Feridun Zaimoglu • Günter Senkel

Schwarze Jungfrauen

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Über Feridun Zaimoglu / Günter Senkel

Feridun Zaimoglu, geboren 1964 im anatolischen Bolu und aufgewachsen in Deutschland, studierte Kunst und Humanmedizin in Kiel, wo er seither als Schriftsteller, Dramatiker, Drehbuchautor und Journalist arbeitet. 1995 erschien sein erster Roman «Kanak Sprak» (Rotbuch), sein Roman «Abschaum» (1998, Rotbuch) wurde unter dem Titel «Kanak Attack» in der Regie von Lars Becker verfilmt und kam 2000 in die Kinos. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter 2002 mit dem Hebbel-Preis, 2003 mit dem Preis der Jury beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt, 2004 mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis, 2008 mit dem Internationalen Buchpreis Corine und 2012 mit dem Preis der Literaturhäuser.

 

Günter Senkel wurde 1958 in Neumünster geboren. Sein Physikstudium gab er zugunsten einer eigenen Buchhandlung in Kiel auf, wo er seit 1997 als freier Autor lebt. Zusammen mit Feridun Zaimoglu schrieb er diverse Drehbücher, unter anderem «Brandmal», das 1998 mit dem Drehbuchpreis der Medienstiftung Schleswig-Holstein (MSH) ausgezeichnet wurde, und Theaterstücke.

Über dieses Buch

Rowohlt E-Book Theater

 

Zehn muslimische Frauen, zehn Monologe. Eine, Jurastudentin, fleißig, engagiert, verehrt Osama bin Laden, wettert gegen die «Schweinefresser», die «bildungsarmen Spießer» und träumt von der islamischen Renaissance. Eine andere ist nach einer heimlichen Affäre von zu Hause abgehauen: «Ich ficke immer noch, weil ich weiß, es schadet nicht meinem Glauben.» Die dritte, zum Islam konvertierte Christin, hält nichts von Ausländern: «Ich lasse es nicht zu, dass mir irgendwelche hergelaufenen Türken meinen Glauben kaputtstinken.»

«In einer Gesellschaft, die sich von Integrationskrisen geschüttelt und von Fundamentalisten bedroht glaubt, sind diese Neo-Musliminnen starker Tobak. Zum einen, weil einige ihrer Ansichten so radikal wie dumm sind. Dann, weil ihre Wut und ihr Stolz das Bild des braven, schamvoll verschleierten Weibchens Lügen strafen. Und schließlich, weil sich dahinter Erfahrungen und Verletzungen auftun, die durchaus mit einem vorurteilsgesättigten Klima und den Problemen des Lebens zwischen zwei Kulturen zusammenhängen.» (Theater heute)

Impressum

Originalausgabe

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, November 2013

Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Aufführungsrechte: Rowohlt Theater Verlag, Hamburger Straße 17, 21465 Reinbek

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Cathrin Günther

(Umschlagabbildung: thinkstockphotos.de)

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

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Satz Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-644-90431-6

www.rowohlt.de

www.rowohlt-theater.de

ISBN 978-3-644-90431-6

Erster Text

Allah ist mein Herrscher, der Prophet mein Menschenkönig, im Koran find ich die Verfassung, und im Heiligen Krieg die schöne Unterweisung. Damit hab ich mich ausgewiesen, für Ost und West, damit hab ich mich als das Stück Dreck erwiesen, für das die Westler mich immer hielten. Ist Gott so fern von ihnen? Ist Gott denn von Menschen verlassen, und darüber in großem Zorn, dass Er sie taub und stumm und blind leben lässt? Sie leben vor sich hin. Sie brauchen keinen Himmel, der Himmel über ihren Köpfen ist entvölkert, sie sterben eher, als dass sie Macht abgeben. An wen? An den einen Gott! Sie sollten die kleine Macht abgeben an den einen Gott. Sie leben aber bis zum Tod, der sie überrascht, über den sie sich zeitlebens den Kopf zerbrechen. Wenn sie aufschauen, sehen sie Baumkronen, darüber Vogelschwärme, darüber Wolken und Kondensstreifen. Wenn sie herunterschauen, sehen sie ihre Fußspitzen, darunter den Boden, darunter die Erde. Zwischen dem Nichts oben und dem Nichts unten ist ihr gestreckter Körper, ist die schwere Masse. Darin schlägt ein Herz, und deshalb fassen sie sich manchmal, ganz selten, an die Brust, und sprechen ein paar Worte, die sich zum Gebet formen. Die Christgläubigen füllen die Kirchen und schauen einem Priester dabei zu, wie er mit Brot und Wasser hantiert. Oder aber es steht ein Priester oder eine Priesterin vorne vor einem großen Holzkreuz, dieses Kreuz hängt mal nackt an der Wand, mal hängt der halbnackte Prophet daran, drei oder vier Nägel haben die Römer in den Körper des Propheten hineingetrieben, es hängt eine Leiche am Folterinstrument der Heiden. Dies Bild haben die Christgläubigen eingefroren, und die Priester, vorne am Kreuz, spalten Gott und nennen es einen Gottesdienst. Sie folgen dem Ritual und sträuben sich nicht dagegen, sie glauben an die Gottesspaltung, an die drei Scherben, die man zusammenklebt und die den Heiligen Körper ergeben sollen. Ist Gott denn von diesen Menschen verlassen, dass Er sie nicht straft? Ein Heiliger Körper ist der eine Gott nicht. Somit glauben sie an ein Nichts, das sie mit ihrem schlechten Atem behauchen, damit es Form annehme. Es zerfällt, denn die Lüge kann sich nicht halten.

Ich blicke auf sie, ich sehe, wie sie schauen und was sie sehen: Im Unglauben finden sie nur das nackte Nichts und im Glauben das Nichts der vielen Pfaffenworte. Hätte ich nicht zum Heil gefunden, und wäre ich im Geiste dieser Religion erzogen worden, ich wäre von Gott abgefallen. Denn der Gott der Christgläubigen ist ein Götze mit drei Köpfen, in den Ton des Götzen ist die Schlange eingezogen, und der Wortführer aller Schlangen ist der Papst: der übelste Verräter an Jesus Prophet. Ich spucke aus bei seinem Namen, mir wird übel bei seinem Namen, bei dem Namen des Verräters. Sie sind herzlos, sie geben aber vor, genau zu wissen, dass sie von Jesus Prophet nicht abgefallen sind. Sie, die Deutschen, sind schöne Menschen. Sie, die Deutschen, haben Mut, der sie vor allen anderen Westlern erhebt. Aber wieso sträuben sie sich, weshalb beten sie den Götzen Nichts an, was hat sie nur abgebracht von ihrem Grundton, von ihrer Seele und ihrem Volkscharakter? Man hält sie nieder, man macht sie schlecht. Das passt zum Heidenglauben, der den Gläubigen einredet, sie seien schon schlecht zur Welt gekommen, und es gehe nicht anders, als dass sie in ihrem Leben Tonnen von Sünden auf sich laden. Diese Krankheit zum Nichts und zum nichtigen Sein habe ich erkannt – vor zwei Jahren habe ich erkannt, dass mich all das, womit ich umgeben bin, nicht erretten kann. Aber ich will errettet werden. Ich will mich Gott unterwerfen. Ich will auch zu den Gläubigen zählen, die für Ihn streiten, denn Allah ist mein Herrscher, und der Prophet mein Menschenkönig. Die Deutschen werden sich ihrem Glück nicht versperren können. Früher oder später wird Deutschland ein islamisches Land werden. Heute lacht man mich aus wegen meiner Worte, morgen, wenn die deutschen Kindeskinder sich am neuen Glauben berauschen, wird man sich an die heutigen Zeiten erinnern. An die Hetze gegen die Moslems, an die Pornographen, die uns bekämpfen, an die aufgeklärten Exotenweibchen, die bei unserem Anblick schäumen. Sie aber sind die Spreu, und wir, die Heutigen, sind der Wind. Ich tröste mich nicht mit kommenden Zeiten, ich lebe und sterbe in einer spannenden Zeit, ich lebe und sterbe in meinem Glauben. Vor zwei Jahren fand ich zum Heil.

Es war nicht einfach, ich gebe es gerne zu. Mein Vater und ich, mehr gibt es nicht an Familie – von meiner Mutter lebte er seit zehn Jahren getrennt, sie haben sich nicht wirklich scheiden lassen, die Liebe, das war einmal zwischen ihren beiden Körpern, das hat sie damals zusammengeschmolzen. Aber sehr schnell war Schluss, um die Wahrheit zu sagen, sie schliefen schon in getrennten Betten, als meine Mutter im vierten Monat schwanger mit mir war. Ihre Liebe verreckte, sie trug mich aus. Die ersten fünfzehn Jahre blieb ich bei ihr, ich konnte sie aber nicht mehr länger ertragen: Sie kämpfte gegen ihr Alter an, ließ ihre Nägel zu Krallen wachsen und lackierte sie grellrot. Ihr neuer Liebhaber, ein Spanier, ein Rotwein-Connaisseur, ein charmantes Arschloch, hat sich wohl gedacht, dass er Mutter und Tochter im Doppelpack einkauft. Meine Mutter hat zu ihm gehalten, ich hatte die blöden Sprüche des Spaniers satt und zog zu meinem Vater. Ein einziges Telefongespräch hatte genügt. Er ist nicht liberal, Gott sei Dank, er hatte schon immer sehr konservative Ansichten, er steht rechts und lebt links, doch seine Inkonsequenz ist mir sehr sympathisch. Als ich ihm erklärte, dass ich zu Gott gefunden habe, fragte er nach, wie das möglich wäre, er hätte keine Anzeichen einer schleichenden Fanatisierung erkannt. Ich bin durch die Schule meines Vaters gegangen, ich bin auf die volle Härte geprüft worden. Anfangs war er mein ärgster Kritiker. Der Fetzen Stoff auf deinem Vogelkopf macht dich nicht heilig, hat er gesagt, du erhebst dich über die anderen Gläubigen, du gibst den unbedeckten Frauen zu verstehen, dass sie Flittchen sind. Bist du die einzig Gerechte unter Gottes Sonne? Du bist arrogant, hat er gesagt, und der Teufel Scheitan stürzte vom Himmel, weil er sich geweigert hat, dem Menschen, Gottes schöner Schöpfung, Respekt zu zeigen. Gott hat ihn für immer und ewig verflucht – willst du dem Teufel folgen? Er war außer sich vor Wut. Wer hat dich dazu angestiftet?, schrie er, wer hat dich manipuliert? Wie kannst du in dieser verdammten Nonnentracht herumlaufen? Meiner Mutter konnte er schlecht die Schuld geben, sie war und ist liberal, sie war und ist weltlich eingestellt. Schließlich, nach langen Monaten, hat er sich beruhigt, nein, das stimmt nicht, er kann sich an den Anblick seiner verhüllten Tochter nicht gewöhnen.

Ich habe das Heiligste Buch gelesen, erst mehrmals in der deutschen Übersetzung, und als ich sicher war, dass ich verstand, was ich las, habe ich es mit der türkischen Übersetzung versucht. Ich bin nicht an die türkische Sprache gewöhnt, deshalb rückte die Sprache Gott und seine Schrift weiter weg von mir. Also halte ich mich an die deutsche Übersetzung des Korans. Dies Buch ist Gottes Hinwendung zu den Gläubigen – man muss sich das einmal vorstellen: Da spricht die Macht, die nicht gezeugt hat, noch gezeugt wurde … da spricht die Macht zu ihrer Schöpfung, zu dem bisschen Etwas, das im Vergleich zur Majestät der Macht etwas mehr als nichts ist – und die Macht tritt die Kleinheit nicht in den Staub. Die Macht will uns nicht verlieren, obwohl es für Ihn weder Verlust noch Meinung gibt. Der Koran gleicht nicht den verpfuschten Evangelien, nicht den verpfuschten Gesetzestexten der Juden, der Koran ist die unverfälschte Sprache Allahs. Wer daran zweifelt, soll seinen Götzen Lametta umhängen und Kerzen anzünden vor Schaufensterpuppen aus Gips, wer alten Märchen glauben will, soll die beringte Hand des Verräters im Vatikan küssen, soll sich erniedrigen vor Pfaffen, die ihm die Sünden abnehmen. Der Zweifler soll dem Judenglauben anhängen, die sich für das auserwählte Volk halten, haben keine frohe Botschaft für Nichtjuden. Der Zweifler soll zum Judentum übertreten, wie es die deutschen Schleimer tun, jene Frauen und Männer, die sich auf dem Markt der Möglichkeiten umschauen. Die alten Märchen – man glaubt ihnen immer noch. Die alten Götzen – man küsst sie immer noch. Die wenigen deutschen Schleimer können der Wahrheit nichts anhaben, und die Wahrheit lautet: Das schöne Volk der Deutschen wird früher oder später den Glauben an Allah annehmen. Kann man das Licht Gottes ausblasen, kann es der Frevler mit seinem spitzen Mund? Kann man die Macht einschränken, sie dringt durch alle Ritzen und Lücken, sie kennt keine Mauer und keinen Wall. Allah ist stärker als der destruktivste Bunkerbrecher, Allah gehören der Osten und der Westen, der Norden und der Süden. Predige du nur, du Verräter im Vatikan, predige die Gottesspaltung, und die Idioten füllen die Plätze und rufen dir zu: Heil Papst! Denn der Verräter will den totalen Kreuzzug, und die Herde der Lämmer folgt ihm. Er will uns Moslems Angst machen? Er will den Westen christianisieren? Predige, Verräter, du Verräter an Jesus Messias, du Verräter an Jesus Menschensohn, du Verräter an Gott. Du willst uns Moslems Angst machen? Es braucht nur ein leichter Wind zu wehen, und er bläst dir das weiße Käppchen vom Kopf. Deine Kraft ist die Kraft des Hexers, der nur die Bauern auf dem Jahrmarkt blenden kann. Überall sieht man die Spuren der Vernichtung, wohin auch das Auge reicht, das Blut der Lüge – es bedeckt als dünner roter Film jeden Lebenden und jeden Toten, in Blut getaucht ist jeder Gläubige und jeder Ungläubige. Dies Blut der Lüge aus dem Gesicht zu wischen, mich rein zu waschen und vor den Spiegel zu stellen, das ist mir von Gott gegeben. Denn für Gott sind die Menschen sprechende Spiegel, und nur die Abtrünnigen sehen sich darin, die Gottunterworfenen aber entdecken darin nichts und niemanden. Ein Rätsel. Ein Mysterium. Ich bin mir sicher: das Blut der Lüge verbarg mein Angesicht, und ich wischte es weg mit dem Handrücken, und da war ich bereit. Wer kann mir da Angst machen? Nichts und niemand. Wer kann mich noch bespritzen mit dem Blut der Lüge?