Die bessere Medizin für Frauen

Dr. med. Franziska Rubin / Anna Cavelius

Die bessere Medizin für Frauen

Ganzheitlich und individuell - der Schlüssel zu Ihrer Gesundheit

Knaur eBooks

Inhaltsübersicht

Über Franziska Rubin / Anna Cavelius

Dr. med. Franziska Rubin ist Ärztin, Moderatorin, Medizinjournalistin und Autorin mehrerer Bestseller zum Thema Gesundheit, Hausmittel und gesundes Kochen. Ihr Herz schlägt aus voller Überzeugung und mit viel Begeisterung besonders für die Naturheilkunde. Als TV-Moderatorin präsentierte sie 17 Jahre lang die Gesundheitssendung »Hauptsache Gesund« des MDR, war davor das Gesicht weiterer Wissenschaftsmagazine und Servicesendungen. Die TV-Ärztin setzt auf bewährtes Wissen aus beiden Welten, der Hochschulmedizin und der Komplementärmedizin. Ein besonderes Anliegen ist es ihr, Patienten über die vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten aus Medizinsystemen aller Welt aufzuklären. Außerdem findet sie, dass jeder seinen eigenen inneren Arzt mit den richtigen Hausmitteln und Verhaltensänderungen stärken kann. Man muss nur wissen, wie.

Der Kneipp-Bund würdigte ihren Blick für den ganzen Menschen und ihren Einsatz für Naturheilverfahren und Hausmittel mit dem Kneipp-Bund-Gesundheitspreis. Franziska Rubin lebt mit Mann, Töchtern und Hund am bayerischen Ammersee.

 

Anna Cavelius ist freie Wissenschaftsautorin, studierte Philosophin (M. A.) und auch gefragte Ghostwriterin. Seit vielen Jahren steht sie nam­haften Autoren aus verschiedenen Welten zur Seite und hat zahlreiche Ratgeber und Sachbücher über Gesundheit und Lifestyle verfasstverfasst. Mit Franziska Rubin hat sie den bei KNAUR MensSana erschienenen Spiegel-Bestseller »Minuten am Tag – endlich gesünder leben« geschrieben. Sie lebt mit Patchworkfamilie und Katze am Ammersee und kann Franziska vom anderen Seeufer rüberwinken.

Frauen sind keine Patienten

So grundsätzlich finde ich es ja klasse, eine Frau zu sein. Ich mag es, bunter sein zu dürfen, ob mit Schminke oder Klamotten, meine Gefühle rauslassen zu können, zu laut zu lachen oder zu weinen, wenn mir danach ist. Ich finde es toll, Kinder bekommen zu können und viele Freundinnen an meiner Seite zu haben, mit denen ich alles teile. Mich zu sorgen und zu lieben an vorderster Front. Aber ich fühle auch oft die Herausforderung, die das Leben als Frau mit sich bringt, vom alltäglichen Leben manchmal voll überfordert durch Arbeit plus Kinder, mit Homeoffice, Heim und Herd. Frau sein ist spannend, aber manchmal nicht einfach.

Wo mir aber regelmäßig der Kragen platzt, ist die Ungerechtigkeit, die uns Frauen immer noch durch dieses Leben begleitet. Neben der empfundenen Hauptverantwortlichkeit für die Familie, schlechteren Bedingungen im Job, anhaltender Gewalt gegen Frauen und vielem anderen gibt es auch eine medizinische Ungerechtigkeit, die mich dazu geführt hat, dieses Buch zu schreiben.

Obwohl wir fast die Hälfte der Weltbevölkerung ausmachen, werden wir bei der Entwicklung und Testung von Medikamenten, Diagnoseverfahren und Therapien weitestgehend ignoriert, und es wird wenig erforscht, dass wir sogar andere Symptome haben, unsere Organe etwas anders gebaut sind oder warum uns manche Erkrankungen häufiger treffen als Männer.

Dabei ist es nicht selten, dass Frauen anders krank sind als Männer. Wir haben häufiger Autoimmunbeschwerden, sind anfälliger für Knochenerkrankungen oder Alzheimer, ein Herzinfarkt zeigt sich eventuell ganz anders. Trotzdem werden wir in der Grundlagen- und Arzneimittelforschung wie auch in der Behandlung oft immer noch wie ein »Max Mustermann« behandelt, auch wenn wir eigentlich Anna oder Franziska heißen.

 

Manchmal ist der Körper großzügig und hält auch Diagnosen aus, die nicht so ganz richtig sind, in anderen Fällen kann es für eine Frau gefährlich werden. Das dramatischste Beispiel hierfür ist der Herzinfarkt. Viele Frauen erkennen die bei ihnen manchmal anderen Symptome nicht, da das berühmte »Kribbeln im linken Arm« fehlt. Sie trauen sich nicht, den Notarzt zu rufen. Aber selbst wenn eine Frau nun die 112 wählen sollte, kann es passieren, dass auch das medizinische Personal die Symptome nicht richtig einordnet und wertvolle Zeit verloren wird. Weiter geht’s dann mit Schwierigkeiten in Therapie und bei der Nachsorge, sodass weit mehr Frauen am Herzinfarkt versterben als Männer in der gleichen Situation.

Erst 2007 wurde an der Berliner Charité das bis heute einzige Institut in Deutschland für Geschlechterforschung in der Medizin gegründet. Mit dem Ziel, zu erforschen und zu veröffentlichen, welche Unterschiede es gesundheitlich mit sich bringt, ein Mann oder eine Frau zu sein.

Weltweit wird der Ruf lauter, dass Forschung, Wissenschaft und jeder Arzt im Blick haben sollte, was besonders an einem Patienten und was speziell an einer Patientin ist. Aber es ist noch ein langer Weg.

 

In diesem Buch finden Sie die häufigsten Volkskrankheiten und die bisher dazu erforschten Fakten aus der Gendermedizin. Sie werden erstaunt sein, wie sehr sich Männer und Frauen medizinisch unterscheiden, wenn dies gut untersucht wurde.

Vielleicht erleichtert es Ihnen, Ihre Symptome besser zu deuten oder Medikamente zu wechseln, die nicht so gut wirken bei Frauen. Wertvoll ist auch zu wissen, welche Risikofaktoren Sie besonders im Auge behalten müssen, da sie bei Frauen schwerere Konsequenzen haben.

 

Doch dies ist nur der erste Teil der »besseren Medizin«, der zweite ist die Kraft der Natur, die Ihnen hilft, gesund zu werden oder zu bleiben.

Denn die Naturheilkunde bietet einen riesigen Schatz an Behandlungsmöglichkeiten. Meine Erfahrung ist, dass »die bessere Medizin« die Kombination ist: zum einen aus einer Hochschulmedizin, die uns als Individuen sieht (und dazu gehört eigentlich selbstverständlich unser Geschlecht), und zum anderen der naturheilkundlichen, ergänzenden Medizin aus aller Welt.

Mit beiden schaffen wir es, dass auch chronische Erkrankungen ausheilen und schwierige Eingriffe und Therapien gut vertragen werden. Die Naturheilkunde unterstützt den Körper, sich selbst zu heilen. Deshalb habe ich für jede Erkrankung meine Favoriten aus den verschiedensten Bereichen der Naturheilkunde zusammengestellt. Für manche Therapien brauchen Sie einen erfahrenen Behandler, der Sie unterstützt, viele andere Tipps können Sie auch allein umsetzen.

Naturheilkunde wird immer beliebter, zu Recht, denn sie hilft, gesund zu werden, aber auch einen Lebensstil zu finden, der uns einfach guttut. Körper, Seele und Geist. Und das gefällt vor allem Frauen, die besonders positiv ansprechen auf ganzheitliche Therapien.

Also, versuchen Sie es einmal! Ich hoffe, dass Sie viele für Sie hilfreiche Tipps finden, wie Sie Ihre eigene Erkrankung verabschieden oder zu einem Weggefährten machen, der Ihr Leben trotzdem so kraftvoll, kreativ und glücklich werden lässt, wie es eben möglich ist.

 

Viel Erfolg und alles Gute!

 

Ihre

Ein bisschen Theorie (muss sein) oder

Frauengesundheit

Das sagt die Wissenschaft

Gendermedizin – Das Licht am Ende des Tunnels?

Bei den meisten Sportarten ist ganz klar: Männer und Frauen treten in getrennten Gruppen an. Wir Frauen sprinten, springen und boxen zwar in fast allen Sportarten mit. Trotzdem haben wir weniger Muskeln und Kraft als Männer. Das liegt vor allem daran, dass wir viel weniger Testosteron im Blut haben, das männliche Sexualhormon, welches die dicksten Muskeln baut. Außerdem haben wir im Vergleich zu Männern ein kleineres Herz, kleinere Lungen und weniger Blut oder Knochenmasse im Körper. Kaum zu glauben: Was im Sport klar getrennt ist, wurde in der Medizin bisher kaum beachtet. Frauen sind anders als Männer in vielen Dingen.

Das fängt schon bei der Geburt an, wie ich bei meinen eigenen Kindern erfahren habe: Frühgeborene Mädchen haben einen deutlichen Überlebensvorteil gegenüber den kleinen Jungen. Die männlichen Neugeborenen sind anfälliger für Infektionen und sterben häufiger. Die Erklärung muss hier in den Genen liegen, denn diese Neugeborenen waren noch keinen Umwelteinflüssen ausgesetzt, und sie wurden noch nicht gesellschaftlich »geformt«. Allein ihr Geschlecht macht hier den Unterschied.

Das starke Geschlecht ist weiblich

Unsere Erstausstattung ist vor allem ein Set von Genen und darin die Info, welche Hormone für unsere weitere Entwicklung sorgen. Ob wir als Mädchen oder Junge zur Welt kommen, steht schon mit dem Zeitpunkt der Befruchtung fest: Sie erinnern sich? Eine befruchtete Eizelle, aus der einmal ein Mädchen wird, hat zwei X-Chromosomen. Die, aus der später ein Junge wird, besitzt nur ein X-Chromosom und ein Y-Chromosom. Spannend: Letzteres ist viel kleiner. Es trägt auf 86 Genen viel weniger Erbinformationen als das X-Chromosom, das etwas mehr als tausend Gene zu bieten hat. Die Gene auf dem Y-Chromosom stoßen vor allem die Entwicklung in Richtung Mann an. Auf dem X-Chromosom liegen dagegen auch Informationen, die nichts mit der Entwicklung des Geschlechts zu tun haben, sondern unter anderem das Immunsystem und die Gehirnentwicklung beeinflussen. Frauen haben also zahlreiche genetische Informationen doppelt. Viele davon werden deaktiviert, um nicht zu stören. Ein Teil von 15 bis 20 Prozent der doppelten Gene bleibt aber aktiv, was einen Riesenvorteil bietet: Unser weiblicher Körper kann manchmal aussuchen, welches Gen aktiv ist und welches lieber nicht.

Das bietet vor allem einen Überlebensvorteil, wenn auf einem X-Chromosom Gene für Erbkrankheiten liegen. Bekannt in den europäischen Königshäusern ist beispielsweise die gefährliche Bluterkrankheit (Hämophilie), die bei kleinen Verletzungen schon zu unstillbaren Blutungen führen kann. Von ihr sind aufgrund der Gene vor allem die männlichen Familienmitglieder betroffen.

Genetisch im Vorteil

Durch die zwei X-Chromosomen stehen Frauen auch mehr Informationen zur Verfügung, und man vermutet sogar ein größeres Anpassungsvermögen.

Im Falle von COVID-19 beispielsweise wurde beobachtet, dass Frauen bei der Bekämpfung des Virus einen Vorteil haben. Die wissenschaftliche Erklärung dafür ist verblüffend: Die weiblichen Immunzellen tragen wie alle anderen Zellen auch zwei (unterschiedliche) X-Chromosomen. Auf einem liegen womöglich Gene, die das Virus besonders gut erkennen können, auf dem anderen solche, die es wirkungsvoll bekämpfen. Man geht von doppelt so viel spezialisierten »Detektiv«-Eiweißen aus, die Viren als Eindringlinge erkennen können wie bei Männern.

Deshalb erkranken Frauen weniger schwer, und es sterben auch nicht so viele an COVID-19. Zudem weiß man, dass das weibliche Geschlechtshormon Östrogen unsere Abwehr stärkt. Genetisch bedingt, ist das weibliche Immunsystem also robuster.

Das zeigt sich auch beim gern belächelten Männerschnupfen. Da Testosteron das männliche Immunsystem unterdrückt, haben Erkältungsviren bei Männern ein leichteres Spiel, und es erwischt sie tatsächlich schneller und härter. Den Männerschnupfen gibt es also wirklich. Zudem sind Männer anfälliger für Komplikationen, so müssen sie auch bei Grippe öfter in die Klinik als Frauen gleichen Alters.

Das weibliche Immunsystem lernt außerdem schneller, sodass sich bei Frauen ein besserer Impfschutz durch eine ausgeprägtere Antikörperbildung aufbauen lässt. Sogar gegen Krebsvorstufen geht das weibliche Immunsystem aktiver vor. Die Kehrseite der Medaille: Krankheiten fühlen sich für Frauen erschöpfender an, denn eine starke Immunreaktion stresst den ganzen Körper. Und noch fataler: Sie sind anfälliger für Autoimmunerkrankungen.

Weibliche Superkräfte

Für die genetische Überlegenheit zahlen Frauen also manchmal einen sehr hohen Preis. Schwere allergische Reaktionen wie ein anaphylaktischer Schock sind häufiger sowie viele andere Autoimmunerkrankungen: Beim Lupus erythematodes, einer Erkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis, kommen neun weibliche auf nur einen männlichen Patienten. Multiple Sklerose trifft viermal mehr Frauen als Männer.

Erstaunlicherweise haben Frauen in jedem Alter vermutlich durch ihre zwei X-Chromosomen trotzdem eine längere Lebenserwartung als Männer. Allerdings heißt das nicht unbedingt, dass ein langes Leben auch mit einer guten Gesundheit einhergeht. Bei COVID-19 zum Beispiel haben Frauen zwar bessere Chancen, die Krankheit zu überleben, aber sie entwickeln doppelt so häufig Spätfolgen in Form von neurologischen Beschwerden oder einem Fatigue-Syndrom, das sich in ständiger Erschöpfung und Abgeschlagenheit bemerkbar macht. Womöglich handelt es sich also beim sogenannten »Long-COVID« auch um eine Autoimmunkrankheit.

Die Kehrseite der Medaille

Mittlerweile geht man von mehr als 80 Autoimmunerkrankungen aus, die überwiegend Frauen treffen. Spitzenreiter ist die chronische Entzündung der Schilddrüse, die Hashimoto-Thyreoiditis (siehe Seite 151). Andere häufige Autoimmunerkrankungen tragen interessante Namen, aber dahinter verbirgt sich viel Leid: wie die perniziöse Anämie, Multiple Sklerose, Rheuma, Lupus erythematodes oder Zöliakie.

Die Unterschiede im weiblichen und männlichen Immunsystem zeigen sich sogar im Gehirn auf Zellebene, zumindest bei Mäusen. Das ist einer »Zufallsentdeckung« von Forschern am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin zu verdanken. Aus reiner Neugier untersuchten sie weibliche und männliche Mäuse, um der seit Jahren herumgeisternden Behauptung von der unterschiedlichen Körperabwehr auf den Grund zu gehen, und machten eine spektakuläre Entdeckung: In einigen Hirnarealen unterschieden sich die Immunzellen von Männchen und Weibchen tatsächlich vom Aussehen und von der Reaktion auf Reize.

Wie unser Verhalten Krankheit und Therapie bestimmt

Will man Geschlechtsunterschiede bei Krankheitsrisiken erklären, kommt man um das biologische Geschlecht nicht herum, also ob wir ein oder zwei X-Chromosomen besitzen. Denn unsere Gene und Sexualhormone beeinflussen Ausstattung und Funktion aller Organe im Körper – vom Immunsystem über die Schilddrüse, die Leber, das Gehirn bis hin zum Knochen. Dies wiederum hat Konsequenzen auf Organfunktionen, Stoffwechsel, Symptome, mit denen sich unsere Organe bemerkbar machen, sogar auf die diagnostische Darstellbarkeit. Je nach Geschlecht reagieren wir anders auf Therapien, zeigen abweichende Nebenwirkungen und Verläufe. Nicht immer, aber oft.

Lange unterschätzt wurde auch der Einfluss des gesellschaftlichen Geschlechts, der Rollenvorstellungen auf die Gesundheit. Genau damit befasst sich daher die Genderforschung. Frauen und Männer verhalten sich anders, zum Beispiel beugen Frauen Krankheiten aktiver vor, gehen regelmäßiger zum Check-up oder zu Vorsorgeuntersuchungen, achten mehr auf die Ernährung, dafür bewegen sie sich weniger.

Frauen warten auch geduldig länger auf einen Termin, obwohl die Zeit eigentlich drängt. Männer gehen manchmal gar nicht erst zum Arzt und nehmen ihre Tabletten vor allem, wenn ihre Partnerinnen darauf achten. Frauen vermuten bei sich selbst eher psychische Ursachen für körperliche Probleme, was dazu führen kann, dass die körperlichen Symptome nicht genau abgeklärt werden. Männer gehen eher davon aus, dass ihre Krankheitsursache körperlicher Natur ist. So auch viele Behandler. Die traurige Bilanz: Depressionen werden gerade bei Männern häufig nicht rechtzeitig erkannt und ausreichend behandelt. Sie töten sich dreimal häufiger selbst als Frauen.

Frauen beschäftigen sich meist mehr mit Gesundheit, essen lieber Gemüse und Süßes, Männer hingegen bevorzugen Fleisch. Fakt ist aber, dass Frauen in der Regel zwar besser informiert sind, bei »gesünderem« Verhalten jedoch hapert es genauso wie bei Männern, wie Prof. Dr. Gertraud Stadler vom einzigen deutschen Lehrstuhl für Gendermedizin an der Berliner Charité feststellte. Sie forscht aktuell, wie sich Männer und Frauen zu einer besseren Ernährungsweise motivieren lassen, was wichtig ist zur Vorbeugung, aber auch Nachbehandlung vieler Erkrankungen.

 

Last, but not least gibt es daraus entstehend zahlreiche Vorurteile, die einer richtigen Behandlung im Weg stehen können. Nicht alle Frauen sind sensibler oder übertreiben ihre Gesundheitsprobleme. Nicht alle Männer sind verstockt und verschweigen ihre Symptome. Autoren einer Studie hierzu fordern, dass Forscher wie Medizinerinnen Frauen wie Männer unbedingt gleichermaßen ernst nehmen müssen, um fatale Behandlungsfehler zu vermeiden.

Und wir wissen, es ist alles stets in Bewegung. Rollenbilder verändern sich, auch Männer hüten Babys, und Frauen parken prima ein. Durch Fragebogen können Forscherinnen diese soziokulturelle Dimension mittlerweile erfassen. In der Studie Genesis-Praxy wurden über 1000 Herzinfarktpatienten und -patientinnen auf ihre Gendereigenschaften, also ihr Sozialverhalten hin, untersucht. Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass Leben und Überleben nach dem Infarkt mehr von unserem Sozialverhalten als vom biologischen Geschlecht beeinflusst wurde. Was, wie Sie im Herzkapitel lesen werden, insbesondere den Frauen zum Nachteil gereicht.

Typisch weiblich – selbst die Organe!
  • Darm: Bei Frauen funktioniert die Verdauung meist etwas langsamer. Die normale Passagezeit der Nahrung durch den Magen-Darm-Trakt liegt beim Mann durchschnittlich bei 6,9 Stunden und bei der Frau bei 8,8 Stunden. Dies wirkt sich auf die Aufnahme von Nahrung, aber auch Medikamenten aus. Schädliche Substanzen in der Nahrung haben mehr Zeit, die Darmwand anzugreifen.

  • Fettzellen: Frauen haben im Durchschnitt circa 10 Prozent mehr Fettgewebe und 20 bis 25 Prozent weniger Muskelmasse als Männer. Das Körperfett dient als Energiespeicher, aber auch etliche schädliche Botenstoffe werden hier produziert. Fettdepots sind lebensnotwendig, jedoch auch gefährlich, im Übermaß vor allem für Frauen.

  • Herz: Bei Frauen kann ein Infarkt atypisch verlaufen mit Übelkeit, ungewöhnlichem Unwohlsein, Schmerzen im Oberbauch oder plötzlicher Erschöpfung. Fehldiagnosen sind häufig. Es ist ein Verdienst der Gendermedizin, dass wir heute über die unterschiedliche Symptomatik Bescheid wissen. Weitersagen!

  • Hormone: Die Geschlechtshormone – Östrogene und Testosteron – sind wesentlich daran beteiligt, dass sich Frauen und Männer äußerlich unterscheiden. Ihre Wirkung geht aber viel weiter. Die Botenstoffe beeinflussen den Stoffwechsel, die Funktion von Organen und die Immunabwehr.

  • Immunsystem: Gerade im mittleren Lebensalter (30 bis 50 Jahre) haben Frauen ein besonders starkes und auch mal überschießendes Immunsystem. Infolgedessen bekommen sie auch öfter Autoimmunerkrankungen.

  • Knochen: Brüchige Knochen sind vor allem ein Frauenproblem, das sich bereits mit den Wechseljahren verschärft. Männer bekommen meist erst im siebten Lebensjahrzehnt Osteoporose.

  • Leber: Die weibliche Leber ist im Durchschnitt kleiner und verstoffwechselt und entgiftet damit oft langsamer. Frauen vertragen daher nicht nur weniger Alkohol als Männer, sondern dies hat ebenso einen Einfluss auf den Abbau von Arzneimitteln (siehe auch Seite 179).

  • Nieren: Weibliche Nieren verlieren schneller ihre Funktion, vor allem ältere Frauen leiden daher häufig unter Nierenschwäche. Medikamente bleiben so länger im Körper, was zu Überdosierungen führen kann.

  • Schilddrüse: Frauen erkranken wesentlich öfter an dieser wichtigen Drüse fürs Immunsystem und den Stoffwechsel. Häufig sind eine Struma oder Autoimmunprozesse wie Hashimoto-Thyreoiditis oder Morbus Basedow.

Raus aus der Nische!

Auf die Genderforschung warten noch jede Menge Aufgaben. Allein, um festzustellen, wo die Geschlechterunterschiede wirklich ausschlaggebend sind, fehlen nach wie vor ausreichend Daten. Nicht zu vergessen die Personen, die sich einem dritten Geschlecht zuordnen und bei denen die Kategorien Mann oder Frau gar nicht passen. Immerhin weiß man eines aber sicher: dass sowohl das biologische (englisch sex) als auch das soziale (gender) Geschlecht die Gesundheit wesentlich beeinflussen.

Blickt man in die Welt, ist eines der Vorreiterländer im Bereich Gendermedizin Kanada. Hier beschäftigt sich ein Büro in der staatlichen Gesundheitsbehörde ausschließlich mit gendermedizinischen Aspekten und der systematischen Erforschung von Geschlechterunterschieden bei wichtigen Erkrankungen. Europa und Deutschland insbesondere hinken hier hinterher: In Österreich gibt es immerhin zwei eigene Lehrstühle für Gendermedizin. Laut der Genderforscherin Alexandra Kautzky-Willer ist hier das Bewusstsein für Geschlechterunterschiede in der Medizin unter den Studierenden, bei Ärzten und bei den Patienten und Patientinnen dadurch gestiegen. In Deutschland dagegen ist die Charité Berlin bislang die einzige Einrichtung, die Geschlechtermedizin anbietet und dies im Curriculum verankert hat. Für Reformen in der medizinischen Lehre braucht es hierzulande offenbar Geduld.

Typisch weiblich: Es sind die Hormone

Sexualhormone – Östrogen, Progesteron oder Testosteron – stellen im Körper einiges an. Sie steuern das Aussehen von Frau und Mann und beeinflussen Gesundheit, Sexualität und Lebensgefühl. Dabei gibt es kein rein weibliches oder rein männliches Hormon: Beide Geschlechter produzieren weibliche wie männliche Geschlechtshormone, nur die Mengen sind verschieden. Sobald die Sexualhormone schwanken oder zu schwinden beginnen, können wir krank werden.

Hormonschwankungen innerhalb des Zyklus

Der Hormonspiegel einer Frau schwankt im Verlauf ihres Monatszyklus. Zu Beginn stößt das follikelstimulierende Hormon (FSH) die Reifung der Eibläschen (Follikel) an. Sie produzieren Östrogene, die die Bildung einer neuen Gebärmutterschleimhaut anregen. Der steigende Östrogenspiegel löst einen sprunghaften Anstieg des luteinisierenden Hormons (LH) aus: Es kommt zum Eisprung. Der Follikel entwickelt sich zum Gelbkörper und erzeugt Progesteron, das den Aufbau der Gebärmutterschleimhaut unterstützt. Wird die Eizelle innerhalb der nächsten Tage nicht befruchtet, geht der Gelbkörper zugrunde, die Progesteron- und Östrogenkonzentration sinkt, und die Gebärmutterschleimhaut wird abgestoßen. Es kommt zur Monatsblutung.

Diese Hormonschwankungen beeinflussen viele Stoffwechselvorgänge im Körper und sind ein Grund, warum überwiegend männliche Probanden und Tiere in der Forschung eingesetzt werden.

Bei vielen Erkrankungen, die Sie in diesem Buch finden, werden Sie lesen, dass insbesondere die Östrogene bei der Frau vor der Menopause, also der letzten Regelblutung, schützend wirken. Allerdings wird ihr Absinken nach den Wechseljahren für das verstärkte Auftreten mancher Erkrankungen oder den rasanten Verlauf verantwortlich gemacht. Dann stellt sich natürlich die Frage, ob es sinnvoll wäre, Ersatzhormone einzunehmen, um diesen Risiken oder Erkrankungen zu entgehen. So einfach, wie man denkt, ist diese Entscheidung nicht, und sie muss individuell getroffen werden.

Hier kommen ein paar Infos zum Verständnis und meine persönliche Einschätzung. Es gibt mehr als 20 zirkulierende Östrogene im Körper. Östradiol, Östriol und Östron sind die drei Hauptvertreter:

 

Alle Östrogene sind wichtig für

 

Wenn Östrogene fehlen, kann es zu diesen Symptomen kommen:

 

Hormone ersetzen? – Vier Tipps

Mit den Wechseljahren kommen so manche Beschwerden, die durch den Rückgang insbesondere der Östrogene, aber auch des Progesterons begünstigt werden. Deshalb stellt sich vielen Frauen die Frage, ob es sinnvoll wäre, die Hormone zu ersetzen. Hinweise dazu finden Sie in vielen Kapiteln. Grundsätzlich scheint zu gelten:

  1. Hormone einfach so ersetzen bringt nichts. Es gibt eine ganze Reihe von möglichen Nebenwirkungen.

  2. Nur bei belastenden Beschwerden sollte man den Einsatz von Hormonen erwägen.

  3. Es ist eine gute Idee, es erst mal mit pflanzlichen Hormonen und Hausmitteln zu versuchen, den Körper bei leichten Beschwerden zu stabilisieren. Ernährung kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, denn Leinsamen, Soja, grüner Tee und Brokkoli enthalten pflanzliche Östrogene, die den Körper oft schon genügend stützen. Pflanzliche Medikamente (Phytoöstrogene) wie etwa aus Traubensilberkerze, Frauenmantel, Soja, Yamswurzel, Rotklee, Sibirischem Rhabarber sind ebenso hilfreich, um Beschwerden zu lindern.

  4. Viele naturheilkundlich arbeitende Ärzte empfehlen, wenn Hormongaben notwendig sein sollten, lieber auf bioidentische Hormone zurückzugreifen. Sie entsprechen dem biologischen Original im Gegensatz zu synthetischen Hormonen. Sie enthalten natürliches Progesteron, zum Beispiel Diosgenin, einen Wirkstoff aus der medizinischen Yamswurzel, natürliche Östrogene wie 17-Östradiol, oder das schwächere Östriol, das aus Sojabohnen gewonnen werden kann. Anscheinend kommt es bei gleicher Wirkung zu einer höheren Verträglichkeit. Die bessere Aufnahme gelingt über die Haut.