Die Sache mit dem Ich

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Inhaltsverzeichnis

Ein Vorwort von Cordt Schnibben

Ihre Beerdigung war für mich das Schlimmste an ihrem Tod. Wir fuhren in unserem Mercedes die lange Friedhofsallee hinunter, rechts und links strebten Trauergäste der Kapelle entgegen, wir durften fahren, sie drehten sich um, wenn wir an ihnen vorbeifuhren, und schauten ins Wageninnere. Ich weinte nicht, ich fühlte mich beobachtet, diese Leute schauten auf mich, als wollten sie prüfen, ob ich auch genügend trauere.

Meine Schwester schaute mich genauso an, schon seitdem ich am Todestag Fußball spielen gegangen war. Der Trauerredner, er war kein Pastor, raunte mir am Grab ins Ohr, bald seid ihr wieder zusammen. Ich verstand ihn nicht, ich weinte nicht.

Beerdigungen habe ich seither, wenn es ging, vermieden, ich weine auf jeder.

Auch bei Marcs Trauerfeier wusste ich nicht, ob ich um ihn weine oder um meine Mutter. Aber mir ist ein Satz des Pastors in Erinnerung geblieben: Männer, die Mitte vierzig sind, begehen Selbstmord, indem sie entweder ihr bisheriges Leben umbringen oder gleich sich selbst.

Mitte vierzig brachte ich mein Leben um, dieses Leben, das sich von einer Story zur nächsten rettete. Jede Story war eine Krücke, die half, den nächsten Tag, die nächste Woche zu erreichen. Wenn die Story nicht funktionierte, wenn sie sich widersetzte, stand ich

Mit jeder Geschichte versuchte ich mir näher zu kommen, ich glaube, jeder besessene Reporter versucht das: Im Leben der Menschen, über die man schreibt, Weisheit zu finden, Menschlichkeit, Erkenntnis, Glück, Abenteuer, Trost.

Marc suchte manisch, mehr in sich, als außer sich. Er fand in sich gute Storys, aber er fand sich nicht.

Marc hat eine Sammlung von Reportagen hinterlassen, in denen er auf der Suche nach sich selbst ist, alles Ich-Reportagen, die davon leben, dass sie um ihn kreisen. »Die Sache mit dem Ich« ist eine schwierige Sache. »Ich-Reportage« ist schon mal Blödsinn. Jede Reportage – wenn sie eine ist – ist eine Ich-Reportage, sie ist ein bisschen Wirklichkeit, gespiegelt durch ein Temperament.

Genau genommen, gibt es also die Ich-ich-Reportage, da geht es um den Reporter, der über sich schreibt, beim Stierkampf, im Pool, beim Saufen.

Dann gibt es die Ich-du-Reportage, in der schreibt der Reporter über den Stierkämpfer, das Bikini-Mädchen, den Barkeeper. Und dann noch die Ich-man-Reportage, da geht es um den Stierkampf, das Baden, den Alkoholismus.

Wenn man einen Text über Marc Fischer beginnt mit dem Tod der eigenen Mutter, dann kann man daran zeigen, was das »Ich« mit einem Text macht. Der Reporter erzählt von sich, der Leser ist gerührt, beeindruckt, verwirrt, angeekelt.

Sich selbst zu ergründen und sich dabei zum Helden seiner Storys zu machen, das war Marcs Art zu leben und zu schreiben, viele Texte in diesem Buch sind sogar Ich-ich-ich-Reportagen. Bestimmt hätte er gern darüber geschrieben, wie es ist zu sterben.

Sich selbst zu entdecken und dabei die Geschichten anderer Helden zu erzählen, auch das konnte Marc: der Kubaner, der einen Straßenkreuzer wasserdicht schweißt und damit nach Florida

Die Sache mit dem Ich hat spätestens seit Tom Wolfe und Hunter S. Thompson den Streit unter Reportern darüber begründet, ob die Ich-Reportage die einzig wahre oder nur die besonders narzisstische Reportage ist. Mir als Leser ist das ziemlich egal, ich will eine gute Story, und Marc als Reporter hat mich nie gelangweilt. Er konnte sich inszenieren, ausschmücken und ausziehen, er konnte sich aber auch – wenn es wichtig war – in einer Reportage unsichtbar machen, ohne sich herauszuhalten.

Ich war ein Dutzend Mal sein Commandante, so nannte er mich, weil uns Kuba verband; wenn man ihn anrief, um mit ihm eine Reportage zu besprechen, war nach fünf Sätzen klar, dass er sie mochte. Er hat nie einen Auftrag abgelehnt, selbst nicht, als ich ihn Weihnachten 2004 nach Somalia und Kenia schickte, um die letzten Zuckungen des Tsunami zu beschreiben, der sich über dem indonesischen Sundagraben gebildet hatte und zehn Stunden später an Kenias Ostküste den letzten Toten holte, einen 18-jährigen Jungen, der zum ersten Mal am Meer war.

»Mietreporter« nennt sich Marc im Buch, das war er, und in dem Wort steckt der Vorwurf, der auf seiner Beerdigung immer wieder durch meinen Kopf zog. Haben wir, seine Auftraggeber im Spiegel, Stern, Tempo, BamS, Playboy, Vanity Fair und sonstwo, versäumt, ihm mehr zu geben als einen Auftrag, ein paar Druckseiten und immer zu wenig Geld? Ist wohl so.

Was einen guten Reporter ausmacht? Er ist, erstens, da, wo noch keiner war. Er erzählt, zweitens, eine Geschichte, die wirklich eine ist. Er erzählt sie, drittens, so, wie nur er sie erzählen kann. Und er schafft es, viertens, das, was er gesehen und gedacht hat, so zu erzählen, dass Beobachtungen zu Gedanken gefrieren, die mich verfolgen. Jede Marc-Fischer-Reportage ist so, und jede ist so, dass ich sie erkennen würde,wenn sie mir ohne Autorenzeile in die Hände fiele.

Es ist eine schöne Idee, sich seine eigene Seele als Kontinent vorzustellen, in dem Ernest Hemingway Stammgast ist in einer Hütte an der Küste, in dem Leonard Cohen lebt, auch Jean Seberg, Christy Turlington und Rita Hayworth herumliegen. Zwischen diesen Toten – auf seinem Kontinent, in seinem Kopf – spazierte Marc herum, redete und war glücklicher mit ihnen als mit den Lebenden um ihn herum.

Es riecht nach Zimt in diesem Egoland, und es sei ihm, so schreibt Marc, immer schwergefallen, von seiner Innenwelt in die Außenwelt zurückzukehren, mit traurigem Gesicht und so leerem Blick, dass seine Freunde ihn anstarrten, als sei er in seinem Kopf nicht mehr zu Hause.

Wenn man Marcs Buch liest, wird man neidisch auf sein Leben. Es fliegt glitzernd und glamourös vorbei, allein der so leicht beschriebene Nachmittag mit Kate Moss in einem Pariser Hotel hat gereicht, um mir die Frage zu stellen, ob ich vielleicht im falschen Leben zu Hause bin.

Am ersten freien Wochenende seit Monaten lese ich sein Buch, vorher wochenlang damit beschäftigt, tief in die Finanzwelt einzudringen, nun mit der Frage konfrontiert, ob Kate Moss nicht vielleicht besser zu mir passen würde als der Chef der Bundesfinanzdienstleistungsaufsicht.

Ich fange an, meinen Kontinent zu besiedeln, nachzudenken darüber, wen ich einreisen lassen würde, ob meine Mutter dort was zu suchen hätte. Ich weine ein wenig, diesmal mehr um Marc als um meine Mutter, ein so feiner Reporter, ein so talentierter Mensch. Er ist tot, ich lebe; mal sehen, was ich daraus mache.

 

Cordt Schnibben

Ausschlafen und ein vernünftiges Frühstück – zwei der Dinge, die du vergessen kannst, wenn du Polit-Aktivist werden willst. Bisschen Zeit mitbringen kommt auch gut, Aktivisten sind nicht immer pünktlich. Aber wer bin ich, mich zu beschweren? Che Guevara rannte mit Asthma und Malaria durch den Dschungel, bevor er das geknechtete kubanische Volk befreite.

Es ist vier Uhr morgens, sehr dunkel noch, ich stehe am Columbus Circle in New York, Ecke Broadway und 60. Straße, und warte auf die anderen. Das Problem: Weder weiß ich, wer die anderen sind, noch was wir vorhaben. Aufstand, Umsturz, Revolution? In der letzten E-Mail, die vor ein paar Stunden ankam, stand nur, ich solle mich bereit machen für:

etwas sehr Großes

etwas sehr Besonderes

etwas sehr Lustiges

etwas sehr Ernsthaftes.

Absender der Mail waren die Yes Men.

Die Yes Men sind ein Aktivistenduo aus New York, das in den letzten Jahren vor allem dadurch bekannt wurde, unter falschen Namen auf Handelskonferenzen aufzutauchen und dort im Namen großer Konzerne oder Organisationen, die sie als ausbeuterisch beurteilen, die unglaublichsten Vorträge zu halten. Die Yes Men richten PR-Katastrophen an, indem sie das Verhalten der Konzerne ins Fratzenhafte verzerren – oder ihnen mehr

Mühsam eindringen wie Diebe in der Nacht mussten die Yes Men zu den Tagungen nie. Man lud sie ein, nachdem sie Websites ins Internet gestellt hatten, die denen von McDonald’s, Shell oder Dick Cheneys Lieblings-Militärzulieferer Halliburton ähnelten. Enttarnt werden die Yes Men selten; kaum ein Veranstalter fragt genauer nach, wenn Vertreter von Exxon Mobil oder der WTO sich als Podiums-Sprecher bereitstellen. Sie sind sogar dankbar, dass so ein Marktgigant mal vorbeikommt und Business-Tipps gibt. Auch verklagen konnte die Yes Men bislang keiner; es war ihnen nichts Kriminelles nachzuweisen.

Mit dabei sein bei der Truppe will ich, seit ich vor ein paar Jahren im Fernsehen sah, wie ein Typ namens Jude Finisterra in einem BBC-Interview erschien, angeblich Pressesprecher des Unternehmens Dow Chemical. Zum zwanzigsten Jahrestag der Chemie-Katastrophe von Bhopal, bei der es 1984 aufgrund fahrlässiger Sparmaßnahmen zu einem Gas-Austritt gekommen war, erklärte Finisterra, dass Dow Chemical nun endlich seiner nie übernommenen Verpflichtung für die über 100000 indischen Opfer und Geschädigten nachkommen wolle. Finisterra versprach ihnen »die längst überfällige Entschädigung in Höhe von 12 Milliarden Dollar«. Der Moderator und das Fernsehpublikum waren sehr überrascht. Dow Chemical auch. Dass Jude Finisterra die Art Name ist, die sonst nur in Star-Wars-Filmen vorkommt, brachte niemanden zum Nachdenken.

Jude Finisterra war Yes-Men-Gründer Andy Bichlbaum mit sauber gescheiteltem Haar und einem Anzug, den er sich zwei Tage zuvor für fünfzig Dollar bei der Heilsarmee besorgt hatte. Das war Aktivismus, wie man ihn noch nicht gesehen hatte – schnell, smart, lässig. Wie etwas, was sich die Beastie Boys und die Pariser Situationisten-Künstlergruppe hätten ausdenken können: Hiphop-Aktivismus!

Bichlbaum und sein Partner Mike Bonanno sind auch die Männer, die mich heute zum Yes Man machen sollen. Das Problem ist nur, dass jetzt, mittlerweile ist es zwanzig nach vier, noch immer keiner der beiden ans Telefon geht.

Dafür haben sich ein paar Leute eingefunden, die offensichtlich auch Yes Men werden wollen. Oder Yes Women. Sie alle wurden übers Internet benachrichtigt, dem Hauptmedium der Gruppe. Da ist Robert aus Texas, Student der Wirtschaftswissenschaften; da ist Kegan, ein Schauspieler aus Brooklyn; da ist die Rentnerin Jane, eine Psychologin, die schon bei den Studenten-Aktionen im Berkeley der Sechziger mit dabei war; da sind Hans, Jonathan, Laura und Jeanne. Kaum eine Handvoll, aber die Typen, die auf die Bastille gestürmt sind, waren am Anfang auch keine Armee. Nun allerdings, wo es immer später wird, regen sich schon die ersten Zweifel daran, ob überhaupt was passieren wird.

»Die Polizeiwagen da drüben machen mich nervös«, sagt Jane. »Was, wenn das eine Falle ist?«

»Eine Falle von wem denn?«, fragt Robert.

»Den Rechten natürlich«, sagt Jane. »Die infiltrieren doch momentan alles, um Obama zu schaden.«

»Und schreiben E-Mails und twittern im Namen der Yes Men? Come on!«, sagt Laura.

»Ja«, sage ich und wähle Andys und Mikes Nummern erneut. Wieder nur Mailbox.

Erst vor ein paar Tagen hatte ich Andy getroffen, aber auch da war er praktisch kaum ansprechbar gewesen. Schwitzend saß er in dem kleinen Büro, das ihm die Kunstschule Parsons für seinen Job als Professor für Digital-Design bereitgestellt hatte. Ständig klingelte das Telefon, ständig gingen E-Mails ein, ständig starrte Andy auf den Bildschirm seines MacBooks. Yes Man zu sein, hieß mittlerweile auch, Stress Man zu sein. Andy kümmerte sich gleichzeitig um den Vertrieb des neuen Yes-Men-Films »The Yes Men Fix The World« (hat auf der Berlinale den Publikumspreis gewonnen); er war auf der Suche nach weiteren finanziellen Unterstützern (das meiste Geld bekommen sie von Stiftungen und privaten Spendern, einer soll der Trompeter Herb Alpert sein); und er bereitete die Aktion vor, die heute losgehen sollte: das große, besondere, lustige, ernsthafte, mysteriöse New-York-Ding eben.

Viel ist passiert, seit Andy und Mike vor zehn Jahren die Yes Men gründeten. Andys Meinung nach war es vor allem eine Geschichte von Zufällen. Aber das ist es nicht, im Gegenteil. Es ist eine Geschichte von Neuerfindung und Suche, vom lockeren Umgang mit Identitäten und vom Pop, der eher spielerisch Politik wird. Eine sehr amerikanische Geschichte eigentlich.

Es beginnt schon damit, dass keiner der Namen, weder Bonanno noch Bichlbaum, echt ist, obwohl sie mittlerweile alle so nennen, selbst Freunde. Beides sind Pseudonyme. Bonanno heißt eigentlich Igor Vamos, kommt aus der Videokunst-Szene und lehrt Medienkunst; Bichlbaums wahrer Name ist Jacques Servin. Aber auch der ist ein Konstrukt, den sich Bichlbaums Vater ausgedacht hat, ein belgischer Jude, der über Kanada nach Amerika eingewandert war. Seinen wahren Nachnamen, Swicziwsky, mochte er nicht so.

Es ist Bonanno, der jetzt, kurz nach halb fünf, endlich in einem dunklen Wagen am Columbus Circle vorfährt, um sich um die wartenden Yes Men und Women zu kümmern. Mike trägt einen blauen Anzug, hat wirre Haare und müde Augen, aber trotzdem Top-Laune. Er entschuldigt sich, dass er zu spät ist, öffnet den Kofferraum und wirft zwanzig abgepackte Stapel der »New York Post« auf den Asphalt.

Alle glotzen. Die »New York Post« ist die BILD-Zeitung von New York, das reaktionärste Boulevardblatt der Stadt. Sie ist des Medientycoons Rupert Murdoch erklärte Lieblings-Daily; der Feind also.

WE’RE SCREWED; boulevardesk übersetzt: WIR SIND AM ARSCH steht in fetten Lettern auf der Titelseite, die der echten »New York Post« auf Typo, Farbe und Layout gleicht. Nur drin sieht es ein wenig anders aus: Statt reißerischer Sex-Crime-Celebrity-Geschichten stehen da von Wissenschaftlern und Fachjournalisten ausrecherchierte Texte zum Klimawandel, zum Schmelzen der Polkappen, zum Ende des Eisbärs, zur Kohleförderung, zum CO2-Ausstoß, zu alternativen Energiequellen – zur Gesamtsituation des Planeten also. Passend zur Klimawoche, die gerade in der Stadt stattfindet. Fünfzig Grafiker und Autoren haben drei Monate lang, meist umsonst, an der Zeitung gearbeitet. Gesamtkosten der Produktion: 20000 Dollar.

»Die verteilen wir jetzt zwei Millionen Mal in der Stadt, und zwar zuerst an Journalisten«, sagt Mike. »Ihr müsst irgendwie versuchen, in die Redaktionen der Fernseh- und Radio-Sender reinzukommen, damit die als Erste von der neuen ›Post‹ erfahren. Und die Tageszeitungen natürlich. Den Rest drücken wir jedem Fußgänger in die Hand. Ganz Manhattan muss geflutet werden.«

Einige Leute wirken kurz etwas enttäuscht. Sie hatten wohl auf die lustigen SurvivaBalls gehofft, eine Art Hüpfball-Anzug mit Ohren, der in den letzten Wochen immer häufiger in den Mails der Yes Men aufgetaucht war. Sie hatten vielleicht nicht erwartet, wieder eine Zeitung zu verteilen wie im November letzten Jahres, als die Yes Men unter großem Applaus eine gefälschte »New York Times« mit nur guten Nachrichten auf dem Titel herausbrachten: »Irak-Krieg: vorbei« stand da; »Bush wegen Hochverrats angeklagt«; und »Ölfirmen ExxonMobil und ChevronTexan verstaatlicht«. Die »New York Post« liefert nun das genaue Gegenteil: keine Träume, sondern Fakten.

»Und was ist mit den SurvivaBalls?«, fragt Hans.

»Zuerst die Zeitungen«, antwortet Mike. Und ist dann auch

Joanne, Laura und ich stürmen das CNBC-Hauptgebäude. Na ja, stürmen – bis in die entscheidenden Etagen lässt uns der Concierge nicht, aber wir kriegen ihn so weit, dass er einen Stapel »Posts« vom Hausboten hochtragen lässt. Die anderen drücken wir jedem Angestellten in die Hand, der das Gebäude in den nächsten Stunden betritt. Sie sind zuerst skeptisch, schließlich ist es die »Post«, schauen dann aber genauer hin und sind überrascht: ein Mistblatt, das sich plötzlich für das Schicksal der Welt interessiert? Was ist da denn geschehen? Und als Stunden später jeder zweite New Yorker mit der neuen »Post« durch Manhattan läuft und sich die Titelzeile ins Stadtbild schreibt, wirkt es, als sei es gar nicht so absurd, würde sich ein Boulevardblatt zur Klima-Woche mal mit wirklich überlebenswichtigen Themen beschäftigen.

Ein kurzes, schnell geschnittenes Spiel mit der Realität: so vor allem funktioniert die »Identitäts-Korrektur«, die die Yes Men zur Perfektion gebracht haben. So war es auch bei der Dow-Chemical-Aktion. Natürlich dementierte der Konzern eine Stunde später die Nachricht, er würde 12 Milliarden Dollar an die Opfer zahlen. In dieser Stunde aber hatte Bichlbaums Auftritt viel erreicht.

Er hatte es geschafft, die Welt kurz davon zu überzeugen, ein Konzern wie Dow könne etwas Gutes tun. Er hatte bewiesen, dass dies in der Marktwirtschaft, wie wir sie praktizieren, nicht geht, weil der Markt es sofort mit fallenden Aktienkursen bestraft – in 25 Minuten verlor der Konzern 2 Milliarden US-Dollar. Und Bichlbaum hatte die Welt an Bhopal erinnert und die Wut über die Verantwortungslosigkeit der Firma erneuert. Auch die Geschädigten in Bhopal waren ihm dankbar. Zwar gab es am Ende kein Geld, aber endlich hatte mal wieder jemand an sie gedacht!

Die Yes Men hatten eine alternative Denk-Möglichkeit geschaffen. Mit dem, was sie tun, weisen sie uns darauf hin, dass die

»Und? Die ›Post‹ von heute schon gelesen?«, frage ich meinen Tischnachbarn, als ich im Diner schnell einen Bagel mit Cream Cheese esse.

»Ja, aber heute war sie irgendwie komisch – nur Umweltzeugs drin. Ich wollte echte Nachrichten haben.«

»Aber was könnte denn echter sein als ein Bericht über die klimazerstörende Wirkung von Braun- und Steinkohlekraftwerken? Manhattan wird untergehen, wenn der Meeresspiegel weiter steigt. Da kann Bruce Willis dann auch nix mehr machen.«

»Mag sein, dass Sie recht haben. Ich les’ es vielleicht später noch mal. Aber die Sportergebnisse hätten mich trotzdem interessiert.«

»Die Jets haben gewonnen.«

»Toll!«

Es fühlt sich gut an, in einem Diner zu sitzen, nachdem man eine Politaktion mit den Yes Men gemacht hat; die Bagel schmecken dann besser. Dazu macht es irren Spaß.

Der allein aber genügt den Yes Men mittlerweile nicht mehr.

Später am Abend erzählt Andy bei einem Bier im »Schneider’s« im East Village davon. Er ist wie immer erschöpft, aber im Großen und Ganzen zufrieden mit der Zeitungs-Aktion. Etwas über hundert Leute hätten teilgenommen, einem der Aktivisten sei es sogar gelungen, vor dem Gebäude der Original-New-York-Post Rupert Murdoch ein Exemplar in die Hand zu drücken. Dafür war der Aktivist kurz vom Sicherheitsdienst festgesetzt worden.

Das sei so ungefähr das Ziel, meint Andy. So was müsse in Zukunft noch viel öfter passieren.

»Die augenblickliche politische Situation in Amerika ist so reaktionär, dass man mit lustigen Medienaktionen allein nicht weiterkommt.«

»Sondern?«

»Wir wollen, dass die Leute auf die Straße gehen.«

»Viel mehr noch. Sie müssen bereit sein, Risiken einzugehen. Straßensperren zu errichten, Banken zu belagern, zivilen Widerstand zu leisten, sich einsperren zu lassen.«

»Glaubst du, dass sie so weit gehen werden?«

»Sie müssen. Weil sonst alles immer schlimmer wird.«

Dann redet er von den wahren Zielen der Yes Men: tief gehende gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen. Verstaatlichungen von Banken, Ausweitung des Gesundheitssystems, Kontrolle des Finanzmarkts, strikte Umweltschutzauflagen, mehr Arbeiterrechte. Er zitiert die amerikanische Soziologin Frances Fox Piven, die nachgewiesen hat, dass sich Gesellschaften immer nur dann wesentlich verändern, wenn die Leute so verzweifelt sind, dass sie sich offen gegen den Staat stellen: Roosevelts New Deal, zu dem es nur kam, weil sich Bürgergruppen bildeten, die sich gegen Räumungen und Enteignungen wehrten, die Bürgerrechtsbewegung der Sechziger, die Weigerungen gegen die Vietnam-Einberufungsbefehle.

»Die Zeit, die wir gerade erleben, unterscheidet sich in nicht viel von diesen Krisen«, sagt Andy. »Und ich glaube, dass Obama sich insgeheim wünscht, dass das Volk aufsteht und sich gegen die Macht der Konzerne erhebt. Ich glaube, dass er uns braucht, um mehr zu erreichen als ein paar gute Slogans.«

»Ist Obama ein Yes Man, Andy?«

»Das hoffe ich.«

Am nächsten Tag, um zehn Uhr morgens, kommt es am Ufer des East River auf Höhe der 23. Straße dann doch noch zum Einsatz der SurvivaBall-Überlebensbälle, die sich die Aktionisten gewünscht hatten.

Etwa zwanzig von ihnen sind in die grotesken Kostüme geschlüpft, die von den Yes Men als Schutzanzug-Karikatur für gefräßige Manager-Typen entwickelt wurden. Darin könne ein Umweltzerstörer

Ob die Bälle funktionieren oder nicht, werden die Aktivisten gleich herausfinden, denn ihr Job ist es nun, ins Wasser des East River zu wackeln und zum etwa einen Kilometer entfernten UN-Hauptquartier rüberzuschwimmen, wo die Führer der Länder dieser Welt gerade zum bevorstehenden Klimagipfel von Kopenhagen tagen. Dort sollen sich die SurvivaBalls ein paar Ministerpräsidenten greifen und dazu bringen, endlich ein paar bindende Verträge zu beschließen.

Gerade, als sie ins Wasser wollen, passiert das, was Andy sich am Vortag gewünscht hat: Drei Boote von der Küstenwache blockieren die Bälle; von der Straße aus erklingen Polizeisirenen, über uns kreist ein Hubschrauber mit Fernschütze. Der einsatzleitende Sergeant erklärt, er habe gerade einen Notruf bekommen, sinngemäß in etwa so, dass sich zwanzig übergroße Zwiebeln ungeklärter Herkunft ins Wasser des East River begeben hätten. Ob Mr. Bichlbaum das irgendwie spezifizieren könne.

»Wir testen unsere Überlebensbälle für die nahende Umweltkatastrophe«, sagt Andy. Er bleibt ganz ernst dabei, wie damals, als er Jude Finisterra war.

»Soso. Eine nicht angemeldete Demonstration und Störung also«, sagt der Polizist, lässt sich Andys Ausweis geben und veschwindet kurz im Wagen. Als er zurückkommt, nimmt er Andy fest. Es läge noch ein früherer Haftbefehl gegen ihn vor.

»Welcher denn?«, fragt Andy.

»Sie sind mit dem Fahrrad mal quer durch den Washington Square Park gefahren. Das ist verboten, dafür haben Sie einen Strafzettel bekommen, den Sie nie bezahlt haben.«

Der Yes-Men-Aktivist wird wegen Radfahrens verhaftet – das ist so absurd, dass Andy zum ersten Mal an diesem Tag aus seiner Rolle fällt und lachen muss. Auch dann noch, als die Handschellen

»Kümmerst du dich darum?«

Die nächsten 24 Stunden verbringt er in Haft, ein treuer Märtyrer der Bewegung.

Ich sehe Andy kurz nach, dann nehme ich sein Mountainbike und fahre los, quer durch New York, hin zu Mike, der schon im Büro sitzt und auf den Stick wartet. Der Wind bläst mir ins Gesicht, ich springe über Kantsteine, an Menschen, Hunden, Autos vorbei, schneller, immer schneller. Irgendjemand, den ich fast überfahren hätte, schreit mir was hinterher, aber ich drehe mich nicht um, sondern trete umso stärker in die Pedale.

Ich muss mich beeilen, ich bin ein Yes Man.

Wenn du vorhast, den ganzen Tag fernzusehen, ist es vielleicht nicht schlecht, wenn das mit einem Schock beginnt: Es ist kurz nach sechs, als die Riesen-Nonne erscheint, sie trägt Hakennase und Kruzifix, will bekehren, strafen, prügeln. Traum, Albtraum, Höllenbesuch? Nein, bloß das »Morgenmagazin« der ARD. »Missbrauchte Heimkinder formieren sich zum Protest in Berlin«, sagt eine Stimme; Männer, ältere, verletzt aussehende, schleppen eine unfassbar hässliche Karnevalsfigur durch die Straßen, eben diese Prügelnonne. Alles vor elf ist sonst nicht meine Zeit, aber jetzt bin ich hellwach: Guten Morgen, Deutschland, heut’ komm’ ich über dich.

Denn das ist der Plan an diesem Tag, das ist das Terror-Experiment: Zum sechzigsten Geburtstag der ARD das ganze Programm weggucken, um zu sehen, wie das aussieht, wie sie das machen, ob sich das lohnt. Macht man ja sonst nicht. Eine Zeitung blätterst du durch, aber wer scannt einen kompletten Sender? Im Grunde genommen wissen wir NICHTS übers Fernsehen, gerade WEIL es immer läuft. Für den Fall, dass es zu hart wird, stehen Apfelsinen, Paracetamol, Alkohol und Zigaretten bereit, wesentliche Arztnummern (Augen, Herz, Psyche) sind notiert.

Während der Kaffee kocht, moderiert Das-Erste-Morgenmagazin-Anchormann Sven Lorig durch, was bisher so passiert ist: Vulkanausbruch auf Island, Aschewolken; Erdbeben in Nordchina; Präsidentenpaar-Beerdigungs-Diskussion in Polen. Zwischendurch

Sven Lorig bemüht sich um Lässigkeit, er macht das ganz ordentlich, aber warum ist er so schlimm angezogen? Graues Jackett, lila-weiß-gestreiftes Hemd, aufmerksam ausgewaschene Jeans – stellt Jörg Pilawa seine Sachen zusammen? Würde er so in meiner Wohnung auftauchen, würde ich denken, er will mir einen neuen Handyvertrag verkaufen. Angeblich kann er zaubern (soll mal Gauklertricks gelernt haben) – warum tut er das nicht und zaubert sich ein Hemd mit vernünftigem Kragen? Er könnte auch gleich am Studio weiterzaubern, denn alles hier leuchtet grellgelb-orange, die Motto-Bilder, mit denen die Themen ankündigt werden, erinnern an das Frühstücksbuffet eines Mittelklassehotels: Tomaten, Eier, Apfelsinen, weiße Tassen; geht’s um Sport, wird ein roter Ball dazugelegt. Die Sendung und ihre Moderatoren wollen Orangensaft sein, frisch, gesund! Ich mag Orangensaft, aber nach drei Stunden stößt es etwas sauer auf, fast muss ich rülpsen, Entschuldigung. Gut, dass Judith Rakers mit der »Tagesschau« stündlich immer wieder dazwischenfährt. Erste Zigarette.

9 Uhr 05: »Rote Rosen«, Folge 780. Was ist das, »Rote Rosen«? Noch nie gesehen, wusste gar nicht, dass es das gibt. Geht aber gut los: Spielt in Lüneburg, und in den ersten zwei Minuten gibt’s zwei Trennungen und eine Schwangerschaft, es fallen die Sätze »Du

Kurz nicke ich ein, dann weckt mich Mareile Höppner mit »Brisant«. Um diese Zeit wirkt sie wie eine Sexbombe. Ich liebe »Brisant«. Könnte viel länger laufen als bloß eine halbe Stunde. Dann müsste ich auch nicht das als »Liebeskomödie« angekündigte Trauerspiel »Schlaflos in Oldenburg« ertragen, das nun kommt. Mit Suzanne von Borsody und Hannes Jaenicke sind zwei Schauspieler dabei, die ihre Rollen (sie: neurotische Enttäuschte; er: verrückter Vogel) routiniert runterspielen, aber kein Dialog überrascht, jede Einstellung ist zu lang. Wer schreibt solche Drehbücher? Ex-Fernsehspielchefin Doris Heinze, die zuletzt auch so viele »Tatort«-Folgen verhunzt hat? Dabei waren gerade Fernsehfilm und Krimi mal die Königsdisziplinen der ARD. Was kostet eine Produktion wie »Schlaflos in Oldenburg«? Wie viele Leute gucken das gerade? Wieso immer Lüneburg und Oldenburg und nicht mal was aus der Großstadt? Und warum gibt’s keine deutschen »Sopranos«, »Mad Men« oder »The Wire«, das Geld wäre doch da? Gerade eben hat die GEZ wieder ihre vierteljährlichen 53,94 Euro abgebucht. Wut macht sich breit, ich rufe bei der ARD in Mainz an.

»Guten Tag, was kostet so eine Bomben-Produktion wie ›Schlaflos in Oldenburg‹«?

»Oh, solche Zahlen werden eigentlich nicht veröffentlicht.«

»Wann wird der ›Tatort‹ wieder gut?«

»Also, ich mag ihn ja.«

»Welchen denn zum Beispiel?«

»Den Münchner. Und den Münsteraner mit Axel Prahl und Jan Josef Liefers.«

»Wann wird Ulrich Tukur Kommissar? Das gäbe mir Hoffnung.«

»Wohl erst 2011.«

»Wie viele Leute schauen jetzt ARD, in diesem Moment?«

»Gegen Mittag so im Schnitt 1,57 Millionen. Das sind 16,5 Prozent Marktanteil.«

»Ist das gut?«

»Das ist ziemlich gut, ja.«

»Was hat ›Mitten im Leben‹ von RTL

»Dreizehn Prozent.«

12 Uhr: »Tagesschau«. Vulkanwolke, Krebsmedikamentenbetrug, Konjunkturaufschwung.

12 Uhr 15: »ARD-Buffet«. Es gibt Kaninchen, daran ist nichts auszusetzen.

13 Uhr: »Mittagsmagazin«. Den Moderator Stefan Scheider mag ich. Er ist vernünftig gekämmt und angezogen und moderiert angenehm nüchtern. Er hat was von Christoph Waltz, nur ohne Dunkelheit.

14 Uhr: »Tagesschau«. Vulkanwolke, Krebsmedikamentenbetrug, Konjunkturaufschwung.

14 Uhr 10: »Rote Rosen«, Folge 781. Ab und zu wird ein Infoband eingeblendet: Vier tote Bundeswehrsoldaten in Afghanistan.

Gehe Kaffee kochen und duschen. Als ich zurückkomme, läuft »Sturm der Liebe«, Folge 1052. Das soll ganz gut sein, hab ich mal

Krampf im Bein. Hirnflimmern. Erster wirklicher Zusammenbruch. Trinke ein Glas Rotwein (Gran Sasso Primitivo, Puglia, 2007). Rufe bei der ARD-Programmgestaltung an; so geht’s ja nicht. Ein Herr Röver.

»Herr Röver, ich gucke gerade ›Sturm der Liebe‹.«

»Wie schön, ich auch.«

»Warum, um Gottes willen?«

»Wegen der wunderbaren oberbayrischen Landschaft und der tollen Darsteller.«

»Warum zeigen Sie so einen Schrott, Sie kriegen doch Gebühren von mir, von uns, vom Volk?«

»Die Leute sehen das gern. Man muss auch mal einschalten, um abzuschalten.«

Röver ist ein kluger, angenehmer Mann. Es entsteht ein Gespräch über Information und Unterhaltung, über amerikanische Serien und deutsche. Darüber, dass Menschen sich eher für Geschichten aus ihrem eigenen Kulturkreis interessieren als für US-Serien wie »Dr. House« oder »Sopranos« oder »Mad Men«, und dass man das auch respektieren müsse. Tu ich auch. Von der Notwendigkeit von »Sturm der Liebe« überzeugt mich das trotzdem nicht. Dann könne ich doch Fußball gucken, meint Herr Röver.

»Aber die besten Spiele haben Sie doch an Sky verloren!«

»Ja nun, das Leben ist kein Wunschkonzert – auch bei der ARD nicht.«

»Haben ja beide bei der ARD angefangen«, sagt Herr Röver.

Eventuell liegt dort das Problem. Die Masse an Vergangenheit. Wer ARD sagt, muss immer auch ein bisschen BRD sagen. Prä-Einheit: Kulenkampff, Carrell, Loriot. Heute: Silbereisen, Beckmann, Schmidt. Vergleichen Sie selbst.

16 Uhr: »Tagesschau«. Susanne Stichler in Gold; Rainald Becker berichtet von den toten Soldaten.

16 Uhr 10: »Seehund, Puma & Co«-Zoogeschichten von der Küste. Drei Gepardenjunge. »Seit vier Wochen sind wir jetzt von der Milch weg«, sagt die Pflegerin. Wohl die beste Nachricht des Tages. Gibt’s eigentlich nettere Menschen als Tierpfleger?

16 Uhr 56: Zum ersten Mal Werbung. Für den Dacia SUV, ERGO Direkt, Crataegutt Herzarznei. Und die ARD selbst: »Jede Begegnung ist eine Chance für das Neue«. Was heißt das: Bitte guckt mich immer immer immer wieder?

17 Uhr: »Tagesschau«. Stichler wirkt etwas müde. Kein Wunder. Sie ist in der Nachrichtenschleife. Ich auch. Ich fühle mit ihr.

17 Uhr 15: »Brisant«. Darling Höppner über Merkel bei Schwarzenegger, Bischof Mixa und einen Oberstaatsanwalt aus Palermo, »Mafiajäger Nr. 1«. Letzteres ein bisschen zu fett anmoderiert (Mafiajäger Nr. EINS, brandgefährdet, darf eigentlich gar nicht mit uns reden etc.), aber sonst kann man’s so machen.

17 Uhr 55: »Verbotene Liebe«. Das hab ich von 1999–2002 täglich gesehen. Bin sofort im Thema. Toll, dass es das noch gibt. Viel besser als »Sturm der Liebe«.

18 Uhr 25: »Marienhof«. Seltsame Schnitte, einmal sogar verfilmtes Nahtoderlebnis. Hier versuchen sie, ganz modern zu sein. Vielleicht zu sehr. Zigarette.

19 Uhr 20: »Das Quiz«. Auftritt des ARD-Giganten Pilawa. Von Journalisten gehasst, von Volk und Quote geliebt. Sein Gesicht sieht immer ein bisschen aus wie von Pinocchios Vater Geppetto geschnitzt. Ist aber Vollprofi. Wäre ich Ausländer und wüsste nichts über ihn, würde ich denken: Kleidet sich vielleicht ein bisschen zu jung, aber ansonsten ein moderner, weltoffener Deutscher, vor dem man keine Angst haben muss. So geht’s einem sonst nur bei Claus Kleber, dem Top-Mann des deutschen Fernsehens. Eventuell hat die ARD einen Fehler gemacht, als sie Pilawa zum ZDF gehen ließ. Wer soll ihn ersetzen – Sven Lorig?

19 Uhr 45: »Wissen vor acht«. Ranga Yogeshwar erklärt in 145 Sekunden anhand einer Zahlenkurve, wie man seine Steuererklärung fälschen müsste, damit sie durchkommt. Irre überraschend und ganz toll. Die Art Sendung, die bei den Privaten wirklich nie laufen würde.

19 Uhr 49: Werbung für Jack Wolfskin, Gourmet-Gold-Katzenfutter, Prostagutt-Forte-Harnlöser, Mövenpick-Eis, das Magazin »Stern«. Genauer kann ein Publikum kaum umrissen werden: wandert gern, Probleme beim Wasserlassen, holt sich gern mal ein Eis aus dem Kühlschrank und liest den »Stern«. Im Schnitt 59 Jahre alt, schätze ich mal.

20 Uhr: »Tagesschau«. Der Klassiker. Bin schon etwas betrunken, behaupte aber trotzdem mal einfach: Die beste Acht-Uhr-Nachrichtensendung der Welt. Mutter aller Nachrichtensendungen. Gut designt, angenehme Farben, immer souverän moderiert. Nicht vorstellbar, dass irgendwo auf der Welt was von Belang geschähe und man woanders einschalten würde. Nicht vorstellbar, dass überhaupt etwas passieren KÖNNTE, wenn’s die Tagesschau nicht mehr gäbe.

Und? Wie geht’s der sechzigjährigen ARD nun? Was sagt der

20 Uhr 25: Etwas verspätet (»Brennpunkt« wegen der toten Soldaten) kommt Beckmann mit seiner ARD-Geburtstagsshow. Er will im schwarzen Rolls auf die Bühne fahren, aber der springt nicht an, Jauch (RTL) und Gottschalk (ZDF) müssen schieben. Ein passenderes Bild ist nicht denkbar. Ich schalte ab.