Arminius

Ravenna, A.D. 37

Gegen Synatos den Retiarius tritt nun an: der Secutor Licus von Germanien!»

Das Gebrüll der Menge übertönte die Stimme des Leiters der Spiele, doch für Thumelicaz drang es nur als dumpfes Dröhnen durch den Bronzehelm, der seinen Kopf umschloss. Er schritt in die Arena und reckte sein Kurzschwert in die Höhe. Die Leute schrien im Chor «Licus! Licus!», die Kurzform seines latinisierten Namens: Thumelicus. Er stieß im Rhythmus des Sprechchors sein Schwert in die Luft, seinen rechteckigen, halbzylindrischen Schild mit dem Keilerkopf vor sich haltend, und drehte sich nach allen Seiten, um die gesamte zehntausendköpfige Menge in dem ovalen Sandsteinbau zu grüßen.

In seinen fünf Jahren in der Arena hatte Thumelicaz von seinem Lanista Orosius, seinem Besitzer und Ausbilder, gelernt, die Gunst der Menge für sich zu gewinnen, ganz gleich, was er gegen diese Leute empfinden mochte: Ein beliebter Gladiator, der den Rückhalt der Massen genoss, war in jedem Kampf im Vorteil, und wenn er geschlagen wurde, konnte er auf ihre Gnade zählen. Orosius

Endlich grüßte Thumelicaz den Stifter der Spiele, der unter dem einzigen Baldachin saß, mit der vorgeschriebenen Formel eines Gladiators, welcher im Begriff war, auf Leben und Tod zu kämpfen. Mit huldvoller Geste signalisierte der Stifter, der neue Präfekt der kleinen Stadt Ravenna, seine Bereitschaft, das Blutvergießen anzusehen. Er richtete seine weiße Toga mit dem schmalen Purpurstreifen, dem Zeichen des Ritterstandes, und nahm den Jubel der Menge mit ausgestreckten Händen entgegen.

Schweiß lief unter der Filzkappe hervor, die Thumelicaz unter seinem Helm trug, und rann ihm übers Gesicht. Er blinzelte und drehte den Kopf, um durch die zwei kleinen Augenlöcher in dem glatten Gesichtsschutz nach Synatos zu suchen, dem helmlosen Retiarius mit Wurfnetz und Dreizack. Nachdem er seinen Widersacher gefunden hatte, behielt er ihn fest im Auge, denn er wusste, der leichter gerüstete, wendigere Kämpfer würde versuchen, flink aus seinem Blickfeld zu verschwinden. Er selbst war mit Helm, Schild und dem breiten Ledergürtel über seinem Lendenschurz beschwert. Außerdem trug er einen dicken Armschutz aus gefüttertem Leinen am rechten Arm, einen

Er griff nach dem Amulett in Form eines Hammers, das er um den Hals trug. «Donar, schärfe meine Klinge, führe meine Hand und gib mir Kraft, Großer Donnerer.»

Dann schnellte zwischen den beiden Kämpfern die Rudis herab, der hölzerne Stab des Schiedsrichters, des Summa Rudis. Die Menge verstummte. Das Geräusch von Thumelicaz’ schnellen, heftigen Atemzügen wurde durch den Helm verstärkt, die Atmosphäre darin war erstickend. Er stellte den linken Fuß vor und holte mit dem Schwertarm hoch aus, die Klinge schräg nach unten gerichtet, sodass die Spitze auf Höhe seiner Augen war. Den Schild vor sich haltend, starrte er Synatos über die Kante hinweg an. Der Retiarius erwiderte den Blick, die Augen gegen den aufgewirbelten Staub zusammengekniffen, der sich in seinen schwarzen Locken festsetzte. Geduckt stand er da, den muskulösen, geölten Körper seitlich gedreht, die linke Schulter vorn. Mit der rechten Hand schwang er sein mit Gewichten beschwertes Netz vor sich, mit dem Dreizack in der Linken führte er versuchsweise kleine Stöße. Der Arm war mit einem dicken Leinenschutz versehen, und ein Schulterschutz aus Kettenpanzer vervollständigte die spärliche Rüstung.

Noch immer war die Rudis zwischen ihnen. Thumelicaz blickte Synatos fest in die Augen und versuchte, seinen ersten Zug zu erraten. Sie hatten viele Male im

Er wird einen Sprung nach links machen und mit seinem Dreizack auf meinen ungeschützten rechten Oberschenkel zielen, dachte Thumelicaz, als er bemerkte, wie der Blick des Gegners kurz zu dieser Körperstelle huschte. Dann, wenn ich den Stich abzuwehren versuche, wird er das Netz nach meiner Hand auswerfen, um mir das Schwert zu entreißen.

Der Summa Rudis bellte das Kommando zum Kampf und hob seinen Stab. Die Menge brüllte vor Blutdurst. Synatos sprang nach links und stach blitzschnell mit seinem Dreizack nach Thumelicaz’ rechtem Schenkel. Thumelicaz, der mit diesem Angriff gerechnet hatte, stieß sein Schwert schräg abwärts zwischen zwei der mit

Ein Stoß mit dem Dreizack, auf seinen Hals gezielt, zwang Thumelicaz, den Schild zu heben, und er wich zurück, als die drei gefährlich scharfen Spitzen sich in das lederbezogene Holz bohrten. Durch die Wucht des Treffers schlug der Schild ihm mit der Kante gegen den Gesichtsschutz. Der Aufprall klang so laut in dem Helm wider, dass ihm die Ohren klingelten. Er riss seinen Schild zurück in der Hoffnung, dass der Dreizack feststeckte und er ihn Synatos’ Griff entreißen könnte, doch die Waffe löste sich. Im selben Moment fiel das Netz über seinen Kopf. Thumelicaz fühlte, wie es sich augenblicklich zuzog und ihn einzufangen drohte. Der Helm der Secutores war völlig glatt, ohne jegliche vorstehenden Ränder, Grate oder Kanten, die sich im Netz der Retiarii verfangen könnten. Thumelicaz zog den Kopf unter dem Netz heraus und hob sein Schwert, sodass die Klinge die Schnüre durchtrennte. Behände wich er weiter zurück, während er wiederholte Stöße mit dem Dreizack abwehrte, und schnitt

Wieder bohrte sich der Dreizack mit Wucht in seinen Schild. Synatos warf nun das Netz von sich und packte den langen Schaft mit beiden Händen, um kräftiger zustoßen zu können. Dadurch wurde der Dreizack zu einer gefährlichen Angriffswaffe. Unter dem tosenden Beifall der Menge stach Synatos wieder und wieder nach Thumelicaz’ ungeschützten Füßen und zwang ihn so, beständig zu tänzeln und seinen Schild immer tiefer zu halten. Thumelicaz hieb mit seinem Schwert nach den Metallzinken und dem dicken Schaft, während er das Unvermeidliche erwartete.

Als es kam, war er bereit.

Die drei Spitzen schnellten plötzlich hoch, über den gesenkten Schild hinweg auf seine Halsgrube zu. Er duckte sich und hörte den Dreizack oben über seinen Helm schrammen, während er sich nach vorn warf und dem Gegner seinen Schild gegen die Brust schmetterte. Alle Luft wich aus Synatos’ Lunge; er taumelte, doch es gelang ihm, Thumelicaz den Schaft seiner Waffe krachend auf die Schultern zu schmettern. Der stieß seinerseits mit dem Schwert nach dem Herzen des Retiarius, doch durch die Wucht des Aufpralls verfehlte er sein Ziel. Die Spitze bohrte sich stattdessen in Synatos’ Schulterschutz, ohne ernsthaften Schaden anzurichten. Beide Gladiatoren stürzten heftig zu Boden, und sofort klebte Sand an ihren verschwitzten Leibern. Der Lärm der Zuschauer schwoll immer mehr an, denn nun begann der erbitterte Nahkampf auf Leben und Tod.

Wieder schmetterte Synatos mit beiden Händen den

Synatos zog flink seinen Pugio, kam gleichzeitig auf die Beine und stürzte sich auf Thumelicaz. Noch immer keuchend vor Schmerz, brachte der eben noch die Geistesgegenwart auf, seinen Schild hochzureißen, um erst die Klinge und dann den Körper des Gegners abzuwehren, der sie führte. Er wälzte sich nach links und kam mühsam auf die Knie hoch. Indessen stürzte Synatos auf den Sand, sprang jedoch mit der Schnelligkeit einer Eidechse wieder auf und wirbelte zu seinem Gegner herum. Thumelicaz stützte sich auf sein Schwert, um

Noch immer von Schmerzen gepeinigt und durch seine schwere Rüstung stärker eingeschränkt als sein Gegner, wusste Thumelicaz, dass er die Sache nun schnell zu Ende bringen musste. Bald würde er vor Erschöpfung zu keinem wirksamen Angriff mehr fähig sein. Er ließ seinen Schild ein wenig sinken, den Schwertarm herabhängen und tat, als drohte er, in die Knie zu gehen, so als wäre er bereits am Ende seiner Kräfte. Mit einem triumphierenden Fauchen machte der Retiarius einen Ausfall nach vorn und stieß mit seinem Dreizack in Brusthöhe zu. Mit einer schnellen, heftigen Bewegung seines Schildes lenkte Thumelicaz den Stoß ab, dann riss er sein Schwert hoch und traf den sogleich vorschnellenden Dolch. Mit metallischem Scheppern flog die Waffe hoch durch die Luft. Thumelicaz setzte die Bewegung fort und schmetterte seine rechte Faust, die noch immer das Schwert umklammerte, Synatos ins Gesicht. Knorpel knirschte, als die Nase brach. Der Retiarius wurde zurückgeschleudert, wobei er in der Luft eine Spur aus Blutstropfen hinter sich herzog, der Dreizack entglitt ihm, und mit einem

Jetzt oblag es dem Stifter der Spiele, die Stimmung der Menge einzuschätzen und über Synatos’ Schicksal zu entscheiden.

«Licus! Licus!», erscholl noch immer der Sprechchor. Der Sieger hob sein Schwert, dem Stifter der Spiele zugewandt, und alle wussten, was diese Geste bedeutete: Leben oder Tod? Der Präfekt erhob sich langsam, die rechte Hand vor der Brust zur Faust geballt. Er schaute sich in dem Amphitheater um.

Der Ton der Masse wandelte sich. Langsam zunächst, aber unerbittlich änderte sich der Sprechchor, bis deutlich zu hören war: «Tod! Tod!» Die Leute hatten ein gutes Gedächtnis und waren nicht geneigt, einen Mann zu verschonen, der zweimal vom selben Gegner besiegt worden war.

Synatos hörte die Aufforderung, ihn kaltblütig zu töten, und er drehte langsam den Kopf, um den Präfekten anzuschauen. Ihre Blicke trafen sich. Eine kleine Weile sahen sie sich in die Augen, während die Menge

Synatos schaute Thumelicaz an, rang sich ein ergebenes Lächeln ab und richtete sich auf ein Knie auf.

Die Zuschauer brüllten vor Begeisterung, viele, unter ihren Tuniken sichtbar erregt, spielten an sich selbst – manche fieberhaft, andere langsam und genüsslich – und warteten darauf, dass wieder einmal zu ihrem Ergötzen ein Leben ausgelöscht würde.

Thumelicaz drehte sich langsam auf der Stelle, das Schwert in die Höhe gereckt. Auf seinem Gesicht, das noch immer in dem Helm verborgen war, zeichnete sich Abscheu ab, während er einzelne Zuschauer ansah: Bäcker, Schreiber, kleine Magistrate, professionelle Schmeichler und Speichellecker, Ladenbesitzer, Lustknaben, Kaufleute und andere, alle ebenso unkriegerisch wie die Weiber, deren Furche sie pflügten. Der nutzlose Speck des Imperiums, dessen einzige Daseinsberechtigung darin bestand, dass er nun einmal geboren war, schrie nach dem Tod eines Mannes, der das elende Leben der meisten von ihnen in weniger als zehn Herzschlägen hätte auslöschen können. Hatten die Römer hierfür ihr Imperium erschaffen? Damit die Furchtsamen und Schlaffen ihre kämpferischen Phantasien stellvertretend ausleben konnten, ihren

Thumelicaz nahm vor Synatos Aufstellung.

Der verurteilte Retiarius umklammerte seinen rechten Oberschenkel, hob den Kopf und blickte dem Mann, der ihn töten würde, fest in die Augen. «Tue es sauber, mein Freund.»

«Willst du keine Waffe in der Hand halten?»

«Nein, ich gehe einen anderen Weg als du. Meiner führt zum Fährmann, nicht nach Walhalla.»

Thumelicaz neigte den Kopf, dann hielt er sein Schwert senkrecht und setzte es zwischen Synatos’ Hals und dem Schlüsselbein an, dicht neben dem Schulterschutz. Mit beiden Händen, links über rechts, umklammerte er den Schwertgriff.

Der Lärm der Menge hatte sich schier ins Unmögliche gesteigert.

Synatos schluckte, schaute kurz in die Sonne, die von einem blauen, wolkenlosen Himmel brannte, und nickte.

Mit aller Kraft seiner Schultern stieß Thumelicaz die Klinge abwärts durch Haut, Fleisch und Lunge, bis die Spitze den Muskel des Organs durchdrang, das nun dreimal so schnell wie gewöhnlich pumpte. Synatos’ Augen weiteten sich vor Schmerz, seine Brust verkrampfte sich, und er stieß die Luft mit einem tiefen Stöhnen aus, das in einem Schwall Blut erstickte. Thumelicaz fühlte, wie der Griff des Sterbenden um seinen Schenkel sich verstärkte, die Fingernägel bohrten sich in die Haut, doch er achtete nicht weiter darauf – das geschah jedes Mal. Er drehte die Klinge nach links und rechts, um die Wunde zu

Synatos blieb noch ein paar Augenblicke aufrecht auf den Knien, Blut quoll ihm aus Mund und Nase und lief in Strömen über das Kinn, die Augen waren leer, das Gesicht starr: tot. Die Menge stieß einen Seufzer bestialischer Befriedigung aus, und die Leiche kippte hintenüber in den Sand.

Thumelicaz reckte sein Schwert in die Höhe, um die zu grüßen, die er verachtete, und wünschte insgeheim jedem den Tod, der das Leben nicht verdiente, was in seinen Augen die meisten waren. Ohne einen weiteren Blick auf sein Opfer wandte er sich zu den Toren, die sich langsam öffneten. Acht Bogenschützen einer Auxiliartruppe marschierten herein, vier links und vier rechts, mit aufgelegten Pfeilen, die Bogen jedoch nicht ausgezogen.

Thumelicaz blieb stehen und warf sein Schwert auf den Boden.

Hinter den Bogenschützen erblickte er die Silhouetten zweier Personen, eine mit Toga.

Thumelicaz erkannte die muskelbepackte Gestalt seines Lanista Orosius. Mit einem raschen Blick zu dem Platz, wo der Stifter der Spiele gesessen hatte, vergewisserte er sich, wer der andere Mann sein musste. Der Präfekt von Ravenna schritt mit erhobenen Armen zur Mitte der Arena. Orosius blieb im Tor stehen und beobachtete die Szene.

Die Menge jubelte ihrem Präfekten zu, zurückhaltend, wie man einen Mann bejubelte, dessen Macht größer war

Thumelicaz war völlig überrascht, konnte sich aber denken, was gleich geschehen würde. Dennoch empfand er keine Begeisterung, keinen Stolz, keine Erleichterung, nachdem er fünf Jahre lang regelmäßig um sein Leben hatte kämpfen müssen. Sein einziger Gedanke galt seiner Heimat, die er nie gesehen, von der er nie geglaubt hatte, dass er sie einmal sehen würde. Diese Heimat kannte er nur aus den Erzählungen seiner Mutter, die an Rom ausgeliefert worden war, als sie ihn im Leib getragen hatte. Allzu wenig Zeit war ihr geblieben, ihm davon zu erzählen, ehe er ihr mit acht Jahren weggenommen wurde, um für ein Leben in der Arena ausgebildet zu werden. Und weil er der Sohn seines Vaters war, hatte er damit gerechnet, in der Arena zu sterben.

Der Präfekt sprach nun zur Menge, doch Thumelicaz nahm seine Worte kaum wahr. Vor seinem inneren Auge stand flammend das Bild des Vaters, den er nie kennengelernt hatte, und er stellte sich vor, wie er in das Land zurückkehrte, das dieser sechs Jahre vor Thumelicaz’ Geburt von der römischen Herrschaft befreit hatte: die Germania Magna. Binnen vier Tagen hatte sein Vater Erminaz, bei den Römern nur unter seinem latinisierten Namen Arminius bekannt, in einer Reihe von Schlachten im Teutoburger Wald die Armee von Publius Quinctilius Varus vernichtet, drei Legionen mitsamt Auxiliartruppen. Thumelicaz’ Mutter hatte ihm großartige Geschichten

Er fühlte, wie ihn jemand am Arm fasste, und mit einem Ruck kehrten seine Gedanken in die Gegenwart zurück. Der Präfekt redete in einem Ton, als wiederholte er sich. «Nimm deinen Helm ab, Licus von Germanien.»

Thumelicaz hakte die Daumen unter den Rand und schob den bronzenen Helm hoch. Sogleich fiel ihm das Atmen leichter. Die tiefliegenden blassblauen Augen unter den dicken schwarzen Brauen zusammengekniffen, schaute er auf den Präfekten hinunter, der zurückzuckte. Thumelicaz fuhr sich mit dem Handrücken über das glattrasierte Gesicht mit der langen, schmalen Nase, um es einigermaßen von dem halb eingetrockneten Erbrochenen zu befreien. Anschließend hielt er mit einem Finger erst ein Nasenloch zu, dann das andere und schnäuzte die saure Flüssigkeit aus.

Der Präfekt betrachtete ihn angewidert. Thumelicaz fragte sich, ob er es sich anders überlegen würde, doch dann wurde ihm klar: Der Präfekt würde das Gesicht verlieren, wenn er einem Gladiator nicht die Freiheit schenkte, nur weil er dessen Aussehen nach einem Kampf unappetitlich fand. Er zog die Nase hoch und spuckte blutigen Schleim in den Sand.

Der Präfekt griff in den Faltenbausch seiner Toga und

Mit theatralischer Geste hielt der Präfekt das Holzschwert in die Höhe. «Ich, Marcus Vibius Vibianus, Präfekt der Stadt Ravenna, schenke dem Gladiator Licus von Germanien nach fünf Jahren in der Arena die Freiheit.» Er bot Thumelicaz das Schwert mit beiden Händen dar, und dieser nahm es ohne Dank entgegen.

Thumelicaz wusste, dass er es sich nicht leisten konnte, die Menge zu beleidigen. Also reckte er das Symbol für die Freilassung eines Gladiators in die Luft und drehte sich unter dem Beifall der Bürger von Ravenna einmal um sich selbst. Dabei hoffte er insgeheim, diesen Beifall zum letzten Mal zu hören.

«Du darfst mein Klient werden und meinen Namen annehmen», sagte Vibianus gönnerhaft.

Thumelicaz schaute den Präfekten an, als könne er nicht glauben, was er soeben gehört hatte. «Eher würde ich deine Hure werden und deine mickrigen Welpen gebären, Römer.» Damit ließ er den Präfekten stehen und marschierte entschlossenen Schrittes zum Tor. Im Gehen befreite er sich demonstrativ von der Rüstung, die ihn als Secutor kenntlich machte, und warf sie unter dem Jubel der Menge von sich. Er wusste, solange er das Volk auf seiner Seite hatte, konnte Vibianus nichts gegen ihn unternehmen.

In dem Versuch, das Beste aus der Situation zu machen,

«Mir scheint, du und unser geschätzter Präfekt werdet künftig keine Tischgenossen», kommentierte Orosius und schloss sich Thumelicaz an, als der durch das Tor hinausging. Er gab ihm eine Papyrusrolle. «Das hier ist dein Freilassungsbrief.»

Thumelicaz nahm das Dokument entgegen, ohne es zu lesen. «Danke, Orosius. Wie ist es dazu gekommen? Ich dachte, ich sei dazu bestimmt, in der Arena zu sterben.»

«Das warst du auch, aber niemand hatte sich die Mühe gemacht, unserem neuen Präfekten vor seinem Amtsantritt diesen Umstand zur Kenntnis zu bringen. Und als er mir mitteilte, er wolle sich die Gunst der Plebs durch deine Freilassung erkaufen, wer wäre ich, ein bloßer Lanista, da gewesen, ihm zu widersprechen?»

Thumelicaz verlangsamte seinen Schritt. Sie gingen jetzt durch die von Fackelschein erhellten, verräucherten Eingeweide des Amphitheaters. Hier drängten sich verängstigte Gefangene in Ketten, die ihr Ende in den Fängen wilder Tiere erwarteten. Das Gebrüll der Bestien hallte von dem rauchfleckigen Ziegelgewölbe wider. Von der Decke tropfte Wasser in grüne, schleimige Pfützen auf dem abgenutzten Steinboden. «Warum hast du das für mich getan? Du schuldest mir nichts. Ganz im Gegenteil, ich verdanke dir alles, schließlich hast du mich persönlich ausgebildet.»

Orosius lächelte und schaute seinen vormaligen Schützling von der Seite an. «Würdest du mir glauben, wenn ich sage, ich wollte verhindern, dass du meine

«Blödsinn. Niemand schert sich einen Furz darum, in diesem Dreckloch irgendetwas zu gelten.»

«Da irrst du dich, der Präfekt schert sich durchaus darum. Er will die Gunst des neuen Kaisers Gaius Caligula erlangen, indem er dafür sorgt, dass mehr Steuern aus dieser Stadt in die kaiserliche Kasse fließen. Das beabsichtigt er zu erreichen, indem er sich zunächst das Wohlwollen der Bürger erkauft und dann Einsparungen vornimmt. Zu diesen zählt auch, wie viel er mir für meine Waren und Dienstleistungen zahlt – die Summe, die er mir als Entschädigung für deine Freilassung geboten hat, war lächerlich. Ich denke, wenn der Kaiser erfährt, dass Marcus Vibius Vibianus in seinem Bestreben, sich beliebt zu machen, Arminius’ Sohn freigelassen hat, wird er ihn nach Rom zurückrufen. Vibianus wird sich für diese neuartige Methode, unsere Feinde in Schach zu halten, erklären müssen. Selbst wenn er glimpflich davonkommt, wird er zumindest jegliche senatorischen Ambitionen vergessen können.»

«Und hier wird für dich alles wieder so werden wie früher?»

«Das ist alles, was ich will. Du solltest also lieber unverzüglich von hier verschwinden, ehe jemand den Präfekten darauf hinweist, dass er einen überaus törichten Fehler begangen hat.»

«Vorher habe ich noch etwas zu erledigen.»

«Nein, das hast du nicht, ich habe dein Preisgeld aus dem Ludus mitgebracht. Du bist ein reicher Mann, du könntest es dir beinahe leisten, dich selbst zu kaufen.»

«Dafür ist es mehr als genug.» Orosius gab den beiden Wachen am Tor zur Außenwelt ein Zeichen, es zu öffnen. «Was sonst ist so wichtig, dass es dich hindert, sofort die Stadt zu verlassen?»

Thumelicaz trat auf die Straße hinaus, zum ersten Mal frei zu gehen, wohin er wollte. Er wies mit einer Kopfbewegung auf das Schwert, das Orosius trug. «Darf ich?»

Orosius löste die Scheide von seinem Gürtel und gab sie Thumelicaz.

«Danke, Orosius. Ich muss meine Mutter holen, sie lebt als Sklavin im Haus meines Onkels.»

 

Thumelicaz hämmerte mit der Faust gegen die Tür eines herrschaftlichen Hauses an der breiten, belebten Straße, die Ravennas Forum mit der Festung der Stadt verband. Nach wenigen Augenblicken wurde ein Sehschlitz geöffnet, und ein dunkles Auge spähte forschend hindurch.

«Ich komme, um mit Tiberius Claudius Flavus zu sprechen.» Thumelicaz bemühte sich, die Anspannung in seiner Stimme zu unterdrücken.

«Wen darf ich ankündigen, Herr?»

«Sage ihm, der Sohn seines Bruders ist hier.»

Der Sehschlitz wurde abrupt wieder geschlossen.

Thumelicaz wartete in wachsender Ungeduld. Er fragte sich, ob sein Onkel Flavus, den er als Chlodochar kannte, es wagen würde, ihm nach so langer Abwesenheit die Tür zu öffnen.

Die Tür schwang nach innen.

Eine Hand am Heft seines Schwertes, schritt Thumelicaz durch die Vorhalle ins Atrium. Es war das erste Mal seit vierzehn Jahren, dass er das Haus seines Onkels betrat.

Das Atrium war das eines Römers, nicht eines germanischen Kriegers aus dem Stamm der Cherusker, dem sowohl Thumelicaz als auch sein Onkel angehörten. Ein kunstvoller Mosaikboden mit Szenen aus der Aeneis umgab das Impluvium in der Mitte des rechteckigen Raumes. Der Springbrunnen darin stellte Salacia, die Gefährtin Neptuns, in Gestalt einer Nymphe mit einem Kranz aus Seetang dar. An den Wänden hingen weder Waffen noch anderes Kriegsgerät, keine Hauer von Keilern, keine Geweihe, nichts, das die Wände im Langhaus eines Edelmannes zierte, wie Thumelicaz aus den Erzählungen seiner Mutter wusste. Es gab auch keine langen hölzernen Tische und Bänke, wo seine Gefolgsleute Gelage halten und singen konnten, nur niedrige Tischchen aus poliertem Marmor auf kunstvollen Beinen, und darauf standen Glasschalen und Bronzefiguren von römischen Gottheiten. Für Thumelicaz sah es aus wie irgendeines der römischen Häuser, in denen er gezwungen worden war, zum Ergötzen der Reichen von Ravenna bei ihren üppigen, verschwenderischen Gastmählern seine Künste im Schwertkampf zu zeigen. Er spuckte auf den Boden.

«Das ist genau das Benehmen, das ich von einem Sklaven und Gladiator erwartet hätte», ertönte vom anderen Ende des Raumes eine zutiefst verächtliche Stimme.

Thumelicaz blickte auf und sah einen hochgewachsenen, stattlichen Mann in der Toga des Ritterstandes ins Atrium kommen. Sein blondes, angegrautes Haar war kurz geschnitten, das feiste, gerötete Gesicht an der Stelle, wo sein rechtes Auge hätte sein sollen, von einer hässlichen Narbe entstellt.

Thumelicaz spuckte noch einmal aus, diesmal mehr aus Verachtung für den Mann, den er vor sich sah, als für die Kultur, mit der dieser sich umgab. «Ich bin nicht tot, weil ich den Schutz Donars genieße, eines Gottes der Krieger. Und ich bin hier, weil ich niemandes Erlaubnis brauche, um irgendwohin zu gehen, denn ich bin kein Sklave und kein Gladiator mehr, Onkel

Flavus blieb abrupt stehen, und sein eben noch höhnisch herablassendes Gesicht nahm einen Ausdruck der Bestürzung und Besorgnis an, kaum dass Thumelicaz die Worte ausgesprochen hatte. «Du lügst. Wachen!»

Thumelicaz zog das hölzerne Schwert aus seinem Gürtel und ging weiter in den Raum hinein, während vier große, kräftige Leibwächter mit gezogenen Schwertern hinter Flavus eintraten. Links neben dem Impluvium blieb Thumelicaz stehen.

Flavus hielt seine Männer mit einer Handbewegung zurück. «Wer hat dir das gegeben?»

«Dein Präfekt, vor nicht einmal einer Stunde.»

«Dann werde ich ihm sagen, er muss es dir wieder abnehmen.»

«Das könnte er nicht, selbst wenn er es versuchen

«Oder er könnte dich einfach töten lassen, wie Tiberius es schon vor Jahren hätte tun sollen.»

Nun war es an Thumelicaz, höhnisch zu grinsen. «Du weißt sehr wohl, warum Tiberius mich nicht töten ließ. Aus demselben Grund, aus dem er ablehnte, als Hadgan, der Fürst der Chatten, ihm anbot, meinen Vater zu vergiften: weil er Ehrgefühl besaß – etwas, das du schon vor Jahren vergessen hast. Nun gib mir meine Mutter heraus, dann lasse ich dich in Ruhe. Mögest du in den widerlichen Früchten deines Verrats verfaulen.»

«Ich kann sie nicht herausgeben, sie gehört Rom. Ich habe sie nur in meiner Obhut.»

«Sie ist die Frau deines Bruders. Da er tot ist, hast du das Recht, mit ihr zu verfahren, wie es dir beliebt. Überlasse sie mir, dann werde ich fortan eine etwas höhere Meinung von dir haben. Ich werde auf die Rache meines Vaters verzichten, die nun rechtmäßig die meine wäre, und du wirst nie wieder von mir hören.»

«Und wenn ich es vorziehe, das nicht zu tun?»

«Dann werde ich es vorziehen, sie mir zu holen und Rache für meinen Vater an dir zu üben, Rache für einen Mann, der von seinem Bruder ermordet wurde.»

Flavus lachte hohl und freudlos. Er wies mit dem Daumen über die Schulter. «Und du denkst, sie würden das zulassen?»

Thumelicaz betrachtete die Reihe der Leibwächter. Er nahm an, dass es Germanen aus einer Auxiliartruppe

Etwas an dem beiläufigen Ton, in dem sein Neffe ihm antwortete, ließ Flavus einen Moment lang zögern, dann verhärtete sich der Blick seines verbliebenen Auges. Er trat zur Seite. «Tötet ihn!»

Die vier Leibwächter stürmten ohne Zögern vorwärts, zugleich, in einer Reihe nebeneinander. Thumelicaz wusste, dass sie damit einen schweren Fehler begingen. Er sprang nach rechts auf die Umrandung des Impluviums, als auch schon das Schwert des dunkelhaarigen Mannes niedersauste, wo er eben noch gestanden hatte. Thumelicaz zog sein Schwert aus der Scheide und setzte die Aufwärtsbewegung fort, sodass die Klinge den Kiefer des Mannes zerschmetterte. Gleichzeitig zielte der blonde Leibwächter mit einem waagerechten Schlag auf seinen Oberschenkel. Thumelicaz ließ mit der linken Hand das Übungsschwert hinabschnellen, sodass der Schlag durch das gehärtete Holz abgelenkt und gedämpft wurde und die Klinge nur noch mit geringer Kraft in seine Wade schnitt. Er verbiss den Schmerz und rammte dem blonden Mann den zersplitterten Stumpf des Holzschwerts ins Auge, sodass der mit einem gellenden Schrei rücklings stürzte. Thumelicaz zog seine Klinge mit einem Ruck aus seinem ersten Opfer, das röchelnd zusammenbrach, und richtete sie auf die zwei

Dann hallte der Schrei einer Frau durch das Atrium. Er kam aus dem Garten im hinteren Bereich des Hauses. Thumelicaz sah zu, wie sein letztes Opfer auf dem blutbesudelten Mosaikboden zusammenbrach und dabei seine Schwertklinge wieder freigab. Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich, dass keine weiteren Bediensteten im Raum waren, die ihren Herrn verteidigen wollten, dann rannte Thumelicaz durch das Tablinum am hinteren Ende des Atriums hinaus in den Garten.

Ihre blauen Augen weiteten sich, als sie den Eindringling erkannte. «Thumelicaz!»

Thumelicaz hob eine Hand. «Bleib ruhig, Mutter.»

Hinter Flavus stand in einer offenen Tür eine weitere Frau in ähnlichem Alter, jedoch kleiner und stämmiger gebaut. In ihrer Hand blitzte ein Dolch, ihr Gesicht war vor Hass verzerrt. «Töte die Hündin doch einfach, Mann, und dann kümmern wir uns um ihren Welpen.»

«Schweig, Gunda! Thumelicus, lass deine Waffe fallen.»

«Und was, wenn ich es nicht tue?»

«Dann schneide ich Thusnelda die Kehle durch.»

Thumelicaz ging weiter, an einem großen Feigenbaum in der Mitte des Gartens vorbei. «Und was geschieht dann?»

«Dann bist du an der Reihe.»

Thumelicaz schnaubte verächtlich. «Du bist ein alter Mann, Onkel. Und wenn meiner Mutter ein Leid geschieht, wirst du nicht mehr einen Tag älter.» Zwei Schritt vor Flavus und Thusnelda blieb er stehen und senkte demonstrativ sein Schwert, behielt es jedoch fest im Griff. «Also, Onkel, was ziehst du vor – den Tod für euch beide oder das Leben?»

Flavus schaute seinen Neffen über Thusneldas Schulter hinweg an; in seinen Augen schienen Unsicherheit und Angst auf.

«Arminius hätte mich töten lassen. Nur einer von uns konnte überleben.»

«Mein Mann hat dich geliebt, Flavus!», stieß Thusnelda hervor. «Du warst sein kleiner Bruder. Er hätte dir verziehen, wenn du nach Germanien zurückgekehrt wärst und Rom abgeschworen hättest. Deshalb hat er sich in jener Nacht allein mit dir und meinem Vater getroffen – er glaubte deine Lüge, du wolltest zu ihm heimkehren und mich und meinen Sohn mitbringen. Aber du hast sein Vertrauen und die Blutsbande verraten, du Verräter hast ihn ermordet.»

«Ich habe getan, was das Beste für …»

Ein schriller Schrei, und Gunda stürzte mit wehendem Rock und Haar aus dem Schatten hervor, die Zähne gebleckt, den Dolch hoch erhoben, die Klinge über die Schulter ihres Mannes hinweg auf Thusneldas Hals gerichtet.

Flavus fuhr herum, wobei er Thusnelda mitriss, sodass nun ihr ganzer Körper dem Angriff ausgesetzt war, doch zugleich schnellte blankes Eisen wie ein Blitz von unten aufwärts; Thumelicaz’ Schwert trennte die Faust mit dem Dolch von Gundas rechtem Arm ab. Entsetzen zeichnete sich auf Flavus’ Gesicht ab, als er die blutige Hand seiner Frau durch die Luft fliegen sah, dann wich der Ausdruck dem von Schreck und Schmerz, da Thusneldas

Thusnelda stieß Flavus’ Messer mit dem Fuß weg, während sie sich aus seiner Umklammerung befreite. Sie bückte sich noch rasch, um Gundas Hand vom Boden aufzuheben, dann war sie auch schon bei ihrem Sohn, der schützend den linken Arm um sie legte. Thusnelda drehte sich zu den zweien um, die sie in Gefangenschaft gehalten hatten und die nun beide auf die Knie gesunken waren. Ihr Kiefer arbeitete angestrengt, dann spuckte sie Flavus den halbzerkauten Fleischklumpen ins Gesicht. «Jetzt bin ich an der Reihe, Chlodochar; jetzt werdet du und deine Hündin von einer Frau sehen, wovon ich die letzten zweiundzwanzig Jahre geträumt habe.» Kalt lächelnd richtete sie den Blick auf Gunda, die wimmerte und ihren Unterarm fest umklammerte, um die Blutung zu stillen. «Und sei unbesorgt, meine Liebe, wenn du nicht mehr bist, wird man dich nicht so bald vergessen.» Sie hielt die abgetrennte Hand hoch. «Deine Fingerknochen werden einen reizenden Haarschmuck für mich abgeben.»

 

Thusnelda hob den Kopf. «Donar, halte deine Hände über mich und meinen Sohn, wenn wir durch fremde Länder ziehen, und gib, dass wir nach Germanien zurückkehren. Nimm dieses Blutopfer, außer meinem eigenen Sohn die kostbarste Gabe, die ich dir darbringen könnte: das Blut einer Verwandten, die ein Kind geboren hat.» Thusnelda wandte den Blick vom Himmel ab zu Gunda, die an den Baumstamm gefesselt war. «Der Große Donnerer wird dich nehmen, Hündin. Du solltest mir dankbar sein, dass ich deinem elenden Dasein einen Wert gegeben habe.»

Gunda spuckte Thusnelda ins Gesicht. «Unser Sohn Italicus wird uns rächen.»

«Italicus! Was für ein Name ist das für einen Sohn Donars?» Thusnelda hob ihr Messer und setzte es Gunda an die Kehle. «Du hast alles verloren, womit du geboren wurdest, sogar die Fähigkeit, einen ehrenhaften Namen für einen Sohn auszusuchen.» Sie machte eine ruckartige Bewegung; geschärftes Eisen schnitt durch Fleisch.

Gundas Augen weiteten sich, aus ihrer Kehle drang ein gurgelndes Geräusch, und ihr Körper zuckte in den Fesseln.

Thumelicaz hob sein Schwert und trat an Flavus heran, der an dem Ast baumelnd voller Grauen die Todeszuckungen seiner Frau mit ansah. «Donar, führe uns heim und strecke mich mit Donner und Blitz nieder, wenn ich

Sie schauten sich an und lächelten.

«Du hast mir gefehlt, mein Sohn.»

«Ich weiß, Mutter. Lass uns heimgehen.»