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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe

7. Auflage 2009

ISBN 978-3-492-95092-3

© Piper Verlag GmbH, München 2007

Umschlaggestaltung: Hilden Design, München

Umschlagabbildung: Keel/Agentur Luserke

Karte: Daniel Ernle

Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

Das große Abenteuer der Orks geht weiter – und wieder möchte ich an dieser Stelle kurz jene Menschen erwähnen, die in der einen oder anderen Form dazu beigetragen haben, die ungleichen Brüder Balbok und Rammar auf die nächste Etappe ihrer abenteuerlichen Reise zu schicken.

Mein Dank geht an das wackere Fantasy-Lektorat des Piper Verlags, namentlich vertreten durch Carsten Polzin und Friedel Wahren; an Illustrator Daniel Ernle dafür, dass er Erdwelt so trefflich nach Osten erweitert hat; an meinen Lektor Peter Thannisch dafür, dass die Zusammenarbeit mit ihm stets ein Vergnügen und er Balboks und Rammars größter Fan ist; und schließlich an meinen Agenten Peter Molden, der mir beim Abenteuer, ein Autor zu sein, kampferprobt zur Seite steht. Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch Wolfgang, meinen Freund und Zahnarzt, sowie Harry, unseren Ork in spe. Bedanken möchte ich mich außerdem bei meiner Familie, die mir Halt gibt und Inspiration.

Und nicht zuletzt natürlich bei den treuen Lesern, die mich in den vergangenen Monaten wiederholt gefragt haben, wann und wo es mit Balboks und Rammars Abenteuern weitergeht.

Die Antwort ist hier.

Jetzt …

PROLOG

Weiter.

Immer weiter.

Ohne Rast und ohne Ziel.

Einfach nur einen Fuß vor den anderen setzen – wie lange er das bereits tat, wusste er nicht.

Eines jedoch wusste er genau: dass jene Zeiten, in denen er als Fürst von edler Herkunft Reichtum und hohes Ansehen genossen hatte, unwiderruflich vorbei waren.

Ein Blick auf seine zerbrechlich wirkende Gestalt genügte, um dies zu bestätigen: Seine einstmals noble Kleidung hing in Fetzen, seine Stiefel aus feinstem Leder waren abgetragen und zerschlissen, seine früher so vornehm blasse Haut war zerkratzt und wund. Und als Loreto, Fürst von Tirgas Dun, sein Elend erneut betrauerte, kehrte die Erinnerung zurück zu jenem Augenblick, als über sein Schicksal entschieden worden war.

»Loreto«, hatte Ulian gesagt, Vorsitzender und Sprecher des Hohen Rates der Elfen, seit der Weise Aylonwyr nach den Fernen Gestaden aufgebrochen war, »du hast Schande über dich und dein Volk gebracht. Nicht nur uns hast du verraten, sondern auch deine Ahnen und alle Elfen, die jemals auf Erden gewandelt sind. Daher wird deine Strafe hart sein: Auf immer wirst du aus Tirgas Dun verbannt. Das Feuer des Lebens und das Wasser der Unsterblichkeit seien dir verwehrt – die Fernen Gestade wirst du niemals sehen …«

Die Worte hallten in Loretos Bewusstsein nach wie der Kehrvers eines Tavernenschlagers, der sich in seine Gehörgänge verirrt hatte und nicht wieder hinausfand. In seiner Erinnerung sah er die uralten und dennoch jugendlich wirkenden Züge Ulians, während er diese Worte gesprochen hatte, und der Ausdruck in seinen Augen schien Loreto Beweis dafür, dass der Vorsitzende des Elfenrates innerlich triumphierte, als er das Urteil verkündet hatte. Mehr als das – es hatte sogar den Anschein gehabt, als hätte es ihm diebische Freude bereitet, einen der größten und trefflichsten Söhne des Elfengeschlechts in die Verbannung zu schicken wie einen hergelaufenen Verbrecher.

»Wer hat wen verraten?«, fragte Loreto zum ungezählten Mal und erschrak über den brüchigen, krächzenden Klang seiner Stimme, die nichts mehr von der samtenen Weichheit von einst hatte.

Für einen Augenblick war der verbannte Elfenfürst unaufmerksam. Einer seiner Füße, müde vom langen Marsch, blieb an einer Wurzel hängen, und Loreto stürzte. Er schlug der Länge nach hin und stieß sich das Kinn an einem Stein, der aus dem Waldboden ragte. Er berührte es mit der Hand, besah sich die Fingerspitzen und stellte fest, dass er blutete. Das Blut erinnerte ihn an seine Sterblichkeit und daran, dass er nun niemals die Fernen Gestade sehen und dort ein Leben in immerwährender Harmonie und Freude verbringen durfte – dabei war es gerade das gewesen, was er sich am meisten gewünscht hatte.

So sehr, dass er bereit gewesen war, alles andere dafür zu opfern. Selbst seine Liebe zu Alannah, der Hohepriesterin von Shakara. Aber das Schicksal hatte es anders gewollt …

»Kurz vor deiner Abreise nach den Fernen Gestaden«, hörte er Ulian in seiner Erinnerung weiterreden, »hatte dir der Hohe Rat der Elfen einen Auftrag erteilt – einen Auftrag, den zu erfüllen du feierlich geschworen hast, Loreto. Du solltest die verbotene Stadt Tirgas Lan vor Eindringlingen schützen, denn Alannah, die Priesterin von Shakara und Hüterin des Geheimnisses von Tirgas Lan, war von zwei Unholden entführt worden, und Wir, der Hohe Rat, hatten allen Grund zu der Annahme, dass sie sich mit ihnen verbündet hatte. Wie sich jedoch herausstellte, war alles noch viel schlimmer: Eine Intrige war gesponnen, deren Ziele und Konsequenzen von apokalyptischen Ausmaßen waren. Der Dunkelelf war zurückgekehrt, und das Heer des Bösen war in die alte Elfenstadt Tirgas Lan eingefallen. Doch statt dich dem Feind tapfer zu stellen und Tirgas Lan zurückzuerobern, hast du deiner Armee den Rückzug befohlen und bist feige geflohen.«

»Das ist nicht wahr!«, hatte Loreto entschieden widersprochen. »Bei meiner Ehre, ich schwöre, dass ich den Kriegern befahl, den Kampf mit den Orks und den anderen Dunkelmächten zu suchen.«

»Aber erst, als die Schlacht bereits entschieden war und du dich der Elfenkrone bemächtigen wolltest. Widerrechtlich hast du versucht, sie dir anzueignen, nachdem sich Farawyns Prophezeiung bereits erfüllt hatte.«

»Ja, aber erfüllt an einem Menschen!«, rief Loreto laut, ungeachtet der Tatsache, dass ihn Ulian nicht mehr hören konnten und nur die Bäume Zeugen seiner Verteidigungsrede wurden. »Ich wollte nicht wahrhaben, dass sich die Weissagung Farawyns auf einen … einen Menschen bezieht, noch dazu auf einen nichtswürdigen Kopfgeldjäger, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, andere Kreaturen ihrer Skalpe zu berauben, während ich, Loreto, die Zierde des Elfengeschlechts, leer ausgehen sollte! Das konnte nicht, das durfte nicht sein! Und es kann und darf auch nicht sein! Ich bin König, nicht er! Warum nur wollt ihr das nicht begreifen? Seht ihr denn nicht, was hier vor sich geht? Versteht ihr mich denn nicht …?«

Seine Stimme überschlug sich, Tränen des Zorns und der Verzweiflung traten ihm in die Augen wie so viele Male zuvor. Doch niemand hörte sein Flehen; ringsum war nichts als dichter Wald, der Loretos Rufe gleichgültig schluckte. Eine Straße oder einen Pfad gab es nicht. Aus der Elfenstadt verstoßen, war Loreto einfach nur immer weitergelaufen. Die Richtung war ihm egal gewesen, und jedes Mal, wenn er auf eine Siedlung gestoßen war, hatte er sich sofort wieder verkrochen in die Einsamkeit der Wälder und Berge. Er brauchte keine Gesellschaft, schon gar nicht die der Menschen. Und die der Orks, die einen nicht unwesentlichen Teil der Schuld an seinem Schicksal trugen, am allerwenigsten.

Seine ziellose Flucht hatte zur Folge, dass er inzwischen keine Ahnung mehr hatte, wo er sich befand, doch das scherte ihn nicht. Er irrte immer nur weiter, gejagt von grenzenloser Wut, die ebenso wenig wusste wie er selbst, wohin sie sich richten sollte, und von seinem eigenen verletzten Stolz.

Anfangs hatte sich Loreto gewünscht, ein Troll würde auftauchen und sein elendes Dasein mit einem Hieb seiner mächtigen Keule beenden – doch wenn es dann tatsächlich im Unterholz knackte und krachte, war er rasch in eine andere Richtung geflohen. Er hatte verloren – das ließ sich nicht bestreiten. Man hatte ihm alles genommen, was ihm je etwas bedeutet hatte – auch das war eine Tatsache. Aber das bedeutete nicht, dass er nicht irgendwann zurückkehren würde. Zurückkehren, um sich zu holen, was ihm zustand, und sich an jenen zu rächen, die ihm all dies angetan hatten: an dem Menschen Corwyn, der sich widerrechtlich der Krone bemächtigt hatte, an der Elfin Alannah, die einst seine Geliebte gewesen war und ihn schmählich verraten hatte, und an zwei widerwärtigen Orks, die seine Pläne hinterlistig durchkreuzt hatten.

An ihre Namen erinnerte sich Loreto nicht mehr, aber ihr Aussehen hatte sich unauslöschlich in sein Bewusstsein gebrannt; unter Tausenden hätte er den Dicken und den Hageren erkannt. Die Vorstellung, sie eines Tages zu finden und sich an ihnen zu rächen, erfüllte ihn mit einer geradezu unheimlichen Kraft, die noch von Tag zu Tag zu wachsen schien. Zu seiner anfänglichen Wut hatte sich schon bald abgrundtiefer Hass gesellt – etwas, das einem Elfen nicht zustand und von dem Loreto früher angenommen hatte, dass er nicht fähig wäre, etwas Derartiges zu empfinden. Inzwischen wusste er es besser, und mit jedem Schritt, den er auf feuchten, modrigen Waldboden setzte, mit jedem Sturz, bei dem er sich blutig schlug, mit jedem Atemzug, bei dem er den bitteren Odem der Verbannung schmeckte, wuchs dieser Hass.

Während er immer weiterirrte, malte sich Loreto in den blutigsten Farben aus, was er mit den Orks anstellen würde, sollte er ihrer habhaft werden. Er würde sie demütigen, sie foltern und quälen – jeden Schmerz und jede Erniedrigung, die er ihretwegen hatte erleiden müssen, würde er ihnen mit Zins und Zinseszins zurückzahlen.

Und nicht nur ihnen.

Auch auf Corwyn brannte unbändiger Hass in Loretos schmaler Brust. Und auf Alannah, seine abtrünnige Geliebte, die lieber mit einem Menschen gemeinsame Sache machte, als zu ihm zu stehen. Und natürlich auch auf all die anderen Elfen, die ihn verstoßen hatten und seinen legitimen Anspruch auf die Krone leugneten. Sollten sie ruhig nach den Fernen Gestaden reisen – wenigstens war er sie dann los und brauchte auf sie keine Rücksichten mehr zu nehmen. »Ich bin König, damit ihr es wisst!«, schrie er empor zu den dunklen Baumkronen. »Ich und niemand sonst! Ich bin der rechtmäßige Erbe Tirgas Lans!«

Kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn, seine Augen hatten einen fiebrigen Glanz angenommen. Der anstrengende Marsch und das monatelange Exil hatten Spuren hinterlassen: Wunden, die tiefer waren als jene oberflächlichen Kratzer, die die bleiche Haut des Elfen überzogen. Auch Loretos Verstand hatte Schaden genommen, und mit jedem Auflodern unbändigen Hasses, mit jedem Zornesausbruch, mit jedem keifenden Geschrei wurde der Faden dünner, der das Bewusstsein des Elfen vor dem Absturz in dunkle Tiefen bewahrte.

So war es um Loreto bestellt, als er plötzlich zu seiner Linken ein Geräusch vernahm.

Der Verstand des verstoßenen Fürsten mochte gelitten haben, seine Sinne jedoch waren durch die Zeit der Verbannung sogar geschärft worden. Schlagartig verharrte er, um mit spitzen Ohren zu lauschen.

Das Geräusch wiederholte sich – ein markiges Knacken, gefolgt von einem Schlurfen, das geradezu unheimlich klang.

Ein Waldtroll?

Trotz seines Zustands war Loreto klar, dass die Begegnung mit einem Troll das Ende seiner Rachepläne bedeuten würde. Wie so viele Male zuvor versuchte er also, sich leise davonzustehlen, aber das Knirschen und Knacken blieb dicht hinter ihm.

Bei Farawyns geistlosem Geschwätz, dachte der Elf fiebernd, was ist das? Was verfolgt mich durch das Unterholz …?

Mit hektischen Blicken versuchte er, das Dickicht zu durchdringen – vergeblich. Im schummrigen Halbdunkel war nichts zu erkennen, auch der geschärfte Elfenblick half ihm nicht. Loreto bewegte sich schneller, bahnte sich einen Weg durch Farne und Sträucher, die ihm wieder Hände und Gesicht zerkratzten. Zunächst schien ihm der Verfolger – wer oder was es auch immer war – auf den Fersen zu bleiben. Gehetzt schaute Loreto über die Schulter zurück, konnte jedoch noch immer nichts ausmachen. Dann verstummte das Geräusch, so plötzlich wie es aufgeklungen war.

»Wer oder was auch immer du bist«, zischte Loreto, »du hast Glück, dass du den Weg des Elfenkönigs nicht kreuzt. Mit einem einzigen Schlag, einem einzigen Blick könnte ich dich vernichten. Unsagbar großes Glück hast du …«

Es blieb still im Unterholz, und nachdem er noch einen Moment gewartet hatte, ging Loreto schließlich weiter. Schon bald setzte die Dämmerung ein, und durch das dichte Blätterdach drang nur noch wenig Licht. Über den Wipfeln der Bäume war ein sich blutrot verfärbender Himmel zu sehen, ein schlechtes Omen von Alters her.

»Blut wird fließen heute Nacht«, war Loreto überzeugt und kicherte albern. Dann schaute er sich nach einem Lagerplatz für die Nacht um. Baumkronen hatten sich während seiner Monate währenden Wanderung als nächtliche Ruhestätte bewährt, aber auch hohle Stämme oder felsige Überhänge, die Schutz vor Wind und Wetter boten. Zwischen einigen dicken, abgestorbenen Wurzeln fand der verstoßene Elf schließlich einen Schlafplatz – und dazu noch ein willkommenes Nachtmahl in Form halb verfaulter, von Maden durchsetzter Pilze, die er in seinem Wahn für ein königliches Festmahl hielt. Gierig schlang er sie in sich hinein, worauf ihn Übelkeit befiel. Stöhnend wollte er sich auf dem feuchten Moos zur Ruhe betten – als er erneut jenes alarmierende Knirschen vernahm, das ihn vorhin verfolgt hatte.

»Was ist da los?«, zischte Loreto und fuhr herum. »Wer erlaubt sich, die Ruhe des Königs zu stö …?«

Er verstummte mitten im Wort, als sich das Unterholz teilte und etwas daraus hervorkam, so grotesk und unbegreiflich, dass selbst Loreto in seinem Wahn begriff, dass es etwas Derartiges eigentlich nicht geben durfte.

Der verstoßene Elfenfürst verharrte, war wie versteinert, denn die abartige Kreatur ängstigte ihn geradezu zu Tode. Blutunterlaufene Augen starrten auf ihn herab, aber in ihren Blicken war eine seltsame Gleichgültigkeit – die träge Ruhe eines Wesens, das unsagbar alt war und bereits alles gesehen hatte. Womöglich durchstreifte es schon seit den Anfängen der Welt diese Wälder, nur hatte es noch niemand zu sehen bekommen, weil es sich fernhielt vom sinnlosen Streben der Sterblichen – genau wie Loreto.

Die Erkenntnis traf den verstoßenen Elfenfürsten wie der Schlag eines Zwergenhammers: So unterschiedlich er und diese Kreatur rein äußerlich auch waren – in gewisser Hinsicht waren sie einander sehr ähnlich.

Loreto hatte das Gefühl, die Kreatur zu verstehen, deren ungeheurer Körper sich aus dem Dickicht wälzte. Er spürte, dass sie etwas gemein hatten und dass es kein Zufall war, der sie an diesem Ort zu dieser Stunde zusammengeführt hatte.

Er streckte seine Hand aus, berührte die Kreatur, die vieläugig auf ihn herabstarrte …

Und im diesem Moment fühlte er den Hass!

Wie ein Sturm brandete er über ihn hinweg – Hass in einer Reinheit, wie er ihn nie zuvor verspürt hatte. Sein eigener Zorn und sein Durst nach Rache verloren sich darin wie eine einzelne Flamme in einer lodernden Feuersbrunst. Loreto hatte das Gefühl, sich aufzulösen und eins zu werden mit der abscheulichen Kreatur, und obwohl er sein Leben lang nur an sich selbst gedacht und seinem eigenen Vorteil gedient hatte, störte er sich nicht daran. Er war überzeugt, die Erfüllung gefunden zu haben, gerade so, als hätte er nach langer Fahrt das Ufer der Fernen Gestade erreicht …

In diesem Moment klappte unterhalb der starrenden Augen ein Schlund auf, mit mörderischen Zähnen versehen, der einen Elfen mit einem einzigen Zuschnappen verschlingen konnte.

In dem Augenblick, da Loreto in das weit geöffnete Maul der Kreatur blickte, riss der dünne Faden, der seinen Verstand noch über dem Abgrund des Wahnsinns gehalten hatte.

Der Elfenfürst schrie wie von Sinnen, während der dunkle Schlund auf ihn zustürzte, sich über ihn stülpte und ihn mit Haut und Haaren verschlang …

An einem anderen, weit entfernten Ort schreckte Alannah, Königin von Tirgas Lan, aus dem Schlaf.

Sie brauchte einige Augenblicke, um sich im Halbdunkel ihres Schlafgemachs zurechtzufinden. Ihr Atem ging heftig, kalter Schweiß stand ihr auf der hohen Stirn. Erst als sie neben sich die vertraute Gestalt ihres Gatten Corwyn erblickte, der tief und fest schlief und dessen Brustkorb sich in regelmäßigen Atemzügen hob und senkte, beruhigte sie sich ein wenig.

Wieder hatte sie diesen Traum gehabt, der sie schon seit einiger Zeit verfolgte und der über sie kam, Nacht für Nacht, sobald sie die Augen schloss.

Loreto …

Der Gedanke an ihren ehemaligen Geliebten, den abtrünnigen Elfenfürsten, betrübte Alannah, und sie fragte sich, was jener Traum zu bedeuten hatte. Zu lange war sie die Hüterin der Geheimnisse ihres Volkes gewesen, zu sehr wurde sie von ihren Erfahrungen geprägt, zu umfangreich war ihr Wissen um die Vergangenheit, als dass sie nicht gewusst hätte, dass Träume bisweilen mehr waren als bloßer Zufall.

Lichtfeuer im Dunkel der Geschichte – so hatte Farawyn der Seher sie einst genannt. Wenn seine Worte stimmten – so wie alles gestimmt hatte, was er niedergeschrieben hatte –, standen Erdwelt dunkle Zeiten bevor.

Alannah schaute Corwyn an, der neben ihr lag, und bedachte den König von Tirgas Lan mit einem liebevollen, fast bedauernden Blick.

Sie würde handeln müssen …

BUCH 1

KUNNART ANN OUR

(GEFAHR IM OSTEN)

1.

DA KOUN-KINISH’HAI

Langeweile.

Dies war das Wort, das ihren Zustand am treffendsten beschrieb.

Eingesperrt zwischen steinernen Wänden, schienen ihre Tage endlos zu sein, erfüllt von Fressen und Saufen, von wüsten Gelagen, die ihren Sinn vor langer Zeit verloren hatten.

Zeit …

An diesem Ort der Welt bedeutete sie nichts, plätscherte so belanglos dahin wie das Blut aus der durchschnittenen Kehle eines Gnomen.

Bisweilen, wenn sie erwachten, hatten sie das Gefühl, den Schlag ihrer Herzen nicht mehr zu hören, weil ihre Schädel vom vielen Blutbier so laut dröhnten, als würden tausend verrückte Zwerge darin auf tausend Ambosse hämmern. Sie stellten sich dann vor, dass Kuruls dunkle Grube sie längst verschlungen hätte und dass ihre Taten zu Sagen geworden wären.

Die Sache war nur – sie würden nicht in Kuruls Grube stürzen, jedenfalls vorerst nicht. Schon deshalb nicht, weil sie ihr Leben nicht mehr riskieren mussten. Ihr großes Abenteuer hatte vor mehr als zwölf Monden ein glückliches Ende gefunden, und wenn überhaupt, dann würden sie an Verfettung sterben. Oder am Blutbier, das ihre Sinne so benebelte, dass sie nicht mehr zurückfanden nach sochgal. Oder sie würden sich bei einem der ausgiebigen Gelage so überfressen, dass kein noch so breiter Gürtel mehr reichte, ihre prall gefüllten Mägen am Platzen zu hindern; dann würde es einen dumpfen Knall geben, und von Balbok und Rammar, den Häuptlingen des bolboug, würde nichts übrig bleiben als faltige, ledrige, mit Geschwüren übersäte Haut, geborstene Rippen und eine Menge matschiger Innereien.

Keine sehr erbauliche Aussicht.

Zu Beginn ihrer Regentschaft hatte es Rammar genossen, auf dem mit Wargenfell bezogenen Thron in der größten und dunkelsten Höhle des Dorfes zu sitzen, umgeben von Unmengen Gold und Edelsteinen, die sein Bruder und er »erbeutet« hatten. Ein Mensch hätte es vielleicht anders ausgedrückt und von »gestohlen« gesprochen; jedenfalls hatten sie es sich mit List und Raffinesse verdient!

Das Dasein eines Ork-Häuptlings bestand im Wesentlichen darin, Kriegstruppen auszusenden und darauf zu warten, dass sie zurückkehrten. In der Zwischenzeit war es üblich, seinen Launen freien Lauf zu lassen und sich nach Lust und Laune mit Leckereien aller Art vollzustopfen – von frisch gefüllten Blutegeln, gesottenem Gnomenfleisch und Trollgehacktem bis hin zum bru-mill, dem traditionellen Leib- und Magengericht der Orks. Dazu setzte es fassweise Blutbier, altgelagert und in großen Schädelkrügen kredenzt. Rammars ohnehin schon fetter Wanst hatte sich auf Grund dieser Lebensweise noch mehr geweitet, sodass ihm zuletzt kein Kettenhemd mehr passte und er sich mit einem Harnisch aus Leder begnügen musste, unter dem seine Leibesfülle allerdings mehr als üppig hervorquoll.

Die kleinen Schweinsäuglein in Rammars klobigem Schädel, der halslos auf seinem fetten Körper zu sitzen schien, hatten ihren listigen Glanz verloren. Ihr Blick war müde geworden, hatte sich sattgesehen am erbeuteten/gestohlenen/verdienten Gold, und Gaumen und Magen waren abgestumpft hinsichtlich der Spezereien, die die Küche der Orks hergab. Der fette Häuptling sehnte sich nach einer Abwechslung – auch wenn er das im Leben nicht zugegeben hätte.

»Was sagst du dazu, Faulhirn?«, wandte er sich an seinen Bruder. Der fläzte sich ebenfalls auf einem mit Wargenfell bezogenen Thron, der allerdings etwas niedriger war als der Rammars und auch nicht das Original, auf dem bis vor einem Jahr noch Häuptling Graishak seinen stinkenden asar platziert hatte. Aber der Umstand, dass Balbok seinen Bruder um Haupteslängen überragte, machte den Größenunterschied ihrer hoheitlichen Sitzgelegenheiten wieder wett. Balbok war außerdem nicht nur größer, sondern trotz der Völlerei der zurückliegenden Monate auch immer noch ungleich schlanker als Rammar.

»Was soll ich sagen, Rammar?«, fragte Balbok zurück, auf dessen Stirn eine verbeulte, mit Edelsteinen geschmückte goldene Krone schwankte. Sein schmales Gesicht wirkte länger als sonst, und auch in seinen Blicken spiegelte sich unverhohlen Langeweile.

»Ist das nicht ein Leben?«, sagte Rammar, seinen eigenen Zweifeln zum Trotz. »Wir sitzen den ganzen Tag auf unseren asar’hai und erteilen Befehle. Wenn wir Durst oder Hunger haben, brauchen wir nur nach Blutbier oder bru-mill zu schreien. Und wenn wir Blähungen haben, furzen und rülpsen wir munter drauflos. Was kann es Schöneres geben für einen Ork aus echtem Tod und Horn?«

»Ich weiß nicht, Rammar«, entgegnete Balbok nachdenklich. »In letzter Zeit muss ich ziemlich viel Blutbier trinken, ehe ich einen ordentlichen Rausch kriege, und der bru-mill hat auch schon mal heftiger im Rachen gebrannt. Ja, und wenn ich ganz ehrlich sein soll – das Rülpsen und Furzen hat mir früher mehr Freude gemacht.«

»Was redest du denn da?« Rammar schaute ihn verständnislos an. »Hast du den Verstand verloren, du elender umbal? Hast du dir das einzige bisschen Grips, das du hattest, weggesoffen?«

»Douk«, sagte Balbok und senkte ein wenig schuldbewusst den Blick. »Aber wenn ich dir die Wahrheit sagen soll, Rammar …«

»Nein, sollst du nicht!«, blaffte der andere. »Orks sagen nicht die Wahrheit – sie lügen und betrügen. Die Wahrheit interessiert mich einen feuchten shnorsh – erst recht, wenn sie aus deinem hässlichen Maul kommt!«

Balbok war unter jedem der scheltenden Worte seines Bruders ein wenig mehr zusammengezuckt, bis sein Kopf fast so unmittelbar auf den Schultern zu sitzen schien wie der von Rammar. Da eine gewisse Beharrlichkeit jedoch schon immer zu Balboks hervorstechendsten Eigenschaften gehörte, brachte er seinen Satz dennoch zu Ende: » … langweile ich mich ein bisschen«, gestand er leise, fast flüsternd.

»Du tust – was

»Ich langweile mich«, wiederholte Balbok, diesmal lauter und deutlicher. »Wir waren lange nicht mehr draußen, um Trolle zu jagen und Gnomen zu massakrieren.«

»Aus gutem Grund.« Rammar nickte. »Hast du vergessen, wie gefährlich so was ist? Trolle pflegen mit Orks kein Federlesens zu machen und sie mit ihren Keulen zu erschlagen. Und Gnomen schießen mit vergifteten Pfeilen und finden es spaßig, unsereins zu fressen.«

»So wie wir sie.« Balbok grinste breit. »Das macht die Sache ja so interessant.«

»Interessant?« Rammar schüttelte den Kopf. »Was soll interessant daran sein.«

»Na ja …« Balbok schob die Krone nach vorn und kratzte sich nachdenklich am spärlich behaarten Hinterkopf. »Mal fressen wir sie, mal fressen sie uns. So ist es immer gewesen.«

»Aber jetzt nicht mehr.« Rammar hob belehrend einen Krallenfinger. »Das haben wir hinter uns. Durch den Wald zu rennen und die Grünblütigen zu jagen, überlassen wir jetzt anderen. Bei all den tapferen Taten, die wir begangen haben, brauchen wir uns damit nicht mehr abzumühen.«

»Ich weiß«, seufzte Balbok.

»Schau dich nur um. Schau dir nur all das Gold und die Edelsteine an. Das Zeug ist nicht von selbst zu uns gekommen – wir haben hart dafür gekämpft. Gegen Gnomen, Trolle, Elfen, Eisbarbaren und was weiß ich noch alles. Und am Ende haben wir diesem verdammten Kopfgeldjäger und seiner Elfenfreundin sogar noch dabei geholfen, ein ganzes verdammtes Königreich zu erobern.«

»Ich weiß«, sagte Balbok noch einmal. Die Wehmut in seiner Stimme war unüberhörbar.

»Verdammt, was ist nur los mit dir?«, wetterte Rammar. »Wir brauchen uns nichts mehr zu beweisen. Triumphierend und mit einem Berg Schätze sind wir ins bolboug zurückgekehrt. Da wir den Verräter Graishak besiegt hatten, stand uns der Häuptlingsthron zu, und weil ich von Natur aus großzügig bin, habe ich zugestimmt, dass du als mein Bruder mit mir zusammen herrschen darfst.«

»Das ist so nicht ganz wahr«, widersprach Balbok. »Ich war es, der Graishak erschlagen hat, das weißt du genau.«

»Ach ja?« Rammar starrte seinen Bruder finster an und reckte das Kinn mit den Hauern angriffslustig vor. »Und wieso sitze ich dann hier, wenn es so gewesen ist, du elender umbal

»Weil ich nach unserer Rückkehr ins bolboug behauptet habe, dass wir es beide gewesen sind, deshalb«, erklärte Balbok offenherzig. »Wir haben darauf verzichtet, den Namen unseres Vorgängers anzunehmen, weil der ein stinkender Verräter war, der mit Gnomen gemeinsame Sache machte, und herrschen seitdem gemeinsam über den bolboug – das weißt du doch.«

Rammars breite Stirn schlug Falten. Ob er diesen kleinen, aber entscheidenden Unterschied tatsächlich vergessen oder bewusst unter den Tisch hatte fallen lassen, war seinem Mienenspiel nicht anzusehen. »Von mir aus«, schnaubte er. »Tatsache ist, dass wir gesiegt haben und dieses ganze Zeug nicht hier wäre«, – er deutete auf die goldenen, mit Diamanten und anderem Geschmeide gefüllten Vasen und Gefäße aus Edelmetallen, die ziemlich verbeult waren, da die beiden Brüder mit ihrem Reichtum im wahrsten Sinne des Wortes um sich zu werfen pflegten –, »wenn wir beide nicht außerordentlichen Mut und Tapferkeit bewiesen hätten.«

»Korr«, stimmte Balbok zu.

»Was sollte uns also dazu bewegen, wieder wie früher durchs Unterholz zu kriechen und unsere asar’hai auf der sinnlosen Jagd nach Gnomen zu riskieren? Das liegt unter unserer Häuptlingswürde.«

»Leider«, seufzte Balbok so leise, dass sein Bruder ihn nicht verstehen konnte.

»Unsere Aufgabe ist es, hier zu sitzen und darauf zu warten, dass die Kriegshorden zurückkehren. Wir nehmen uns von der Beute, was uns gefällt, und wenn es einen der Anführer erwischt hat, dann schrumpfen wir seinen Kopf zu Kuruls Ehren. Das ist alles.«

»Ich weiß.« Balbok seufzte erneut.

»Weißt du nicht mehr? Es hat eine Zeit gegeben, da konnten wir nur davon träumen, in dieser Höhle zu sitzen und von früh bis spät zu saufen und zu fressen – und nun, da all das für uns Wirklichkeit geworden ist, werde ich es mir von dir gewiss nicht mies machen lassen, du elender umbal!« Rammar war aufgebracht … nein, geradezu wütend darüber, dass sein Bruder auszusprechen wagte, was er selbst sich zu denken verboten hatte. Er blickte sich in der Höhle um und beschwerte sich: »Verdammt, warum ist es hier so still? Wo ist der Barde? Sofort den Sänger her, oder ich verfalle augenblicklich in saobh

Ob es Rammars Autorität war oder die Befürchtung, er könnte tatsächlich in jenen berüchtigten Zustand der Raserei verfallen, aus dem ein Ork für gewöhnlich nur dann herausfand, wenn er entweder selbst ums Leben kam oder jemanden erschlug – jedenfalls eilte einer der faihok’hai, der besten und stärksten Krieger des Stammes, die die Leibgarde der Häuptlinge stellten, herbei, lauschte dem Wunsch Rammars, verbeugte sich beflissen und verschwand wieder, und tatsächlich tauchte kurz darauf ein ziemlich zerlumpt aussehender Ork in der Höhle auf, dessen haarloser Schädel von zahlreichen Blessuren übersät war und der in seinen Händen eine goldene Leier hielt.

»Da bist du ja«, knurrte Rammar übellaunig. »Los, spiel etwas, um mich zu erheitern. Stimme den Ruhmesgesang von Rammar dem Rasenden an – sofort!«

»K-korr«, bestätigte der Ork-Barde eingeschüchtert, und schon im nächsten Moment begann er, das Instrument zu bearbeiten, das allerdings nicht für die Klauen eines Orks, sondern für die filigranen Hände eines Elfen gefertigt war. Und da der »Barde« auch nicht unbedingt viel von Musik verstand – Rammar hatte ihn in Ermangelung eines echten Sängers kurzerhand dazu ernannt –, waren die Töne, die er der Leier entlockte, entsprechend schräg. Zum ungezählten Mal trug er krächzend das Lied vor, das von den großen Taten Rammars kündete und das dieser selbst verfasst hatte – in fortgeschrittenem Blutbierrausch …

Tief in der Modermark, da lebt ein Krieger tapfer und groß.

Rammar ist sein Name, der Rasende wird er genannt.

Gefürchtet wird er von Gnomen und von Trollen,

von Menschen, Elfen und auch von Zwergen.

Rot ist sein Speer vom Blut der Feinde

oder schwarz oder grün, je nachdem.

Tapfer kämpfte er gegen die Gnomen,

als diese das Haupt von Girgas raubten.

Rammar und sein Bruder, Balbok der Brutale,

folgten den Grünblütigen bis zu ihrer Festung,

wo sie Rurak den Zauberer trafen, den geifernden,

der ihnen …

Der Barde brach jäh ab, als eine goldene Vase quer durch die Höhle flog und ihn am Schädel traf. Die Edelsteine, mit denen sie gefüllt gewesen war, spritzten nach allen Seiten davon, der Ork ließ die Leier sinken, taumelte zurück und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten.

»Wie oft muss ich dir noch sagen, dass ich diese Zeile geändert habe?«, fauchte Rammar, der die Vase geworfen hatte. »Es muss heißen ›den geifernden, den stinkenden, den verschlagenen‹. Alles andere wäre viel zu gut für dieses Stinkmaul von einem Zauberer. Hast du das endlich kapiert?«

»J-ja, großer Rammar«, antwortete der »Barde«, der sich bemühte, Haltung zu bewahren. Er hob die Leier, nahm erneut Aufstellung und setzte seine Darbietung fort.

 … wo sie Rurak den Zauberer trafen,

den geifernden, den stinkenden, den verschlagenen,

der ihnen einen Handel vorschlug:

zu tauschen die Karte von Shakara

gegen den Schädel von Girgas.

Unerschrocken brach Rammar auf,

kämpfte siegreich gegen Ghule und Barbaren

und durchquerte Torgas Eingeweide.

Im ewigen Eis traf er auf Elfen und musste erfahren,

dass Rurak, der geifernde, der stinkende, der verschlagene,

ihn hereingelegt hatte und es die Karte von Shakara

gar nicht wirklich gab, sondern dass …

Erneut wurde der Sänger in seinem Vortrag gestört – diesmal allerdings nicht von Rammar, sondern von dem Tumult, der plötzlich draußen vor der Häuptlingshöhle losbrach.

Aufgeregtes Geschrei war zu hören, Flüche und wüste Beschimpfungen, dazu noch das angriffslustige Gebrüll der faihok’hai. Etwas musste passiert sein …

»Was ist da los?«, rief Rammar verärgert und wollte sich wütend erheben – seine immense Leibesfülle allerdings hielt seinen asar auf dem Thron, als wäre er dort festgewachsen. »Wer wagt es, den Gesang meines Barden zu stören? Haben diese verdammten umbal’hai denn gar keinen Sinn für Kunst?«

Die Antwort gab einer der Leibwächter, der aufgeregt in die Höhle gelaufen kam. »Große Häuptlinge«, sagte er und verbeugte sich, »es gibt Neuigkeiten.«

»Welcher Art?«, verlangte Rammar zu wissen.

»Kursa und sein Kriegstrupp sind zurückgekehrt. Sie haben einen Gefangenen bei sich.«

»Einen Gefangenen?« Rammar hob die Brauen. »Seit wann machen Orks Gefangene?«

»Was ist es denn?«, erkundigte sich Balbok, dem die Abwechslung gefiel. »Ein Gnom? Ein Troll?«

»Ein Mensch«, erwiderte der Wächter, was beide ziemlich überraschte – denn dass sich ein achgosh-bonn, ein Milchgesicht, in die Modermark verirrte, kam in letzter Zeit nur noch sehr selten vor. Zu selten für Balboks Geschmack, der Menschenfleisch für eine wahre Delikatesse hielt.

Rammar teilte diese Leidenschaft nicht. Anders als die meisten Orks konnte er Menschenfleisch nichts abgewinnen – er verabscheute es sogar. Doch das war ein Geheimnis der beiden Brüder, das niemand anderen etwas anging. Schließlich wollte Rammar nicht, dass man ihn hinter seinem Rücken als lus-irk, als Gemüsefresser, verspottete …

»Bringt den Menschen rein!«, verlangte er mit herrischer Stimme, und der faihok verschwand augenblicklich, um den Befehl auszuführen.

»Ist das nicht aufregend?«, fragte Balbok und rutschte erwartungsvoll auf seinem Thron hin und her. »Endlich ist mal wieder was los im bolboug

Rammar schüttelte missmutig das Haupt. »Das Auftauchen eines Milchgesichts in der Modermark hat noch selten etwas Gutes bedeutet.«

Balboks einfältige Züge dehnten sich zu einem breiten Grinsen. »Genau das meine ich …«

2.

SGOL’HAI UR’KURSOSH

Der Mensch, den Kursas Kriegstrupp aufgegriffen hatte, sah ziemlich lädiert aus.

Kursa und seine Leute waren anscheinend nicht gerade sanft mit ihm umgesprungen. Seine Kleidung hing in Fetzen, ebenso wie der Umhang, den er um die Schultern trug. Seine Hände hatte man ihm auf den Rücken gefesselt, und er war geknebelt. Sein Gesicht war blutig und verschwollen, und da auch der Knebel voller Blut war, war anzunehmen, dass ihm auch der ein oder andere Zahn ausgeschlagen worden war; offenbar hatte er mächtig Prügel bezogen. Aber selbst in unversehrtem Zustand wäre seine Visage an Hässlichkeit kaum zu übertreffen gewesen. Rammar hatte ganz vergessen, wie abscheulich diese Milchgesichter aussahen, und ihm graute, als er in das bärtige bleiche Gesicht mit den blauen Augen schaute.

»Wo hast du ihn aufgegriffen, Kursa?«, wollte er vom Anführer des Kriegstrupps wissen, der die Beute persönlich in die Häuptlingshöhle geschleppt (oder vielmehr getreten) hatte, begleitet von einigen faihok’hai, Kriegern der Leibgarde der beiden Häuptlinge, die nun abwartend im Hintergrund standen und aufpassten.

»An den westlichen Hängen des Schwarzgebirges«, antwortete Kursa; er war ein kräftiger Ork mit graugrüner Haut, dessen Eckzähne weit vorstanden.

»So wie der achgosh-bonn aussieht, hattet ihr nicht viel Mühe mit ihm«, stellte Rammar fest, der den Menschen gelangweilt musterte. »Der Kerl ist ja ganz dürr und völlig abgemagert.«

»Es scheint, als habe er sich schon länger im Gebirge herumgetrieben.« Kursa lachte rau. »Hat wohl den Verstand verloren.«

»Was bringt dich darauf?«

»Nun, als er uns sah, schien er sich darüber zu freuen. Er faselte davon, dass er uns gesucht habe.«

»So? Und was hast du daraufhin getan?«

»Was für eine Frage, Häuptling – ich hab ihm eins aufs Maul gehauen.« Erneut lachte Kursa, und Balbok fiel in sein Gelächter ein.

Anders als Rammar, den eine dunkle Ahnung beschlich. »Was hat der Mensch dann gesagt?«

»Nichts mehr«, antwortete Kursa. »Wir haben ihn gefesselt und ihm einen Knebel in die Schnauze gestopft. Dann haben wir ihn geradewegs ins bolboug gebracht.«

»Geradewegs?«

»Na ja – der Kerl hatte ein Pferd, und das haben wir zuvor noch gefressen. Schließlich ist es ja verboten, sich an Menschen zu vergreifen und sie …«

»Es ist verboten?« Eine Mischung aus Unglauben und Entsetzen schwang in Balboks Worten mit. »Seit wann?«

»Seit ich es befohlen habe«, antwortete Rammar unwirsch. »Diese Milchgesichter verbreiten einen fürchterlichen Gestank, wenn sie gekocht werden. Außerdem wird der Geschmack von Menschenfleisch weit überschätzt.«

»Das ist ungerecht«, ereiferte sich Balbok. »Nur weil du kein Menschenfleisch …«

»Kriok!«, fuhr Rammar ihn an. »Ich will nichts mehr hören. Holt den Folterknecht, dann werden wir das Milchgesicht aufs Rad flechten und einer hübschen Befragung unterziehen. Wollen doch sehen, ob er uns nicht verrät, was er …«

Er unterbrach sich, als der Gefangene plötzlich hektische Laute ausstieß, die durch den Knebel allerdings völlig unverständlich waren.

»Was hat er?«, wollte Rammar wissen.

»Ich glaube, er will freiwillig reden«, antwortete Kursa.

»Wie schade.« Rammars Mundwinkel fielen enttäuscht nach unten. »Von mir aus, dann lass ihn reden, Kursa. Aber mach rasch, verdammt. Oder soll ich dich an seiner Stelle foltern lassen?«

Dieses Angebot begeisterte Kursa ganz und gar nicht, und so war der Gefangene im Nu von dem Fetzen befreit, den ihm seine Häscher in den Schlund gestopft hatten. Kaum war der Knebel entfernt, stellten Rammar und Balbok zu ihrer Überraschung fest, dass der Mensch fließend Orkisch sprach, wenn auch mit unverkennbar menschischem Akzent.

»Achgosh douk!«, entbot er ihnen seinen Gruß, wie es sich unter Orks gehörte.

»Achgosh douk kudashd«, erwiderte Rammar, um in der Menschensprache fortzufahren: »Auch ich mag deine Visage nicht, Milchgesicht, das kannst du mir glauben.«

»Seid Ihr Rammar der Rasende?«, erkundigte sich der Mensch zur erneuten Verblüffung des dicken Häuptlings.

Rammar nickte. »Der bin ich.«

»Dann müsst Ihr Balbok sein«, folgerte der Mensch und schaute den Hageren an. »Balbok der Brutale, der Große, der Tapfere, dessen Namen man auch bei uns Menschen mit Respekt und Hochachtung …«

»Balbok reicht völlig«, schnaubte Rammar genervt. »Was soll das Theater? Wer bist du, Mensch? Wieso sprichst du unsere Sprache? Und woher kennst du unsere Namen?«

»Jeder Mensch im Königreich kennt Eure Namen, großer Rammar.«

»In welchem Königreich?«

»Im Reich von Tirgas Lan natürlich, großer Rammar«, antwortete der Bote, als wäre dies das Selbstverständlichste der Welt. Schlimmer noch, er schien nicht mal Angst vor den Orks zu haben. »Das Reich von König Corwyn, das aus den Klauen des Bösen zu befreien Ihr geholfen habt.«

Corwyn!

Bei der Erwähnung dieses Namens verschluckte sich Rammar an seinem eigenen Geifer. Er hustete, dass es sich anhörte, als wollte der bru-mill, den er zum Frühstück verschlungen hatte, wieder zu seinem kurzen Hals hinaus. Balbok reagierte weniger heftig, aber auch bei ihm weckte die Nennung des Namens allerhand Erinnerungen. Erinnerungen an eine Zeit, die undenklich lang zurückzuliegen schien – und an ein großes Abenteuer.

Nicht nur, dass Corwyn ein Mensch war, er war damals auch Kopfgeldjäger gewesen, ein übler Bursche, der im Scharfgebirge Orks gejagt hatte. Nur tote Orks waren in seinen Augen gute Orks gewesen – bis zu jenem Tag, an dem er Balbok und Rammar begegnet war.

Corwyn hatte ihnen aufgelauert und sie um ihre Beute gebracht: die Elfenpriesterin Alannah. Das hatten ihm die Orks übel vermerkt. Dass sich die Elfenkrone am Ende ausgerechnet auf seinen Dickschädel niederlassen würde, hatte zu diesem Zeitpunkt ja noch niemand ahnen können. Um einen gemeinsamen, noch bedrohlicheren Feind zu bekämpfen, hatten sich die Orks und Corwyn verbündet – allerdings war dieses Bündnis in jenem Augenblick erloschen, als Balbok und Rammar die königliche Schatzkammer geplündert hatten und aus Tirgas Lan getürmt waren.

Jedenfalls hatten sie bisher gedacht, dass das Bündnis nicht mehr existierte.

Anders als Corwyn, wie es schien …

»Mein König hat mich zu Euch gesandt«, fuhr der Mensch fort. »Lange bin ich durch die Schluchten des Schwarzgebirges geirrt auf der Suche nach Eurem bolboug. Es zu finden, war nicht einfach.«

»Das wundert mich nicht«, bemerkte Rammar trocken – alle Orks pflegten ihr Heimatdorf als bolboug zu bezeichnen, insofern machte es wenig Sinn, nach dem Weg zu fragen. Ganz abgesehen davon, dass Auskunft suchende Reisende bei den Orks im Kessel zu landen pflegten …

»Umso glücklicher bin ich, Euch endlich gefunden zu haben«, verkündete der Bote.

Nun wurde es auch Balbok zu bunt – eine schlimmere Beleidigung konnte es aus dem Mund eines Menschen kaum geben. Empört fragte er: »Du bist glücklich, uns gefunden zu haben?«

»Wohl wahr, denn nun kann ich endlich meinen Auftrag erfüllen und Euch die Nachricht überbringen, die mir mein Herr und König für Euch mitgegeben hat.« Der Bote brachte trotz seiner malträtierten Visage ein Lächeln zustande, und nun sah man, dass ihm tatsächlich zwei Vorderzähne fehlten.

»Ich will aber nichts hören!«, rief Rammar so laut und aufgebracht, dass sogar die faihok’hai zusammenzuckten, die Kursa und den Menschen in die Häuptlingshöhle gebracht hatten. Ob er nun Kopfgeldjäger war oder König – dieser Mensch namens Corwyn bedeutete nichts als Ärger. Rammar hatte keine Lust, seinetwegen erneut in Schwierigkeiten zu geraten, und er hatte das untrügliche Gefühl, dass sein beschauliches Leben ein jähes Ende finden würde, sobald der Bote Corwyns Botschaft vortrug.

»Stopft ihm das Maul, am besten mit einer Zwiebel!«, wies er seine Leibgarde daher an. »Anschließend steckt ihn in einen Kessel und lasst ihn zu Kuruls Ehren als Hauptgang zubereiten.«

»Aber Rammar!« Balbok war sichtlich verwirrt. »Du selbst hast doch gesagt, dass wir kein Menschenfleisch mehr zubereiten dürfen.«

»Aber jetzt sage ich etwas anderes«, schnauzte Rammar ihn an. »Was ist schon dabei? Ein Häuptling wird seine Meinung doch mal ändern dürfen, oder nicht? Also heizt gefälligst den Kessel an und stopft den dämlichen Menschen hinein!«

»Mmh … einverstanden«, meinte Balbok, der sich in Erwartung des bevorstehenden Festfressens schon die Klauen rieb. »Bis es so weit ist, kann er uns ja noch sagen, was Corwyn von uns will.«

»Nein!«, ächzte Rammar entsetzt – aber es war schon zu spät, denn auf ein Nicken Balboks hin begann der Bote erneut zu sprechen.

»Mein Herr und meine Herrin, König Corwyn und Königin Alannah von Tirgas Lan, entbieten Euch ihren Gruß. Sie hoffen, dass es Euch im zurückliegenden Jahr wohl ergangen ist und Ihr Euch erfreuen konntet an den Schätzen, die Euch überlassen wurden …«

»Die uns überlassen wurden?« Rammar glaubte, ihn nicht richtig verstanden zu haben. Vielleicht war sein Menschlich doch nicht so gut, wie er dachte. »Wir haben die Schätze geraubt, dass das klar ist! So wie es sich für richtige Orks gehört!«

»Wie Ihr meint.« Der Bote verbeugte sich ehrfürchtig, bevor er fortfuhr. »Der König und die Königin hoffen jedenfalls, dass der Transport des Schatzes auf dem goldenen Streitwagen nicht zu beschwerlich war – gern hätten sie Euch geeignetere Transportmittel zur Verfügung gestellt, aber Ihr habt Tirgas Lan seinerzeit sehr überstürzt verlassen …«

»Die wissen von der Sache mit dem Streitwagen?« Balbok sandte seinem Bruder einen verblüfften Blick, dann schauten beide hinüber zur anderen Seite der Höhle, wo der gestohlene Wagen stand, auf dem sie damals das Gold ins bolboug gebracht hatten. Da Rammar sich bisweilen von den faihok’hai damit durchs Dorf ziehen ließ, hatten Achse und Räder ein wenig gelitten …

»Jedoch«, sprach der Bote weiter, »sind die Zeiten in Tirgas Lan nicht so glücklich, wie sie es sein sollten. Zwar hat König Corwyn die Nachfolge der Elfenkönige angetreten, jedoch weigern sich einige Machthaber beharrlich, seinen Herrschaftsanspruch anzuerkennen.«

»Sag bloß«, brummte Rammar.

»Der Elfenrat von Tirgas Dun hat die Rechtmäßigkeit seiner Regentschaft bestätigt, worauf sich nicht nur die Zwergenfürsten, sondern auch die von Menschen bewohnten Städte Sundaril und Andaril dem neuen König unterwarfen. Im Osten jedoch, wo die Reiche der Menschen liegen, gibt es Potentaten, die König Corwyn nicht als ihren Herrn anerkennen wollen und gar zum Krieg gegen Tirgas Lan rüsten.«

»Ist ja interessant«, sagte Rammar gelangweilt und gähnte herzhaft. »Aber warum erzählst du uns das alles? Was geht uns das an?«

»König Corwyn und Königin Alannah sandten mich zu Euch, um Eure Hilfe im Kampf gegen die Feinde Tirgas Lans zu erbitten.«

»Was?« Rammar starrte den königlichen Boten erstaunt an. »Ich höre wohl nicht recht.« Er schüttelte heftig das Haupt. »Was bildet sich dieser einäugige Bastard ein?«

»König Corwyn weiß, dass Ihr keine sehr hohe Meinung von ihm habt«, räumte der Bote ein. »Aber er erinnert Euch daran, dass er Euch das Leben schenkte und …«

»Und was?«, rief Rammar erzürnt. »Auch wir haben ihm den Hals gerettet. Damit sind wir quitt.«

» … und dass Ihr und er Verbündete wart im Kampf gegen den finsteren Margok«, fuhr der Bote fort. »Sich auf dieses alte Bündnis berufend, bittet der König von Tirgas Lan um Eure Unterstützung. Das ist eine große Ehre für Euch.«

»Mir kommen die Tränen«, knurrte Rammar.

Balbok hingegen schien wirklich beeindruckt. »Mein böser Ork«, meinte er. »Ist das nicht nett von Corwyn? Statt den Kampf gegen seine Feinde allein zu führen und all den Ruhm und die Beute selber einzusacken, denkt er an seine alten karal’hai

»Was ist los mit dir? Hast du den Verstand verloren?«, maulte Rammar. »Menschen und Orks sind keine Freunde, noch nie gewesen. Und dieser elende Corwyn ruft uns nicht deshalb zu Hilfe, weil er uns einen Gefallen tun will, sondern weil er uns braucht!«

»Ist doch egal.« Balbok grinste breit. »Zumindest werden wir Gelegenheit bekommen, unsere saparak’hai mal wieder in Blut zu tauchen. Und da es gegen Menschen geht, wird es auch mehr als genug zu essen geben und …«

»Du und dein Magen!«, unterbrach ihn Rammar. »Könntest du zur Abwechslung auch mal mit einem anderen Körperteil denken? Mit deinem Hirn zum Beispiel? Nenn mir einen guten Grund, weshalb wir dem Hilferuf dieses elenden Tunichtguts folgen sollten. Hast du vergessen, wie viel Ärger er uns eingebrockt hat?«

»Korr, eine Menge Ärger«, stimmte Balbok zu, »aber auch eine Menge Beute – und einen Haufen Spaß. Weißt du nicht mehr, wie wir gegen den Dragnadh kämpften?«

»Und ob«, versicherte Rammar verdrießlich – in seiner Erinnerung allerdings war die Konfrontation mit dem untoten Drachen keineswegs spaßig gewesen; sein Bruder und er wären dabei immerhin fast draufgegangen. Andererseits hatte Balbok nicht unrecht – immer nur im bolboug zu sitzen und von früh bis spät zu fressen und zu saufen wurde auf längere Sicht ein wenig eintönig. Aber Rammar war nicht der Typ Ork, der sich zu irgendetwas drängen ließ, weder von einem hergelaufenen Menschen noch von seinem depperten Bruder …

»Lass uns nach Tirgas Lan gehen!«, rief Balbok begeistert. »Das wird großartig! Wir treten als Söldner in Corwyns Dienste, hauen seinen Feinden eins aufs Maul und sind schon bald wieder zurück, mit jeder Menge Beute und genug Menschenfleisch, um sämtliche Vorratshöhlen damit zu füllen!«

»Und was habe ich davon?«, fragte Rammar.

»Vielleicht«, machte der Bote sich vorsichtig bemerkbar, »sollte ich die Botschaft erst zu Ende bringen …«

»Das war noch nicht alles?« Rammar hob eine seiner borstigen Brauen.

»Nicht ganz. Im Gegenzug für Eure Hilfe garantiert König Corwyn, die Grenzen der Modermark anzuerkennen und diese auf ewig festzulegen.«

»Was bedeutet das?«, wollte Balbok wissen.

»Das bedeutet, dass Tirgas Lan den Fluss und das Schwarzgebirge als seine westliche Grenze anerkennt«, führte der Bote aus. »Die Orks brauchen also niemals zu fürchten, dass König Corwyn zum Krieg gegen sie rüstet, solange sie in der Modermark bleiben.«

»Das garantiert uns Corwyn also?« Rammar schnaubte. »Ist das nicht großzügig von Seiner Majestät, Balbok? Als Gegenleistung dafür, dass wir für ihn den asar riskieren, schenkt uns dieser Halsabschneider das Gebiet, das uns ohnehin schon gehört!«

»Mein böser Ork«, staunte Balbok.

»Weißt du was, Bote? Du kannst zurückkehren zu deinem König und ihm sagen, dass er sich seine Garantien sonst wo hin stecken kann. Aber vorher werden wir dich noch um einige deiner Gliedmaßen erleichtern. Zum Reden brauchst du sicherlich keine Arme und Beine.«

»Königin Alannah hat vorausgesehen, dass Ihr so reagieren würdet«, entgegnete der Bote unbeeindruckt. »Sie lässt Euch daher Folgendes ausrichten: Nie zuvor ist Menschen durch Orks eine größere Wohltat widerfahren als durch Euch, die Ihr geholfen habt, Tirgas Lan vom Bösen zu befreien. Auch eine noch so grässliche Bluttat wird den Ruhm, den Ihr Euch dadurch bei den Menschen erworben habt, nicht schmälern können.«

»Das lässt die Königin uns sagen?«, blaffte Rammar erbost.

»Wort für Wort.«

»Verdammt noch mal! Bei Kuruls Flamme! Bei Torgas stinkenden Eingeweiden und Girgas’ verschwundenem Schädel! Das ist doch die Höhe! So eine Unverschämtheit!«

»Wieso?«, fragte Balbok.

»Närrischer umbal, begreifst du denn nicht, was dieses elende Weibsstück uns damit zu verstehen gibt?«

»Äh …« Balbok überlegte kurz. »Nein«, gestand er dann.

»Indem wir ihr und Corwyn geholfen haben, haben wir unseren schlechten Ruf verspielt. Diese elenden Menschen denken jetzt, sie hätten es mit einer Horde netter Orks zu tun. Wissen sie denn nicht, dass wir die wildesten, grässlichsten und blutrünstigsten Kreaturen von ganz Erdwelt sind?« Um seine Worte zu unterstreichen, fletschte er die Zähne und verfiel in Furcht erregendes Gebrüll.

»Genau«, stimmte Balbok zu und ließ ein markiges Knurren vernehmen.

»Das können wir nicht auf uns sitzen lassen. Wir werden nach Tirgas Lan gehen und diesem Schnösel auf dem Thron sagen, was wir von ihm halten!«, verkündete Rammar wütend und völlig außer sich. »Dann werden wir ihm zum Schein helfen, und wenn er es am wenigsten erwartet, werden wir uns gegen ihn wenden und ihm zeigen, wozu Orks aus echtem Tod und Horn fähig sind. Auf diese Weise werden wir unseren schlechten Ruf wiederherstellen, und auch ohne die großzügige Garantie des Königs wird es keinem Menschen mehr einfallen, seine neugierige Nase über den Grat des Schwarzgebirges zu stecken. Hast du kapiert, was ich meine?«