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Einleitung – Die »Stromberg«-Republik

»Manche Chefs braucht man nicht zu parodieren.

Es genügt, dass man sie zitiert.«

Robert Neumann, Schriftsteller (1897–1975)

 

 

Einleitung
Die »Stromberg«-Republik

Folgende Szene könnte sich in so ziemlich jeder Branche abgespielt haben. Man kann sich den Chef einer Investmentbank vorstellen, einen Mann mit zurückgegelten Haaren, der die Finanz-Haie in seiner Abteilung zu Höchstleistungen anstachelt. Der Ausspruch könnte auch vom Boss einer Werbeagentur stammen. Tatsächlich war es ein Physik-Professor, der seinen Mitarbeitern mit folgenden Worten klarmachte, wie viele Lichtjahre er ihnen geistig voraus zu sein glaubte:

Längere Zeit hatte der Professor den Vorträgen seiner Hilfskräfte gelauscht. Da nahm er völlig unverhofft ein Blatt Papier und zeichnete die Umrisse eines Berges darauf. »Da sitzt Gott«, sagte er und tippte mit dem Kugelschreiber auf den Gipfel. »Da sitze ich.« Er tippte ins Zentrum des Bildes. »Und jetzt raten Sie mal, wo Sie sitzen?« Der Professor wartete kurz, dann ließ er den Kugelschreiber achtlos auf den Tisch fallen. »Nirgends. Sie sind gar nicht auf dem Bild.«

Die Leserin, die diese Anekdote schickte, wird noch immer wütend, wenn sie sich an ihren damaligen Chef erinnert. »Zweiundzwanzig Jahre ist das her«, sagt sie. »Doch ich könnte den Mann noch immer an die Wand klatschen.«

Ähnlich ergeht es täglich Millionen von Arbeitnehmern. In vielen deutschen Büros scheinen Motivations-Rambos, Code-Meister und Narzissten das Sagen zu haben. Diesen Eindruck gewinnt man zumindest, wenn man die knapp 2500 Zitate liest, die SPIEGEL-ONLINE – Leser in den vergangenen Monaten in die Redaktion gemailt haben. Sie waren aufgerufen, Szenen und Zitate aus ihrem Arbeitsalltag einzuschicken, und die Redaktion hat die skurrilsten, witzigsten, aber auch besonders schockierende Sprüche veröffentlicht.

Ursprünglich war nur eine Mini-Serie geplant, ein wenig Zerstreuung für öde Stunden im Büro. Bald aber entwickelte sich ein größeres Projekt. Denn zusammen ergeben die Sprüche ein interessantes Mosaik. Spezielle Charakterzüge scheinen bei auffällig vielen Problem-Chefs aufzutreten. Es scheint eine Art Boss-Matrix zu geben.

Wie viele der 36,6 Millionen deutschen Angestellten tatsächlich einen Narzissten oder Sprücheklopfer zum Vorgesetzten haben, lässt sich dadurch freilich nicht einschätzen. Auch dem Führungskräfteverband ULA liegen dazu keine Zahlen vor. Es gebe »keine überzeugenden Anhaltspunkte«, dass ein gestörtes Mitarbeiter-Chef-Verhältnis in deutschen Firmen die Norm sei, teilt der ULA auf Anfrage lapidar mit.

Die Flut der Leserbriefe zeigt allerdings, dass die Zahl der Problem-Chefs in Deutschland auch nicht gerade sehr klein sein kann. Und noch etwas ist interessant: Die Zusendungen kamen aus ganz unterschiedlichen Branchen und Hierarchieebenen. Vom Kochlehrling bis zum Vorstandsvorsitzenden im Ruhestand meldete sich so ziemlich jeder zu Wort.

»Jedes Büro ist im Kern gleich«, sagte Ralf Husmann, Erfinder von Deutschlands wohl berühmtestem Büro-Ekel, dem Versicherungsabteilungsleiter »Stromberg«, in einem Telefoninterview für dieses Buch. »Egal, ob Sie in einer Werbeagentur arbeiten oder im Verteidigungsministerium. Sie finden überall dieselben Mechanismen.«

Wer 2500 Chef-Sprüche liest, ist geneigt, das zu glauben. Es beschleicht einen das Gefühl, dass wir in einer Art »Stromberg«-Republik leben.

Nur: Warum demotivieren Chefs ihre Mitarbeiter so oft, wenn sie sie eigentlich anspornen wollen? Warum sind Boss-Witze oft so unlustig? Und was denkt Ihr Chef eigentlich über Sie? In diesem Buch sollen Sie nicht nur herzlich über Ihren Vorgesetzten lachen. Sie sollen auch Antworten auf solche Fragen finden.

Die Psyche des Chefs

Vielleicht kennen Sie den Film »Being John Malkovich«. In der Geschichte entdeckt der Puppenspieler Craig Schwartz eine Geheimtür, die direkt in den Kopf des bekannten Schauspielers führt. Er geht hindurch und sieht die Welt durch Malkovichs Augen. Er spürt das Frotteehandtuch, mit dem sich Malkovich nach dem Duschen abrubbelt; er flirtet mit der Frau, die Malkovich im Restaurant gegenübersitzt. Für eine Viertelstunde ist er Malkovich. Dann wird er auf einem Hügel neben einem Highway vor New York wieder aus Malkovichs Hirn ausgespuckt.

Stellen Sie sich nun vor: Es gibt eine solche Geheimtür in Ihrem Büro. Sie führt direkt in den Kopf Ihres Chefs. Sie können hindurchgehen, in sein Hirn schlüpfen, die Welt durch seine Augen sehen.

In den folgenden Kapiteln werden Sie genau das tun und sich dabei hoffentlich gut unterhalten fühlen. Sie lesen eine Auswahl der besten und lustigsten Chef-Weisheiten, und Sie erfahren, wie Managerberater, Arbeitspsychologen, Schlagfertigkeitstrainer und Menschen, die selbst Chef sind oder es einmal waren, diese Sprüche deuten. Welche psychologischen und gesellschaftlichen Phänomene sich hinter den Bonmots der Bosse verstecken.

Abgerundet wird dieses kleine Buch durch einen Selbstverteidigungskurs für chefgeplagte Angestellte. In diesem lernen Sie, Ihren Chef ein Stück weit zu manipulieren. So wie der Puppenspieler Craig Schwartz in »Being John Malkovich«: Der lässt den Schauspieler am Ende des Films wie eine Marionette tanzen.

Sie stehen jetzt vor der Geheimtür, vor dem Tunnel in den Kopf Ihres Chefs. Blättern Sie um und treten Sie hindurch.

Teil 1 – Lachen

Der Narziss
Wie Chef sich selbst sieht

Ein luftiger Schreibtisch vor einem abstrakten Gemälde, schwarzer Teppich, vor der Fensterfront leuchten die Lichter der Großstadt. Der Chef sitzt im schwarzen Ledersessel und telefoniert. Die Tür steht ein Stück weit offen, gerade weit genug, damit seine Stimme zu den Mitarbeitern hinausdringt.

»Keine Sorge«, hört man ihn sagen. »Ich schicke meinen besten Mann.« Er rückt sich die Krawatte zurecht. »Ich komme selbst.«

Er legt auf und geht hinüber zum Konferenztisch. Wenig später erscheinen seine Abteilungsleiter zum Meeting. Der Boss lehnt sich im Sessel zurück und lässt einen längeren Vortrag von Frau Baumann über sich ergehen. Sie redet von irgendwelchen Projekten, von denen er ehrlich gesagt noch nie was gehört hat. Vielleicht hätte er auf den letzten Sitzungen besser aufpassen sollen, doch das Konzentrieren fällt ihm in letzter Zeit zunehmend schwer. Der Chef blickt durch Frau Baumann hindurch ins Unendliche.

… »Sinnvolle Sache«, sagt sie gerade. »Nur leider wohl nicht im Zeitplan. Eine solch zentrale Entscheidung sollte nicht wegen Stress …«

»Stress?« Der Chef lehnt sich noch weiter zurück. Er verschränkt die Hände hinter dem Kopf, seine Arme stehen im rechten Winkel von seinem Kopf ab. »Stress ist was für Leistungsschwache.«

»Ich fürchte, wir reden aneinander vorbei«, sagt Frau Baumann. Es soll versöhnlich klingen. »Das Personal …«

»Frau Baumann«, unterbricht der Chef. »Wir reden nicht aneinander vorbei. Sie verstehen mich nicht.«

Millionen von Angestellten müssen sich mit Chefs herumärgern, die glauben, dass es ohnehin nur einen im Laden gibt, dem sie bedingungslos vertrauen können: sich selbst.

Nicht selten steigert sich dieser Größenwahn mit der Zeit sogar noch. Erst denkt der Chef, er sei allwissend. Dann glaubt er, er sei Superman. Und irgendwann ist er überzeugt: »Ich bin größer als Gott.«

Woher kommt das? Verdirbt Chefsein den Charakter?

Von Häuptlingen und Rednern

»Jeder neigt dazu, sich und die eigenen Fähigkeiten ein wenig zu überschätzen«, sagt Dieter Zapf, Leiter der Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Das ist im Grunde auch gut so, zumindest ist es gesund. »Menschen, die sich nicht überschätzen, würde man rasch als depressiv wahrnehmen«, sagt Zapf.

Bei Führungskräften aber scheint sich das Selbstbild mit der Zeit besonders zu verzerren. Die Organisationspsychologin Viviana Abati hat dieses Phänomen untersucht. In ihrer Diplomarbeit bat sie Führungskräfte, die eigenen Fähigkeiten einzuschätzen. Danach fragte sie Kollegen und Mitarbeiter, welchen Eindruck sie vom Chef haben. Das Ergebnis: Chefs sehen sich in wichtigen Punkten deutlich positiver, als sie von Kollegen beurteilt werden.

Viele der befragten Chefs dachten zum Beispiel, dass sie Kollegen eine starke Wertschätzung entgegenbringen und dass sie sich gut in die Lage ihrer Mitarbeiter hineinversetzen können; sie glaubten, Anteilnahme für die Probleme ihrer Angestellten zu zeigen und ihren Untergebenen viele Freiheiten zu lassen; und sie glaubten, sich Andersdenkenden gegenüber tolerant zu verhalten. In Wahrheit sprachen ihnen nur sehr wenige Kollegen diese Eigenschaften zu.

Warum klaffen Selbst- und Fremdwahrnehmung bei Chefs oft so weit auseinander? Psychologe Zapf sagt: Weil die Arbeitswelt voller narzisstischer Versuchungen ist. Sie eröffne Personen mit großem Ego oft die besten Aufstiegschancen. Größenwahn, an sich eine menschliche Schwäche, sei in der Arbeitswelt oft karrierefördernd.

Aus Sicht des Unternehmens ergibt das durchaus Sinn. Immerhin muss der Chef die Firma repräsentieren. Und wer schon die Kollegen mit seinem Riesenego beeindruckt hat, schafft das vermutlich auch bei Geschäftspartnern und Kunden. An die Kraft des Blenders glaubten übrigens schon die alten Azteken: Deren Bosse waren in erster Linie Rhetoriker. Sie benutzten nach Angaben des Sprachwissenschaftlers Rudolf Kaiser sogar für »Häuptling« und »Redner« dasselbe Wort.

Wie sich Wahrnehmung verzerrt

Die Bevorzugung des Riesenegos hat aber auch einen gravierenden Nachteil: Wer ständig betont, wie toll er ist, der fühlt sich irgendwann auch so. Die Selbstdarstellung wird zur Selbstwahrnehmung; der Chef blendet dann nicht mehr nur die anderen, sondern auch sich selbst.

Seine verzerrte Selbstwahrnehmung wird dadurch begünstigt, dass ihm fast niemand mehr die Meinung sagt. Aus Sorge um die eigene Karriere halten sich die Angestellten mit Kritik zurück. Sie schweigen, wenn der Chef Fehler macht, Dinge falsch einschätzt, falsche Entscheidungen trifft. Und die meisten lachen auch über seine Witze, selbst wenn die gar nicht lustig sind.

So wird das Büro für den Chef zum Spiegelkabinett: Er liest in den Gesichtern der Angestellten nur noch Zustimmung, und irgendwann glaubt er, dass das, was er sieht, die Wirklichkeit ist. Es ist wie in der Geschichte von Narziss, dem eitlen Jüngling, der sich eines Tages über einen See beugte und in sein eigenes Spiegelbild verliebte.

Diese Metamorphose lässt sich anhand der Chef-Sprüche, die SPIEGEL-ONLINE – Leser eingeschickt haben, gut nachzeichnen. Sie werden gleich dem Narzissten begegnen, der im Kopf Ihres Chefs haust; werden beobachten, wie er sich aufplustert, mehr und mehr Raum beansprucht und in zunehmender Tolltrunkenheit durch das Boss-Hirn torkelt. Und Sie werden erleben, dass andere zum Beispiel Dr. Anstand und Mr. Vernunft, den Narzissmus schließlich nicht mehr aushalten – und fliehen.

Um den fortschreitenden Größenwahn in all seinen Facetten zu erfassen, wurden die Chef-Zitate mit einem zusätzlichen Kommentar versehen.

Von Großkotz bis Gott – die Psychopathologie des Chefs in fünf Stufen

Stufe 1. Erkenne dich selbst

»Ich kann auch nicht alles. Aber was ich kann, kann ich besser.«

Ein guter Chef ist sich stets seiner Grenzen bewusst.

 

»Wer ich bin? Ich bin die Eins, die euch Nullen vorsteht, damit ihr überhaupt was wert seid.«

Mathematisierte Top-Bottom-Logik

 

»Ich bin wie ein Kreuzfahrtschiff. Wenn ich untergehe, nehme ich eine Menge Leute mit.«

… außer den Ratten, die vorher abhauen.

 

»Ja, wenn ihr mich fragt, wie ich auf 30 % Margenziel gekommen bin: Das ist mir halt so eingefallen. Da hab ich mir weiter nichts bei gedacht, ich hätte auch jede andere Zahl nehmen können.«

1 % Business-Plan, 99 % Rendite-Roulette

 

»Was schauen Sie mich so an? Hab ich einen Orang-Utan auf der Schulter sitzen?«

Der Alpha-Primat erkennt sich aus Versehen selbst.

 

»Können Sie lesen? Auf meinem Namensschild steht ›Meyer‹. Nicht ›Copperfield‹.«

Der Chef kann auch nicht zaubern.

 

»Macht sieht nur von unten arrogant aus.«

Begegnung auf Augenhöhe

 

»›Projektleiter‹ steht nur auf Schultern, die breit genug sind.«

Kompetenzen-Kraftmeierei

 

»Meinst du etwa, ich lese jede E-Mail?«

Selbsteinschätzung eines Kontrollfreaks, der in jedem E-Mail-Verteiler ist

 

»Viel Arbeit hat noch keinem geschadet. Das sehen Sie ja an mir.«

Selbsteinschätzung eines Geschiedenen

Stufe 2. Füttere dein Ego

»Ach, was reg ich mich auf! Wenn ich mir was beweisen will, gehe ich zur Arbeit. Da habe ich 250 Leute unter mir.«

Frustbewältigung nach verlorenem Golfspiel

 

»Ihr müsst erst mal Scheiße riechen, bevor ihr einen Posten wie meinen bekommt.«

Auch in der Abwasserentsorgung sind Führungskräfte gefragt.

 

»Herr B. kommt auch mal mit einer Verbeugung ins Zimmer und sagt: ›Chef, Sie hatten recht!‹ Sie tun das nie.« 

Herr B. wurde befördert.

Stufe 3. Finde deinen Platz im Universum

»Da, wo ich bin, ist vorne.«

Wegweiser zum Erfolg

 

»Hier geht’s nach Gehaltsliste, also ich zuerst.«

Der Herr schreitet vorneweg …

 

»Teamwork ist, wenn alle machen, was ich sage.«

… die Diener folgen.

 

»Was hier im Hause mitbestimmungspflichtig ist, bestimme immer noch ich.«

Leitlinie für den Betriebsrat

 

»Ein Chef ist ein Mensch, der es versteht, mit den Köpfen anderer zu denken.«

Management à la Störtebeker

 

»Nicht die Größe der Karawane ist entscheidend, sondern die Weisheit, mit der sie durch die Wüste geführt wird.«

Genau! Immer der Fata Morgana folgen.

 

Angestellter: »Chef, kann ich Ihnen irgendwie helfen?«

Chef: »Ich brauch keine Hilfe. Das ist allein schon schwer genug.«

Nicht nur Mitarbeiter wissen manchmal nicht weiter, auch ein Chef fühlt sich gerne mal alleingelassen.

 

»Ich schicke den besten Mann aus meinem Team. Ich komme selbst.«

Ein guter Chef weiß immer, auf wen er sich verlassen kann.

 

»Es kann nicht nur Häuptlinge geben.«

… und wenn die Stammesältesten dann doch mal Bilanzunregelmäßigkeiten in den ewigen Jagdgründen entdecken, dann sagt Winnetou:

»Für Probleme bin ich nicht zuständig.«

An diesem Punkt ist der Narzissmus des Chefs bereits so weit fortgeschritten, dass sich die Welt vor seinen Augen zu verformen beginnt. Er denkt nun, er sei nur noch von Trotteln umgeben, von Taugenichtsen und Tagelöhnern – und nur er allein könne noch dafür sorgen, dass die Firma nicht jeden Moment untergeht. Ab hier beginnt der Aufstieg ins Chef-Nirwana, die Loslösung von der nun alsbald viel zu profanen Alltagswelt.

4. Finde Erleuchtung