Victoria Holt
Die Braut von Pendorric
Ein Cornwall-Roman
Aus dem Englischen von Nora H. Wohlmuth
FISCHER E-Books
Victoria Holt wurde in London als Tochter eines literaturbegeisterten Kaufmanns geboren. Da mehr Bücher als Geld im Hause waren, begann sie früh zu lesen und bald auch selbst zu schreiben – anfangs Kurzgeschichten, später zahlreiche Romane, die Bestseller wurden und sie zu einer international berühmten Autorin machten.
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Die junge Malerstochter Favel verläßt die Sonneninsel Capri, um ihrem Gatten auf dessen Landsitz in der sagenumwobenen Moorlandschaft Cornwalls zu folgen. Der Familienwohnsitz, ein verwunschenes Schloß, hat eine besondere Anziehung auf Favel, obwohl es heißt, daß alle jungen Frauen, die dorthin kommen, eines geheimnisvollen Todes sterben. Favel ist eine tapfere junge Frau, und sie glaubt nicht an Spukgeschichten.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2020 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: Cornelia Niere, München unter Verwendung von Motiven von
Mauritius Images, Getty Images und Shutterstock
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-491206-6
Ich habe mich später in Pendorric oft gewundert, wie schnell und nachhaltig sich ein Leben ändern kann. Ich hatte einmal gehört, daß man das Leben mit einem Kaleidoskop vergleichen kann, und so erschien es mir; zuerst war es eine freundliche Szene voller Friede und Eintracht, bis sich dann plötzlich das Muster zu ändern begann, einmal hier, dann dort, bis schließlich das Bild, das sich mir bot, nicht mehr ruhig und voller Friede, sondern mit Drohungen angefüllt war. Ich hatte einen Mann geheiratet, der mir als das erstrebenswerteste Beispiel eines Ehemannes erschien – besorgt, liebevoll, mir leidenschaftlich ergeben, und plötzlich war es, als hätte ich einen Fremden geheiratet.
Ich sah Roc Pendorric zum erstenmal, als ich eines Morgens vom Strand heraufkam und er bei meinem Vater im Atelier saß. Er hielt eine Terracotta-Figur in den Händen, für die ich als schmächtiges Kind von sieben Jahren Modell gesessen hatte. Ich erinnerte mich noch daran, daß mein Vater sie vor mehr als elf Jahren angefertigt hatte. Er bemerkte stets dazu, sie sei unverkäuflich. Die Jalousien waren noch nicht heruntergelassen und die beiden Männer wirkten in dem hellen Sonnenlicht außerordentlich gegensätzlich: mein Vater so blond, der Fremde so dunkel. Auf der Insel wurde mein Vater oft ‹Angelo› genannt, wegen seiner blonden Haare, seiner weißen Haut und wegen seines arglosen Gesichtsausdrucks, denn er war ein weichherziger, nachgiebiger Charakter. Vielleicht lag es einfach daran, – so stellte ich es mir jedenfalls vor – daß seinen Gesprächspartner etwas Saturnisches umgab. «Ach, da kommt meine Tochter Favel ja», sagte mein Vater, als hätten sie gerade von mir gesprochen.
Sie standen beide auf. Der Fremde überragte meinen Vater, der nur mittelgroß war. Er nahm meine Hand und seine mandelförmigen, dunklen Augen sahen mich forschend und mit leicht abschätzender Intensität an. Er war mager, was seine Größe noch hervorhob, und sein Haar war fast schwarz. In seinen beweglichen Augen lag ein Ausdruck, als entdeckte er etwas, was ihn belustigte, und es kam mir so vor, als wäre diese Belustigung nicht ohne eine Spur von Mutwillen. Er hatte ganz spitze Ohren, was ihm das Aussehen eines Satyrs gab, und sein Gesicht war voller Gegensätze. Um seine vollen Lippen spielte etwas, was ebenso Güte wie Sinnlichkeit sein konnte, und sein festes, energisches Kinn ließ keinen Zweifel zu über seine Festigkeit und Härte. Die lange, gerade Nase verriet Arroganz, und das Zwinkern seiner lebhaften Augen zeugte von Humor, hatte aber zweifellos darin auch eine Andeutung von Mißtrauen. Ich kam später zu dem Schluß, daß ich von ihm deshalb so fasziniert war, weil man bei ihm nicht wußte, woran man war. Und es nahm eine lange Zeit in Anspruch zu entdecken, was er eigentlich wirklich für ein Mensch war. Jetzt im Augenblick jedenfalls wünschte ich, ich hätte mich umgezogen, ehe ich hereingekommen war.
«Mr. Pendorric hat sich im Atelier etwas umgeschaut», sagte mein Vater, «und hat das Aquarell ‹Bucht von Neapel› gekauft.»
«Oh, das freut mich», antwortete ich, «das ist sehr schön.» Er hielt eine kleine Statue hoch und sagte: «Die ist es auch.»
«Ich glaube nicht, daß sie zu verkaufen ist», erklärte ich ihm.
«Natürlich, sie ist viel zu wertvoll», antwortete er darauf.
Er schien mich mit der Figur zu vergleichen. Sicherlich hatte Vater ihm erzählt, wie er es jedem erzählte, der die Figur bewunderte, ‹das ist meine Tochter als sie sieben war.› »Immerhin», fuhr er dann fort, «habe ich den Künstler zum Verkauf zu überreden versucht. Schließlich besitzt er ja das Original.»
Vater lachte etwas gezwungen, wie er es vor Besuchern, die gern bereit waren, Geld auszugeben, immer tat. Vater war stets glücklicher, wenn er ein Stück in Arbeit hatte, als wenn er es verkaufen konnte. Als Mutter noch lebte, lag der Verkauf in ihren Händen. Aber seit ich die Schule hinter mich gebracht hatte, was erst einige Monate zurücklag, hatte ich es übernommen. Vater würde seine Arbeiten jedem geben, von dem er annahm, er würde sie schätzen, und er brauchte eine in dieser Beziehung strenge Frau, die nach dem Geschäft sah. Deshalb waren wir auch nach Mutters Tod sehr arm geworden. Ich schmeichelte mir, daß es uns, seitdem ich wieder zu Haus war, langsam besser ging.
«Favel, bringst du uns etwas zu trinken?» fragte mein Vater.
Ich sagte, sehr gern, aber sie müßten ein bißchen warten, bis ich mich umgezogen hätte, und dann ließ ich sie allein, während ich in mein Schlafzimmer ging, das wie das meines Vaters auch ins Atelier führte. In ein paar Minuten hatte ich ein blaues Leinenkleid angezogen und ging dann in unsere winzige Küche, um nach den Getränken zu sehen. Als ich ins Atelier zurückkam, zeigte Vater dem Fremden gerade eine Venus aus Bronze, eines der teuersten Stücke.
Wenn er die kauft, dachte ich, kann ich ein paar Rechnungen bezahlen, bevor Vater das Geld beim Kartenspiel oder beim Roulett vertat. Über die Bronzestatue hinweg sah mich Roc Pendorric an, und ich merkte, daß es ihn belustigte, aus meinem Gesicht ablesen zu können, wie sehr ich darauf brannte, daß er sie kaufte. Aber er stellte die Figur wieder hin, als ob er sich nicht weiter dafür interessiere, seit ich wieder im Zimmer war, und ich war sehr ärgerlich, daß ich die beiden Männer gestört hatte. Und wieder fing ich dieses Augenzwinkern auf und überlegte, ob er es wohl darauf angelegt hatte, daß ich mich ärgerte.
Er sprach dann über die Insel. Er wäre erst gestern angekommen und hätte weder die Villa des Tiberius noch San Michele besucht. Aber er hätte von Angelos Atelier gehört und einiges von den wundervollen Kunstwerken, die man dort erwerben könnte. Und so wäre das sein erster Ausflug gewesen.
Vater wurde vor Freude rot, aber ich war nicht ganz sicher, ob ich ihm glauben sollte oder nicht. «Und als ich hierher kam, fand ich heraus, daß Angelo Mr. Frederic Farington hieß, dessen Muttersprache Englisch ist, und das freute mich noch mehr. Mein Italienisch ist erschreckend, und diese Prahlereien von ‹english spoken› sind hier oft … nun eben nichts als Prahlereien. Bitte, Miss Farington, sagen Sie mir, was ich mir ansehen muß, solange ich hier bin.»
Ich erzählte ihm von den Villen, den Grotten und den anderen bekannten Inselattraktioncn. «Aber», fügte ich hinzu, «jedesmal, wenn ich von England zurückkam, fand ich, daß die Landschaft und das Blau der See die eigentlichen Sehenswürdigkeiten dieser Insel sind.»
«Es müßte hübsch sein, eine Begleitung zu haben, die an meinen Ausflügen teilnimmt», sagte er.
«Sind Sie allein unterwegs?» fragte ich.
«Ganz allein.»
«Es gibt so viele Besucher auf der Insel», tröstete ich ihn. «Sicherlich finden Sie jemanden, der Sie begleitet.»
«Natürlich muß man den richtigen Partner finden … jemanden, der die Insel wirklich kennt.»
«Nun, die Fremdenführer hier kennen sie gut.»
Er zwinkerte mir zu. «Ich habe nicht an einen Fremdenführer gedacht.»
«Die wenigen Einheimischen haben zu viel zu tun.»
«Ich werde schon finden, was ich suche», versicherte er mir, und davon war ich überzeugt. Er wandte sich wieder der Bronze-Venus zu und drehte sie hin und her.
«Die Figur reizt Sie …» kommentierte ich.
Er drehte sich um und sah mich genauso intensiv an wie er sich zuvor die Bronze-Statuette besehen hatte. «Ich bin außerordentlich angetan davon», sagte er. «Ich kann mich aber einfach nicht entschließen. Darf ich später einmal wiederkommen?» «Aber natürlich!» riefen Vater und ich wie aus einem Munde.
Er kam wieder. Er kam ziemlich oft wieder. In meiner Ahnungslosigkeit dachte ich zuerst, daß er sich nicht entschließen könne, ob er die Bronze-Venus kaufen sollte oder nicht. Und dann meinte ich, es sei vielleicht das Atelier, das ihn anzöge mit seinem Lokalkolorit, das so ganz anders war, als der Ort, von welchem er herkam. Man durfte nicht erwarten, daß die Leute jedesmal etwas kauften, wenn sie zu uns kamen. Es war ein typisches Merkmal unseres Ateliers und anderer ähnlicher Künstlerklausen, daß die eute im Vorbeigehen zu einer kleinen Plauderei oder einem Drink hereinkamen und sich dann gleichzeitig umsahen und etwas kauften, falls es ihnen gefiel.
Was mich störte, war nur, daß ich anfing, nach ihm auszuschauen. Es gab Zeiten, da war ich sicher, daß er meinetwegen kam. An anderen Tagen wiederum sagte ich mir, das sei alles nur Einbildung, und dieser Gedanke bedrückte mich.
Drei Tage nach seinem ersten Besuch ging ich zum Baden zu einer der kleinen Buchten am Marina Piccola, und da traf ich ihn. Wir schwammen zusammen hinaus und lagen dann später am Strand in der Sonne.
Ich fragte ihn, wie es ihm hier gefiele.
«Über alle Erwartungen gut», antwortete er.
«Ich nehme an, Sie haben schon alle Sehenswürdigkeiten der Insel besucht?»
«Nicht viele. Ich hätte es sehr gern getan, aber ich bin immer noch der Meinung, allein ist es zu langweilig.»
«Wirklich? Im allgemeinen klagen die Leute über die viel zu vielen Menschen und darüber, daß sie nirgends allein sein können.» «Ich würde mir ja auch nicht irgendeine Begleitung wünschen.» Seine schmalen Augen mit den leicht schrägen Winkeln blickten mich suggestiv an. In diesem Augenblick war ich sicher, daß er der Typ war, den die meisten Frauen unwiderstehlich finden, und daß er das genau wußte. Dieses Wissen störte mich. Auch ich war nicht ganz gefeit gegen diese anmaßende Männlichkeit und fragte mich, ob ich es mir hatte anmerken lassen.
«Übrigens, jemand hat sich heute früh nach der Bronze-Venus erkundigt», warf ich ziemlich kühl ein.
In seinen Augen blitzte es belustigt auf. «Na gut», sagte er, «wenn ich sie nicht bekomme, so ist es meine eigene Schuld.» Das war nur zu deutlich, und ich ärgerte mich über ihn. Warum, meinte er wohl, unterhielten wir so ein Atelier, empfingen Besucher, wenn nicht etwa in der Hoffnung, etwas zu verkaufen? Wovon, glaubte er, lebten wir eigentlich?
«Wir würden es Ihnen übelnehmen, wenn Sie sie nähmen, ohne daß Ihnen wirklich viel daran liegt.»
«Nun, ich nehme mir nie etwas, an dem mir nicht viel liegt», erwiderte er, «im Moment jedoch ziehe ich die Figur der jüngeren Venus vor.»
«Ach nein!»
Er legte seine Hand auf meinen Arm und sagte: «Sie ist bezaubernd, ja, ja, ich ziehe sie vor.»
«Ich muß jetzt wieder heim.»
Er lehnte sich zurück und lächelte mich an. Ich hatte das Gefühl, er wußte viel zu gut, was in mir vorging, daß ich seine Gesellschaft anregend fand und nicht genug davon bekommen konnte – daß er für mich mehr war, als ein voraussichtlicher Käufer. Er sagte leichthin: «Übrigens, Ihr Vater erzählte mir, Sie seien der geschäftliche Kopf dieses Unternehmens. Ich wette, er hat recht.»
«Künstler brauchen jemanden mit dem Sinn für das Praktische, der sich um sie kümmert», antwortete ich. «Und nun, da meine Mutter tot ist …»
Ich wußte, daß meine Stimme schwankte, wenn ich von ihr sprach, obgleich ihr Tod schon drei Jahre zurücklag. Ärgerlich auf mich selbst, wie immer, wenn ich meine innere Bewegung nicht unterdrücken konnte, sagte ich schnell: «Sie starb an Tuberkulose. Wir kamen in der Hoffnung hierher, es würde besser mit ihr werden. Sie war ein wundervoller Manager.»
«Und Sie sind ganz nach ihr geschlagen.» Seine Augen verrieten mir seine Zuneigung. Ich war über alle Maßen erfreut, daß er verstand, was ich fühlte. Sicherlich hatte ich mir dieses mutwillige Blitzen in seinen Blicken nur eingebildet. Vielleicht war auch Mutwille nicht der richtige Ausdruck. Aber wenn ich mich auch mehr und mehr zu diesem Mann hingezogen fühlte, so spürte ich doch immer wieder, daß etwas an ihm war, das ich nicht verstand, irgendeine Eigenart oder etwas, was er vor mir geheimhalten wollte. Das machte mich zwar oft befangen, verminderte aber in keiner Weise mein wachsendes Interesse an ihm, im Gegenteil, es vermehrte es nur. Und in diesem Moment sah ich nur seine Zuneigung, und die war zweifellos echt.
«Ich hoffe es», antwortete ich.
«Sie muß eine ausgezeichnete Geschäftsfrau gewesen sein.»
«Ja, das war sie.» Ich konnte noch immer nicht die Bewegung in meiner Stimme kontrollieren, während Bilder aus der Vergangenheit in mir auftauchten. Ich sah sie – schmal und zart, mit ihren rosigen, glänzenden Wangen, die ihren Liebreiz noch erhöhten und doch ein Zeichen ihrer Krankheit waren. Diese erstaunliche Energie, die sie wie ein Feuer verzehrte. Die Insel war anders gewesen, als es sie noch gab. Anfangs hatte sie mich lesen und schreiben und gut rechnen gelehrt. Ich erinnerte mich langer, fauler Tage, in denen ich auf einer der kleinen Sandbänke lag oder in dem blauen Wasser auf dem Rücken schwamm und mich treiben ließ. Die ganze Schönheit der Landschaft, der Widerhall der Geschichte, waren der Hintergrund zu dem glücklichsten Leben, das ein Kind sich wünschen konnte. Frei und ungebunden wuchs ich auf, manchmal unterhielt ich mich mit den Touristen. Manchmal schloß ich mich auch den Schiffern an, die Fremde zu den Grotten fuhren oder rund um die Insel führten; manchmal kletterte ich den Pfad zur Villa des Tiberius hinauf und sah von dort nach Neapel hinüber. Dann wieder kam ich zurück ins Atelier und hörte den Gesprächen dort zu. Ich teilte Vaters Stolz auf seine Arbeit und Mutters Freude, wenn sie gut verkauft hatte.
Die beiden lebten nur füreinander. Es gab Zeiten, da kamen sie mir zwar vor wie zwei glänzende Schmetterlinge, die im Sonnenschein tanzen, berauscht von der Freude, am Leben zu sein, und weil sie wußten, daß die Sonne ihres Glückes bald und sehr schnell untergehen würde.
Als sie mir erzählten, ich müsse auf eine Schule nach England, war ich sehr ungehalten. Meine Mutter überzeugte mich aber, daß es nötig sei, sie selbst habe ihre Möglichkeiten, mich zu unterrichten, erschöpft. Obgleich ich in mehreren Sprachen leidlich zu plaudern verstand (wir sprachen zu Haus Englisch, mit den Nachbarn Italienisch, und da sehr viele Franzosen und Deutsche in unser Atelier kamen, hatte ich auch oberflächliche Kenntnisse dieser Sprachen), so fehlte mir doch eine richtige Ausbildung. Meine Mutter hatte dafür gesorgt, daß ich auf ihre alte Schule kam, die recht klein war und im Herzen von Sussex lag. Ihre alte Direktorin war noch im Dienst, und ich konnte mir gut vorstellen, daß es noch genauso zuging wie zu Mutters Zeiten. Nach einem Schuljahr oder zweien söhnte ich mich mit dieser Regelung aus, teils weil ich mich sehr schnell mit Esther McBane anfreundete, teils weil ich zu Weihnachten, Ostern und in den Sommerferien auf die Insel zurückkehren konnte, und da ich ein normales, unkompliziertes Wesen war, liebte ich bald diese beiden Welten. Aber dann starb Mutter, und alles wurde anders. Ich fand heraus, daß Mutter ihren Schmuck verkauft hatte für meine Ausbildung. Eigentlich hatte sie mich auch noch auf die Universität schicken wollen, aber der Schmuck hatte viel weniger Geld gebracht, als sie hoffte (eine Eigenschaft, die Mutter mit Vater gemeinsam hatte, war Optimismus). Und die Kosten, die meine Erziehung auf der Schule verschlang, waren höher, als sie sich ausgerechnet hatte. So ging ich nach ihrem Tode noch zwei Jahre zur Schule; das nämlich war ihr Wunsch gewesen. Esther war mir in dieser Zeit eine große Hilfe; sie war selbst eine Waise und wurde von ihrer Tante erzogen und hatte ein sehr mitfühlendes Herz. Sie kam während der Sommerferien mit auf die Insel und war uns beiden, Vater und mir, eine Hilfe bei dem Ärger mit den Besuchern im Atelier. Wir sagten, sie solle jeden Sommer kommen, und sie versicherte uns, daß sie das auch gern täte.
Wir verließen die Schule zur gleichen Zeit, und auch in den letzten Ferien war sie bei uns auf der Insel. Wir machten eifrig Pläne, was wir mit unserem Leben anfangen wollten. Esther wollte auf die Kunstakademie. Was mich betraf, so mußte ich vor allem an meinen Vater denken und wollte also versuchen, Mutters Platz im Atelier einzunehmen, obgleich ich befürchtete, dies niemals zu schaffen.
Ich lächelte, als ich an den langen Brief dachte, den Esther eines Tages schrieb. Es war ein ungewöhnliches Ereignis; Esther verabscheute nämlich Briefeschreiben und umging es wenn irgend möglich. Auf dem Weg zurück nach Schottland hatte sie einen Mann kennengelernt. Es war ein Tabakpflanzer aus Rhodesien, der für einige Monate seine Heimat besuchte. Der Brief war von dieser Begegnung ganz erfüllt. Zwei Monate später kam ein weiterer Brief. Esther hatte geheiratet und ging nach Rhodesien.
Das war alles sehr aufregend, und sie war sehr glücklich; aber ich wußte, das bedeutete das Ende unserer Freundschaft. Das einzige Band zwischen uns wären Briefe gewesen, und Esther würde weder Zeit noch Lust haben zu schreiben. Ich bekam zwar noch einmal einen von drüben, aber die Ehe hatte aus Esther einen ganz anderen Menschen gemacht, der nichts mehr gemein hatte mit dem langbeinigen, struwwelköpfigen Schulmädchen, das immer davon gesprochen hatte, sich ganz der Kunst widmen zu wollen. Der Blick in Roc Pendorrics Gesicht, so nah vor mir, brachte mich wieder in die Gegenwart, und ich las in seinen Augen nichts als Sympathie.
«Habe ich traurige Erinnerungen aufgewühlt?»
«Ich habe an meine Mutter und an die Vergangenheit gedacht.»
Er nickte und war eine Zeitlang still. Dann sagte er: «Haben Sie eigentlich jemals daran gedacht, zu Ihren Leuten zurückzugehen … oder zu den Verwandten Ihres Vaters?»
«Verwandte?» murmelte ich.
«Hat Ihnen Ihre Mutter nie etwas von ihrem Elternhaus in England erzählt?»
«Nein, sie hat es niemals erwähnt», sagte ich und war selber ganz verblüfft darüber.
«Vielleicht hatte sie keine guten Erinnerungen?»
«Ich habe vorher nie darauf geachtet, aber weder Vater noch Mutter sprachen davon … von der Zeit, bevor sie heirateten. Ich hatte den Eindruck, daß alles, was vorher war, für sie ganz unwichtig geworden war.»
«Es muß eine sehr glückliche Ehe gewesen sein.»
«Das war sie.»
Wir schwiegen wieder, dann sagte er: «Favel! Welch ein ungewöhnlicher Name.»
«Nicht ungewöhnlicher als Ihrer. Ich hielt Roc immer für einen sagenhaften Riesenvogel.»
«Fabelhaft, von riesiger Gestalt und so stark, daß er einen Elefanten hochheben könnte, wenn er wollte …» sagte er geradezu selbstgefällig, und ich erwiderte: «Na, einen Elefanten könnten selbst Sie nicht hochheben, bestimmt nicht, Roc ist wohl ein Spitzname?»
«Ich war Roc so lange wie ich zurückdenken kann. Aber es ist eine Abkürzung von Petroc.»
«Auch ein ungewöhnlicher Name.»
«Nicht in dem Landstrich, aus dem ich herstamme. Ich hatte eine Reihe von Vorfahren, die mit diesem Namen behaftet waren. Der ursprüngliche Petroc war ein Heiliger im sechsten Jahrhundert, der ein Kloster gründete. Aber ich glaube, Roc ist eine moderne Version des Namens eigens für mich. Finden Sie, daß er zu mir paßt?»
«Ja», antwortete ich, «das tut er wohl.»
Zu meiner Verwirrung beugte er sich vor und küßte meine Nasenspitze. Ich stand hastig auf. «Es ist jetzt wirklich an der Zeit, daß ich wieder ins Atelier hinaufgehe», sagte ich.
Unsere Freundschaft wuchs schnell und war für mich sehr aufregend. Ich wußte nicht, wie unerfahren ich noch war und dachte, ich sei in der Lage, jede Situation zu meistern. Ich vergaß, daß mein Leben bisher von einer englischen Schule geformt worden war, mit all ihren Regeln und Einschränkungen, unserem etwas bohemehaften Atelier hier auf der Insel, mit den ein- und ausgehenden Besuchern und von dem Leben mit meinem Vater, der mich noch immer für ein Kind hielt. Ich bildete mir ein, ich sei bereits eine Frau von Welt, während sich doch keine Frau, die auf eine solche Benennung Anspruch erheben konnte, in den ersten Mann verliebt hätte, der sich von allen anderen unterschied, die sie bisher getroffen hatte. Aber es ging eine geradezu magnetische Anziehungskraft von Roc Pendorric aus, wenn er es darauf anlegte, charmant zu sein, und er legte es darauf an, mich zu bestricken. Roc kam jetzt jeden Tag ins Atelier. Immer wieder nahm er die kleine Figur in die Hand und streichelte sie liebevoll. Und eines Tages sagte er entschlossen: «Übrigens, ich will und muß sie haben.»
«Vater wird sie nie verkaufen.»
«Ich gebe nie die Hoffnung auf.» Und als ich auf seine starke Kinnpartie sah, sah ich das Funkeln in seinen dunklen Augen und glaubte ihm. Dieser Mann hier nahm sich vom Leben, was er haben wollte. Und wahrscheinlich gab es kaum jemanden, der ihm etwas verweigern konnte. Deshalb war er so versessen darauf, die Statuette zu besitzen. Er haßte es ganz einfach, enttäuscht zu werden.
Und dann kaufte er die Bronze-Venus.
«Glauben Sie ja nicht», sagte er zu mir, «daß dies heißt, ich hätte den Wunsch nach der anderen Venus aufgegeben. Auch sie wird mir noch gehören, Sie werden es erleben.»
Seine Augen funkelten begehrlich, als er das sagte, aber auch ein wenig mutwillig und natürlich wußte ich, was er meinte.
Wir gingen zusammen schwimmen. Wir durchstreiften die Insel kreuz und quer und suchten uns gewöhnlich die weniger bekannten Plätze, um dem Getümmel zu entgehen. Er engagierte zwei neapolitanische Schiffer, die uns aufs Meer hinausruderten, und es waren herrliche Tage, wenn wir im Heck des Bootes lagen, die Hände in das türkis- und smaragdfarbene Wasser hängen ließen, während uns Guiseppe und Umberto mit dem nachsichtigen Zwinkern musterten, mit denen die Italiener Liebespaare bedenken, und uns Arien vorsangen aus italienischen Opern.
Trotzdem er so dunkel war, mußte Roc doch wohl etwas typisch Englisches an sich haben. Guiseppe und Umberto hatten doch sofort seine Nationalität erraten, eine Fähigkeit übrigens, die mich immer wieder verblüffte, die beiden schienen sich nie zu irren. Was mich betraf, so war es allerdings nicht allzu schwer. Mein Haar war dunkelblond mit platinblonden Strähnen darin seit meiner Geburt, was es noch blonder wirken ließ, als es in Wirklichkeit war. Meine Augen waren hell wie das Wasser, manchmal grün, manchmal blau, je nachdem, was für ein Kleid ich anhatte. Ich hatte eine kurze, kecke Nase, einen breiten Mund und gute Zähne. Ich war keineswegs eine Schönheit, aber für die Einheimischen hier hatte ich schon immer wie ein fremder Gast auf dieser Insel ausgesehen.
Während all dieser Wochen war ich Rocs nie ganz sicher. Es gab Zeiten, da war ich vollkommen glücklich, genoß den Augenblick, wie er kam und dachte nicht an morgen. Aber wenn ich allein war, nachts zum Beispiel, so grübelte ich wohl, was aus mir würde, wenn er nach Hause führe. Und schon damals, zu Anfang, lernte ich diese Beklemmung kennen, die später so viel Angst und Schrecken in mein Leben bringen sollte. Seine Fröhlichkeit schien oft wie ein Mantel über tieferen Gefühlen zu liegen, und sogar in den zärtlichsten Augenblicken bildete ich mir ein, in seinen Augen einen grüblerischen Ausdruck zu sehen. Er fesselte mich, gab mir Hunderte von Rätseln auf. Ich wußte, ich würde ihn aus ganzem Herzen lieben können, wenn er mir auch nur die kleinste Ermutigung gäbe. Aber ich war seiner nie ganz sicher. Vielleicht lag es daran, daß jeder Augenblick mit ihm zusammen so überaus spannend war.
Eines Tages stiegen wir zu der Villa des Tiberius hinauf, und noch niemals war mir die Aussicht so wundervoll erschienen wie an diesem Tag. Alles war nur zu unserem Entzücken da, Capri, Monte Solaro, der Golf von Salerno, von Amalfi bis Paestum, der Golf von Neapel, von Sorrent bis zum Cap Misenum. Wie gut ich das alles kannte, und doch bekam es einen neuen Zauber, weil ich es mit Roc teilte.
«Hast du jemals etwas so Bezauberndes gesehen?» fragte ich.
Er schien nachzudenken, dann sagte er: «Ja, wo ich zu Hause bin, finde ich es ebenso schön.»
«Wo denn?»
«In Cornwall. Unsere Bucht ist genauso schön – fast noch schöner, abwechslungsreicher. Wird man nicht mal dieses saphirblauen Meeres überdrüssig? Nun, ich habe unseres schon genauso blau gesehen oder fast genauso; ich habe es grün gesehen unter peitschendem Regen und braun nach einem Sturm und rosa in der Abenddämmerung; ich hab’ es gesehen, wutentbrannt gegen die Felsen schlagen, Wasserfunken hoch in die Lüfte sprühend, und ich hab’ es gesehen, so seidig, wie dieses Meer hier. Ja, ich geb’s zu, das hier ist herrlich, und ich bild’ mir auch nicht ein, römische Imperatoren wären je darauf verfallen, uns in Cornwall mit ihren Villen, ihren tanzenden Knaben und Mädchen zu beehren. Aber wir haben unsere eigene Geschichte, die genauso bezaubernd ist.»
«Ich bin noch nie in Cornwall gewesen.»
Mit einem Ruck drehte er sich zu mir um, und seine Arme umfingen mich, daß es mir die Luft nahm, und sein Gesicht gegen das meine gepreßt, sagte er: «Aber du wirst es sein … bald.»
Ich sah die rosaroten Ruinen, die grünliche Statue der Madonna, das tiefe Blau des Meeres, und das Leben schien plötzlich zu schön, um wahr zu sein.
Er ergriff mich, hob mich hoch und lachte mich an.
«Aber …, wenn uns jemand sieht!» meinte ich schüchtern.
«Na und? Stört’s dich?»
«Ja, es stört mich, wenn mir buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen wird.»
Er ließ mich los, und zu meiner Enttäuschung sagte er kein Wort mehr über Cornwall. Dieser Zwischenfall war eben typisch für unser Verhältnis.
Ich merkte wohl, daß mein Vater unsere Freundschaft mit großem Interesse beobachtete. Er war jedesmal entzückt, Roc zu sehen, manchmal kam er uns schon an der Tür zum Atelier entgegen, wenn wir von einem Ausflug nach Hause kamen, mit einer Miene wie ein Verschwörer. Er konnte aus seinem Herzen keine Mördergrube machen, und so entdeckte ich bald, daß irgend etwas in ihm vorging, was Roc und mich betraf.
Meinte er, Roc würde um mich anhalten? Waren Rocs Gefühle für mich vielleicht doch stärker, als ich zu hoffen wagte, und hatte mein Vater dies schon bemerkt? Und gesetzt, ich heiratete Roc, was sollte aus dem Atelier werden? Wie würde mein Vater ohne mich auskommen? – Wenn ich nämlich Roc heiratete, mußte ich ja mit ihm fortgehen.
Ich wußte nicht aus noch ein. Ich wußte zwar, ich wollte Roc heiraten – aber wußte ich denn, was er für mich empfand! Und konnte ich meinen Vater verlassen? Aber ich hatte es ja auch damals getan, als ich noch zur Schule ging. Ja, und was war dabei herausgekommen? Ich wußte nur noch das eine: Vom ersten Augenblick an, da ich Roc liebte, schwebte ich sozusagen zwischen Himmel und Hölle.
Aber Roc sprach nicht von Heirat.
Vater lud ihn oft zum Essen ein, und Roc sagte jedesmal, er komme gern, aber nur, wenn er den Wein mitbringen dürfe. Und dann machte ich Omeletten, Fisch, Pasta und sogar Roastbeef mit Yorkshire Pudding; die Gerichte gerieten mir vortrefflich, hatte ich doch von meiner Mutter kochen gelernt, und sie war immer darauf bedacht, daß auch englische Gerichte auf den Tisch kamen. Roc schien immer alles köstlich zu munden. Er saß und trank und redete, erzählte von sich und seinem Heim in Cornwall und brachte Vater zum Sprechen und bekam sehr schnell heraus, wie wir lebten, wie schwierig es für uns war, in der Fremdensaison so viel Geld zu verdienen, daß es uns in den mageren Monaten über Wasser hielt. Mir fiel es auf, daß Vater niemals die Zeit vor seiner Ehe erwähnte, und Roc machte nur ein oder zweimal den Versuch, ihn dazu zu überreden. Dann gab er es auf, was an sich seltsam war, so beharrlich er sonst immer war – aber wiederum war es charakteristisch für Roc, einfach weil es so unerwartet war.
Ich erinnere mich eines Tages. Ich kam herein und traf die beiden beim Kartenspielen an. Vaters Gesicht hatte diesen Ausdruck, der mich immer erschreckte, diese Gespanntheit, die seine Augen wie blaue Feuer aufglühen ließ; seine Wangen waren gerötet, und er schaute kaum auf, als ich hereinkam.
Roc stand zwar von seinem Stuhl auf, aber ich konnte sehen, daß er von dem Spiel genauso fasziniert war wie Vater. Ich fühlte mich sehr unglücklich, als ich dachte: ‹So ist also auch er ein Spieler!› «Favel, bitte unterbrich unser Spiel nicht», sagte mein Vater.
Ich sah Roc in die Augen und meinte kalt: «Ich hoffe nur, ihr spielt nicht mit hohen Einsätzen.»
«Zerbrich dir darüber nicht den Kopf, mein Liebling», sagte Vater.
«Er will mir unbedingt die letzten Lire aus der Tasche locken», fügte Roc glänzenden Auges hinzu.
«Ich gehe und mache etwas zu essen», erklärte ich und verschwand in der Küche. Ich hätte ihm zu verstehen geben sollen, daß Vater es sich nicht leisten konnte zu spielen.
Aber als wir dann beim Essen saßen, war Vater glänzender Laune, und ich schloß daraus, daß er wohl gewonnen hatte.
Am nächsten Tag am Strand sprach ich mit Roc darüber.
«Bitte animiere Vater nicht zum Spielen, er kann es sich nicht leisten.»
«Aber es macht ihm doch solchen Spaß», antwortete er.
«Nun, es gibt viele, denen etwas Spaß macht, was nicht gut für sie ist.»
Er lachte. «Du hast etwas von einem Zuchtmeister.»
«Bitte, hör mir zu. Wir sind nicht reich genug, um das Geld aufs Spiel zu setzen, das so mühsam verdient wird. Wir leben hier sehr billig, aber es ist nicht einfach. Ist das so schwer zu verstehen?»
«Bitte, mach dir keine Gedanken, Favel», sagte er und legte seine Hand auf die meine.
«Dann wirst du also nicht mehr mit ihm um Geld spielen?»
«Nimm an, er fragt mich? Soll ich sagen: Ich lehne Ihre Einladung ab, weil Ihre gestrenge Tochter es verbietet?»
«Es könnte dir vielleicht etwas Besseres einfallen.»
Er sah mich lammfromm an. «Aber es wäre nicht wahr.»
Ich zuckte ungeduldig die Achseln. «Du könntest sicherlich andere Leute zum Spielen finden, warum hast du dir ausgerechnet ihn ausgesucht?»
Er sah nachdenklich vor sich hin und sagte: «Wahrscheinlich ist es die Atmosphäre eures Ateliers.» Wir lagen am Strand, und er streckte den Arm aus und zog mich näher, sah mir tief in die Augen und sagte: «Ich liebe nämlich die Schätze, die er dort hat.»
In einem Moment wie diesem glaubte ich, daß seine Gefühle mit den meinen übereinstimmten. Ich war so hochgestimmt und fürchtete doch gleichzeitig, es zu deutlich zu zeigen. Ich stand daher rasch auf und lief ins Meer. Er folgte mir.
«Weißt du eigentlich, Favel», sagte er und legte seinen Arm um meine nackte Schulter, «daß ich dir sehr gern gefallen möchte?»
Ich drehte mich um und lächelte ihn an. Ja, dachte ich, sein Blick war voller Liebe.
Wir waren glücklich und ganz sorglos, während wir nebeneinander hinausschwammen. Und auch später, als wir in der Sonne am Strand lagen, fühlte ich die Glückseligkeit, zu lieben und geliebt zu werden.
Doch zwei Tage später kam ich vom Markt und traf sie wieder am Kartentischchen. Das Spiel war schon zu Ende, aber ich konnte an Vaters Gesicht ablesen, daß er verloren hatte. Mir stieg die Zornesröte in die Wangen, ich warf Roc einen harten Blick zu und ging wortlos in die Küche. Wütend setzte ich meinen Korb hin und fühlte plötzlich zu meiner Bestürzung Tränen in meinen Augen, Zornestränen sagte ich mir, weil er mich zum Narren gehalten hatte. Ihm war nicht zu trauen, dies war ein klares Zeichen; er versprach das eine und tat das andere.
Ich wollte am liebsten aus dem Haus laufen und einen ruhigen Fleck suchen, wo ich niemandem begegnete, bis ich mich wieder gefaßt hatte.
Da hörte ich seine Stimme hinter mir: «Kann ich dir helfen?» Ich drehte mich um und stand ihm gegenüber, ich war froh, daß ich nicht geweint hatte. Die Tränen in meinen Augen ließen sie nur noch mehr glänzen, und er sollte nicht ahnen, wie unglücklich ich war. Ich sagte kurz: «Nein, danke, ich schaff’ es schon.» Ich drehte mich wieder dem Tisch zu und spürte ihn dicht hinter mir. Er faßte mich bei den Schultern und lachte, und mit dem Mund ganz nah an meinem Ohr flüsterte er: «Übrigens, ich hab’ mein Versprechen gehalten. Wir haben nicht um Geld gespielt.»
Ich schüttelte seine Hände ab, zog eine Tischschublade auf und wühlte darin herum, ohne zu wissen, wonach ich suchte.
«Unsinn», gab ich zurück, «das Spiel macht euch doch überhaupt keinen Spaß, wenn ihr nicht um einen Einsatz spielt. Es dreht sich nicht darum, daß ihr gern Karten spielt, sondern ums Gewinnen oder Verlieren. Und natürlich denkt jeder von euch, daß er jedesmal gewinnt. Mir kommt das äußerst kindisch vor. Einer muß ja verlieren.»
«Begreifst du denn nicht, ich habe mein Versprechen gehalten!»
«Langweile mich nicht mit Erklärungen. Ich kann schließlich meinen eigenen Augen trauen.»
«Wir haben gespielt … gut. Und du hast recht, es hätte uns nicht gereizt ohne Einsatz. Wer, glaubst du, hat dieses Mal gewonnen?»
«Ich muß das Essen machen.»
«Ich habe gewonnen, und zwar dies hier.» Er griff mit der Hand in die Tasche und zog die kleine Figur heraus.
Er lachte. «Ich mußte sie haben, auf redliche Weise oder auf unredliche. Zum Glück konnte ich mich an die redliche halten. Nun gehört dieses entzückende Geschöpf mir.»
«Nimmst du bitte die Messer und Gabeln mit hinein?»
Er ließ die Figur wieder in seine Tasche gleiten und grinste mich an.
«Mit dem größten Vergnügen.»
Am nächsten Tag fragte er mich, ob ich ihn heiraten wolle. Auf seinen Vorschlag stiegen wir den steilen Pfad nach der Grotte Matrimonia hinauf. Ich hatte sie immer für die reizloseste Grotte gehalten, und die Blaue, Grüne, Gelbe und Rote Grotte oder die Grotte der Heiligen lohnten eher den Besuch als sie, aber Roc sagte, er hätte sie noch nicht gesehen und möchte von mir hingeführt werden.
«Was für ein geeignetes Fleckchen», bemerkte er, als wir ankamen.
Ich drehte mich um und sah ihn an. Er griff nach meinem Arm und hielt mich fest.
«Wozu?» fragte ich.
«Du weißt es schon», antwortete er. Aber ich war seiner niemals sicher, nicht einmal jetzt, wo er mich so zärtlich ansah.
«Matrimonia», murmelte er.
«Ich hörte, daß dieser Ort dem Mithras geweiht war», sagte ich schnell, weil ich Angst hatte, meine Gefühle zu verraten.
«Unsinn», erwiderte er. «Hier hielt Tiberius seine Gelage mit jungen Mädchen und Knaben. Das weiß ich aus dem Reiseführer. Es bedeutet matrimonia, weil sie sich hier miteinander vermählten.»
«Darüber gibt es also zweierlei Ansichten?»
«Dann wollen wir ihr noch eine andere Bedeutung geben. Dies also ist die Stelle, wo Petroc Pendorric Favel Farington fragte, ob sie seine Frau werden wolle, und wo sie sagte …»
Er sah mich an, in dem Augenblick wußte ich, daß er mich ebenso leidenschaftlich liebte, wie ich ihn.
Ich brauchte nicht mehr zu antworten.
Wir gingen in das Atelier zurück. Roc war froh erregt und ich glücklicher als je zuvor.
Vater war so entzückt, als wir ihm die Neuigkeit erzählten, daß es fast aussah, als wollte er mich gern loswerden. Er lehnte es ab zu erörtern, was er nach meiner Abfahrt tun wolle. Ich war darüber sehr bekümmert, bis mir Roc sagte, er werde darauf bestehen, daß Vater einen Zuschuß von ihm annehme. Warum sollte er das auch nicht von seinem Schwiegersohn? Er könne ihm ja dafür einige Bilder in Kommission geben, falls ihm das die Sache erleichterte. Ja, das sei vielleicht eine gute Idee. Roc fügte hinzu: «Wir haben eine Menge leerer Wände in Pendorric.» Zum ersten Male begann ich ernsthaft an den Ort zu denken, der meine Heimat werden sollte. Aber Roc redete davon immer nur in ganz allgemeinen Wendungen. Er meinte, ich solle lieber selber schauen und mir mein Urteil bilden. Wenn er mir zu viel erzählte, machte ich mir vielleicht ein ganz anderes Bild und wäre dann enttäuscht – obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, daß mich ein Zuhause, das ich mit ihm teilte, enttäuschte.
Wir waren sehr verliebt. Roc schien mir nicht mehr fremd, ich fühlte, daß ich ihn verstand. Er hatte etwas Mutwilliges in seinem Wesen und neckte mich gern. «Aber nur», wie er mir einmal sagte, «weil du in vielen Dingen zu ernst, zu altmodisch bist.»
Ich dachte darüber nach, wahrscheinlich war ich anders als die Mädchen, die er bisher kennengelernt hatte, vielleicht lag es an der Erziehung – der kleine Familienkreis, die Schule mit ihren Methoden von vor zwanzig Jahren, dazu die frühe Verantwortung, die seit dem Tode meiner Mutter auf mir gelastet hatte. Ja, ich mußte mir Mühe geben, leichtlebiger, fröhlicher, moderner zu sein.
Wir wollten in aller Stille heiraten, höchstens ein paar Gäste aus der englischen Kolonie einladen und eine Woche später dann nach England fahren.
Ich fragte ihn, was wohl seine Familie dazu sagen würde, wenn er mit einer Braut heimkäme, die sie noch nie gesehen hatten.
«Ich hab’ ihnen geschrieben, daß wir bald nach Hause kommen. Übrigens sind sie nicht so überrascht, wie du es dir vorstellst. Eins haben sie inzwischen gelernt: von mir erwarten sie immer das Unerwartete», meinte er fröhlich. «Sie sind närrisch vor Freude. Weißt du, sie halten es für die Pflicht der Pendorrics zu heiraten, und nach ihrer Ansicht habe ich schon zu lange gewartet.»
Ich wollte noch mehr über die Familie hören, wollte vorbereitet sein, aber er vertröstete mich.
«Ich versteh’ mich nicht darauf, etwas zu schildern», antwortete er, «du wirst es früh genug erleben.»
«Aber dieses Pendorric … ist es so etwas wie ein Herrenhaus?»
«Es ist der Familienbesitz, wenn du willst.»
«Und … wer gehört alles zur Familie?»
«Meine Schwester, ihr Mann und die Zwillinge, zwei Mädchen. Keine Angst, sie wohnen in ihrem eigenen Flügel. Es ist alter Familienbrauch, daß alle, soweit es möglich ist, zu Hause wohnen und auch ihre Familien dorthin mitbringen.»
«Es liegt dicht am Meer?»
«Gleich an der Küste. Es wird dir gefallen. Alle Pendorrics lieben es. Und dazu gehörst du ja nun auch bald.»
Es war etwa eine Woche vor meiner Hochzeit, als mir auffiel, wie verändert mein Vater war.
Einmal kam ich unbemerkt ins Haus und fand ihn am Tisch sitzend – vor sich hinstarren. Er sah auf einmal ganz alt aus und mehr noch … verängstigt.
«Vater», rief ich, «was ist denn los?»
Er sprang auf und lächelte mir zu, aber das Lächeln war nicht echt.
«Was soll sein? Nun, gar nichts.»
«Aber du sitzt hier so …»
«Warum soll ich hier nicht sitzen? Ich habe die ganze Zeit an der Büste von Tiberius gearbeitet und bin müde.»
Ich gab mich mit dieser Ausrede zufrieden und vergaß die Angelegenheit.
Aber nicht lange. Mein Vater war nie imstande gewesen, etwas für sich zu behalten, und ich war sicher, daß er etwas vor mir verbarg, etwas, was ihn sehr bedrängte. Eines frühen Morgens, ungefähr zwei Tage vor meiner Hochzeit, wachte ich von einem Geräusch im Atelier auf. Das Leuchtzifferblatt meiner Armbanduhr zeigte drei Uhr. Ich warf schnell meinen Morgenrock über, öffnete leise die Tür und spähte hinaus. Ein dunkler Schatten saß am Tisch.
«Vater», rief ich.
Er fuhr auf. «Oh, Kind, hab’ ich dich gestört? Es ist schon gut, geh nur wieder zu Bett.»
Ich setzte mich neben ihn. «Hör mal», sagte ich fest, «ist es nicht besser, du sagst mir, was los ist?»
Er zögerte etwas und sagte dann: «Aber es ist wirklich nichts. Ich konnte nicht schlafen und dachte, es wäre besser, ein wenig hier zu sitzen.»
«Aber warum kannst du nicht schlafen? Dich bedrückt doch etwas, nicht wahr?»
«Nicht daß ich wüßte.»
«Nun sag doch nicht sowas, man sieht es doch, daß es nicht stimmt. Bist du über mich betrübt … weil ich jetzt heirate?»
Wieder trat eine kleine Pause ein. Natürlich ist es das, dachte ich. Natürlich ist er bekümmert. Allmählich geht es ihm auf, wie er mich vermissen wird.
Er sagte: «Mein liebes Kind, du liebst Roc sehr, nicht wahr?»
«Ja, Vater.»
«Favel … bist du dessen auch ganz sicher?»
«Meinst du, weil wir uns erst so kurze Zeit kennen?»
Er antwortete nicht darauf, sondern murmelte: «Du wirst von hier fortgehen … nach Cornwall … nach Pendorric.»
«Aber wir werden dich besuchen kommen! Und du wirst uns besuchen.»
«Ich glaube», fuhr er wie im Selbstgespräch fort, «dir bräche das Herz, wenn irgend etwas deine Hochzeit verhinderte.»
Plötzlich stand er auf. «Mir ist kalt. Gehen wir zu Bett. Es tut mir leid, daß ich dich gestört habe, Favel.»
«Vater, wir sollten wirklich einmal miteinander reden. Ich möchte so gern wissen, was dich bedrückt.»
«Geh nur schlafen, Favel. Mach dir keine Gedanken.»
Er gab mir einen Kuß. Und wir gingen wieder in unsere Zimmer. Wie oft sollte ich mir später noch vorwerfen, daß ich ihn gehen ließ. Ich hätte darauf bestehen sollen, daß er sich aussprach.
Es kam der Tag, an dem Roc und ich getraut wurden, und ich war so überwältigt von meinem jungen Glück, daß ich mit keiner Silbe an meinen Vater dachte. In jenen Tagen konnte ich nur noch an Roc und mich denken.
Es war so herrlich, Tag und Nacht beisammen zu sein. Wir lachten über jede Kleinigkeit, und ich entdeckte, wie leicht einem das Lachen vor lauter Glück über die Lippen kommt. Guiseppe und Umberto freuten sich mit uns, ihre Arien klangen leidenschaftlicher denn je, und wenn wir dann allein nach Hause gingen, ahmten wir sie nach, indem wir wild gestikulierten und unsere Gesichter je nach dem Text in tragische oder komische Falten legten, und je falscher wir sangen, um so mehr mußten wir lachen – und wie oft sagte Roc nicht, er komme mit in die Küche und helfe mir beim Kochen, und dann hockte er auf der Tischkante, war mir überall im Wege, bis ich ihn in gespieltem Zorn hinauszuwerfen versuchte, was stets damit endete, daß wir uns in den Armen lagen.
Die Erinnerung an jene Tage, wie oft sollte sie mir nicht noch Kraft geben, später, wenn ich glaubte, aufgeben zu müssen.
Roc war, das hatte ich geahnt, ein fordernder und leidenschaftlicher Liebhaber. Er riß mich mit sich fort, und manchesmal verwirrten mich die reichhaltigen Erfahrungen, die ich machte. Doch davon war ich überzeugt, alles würde sich wunderbar fügen. Und jetzt lebte ich nur dem Augenblick. Ich fragte mich nicht einmal mehr, wie wohl mein neues Zuhause wäre und sagte nur immer wieder, daß mein Vater sich keine Sorgen zu machen brauche, Roc würde immer für ihn da sein, so wie er für mich da war.
Eines Tages kam ich früher als erwartet vom Markt nach Hause. Die Tür zum Atelier stand offen, da sah ich sie sitzen, meinen Vater und meinen Mann. Ihre Miene erschreckte mich. Roc blickte grimmig vor sich hin, während Vater gequält aussah. Ich hatte den Eindruck, Vater habe Roc soeben etwas eröffnet, was jenem mißfiel, aber ich konnte nicht entscheiden, ob er nun verärgert oder entsetzt war. Jedenfalls hatte sich Vater sehr aufgeregt.
Dann bemerkten sie mich, und ihr Gesicht verschloß sich.
«Ist etwas los?» fragte ich.
«Ja, wir sind hungrig», antwortete Roc, kam mir entgegen und nahm mir den Korb ab.
Er lächelte mich an und legte seinen Arm um mich. «Es kommt mir vor, als hätte ich dich eine Ewigkeit lang nicht mehr gesehen.» Ich schaute Vater an, der ebenfalls lächelte, aber ein grauer Schatten schien über seinem Gesicht zu liegen.
«Vater», bestand ich, «sag doch, was los ist.»
«Du bildest dir etwas ein, Liebling», versicherte er mir.
Mir war es unbehaglich, aber ich ließ mich beschwichtigen. Ich konnte es nicht ertragen, daß irgend etwas mein junges Glück trüben sollte.
Die Sonne brannte vom Himmel, und im Atelier hatte es einen bewegten Vormittag gegeben. Mein Vater ging immer zum Schwimmen, während ich Mittagessen kochte. An diesem Tag überredete ich Roc, Vater zu begleiten.
«Warum kommst du nicht mit?»
«Weil ich kochen muß – und es geht schneller, wenn ihr beide fort
seid.»
So gingen sie.
Zehn Minuten später kehrte Roc zurück. Er kam zu mir in die Küche und schwang sich auf den Tisch, den Rücken zum Fenster. Die Sonne schien ihm durch die auffallenden Ohrläppchen.
«Manchmal siehst du wie ein Satyr aus.»
«Nun, ich bin ja auch einer.»
«Warum kommst du schon wieder?»
«Ich hielt die Trennung von dir nicht länger aus.»
Ich lachte ihn an. «Du bist ja verrückt! Kannst du es nicht einmal eine Viertelstunde ohne mich aushalten?»
«Das ist viel zu lange.» Ich freute mich, daß er da war und mir helfen wollte. Doch als wir uns zu Tisch setzen wollten, fehlte Vater.
«Hoffentlich hat man ihn nicht in irgendwelche langen Gespräche verwickelt.»
«Kaum. Du weißt ja, um diese Zeit flüchtet alles vom Strand, geht essen oder schlafen.»
Fünf Minuten später bekam ichs mit der Angst zu tun, aus gutem Grund.
An diesem Tag war Vater ins Meer hinausgeschwommen und nicht mehr lebend wiedergekehrt.
Sein Leichnam wurde gegen Abend gefunden. Man behauptete, ein Krampf habe ihn überrascht und er habe sich nicht mehr selbst retten können.
Es schien die einzig mögliche Erklärung zu sein. Aber mein Glück war erschüttert, und ich war sehr dankbar, daß ich Roc an meiner Seite hatte. Wie oft sagte ich nicht zu ihm, daß ich diese Zeit nicht überstanden hätte, wenn er nicht bei mir gewesen wäre. Mein einziger und größter Trost nach Vaters Tod war, daß es Roc gab. Die schlimmen Zweifel sollten mich erst später heimsuchen.
Natürlich war uns nun jede Freude an den Flitterwochen vergällt, und ich wurde den Gedanken nicht los, daß ich meinen Vater irgendwie im Stich gelassen hätte.
Ich erinnere mich noch an die Nacht, die auf den Unfall folgte, als ich in Rocs Armen aufschrie: «Irgend etwas hätte ich tun müssen. Ich weiß es ganz genau!»
Roc wollte mich beruhigen. «Aber was denn, Liebling? Woher konntest du wissen, daß er einen Krampf bekam? Das kann jedem passieren. Selbst wenn die See ruhig ist – wenn niemand die Hilferufe hört, so bedeutet das das Ende.»
«Er hat noch nie einen Krampf bekommen.»
«Einmal muß es ja das erste Mal sein.»
«Aber Roc … irgend etwas stimmt hier nicht.»
Sanft strich er mir die Haare aus dem Gesicht. «Mein Engel, du mußt dich nicht so aufregen. Wir können doch nichts mehr tun.»
Er hatte recht, was sollten wir auch tun?
«Er würde froh sein», meinte Roc, «mich an deiner Seite zu wissen.»
In seiner Stimme schwang etwas wie Erleichterung, was ich nicht verstand. Eine leichte Furcht, die ich später so gut kennenlernen sollte, beschlich mich.
Roc kümmerte sich um alles. Wir müßten so rasch wie möglich die Insel verlassen, meinte er, dann würde ich den nötigen Abstand von dieser Tragödie bekommen. Er brächte mich nach Hause, und die Zeit würde die Wunde heilen.
Ich überließ ihm alles und jedes; ich fühlte mich einfach zu unglücklich, um irgend etwas zu unternehmen. Einige von Vaters wertvollsten Arbeiten wurden eingepackt und nach Pendorric vorausgesandt. Der Rest wurde verkauft. Roc verhandelte mit dem Eigentümer des Ateliers, der Mietvertrag wurde gelöst, und nach zwei Wochen verließen wir Capri.
«Nun wollen wir versuchen, diese Tragödie aus unserer Erinnerung zu verbannen», sagte Roc, als wir zum Festland übersetzten. Ich warf einen kurzen Blick auf sein Profil und hatte das Gefühl, als ob neben mir ein Fremder stünde. Ich wußte nicht warum – aber vielleicht ahnte ich, daß ich nach meines Vaters Tod noch viel über meinen Mann zu lernen hatte.
Zwei Tage blieben wir in Neapel. Roc erwähnte dabei, daß er es keineswegs eilig habe, nach Hause zurückzukehren, ich sei noch viel zu benommen und sollte mich erst einmal von dem Schock erholen, ehe er mich nach Pendorric brächte.
«Wir wollen doch unsere Flitterwochen beschließen, mein Liebling», sagte er.
Meine Erwiderung klang recht lustlos. In Gedanken sah ich wieder meinen Vater im Dunkeln am Tisch sitzen und grübelte darüber nach, was ihn wohl bedrückt hatte.
«Ich hätte nicht locker lassen dürfen», wiederholte ich. «Wie konnte ich nur so gedankenlos sein? Wenn ihn etwas bedrückte, so konnte er es schwer vor mir verbergen. Das habe ich doch gewußt. Und einmal hätte er es mir gesagt.»
«Was meinst du?» fragte Roc mit unterdrücktem Zorn.
«Vielleicht war er krank. Vielleicht hatte der Krampf da seine Ursache. Roc, was passierte an jenem Tag am Strand? Sah er leidend aus?»
«Nein, er sah aus wie immer.»
«O Roc, wenn du doch nur nicht zurückgekommen wärst, wenn du doch nur geblieben wärst!»