Impressum

Die Textfassung der Neuausgabe folgt der Erstausgabe des Romans von 1929

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2019

Copyright © 1983, 2006 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

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Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke

Umschlagabbildung Kopf Alexanders des Großen aus dem Mosaik «Die Schlacht von Issos». Pompeji, 2. Hälfte des 2. Jh.v.Chr./Neapel, Museo Nazionale

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ISBN Printausgabe 978-3-499-24412-4 (2. Auflage 2018)

ISBN E-Book 978-3-644-00447-4

www.rowohlt.de

 

Hinweis: Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

ISBN 978-3-644-00447-4

Anmerkungen

Nachwort

Peter de Mendelssohn: S. Fischer und sein Verlag. Frankfurt/M. 1970, S. 1099–1102, hier S. 1101. Dem 18-jährigen Klaus Mann hatte sein Vater an Weihnachten 1924 den Roman «Der Zauberberg» mit der Widmung geschenkt: «Dem geschätzten Kollegen/sein hoffnungsvoller Vater.» Vgl. Gert Heine, Paul Schommer (Hg.): «herzlich zugeeignet». Widmungen von Thomas Mann 1887–1955. Lübeck 1998, S. 58, Nr. 100.

S. Fischer Verlag, Berlin: Neuerscheinungen 1929 (…). Ausgegeben Oktober 1929. Faltblatt, 8 S., hier S. 6. Sammlung Dirk Heißerer, München.

Wörtliche Anlehnungen an Droysen hat Wolf-Eberhard Heinzel in seiner unveröffentlichten Staatsexamensarbeit «Studien zu Klaus Manns Alexander-Roman» (Göttingen 1969) ermittelt; vgl. Fredric Kroll (Hg.), Klaus-Mann-Schriftenreihe (KMS), Bd. 3, Wiesbaden 1979, S. 70.

Klaus Mann: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht (1952, abgekürzt WP). Reinbek 1984, S. 217.

Vgl. KMS, Bd. 1: Bibliographie. Wiesbaden 1976, S. 131ff.

WP, S. 219.

WP, S. 216; vgl. die Übersetzung der Stelle im vorliegenden Band S. 10.

Vgl. KMS, Bd. 3, S. 57.

Näheres zu Hermann Schäfer in KMS, Bd. 2, Wiesbaden 1977, S. 58. Freundlicher Hinweis von Fredric Kroll, Freiburg.

Vgl. Uwe Naumann (Hg.): «Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß». Klaus Mann (1906–1949). Reinbek 1999, S. 86–91, hier S. 87.

Klaus Mann: Brief an Pamela Wedekind, Kurhaus Esplanade, Bad Saarow (Mark), 18.10.1928, In: Ders.: Briefe und Antworten. 1922–1949. Hg. von Martin Gregor-Dellin, Reinbek 1991 (abgekürzt Briefe), S. 58.

Klaus Mann: Brief an Pamela Wedekind, Heidelberg, 16.11.1928, in: Briefe, S. 60.

Kaspar Hauser (Kurt Tucholsky): Die lieben Kinder. In: Die Weltbühne Nr. 8, vom19.2.1929, S. 304, hier zit. n.: Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in 10 Bänden. Hg. von Mary Gerold-Tucholsky und Fritz J. Raddatz. Band 7. 1929. Reinbek 1989, S. 41.

WP, S. 216f.

Vgl. KMS, Bd. 3, S. 60–63; die Notiz Klaus Manns stammt aus einer der unveröffentlichten Skizzen zu «The Turning Point», mitgeteilt von Fredric Kroll in einem Brief an Dirk Heißerer vom 15. Juni 2006.

Thomas Mann: Briefe 1889–1936. Hg. von Erika Mann. Frankfurt/M. 1961, 293f.

Vgl. KMS, Bd. 2, S. 122.

In: Berliner Tageblatt, Nr. 206 v. 26.4.1928.

19 Ein Vorabdruck des Romans ist nicht nachgewiesen; im Zürcher Eigenbrödler-Verlag nahmen die Herausgeber Kurt Virneburg und HelmutHurst dagegen nach dem Erscheinen des «Alexander» in den Band «Junge deutsche Dichtung» (1930) die «Gilgamesch»-Erzählung des Kleitos (S. 128–136) auf; vgl. KMS, Bd. 1, S. 25 (Nr. 17).

Klaus Mann: Brief an Stefan Zweig, Walchensee, 3.7.1929. In: Briefe, S. 62.

Nachwort

Klaus Mann: Brief an Stefan Zweig, München, 28.9.1929, in: Briefe, S. 63.

Klaus Mann: Brief an Erich Ebermayer, Berlin, 15.11.1929, in: Briefe, S. 63.

Klaus Mann: Brief an Stefan Zweig, Berlin 21.11.1929, in: Briefe S. 64.

Wilhelm von Schramm: Wo stehen die jungen Männer? In: Münchner Neueste Nachrichten, Nr. 331, 5.12.1929, S. 3. Besprochen werden nach Klaus Manns «Alexander» noch Magnus Wehner: Land ohne Schatten; W.E. Süskind: Jugend; Joseph Roth: Rechts und links; Hans Sochaczewer: Menschen nach dem Kriege; Manfred Hausmann: Salut gen Himmel; Bruno Brehm: Susanne und Marie.

Klaus Mann: Briefe an Stefan Zweig, Berlin, 21.11.1929; München, 8.1.1930 und 1.6.1930, in: Briefe S. 64f., 69.

Stefan Zweig: Zwei historische Romane (Richard Friedenthal, ‹Der Eroberer› – Klaus Mann, ‹Alexander›), Typoskript mit handschriftlichen Korrekturen. Abdruck in: Ders.: Begegnungen mit Büchern. Aufsätze und Einleitungen aus den Jahren 1902–1939. Hg. von Knut Beck. Frankfurt/M. 1983, S. 133–137, hier S. 134f. Frdl. Auskunft von Oliver Matuschek, Wolfenbüttel.

Klaus Mann: Brief an Stefan Zweig: München, 1.6.1930. In: Briefe, S. 69.

Conrad Wandrey: Klaus Mann: Alexander. In: Der Bücherwurm, 15. Jg., 1930, Anmerkungen zu neuen Büchern, S. 56f.

Heinz Dietrich Kenter: Alexander. In: Literatur, Juni 1930, Kurze Anzeigen, S. 542.

Alfred Kantorowicz: Was haben die «Jüngsten» uns zu sagen? In: Die Tat, 22. Jg., 1930, S. 54–60, hier S. 55.

W.E. Süskind: Klaus Manns Alexanderroman. In: Die Neue Rundschau, 41. Jg., 1930, S. 859–861, hier S. 861.

Der Kinderbuchautor Otfried Preußler nannte den Roman ein «lesenswertes Buch» und empfahl es für «Große Büchereien. Nicht für Jugendliche!» («Die neue Bücherei», München, 4.5.1964) Auch in Wien hielt man es für «ratsam (…), das Buch erst der reifen Jugend zugänglich zu machen». («Neue Volks-Bildung», Wien, H. 6, Juni 1964)

Ähnlich urteilte auch der «Mannheimer Morgen» am 1.6.1967: «Vor Hitler konnte man Alexanders Taten allenfalls noch als Heldenlied singen. Als ‹Roman einer Utopie›, wie der Untertitel lautet. Zwanzig Jahre später, nach Hitler, wäre es vielleicht der Roman einer Hybris geworden. Die Geschichte eines Großverbrechers, geschrieben im deutlichen Bewußtsein der parallelen Bahnen aller Alexander, Napoleon oder – Hitler, die je die Menschheit heimgesucht haben.»

fredric Kroll: Brief an Dirk Heißerer, Freiburg, 13.3.2005; der Tagebucheintrag findet sich neuerdings auch in KMS, Bd. 4, Teilband II 1935–1937. Im Zeichen der Volksfront, Hamburg 2006, S. 918.

Klaus Mann: Tagebuch Sanary-sur-Mer, 21.4.1936. In: Ders.: Tagebücher 1936–1937. Hg. von Joachim Heimannsberg, Peter Laemmle und Wilfriedf. Schoeller (abgekürzt: Tagebücher). Reinbek 1995, S. 43.

Klaus Mann: Tagebucheintrag München, 31.12.1931. In: Ders.: Tagebücher 1931–1933. Reinbek 1995, S. 24.

Klaus Mann: Tagebucheintrag München, 13.3.1932: «Er [Selden Rodman] ablehnend, aber auf hübsche Art (irgendeine Ähnlichkeit mit Schön-René).» In: Ders.: Tagebücher 1931–1933. Reinbek 1995, S. 43.

Klaus Mann: Tagebucheintrag Zandvoort, 5.7.1933. In: Ders.: Tagebücher 1931–1933. Reinbek 1995, S. 153.

Klaus Mann: Brief an Paul Geheeb, Küsnacht, 22.5.1938, in: Briefe, S. 353.

Klaus Mann: Kind dieser Zeit (1932). Reinbek 1989, S. 152 (Kap. «Landerziehungsheim [Ostern 1922 bis Sommer 1923])»; vgl. den Hinweis in KMS, Bd. 3, S. 27.

Wie schwierig, etwas zu sein und danach auszusehen. Ich war immer skeptisch gegenüber dem Schönen, das schön aussah, dem Edlen, das edel aussah, dem Großen, das groß aussah, und so fort. Wie die körperliche Anmut, so besteht auch die sittliche in einer gewissen Art, sich unsichtbar zu machen. Man kann sich also denken, mit welchem Bangen ich einen Alexander – einen Alexander den Großen zur Hand nahm. Der Gerechtigkeit halber muß gesagt werden, daß dieser Alexander mit Selbstbewußtsein auftrat; in unserer Zeit der knappgefaßten Bücher war es ein beachtlicher Band. Zudem kam er von Klaus Mann, einem jungen Dichter, dem Begnadung und ein heller Verstand zur Seite gehen, insbesondere aber eine der rühmlichsten Eigenschaften, die auch Thomas Mann, seinen Vater, auszeichnet: zu wissen, daß in den großen Dingen nicht immer Größe wohnt. Ein kleiner Junge, der auf einem kleinen Gitter schaukelt, kann uns stärker bewegen als der Aufzug des Parsifal.

Die Größe Thomas Manns als Vater und Berühmtheit umstrahlt Klaus Mann mit einem sehr milden Heiligenschein (einem Kinderreifen aus Licht sozusagen) und bewahrt ihn vor den Fallstricken des Bösen.

Alexander! In der höheren Schule war das ein Modell in der Zeichenstunde, ein Gipsprofil, ein gipsernes Auge, Lokken aus Gips, und diese Nasenflügel, diese Lippen – kalte Vexierbilder, in die der Schüler flugs ein sich bäumendes Pferd

Ich verliere die Lust, sobald ich nicht mehr jenes Wahre anwesend fühle, das weder auf Recht noch Gesetz fußt, sondern auf einem geheimen Maßsystem. Bei der Princesse Bibesco schärften sich die Züge der großen unbestimmten Form und wurden schließlich zu einer kleinen wohlausgeprägten und betörenden Angelegenheit, nicht von der Prägung einer Münze, wohl aber vom Umriß einer Blume: ein strammer Heros, gekräuselt wie die Hyazinthe und einen unermeßlichen Duft um sich verbreitend.

Der Alexander aus Gips räumte vor dieser Gestalt von ungeheuerlicher Schönheit das Feld: vor einer wahren Rätselfigur von der Art, wie es die Meisterwerke des Jugendstils sind, deren Ektoplasma dem Mund einer schlummernden Frau zu entströmen scheint.

Hier nun sehen wir, vorgestellt von einem jungen Dichter, der sich, um es noch einmal zu betonen, mit Zeilen und Ziffern und erhabenen Umrissen, nicht aber mit jenem kolossalischen Urnebel der deutschen Sagen vollgesogen hat, das Profil zum erstenmal ganz von vorne. Das Modell en face zu zeichnen: darin besteht die Kühnheit des Künstlers.

Sehen wir nun, wie Klaus Mann die Schatten des Mythos verrückt, wie er ihn uns nahebringt und ihm Fleisch und Blut gibt. Alexander hat zwei Studiengefährten. Einen Gefährten,

Es gibt Dichter, die sich ihre Kindheit bewahren; andere finden sie wieder. Alle bleiben mitleidlos, hart, verschlossen, erschreckend wie sie. Aber es tut mir leid um Menschen, die auf dieses Paradies der Schulzeit geringschätzig herabsehen, auf diese Schlachten, bei denen ein Schneeball uns für immer zeichnen und für immer die Quellen des Herzens zum Versiegen bringen kann.

Kurzum: Alexander will diesen Gefährten, den nichts in Erstaunen versetzt, überrumpeln, will dieses allzu wache Auge, das ihn beobachtet, einschläfern; und dies wird zum eigentlichen Motiv seines aufreibenden Eroberungszugs, einem Sieg entgegen, der den Sieger immer tiefer in die Einsamkeit hineintreibt. Eine Einsamkeit, die ein klein wenig Fortschritt mit Touristen und Butterbrotpapier überdecken wird.

Was kann ich noch besitzen? fragt sich Alexander, als er am Ende der Welt zu sein wähnt. Man fühlt sich versucht, ihm zu antworten: ein Telefon, eine Armbanduhr, ein Funkgerät. Aber ohne Scheitern gibt es keinen dauerhaften Ruhm. Durch sein Scheitern setzt Christus sich durch. Ihm hilft ein Verräter, die Schlacht zu gewinnen; Napoleon muß sie durch einen Verräter verlieren.

Wie könnte uns dieser Alexander traurig stimmen, da er mit Erfolg so bis obenhin vollgestopft war wie sein Leichnam mit dem Honig der Weiber, die ihn einbalsamierten; dieser Alexander, dem alles zum besten diente, selbst das Schlechteste (sein Urin roch nach Veilchen) – wenn uns nicht Klaus Mann offenbart hätte, daß er schwach war, gefallsüchtig, daß er falsche Wege einschlug, seinen Freund, seinen Zeugen, seinen geliebten Widersacher umbrachte und von diesem Augenblick an die einzige Entschuldigung für seinen Hochmut verlor.

Sehr gern stelle ich dieses Zeugnis einer Freundschaft – ein Zeugnis, wie bloße Bewunderung es niemals zeitigt – diesem Buch voran. Der es schrieb, ist einer meiner Landsleute, will sagen: ein junger Mann, der auf dieser Erde schlecht behaust ist und der geradewegs die Sprache des Herzens spricht.

Jean Cocteau

dem Engel mit den verbundenen Händen

I

Es gab die Sonne, verzauberte Tiere und geschwind fließendes Wasser. Von den Tieren wußte Alexander, daß in ihnen die Seelen der Verstorbenen wohnten, man faßte dieses Hündchen, jenen kleinen Esel lieber zärtlich an, vielleicht waren sie der verwandelte Großvater. Auch in den Wellen der Bäche und Gebirgsflüsse wohnten Wesen, die geheimnisvoll waren, dabei so liebenswert, daß man ihnen stundenlang zuhörte, wenn sie scherzten, tanzten, plätscherten. Ähnliche Wesen hausten in den Bäumen und Gebüschen, besonders reizende und kleine in den Blumen, die man deshalb nicht pflücken durfte.

Das Leben war vollkommen schön, solange der Vater sich im Hintergrund hielt. Das tat er meistens, nur bei festlichen Gelegenheiten unterhielt er sich mit dem Kinde, wobei er es auf eine rauhe Art zu necken liebte. Das Kind weinte nicht, es sah den dröhnend lachenden, bärtigen Herrn durchdringend an, aber der merkte nicht, wie haßerfüllt und wie böse.

Alles schien gut, sogar die Schlangen der Mutter, nur der Vater blieb abzulehnen. Warum lachte der Vater so unangenehm, und wenn man nicht mitlachte, wurde er mürrisch? In seiner Nähe roch es nach Schweiß und Alkohol, in der Nähe der Mutter aber nach Kräutern und schönem Haar.

Gut war Leonidas, der sich einen Pädagogen nennen ließ, obwohl er, bestenfalls, ein Wärter war, wenn er sich auch noch so räusperte und blähte; gut auch Landike, die beleibte

Aber wenn die Mutter erzählte, versank alle übrige Welt, es blieb nur ihre tiefe, gleichsam grollende Stimme.

Daß Olympias sprach, geschah eigentlich selten, meistens schwieg sie, schaute nur unergründlich unter einer störrisch gesenkten Stirn. Diesem Blick, der unter langen, zugespitzten Wimpern spöttische Tiefe hatte, war eine unheimlich saugende Kraft eigen, er war zugleich schwärmerisch und eiskalt. Sehr beunruhigend war auch ihr Mund, ein großer Mund mit schmalen, stark geschwungenen Lippen, an das Maul eines ruhenden Löwen erinnernd. Das Haar, welches sie halblang trug, war zottig und lockig, auch ihre ungepflegten, schlanken, knochigen Hände hatten etwas Wildes und Raubtierhaftes. Viele hielten die Königin für sehr dumm, andere wieder für geistig gestört. Sie war logischen Erwägungen völlig unzugängig, von einer bis zur Blindheit hartnäckigen Rechthaberei. Da man sie als jähzornig, sogar als brutal kannte, wagte keiner ihr zu widersprechen; mancher, der es trotzdem riskierte, hatte schon ihre feste Hand im Gesicht gespürt, daß es brannte; sogar Philipp kannte diese gutsitzenden Ohrfeigen.

Meistens schwieg sie, saß und grübelte, höchstens murmelte sie düster, daß sie müde sei. Der ganze Hof beriet, mit welchen Mächten sie ihren mitternächtigen Umgang halte. Warum war sie tags so erschöpft? Weil sie nächtens die

Wenn sie gegen Abend guter Laune wurde, ließ sie sich den jungen Prinzen Alexander kommen. Sie küßte und preßte ihn wild, ihm wurde schwindlig, wenn er den bitter betäubenden Geruch ihres Haars atmete. Sie schaute ihn von unten schwärmerisch und spöttisch an, begann dann unvermittelt zu erzählen, wobei sie sich mit kleinen, schreckhaften Gelächtern unterbrach und dazu mit der knochigen Hand planlos zur Stirn fuhr.

Immer wieder mußte sie die Geschichte von Orpheus erzählen, den die Mänaden zerrissen. Sie zerfetzten ihn zu kleinen Stückchen, weil sie ihn liebten und betrunken waren, er aber, seit dem Verluste seiner Eurydike, keine Frauen mehr mochte. Die neun Musen waren es, die seine blutigen Teilchen klagend sammelten und sie auf einem schönen Berg begruben. – Olympias sang mit ihrer grollenden Stimme die Lieder, welche von Orpheus waren, dann wurde ihrem Kinde feierlicher als beim Beten zumut. Sie summte und brummte, wiegte den Kopf mit dem widerspenstigen Haar; wenn Alexander schon weinte, summte und brummte sie immer noch. «Es ist die Harmonie, die dich weinen macht», sagte sie träumerisch-lehrhaft. «So habe ich als Kind über die kreisenden Figuren der Sterne geweint – –.»

Der Geschichte vom Orpheus irgendwie verwandt, aber in seiner Art noch geheimnisvoller, war das ägyptische Märchen vom göttlichen König Osiris, den sein ebenso listiger wie

Mit der Geschichte des königlichen Gottes Osiris war geheimnisvoll verquickt die des Tammuz, der in Babylon herrlich gewesen war; auch die des schöngewachsenen Adonis, welchen man in Kleinasien kannte. Alle diese vergossen ihr Blut, um alle diese klagte die Mutter-Geliebte, die Isis, Ischtar, Astarte oder Kybele hieß.

«Man soll Gott schlachten», schloß die Königin ihre Märchen mit wollüstiger Grausamkeit, wobei sie schreckhaft lachte und mit der Hand sinnlos zur Stirn fuhr.

Alexander lauschte ihr mit angstvollem Interesse; er träumte schon von den zerstückelten Leibern. Mit tiefer List und Berechnung erweckte die Olympias sein Grauen, seine zähneklappernde Furcht; um so wunderbarer wirkte, was nachkommen sollte. Denn das Zerstückeltwerden des Gottes war die Voraussetzung für das Wunder seiner Auferstehung; der Jammer mußte groß gewesen sein, damit der Jubel unendlich sein durfte.

So freute sich alljährlich Demeter, wenn die verlorene Tochter blühend wiederkam. Auch ihre Geschichte erzählte Olympias dem verzauberten Sohn. «Ich bin ihre Priesterin», raunte sie, die Hand verhüllend am Mund, «auf Samothrake habe ich ihr gedient und habe alles erfahren – –»

Sie enthüllte ihrem Kinde, nur ihm, was sie wußte: es war das Mysterium der blutigen Opferung und der Auferstehung im Lichte.

 

 

Von welchem Tage an verschwand die graue, schaukelnde Landike in einer zärtlich schattenhaften Dämmerung? Wann wurde es plötzlich klar, daß der stöckelige Herr Leonidas nicht ernst zu nehmen war, daß man lachen durfte, wenn er hüstelte und sich spreizte? – Das Erwachen kam, ohne daß man es merkte, allmählich.

Ein äußerer Einschnitt war die Übersiedelung ins Männerhaus. Das Kind wurde dem erregenden Einfluß der Olympias

Philipp vertraute seinen griechischen Pädagogen. Es waren wohlgepflegte und gewandte Herren, denen ein geziemendes Lächeln stets zur Verfügung stand. Da er sie hoch bezahlte, dachte der König, sie müßten auch tüchtig sein. Sie versprachen, den Prinzen in die Grundlagen der Mathematik einzuführen, ihm auch etwas Rhetorik und Geschichtskunde beizubringen; sogar das Leierspielen sollte er lernen.

Seine Hoheit wären so begabt, behaupteten die Gutbezahlten schmeichlerisch beim König, daß es selbstverständlich an nichts fehlen könne. Unter sich spöttelten sie über den barbarischen Philipp, der so parvenühaft ihre Kultur anbete; aber diesen, das war nicht zu leugnen, hatten die Götter nun einmal mit einem fatalen, politisch-intriganten Talent gesegnet; davon ließ sich beim Kronprinzen noch nichts spüren, und die griechischen Pädagogen bezweifelten gerne, daß es jemals zum Vorschein käme.

Denn dieser Knabe war entschieden unter seinen Jahren; so viel Zurückhaltung gab es nicht, der mußte unbegabt sein. Zugegeben, daß er nicht ganz ohne Anmut war, aber von einer linkischen Anmut, einer behinderten, die nichts Männliches, nichts Energisches hatte. – Nur seine Augen machten selbst die Pädagogen stutzig. Diese Augen hatten unter hochgewölbten, schwarzen Brauenbögen, die ständig wie emporgezogen wirkten – sogar die Stirn schien leicht in Falten zu liegen –, einen unheimlich erweiterten, hellen, saugenden Blick. Es war der zauberisch eindringliche Blick seiner Mutter, nur gar nicht

Als Freunde und nächster Umgang waren für den Prinzen einige Knaben aus der Hocharistokratie Mazedoniens ausgewählt. Zu diesen gehörten Kleitos und Hephaistion.

 

 

Alexander, Kleitos und Hephaistion waren meistens von den übrigen gesondert, nur bei den Mahlzeiten, beim Unterricht, bei den obligatorischen Spielen trafen sie mit ihnen zusammen.

Dabei stand es kompliziert zwischen den dreien oder, genauer gesagt, zwischen Alexander und Kleitos, der sanfte Hephaistion war es, der darunter zu leiden hatte. Während Alexander und Kleitos stumme Kämpfe miteinander auszufechten schienen, verhielt Hephaistion sich neutral vermittelnd, sanft, gefällig und gegen beide mit der gleichen Zärtlichkeit. Sein schönes dunkles Gesicht war etwas zu groß und etwas zu ernst für sein Alter, mit wundervoll gezeichnetem Mund, edler Stirn und einem feierlich guten Blick. Nur die Wangenpartie schien ein wenig zu flächig, nicht ganz ausgefüllt, nicht bis in jeden Muskel belebt. Hephaistion hatte eine rührende und liebenswürdig umständliche Art, sich zu verneigen, er tat es ausführlich, nicht ohne schelmische Grandezza,

Kleitos hingegen schien von beunruhigender Kindlichkeit. In seinen weichen Backen saß fast immer ein Lachen. Seine kleine und gerade Nase, an der Wurzel sehr schmal, verdickte sich babyhaft an der Spitze. In eine niedrige und helle Stirn fiel Haar; unter ebenmäßig schwarz gezogenen, langen Brauen hatten lustige Augen eine lebhafte und irritierend schillernde Sprache.

In den Spielen seiner Phantasie begaben sich die unerhörtesten Dinge. Die Unsterblichen kamen zu ihm, Kleitos feierte Hochzeit mit allen Göttinnen des Olymps. Zwischen Witzen und Lügengeschichten zitierte er Philosophen. Obwohl es nicht zu ihm paßte, wußte er ziemlich viel.

Er haßte es, berührt zu werden, scheute und verachtete Zärtlichkeiten. Als wäre seine Haut überempfindlich, schauerte er zusammen, streichelte einer ihm über das lockere Haar. Er hielt nicht viel von der Wollust, spottete über Alexander und Hephaistion, wenn sie sich ihr ergaben. Die Luft, in der er lebte, war reiner als die, in welcher andere gedeihen. Er war eitel auf seine Schönheit, liebte und bewunderte schwärmerisch sein Bild, wo es ihm aus Spiegeln oder Gewässern entgegentrat; aber er höhnte und mißhandelte die, welche ihn um seiner Schönheit willen liebten.

Glänzend und hart wie ein Edelstein schien sein Selbstvertrauen. Er leistete es sich, über sein Genie und seine begnadete Hübschheit kleine Scherze zu machen, er renommierte, log, fabulierte; er lachte und hatte ungeschickte, planlose kleine Handbewegungen. Dabei spottete er derer, die es wirklich zu etwas gebracht hatten: Antipatros, Parmenion, alle ergrauten Würdenträger und Generale waren Gegenstand seiner unverschämten und geschwinden Redensarten. Ohne

Alexander meinte, daß, mit Kleitos verglichen, er selber problematisch und plump würde. Was sich hinter der eigenen Stirne vorbereitete, war trübe, verschlungen und fragwürdig; aber in Kleitos schien alles zauberhaft geordnet. Wenn Alexander sich die Gedanken des Kleitos vorstellte, wurde ihm eine unvergleichlich liebliche und neiderweckende Vision von geometrisch tänzerischen Figuren, die sich mit spielerischer Klarheit ineinander verschränkten. In ihm aber, in Alexander, rang und kämpfte es finster.

Wenngleich Kleitos, wie Sitte und Taktgefühl es geboten, sehr höflich, sogar demütig gegen den Prinzen tat, glaubte dieser doch immer seinen halb lustigen, halb unerklärlich ernsten Angriff zu spüren. Diesen Angriff zu überwinden, zu gewinnen dies Kind, das in seiner Abgeschlossenheit unerreichbar blieb, wurde der ausschließliche und brennende Ehrgeiz des Alexander. Es kam so weit, daß er sich dabei ertappte, diesem Knaben gegenüber der Werbende zu sein. Hier zu siegen! – Zwei Jahre lang kannte er kein anderes Ziel mehr. Er hatte in seinem Herzen unabänderlich beschlossen: wenn einer mein Lebensgefährte sein kann, so dieser. Ich will nur einen Freund: diesen. Er ist mir vorbestimmt, dachte mit blinder und pathetischer Hartnäckigkeit Alexander. Ich will ihn haben, ich muß ihn haben, es soll mein erster, wichtigster Sieg sein. – Aber Kleitos wich aus.

Melancholisch abseits stand Hephaistion. Er durchschaute mit wehmütiger Deutlichkeit die Situation, begnügte sich schweigend damit, der Dritte zu sein, der vermitteln, ausgleichen konnte. Oft, wenn Alexander nicht mehr weiterwußte, holte er sich bei der immer gleich bereiten Innigkeit des treuen Hephaistion Trost. Der verzichtete, ohne je besessen

Alexander trieb es, eine Entscheidung herauszufordern, von der ihm zuinnerst klar war, wie sie ausfallen mußte. So stand er eines Nachts in dem zellenartig engen und kahlen Raum, der des Kleitos Schlafzimmer war. Es war Winter und eisig kalt. Alexander hatte nur ein leichtes Tuch übergeworfen; so stand er an der Türe und zitterte. Kleitos schaute kaum zu ihm hin; er lag ruhig auf dem Rücken, den Blick unverwandt nach der Decke gerichtet.

Dieses Gesicht kannte man beinah nur lachend, um so wunderbarer, es plötzlich todernst zu finden. Vor allem die lustigen Augen hatten sich verändert, die Pupillen schienen weiter und schwärzer geworden. – Alexander, wie gelähmt von Schüchternheit, setzte sich zu ihm an den Rand des Lagers. Kleitos blieb regungslos. «Ich sehe auf einen Punkt», sagte er rauh. «Bis der sich bewegt, warte ich.» «Willst du denn, daß er sich bewegt?» fragte Alexander ihn leise; ihm war, als schaute er, sehr unerlaubterweise, einem tiefgeheimen und verbotenen Spiele zu. «Ich will es nicht», antwortete, ebenso leise, aber viel deutlicher Kleitos. «Ein anderer will es. Einer in mir. Aber ich kenne ihn nicht.» Er schwieg grausam. – Alexander kauerte an seinem Lager, ihm schlugen die Zähne gegeneinander vor Frost. Trotzdem verschlang sein Blick mit einer Zärtlichkeit ohnegleichen dieses steinerne und leere Gemach; das dürftige Lager und auf dem Lager das Kind, dessen Körperumrisse sich unter der dünnen Decke abzeichneten. Da er kein Schweigen ertrug, fragte er schließlich noch einmal: «Bewegt er sich nun?» Er legte sein Gesicht auf das Kissen des Kleitos, so daß sein Haar neben Kleitos’ Wange zu liegen kam. «Du störst mich sehr», sagte Kleitos, ohne ihn anzuschauen.

Plötzlich, die Stimme voll Jubel, rief Kleitos: «Sie bewegen sich – oh!» Er erzählte hastig, mit glückstrahlenden Augen: «Ich habe nämlich inzwischen zweie aufs Korn genommen! Wenn sie zusammenstoßen, wird es eine Katastrophe geben! Ich freue mich schon – bums!! Jetzt hat es aber gekracht – –» Er verstummte erschüttert. Wie nach großer Anstrengung schloß er die Augen.

Alexander blieb, wenngleich das natürlichste Würdegefühl forderte, daß er ginge. Sich zu rühren, wagte er nicht mehr, aus Angst, den unerbittlich Schweigenden in seinen Abenteuern zu stören. Er fühlte sich von diesem strengen Träumenden weiter als von einem anderen Stern getrennt. Trotzdem blieb er, er fand die Kraft zum Gehen nicht mehr. Daß jetzt schon alles gleich sei, war sein letzter Gedanke. Freilich wagte er es nicht noch einmal, dem Blick des Kleitos zu begegnen. So begrub er sein Gesicht in den Händen. –

Von dieser Nacht an, in der Kleitos das entscheidende und nicht mehr gutzumachende Wort gesprochen hatte, war es mit dem schwierigen Freundschaftsbund der drei zu Ende. Es war Kleitos, der ausschied.

Alexander veränderte sich schnell. Es war, als holte er sich Kraft aus seiner schmerzlichsten Niederlage. Er wurde selbstbewußter, schöner, härter und elastischer. Nur Hephaistion sah ihn noch weich. Der verstand alles, ohne daß Alexander erzählt hätte. Er war der einzige, in dessen Armen dem Prinzen Alexander das Glück zuteil wurde, weinen zu dürfen.

 

 

Da ein allgemeines Gemunkel und Gerede über die schreckliche Wildheit des thessalischen Rosses war, welches, vor seinem eigenen Schatten scheuend, bisher jeden abgeworfen hatte, und sich auch der Kühnste weigerte, es einzureiten, sprang der Knabe auf seinen ungesattelten Rücken.Der Druck seiner Schenkel war so unvergleichlich stark, seine Faust packte so liebevoll und siegesgewiß zu, daß das junge Tier, nachdem es sich kurz aufgebäumt hatte, lustig zu tänzeln, schließlich ruhig zu traben begann.

Das erstemal flatterten Blumen und Bänder um das junge Gesicht des Alexander; das erstemal huldigten ihm die Soldaten. Sie schrien: «Rossebezwinger! Männerbeherrscher!» Er lachte selig verwirrt im Vorüberreiten. Die ganze Hauptstadt redete seinen Namen. Plötzlich fand man auch, wie schön er sei. «Er hat den Bukephalos, den Wilden, bezwungen und ist dreizehn Jahre, der Schöne!» riefen die Weiber sich zu; und die Männer dachten an Mazedoniens Zukunft. Man erzählte sich, daß König Philipp vor Glück geweint haben sollte.

Unter den Winkenden stand Hephaistion, mit verklärten Augen. Aber abseits, im Hintergrund, Kleitos, ihn entdeckte Alexander gleich in der wogenden Menge. Er stand nachlässig da, den Bauch etwas vorgestreckt, mit hängenden Armen. Es schien, daß er lächelte, aber man wußte nicht, wie.

Auf seinem Bukephalos Alexander, dem die Menge um seiner Anmut willen zujubelte, empfand sich plötzlich als unschön und plump, inmitten seines Triumphes.

Dem Aristoteles, der als Pädagoge nach Pella kam, ging ein großer Ruf aus Griechenland voraus. Um so angenehmer berührte es, in ihm einen vollendeten Hofmann zu finden, er hatte immer das passende Lächeln und das verbindliche Wort. Man wußte, daß er schon an verschiedenen Fürstenhöfen tätig gewesen war; sein Vater, Nikomachos aus Stagiros, sogar schon am Hofe zu Pella, und zwar als Leibarzt des mazedonischen Königs Amyntas.

Philipp selber machte ihn mit seinem Sohne bekannt. Er tat es auf eine umständliche, sogar etwas verlegene Art: «Dein neuer Mentor, mein Kind», wobei er unangebracht lachte. Dem Aristoteles gegenüber erwähnte er sofort die Fresken des Zeuxis, auch einen gewissen Euphraios aus Orea, einen tiefgelehrten Schüler des Plato, von dem er noch nie gesprochen hatte, jetzt aber plötzlich behauptete, er sei jahrelang sein innigster Freund gewesen.

Das dröhnend unsichere Benehmen des Königs übersah mit feinem Mienenspiel Aristoteles, unter mehreren leichten Verneigungen erwähnte er seinerseits etwas von der hochberühmten Kultur Mazedoniens. Nur Alexander im Hintergrund litt. Er hielt den Kopf schräg, kaute an seinen Lippen und bekam finstere Augen. Nun schlug sein Vater dem fremden Gelehrten sogar auf die Schulter, wozu dieser nachsichtig lächelte.

Der Unterricht fand in einem Nymphenhaine bei Myeza, etwa eine Stunde vor Pella, statt; Aristoteles hatte den Garten selbst ausgewählt, er fand ihn passend und hübsch, entfernt vom Trubel der Großstadt und doch bequem zu erreichen. Philipp, dem er dies in eleganter Rede auseinandersetzte, sagte nachher, daß er einsichtig und ein Lebenskünstler sei. Den Vorträgen und Diskussionen wohnten manchmal

Trafen sie sich morgens auf der schattigen Promenade, verneigte der Prinz sich mit erlesenster Höflichkeit; zwischen ihm und dem Philosophen wurde stets der sorgfältigste Anstand gewahrt, Schüler und Meister überboten einander an gewählter Korrektheit.

Wenn Aristoteles scherzte, lachte Alexander bezaubert, den Kopf leicht im Nacken, mit einem Blick auf den Witzigen, der vor Wärme feucht schimmerte. Sehr artig war es auch, wie Alexander im Lustwandeln ahnte, wenn der Dozierende stehenbleiben wollte; denn diese Angewohnheit hatte Aristoteles, wie viele lehrhafte Menschen: während des Gehens mit erhobenem Zeigefinger und gefalteter Stirn stehenzubleiben, um etwas besonders Wichtiges eindrucksvoll darzulegen. Der feinnervige Schüler kannte seinen Meister schon so genau, daß er immer einige Sekunden früher als dieser selbst seinen Wunsch vorausfühlte und den Schritt verlangsamte, so daß Aristoteles glauben durfte, er bleibe dem launenhaften Prinzen zu Gefallen stehen, nicht etwa aus eigener Schrullenhaftigkeit.

Weniger höflich war der Blick, mit dem der aufmerksame junge Zuhörer den Vortragenden zuweilen ganz kurz, doch um so konzentrierter von der Seite musterte und prüfte. Er studierte mit strenger Genauigkeit das Faltenwerk, das kompliziert die Augen seines Erziehers umspielte, von den Augensäcken abwärts Rinnen und feine Furchen in die mager-braunen fleischlos hautigen Wangen grub, den schlaffen, aber erregten Mund mit den bläulichen Lippen neckisch-unberechenbar umspielte. Alexander kannte dieses immer wieder

Alexander fragte, er wollte wissen und bekam niemals genug. «Ihre Neugierde ist unersättlich», sagte der Erzieher sanft tadelnd, doch zärtlich; um Augen und Lippen spielte nachsichtig das Fältchenwerk. Dann noch einmal, verändert, ganz ernst, mit einem stählern gesammelten, eisgrauen Blick, mitten ins wartende Gesicht des Knaben an seiner Seite, in der gedämpften Stimme Angst und Bewunderung: «Ihre Neugierde ist unersättlich, so wahr die Götter mir helfen.»

Alexander, ohne zu zucken, ertrug den Blick, der durchbohrte. Er erkundigte sich unbefangen weiter nach den Dingen, die ihn interessierten, verlangte Auskünfte, bat um Belehrungen, schmeichelte und warb, kokettierte und lockte. Ihn nochmals anzusehen, hütete sich Aristoteles; um so verführerischer kam die Stimme des Knaben, süß verschleiert, matt silbrig; plötzlich klirrend hell, aufleuchtend, wie wenn Licht durch eine schöne Dämmerung dringt. Wandte der Meister sich, durch das Wunder dieser Stimme verleitet, und sah doch wieder hin, so erschrak er über das Gesicht, das sich ihm Antwort heischend, dabei spöttisch, entgegenhielt.