch wenn ich darüber nachdenke, sage ich mir, dass sie recht haben, da meine Mutter mir schon Englisch beigebracht hat, seit ich klein bin, sie sagt, das sei für

Das bösartigste von allen Kindern unserer Schule ist ein Junge namens Jo. Er ist groß und schlank, er geht in die Klasse über mir. Er ist gemein. Er sagt, ich sei eine Schwarze. Er sagt, mein Vater sei ein schwarzer amerikanischer Soldat der Militärbasis, und meine Mutter sei eine Nutte. Das sagt er immer wieder, wenn ich allein die Straße entlanggehe und die Erwachsenen es nicht hören können. Er rennt hinter mir her, und wenn er an mir vorbeiläuft, sagt er leise: »Deine Mutter ist eine Nutte, dein Vater ist schwarz.« Er weiß, dass ich das nicht weitersage, weil ich mich dafür viel zu sehr schämen würde. Jo hat einen arglistigen Blick wie ein aasfressender Hund, eine lange Hakennase und gelbliche Augen mit schwarzen Punkten in der Mitte. Wenn ich allein die Straße entlanggehe, nähert er sich von hinten, packt mich an den Haaren, denn ich habe eine dichte krause Mähne, und seine Finger klammern sich darin fest und zerren, bis ich den Kopf zum Boden senke, dann steigen mir die Tränen in die Augen, aber diesen Triumph gönne ich ihm nicht. Er möchte, dass ich schreie: »Gleich ruf ich meine Mama, gleich ruf ich sie!« Aber ich sage nichts, versetze ihm Fußtritte, bis er meine Haare loslässt.

 

Ich liebe das Meer mehr als alles andere auf der Welt. Seit ich ganz klein bin, habe ich die meiste Zeit am Meer verbracht. In der ersten Zeit auf dieser Insel hat meine Mutter in den Fischrestaurants gearbeitet. Sie ging früh am Morgen dorthin und stellte mich in meinem Kinderwagen in eine Ecke, damit ich niemanden störte. Sie reinigte den Zementboden mit

Von diesem Augenblick an bin ich jeden Tag ans Meer gegangen. Ich begleitete meine Mutter, trug ihre Tasche, ihre Schuhe, ihre Taucherbrille. Sie zog sich an einer windgeschützten Stelle zwischen den Felsen um. Ich betrachtete sie, wenn sie nackt war, bevor sie ihren Taucheranzug überstreifte. Meine Mutter ist nicht groß und dick wie ich, sie ist eher klein und mager, sie hat sehr helle Haut, außer im Gesicht, das sonnenverbrannt ist. Ich erinnere mich, dass ich ihre Rippen betrachtet habe, die unter der Haut hervorstanden, und ihre Brüste mit ganz schwarzen Brustwarzen, weil sie mich ganz lange gestillt hat, bis ich fünf oder sechs war. Die Haut auf ihrem Bauch und ihrem Rücken ist ganz weiß, und meine ist fast schwarz, selbst wenn ich mich nicht der Sonne aussetze, deshalb sagen die Kinder in der Schule, ich sei eine Schwarze. Eines Tages habe ich zu meiner Mutter gesagt: »Stimmt es, dass mein Vater ein amerikanischer Soldat