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Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2019

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Covergestaltung Anzinger und Rasp, München

Coverabbildung philipp igumnov flickr.com/photos/woodcum / Getty Images

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ISBN 978-3-644-00179-4

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

ISBN 978-3-644-00179-4

2018 war das wärmste Jahr im Temperaturdurchschnitt seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881. Im Mittel lagen die Lufttemperaturen circa zwei Grad Celsius über den Temperaturen, die in den vergangenen 50 Jahren in Deutschland gemessen wurden. Die Landwirtschaft wies drastische Einbußen auf, und Waldbrände hielten in ganz Deutschland die Bevölkerung in Atem. Und auch dieser Sommer war europaweit von extremer Hitze geprägt. Im Juni hatten wir den heißesten je für diesen Monat aufgezeichneten Tag.Bilder von ausgetrockneten Flüssen und schrumpfenden Gletscherzungen in den Hochgebirgen Europas verstärken den Eindruck einer dramatischen Entwicklung. Das gute Wetter macht viele misstrauisch. Kein Wunder also, dass diese klimatischen Jahrhundertereignisse das Bewusstsein für die Folgen eines Klimawandels geschärft haben; dass das Thema nun die gesellschaftliche Debatte und auch die Politik bestimmt.

 

Diese nicht endenden Sonnentage haben uns vor Augen geführt, dass auch der Mensch mit seiner Physiologie für höhere Umgebungstemperaturen nicht geschaffen ist. Vielen ist es im Sommer in Deutschland schlicht zu heiß – und

 

Doch das Klima stellt bei weitem nicht die einzige Überforderung dar. In den Metropolen dieser Welt, wo seit 2008

 

All diesen Formen körperlicher Leistungsfähigkeit, aber eben auch der Überforderung unseres Körpers wird in dem vorliegenden Buch nachgegangen, einschließlich der Frage, ob wir, wenn es zu ungemütlich auf der Erde werden sollte, körperlich in der Lage wären, auf einem anderen Planeten wie dem Mars weiterzuleben.

 

Die Grenzen des Körpers sind die Grenzen des Menschen – und dieses Buch handelt von Menschen in physischen und psychischen Extremsituationen. Die Physiologie ist die Wissenschaft und die Lehre vom Leben, von den normalen Lebensvorgängen und insbesondere von den physikalischen Funktionen des Organismus. Letztere werden unter anderem durch Umwelteinflüsse wie Temperatur, Druck und Schwerkraft beeinflusst. Hinzu kommt, dass es besonders

 

Den Kapiteln sind unterschiedliche Beispiele von Extremerfahrungen vorangestellt, die sich mit dem Leben und Überleben in einer spezifischen extremen Umwelt beschäftigen. Das kann die Arktis sein, der Weltraum, die Wüste, das Meer oder andere lebensfeindliche Umgebungen. Mit ihrer Hilfe werden die physiologischen Grundlagen des Körpers beschrieben. Es ist keine wissenschaftliche Abhandlung. Soll es auch nicht sein. Mein Buch soll neugierig machen und zeigen, wie eigentümlich das Leben ist und wie eigentümlich es gerade unter Extrembedingungen verlaufen kann.

Temperatur

Am 18. März 1943 tauft die Crew des 514. Bombergeschwaders der United States Army Air Forces ihren B-24D Liberator Bomber auf den Namen Lady Be Good – nach dem gleichnamigen Musical von Ira und George Gershwin. Ort des Geschehens: die Flugbasis in Soluch nahe Benghazi in Libyen. Wenige Tage darauf, am Nachmittag des 4. April, startet die Crew zu ihrem ersten Einsatz in Richtung Neapel. An Bord sind Pilot William Hutton, Copilot Robert Toner, Navigator Dp Hays, Bomberschütze John Woravka, Flugingenieur Harold Ripslinger, Funker Robert LaMotte und die Schützen Guy Shelley, Vernon Moore und Samuel Adams. Die Witterungsverhältnisse sind jedoch so widrig, dass die Crew kurz vor dem Ziel umkehren muss. Sie wirft die Bomben über dem Mittelmeer ab und fliegt zur Basis zurück. Das Unwetter erschwert die Navigation. Funker LaMotte versucht mehrmals, Kontakt zur Basis aufzunehmen. Vergeblich. Warum, bleibt unklar. Die Maschine fliegt in der Nacht über den Stützpunkt Soluch hinweg in die Libysche Wüste. Als die Tankreserven zur Neige gehen, beschließt die Crew, ihren Bomber aufzugeben. Um zwei Uhr nachts legen die Männer ihre Fallschirme an und landen unverletzt am Boden, nur von Woravka fehlt jede Spur.

 

Offensichtlich war die Crew zunächst in guter Verfassung, trotz extrem heißer Tage und kalter, schlafloser Nächte. Toner notiert am Absturztag: «Sonntag, 4. April: Neapel – 28 Maschinen – ganz schön was los. Orientierung auf dem Rückflug verloren, kein Treibstoff mehr, ausgestiegen,

 

Dies war Toners letzte Eintragung. Vermutlich verstirbt er noch am selben Tag. Ripslinger, Moore und Shelley, die die Gruppe verlassen hatten, um Hilfe zu suchen, ergeht es ähnlich. Am Samstag, den 10. April, notiert Ripslinger noch: «Ganzen Tag und Nacht gewandert. Schlage vor, Guy, Moore und ich machen alleine weiter.» Am achten Tag auch hier die letzte Eintragung: «Palm-Sonntag. Versuchen noch immer, aus den Sanddünen herauszukommen und Wasser zu finden.» Ripslingers sterbliche Überreste werden 34 Kilometer vom letzten Lagerplatz dieser Gruppe entfernt gefunden, Shelleys 44 Kilometer davon. Dass die Suchtrupps die Leichname überhaupt finden konnten, hatte einen Grund: Die Männer hatten ihre Marschroute mit Kleidungsstücken und Gegenständen markiert. Sie formierten mit Hilfe ihrer Stiefel einen Pfeil und beschwerten die Stiefel mit Steinen. So lagen diese auch 17 Jahre später noch an ihrem Platz. Die detaillierte Beschreibung ihres körperlichen und geistigen Niedergangs macht die Geschichte der Besatzung der Lady Be Good zu einer eindrucksvollen Fallstudie über die Auswirkung extremer Temperaturen auf den menschlichen Körper. Und sie wirft die Frage auf, ob die Crew hätte überleben können, wenn sie sich vielleicht anders verhalten hätte. Wo liegen die Grenzen des Wasserverlustes, die ein Mensch ertragen kann? Hatten die Flieger, vollkommen

Die Grenzen der thermischen Belastung des Menschen werden vor allem durch zwei Faktoren bestimmt, die physikalischen Mechanismen des Wärmeaustausches und die Temperaturregulation des Menschen. Die wiederum ergibt sich aus dem komplexen Zusammenspiel zeitgleich ablaufender physiologischer Veränderungen im Herz-Kreislauf-System, im Flüssigkeitshaushalt und in der Regulation der Körpertemperatur. Kurz gesagt funktioniert der Mensch nur bei einer Körperkerntemperatur zwischen 36 und 37,5 Grad Celsius optimal. Nicht viel Spielraum, keine zwei Grad, wenn man bedenkt, dass der absolute Nullpunkt bei –273,15 Grad Celsius liegt und im Universum bis zu viele Millionen Grad Celsius herrschen können. Die Aufgabe, die Körpertemperatur in diesem engen Bereich zu halten, hat der Hypothalamus, eine evolutionär sehr alte Region des Gehirns. Er sorgt dafür, dass ein Gleichgewicht zwischen Zufuhr von Wärme, Wärmebildung im Stoffwechsel und Wärmeabgabe besteht. Erst diese konstante Körpertemperatur ermöglicht es anderen wichtigen Systemen, wie zum Beispiel dem Herz-Kreislauf-System, ihre zentralen Aufgaben wahrzunehmen. Bereits bei einem Anstieg der Körpertemperatur auf 38 Grad Celsius leidet die Leistungsfähigkeit des Gehirns.

 

Sogenannte endotherme Organismen wie der Mensch haben durch einen permanent hohen Stoffwechsel eine hohe

Wärmeregulierung

Schon geringfügige Veränderungen der Körperkerntemperatur fordern den Körper unverzüglich zu Gegenmaßnahmen auf. Die hierfür zur Verfügung stehenden autonomen Mechanismen – also jene Abläufe, die wir nicht willentlich beeinflussen können – sind überschaubar: der «innere Wärmetransport» und der Wärmeaustausch mit der Umgebung. Bei Wärmebelastung werden Hautgefäße durch Botenstoffe und Nerven geöffnet. Die Durchblutung wird erhöht, und die Haut rötet sich. Bei Kälte hingegen werden die Gefäße geschlossen, die Haut ist blass, und die Wärmeverluste werden durch den Verschluss vermindert. Wichtig für die Regulierung der Körpertemperatur sind spezielle Schleusen in den Blutgefäßen, die das tiefe und oberflächliche

 

Physikalisch gesehen stehen für den Wärmeaustausch mit der Umgebung vier Mechanismen zur Verfügung: Konvektion, Konduktion, Strahlung und Evaporation (Abbildung 1). Die Konvektion ist der Wärmetransport mit Hilfe eines bewegten Mediums Luft oder Wasser. Blut als bewegtes Medium im Körper übernimmt konvektiv den Wärmetransport von den Muskeln zur Haut; die vom Copiloten Toner im Tagebuch Wüste beschriebene «Kühle Brise von Nordwesten» ist genau dieser effektive konvektive Wärmetransport von Luft. Konduktion hingegen ist Wärmeleitung in einem ruhenden Medium. Die Wärme wird hier von Atom zu Atom weitergegeben. Im Körper findet der konduktive Wärmetransport im Gewebe statt. Außerhalb des Körpers dort, wo der Körper in direktem Austausch mit Oberflächen und

 

Der dritte Mechanismus des Wärmeaustauschs ist die Strahlung: Jeder Stoff mit einer Temperatur über dem absoluten Nullpunkt sendet elektromagnetische Strahlung einer bestimmten Wellenlänge aus. Kurze Wellenlängen werden von heißen Objekten abgestrahlt, lange Wellenlängen von kühleren (Abbildung 4). Die ausgestrahlte Wellenlänge hängt also von der Oberflächentemperatur ab. Da Menschen und Tiere im gesamten Temperaturspektrum relativ kühle Objekte sind, strahlen sie im langwelligen Bereich, dem Infrarot. Wie kann man sich die Strahlung und die

Der vierte Wärmetransportmechanismus des Menschen ist das Schwitzen (die Evaporation oder perspiratio sensibilis). Durch diese Wasserverdunstung auf der Hautoberfläche kann dem Organismus Wärme entzogen werden. Bei dem Übergang von einem flüssigen in einen gasförmigen Zustand, hier Wasserdampf, wird Energie benötigt. Bei vollständiger Verdunstung reicht eine Schweißmenge von rund 2 Gramm/Minute aus, um die gesamte beim Grundumsatz

 

Denn nicht nur über die Schweißdrüsen, auch über die Atmung verliert der Mensch Flüssigkeit. (Da man diese Flüssigkeitsverluste nicht merkt, bezeichnet man sie wissenschaftlich auch als perspiratio insensibilis.) Die Verluste entstehen dadurch, dass der Körper die Einatmungsluft, die in der Regel ziemlich trocken ist, mit eigenem Körperwasser in den Lungen anfeuchten muss. Das Lungengewebe muss feucht sein, um den Gasaustausch in der Lunge mit dem Blut sicherzustellen. Atmet der Mensch die angefeuchtete Atemluft aus, geht ihm Flüssigkeit verloren. Bei

 

Schwitzen ist eine geniale Erfindung in der menschlichen Evolution. Kein anderes Säugetier kann so gut schwitzen wie der Mensch. Im Schwitzen liegt vermutlich auch ein Grund, warum wir anders als unser nächster Verwandter, der Schimpanse, das ‹Haarkleid› verloren haben: Nackt lässt es sich noch besser schwitzen. Der Verlust einer dichten Körperbehaarung begann bereits vor rund 500000 Jahren. Die verbliebene Kopfbehaarung dient weiterhin als Schutz des Gehirns vor direkter Sonneneinstrahlung, während das nur noch dünne, flaumartige Körperhaar inzwischen eine andere Funktion erfüllt: Diese Härchen sind feinfühlige Sensoren für Fremdkörper oder Ungeziefer auf dem Körper. Der aufrechte Gang, ein leistungsfähiges Herz-Kreislauf-System und diese schnell aktivierbaren Schweißdrüsen, die uns vor Überhitzung schützen, sind wesentliche Errungenschaften in der Evolution des Menschen. Diese Faktoren verleihen uns einen außerordentlichen Vorteil gegenüber anderen Lebewesen: die Ausdauer. Menschen verfügen – im Allgemeinen – nicht über große Kraft in Armen und Beinen, haben keine scharfen Krallen, kein großes, gefährliches