Märchen aus Tirol
Märchen der Welt
Herausgegeben von Leander Petzoldt
FISCHER E-Books
Leander Petzoldt war Professor an der Universität Innsbruck und Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie. 1989 wurde er mit dem ›Premio Pitré‹ (International Prize for Ethnoanthropological Studies) ausgezeichnet.
In der Reihe ›Märchen der Welt‹ hat er zudem die Anthologien ›Märchen aus Österreich‹, ›Märchen aus Ungarn‹, ›Musikmärchen‹ sowie ›Märchen von Tieren‹ herausgegeben.
www.fischerverlage.de
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403119-4
Hennenpfösl bedeutet in Passeier, wo das Märchen erzählt wird, Hennendirne.
dämmerig.
hal = glatt, schlüpfrig.
Herzeleid
Der Schmied in Rumplbach war stets ein kreuzbraver, arbeitsamer Mann gewesen, dem man seinen Fleiß an den schwieligen Händen wohl ansehen konnte. Er war aber so unglücklich, sein Geld bei solchen Leuten gutzuhaben, deren Beutel zwar vom Gelde nicht leer, deren Herz aber davon noch voller war. Da er nun trotz seiner schweren Arbeit nichts zu essen hatte, wurde er täglich mürrischer und kam eines Nachts auf den Gedanken, ob denn gegen den Geiz seiner Gläubiger nicht einige Klafter unter der Erde ein Kräutlein gewachsen sei. Nur wußte er nicht, wie er den Doktor, der dasselbe bringen sollte, herbeiholen könnte. Doch der Teufel ist bekanntermaßen ein Herr, der sich nicht lange bitten läßt. Am anderen Morgen ging der Schmied, den Kopf voll Gedanken, in die Werkstatt und griff verdrießlich zum Hammer. Siehe da! ein schmucker junger Herr im grünen Rock, den Hirschfänger an der Seite und die Flinte auf dem Rücken, tritt zur Tür herein.
»Wie geht’s, Rumplbacher?« lautete sein freundlicher Zuruf. »Ach, wie geht’s? Arbeit genug und doch kein Geld!« »Arbeiten und kein Geld haben, wie geht denn das, das heißt ja säen, ohne zu ernten.«
Der Schmied, zu einem langen Geschwätz nicht aufgelegt, fuhr den Junker barsch an: »Was hilft’s reden, Ihr könnt mir doch nicht helfen.«
»Ich nicht helfen können«, spöttelte der Junker und schob den Hut ein wenig beiseite, so daß der Rumplbacher ein krummes Hörnlein bemerken konnte.
»Ah, wenn Ihr der seid«, entgegnete höflich der Schmied, indem er die schmutzige Kappe abzog, »dann ließe sich mit Euch wohl ein Geschäft machen.«
»Warum denn nicht? Aber wisse, daß ich für alle Dienste, die ich dir erweise, keine geringere Belohnung nehme als deine Seele, und diese will ich nicht später holen als nach sieben Jahren.«
Diese Worte fuhren dem Schmied durch Mark und Bein; er stand eine Weile stumm da, wollte dann eine Entschuldigung hervorstottern, hatte aber nicht den Mut, dem Teufel zu widersprechen.
Dieser schaute den Verzagten mit höhnischem Stolz an und machte Miene zum Weggehen, als ihn der Rumplbacher zurückhielt mit dem Ruf: »Nun, so sei’s gewagt. Hört, was ich von Euch für meine Seele verlange. Ich möchte eine Bank vor meinem Hause, wer sich auf derselben niedersetzt, der soll ohne meinen Willen nicht wieder wegkommen.«
»Das kann ich Euch wohl geben«, fiel der Teufel hastig ein, »also unterschreibt.«
»Oho«, erwiderte der Schmied, »das geht nicht so leicht, für die Bank allein ist mir meine Seele nicht feil. Ich möchte auch noch einen Kirschbaum, wer auf denselben hinaufsteigt, soll ohne meinen Willen nicht wieder herunterkommen. Und weil aller guten Dinge drei sind, so gebt mir auch noch einen Sack, wer in demselben steckt, soll ohne meinen Willen nicht wieder herauskommen. Bringt Ihr mir diese drei Stücke, so will ich Euch meine Seele verschreiben.«
Der Teufel willigte mit Freuden ein, zog ein gewaltiges Buch aus seiner Rocktasche hervor, in dasselbe wurde der Vertrag hineingeschrieben, und der Schmied mußte seinen Namen mit seinem eigenen Blut unterzeichnen. Der Teufel entfernte sich und kam alsbald mit Sack, Bank und Baum zurück. Man mochte sich nur wundern, wie er alles tragen konnte; doch was ertrüge wohl der Teufel nicht?
Der Sack wurde in der Werkstatt hinterlegt, die Bank vor dem Hause aufgestellt und der Baum in den Garten gepflanzt. Dabei half der Teufel tatkräftig mit, und nachdem die Arbeit vorbei war, rief er: »Auf Wiedersehen in sieben Jahren!« Mit diesen Worten spazierte er von dannen.
Kaum war der Teufel weg, als eine dicke Bäurin des Weges kam, deren Mann nicht selten ein Stück Eisen aus der Werkstatt des Schmiedes geholt hatte, ohne seinen Beutel dafür aufzutun.
»Gott willkommen, Bäurin!« rief der Schmied, »nur nicht so geeilt! Gibt’s nichts Neues im Außerdorf? Kommt, setzt Euch zu mir auf die Bank und erzählt etwas.«
Die Bäurin mochte wohl nicht genau kennen, welcher Art das Verhältnis zwischen ihrem Hanns und dem Schmied war, und setzte sich auf die Bank; denn das Plaudern war ihre Sache. Sie erzählte nun alles, von der Anna und Annamiedl angefangen, bis zum Zasphannes und Ziegerpeter. Als sie eben ihre Erzählungen wieder von vorn anfangen wollte, guckte der Mond schon hinter dem nahen Berg herauf.
Nun merkte sie erst, wie lange sie geplaudert hatte, und wollte aufstehen und nach Hause gehen. Doch wie erschrak sie, als sie sich – vergeblich – zu erheben versuchte, und der Schmied mit unbändigem Lachen ausrief: »Hab ich dich nun einmal! Nun kommst du mir nimmer los, ehe mich dein Mann bezahlt hat.«
Der Rumplbacher eilte nun ins Haus zum Abendessen und zur Nachtruhe. Am andern Morgen vernahm er in aller Frühe ein ungestümes Gepolter an der Haustür. Er ging hinunter, um nach dem Lärmer zu sehen, und fand den Mann der Bäurin, der ihm dreifache Bezahlung anbot, wenn er nur die »Urschl« vom Fleck ließe. Der Rumplbacher willigte freudig ein, und der Bauer eilte mit seiner beschränkten Ehehälfte beschämt nach Hause.
Kaum waren sie weg, da kam ein Bub dahergelaufen, dessen Vater beim Schmied nicht in bestem Andenken stand.
»He da, Junge!« rief der Rumplbacher, »magst du keine Kirschen?«
»Wie sollte ich keine Kirschen mögen? Nur her damit!«
»Steig nur auf den Baum hinauf, da draußen im Garten, und iß nach Herzenslust!«
Der Knabe ließ sich das nicht zweimal sagen. Im Nu war er hinter dem Haus und auf dem Baum. Da aß er nun Kirschen, es war eine Freude, ihm zuzuschauen. Aber, o weh! Als er vom Baum herabsteigen wollte, war alle Anstrengung umsonst. Es kam ihm vor, als sei er festgebunden, und er mußte oben bleiben, mochte er wollen oder nicht. Bald kam der Schmied, um nach dem neuen Fang zu sehen. Der Bursche bat mit weinerlicher Stimme um Befreiung vom luftigen Kerker, aber es half nichts. Der Schmied sprach: »Bevor mich dein Vater nicht bezahlt hat, sollst du mir vom Baum nicht herunterkommen.« Erst gegen Mittag ging der Vater des Knaben hinter dem Haus des Schmiedes vorbei, um sein Kind zu suchen. Wie er dieses auf dem Kirschbaum sah, schrie er zornig: »Gehst nicht herunter, Schleckermaul?«
»Wenn ich nicht kann«, jammerte der auf dem Baum und zeigte dem Vater, daß alle Anstrengungen herunterzukommen vergeblich waren. Unterdessen kam der Schmied aus dem Haus und lachte aus vollem Herzen. »Aha, hab ich deinen Vogel gefangen; nun mach schnell und bezahle, sonst bleibt mir der Junge ewig auf dem Baum sitzen.«
Der Bauer merkte wohl, was damit gemeint sei, zog schnell den Beutel heraus und bezahlte dem Schmied das Dreifache von dem, was er schuldig war. Da war es dem Knaben, als ob er losgebunden würde, und er eilte mit seinem Vater beschämt nach Hause. Der Schmied schob vergnügt das Geld ein und dachte eben daran, wie er auch von seinem Sack guten Gebrauch machen könnte, als ein Mädchen des Weges kam, das war pudelnärrisch, weil es bald heiraten sollte. Gretes Bräutigam war aber auch einer von denen, die dem Schmied das Bänklein, den Baum und den Sack notwendig gemacht hatten.
Grete lief freundlich auf den Schmied zu: »Guten Nachmittag, Meister Rumplbacher! Wie geht’s? Wie steht’s?«
»Wie magst du um derlei Dinge fragen? Unsereinem geht’s immer gut, wenn er nur Geld hat. Aber komm, Grete! und schau, was ich heut Neues in der Werkstatt habe. So einen Sack hast du dein Lebtag nicht gesehen.«
Sie gingen nun zusammen in die Werkstatt, und der Schmied zog den ungeheuren Teufelssack aus einer Ecke hervor.
»Potz Blitz!« schrie lachend das Mädchen, »da drinnen könnte ich ja mit meinem Peterle einen Walzer tanzen.«
»So tanz halt«, spottete der Schmied, indem er ihr den Sack über den Kopf warf, so daß sie von demselben ganz bedeckt war. Nun half kein Bitten und kein Flehen. Sie mußte im finstern Quartier bleiben, bis ihr Bräutigam kommen würde, sie abzulösen.
Abends war »Beim grauen Bären« ein Tanz angesagt. Peterle wollte auch dabei erscheinen, ging den ganzen Nachmittag herum, seine Grete zu suchen, fand sie aber nirgends. Wie er ungeduldig an der Werkstatt des Schmiedes vorbeikam, hörte er seine Grete bitten und weinen. »Wo bist du denn? Was fehlt dir?« fragte Peter erstaunt. Da kam schon der Schmied des Weges daher und fuhr ihn barsch an: »Da heißt’s einmal bezahlen, sonst kriegst du deine Grete bis zum Jüngsten Tage nimmer.«
Peter war erstaunt, wußte aber wohl, was damit gemeint war, und wie er seine Grete im Sack fand, bezahlte er schnell das Dreifache und eilte mit seiner Liebsten davon.
Solche Streiche machte nun der Schmied gar viele, und er war in kurzer Zeit ein reicher Mann. Ein Jahr verstrich nach dem andern, und endlich ging auch das siebente Jahr zu Ende, und es nahte der Tag, an welchem der Teufel den Schmied holen wollte. Dieser aber war immer guter Dinge.
Am ersten Tag des achten Jahres kam der junge Herr im grünen Staat in die Werkstatt und lud den Schmied höflich ein, ihm zu folgen.
»Ach, ich bin schnell fertig«, entgegnete der Rumplbacher, »ich möchte nur noch das Hufeisen fertigschmieden; setzt Euch indessen ein wenig auf die Bank da draußen, denn Ihr seid gewiß müde.«
Der Teufel war ein dummer Teufel und setzte sich auf die Bank. Bald merkte er aber, daß vom Wegkommen nicht so leicht die Rede sei. Er fing nun an, den Schmied um seine Freilassung zu bitten. Dieser meinte aber: »Wenn du mir noch sieben Jahre hierzubleiben vergönnest, so lasse ich dich los.« Der Teufel ging endlich auf die Bedingung ein und machte sich verdrießlich aus dem Staub.
Auch in den folgenden sieben Jahren vergaß der Rumplbacher nicht, seine drei Stücke gehörig zu gebrauchen. Aber die Zeit flog vorüber wie der Wind, und der erste Tag des achten Jahres war wieder da. Der grüne Herr kam wieder frühmorgens in die Werkstatt und tat noch freundlicher. »Nun, Herr Meister, wollen wir uns auf den Weg machen?«
»Nur eine Viertelstunde noch«, versetzte der Rumplbacher, »und dann bin ich mit dieser Kette fertig. Ich habe einen schönen Kirschbaum im Garten, der steht voll der süßesten Kirschen. Tut Euch indessen ein wenig gütlich; denn Ihr seid gewiß müde und durstig. Ich will Euch die Leiter zurechtstellen.«
Wie gesagt, so getan. In einer Minute stand der Teufel auf dem Kirschbaum und spürte, daß er in die Falle geraten war. Er mußte nun dem Schmied abermals versprechen, daß er erst in sieben Jahren kommen werde, ihn zu holen. So war er wieder der Betrogene und mußte sich wieder allein auf den Rückweg machen. Auch in den kommenden sieben Jahren mußten Bank, Baum und Sack oft ihre Dienste tun. Bald aber kam es soweit, daß niemand mehr beim Schmied etwas schuldig blieb aus Furcht vor den drei verrufenen Stücken. Der Rumplbacher war nun der reichste Mann weitum, und es quälte ihn nur die Sorge, ob es ihm glücken würde, den Teufel auch zum dritten Mal daranzubekommen. Der gefürchtete Tag kam heran, und der Teufel erschien wieder in seiner vollen Tracht.
»Nun, Herr Schmied, sind’s sieben Jahre. Heute wollen wir zusammen zu meiner Großmutter wandern.«
Der Rumplbacher wußte sich in aller Eile zu fassen. »Aber mein lieber Herr! Geduldet doch einen Augenblick! Ich habe meinem Nachbarn versprochen, heute noch sein Roß zu beschlagen, und wäre ein Lump, wenn ich mein Versprechen nicht halten würde. Ich werde geschwind hinüberlaufen und den Schimmel holen. Damit es aber schneller geht, habt Ihr wohl die Güte, indessen aus dem Sack da drüben zweiunddreißig Nägel herauszusuchen.«
Der Schmied ging, und der dumme Teufel kroch in den Sack, um die Nägel, die ganz in der Tiefe lagen, herauszubekommen. Als der Rumplbacher mit dem Schimmel kam, schrie der Teufel im Sack aus voller Brust: »O weh, o weh, ich komme nimmer los! Laß mich gehen. Ich will gern alles tun, was du haben willst.«
Dem Schmied lachte das Herz, als er sah, daß seine List geglückt war, und er begann: »Nun, wenn du mir versprichst, all das Recht, das du auf mich hast, aufzugeben, so will ich dich loslassen. Willst du mir das nicht versprechen, so kannst du ewig im Sack sitzen und wirst noch dazu jeden Morgen tüchtig abgeklopft.«
Der Teufel schrie voll Zorn: »Ja, ja! Mach nur, daß ich loskomme, ich verlange kein Haar von dir.«
Der Teufel wurde nun freigelassen und fuhr in seiner Höllengestalt mit furchtbarem Geräusch und Gestank durch die Lüfte hinweg. Der Schmied lebte noch viele, viele Jahre, er wurde tagtäglich reicher und dachte nicht viel ans Sterben. Aber auch ihm blieb sein Stündchen nicht aus. Als er diese Erde verlassen hatte, wandelte er zuerst wohlgemut, pfeifend und singend der Hölle zu; denn drunten, meinte er, muß es lustiger sein als im Himmel droben. Wie er zur großen Höllenpforte kam, pochte er mit seinem Hammer, den er als Andenken von der Welt mitgenommen hatte, so gewaltig an, daß er sie beinahe einschlug. Des Teufels Großmutter, die eben allein zu Hause war und die Morgensuppe trank, stellte ihre Schale beiseite und hinkte verdrießlich zum Tor: »Wer ist da draußen?«
»Der Schmied von Rumplbach.«
»Ah so! Kommst du jetzt, du Schurke! Glaubst du, du könntest die Teufel immer zum besten haben? Pack dich nur, für dich ist hier kein Platz.«
Während sie dies sagte, stellte sie schnell einige Kessel zur Tür, damit der Rumplbacher dieselbe nicht so leicht einrennen konnte. Dieser aber dachte sich: »Was liegt daran, läßt man mich hier nicht ein, so gehe ich halt in den Himmel.«
Er kehrte schnell um und stieg einen langen und steilen Weg empor. Wie er vor dem Himmelstor stand, klopfte er ganz sittsam an dasselbe, denn er hatte wohl gesehen, daß man mit Grobem nichts ausrichte. »Wer ist draußen?« rief St. Peter, der himmlische Torwärter. »Der Rumplbacher Schmied«, ertönte laut die Antwort.
»Was glaubst du denn, Lumpen, die mit dem Teufel einen Pakt machen, könnten wir im Himmel brauchen? Geh du nur abwärts.«
Das war nun dem Schmied ein wenig zu arg. »Daß ich zu schlecht bin für die Hölle und zu schlecht für den Himmel, das hätte ich doch nie geglaubt«, murmelte er ärgerlich vor sich hin und ging wieder abwärts. Als er nun wieder an das Höllentor kam und sich als der Schmied aus Rumplbach anmeldete, war eben die ganze Teufelsfamilie zu Haus, und kleine wie große Teufel schrien zusammen: »Laßt ihn nicht herein, laßt ihn nicht herein! Bei dem könnt es uns übel gehen!«
Der arme Schmied mußte nun wieder umkehren, um auch an der Himmelstür das zweite Mal sein Glück zu versuchen. Er klopfte wieder ganz sittsam an und bat um Einlaß. Allein St. Peter wies ihn mit noch herberen Worten zurück als das erste Mal.
»So laßt mich doch einen Augenblick in den Himmel hineinschauen!« flehte der Schmied. »Nun, das will ich dir gönnen, damit du uns einmal vom Halse bleibst«, murrte St. Peter und tat die goldene Himmelstür ein wenig auf. Kaum gewahrte der Schmied eine kleine Öffnung, da warf er seine alte Kappe in den Himmel hinein. St. Peter wollte ihm dieselbe herausreichen, aber der Rumplbacher sagte: »Ich kann mir meine Sache schon selber holen.« Er wurde nun hineingelassen, um seine Kappe herauszutragen. Aber – kaum war er drinnen, so setzte er sich auf derselben nieder und rief frohlockend: »Nun sitze ich auf meinem Eigentum«, und niemand konnte ihn wegschaffen.
Und wo ist denn jetzt der Schmied von Rumplbach? Er sitzt noch im Himmel droben auf seiner Kappe und hört der englischen Musik zu.
In uralter Zeit, als anstatt der Murbrüche noch die schönsten Wälder Hügel und Tal bekleideten, lebte ein armer Schneider, der nur mit Mühe sein tägliches Brot erwarb und sich schwer durchs Leben brachte. Oft litt er Hunger und konnte seinen Durst nur am Brunnen stillen. Da dachte er sich einmal: Heute ist ein Feiertag, und ich will mich auch einmal satt essen, und kochte sich einen Haferbrei, der so dick und fest war, daß wohl Dragoner hätten darauf exerzieren können. Dann setzte er sich behaglich hin und fing an zu essen, daß es einem den Mund wäßrig machte. Als die Fliegen das sahen, kamen sie auch herbei, wollten ihren Teil haben und setzten sich auf den Brei. Darüber wurde der Schneider sehr zornig, erhob seine Rechte, zielte und führte einen so gewaltigen Streich auf die armen Tierchen, daß sieben mausetot blieben und die übrigen erschreckt eiligst davonflohen. Als dies der Schneider sah, bildete er sich nicht wenig ob dieser Heldentat ein und wußte nicht, was er aus Freude anfangen sollte. Endlich nahm er einen Zettel und schrieb mit großen Buchstaben darauf:
»Schneider Freudenreich
Schlägt sieben auf einen Streich.«
Den Papierstreifen mit diesen Worten heftete er auf seinen Hut, setzte diesen auf und zog seinen Sonntagsfrack an. Dann stieg er stolzierend aus seinem Stübchen und schritt mit herausfordernder Miene durch die Gasse des Dorfes. Da sahen nun alle, die ihm begegneten, den Zettel und lasen ihn. Davon bekamen sie großen Respekt vor dem Schneider, und in jedem Haus sprach man nur mehr vom Schneider und seiner riesenmäßigen Stärke. Das gefiel ihm sehr, und er nahm weder den Zettel vom Hut noch den Hut vom Kopf. Darauf verbreitete sich der Ruf von dem heldenmäßigen Schneider immer weiter und weiter und drang selbst bis zur Königsstadt. Das hörte man bei Hofe nur allzu gerne, denn man hatte dort einen baumstarken Mann vonnöten, weil ein furchtbarer Eber im königlichen Tiergarten tagtäglich großen Schaden anrichtete.
Als der König vom tapferen Schneider hörte, war er von Herzen froh und ließ ihn durch einen Läufer herbeiholen. Das gefiel dem eitlen Schneider, und er begab sich im besten Sonntagsputz in die Residenz, wo der König hofhielt. Dort wurde er huldvoll empfangen und königlich bewirtet. Das sagte dem Schneider zu, und er aß und trank, als wäre er ein Riese. Der König erzählte ihm von dem Untier, das dem Tiergarten so großen Schaden zufügte, und forderte vom Schneiderlein Hilfe.
Als Lohn versprach ihm der König seine schöne Tochter zur Ehe und das Königreich zum Erbe. Da ging Schneider Freudenreich auf den Antrag ein und machte sich flugs ans Werk. Singend und pfeifend wanderte er in den Wald hinaus, um dort das Abenteuer zu bestehen. Er war guter Dinge und suchte links und rechts und rechts und links nach dem Schadentier, doch all sein Suchen und Forschen war vergebens. Als er schon alle Hoffnung, das Untier zu finden, aufgegeben hatte, knickte und krachte es plötzlich durch das Dickicht daher, daß dem Schneider Hören und Sehen verging. Der wilde Eber raste durch Busch und Baum daher und riß alles vor sich nieder und stürzte auf das Schneiderlein los.
Doch dieses faßte sich schnell, streckte lustig seine Beine aus und lief Hals über Kopf in eine Kapelle, wo er sich hinter die Tür stellte, die er offenließ. Der Eber stürzte bald wutschnaubend und pfeilschnell durch die offene Pforte und vor zum Altar. Das Schneiderlein war aber ebenso schnell durch die Türe hinaus und schlug dieselbe zu, daß die Kapelle zitterte. So war nun das Wildtier gefangen und konnte des Hungertodes sicher sein, denn all sein Toben und Wüten war fruchtlos.
Das Schneiderlein war über diese Tat nicht wenig erfreut und kehrte triumphierend in die Königsstadt zurück, wo er mit Jubel empfangen wurde. Er wurde von einem langen Zug Menschen in die Königsburg begleitet, wo er dem König seine Heldentat erzählte und um die versprochene Belohnung hat. Dieser kam aber, anstatt sein Versprechen zu erfüllen, mit einer neuen Bitte. Denn eine neue Gefahr, weit schrecklicher als die erste, drohte dem Königshaus mit Tod und Verderben. Ein riesiges Feindesheer war in das Reich eingefallen, und alle Heere, die man ihm bisher entgegengestellt hatte, waren geschlagen und vernichtet worden. Das Volk verweigerte aber den Kriegsdienst, weil es sich dachte, der Feind kann gegen uns und gegen alles, was uns heilig ist, nicht schlimmer walten als der König. Der König war deshalb in einer verzweifelten Lage und bat das Schneiderlein um Hilfe und versprach ihm die Prinzessin zur Frau und das Reich als Erbe.
Das Schneiderlein ging auf die Bitte ein, stieg in den Hof hinunter und ließ sich das beste Streitroß, das im königlichen Stalle stand, satteln, schwang sich sodann hinauf und ließ sich so fest daran schnüren, das er droben saß, als wäre er angenagelt. Dann sprengte er davon, wie das Wetter, und die Knappen des Königs folgten ihm als ihrem Führer und zogen dem Feind entgegen. Der Weg führte sie an einem Wegkreuz vorbei. Da dachte sich das Schneiderlein, alles muß mit Gottes Hilfe geschehen, hielt an, umfaßte das Kreuz und riß es aus der Erde. Er trug es mit sich und ritt dem Feind entgegen. Als die Feinde den Schneider mit dem Kreuz sahen und auf seinem Hut lasen: Sieben auf einen Streich, faßte sie ein gewaltiger Schreck. Sie machten rechtsum, liefen davon und ließen sich nie mehr sehen. So wurde der Krieg glücklich ohne Blutvergießen beendigt.
Siegreich kehrte das Schneiderlein in die Königsstadt zurück und wurde aufs herrlichste empfangen. Besonders gut wurde er am Hof aufgenommen, und es wurde eine große Tafel dem Schneiderlein zu Ehren veranstaltet, wobei es sehr lustig herging und an Wein und Braten nicht fehlte. Das Schneiderlein wurde hoch gefeiert und hatte alles nach seinem Willen. In diesem glücklichen Leben wurde es jedoch bald gestört, denn es war noch ein Feind zu bewältigen.
Es hausten drei wilde Riesen im Wald draußen auf ihrer Burg und kümmerten sich weder um Recht noch um Ordnung. Sie taten nur, wonach ihnen der Sinn stand, schalteten nach Willkür und verbreiteten überall Schrecken und Entsetzen. Diese sollte nun das Schneiderlein auch demütigen und andere Sitten lehren. Er besann sich nicht lange und marschierte schnurgerade auf die Riesenburg los. Als er im grünen Wald zur Wohnung der Riesen kam, dunkelte schon der Abend heran. Er stellte sich müde und matt, klopfte an das Tor mit dem daran befestigten Hammer und bat, als ihm geöffnet wurde, um eine Nachtherberge. Diese wurde ihm gerne gewährt. Er wurde auf das gastfreundlichste aufgenommen und in ein herrliches, vor Gold und Silber funkelndes Zimmer geführt. Dort standen auf einem Tisch die kostbarsten Speisen und die besten Weine, und der Schneider ließ sich dabei kreuzwohl sein. Die Riesen meinten es aber mit dem tapfern Schneider nicht ehrlich, denn sie fürchteten ihn und wollten ihn durch List aus dem Weg räumen. Deswegen taten sie so freundlich gegen ihn und zechten mit ihm um die Wette. Nachdem sie bis tief in die Nacht hinein geschlemmt und getrunken hatten, stellte sich endlich der Schlaf bei allen ein. Da wurde dem Schneider ein schönes Schlafzimmer angewiesen, in dem eine eiserne Bettstatt war.
Der Schneider streckte sich also gleich seiner Länge nach aufs Bett und fing an zu schnarchen, daß fast die Wände zitterten. Er lag aber ganz an einer Seite, und das war sein Glück. Denn die Riesen blieben wach und warfen, sobald sie glaubten, daß der Schneider eingeschlafen sei, große Steine aus einer Öffnung am Oberboden auf ihren Gast herab. Der Schneider gähnte, als er dies bemerkte, lachte dann und rief mit dem größten Gleichmut zu den Riesen hinauf: »Ihr Lumpen, wißt ihr denn nichts Besseres zu tun, als Erbsen auf mich herabzuwerfen?« Dann griff er nach den Steinen und warf sie mit solcher Kraft durch das Loch in der Zimmerdecke, daß zwei Riesen tot zu Boden stürzten. Das jagte dem dritten eine so große Frucht ein, daß er sich eiligst verbergen wollte. Aber jetzt dachte der Schneider an den Schlaf nicht mehr.
Da zwei Riesen tot waren, sollte auch der dritte nicht mit heiler Haut davonkommen. Der Schneider machte deshalb Licht und ging in die Riesenkammer hinauf. Als er dort eintrat, hatte der Riese gerade eine Leiter an das Lichtloch aufgelehnt, stand darauf und wollte auf das Dach hinauf fliehen. Da ergriff der Schneider die Leiter, zog sie ihm weg, und der Riese fiel in den Hof hinunter und zerschmetterte ganz und gar. Nun waren die drei Riesen tot, und der Schneider Herr des Schlosses. Als er dasselbe genug besichtigt hatte, schwang er sich auf ein Roß und ritt in die Königsstadt, wo er freudig empfangen und bei Hof gar gut aufgenommen wurde. Er mahnte den König an sein Versprechen und erhielt auch die Prinzessin zur Braut. Da gab es eine lustige Hochzeit, und das tapfere Schneiderlein war und blieb der glücklichste Mensch auf der Welt.