Binyamin Appelbaum

Die Stunde der Ökonomen

Falsche Propheten, freie Märkte und die Spaltung der Gesellschaft

Aus dem amerikanischen Englisch von Martina Wiese

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Binyamin Appelbaum

Binyamin Appelbaum ist Finanz- und Wirtschaftsjournalist der »New York Times«. Von 2010 bis 2019 war er Korrespondent der »Times« in Washington und berichtete über die Wirtschaftspolitik nach der Krise von 2008. Zuvor arbeitete er für die »Washington Post«, den »Boston Globe« und den »Charlotte Observer«. Er gewann den George Polk Award und war nominiert für den Pulitzer-Preis.

 

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Über dieses Buch

Als die Ökonomen die Weltbühne betraten

 

Sie waren die Propheten des ungebändigten Marktes: Milton Friedmann mit seinen libertären Idealen oder Thomas Schelling, der dem menschlichen Leben einen monetären Wert beimessen wollte.

Ihre Ideen inspirierten Staaten dazu, Steuern und die öffentlichen Ausgaben runterzuschrauben, die Deregulierung großer Teile der Wirtschaft zu forcieren und damit den Weg frei zu machen für die Globalisierung. Doch das Versprechen der Ökonomen nach stetigem Wachstum und einem weitgehend gemeinsamen Wohlstand war ein fataler Trugschluss.

Faszinierend erzählt Binyamin Appelbaum vom Aufstieg und Fall der Ökonomen und ihrer Ideen und macht deutlich: Das uneingeschränkte Vertrauen in den Markt gefährdet die Zukunft der liberalen Demokratie.

Impressum

Deutsche Erstausgabe

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel "The Economists' Hour" im Verlag Little, Brown and Company

© 2019 by BKMT LLC

 

Für die deutschsprachige Ausgabe © 2020 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

Covergestaltung: KOSMOS - Büro für visuelle Kommunikation

Coverabbildung: Andrii Vodolazhskyi/Shutterstock

 

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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-490627-0

Fußnoten

Die Ungleichheit hat in allen Industrieländern zugenommen; dabei spielen vielfältige Faktoren eine Rolle, wie der unaufhaltsame Marsch von technischem Fortschritt und Globalisierung. Dieses Buch legt dar, dass die Wirtschaftspolitik – und insbesondere die Politik der Vereinigten Staaten – maßgeblich dazu beigetragen hat, indem sie diese Trends befeuert und zugleich versäumt hat, die Konsequenzen abzumildern. Ich teile die Auffassung des Wirtschaftshistorikers Karl Polanyi, dass die Regierung entscheidend darauf hinwirken muss, das Tempo des Wandels einzudämmen.

Der Morrill Act von 1862, der Colleges in jedem Bundesstaat Nutzungsrechte über staatseigenes Land einräumte, verpflichtete die betreffenden Institutionen zum Unterricht in Militärtaktik. Im Jahr 1916 wurde das ROTC-Programm geschaffen, um diese Bestrebungen zu standardisieren. An vielen Schulen, denen Land zugesprochen wurde, war das Training bis in die 1960er Jahre zwingend – in Übereinstimmung mit der alten Sichtweise, man habe eine Verantwortung, den Militärdienst zu leisten. Rutgers war 1960 eine der ersten Hochschulen, die eine freiwillige Teilnahme einführten.

Das Wort ceiling ist mehrdeutig – der Titel lässt sich mit »Dächer oder Zimmerdecken?« oder »Dächer oder Obergrenzen?« übersetzen (Anm. d. Übers.).

Die westlichen Demokratien legten den Streit zwischen den Theorien bei, indem sie die Sozialfürsorge nach dem Krieg massiv verstärkten. Nicht einmal Schweden ist in die Knechtschaft zurückgerutscht. Dennoch wird Hayek nach wie vor von Personen zitiert, die befürchten, der nächste staatliche Eingriff sei einer zu viel.

In Wahrheit stimmten Friedman und Galbraith in sehr vielen politischen Fragen überein. Ihre Meinungsverschiedenheiten waren meist eher geringfügig, wurden aber auf öffentlichem Parkett ausgetragen. Galbraith beschrieb Friedman einmal als »einen Mann, der nur in geldmarktpolitischen Fragen zuverlässig falschliegt«.

In den Jahren 1967 und 1969 waren 75,1 Prozent der Kongressabgeordneten Veteranen, die höchste Anzahl in jüngerer Zeit. Danach begann ein langer Rückgang. 2015 waren nur noch 17 Prozent der Kongressabgeordneten Veteranen.

In ihrem berühmten Artikel »De Gustibus Non Est Disputandum« von 1977 legten die Ökonomen Gary Becker und George Stigler von der University of Chicago nach ihrem Gutdünken dar, dass Werbung den Zweck hat, rationalen Verbrauchern Informationen zu liefern. Das Unternehmen, das die Militäranzeige entwarf, schien eine andere Theorie menschlichen Verhaltens zu vertreten.

Ein Einkommen von 200000 US-Dollar im Jahr 1957 entspricht einem Einkommen von rund 1,8 Millionen US-Dollar im Jahr 2019.

Die keynesianischen Zeitgenossen Friedmans konzentrierten sich auf die Konstruktion ökonomischer Modelle, die die Komplexität der realen Welt einfingen. Friedmans Monetarismus fußte hingegen auf einem völlig anderen Ansatz. Er behauptete, die Qualität einer Wirtschaftstheorie ließe sich nicht an der Wirklichkeitsnähe ihrer Annahmen messen, sondern an der Genauigkeit ihrer Vorhersagen. Diese Betonung der Resultate wurde zu einem Markenzeichen der neuen Ökonomik; mit ihr ließ sich die wachsende Zahl zunehmend abstrakter Modelle rechtfertigen, die Menschen als rationale Akteure behandelten – nicht weil jemand glaubte, Menschen seien rational, sondern weil diese fälschliche Annahme angeblich zu besseren Ergebnissen führte. Siehe Milton Friedman, »The Methodology of Positive Economics«, in Essays in Positive Economics (Chicago: University of Chicago Press, 1953).

1951 wurde Friedman als drittem Preisträger die John Bates Clark Medal verliehen, mit der die bedeutendsten amerikanischen Ökonomen unter 40 Jahren geehrt wurden. Er stand nicht gerade im Fokus der Öffentlichkeit, doch unter Ökonomen galt er eindeutig als aufsteigender Stern. Er erhielt Ehrungen für seine frühen Arbeiten zur Schnittstelle zwischen Statistik und Mathematik, die mit seiner Forschung über Geldpolitik nichts zu tun hatten. Tatsächlich entwickelte Friedman ein wachsendes Misstrauen gegenüber der Verwendung komplizierter mathematischer und statistischer Verfahren. Elf der ersten 20 Empfänger der Clark Medal gewannen später auch den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Aus dieser Gruppe sticht Friedman als derjenige heraus, der die beiden Preise für voneinander unabhängige Forschungsarbeiten erhielt.

Roysters Vornamen verdankten sich einer lang gepflegten Familientradition. Zu seinen männlichen Verwandten gehörten Iowa Michigan Royster, Arkansas Delaware Royster und Wisconsin Illinois Royster. Zu den weiblichen Verwandten zählten Virginia Carolina Royster und Indiana Georgia Royster.

Die Fed manipulierte die Zinssätze für kurzfristige Kredite durch einen engen Kanal. Die Geschäftsbanken mussten in Relation zu den Guthaben, die sie von ihren Kunden annahmen, Geld in Reserve halten. Am Ende jedes Bankarbeitstages konnten sich Banken, die mehr Mindestreserven benötigten, von Banken, die etwas übrig hatten, Geld leihen. Der geltende Zinssatz für diese Kredite, der durch die Verfügbarkeit von Reserven bestimmt wurde, war die »Federal Funds Rate«, der Leitzins der US-Notenbank. Die Fed kontrollierte die Verfügbarkeit von Reserven und somit den Leitzins wie der Herrscher über eine Badewanne, der bestimmt, wie viel Wasser in der Wanne sein soll. Die Fed kaufte von Banken Schatzanleihen und bezahlte mit der Schaffung von Reserven, was der eigentliche Sinn der Sache war. Die Verfügbarkeit von Reserven ließ den Leitzins sinken und ermunterte die Banken, mehr Kredite aufzunehmen. Die Banken gewannen Kunden durch niedrigere Zinsangebote, und das Wirtschaftswachstum nahm zu. Umgekehrt verkaufte die Fed Schatzanleihen an Banken, um die Reserven zu verringern. Damit erhöhte sich der Leitzins, was die Banken davon abhielt, Kredite aufzunehmen, und das Wirtschaftswachstum verlangsamte sich entsprechend.

Nachdem Friedman im Februar 1980 kurz mit Thatcher zusammengetroffen war, sagte der Führer der Labour Party James Callaghan vor dem Parlament, er sei »dankbar, dass die Premierministerin am gestrigen Tage nur wenig Zeit mit Professor Milton Friedman verbringen konnte«.

Zu Beginn der 1990er Jahre wagte der Ökonom Truman Bewley aus Yale den außergewöhnlichen Schritt, mit anderen Menschen das Gespräch zu suchen. Während einer gravierenden regionalen Rezession reiste er kreuz und quer durch Neuengland, um Führungskräfte von Unternehmen und Arbeiter zu interviewen. Es bestätigte sich genau das, was Akerlof und Yellen vorhergesagt hatten. »Lohnrigidität [nach unten] entspringt dem Bestreben, Loyalität zu fördern«, schrieb Bewley. Siehe Truman Bewley, Why Wages Don’t Fall During a Recession (Cambridge: Harvard University Press, 1999), S. 1.

In der öffentlichen Wahrnehmung galt die Behauptung, Steuersenkungen seien umsonst zu haben, als zentrale Aussage der angebotsorientierten Ökonomik, doch deren Vertreter sahen eine 100-prozentige Rückgewinnung der Einbußen nicht als allgemeingültig an. Die Laffer-Kurve stieg und sank – einige Steuersenkungen würden sich selbst nicht tragen, andere schon. Und die Aussage war durchaus komplexer als »der Staat wird mehr Einnahmen generieren«. Im Grunde war sie dreigeteilt: Ein Teil der fehlenden Steuereinnahmen würde durch ein schnelleres Wirtschaftswachstum wettgemacht, dieses Wachstum würde auch Staatsausgaben für Sozialhilfeprogramme einsparen, und das Mehr an Spareinlagen würde die Zinssätze niedrig halten und damit die Fremdkapitalkosten für den Staat verringern. (Siehe Paul Craig Roberts, The Supply-Side Revolution; Cambridge: Harvard University Press, 1984, S. 31.)

Im Jahr 1998 wurde der Flughafen in Ronald Reagan Washington National Airport umbenannt.

In einem Artikel über Tures Ernennung informierte die New York Times ihre Leserschaft, der Name sei Tu-RÄH auszusprechen. Das war nicht korrekt; die Familie sprach ihn TUH-räh aus. Doch laut Tures Ehefrau bewirkte der Artikel bei ihm einen Sinneswandel, und er begann seinen Namen so auszusprechen, wie es in der Times gestanden hatte. Siehe Irvin Molotsky, »Norman B. Ture, Architect of the 1981 Tax Cut, Dies at 74«, New York Times, 13. August 1997.

Der Steuergesetzentwurf von 1986, der den Spitzensteuersatz auf 33 Prozent senkte, sollte einnahmenneutral sein, das Defizit also weder erhöhen noch verringern. Damit wurde das Ziel verwirklicht, das Wilbur Mills erstmals in den 1950er Jahren formuliert hatte: die Steuern zu senken und gleichzeitig die Bemessungsgrundlage zu erweitern. Die Verabschiedung dieses Gesetzes gilt noch heute als Triumph der Überparteilichkeit und der Wirtschaftspolitik. Dennoch trug sie nicht dazu bei, das grundlegende Missverhältnis zwischen Staatsausgaben und Steuererträgen aufzulösen.

Wegen des rasanten Einkommenszuwachses an der Spitze der wirtschaftlichen Leiter ist die Steuersumme, die die reichsten US-Amerikaner entrichten, sogar gestiegen, obwohl der Einkommensanteil, den sie als Steuern entrichten, kleiner geworden ist. Mit »massiver Steuererleichterung« meine ich, dass die Reichen viel mehr an Steuern hätten zahlen müssen, wenn sie noch dem Gesetz von 1960 oder 1980 unterlägen.

1957 betrug das Durchschnittsgehalt für einen Collegeprofessor, laut dem Zensus von 1960, 7971 US-Dollar. Ökonomikprofessoren galten nicht als besonders wertvoll. Mitte der 1950er Jahre beklagte sich der Ökonom John M. Clark von der Columbia University darüber, dass er etwa so viel wie ein ausgebildeter Schreiner verdiene.

Die Janitscharen waren Christen, die von den Osmanen gefangen genommen, zum Islam zwangskonvertiert und dann aufs Schlachtfeld geschickt wurden.

Dennoch blieb die Klage gegen Microsoft nicht folgenlos. Das Unternehmen wurde an der Anwendung einer ähnlichen Taktik gehindert, mit der der Aufstieg neuer Konkurrenten wie Google abgewendet werden sollte. Man kann sich leicht ein Paralleluniversum vorstellen, in dem Microsofts Bing die Top-Suchmaschine der Welt geworden wäre.

Mitte des Jahrhunderts definierten Ökonomen natürliche Monopole als Industrien, in denen eine Produktion mit mehreren Firmen teurer war als die Produktion mit nur einer Firma. Bei der Auswahl der Branchen, die reguliert werden sollten, ließ der Staat die Feinheiten dieser Theorie unberücksichtigt. Präsident Theodore Roosevelt stellte für Standard Oil eine nationale Regulierung in Aussicht, bevor er dessen Zerschlagung anstrebte. Für LKW-Transporte wurden Regulierungen auf Drängen der Eisenbahngesellschaften verhängt, die das Erstarken eines Konkurrenten fürchteten. Fluggesellschaften wurden auf eigenen Wunsch aufgenommen, doch dazu war der Kongress zum Teil nur bereit, weil sie in gewisser Weise wie Eisenbahngesellschaften betrachtet wurden. Preise wurden auf demselben Niveau angesetzt wie Erste-Klasse-Tickets für die gleichen Verbindungen per Bahn, und Karten von Flugrouten sahen zu Beginn aus wie Karten von Bahnrouten: dicke, gerade Striche auf Bodenniveau statt der Bogen, die man auf modernen Karten verwendet.

Texas bekam seine eigene Billigfluglinie im Jahr 1971, als Southwest Airlines Flüge zwischen Dallas, Houston und San Antonio aufnahm. Die neue Fluggesellschaft übernahm den Businessplan von Pacific Southwest und eine Hälfte vom Namen des Unternehmens sowie sein Equipment; darunter zum Beispiel Handbücher für Piloten.

Cannon und seine Nachbarn in Nevada wollten ein Grundstück kaufen, das an ihr Wohngebiet angrenzte, um den Bau von Hochhauswohnungen zu verhindern. Der Pensionsfonds der Gewerkschaft, der das Land erworben hatte, bot es Cannon für 1,4 Millionen US-Dollar zum Verkauf an, was weit unter dem Marktpreis lag. Fünf Teamsters wurden schließlich der versuchten Bestechung überführt; gegen Cannon erhob der Staat keine Anklage, doch der Skandal trug dazu bei, dass er sich nicht mehr zur Wiederwahl stellte.

Das Haushaltsbüro, das heute Office of Management and Budget heißt, wurde 1921 ins Leben gerufen. Schultzes unmittelbare Vorgänger waren die ersten Direktoren des Büros, die ausgebildete Ökonomen waren. David E. Bell, der das Amt 1961 antrat, konnte einen Master-Abschluss von Harvard vorweisen. Kermit Gordon, der im Jahr darauf ernannt wurde, war Ökonomikdozent am Williams College. Schultze war der erste Direktor des Büros, der in Ökonomik promoviert hatte.

Wer an die Märkte glaubte, ging davon aus, die Unternehmen würden jede rentable Gelegenheit zur Innovation ergreifen, so wie auch Fußgänger keinen 10-Dollar-Schein auf dem Bürgersteig liegen lassen würden. In einer kurzen Notiz in Scientific American 1991 tat Michael Porter, Ökonom aus Harvard, diese Sichtweise als »blauäugigen« Unsinn ab. Er behauptete, Regulierung könne Innovation befördern, und hob unter anderem ein Programm der EPA hervor, das Unternehmen bei der Installation von energieeffizienter Beleuchtung unterstützte. Ein Bericht kam zu dem Ergebnis, dass fast 80 Prozent dieser Projekte in spätestens zwei Jahren Einsparungen erbrachten. Die von Porter und anderen Personen vorgelegten Beweise widerlegten die Theorie, Regulierung sei überflüssig, nach und nach.

In den 1960er Jahren war die häufigste Antwort von Schellings Studierenden: 12 Uhr mittags, Grand Central Station, unter der großen Uhr.

Die Stellung war Millers erster Job unter Reagan. Das Office of Information and Regulatory Affairs wurde kurzerhand in das Office of Management and Budget integriert. Im späteren Verlauf von Reagans Amtszeit wurde Miller zum Vorsitzenden der Federal Trade Commission ernannt und kehrte dann als Direktor des Office of Management and Budget ins Weiße Haus zurück.

Hier sollte man wohl festhalten, dass das Gerichtssystem kein Beispiel für eine »Marktkraft« ist. Es handelt sich vielmehr um eine Form staatlicher Regulierung.

Diskontierung ist eine Formalisierung des Konzepts der positiven Zeitpräferenz, die besagt: je eher, desto besser. Wer einen Dollar besitzt, kann ihn entweder ausgeben oder investieren, um morgen über mehr Geld zu verfügen. Die Diskontrate ist die Rendite aus der Investition, die die Person benötigt, um zum Warten bereit zu sein; eine höhere Diskontrate impliziert eine stärkere Präferenz für sofortigen Konsum. Doch selbst eine äußerst niedrige Diskontrate impliziert, dass man der Zukunft einen sehr geringen Wert beimisst. Ist beispielsweise die Rettung eines Menschenlebens heute 10 Millionen US-Dollar wert, impliziert eine Diskontrate von 3 Prozent, dass sich heute lediglich eine Ausgabe von 2,3 Millionen US-Dollar lohnen würde, um in 50 Jahren ein Leben zu retten. Letztlich schlossen sich die amerikanischen Gerichte dem Argument an, dass künftige Todesfälle durch Asbestkontaminierung stark zu diskontieren seien. Demzufolge wird Asbest in großen Teilen der Vereinigten Staaten nach wie vor erlaubt, obwohl es in vielen anderen Industriestaaten verboten ist.

Nur wenige Theorien stoßen unter Ökonomen auf so breite Zustimmung wie die Behauptung, dass von freiem Handel alle beteiligten Nationen profitieren. Besonders gelungen illustriert dies ein YouTube-Video mit Andy George, einem Mann, der sich ein Sandwich machen will. George dokumentiert alle dafür erforderlichen Schritte – er baut eigenen Salat und Weizen an, gewinnt Salz aus verdunstetem Meerwasser, melkt eine Kuh, tötet ein Huhn. Nach sechs Monaten ist das Sandwich fertig und kostet 1500 US-Dollar. Dagegen verkauft McDonald’s Hühnersandwiches für nicht einmal 5 US-Dollar. Der Punkt ist, dass Spezialisierung Zeit und Geld spart. Die eine Person bekommt Geld fürs Schreiben und kauft Lebensmittel, eine andere produziert Lebensmittel und kauft Bücher; das Ergebnis sind mehr Lebensmittel und mehr Bücher. Gleiches gilt für eine Gemeinde, für eine Nation und für die Weltwirtschaft.

Nationen treiben Handel, um zu importieren. Die meisten Nationen müssen Exporte tätigen, um das Geld für Importe zu erhalten; die Vereinigten Staaten aber konnten US-Dollar gegen Importe eintauschen – und viele dieser US-Dollar blieben einfach im Ausland, weil die auswärtigen Nationen Dollarreserven anlegen mussten, so wie sie früher Goldreserven hatten anlegen müssen. Amerikanisches Geld ist ein Anspruch gegen die US-Regierung. Lässt der Besitzer den Anspruch ruhen, leiht er der Regierung das Geld im Grunde zum Nulltarif.

Friedmans Plädoyer für frei schwankende Wechselkurse unterschied sich von zahlreichen seiner anderen Positionen darin, dass es kein konterrevolutionärer Versuch war, irgendeine Version des Wirtschaftssystems aus Vorkriegszeiten wiederzubeleben. Nun vertrat er etwas völlig Neues. Er verurteilte den Goldstandard als willkürliche Festlegung, weil er auf der Goldmenge beruhte, und als verschwenderisch, weil Gold erst aus dem Boden geschürft und dann in Tresorräumen gelagert werden musste. Zudem bezeichnete er jedes System fixer Wechselkurse als unwirtschaftlich, weil es die Anpassung von Preisen und Löhnen in der gesamten Ökonomie erforderte. Laut Friedman war es einfacher, nur einen einzigen Preis anzupassen: den Wechselkurs. Zur Illustration zog er den einprägsamen Vergleich mit der Umstellung auf die Sommerzeit heran. Jeder Einzelne könne seinen Zeitplan individuell anpassen, sagte er, »doch offenkundig ist es viel einfacher, die Uhr umzustellen«. Siehe Milton Friedman, »The Case for Flexible Exchange Rates«, in Essays in Positive Economics (Chicago: University of Chicago Press, 1953, S. 157203).

Verfechter frei schwankender Wechselkurse behaupten häufig, dass die Möglichkeit, Versicherungen abzuschließen, das systemimmanente Risiko beträchtlich reduziert. Doch Versicherungen sind teuer. In einem Kommentar zu diesem Thema zitiert Susan Strange eine berühmte Stichelei: »Ja, genau – so wie das Ritz, offen für Reich und Arm gleichermaßen!« (Siehe Strange, Casino Capitalism, Oxford: Basil Blackwell, 1986, S. 116.)

So kündigte Italien eine spezielle einmalige »Europasteuer« an, um sein Haushaltsdefizit für ein Jahr auf das geforderte Niveau zu senken. Frankreich setzte auf eine einmalige Zahlung von France Télécom.

Die Erwähnung von Manchester spielt darauf an, dass die englische Industriestadt schon früh ein Zentrum des Widerstands gegen protektionistische politische Maßnahmen wie die Getreidezollgesetze war und dort allgemein der Handel als Wirtschaftsmotor propagiert wurde.

Gesagt, getan. Im Jahr 2005 schlug Bush die Teilprivatisierung des US-amerikanischen Sozialversicherungssystems vor.

Die Reise von Chile nach Taiwan erstreckt sich über fast eine halbe Erdumrundung. Taipehs Antipode liegt näher bei Asunción, Paraguay.

Zwischen den beiden Staaten gibt es natürlich noch weitere wichtige Unterschiede. Chile war mit einer Fülle natürlicher Ressourcen gesegnet, was den Eifer, Fabriken zu errichten, bremste. Zudem war Chile 1950 ein reicheres Land und lag näher an den USA, weshalb es für diese ein verlockenderer Exportmarkt war. Taiwan seinerseits lag in einer aufstrebenden Region, und mit der Kuomintang hielten Kapital wie auch Talent Einzug.

Im Jahr 1952 bestanden Taiwans Exporte zu 92 Prozent aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen. Im Jahr 1972 betrug dieser Anteil noch 16,7 Prozent. In den letzten Jahrzehnten ist der Anteil deutlich unter 1 Prozent geblieben.

Obergrenzen für Zinssätze, auch als Wuchergesetze (»usury laws«) bezeichnet, gab es schon lange vor der Großen Depression. In vorneuzeitlichen Gesetzbüchern waren sie Standard und wurden bis weit in die Neuzeit beibehalten. In den Vereinigten Staaten waren derartige Gesetze in den Jahrzehnten vor der Depression jedoch nach und nach durchlässiger geworden oder wurden ganz gestrichen.

Gramm unterstützte den Gramm-Leach-Bliley Act, ein Gesetz von 1999, das die Mauer zwischen dem kommerziellen Bankgeschäft und den Kapitalmärkten endgültig einriss und es Unternehmen wie Citicorp erlaubte, Finanz-Supermärkte zu schaffen, die versuchten, mit einer Reihe verschiedener finanzieller Aktivitäten Profite zu erzielen, von rücksichtslosen Hypotheken-kreditgeschäften bis zur Finanzierung von Unternehmenszusammenschlüssen. »Wir sind hier, um den Glass-Steagall Act aufzuheben, weil wir mittlerweile wissen, dass staatliche Lenkung nicht die Antwort ist«, sagte Gramm damals in Bezug auf das Gesetz aus Zeiten der Großen Depression, das durch die neue Gesetzesvorlage ersetzt wurde. »Nun wissen wir, dass Freiheit und Wettbewerb die Antwort sind.« Sowohl die Lobgesänge auf das Gesetz von 1999 als auch die vernichtenden Urteile darüber waren übertrieben. Die Regulierer hatten die Mauer bereits großenteils eingerissen.

Dieser Punkt ist nach wie vor erstaunlich umstritten. Zahlreiche Politiker und Banker bezeichnen die Krise lieber als Resultat von zwar verantwortungslosem, doch großenteils legalem Verhalten. Die anekdotischen wie auch statistischen Belege für weitverbreiteten Betrug sind jedoch schlicht erdrückend. Siehe etwa Atif R. Mian und Amir Sufi, »Fraudulent Income Overstatement on Mortgage Applications During the Credit Expansion of 2002 to 2005«, Februar 2015, National Bureau of Economic Research Working Paper 20947.

Im Hinblick auf die weltweite Finanzkrise waren das immer noch geringe Summen. Eine der größten Staatsbanken, die BayernLB, schaffte es, 1 Milliarde US-Dollar in Island zu verlieren und etwa fünfmal so viel bei US-amerikanischen Hypotheken.

Wobei die Gemeinde der tollkühnen Puristen sicherlich gewichtig und angesehen war.

Endnoten

Michel Houellebecq, Elementarteilchen, 4. Aufl., übers. von U. Wittmann (Köln: DuMont, 1999), S. 8. Original: Les particules élémentaires (Paris: Flammarion, 1988).

Diese Anekdote stammt aus William Neikirks Biographie Volcker: Portrait of the Money Man (New York: Congdon and Weed, 1987). In einem Interview von 2018 gestand Volcker mir, er könne sich an die Unterhaltung mit seiner Frau zwar nicht mehr erinnern, habe zu jener Zeit aber durchaus so empfunden. »Ich fühlte mich wirklich in die Katakomben verbannt«, meinte er. »Ich verbrachte fünf Jahre dort und wüsste nicht, dass ich dem Präsidenten [der Bank] jemals über den Weg gelaufen wäre. Man schrieb einen Bericht, den man an seinen Vorgesetzten sandte, und der sandte ihn an seinen Vorgesetzten.«

Als Volcker 1952 eingestellt wurde, saßen im Board of Governors der Federal Reserve Bank keine Ökonomen. Das einzige Gegenbeispiel aus früheren Zeiten war Adolph C. Miller, der dem Board von 1914 bis 1936 angehörte; er hatte in Harvard das Masterexamen in Ökonomik abgelegt und war mehr als zwanzig Jahre lang Professor für Finanzwirtschaft. Männer mit landwirtschaftlichem Hintergrund wurden regelmäßig in den Board of Governors berufen, weil sie einen wichtigen Wirtschaftszweig repräsentierten. Im Jahr 1952 wurde diese Rolle von Rudolph M. Evans, einem Schweinezüchter aus Iowa, ausgefüllt. Zu jener Zeit hatten die Präsidenten von zweien der zwölf Regionalbanken, die das Federal Reserve System bilden, einen Masterabschluss in Ökonomik: Malcolm H. Bryan, der 1951 zum Präsidenten der Atlanta Fed gewählt wurde, hatte als Ökonom bei der Bank gearbeitet; Oliver S. Powell wurde 1952 zum Präsidenten der Minneapolis Fed gewählt.

Martin machte diese Äußerung im Januar 1970, an seinem letzten Tag als Vorsitzender des Zentralbanksystems, bei einem Gespräch mit Richard T. McCormack, einem jungen Mitglied der Nixon-Regierung. Ich danke Richard Fisher, dem früheren Präsidenten der Dallas Fed, der mich auf McCormacks Bericht über sein Gespräch mit Martin aufmerksam machte. Siehe Henry E. Mattox, A Conversation with Ambassador Richard T. McCormack (Xlibris, 2013), S. 56.

Keynes hatte seine Ideen im Hinblick auf sein Heimatland Großbritannien entwickelt, aber dort traf er auf ebenso große Ablehnung. »Soweit ich weiß, hat bisher kein Finanzminister jemals seinen Haushalt freiwillig in Schieflage gebracht«, sagte der damalige Finanzminister Neville Chamberlain in Reaktion auf Keynes’ Rat 1933 vor dem Parlament. Das Roosevelt-Zitat findet sich in Frances Perkins, Roosevelt, wie ich ihn kannte, übers. von I.M. Witte (Berlin: Duncker & Humblot, 1949), S. 226. Original: The Roosevelt I Knew (New York: Viking, 1946).

Michael A. Bernstein, A Perilous Progress: Economists and Public Purpose in Twentieth-Century America (Princeton, N.J.: Princeton University Press, 2001), S. 138.

Fritz Machlup (Hrsg.), International Monetary Arrangements: The Problem of Choice (Princeton, N.J.: Princeton University Press, 1964), S. 6.

Der Fall, U.S.v. Philadelphia National Bank, wird in Kapitel 5 ausführlicher behandelt.

McCraw prägte den Begriff 1984 in seinem Meisterwerk Prophets of Regulation (Cambridge: Belknap Press, 1984), um den Aufstieg der Ökonomik in der Ordnungspolitik zu umschreiben.

Von 1965 bis 2009 besetzten Ökonomen die Mehrheit der Sitze in dem siebenköpfigen Board of Governors des Federal Reserve System. Von 1973 bis 2009 waren auch die Präsidenten der zwölf Regionalbanken mindestens zur Hälfte Ökonomen. Und von 1978 bis 2009 hielten Ökonomen die Stimmenmehrheit bei fast allen Sitzungen des Ausschusses für Geldmarktpolitik der Fed, dem Federal Open Market Committee. Die einzigen Ausnahmen waren zwei Sitzungen im Jahr 1995.

Drei von Shultz’ Nachfolgern waren ebenfalls promovierte Ökonomen: W. Michael Blumenthal (19771979), Lawrence Summers (19992001) und John Snow (20032006).

Marion Fourcade, Economists and Societies: Discipline and Profession in the United States, Britain, and France, 1890s to 1990s (Princeton, N.J.: Princeton University Press, 2009), ebook loc. 1675.

Die Regulierung von Brotpreisen war im Europa des Mittelalters Standard. In Frankreich hielt sich diese Praxis bis weit in die Neuzeit. Noch in den 1970er Jahren bestimmte die Regierung den Preis eines einfachen Baguettes – obwohl dies eine Erfindung des 20. Jahrhunderts war –, nicht jedoch von aufwendiger hergestellten Broten. 1978 verkündete die Regierung das Ende der Preiskontrollen. Wie in anderen Industriezweigen erwies sich, dass viele Verbraucher einem Brot von minderer Qualität zu einem niedrigeren Preis den Vorzug gaben.

Zhao Ziyang war damals Premierminister unter Deng Xiaoping, dem nominellen Regierungsoberhaupt. Er war der wichtigste Architekt von Chinas Wirtschaftsreformen, bis er infolge der Proteste auf dem Tian’anmen-Platz von 1989 seine Macht einbüßte. Die beste Schilderung von jener bemerkenswerten Flussfahrt und Chinas allgemeinerer Auseinandersetzung mit westlicher Ökonomik und Ideen bietet Julian Gewirtz, Unlikely Partners: Chinese Reformers, Western Economists, and the Making of Global China (Cambridge: Harvard University Press, 2017).

Charles L. Schultze, »The Role and Responsibilities of the Economist in Government«, American Economic Review 72/2 (1982).

James Landale, »Thatcher’s Mad Monk or True Prophet?«, BBC Radio 4, 7. April 2014. Timothy Noahs Buch The Great Divergence: America’s Growing Inequality Crisis and What We Can Do About It (New York: Bloomsbury, 2012) gibt einen Überblick über die zunehmende Ungleichheit in den Vereinigten Staaten. Angus Deatons Der große Ausbruch – Von Armut und Wohlstand der Nationen (2. Aufl., übers. von T. Schmidt und S. Gebauer, Stuttgart: Klett-Cotta, 2017) bietet eine weiter gefasste Sicht und bezieht den internationalen Kontext sowie die Vorteile der Ungleichheit mit ein. Original: Angus Deaton, The Great Escape: Health, Wealth, and the Origins of Inequality (Princeton, N.J.: Princeton University Press, 2013).

Der mittlere Zehnjahresdurchschnitt lag in den 1970er Jahren bei 2,160 Prozent, in den 1980ern bei 2,156 Prozent und in den 1990ern bei 1,98 Prozent. Selbst wenn man die Krisenjahre 2008 und 2009 nicht berücksichtigt, beträgt der Jahresdurchschnitt für die ersten acht Jahre der 2000er immer noch nur 1,7 Prozent. Die Zahlen stammen aus den offiziellen BIP-Schätzungen, die das Bureau of Economic Analysis des US-Handelsministeriums veröffentlicht hat.

Ich wurde im Jahr 2008 dreißig, aber der Rückgang der Ertragskraft in meiner Generation ist keine Folge der Rezession. Der durchschnittliche Anteil der zwischen 1973 und 1983 geborenen Männer, die mehr als ihre Väter verdienen, beträgt 43 Prozent. Laut einem Bericht des Pew Research Center von 2017 erwarteten nur 37 Prozent der US-Amerikaner, dass ihre Kinder einmal wirtschaftlich bessergestellt seien. Die Zahlen stammen aus Erhebungen des Ökonomen Raj Chetty und seiner Mitarbeiter, abrufbar auf OpportunityInsights.org, und von den Global Indicators des Pew Research Center.

»The Growing Gap in Life Expectancy by Income: Implications for Federal Programs and Policy Responses«, 2015, National Academies of Sciences, Engineering, Medicine; abrufbar auf https://doi.org/10.17226/19015.

Simon Schama, Überfluß und schöner Schein – Zur Kultur der Niederlande im Goldenen Zeitalter, übers. von E. Nowak (München: Kindler, 1988), S. 241. Original: The Embarrassment of Riches: An Interpretation of Dutch Culture in the Golden Age (Berkeley: University of California Press, 1988). Laut dem Ökonomen Dani Rodrik von Harvard wird die politische Kommunikation von der Sprache der Ökonomik beherrscht, weil sie gleichermaßen wissenschaftlich argumentiert und erzählt. Ökonomen gelangen zu Schlussfolgerungen, die vermeintlich wissenschaftlicher Art sind, und vermögen diese Schlussfolgerungen in Geschichten zu verpacken, »die leichten Eingang in das öffentliche Bewusstsein finden«, wie die simple Geschichte, dass Steuern jedem auf die Nerven gehen. Der frühere Fed-Vorsitzende Ben S. Bernanke erläuterte seine Beweggründe, Ökonom zu werden, in seinen Memoiren folgendermaßen: »Ich stellte fest, dass ich Dinge gut erklären konnte.« Im Zeitalter der Massenkommunikation sind schlüssige Erklärungen wichtiger denn je. Der Politologe Jeffrey K. Tulis hat ausgerechnet, dass Präsident Carter in seiner vierjährigen Amtszeit mehr öffentliche Ansprachen gehalten hat als alle US-amerikanischen Präsidenten im 19. Jahrhundert zusammen.

Bis 1840 wurden Postgebühren bei Erhalt entrichtet, und das Porto war ziemlich hoch. In seiner Handelsgeschichte A Splendid Exchange (New York: Atlantic, 2008) schreibt William J. Bernstein, als das Parlament dem Gebrauch von Briefmarken zustimmte, habe Richard Cobden, der zu jener Zeit führende Verfechter des Freihandels, angeblich voller Entzücken ausgerufen: »Da gehen die Getreidezollgesetze hin!« Mehr zur Rolle des Economist findet sich bei Cheryl Schonhardt-Bailey, From the Corn Laws to Free Trade: Interests, Ideas, and Institutions in Historical Perspective (Cambridge: MIT Press, 2006).

Schon seit sehr langer Zeit haben Regierungen versucht, ihr Volk zu zählen. Das vierte Buch der Bibel heißt Numeri, weil es die detaillierten Ergebnisse eines Zensus aufführt. Viele große Weltreiche, darunter das alte Ägypten, China und Rom, haben mit wechselndem Erfolg versucht, Zählungen durchzuführen. Dennoch blieben Volkszählungen stets etwas Besonderes, und detailliertere Erhebungen waren noch seltener. Großbritannien wagte sich erst 1801 an den ersten Zensus der Neuzeit. Als Alexander Hamilton 1791 versuchte, Informationen für seinen »Report on Manufactures« zu sammeln, scheiterte er wiederholt. Der Waffenhersteller Peter Colt aus Hartford schrieb an Hamilton, er könne weder seine Jahresproduktion noch seinen Jahresertrag einschätzen, und damit stand er durchaus nicht alleine da. »Es wird unmöglich sein, die erforderlichen Fakten genau zu ermitteln«, schrieb Hamiltons Freund Timothy Pickering, den er um Informationen über Farmer aus Pennsylvania gebeten hatte. »Denn ich bezweifle, dass auch nur ein amerikanischer Farmer unter tausend anhand tatsächlicher Messungen die Größe seiner Felder und ihrer Erträge ermittelt hat.« Siehe Eli Cook, The Pricing of Progress: Economic Indicators and the Capitalization of American Life (Cambridge: Harvard University Press, 2017).

De Bow war 1848 als Professor für Politische Ökonomik an die neue University of Louisiana berufen worden (die heutige Tulane University). Wie die Historikerin Marion Fourcade berichtet, gab es 1880 in den USA immer noch nicht mehr als drei Professuren für Politische Ökonomik. Bis 1910 war die Zahl auf 51 gestiegen. In den letzten fünfzig Jahren hat sich der Anteil der Ökonomikprofessuren an der erwachsenen Bevölkerung mehr als verdoppelt, wenngleich dies nach wie vor nur ein recht kleiner Prozentsatz ist.

Der Historiker George Fredrickson von Stanford bezeichnete Helpers Buch als das im Hinblick auf politische Tragweite wohl »wichtigste Werk, das jemals in den USA veröffentlicht wurde«. Das Buch fand eine breite Leserschaft, nachdem der New Yorker Zeitungsredakteur Horace Greeley eine zweite Auflage finanziert hatte – zum Teil, um Argumente gegen eine Rede mit dem Titel »Cotton Is King« ins Feld zu führen, die der Politiker James Henry Hammond aus South Carolina gehalten hatte. Darin hatte er Daten präsentiert, die die überlegene Produktivität der Südstaatenökonomie belegen sollten. Bei Ausbruch des Bürgerkriegs waren bereits über 200000 Exemplare von Helpers Buch verkauft worden. De Bows Beitrag war ironisch gemeint; er war ein glühender Verfechter der Sklaverei wie auch der Abspaltung der Südstaaten. Siehe Cook, The Pricing of Progress.

Diane Coyle, GDP: A Brief but Affectionate History (Princeton, N.J.: Princeton University Press, 2014), S. 13.

Arnold Harberger, »Sense and Economics: An Oral History with Arnold Harberger«, unter der Leitung von Paul Burnett, Oral History Center, Bancroft Library, University of California, Berkeley, 2015 und 2016.

H.R. Haldeman Diaries, National Archives, 16. August 1971; abrufbar auf nixonlibrary.gov/sites/default/files/virtuallibrary/documents/haldeman-diaries/37-hrhd-audiotape-ac12b-19710816-pa.pdf.

Hobart Rowen, »Juanita Kreps’ Introspective Farewell«, Washington Post, 3. November 1979.

J.H. Dales, Pollution, Property and Prices (Toronto: University of Toronto Press, 1968), S. 100.

Verschiedene Werke aus jüngerer Zeit haben mir geholfen, die Beziehung zwischen dem Aufstieg der konservativen Bewegung in der US-amerikanischen Politik und dem Aufkommen der »Vertraut-den-Märkten-Ökonomik« besser zu verstehen, darunter Bernstein, A Perilous Progress; Kim Phillips-Fein, Invisible Hands: The Businessmen’s Crusade Against the New Deal (New York: Norton, 2010); Lisa McGirr, Suburban Warriors: The Origins of the New American Right (Princeton, N.J.: Princeton University Press, 2001); Kevin Kruse, One Nation Under God: How Corporate America Invented Christian America (New York: Basic Books, 2015) sowie Rick Perlstein, Before the Storm: Barry Goldwater and the Unmaking of the American Consensus (New York: Hill and Wang, 2001).

McGirr, Suburban Warriors, S. 7.

Nach Berechnungen des Ökonomen Brad DeLong war ein typischer Arbeiter von 1500 etwa 4,7-mal produktiver als der typische Arbeiter von 10000 vor Christus. Das ist eine extrem langsame Änderungsrate. Das bedeutet, wie DeLong hervorhebt, dass Fortschritt gewöhnlich für einen Menschen zeitlebens unsichtbar blieb. Zudem führte gesteigerte Produktivität vor der industriellen Revolution meist zu größeren Bevölkerungen, aber nicht zu einem höheren Lebensstandard. Siehe Brad DeLong, Slouching Toward Utopia: The Economic History of the Twentieth Century (New York: Basic Books, 2018).

Die Logik des Artikels von Alchian und Demsetz ist ein Paradebeispiel des Pro-Markt-Genres. Die Autoren setzten voraus, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber auf einem offenen Markt Vereinbarungen treffen, wo beide Seiten die günstigsten Bedingungen anstreben dürfen und über die Bandbreite der verfügbaren Möglichkeiten umfassend informiert sind. Auf dieser großartigen Grundlage bauten sie eine elegante Argumentation auf: Die Arbeitnehmer brauchen einen Sachverständigen, der den Wert ihrer Arbeitskraft bestimmen und Drückebergerei vereiteln soll, und treten darum die Eigentumsrechte an ihrem kollektiven Output an den Sachverständigen ab – das Unternehmen. Anders gesagt, ging der Artikel von fehlender Regulierung aus, um daraus zu schließen, dass eine Regulierung überflüssig sei. 2011 wurde er als einer der 20 wichtigsten Artikel bezeichnet, die jemals im American Economic Review erschienen seien. Siehe Armen A. Alchian und Harold Demsetz, »Production, Information Costs, and Economic Organization«, American Economic Review 62/5 (Dezember 1972).

»Die Gruppen unserer Gesellschaft, für die am meisten bei der Bewahrung und Stärkung des konkurrenzintensiven Kapitalismus auf dem Spiel steht, [sind] diejenigen Minoritäten, die als Erste das Ziel von Misstrauen und Feindseligkeit durch die Mehrheit werden: die Schwarzen, die Juden und die Einwanderer in der ersten Generation, um nur die offensichtlichsten anzuführen.« Siehe Milton Friedman, Kapitalismus und Freiheit, 5. Aufl., übers. von P.C. Martin (München: Piper, 2008), S. 45. Original: Capitalism and Freedom (Chicago: University of Chicago Press, 1962).

McGirr, Suburban Warriors, S. 253.

Ronald Reagan gerierte sich als Sprachrohr dieser neuen Betonung des Individualismus. Rodgers bemerkt, dass Reagan »gerne sagte, seine politischen Gegner betrachteten Menschen lediglich als Angehörige von Gruppen; seine Partei hingegen betrachte das amerikanische Volk als Individuen«. Seine Rhetorik spiegelte dies wider. »Wenn Reagan die US-Amerikaner feierte, schien sich der Plural unmerklich aufzulösen und in den Singular überzugehen.« Dieser Hervorhebung der Individualität bedienten sich zahlreiche rhetorisch versierte Verfechter des freien Marktes. »[George] Gilders heldenhaft unabhängige Unternehmer, [Robert] Lucas’ nach vorn schauende Nutzenmaximierer, [Jude] Wanniskis Fisch- und Kokosnusshändler, der Rancher und der Farmer des Coase-Theorems, die auf den Stufen des Gerichtsgebäudes das Gemeinwohl maximieren. Die Vision des Marktes war nun die Vision einer Reihe sozial ungebundener ökonomischer Akteure, die freie Entscheidungen treffen konnten. Siehe Daniel T. Rodgers, Age of Fracture (Cambridge: Belknap Press, 2011).

J.R. Kearl et al., »A Confusion of Economists?«, American Economic Review 69/2 (1979).

Jonathan Schlefer, The Assumptions Economists Make (Cambridge: Harvard University Press, 2012), S. 189.

George F. Will, »Passing of a Prophet«, Washington Post, 8. Dezember 1991.

»The Intellectual Provocateur«, Time, 19. Dezember 1969.

Bernard Rostkers Buch I Want You! The Evolution of the All-Volunteer Force (Santa Monica, Kalif.: Rand, 2006) war eine große Hilfe bei der Vorbereitung dieses Kapitels. Das Buch enthält ein Digitalarchiv primärer Quellen – eine wahrhaft öffentliche Dienstleistung. Die Aufzeichnungen der seit dem Ende der Wehrpflicht 1973 etwa alle zehn Jahre zur Rückschau abgehaltenen Konferenzen sind ebenfalls eine wertvolle Ressource. Bei der Zusammenkunft von 2003 gab Anderson seine Erinnerungen zum Besten. Siehe »The All-Volunteer Force: 30 Years of Service«, 16. September 2003, auf der Webseite www.c-span.org.

Martin Anderson, »The Making of the All-Volunteer Armed Force«, in Leon Friedman und William Levantrosser (Hrsg.), Cold War Patriot and Statesman: Richard M. Nixon (Westport, Conn.: Greenwood Press, 1993), S. 173.

Milton Friedman und Rose Friedman, Two Lucky People (Chicago: University of Chicago Press, 1998), S. 220. Entsprechend äußerte sich Friedman auch 1968 in einem Brief an einen Gratulanten: »Die Hauptaufgabe von Leuten wie mir besteht nicht darin, jemanden von etwas zu überzeugen, sondern Ideen vorzulegen, so dass sie aufgegriffen werden können, wenn Umstände eintreten, in denen sie zur Bewältigung drängender Probleme von großem Nutzen sind.« Friedman an Zadon, 19. November 1968, Milton Friedman Papers, Box 214, Hoover Institution Archives, Stanford, Kalif.

Friedman und Friedman, Two Lucky People, S. 381.

»Wir sagten immer, jeder liebe es, mit Milton zu streiten – wenn er nicht da sei.« George Shultz, zitiert in William Simon, A Time for Reflection (Washington, D.C.: Regnery, 2004), S. 73.

»A Moynihan Report«, New York Times, 27. Juni 1971. Zu Friedman bemerkte er darüber hinaus: »Ich stimme zwar nicht in allem mit ihm überein, aber einen solchen Mann, der Ideen produziert, die man sich einfach anhören muss, gibt es derzeit nur einmal.«

Solows Meinung zu Friedmans Werken spiegelt am besten seine berühmte Stichelei wider, dass Friedman bei allem an Geld denke. Nun ja, fuhr Solow fort, er denke bei allem an Sex, aber darauf müsse er ja nicht in jedem Aufsatz herumreiten. Robert M. Solow, »Review of A Monetary History«, in Bernard S. Katz und Ronald E. Robbins (Hrsg.), Modern Economic Classics – Evaluations Through Time (New York: Garland, 1988), S. 339346.

Lawrence H. Summers, »The Great Liberator«, New York Times, 19. November 2006.

Andrei Shleifer, »The Age of Milton Friedman«, Journal of Economic Literature 47/1 (2009): 123135.

Friedman und Friedman, Two Lucky People, S. 29.

»Ein Ökonom zu werden schien angesichts der brennenden Probleme jener Zeit wichtiger, als die Laufbahn eines angewandten Mathematikers oder Versicherungsfachmanns einzuschlagen.« Siehe Milton Friedman, »Milton Friedman«, in: William Breit und Barry T. Hirsch (Hrsg.), Lives of the Laureates (Cambridge: MIT Press, 1986), S. 83.

Kleidungsvorschriften für Studienanfänger waren in den 1920er Jahren gang und gäbe. So mussten Erstsemesterstudenten in Stanford grüne Kappen mit roten Knöpfen tragen, an der Columbia University schwarze Krawatten und Socken und am Williams College blaue Krawatten. Siehe »Princetonian Compares Freshman Rules of Discipline in United States Colleges«, Stanford Daily, 29. April 1924.

Friedman und Friedman, Two Lucky People, S. 58.

Ebd., S. 81.

Ebd., S. 84.

Milton Friedman räumte diesen Punkt nie ein. Er behauptete, die Einführung des Steuerabzugs sei erforderlich gewesen, um den Krieg zu gewinnen. Allgemeiner gesprochen, waren Friedmans libertäre Ansichten nie von Isolationismus oder Pazifismus geprägt; zudem befürwortete er die US-amerikanische Invasion des Irak von 2003, die seine Frau entschieden ablehnte. Allerdings äußerte er Bedauern über seine Mitautorschaft an dem Werk Taxing to Prevent Inflation (»Steuern erheben, um Inflation zu verhindern«), das während seiner Zeit im Finanzministerium entstand und die Keynes’sche Sichtweise der Inflationsdynamik übernahm. »Darauf bin ich nicht besonders stolz«, sagte er 2000 in einem Interview.

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