ür den Fall, dass Sie sich gerade nicht in der freien Natur befinden, öffnen Sie einmal das Fenster. Was hören Sie? Motorengeräusche? Und hinter dem Brummen der Zivilisation? Menschliche Stimmen? Plätschern? Hundegebell? Katzenstimmen? Insektensummen? Noch etwas? Haben Sie den Eindruck, dass es hier und da zwitschert? Piepst, tiriliert, flattert? Die Wahrscheinlichkeit dafür ist gar nicht so gering, denn Schätzungen zufolge gibt es 200 bis 400 Milliarden Vögel auf der Erde. Wenn Sie einen Moment später noch einmal aufmerksam lauschen, werden Sie vielleicht wahrnehmen, dass sich an dem Zusammenspiel der Vogellaute und an der gesamten Stimmung etwas verändert hat. Es hängt von der Tageszeit, der Temperatur und vielen anderen Faktoren ab. Manchmal ist es nur eine Wolke, die sich vor die Sonne schiebt und die Vögel zum Verstummen bringt. Oder es kommt ein Windstoß, und von einem Augenblick zum nächsten sind alle Luftwesen in erhebliche Aufregung versetzt.
Es gibt Menschen, denen das Gezwitscher nicht genug ist. Sie wollen den Lauten nicht nur aus der Entfernung lauschen, sondern den Wesen näherkommen, die diese Klänge hervorbringen, sie beobachten und die Gesetzmäßigkeiten ihres Lebens erforschen, ihre Zugrouten erkunden, sie füttern, ihre Gesellschaft genießen, die Kontrolle über sie gewinnen, oder ihnen sogar nach dem Leben trachten. Vielleicht, weil sie nicht verwinden können, dass die zum Fluge befähigten Vögel etwas vollbringen, das ihnen niemals gelingen wird. Die Beschäftigung mit den Vögeln ermöglicht ihnen eine Überschreitung der Grenzen ihrer eigenen Welt.
Dabei sind Vögel streng genommen nur geflügelte Wirbeltiere mit einem Schnabel, der für sie etwas ist, wie die Hände für uns. Sie sind aus leichterem Stoff, ihre Knochen sind mit Luft gefüllt. Sie haben eine höhere Körpertemperatur. In ihren vielen verschiedenen Erscheinungsformen kommen sie überall auf der Erde vor, und ihre Existenz geht der des Menschen lange voraus, um etwa 160 Millionen Jahre. Menschen erkennen in vielen von ihnen eine besondere Anmut. Manche haben schöne Farben oder faszinierende Federn. Sie geben manchmal Laute von sich, die Menschen als »Gesang« verstehen. Fast alle sind in der Lage, ihre eigene Schwere zu überwinden und zu fliegen. Sie vermitteln dann zwischen Himmel und Erde, bewegen sich im Luftraum, ohne Spuren zu hinterlassen. Sie lassen sich von aufströmenden Luftsäulen tragen, segeln in Spiralen, hüpfen, wirbeln, schwirren oder rudern förmlich durch die Luft, und das, wenn sie in Schwärmen auftreten, in verschiedenen Formationen: Kraniche und Wildgänse etwa bilden eine Keilform, Austernfischer und Brachvögel bilden oft eine Linie, Stare ganze Heere, so als gäbe es einen unsichtbaren Dirigenten, der ihnen das diktiert.
Und die Menschen, die ihnen nachhängen? Es gab etliche, die eine erfolgreiche Karriere aufgaben, um sich fortan dem Studium der Vögel zu verschreiben, andere, die sich Begegnungen mit erwünschten Vogel-Seltenheiten so lange einredeten, bis sie selbst daran glaubten. Philosophen, Musiker und Dichter beschäftigten sich mit ihnen. Unzählige rangen um Anerkennung, andere strebten weder nach Ruhm noch Glanz, griffen nicht einmal zur Feder oder beschränkten sich auf eine ganz stille Beziehung zu ihren geliebten Vögeln. Bei wieder anderen verband sich die Leidenschaft noch mit anderen Tieren; und wohl nicht ganz zufällig waren es dann oft auch geflügelte Wesen wie Schmetterlinge, Bienen, Raupenfliegen oder Fledermäuse.
Dabei konnte es leicht geschehen, dass sie menschliche Erfahrungen auf die Tiere projizierten und auf seltsame Weise sentimental wurden. Wie auch immer: Indem sie sich den Vögeln verschrieben, öffneten sie sich der Schönheit dieser Wesen, deren Leben nach anderen, geheimnisvollen Gesetzmäßigkeiten funktioniert, vielleicht wie eine Gegenwelt zu der des Menschen. Die Beschäftigung mit Vögeln macht viele glücklich.
Die Ornithomanie ist eine Passion, die oft mit wissenschaftlichem Ehrgeiz verquickt ist, und in ihren extremsten Erscheinungsformen – man mag hier schon vom Bird-Stalking sprechen – wohl tatsächlich eine Krankheit. Dann, wenn alles andere im Leben zu kurz kommt, wenn man die Sorge um die Mitmenschen und die finanziellen Grenzen vergisst, wenn Sammeln, Beobachten oder Fangen wichtiger wird als alles andere im Leben. Die Ornithomanie ist auch eng verbunden mit der Entdeckung neuer Arten und mit der Erforschung ihrer jeweiligen Eigenschaften und Eigentümlichkeiten. Sie kann mit dem Wunsch verbunden sein, die Tiere zu halten und zu betrachten – was den Bedürfnissen der Vögel fundamental widerspricht, zumindest wenn sie flugfähig sind. Die Genugtuung, die manche Ornithomaniacs daraus schöpfen, für das Tier sorgen zu können, sein Wesen vor den Bedrohungen der Zivilisation zu schützen, muss enorm sein. Was sagt es über eine Zeit und Kultur aus, wenn sich Menschen den Hunden, Katzen und Vögeln zuwenden, und dabei womöglich von den Menschen abwenden? Vielleicht stimmt es, was der Autor Jonathan Rosen, der Vögel von seiner Wohnung am New Yorker Central Park aus beobachtet, behauptet: »Jeder ist ein Birdwatcher, aber es gibt zwei Arten: diejenigen, die wissen, dass sie es sind, und diejenigen, die es noch nicht verstanden haben.«
Das Birdwatching, zuweilen verbunden mit dem Anlegen einer sogenannten life list, einem Verzeichnis aller gesichteten oder gehörten Vögel, ist inzwischen zu einer Art Volkssport geworden. Es ist ein Hobby, für das Millionen von Menschen weder Kosten noch Mühen scheuen. Keine Wetterbedingungen sind ihnen zu schlecht, keine Tages- oder Nachtzeit ungelegen. Man kann darüber spekulieren, ob das Sammeln dieser Sichtungen auf einen Urinstinkt zurückgeht.
Während sich manche den Vögeln regelrecht verschreiben, rufen diese bei anderen Phobien hervor; eine Extremform der Vogelphobie ist der Vogelhass. Der italienische Geistliche und Arzt Giovanni Salvadori, der seit seiner Jugend dem Vogelfang huldigte, machte sich vor über hundert Jahren mit missionarischem Eifer für die Ausrottung der Singvögel stark, weil diese die – seiner Meinung nach – für den Menschen ungleich wichtigeren Insekten bedrohten: »Schützet die Insekten und gebt den Vogelfang frei!«, forderte er und erntete dafür in bestimmten Kreisen sogar Zustimmung. Vielleicht sind Vögel vielen unheimlich, weil ihre Bewegungen unberechenbar sind. Wie Alfred Hitchcocks Filmklassiker Die Vögel zeigt, können uns fliegende Vögel Angst machen. Ihr irrlichterndes und aggressives Verhalten bringt nicht nur die Protagonisten des Films völlig aus dem Tritt – viele Zuschauer entwickeln nach Sichtung des Films ein starkes Misstrauen gegen Vögel. Man erinnere sich auch an das Büro des schauerlichen Bates Motel in Psycho, wo ausgestopfte Vögel allein mit ihrer stummen Gegenwart Unheil ankündigen. Es heißt auch, dass der amerikanische Regisseur selbst Angst vor Vögeln gehabt habe; das Ovulationsprodukt des Vogels, das Ei, soll bei ihm regelrechten Ekel hervorgerufen haben.
Dieses Buch handelt von Menschen, die sich auf unterschiedliche Weise mit Vögeln beschäftigt haben. Es sind etliche darunter, die ihren Platz in der Ahnenreihe der Ornithologen und für die Wissenschaft nützliche Kenntnisse erworben haben, andere haben sich dagegen nur einem bestimmten Vogel, einem Aspekt oder einer Idee verschrieben, die auf irgendeine Weise mit Vögeln zusammenhängt, und sind nicht Teil des großen Projekts der Fortschreibung des international geteilten Wissens über Vögel. Die Auswahl der Personen ist beispielhaft. Das Buch hat nicht den Anspruch, einen vollständigen Überblick zu geben, und die Kapitel sind nicht immer so scharf voneinander abgegrenzt, wie das Inhaltsverzeichnis dies suggerieren mag.
chon immer spielten Vögel im Leben und in den Gedankenwelten der Menschen eine wichtige Rolle. In der Höhle von Chauvet gibt es neben den – in der Eiszeit angefertigten – Zeichnungen diverser Säugetiere auch die eines Uhus. Die alten Ägypter stellten sich vor, wie Verstorbene, mit Vogelflügeln versehen, in die Ewigkeit eingingen. Hunderttausende mumifizierte Falken wurden den Göttern Ägyptens dargeboten. Tauben wurden von den Griechen mit der Liebesgöttin in Verbindung gebracht, und die im Tempelgebälk der Akropolis lebenden Eulen galten als Glücksbringer. Die Verwendung kleiner Eulen als Lockvögel reicht vermutlich bis in die Bronzezeit zurück. Botentauben waren in Indien, Persien und Ägypten beliebt. Über die Azteken ist bekannt, dass sie den rot und grün gefärbten Quetzal als »Gott der Lüfte« verehrten. In verschiedenen mythologischen Traditionen galten die Vögel als Tiere, die eine Verbindung mit dem Himmel oder dem Göttlichen herstellen konnten.
Ein düsteres Kapitel im Umgang von Menschen und Vögeln sind die Hahnenkämpfe, die sich rund dreitausend Jahre zurückverfolgen lassen. Solche im Grunde rituellen Verwendungen spielen eine wichtige, vielleicht entscheidende Rolle für die weltweite Verbreitung des Haushuhns, dessen farbenprächtige Ahnen in den schwülen Wäldern Südostasiens zu Hause sind. Wahrscheinlich wurden sie zuerst in Asien veranstaltet, später im alten Griechenland, in Rom und dann auch in England. Auch heute noch gibt es sie auf den Philippinen, in Kuba, Haiti, Peru, Frankreich, auf den Kanarischen Inseln und anderswo. Sie können von wenigen Sekunden bis zu einer Viertelstunde dauern. Bevor die Hähne in den Ring steigen, durchlaufen sie ein intensives Trainingsprogramm, und werden oft mit allen möglichen Substanzen gedopt, um ihre Kampfinstinkte anzustacheln. Selbst im fortschrittlichen Amerika, genauer gesagt im New Yorker Stadtteil Queens, wurde 2014 ein regelrechter Hahnenkampfring ausgehoben; auf einen Schlag wurden sechstausend Tiere befreit. Die Polizei nannte ihre lange vorbereitete Razzia »Operation Angry Bird«. Die Füße der Tiere wurden mit Stahlklingen versehen und sie bekämpften sich dann so lange, bis eines oder sogar beide Tiere tot umkippten – zur sadistischen Ergötzung der Zuschauer. Morbide Sensationslust verbindet sich mit Spielsucht: die Wetteinsätze belaufen sich oft auf Tausende von Dollars. Hahnenkämpfe können in den USA mit mehreren Jahren Gefängnis bestraft werden; allein das Zuschauen bei diesem »blood sport« gilt schon als strafbar.
Der Wanderfalke ist das sich am schnellsten fortbewegende Lebewesen der Erde. Und im Umgang von Falkner und Falke verwirklicht sich die wohl innigste Beziehung von Vogel und Mensch. Falkner, die ihren Vogel auf der lederbehandschuhten Faust tragen (oft mit einer Ledermaske versehen, die ihn vor äußeren Reizen schützt und ruhig hält), beschreiben ihn als Verbündeten, sie sehen sich nicht als Herr über ihn, manchmal verstehen sie sich sogar als seinen Sklaven. Der Aufstieg des Falken in die Luft und die dann einsetzende Jagd versetzen dem Falkner einen Adrenalinstoß. Sobald der Vogel seine Beute gemacht hat, läuft der Vogelhalter zu ihm, entzieht sie ihm vorsichtig und belohnt ihn.
Ob sich die Vogelbeize zuerst im zweiten Jahrtausend vor Christus in Zentralasien entwickelte und von dort im Laufe der Zeit verbreitet hat oder an verschiedenen Orten unabhängig voneinander entstanden ist – die Ursprünge liegen im Dunkeln. Falken sind nur entfernt mit anderen Greifvögeln wie Adlern und Geiern verwandt, wahrscheinlich stehen sie näher bei den Papageien. Es sind etwa sechzig Arten bekannt. Von der Antarktis und einigen ozeanischen Inseln einmal abgesehen, kommen Falken überall vor. Der Vogel erledigt für den Menschen etwas, das dieser alleine nicht zuwege bringt. Und er erweitert seine Handlungsfähigkeit im Raum auf geradezu dramatische Weise. Der Einsatz des Vogels für die Jagd auf andere Tiere erfordert Zähmung, Training und Kontrolle. Die Falknerei entfacht eine Begeisterung, die nicht leicht zu erklären ist. Sie setzt unendliche Geduld und Vorsicht voraus; der Vogel darf niemals bestraft werden. Im Grunde ist sie eine Leidenschaft, die einer Liebesbeziehung nahekommt.
Friedrich II. von Hohenstaufen (1194–1250), von 1220 bis zu seinem Tode Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, dürfte als einer der bekanntesten Falkner in die Geschichte eingegangen sein. Der Wissenschaftler Erwin Stresemann (1889–1972) bezeichnete ihn sogar als »ersten großen Ornithologen, den die Geschichte kennt«. Sein bahnbrechendes Buch über Vögel im Allgemeinen und die Falken im Besonderen, De arte venandi cum avibus, das erst im 18. Jahrhundert übersetzt unter dem Titel Von der Kunst der Jagd mit Vögeln erschien, beruht auf den Erfahrungen des polyglotten Kaisers und spiegelt seine intensive Beschäftigung mit der Anatomie und Lebensweise der Vögel wider. Es geht um Aspekte wie Nahrungswahl, das Verhalten der Vögel im Laufe des Tages, Vogelzug, Gefieder und die verschiedenen Arten des Vogelfluges. Schon mit jüngsten Jahren erlernt Friedrich die Jagd mit Falken. Den Kreuzzug der Jahre 1228/29 verbindet er mit der Vertiefung seiner Kenntnisse über die Falknerei im Nahen Osten. Er unterhält an seinem Hof nicht weniger als 50 Falkner mit verschiedenen Greifvögeln – einige davon bekam er von Herrschern aus Nordeuropa und Grönland geschenkt.
Nachdem er im Jahre 1222 seine Residenz von Palermo nach Foggia in Kalabrien verlegt, unterhält Friedrich dort ein Vivarium; eine mithilfe von gemauerten Wasserleitungen geregelte Anlage von Teichen und Sümpfen, in der sich verschiedene Wasservögel tummeln: »Welch phantastisches Bild: der mit Marmor- und Verdeantico-Säulen, mit Bronze und Marmor-Statuen geschmückte Palast und inmitten der deutsche Kaiser, der von Mohrensklaven und Edelknaben begleitet seinen Weiher aufsucht, um die Pelikane, Kraniche, Reiher, Wildgänse und fremdartigen Sumpfvögel zu beobachten!«, schreibt der Mediävist Ernst Kantorowicz. Da der Kaiser vom Papst exkommuniziert wird, verschwindet sein Falkenbuch lange in der Versenkung.
Der Sog der Falknerei ist so stark, dass Menschen darüber zuweilen alles andere vergessen. Für Pero López de Ayala, Kanzler von Kastilien, ist der Falke »der edelste und beste der Raubvögel, Lord und Prinz der Jagdvögel«. In Herrscherhäusern Europas ist die Falkenjagd weit verbreitet. Norwegen schenkt Edward I. von England 1236 acht graue und drei weiße Gerfalken. Die sardische Regentin Eleonora d’Arborea erlässt ein Gesetz zum Schutz der Falken auf ihrer Insel (der auf mehreren Mittelmeerinseln beheimatete ›Eleonorenfalke‹, der erstaunlicherweise erst 1839 beschrieben wurde, als dieses Gesetz immer noch in Kraft war, erinnert an diese große Vogelliebhaberin des 14. Jahrhunderts) und erhebt sich damit zu einem der ersten Vogelschützer, welche die Geschichte aufzuweisen hat. Das Gesetz hatte freilich nur die Funktion, die Falknerei für den Adel sicherzustellen. Der ungarische König Ludwig I. der Große, seit 1370 zugleich König von Polen, soll auch eine außerordentliche Beizfreude an den Tag gelegt haben. Zu dieser Zeit entspricht der Wert eines Falken der Hälfte des Jahreseinkommens eines Ritters. Königin Elisabeth I. gilt ebenfalls als von der Leidenschaft besessen. Und Ludwig XIII. (1601–1643) soll sogar an den meisten Tagen der Woche in der Dämmerung mit Wanderfalken Fledermäuse gejagt haben. Der britische Falkner Colonel Gilbert Blaine geht 1930 so weit, dass er »einen von unseren Vorfahren ererbten Instinkt« für die enorme Faszination verantwortlich macht, die von der Falknerei ausgeht.
Ist dieser besondere Umgang mit Falken eine Kunst, ein Sport, einfach nur eine Berufung oder alles zusammen? Vielleicht ist es die poetischste Weise, die der Mensch erfunden hat, Vögel zu seinem Nutzen einzusetzen. Lange sicherten sie den Beduinen ihr Überleben. Mit der Verbreitung von Feuerwaffen gegen Ende des 17. Jahrhunderts findet die Falkenjagd, von wenigen Ausnahmen abgesehen, ein jähes Ende; aber im Nahen Osten und im Norden Indiens wird sie vor allem unter Wohlhabenden weiterhin als ein kostbares Ritual gepflegt. Bis heute gibt es den 1927 gegründeten British Falconers’ Club. In den Golfstaaten ist die Falknerei bis heute integraler Teil der Kultur der Beduinen, mehr als zwanzigtausend dieser Beizvögel soll es alleine in den Vereinigten Arabischen Emiraten geben. Damit ihre Halter sie komplikationslos auf Reisen mitnehmen können, bekommen die Vögel Reisepässe ausgefertigt, einen Platz im Flugzeug gebucht und werden behutsam neben den Platz des Scheichs in der Businessclass gesetzt. Sie werden wie Familienangehörige behandelt, wie ein zusätzliches Kind. Vor einigen Jahren hat die UNESCO die Falknerei als immaterielles Kulturerbe anerkannt, das als schützens- und fördernswert gilt. Vielleicht ist die Falknerei die Urform der Vogelleidenschaft. In Abu Dhabi gibt es die weltgrößte Falkenklinik, die von der deutschen Tierärztin Margit Müller geleitet wird – sie ist dabei getragen von einer großen Faszination für die Greifvögel. Die Scheichs vertrauen ihr heute ihre Vögel mit allen möglichen Problemen an, sie hat mit ihrer Kompetenz ihr volles Vertrauen in einer von Männern dominierten Kultur gewinnen können.
Schon eineinhalb Jahrtausende vor Friedrich erhebt Aristoteles (384–322 v. Chr.) die Beschäftigung mit den Vögeln zu einem Thema. Er schaut in die Nester, blickt den Zugvögeln hinterher, überlegt, was genau es mit der Mauser auf sich haben mag. Aristoteles ist bei alldem nicht unfehlbar; einige seiner Vorstellungen sind dem Reich der Fabel entliehen, etwa wenn er den angeblichen Winterschlaf einiger Vögel erwähnt – die wohl naheliegendste Erklärung dafür, dass man bestimmte Vogelarten in der kalten Jahreszeit überhaupt nicht zu Gesicht bekommt. Wobei – dies nur als Randnotiz – die im amerikanischen Westen lebende Winternachtschwalbe tatsächlich in eine mehrmonatige Kältestarre fallen kann. Im Übrigen vertritt Aristoteles die Auffassung von der sog. Transmutation, die Vorstellung, dass sich Vögel angeblich von einem in einen anderen verwandeln können. Und er stellt die Hypothese auf, dass Vögel keine Nieren besitzen; er ist nämlich der Meinung, dass ihr Urinieren keine eigenständige Funktion darstellt.
Insgesamt erwähnt er etwa 140 Arten, die Auswahl ist dabei auf die Mittelmeerregion begrenzt. Aristoteles ist auch der erste Mensch, der das ungewöhnliche Verhalten des Kuckucks beschreibt, der kein Nest baut, sondern seine Eier in die Nester anderer Vögel legt und die Jungen seiner Wirtseltern aus dem Nest wirft. Und er erwähnt die Klugheit, die sich bei diesem Vogel mit Feigheit paare. Obwohl er noch keine Ahnung von der jährlichen Wanderung des Vogels nach Afrika haben kann, ist er jedoch skeptisch, ob sich der Kuckuck im Winter in einen Greifvogel verwandeln könne; eine Vorstellung, die gar nicht mal so abwegig klingt, wenn man die entfernte Ähnlichkeit mit dem Sperber in Betracht zieht.
Es gibt viele Schriften, die Aristoteles zugeschrieben werden, obwohl nicht immer klar ist, ob sie tatsächlich auf ihn zurückgehen. Dass er Vögel danach unterschieden habe, ob sie auf dem Land, in Flüssen, Seen und Meeren oder auf dem Wasser leben oder ob sie zu den Krummklauigen, Würmer-, Distel-, Holzkäferfressern, Tauben, Erdvögeln, Spalt- oder Ruderfüßigen zu rechnen seien – aus heutiger Sicht eine fragwürdige Haarspalterei –, wurde ihm zum Beispiel später nur angedichtet.
Aristoteles’ Aufzeichnungen geraten im frühen Mittelalter in Vergessenheit. Religiöse Deutungen, zweifelhafte Beobachtungen und Aberglauben gewinnen wieder die Oberhand. Sicherlich gab es auch weiterhin hier und dort Menschen, die sich intensiv mit Vögeln beschäftigten, nur sind ihre Spuren schwierig zu finden. Man mag an die Universalgelehrte Hildegard von Bingen (1098–1179) denken, die in ihrer Physica fünfzig Vögel charakterisiert, wobei sie der Vier-Elemente-Lehre folgt und die Tiere als »heiß«, »warm« oder »kalt« einteilt. Ihre Aufzählung dient damals der Volksmedizin. Sie beschreibt in ihrem Werk, welche Wirkung die Vögel auf den Menschen haben und ob man das jeweilige Tier verspeisen darf oder nicht. Vielleicht sollte man es der Äbtissin nicht allzu sehr verübeln, dass sie Fliegen, Bienen, Zikaden, Heuschrecken, Wespen, Leuchtkäfer und Fledermäuse noch sehr frei zu den Vögeln zählt und deutschen Tierbezeichnungen einfach eine lateinische Endsilbe hinzufügt bzw. durch diese ersetzt – so schreibt sie zum Beispiel von der »lercha« oder der »grasemucka«. Sie hat ihre Studien vermutlich weitgehend unabhängig betrieben und sich auf ihre eigenen Beobachtungen verlassen, soll aber hier und da mit Vogelstellern und Jägern Kontakt gehabt haben. Man kann vermuten, dass Geier damals noch am Rhein lebten, aber ob sie auch Strauß und Papagei aus eigener Anschauung kannte?
Es gibt andere, die sich allmählich daranmachen, Mythologie und Folklore von tatsächlich beobachteten Fakten zu trennen. Gibt es einen ersten »richtigen« Ornithologen? Auf diese Frage gibt es verschiedene Antworten – je nachdem, auf welches Land man sie bezieht, wen man befragt, und in gewisser Weise auch, welche Epoche man befragt. Die Ornithologie etablierte sich als Wissenschaft erst im 19. Jahrhundert, aber schon vorher gab es etliche Naturkundler und Wissenschaftler, die sich intensiv oder ausschließlich mit Vögeln beschäftigten – wobei der Grad der Beschäftigung kaum Aussagen über Erkenntnisfortschritte beinhaltet.
Der Engländer William Turner (vermutlich 1508–1568) entdeckt während seines Studiums in Cambridge die charakteristische und als bedrohlich geltende Moorlandschaft, die »fens« Ostenglands, die damals noch die Heimat zahlreicher Kraniche und Trauerseeschwalben war (mit der Trockenlegung verschwanden sie später leider). Als überzeugter Protestant, der zwei enge Freunde verliert, weil diese wegen Ketzerei zur Verbrennung am Pfahl verurteilt werden, muss er später auf den Kontinent fliehen, um sich vor religiöser Verfolgung zu retten. Er verbringt mehrere Jahre in Italien, wo er auch zum Doktor der Medizin promoviert wird. 1544 veröffentlicht er in Köln sein, dem jungen Prinzen von Wales gewidmetes Hauptwerk Avium Praecipuarum Historia, das als eines der frühesten Bücher über Vögel überhaupt gilt. Er beschreibt darin 130 Arten. Später freundet er sich während einer Reise in die Schweiz auch mit Conrad Gessner an. Nach dem Tod Heinrichs VIII. kann er zwar zunächst nach England zurückkehren, muss das Land aber wieder vorübergehend verlassen, als die harte, katholische Glaubensverfechterin Mary I. Tudor (»die Katholische«) die Herrschaft übernimmt. Conrad Gessner (1516–1565) verfasst im Rahmen seiner Historia animalium einen ganzen Band, den er nur den Vögeln widmet; wobei die 217 Charakterisierungen von Holzschnitten begleitet sind, welche die Tiere prägnant, aber dabei doch recht vereinfachend darstellen. Er soll schlechte Augen gehabt haben.
Der italienische Naturforscher Ulisse Aldrovandi (1522–1605), Professor der Philosophie in Bologna, der ansonsten übrigens ein Faible für Drachen pflegt, schafft mit seiner Ornithologiae ein Werk, das Gessners Büchern ähnelt, allerdings hochwertigere Illustrationen zeigt und detailliertere anatomische Beschreibungen bietet. Ihm wird vorgeworfen, er habe Fantasiewesen unter die richtigen Vögel gemischt. Aldrovandi besucht die Volieren der Medici in Florenz, wo er unter anderem den Helmhokko, den Tuberkelhokko, den Rotkardinal, die Rotfuß-Atlaswitwe, die Dominikanerwitwe, Truthähne, Fasane und Pfauen bewundern kann. Aldrovandis Kuriositätenkabinett soll mehr als achtzehntausend Objekte gezählt haben.
Der Engländer John Ray (1627–1705) gehört zu denen, die sich daran abarbeiten, die mittelalterlichen Vorstellungen durch an Tatsachen geschulte zu ersetzen. Sein wichtigster Beitrag zur Naturgeschichte hat den Titel The Ornithology of Francis Willughby. Translated into English and enlarged with many additions etc. by John Ray; er trägt damit der langjährigen Zusammenarbeit mit Willughby Rechnung, der an dem Text beteiligt war, aber vor dessen Veröffentlichung verstarb. Das Buch verkörpert den wohl letzten Versuch, alles über Vögel Bekannte in einem Band unterzubringen.
Der Österreicher Ferdinand Adam Freiherr von Pernau (1660–1731) ist einer der Theologen unter den Vogelkundlern. Er verschreibt sich nach dem Studium und Reisen nach Italien, Frankreich und Holland auf seinem Gut Rosenau – neben seiner Aufgabe als Vorsitzender der Coburger Regierung – den Vögeln. Er beobachtet sie nicht nur in der Natur, sondern hält viele im Käfig und soll sie mit Geduld und kluger Methodik sogar dazu gebracht haben, denselben als ihr Revier zu betrachten, in das sie nach jedem Ausflug in die Wildnis zurückkehrten. In den Geschöpfen der Natur sieht er Offenbarungen Gottes, und die Beschäftigung mit ihnen ist für ihn ein Weg moralischer Läuterung: sie erscheint ihm als rettender Ausweg »aus schaler Vergnügungssucht und schimpflicher Völlerei«. Er hat gelernt, »dass die Gemüths-Ergötzungen, die man in rebus naturalibus suchet, keiner solchen Unbeständigkeit unterworffen, wie diejenigen divertissments, die in Spielen und dergleichen, bloss allein auf der menschlichen Erfindung beruhen«. Von Pernau bäumte sich gegen Descartes und Borelli auf, die sich den Vögeln mit mechanischem Verständnis näherten, sie nur als Automaten sehen wollten.
Seine Erkenntnisse kondensierte er in einem Büchlein mit dem Titel Unterricht, was mit dem lieblichen Geschöpff, denen Vögeln, auch ausser dem Fang, nur durch Ergründung deren Eigenschafften und Zahmmachung oder anderer Abrichtung man sich vor Lust und Zeitvertreib machen könnte, das von einem zweiten Angenehme Landlust, deren man in Städten und auf dem Lande, ohne sonderliche Kosten, unschuldig geniessen kann gefolgt wurde. Ein halbes Jahrhundert später erschien es unter dem Titel Gründliche Anweisung, alle Arten Vögel zu fangen, abzurichten und sie zum Aus- und Einfliegen zu gewöhnen nochmals.
Von Pernau befreit sich vom aristotelischen Weltbild und vom verbreiteten Autoritätsglauben, indem er zum Beispiel den Vogelzug als Triebhandlung erkennt. Und es wird ihm klar, dass das Lernen komplexerer Vogelgesänge von Vorsängern abhängt und demnach nicht angeboren ist. Er entwirft zudem einen kleinen Katalog von Kriterien, nach denen er verschiedene Vogelarten auseinanderhalten kann, etwa durch die Art und Weise, wie sie ihre Nahrung aufnehmen – ob mit dem Schnabel zerknirscht, verschluckt oder aufgeleckt, in der Sesshaftigkeit, in der Geselligkeit während und nach der Brutzeit. Von Pernau ist sich der Grenzen seiner Beobachtungen, die er an nur wenigen Vogelarten macht, offenbar bewusst, aber er zieht es vor, seine Ideen auf der Grundlage eigener Anschauungen zu entwickeln, anstatt sich auf andere zu verlassen. Er ist auch einer der Ersten, der sich gegen das Töten von Vögeln ausspricht; er betont das Vergnügen, das darin liegt, diese Geschöpfe lebend zu beobachten. Mit der Beobachtung, dass einige seiner gezüchteten Vögel eine Anhänglichkeit entwickeln und nach der Freilassung aus eigenem Antrieb zu ihm zurückkehren, kann man ihn als frühen Vorläufer von Konrad Lorenz sehen, der drei Jahrhunderte später das Prinzip der Prägung explizit formulieren sollte. Von Pernaus Bücher erschienen anonym. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts identifizierte Erwin Stresemann von Pernau als Verfasser und erkennt damit im Nachhinein die Bedeutung des Adligen für die Entwicklung der deutschen Vogelkunde.
Vermutlich hätte von Pernau nicht allzu viel Vergnügen an dem »philosophischen Spielzeug« gehabt, das der Ingenieur und frühere Jesuitenschüler Jacques de Vaucanson (1709–1782) wenige Jahre nach von Pernaus Tod einer verblüfften Öffentlichkeit vorstellt. Die mechanische Ente, aus mehr als 400 Einzelteilen konstruiert, kann flattern, trinken, ihre Beine anheben und weist sogar einen mit Chemikalien gefüllten Magen und Darm auf, der die Verdauung von Körnern simuliert (»defäkierende Ente«). Für Vaucanson ist die Ente nur die Vorstufe zum mechanischen Menschen, von dem er träumt. Eine ironische Fußnote bei dem Ganzen ist, dass Vaucanson unter Verdauungsproblemen gelitten haben soll. Als Johann Wolfgang von Goethe 1805 den alten Professor Beireis, einen Sammler von Kuriositäten, besucht, bietet der Vogelautomat einen eher erbärmlichen Anblick: »Die Ente, unbefiedert, stand als Gerippe da, fraß den Hafer noch ganz munter, verdaute jedoch nicht mehr.«
ls die ersten Paradiesvögel mit der »Victoria« am 8. September 1522 – neben einer kostbaren Gewürzladung – den Hafen von Sevilla erreichen, sind sie in einem Zustand, der kaum etwas mit dem lebenden Original gemein hat, geschweige denn etwas von ihrer faszinierenden Pracht vermitteln kann. Es sind trockene, um einen Stock gewickelte, federleichte Häute mit langen, seidigen, in schillernden Farben glänzenden Federn. Antonio Pigafetta (1491–1534), der die Weltumsegelung von Ferdinand Magellan auf der »Victoria«, einem der Schiffe der Flotte, als Chronist begleitet, schreibt:
»Diese Vögel haben die Größe einer Drossel, einen kleinen Kopf, einen langen Schnabel und Beine, die nicht dicker als eine Schreibfeder sind. Ihr Schwanz gleicht dem der Drossel, sie besitzen aber keine Flügel, sondern an ihrer Stelle verschiedenfarbige Federn, die Reiherfedern ähnlich sind. Die übrigen Federn sind dunkel. Diese Vögel können nur fliegen, wenn ein Wind weht. Man behauptet, dass sie aus dem Paradies kommen, und nennt sie Bolondinata, Vögel der Götter.«
Diese ersten Exemplare hat der Kapitän der »Victoria«, Juan Sebastián Elcano, als Geschenk vom Sultan von Batjan erhalten, bevor sie der Naturhistoriker Francisco Lopez de Gomara untersucht und festhält: »Wir sind der Ansicht, dass diese Vögel sich vom Tau und vom Nektar der Gewürzbäume ernähren. Aber wie dem auch sei, so viel steht jedenfalls fest, dass sie niemals verwesen.« Ihre Herkunft wird mit den in der Nähe der Terra australis incognita gelegenen Inseln angegeben.
Das ist nur der Beginn einer Legende, die über Jahrhunderte immer weiter gestrickt wird und einem Wettstreit zwischen den Kolonialmächten nahekommt. Vermutlich ist es gerade die Unbestimmtheit und Rätselhaftigkeit der Überreste dieser Vögel, die einen ganz eigentümlichen Mythos erzeugt. Sie sind exotische Kostbarkeit und Objekt der Begierde. Herbert Wendt vergleicht die Paradiesvögel mit der blauen Mauritius in der Philatelie: »Gekrönte Häupter, berühmte Sammler und namhafte Verleger versuchten einander in erbarmungslosem Konkurrenzkampf die seltensten Fundstücke und die besten Beschreibungen wegzuschnappen.«
Was lange niemand glauben will, obwohl Pigafetta früh darauf hingewiesen hat: Im Zuge der Präparation entfernen die Eingeborenen nicht nur das Fleisch und die Knochen, sondern auch die Füße und oft auch die Flügel. Bei den staunenden Empfängern der Bälge erzeugt das durchaus nachvollziehbar die Vorstellung, Vögel würden überhaupt niemals auf den Boden herabkommen, sondern fortwährend in der Luft schweben und dadurch noch einmal eine ganz eigene Ordnung unter den Vögeln bilden. Diesen Gedanken folgend, schreibt ein gewisser Bischof Simolus 1597: »Solange sie leben, führen sie ein Leben wie die Engel, sterbend aber fallen sie wie der Teufel aus dem Himmel, um nie wieder dahin zurückzukehren; somit sind sie ein Symbol für den sündigen Menschen, der plötzlich, aus der göttlichen Gnade verstoßen, in die Hölle stürzt.«
Selbst die Zeichnungen und Aquarelle aus dieser Zeit zeigen die Vögel nur unmerklich realistischer; der Glaube an das Wunderbare dieser Vögel ist zu stark, um sich gegen die unbestreitbaren Fakten durchsetzen zu können. Lange Zeit bleibt als entscheidendes Handicap, dass die Künstler die Tiere nicht leibhaftig in der Natur beobachten können. Der Antwerpener Maler Maarten de Vos (1532–1603) präsentiert in seiner farbenprächtigen Allegorie der Luft neben diversen Vögeln eben auch den kometengleich fliegenden, aber gnadenlos verstümmelten Balg eines Paradiesvogels. Ulisse Aldrovandi zeigt den Vogel in seiner Ornithologiae ebenfalls ohne Füße. Er versteigt sich sogar zu der Vermutung, dass den beiden Schwanzfäden die Funktion von Füßen zukomme. Zur Mitte des 17. Jahrhunderts ist die Fuß- und Flügellosigkeit als unrichtig entlarvt worden, dennoch tauchen sie etwa auf den Illustrationen des Matthäus Merian des Älteren vereinzelt immer noch in der überholten Form auf. Zu weiterer Verwirrung trägt die bei einigen Künstlern wie Albertus Seba in seinem Thesaurus verbreitete Angewohnheit bei, Tiere verschiedener Kontinente zusammen darzustellen und diesen dann noch Fabelwesen hinzuzugesellen.
Carolus Clusius (1526–1609), seines Zeichens Naturforscher am Hofe des Habsburgers Rudolf II. und ab 1593 Professor an der Leidener Universität, werden neue Arten zugetragen, u.a. der Große Paradiesvogel und der Königsparadiesvogel. Obwohl auch er keinen der Vögel lebendig zu Gesicht bekommt, durchschaut Clusius das Verstümmeln der Paradiesvögel, aber niemand will auf ihn hören, weil es den Nimbus der Vögel zerstört und außerdem wirtschaftliche Interessen berührt. Der Mythos von den Göttervögeln wird also noch eine ganze Weile weitergesponnen. Später fallen keine Geringeren als Carl von Linné und George-Louis Leclerc de Buffon darauf herein. Linné führt noch den Namen Paradisea apoda ein – »fußloser Paradiesvogel«.
Neue Bewegung bringen um 1800 die Vogelmaler Jean Baptiste Audebert und Jacques Barraband mit ihren in großformatigen Folianten gedruckten Illustrationen, wobei sich hier auch fantasierte Paradiesvögel finden – manche Bälge sind nämlich aus Körperteilen unterschiedlicher Vögel zusammengesetzt.
Als der seit frühen Jugendjahren an Vögeln, Schmetterlingen und Pflanzen interessierte französische Schiffsapotheker René Primevère Lesson (1794–1849) in den Jahren 1823/24 nach Neuguinea kommt, schreibt er voller Begeisterung:
»Der Anblick des ersten Paradiesvogels war überwältigend. Die Flinte in unserer Hand blieb stumm, so verblüfft waren wir. Es war im Urwald, der den Hafen von Dorey umgibt. Als wir behutsam auf den von wilden Schweinen gezogenen Pfaden durch diese düstere Unergründlichkeit schlichen, flog er plötzlich über unsere Köpfe – anzuschauen wie ein Meteor, dessen Körper, während er die Luft durchschneidet, einen langen Lichtstreif hinter sich herzieht.«
Er ist einer der ersten, wenn nicht der erste westliche Naturkundler, der diese Vögel lebend mit eigenen Augen gesehen hat. Ergebnis seiner Beobachtungen ist die Naturgeschichte der Paradiesvögel (1834–35). Ansonsten wird er Ornithologiegeschichte schreiben, weil er als Erster den »falschen Penis« des Büffelwebers entdeckte – ein phallusartiges Organ, das jedoch nicht der Übertragung von Spermien dient.
Noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts können die als selten und mysteriös geltenden Paradiesvögel Jäger in enorme Begeisterung versetzen. Der für sein exzentrisches Auftreten berühmte und berüchtigte italienische Naturforscher Luigi d’Albertis (1841–1901), der um 1872 Neuguinea bereist, beschreibt seine Gefühle während der Jagd sehr detailliert. Von Wassersucht gebeutelt, trottet er durch den Dschungel, vergisst dann aber schlagartig all seine Pein, als er den Paradiesvogel zu Gesicht bekommt: »Meine Aufregung war so groß, dass ich, als ich ihn fallen sah, sofort hinlief, um ihn in Sicherheit zu bringen, wobei ich den Zustand meiner Beine vergaß, obwohl ich einen Moment zuvor kaum in der Lage war, sie hinter mir herzuschleifen.« Der große Naturkundler Alfred Russel Wallace (1823–1913), der über mehrere Jahre den Malayischen Archipel erkundet und d’Albertis Arbeiten lobt, soll die Vögel dann als »die schönsten aller schönen geflügelten Wesen« bezeichnen. Er beobachtet Eingeborene dabei, wie sie stumpfe Pfeile für die Jagd benutzen, um das Gefieder der Tiere möglichst nicht zu schädigen. Und kurz bevor sich die Ära der Entdeckungs- und Sammelreisen ihrem Ende zuneigt, schafft John Gould das großformatige Foliowerk: The birds of New Guinea and the adjacent Papuan Islands.
Die Zeiten, als die prächtigen Federn der Paradiesvögel Hüte schmückten, sind lange vorbei. Man kann es Vogelschützern wie Karl Georg Schillings (1866–1921) zurechnen, dass diese Praxis in Misskredit geriet. Schillings, der Ostäquatorial-Afrika bereiste und mit nächtlichen Blitzlichtaufnahmen, die von den zu fotografierenden Tieren selbst ausgelöst wurden, innerhalb wie außerhalb der wissenschaftlichen Welt von sich reden gemacht hatte (sein Buch Mit Blitzlicht und Büchse zeigt Geier, Raben, Flamingos, Gänse, Pelikane, Schlangenhalsvögel, Kormorane, Marabus, Edelreiher und Kronenkraniche), prangert unter anderem vor dem Internationalen Ornithologie-Kongress 1910 in Berlin »die Vernichtung vieler Vogelarten durch moderne Damenmoden« an und macht »die Tragödie des Paradiesvogels und des Edelreihers« vielerorts zum Thema.
Seit jeher wird das Federkleid der Paradiesvögel von den Papua für aufwendigen Kopfschmuck verwendet, der bei festlichen Anlässen und vor allem von den Männern getragen wird; zudem sind Federn und Bälge lange ein begehrtes Tausch- und Zahlungsmittel. Das bringt Vogelschützer in eine schwierige Situation, weil sie sich einerseits für die Bewahrung der Tiere starkmachen, zugleich aber traditionellen Lebensweisen mit Respekt begegnen wollen. Denn bis heute sind Ornithologen in den Wäldern Papua-Neuguineas auf der Suche nach Paradiesvögeln, haben dabei jedoch völlig anderes im Sinn als die Menschen vor ein paar Hundert Jahren. Jack Dumbacher, Kurator an der California Academy of Sciences, ist einer von ihnen. Er beschäftigt sich mit den ökologischen und evolutionären Gesichtspunkten der Paradiesvögel und mit den Krankheiten in dieser Tropenwelt, wo er sich, wie er es formuliert, fühlt, als würde er »in die Zeit zurückgehen«. Dumbacher ist in der Ornithologenszene auch deswegen ein Begriff, weil er 1989 entdeckt, dass sich in der Haut und den Federn des orange und schwarz gefärbten Zweifarbenpitohui, der zu den Pirolen gehört, das Gift Homobatrachotoxin verbirgt. Er ist einer der wenigen giftigen Vögel weltweit. Als der Pitohui, der dem Ornithologen quasi zufällig mit ins Netz geht, ihn leicht verletzt und Dumbacher die Wunde aussaugt, stellt er fest, dass sein Mund taub geworden ist. Er schenkt dem zunächst keine weitere Beachtung. Erst als er im darauffolgenden Jahr eine Feder des Vogels in den Mund nimmt, bemerkt er sofort den äußerst unangenehmen Geschmack, was ihn weitere Untersuchungen veranlassen lässt. Das Gift ist wirksamer als Strychnin und stammt von einer bestimmten Käferart, die dem Pitohui als Nahrung dient.
ie Unbekümmertheit, mit der bis ins 20. Jahrhundert exotische Vögel erlegt wurden, ist erschreckend, wenn auch aus dem Geist der Zeit verständlich. Einmal geschossen, war die Konservierung der Beute ein Wettlauf gegen die Zeit, wie der folgende Bericht von Franz Johann Friedrich Meyen (1804–1840) belegt, der über die Empfehlung von Alexander von Humboldt zum Schiffsarzt auf dem Segelschiff »Luise« wurde und 1830–32 die Erde umrundete: