Inhalt

Impressum

Ferien!

Ein Freund für Sherlock?

Gespenstergesetz

Feodora Fallini

Unheimliche Zeichen

Feuer!

Eine heiße Spur

Der Feuermönch

Eine schöne Überraschung

Autoreninformation

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Als Ravensburger E-Book erschienen
2013

Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH
© 2009 Ravensburger Verlag GmbH
Umschlag: Sabine Reddig unter Verwendung einer Illustration von Karsten Teich
Innenillustrationen: Karsten Teich

Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH

ISBN 978-3-473-47272-7

www.ravensburger.de

Ferien!

Wie ein Orkan stürmte Max Kuckelkorn in das Zimmer seiner Schwester Paula und baute sich vor ihr auf. „Gib sie mir zurück!“

Ein Blick in Max’ funkelnde Augen genügte: Er war stinksauer. Aber wieso?

„Was genau soll ich dir zurückgeben?“, fragte Paula.

„Die Ersatzbatterien für meine neue Stabtaschenlampe, die du aus meiner Schreibtischschublade geklaut hast!“, rief Max.

„Ach die!“, winkte Paula ab und wandte sich wieder ihrem Rucksack zu. „Die brauche ich leider für meinen CD-Player“, sagte sie. „Sonst muss ich mir die ganze Zugfahrt über Frau Hagedorns Verhaltensregeln für die Ferien anhören.“ Paula grinste.

Frau Hagedorn arbeitete schon so lange bei der Familie Kuckelkorn, wie Paula denken konnte. Seitdem Paulas und Max’ Mutter von einer Expedition nach Südamerika nicht zurückgekehrt war, hatte Frau Hagedorn neben dem Haushalt auch die Erziehung von Max und Paula übernommen. Die Geschwister vermuteten, dass Frau Hagedorn früher, als sie noch schlank und jung war, unter dem Decknamen „Ellen Blond“ beim Geheimdienst der Königin von England als Superagentin 008 die Welt ausspioniert hatte. Anders konnten sie sich ihr unbestechliches Gespür für Schandtaten jeder Art nicht erklären.

„Ohne meine Taschenlampe fahre ich nicht in dieses alte, modrige Kloster! Da gibt es höchstwahrscheinlich nicht eine einzige funktionierende Glühbirne“, sagte Max. „Also her mit den Batterien!“

„Na gut“, brummte Paula und zog ihren CD-Player aus dem Rucksack. „Aber cool, dass wir jetzt doch noch wegfahren“, rief sie. „Lieber Ferien in einem modrigen Kloster, als hier im Schloss zu versauern.“

„Ja, ein Glück, dass Papa diese Anzeige im Internet gefunden hat“, stimmte Max zu. „Jetzt fahren wir nach Bayern in ein Klosterhotel mit Badesee und Ruderbooten und suchen alte Möbel der Familie von Schlotterfels.“

Das Schloss, in dem Max und Paula mit ihrem Vater und Frau Hagedorn lebten, hatte vor einigen Jahrhunderten der Adelsfamilie von Schlotterfels gehört. Seit Kurzem war Dr. Kuckelkorn stolzer Eigentümer und hatte einen Teil des Schlosses wieder so hergerichtet, wie er zu Lebzeiten der von Schlotterfelsens ausgesehen hatte. Als Museumsdirektor freute sich Max’ und Paulas Vater immer wie ein Schneekönig, wenn er irgendwo Originalmöbel aus dem Besitz der Familie von Schlotterfels auftreiben konnte. Das war natürlich nicht ganz leicht.

Dann hatte er das Inserat von einem gewissen Xaver Brauninger aus Bayern gelesen. Ein Teil der Familie von Schlotterfels hatte in grauer Vorzeit dort gelebt. Das war urkundlich belegt. Also konnte es gut sein, dass unter dem alten Plunder, den Herr Brauninger verkaufen wollte, auch Möbel waren, die einst den Schlotterfelsens gehört hatten. Dr. Kuckelkorn konnte es kaum noch erwarten, die Möbelstücke in Augenschein zu nehmen.

„Abfahrt in zehn Minuten!“, hallte seine Stimme über die Flure.

Mit skeptischer Miene betrachtete Max den Kleiderberg, den Paula neben sich aufgetürmt hatte. „Bist du dir sicher, dass du heute noch mit dem Packen fertig wirst?“

„Du alter Streber bist natürlich schon so weit“, maulte Paula.

„Klaro“, antwortete Max nicht ohne Stolz. „Ist doch leicht, wenn man planvoll vorgeht.“

Paula klappte die Kinnlade herunter. „Planvoll? Mann, Max, wir haben Ferien!“

Die Tür zu Paulas Zimmer schwang auf und Dr. Kuckelkorn streckte seinen Kopf herein. „Das Taxi ist gleich hier!“

„Wir sind startklar!“, rief Paula, stopfte einfach alle Klamotten in den Rucksack und zog die Kordel zu.

Als Max und Paula ihr Gepäck nach draußen schleppten, wartete Frau Hagedorn schon auf sie. Ausstaffiert mit Hut, Handtasche und Regenschirm überwachte sie wie ein General den Eingang zum Schloss. Paula blinzelte in das Sonnenlicht. „Wo ist er denn bloß? Ich kann ihn nirgendwo entdecken“, raunte sie leise.

Max wusste sofort, wen Paula meinte.

„Vielleicht können wir ihn in dem starken Sonnenlicht nicht sehen“, suchte Max nach einer logischen Begründung.

Paula hatte ein mulmiges Gefühl. „Da stimmt was nicht“, flüsterte sie Max zu, als sie neben Frau Hagedorn ihr Gepäck abstellten. Paula machte kehrt und stürmte zurück zum Schloss.

„Wo willst du denn hin?“, rief Dr. Kuckelkorn, der gerade die Tür abschließen wollte.

„Hab was vergessen!“, rief Paula, schob ihren Vater beiseite und stieß die große Eingangstür wieder auf.

Aber anstatt hinauf in ihr Zimmer zu rennen, brauste Paula durch die Eingangshalle und bog in Richtung Chinazimmer ab, einen der Ausstellungsräume im Erdgeschoss. Vom Chinazimmer ging es zum Musikzimmer. Doch dieser Raum war nicht einfach nur ein Musikzimmer. Er barg ein Geheimnis, von dem kein Mensch etwas wusste, mit Ausnahme von Paula und ihrem kleinen Bruder Max. Das Musikzimmer beherbergte nämlich eine gut versteckte Geheimtür …

Nach wenigen Minuten war Paula wieder auf dem Hof.

Schon beim Näherkommen schüttelte sie den Kopf. „Wie vom Erdboden verschluckt!“

„Heilige Ordnung, liebe sie! Sie erspart dir viel Zeit und Müh!“, trällerte Frau Hagedorn, die nicht mal wusste, was genau vom Erdboden verschluckt worden war. Ohne auf Frau Hagedorns Bemerkung einzugehen, zog Paula Max hinter sich her, bis sie außer Hörweite der Haushälterin waren.

„Ich mache mir große Sorgen“, flüsterte Paula. „In seinem Zimmer ist er auch nicht! Was machen wir denn jetzt? Wir können doch nicht ohne ihn fahren.“

Nachdenklich betrachtete Max die Eingangstür, die sein Vater gerade zusperrte. Das Krachen des Türschlosses hallte über den Hof.

Max zuckte mit den Schultern. „Wahrscheinlich hat er es sich einfach anders überlegt. Du weißt doch, wie er manchmal ist.“

„Und wenn ihm etwas zugestoßen ist?“, sagte Paula besorgt.

„Das Taxi kommt!“, jubelte Frau Hagedorn und winkte dem Fahrer mit dem Regenschirm.

Max schob seine Brille den Nasenrücken hoch. „Mach dir keine Gedanken“, sagte er zu Paula. „Was sollte ihm schon zustoßen? Er ist schließlich ein Gespenst!“

Da die Ferien gerade begonnen hatten, war am Bahnhof der Teufel los. Auf den Bahnsteigen drängten sich die Reisenden und schlugen sich in dem Gewimmel versehentlich die Koffer in die Kniekehlen. Zum Glück hatte Dr. Kuckelkorn in dem Zug, der sie in die Berge bringen sollte, Plätze reserviert.

„Lassen Sie mich das machen!“, bot Dr. Kuckelkorn Frau Hagedorn an, die sich vergeblich bemühte, ihre schwere Reisetasche ins Gepäcknetz zu befördern.

„Sehr gerne!“ Mit einem Seufzer plumpste die Haushälterin auf einen der Fensterplätze. Sie ließ den Verschluss ihrer Handtasche aufschnappen und im nächsten Moment wanderte eine Praline in ihren Mund.

Eine Pfeife schrillte und der Zug fuhr an.

Während Max lustlos in einem Buch über die Entstehung der Alpen blätterte, starrte Paula aus dem Fenster.

Mit einem Gespenst befreundet zu sein, ist manchmal ganz schön anstrengend, dachte sie traurig. Vor allem, wenn es sich auch noch um ein adliges Gespenst handelt.

Adlige Gespenster waren sehr eigenwillig und extrem launisch. Warum sonst hatte Sherlock Freiherr von Schlotterfels die gemeinsame Reise in die Berge Knall auf Fall ausgeschlagen?

Normalerweise konnten Menschen Gespenster natürlich nicht sehen. Doch eines Nachts hatten Max und Paula völlig arglos nach einem Kerzenleuchter gegriffen. Sie ahnten ja nicht, dass genau in dieser Sekunde der bis dahin unsichtbare Sherlock ebenfalls seine Hand nach dem Kerzenleuchter ausgestreckt hatte. Der Vollmond am Himmel wurde Zeuge, wie alle drei im selben Moment den Leuchter berührten. Das wäre weiter nicht erwähnenswert, gäbe es nicht dieses eine Gespenstergesetz: Berühren ein Gespenst und ein Mensch bei Vollmond ein und denselben Gegenstand, so wird das Gespenst für diesen Menschen sichtbar. So kam es, dass Sherlock und sein Gespensterhund Lilly, den er in diesem verhängnisvollen Augenblick auf dem Arm trug, für Max und Paula sichtbar wurden.

Sherlock, Lilly, Max und Paula waren inzwischen Freunde. Aber wo steckten die beiden Gespenster jetzt? Paula seufzte schwer.

Bald erfüllte regelmäßiges Schnarchen das Abteil. Frau Hagedorn war eingeschlafen.

„Zeit für einen Kaffee“, entschied Dr. Kuckelkorn. „Wollt ihr mitkommen, ins Bordbistro?“

Max und Paula schüttelten den Kopf.

„Na schön, ihr könnt ja nachkommen, wenn ihr es euch anders überlegt“, sagte Dr. Kuckelkorn und verschwand.

„Sapperlot noch eins! Noch nie in meinem ganzen Leben bin ich so unbequem gereist!“

Max und Paula erschraken. Vor ihrer Nase baumelte kopfüber eine durchsichtige Gestalt von der Gepäckablage. Die lange Lockenperücke saß schief auf dem Kopf des Mannes, der grimmig zwischen Max und Paula hin und her schaute. Aber der kleine weiße, ebenfalls durchscheinende Hund im Gepäcknetz wedelte zur Begrüßung freundlich mit dem Schwanz.

„Freiherr von Schlotterfels!“, rief Paula überrascht und unendlich erleichtert zugleich.

 

„Die halbe Nacht habe ich gesucht! Vergebens! Ich kann mich einfach nicht entsinnen, wo ich das wonnige, kleine Püppchen deponiert habe. Und die nur allzu begründete Befürchtung, ich könnte die Abfahrt verschlafen, bewog mich schließlich dazu, gemeinsam mit Lilly in die Reisetasche eurer Magd zu klettern, die im Flur bereitstand. Tja, und dann sind wir wohl eingeschlafen.“

„Wir haben uns riesige Sorgen um Sie gemacht“, sagte Max.

Sofort schoss Sherlocks Augenbraue in die Höhe. „In der Tat?“

„Ein bisschen“, gab Paula widerstrebend zu.

„Wie überaus reizend!“ Sherlock Freiherr von Schlotterfels lächelte gerührt und zwirbelte etwas verlegen seinen Schnurrbart zwischen den Fingern. Dann wedelte er mit der Hand in der Luft herum, dass seine weißen Manschetten flatterten. „Ich bin ja so aufgeregt! Das könnt ihr euch gar nicht vorstellen! Es ist ein paar Jahrhunderte her, dass ich zuletzt die Berge gesehen habe. Und dann residieren wir auch noch in einem alten Kloster. Ich werde mich dort wie zu Hause fühlen, ohne den ganzen neumodischen Schnickschnack!“

„Vielleicht treffen Sie im Kloster sogar auf einen Artgenossen, Freiherr von Schlotterfels!“, sagte Max grinsend.

Das Gespenst schaute ihn irritiert an. „Wie belieben?“

Max reichte Sherlock den Prospekt vom Klosterhotel und Paula platzte heraus: „In dem Hotel soll es doch spuken!“