Lisa Keil

Bleib doch, wo ich bin

Roman

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Lisa Keil

Ursprünglich hat Lisa Keil ›Bleib doch, wo ich bin‹ nur als Geschenk für ihre Freundinnen geschrieben. Denn sie hat schon ihren Traumberuf: Sie arbeitet als Tierärztin in einer ländlichen Praxis für Groß- und Kleintiere. Sie lebt mit ihrem Mann, zwei Kindern und zwei Pferden in einem Ort zwischen Sauerland und Soester Börde in NRW. In ihren ersten Roman sind ihre Erfahrungen als Tierärztin und als Stadtkind auf dem Land eingeflossen.

Über dieses Buch

Kaya hat alles, was sie zu ihrem Glück braucht: eine kleine Buchhandlung auf dem Land, beste Freunde und ihr heißgeliebtes Shetlandpony. Für einen Mann, der länger bleibt als eine Nacht, ist eigentlich kein Platz in ihrem Leben.

Lasse ist überzeugter Großstädter und nur in Neuberg gelandet, weil er als Lehrer die erstbeste Vertretungsstelle annehmen musste. Als Kayas Nichte Milli in der Schule Mist gebaut hat, überredet sie ihre Tante, sich beim neuen Klassenlehrer als ihre Mutter auszugeben. Kaya tarnt sich mit einer falschen Brille und tritt zum Elterngespräch an. Ein »Blind Date« im wahrsten Sinne des Wortes, denn bald darauf gibt es ein Wiedersehen bei einer Scheunenparty, und Kaya ahnt weder, wen sie vor sich hat, noch, was sie mit ihrem Flirt anrichtet.

Impressum

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2019 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

 

Covergestaltung: Favoritbüro, München

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-490993-6

das mich schon fast mein halbes Leben

durch alle Träume trägt

»NEIN, NEIN UND noch mal nein!« Ich wuchte eine Gabel voll Pferdemist auf die Karre. »Du weißt, ich würde fast alles für dich tun, Süße. Aber das geht so nicht.«

Milli schiebt die Hände tiefer in die Taschen ihres Anoraks und schaut mich mit großen blauen Augen an. »Aber Kaya, du bist meine letzte Rettung und außerdem meine Lieblingstante.«

»Und deine einzige, also komm mir nicht so!« Ich schiebe die Karre Richtung Misthaufen. Milli läuft neben mir her und sieht wirklich zerknirscht aus. Eine Strähne hat sich aus ihrem blonden Pferdeschwanz gelöst und fällt ihr ins Gesicht.

Milli, die eigentlich Milena heißt, ist im letzten Herbst dreizehn geworden. So alt war ich, als meine große Schwester damals mit ihrem ganz besonderen Andenken an ihr Auslandssemester aus Nantes wiederkam. Geplant war diese Schwangerschaft selbstverständlich nicht, und welcher Mann daran beteiligt war, ist bis heute ein großes Geheimnis. Ich habe Milli ein paarmal gefragt, ob es sie stört, dass Cordula nicht damit rausrückt. Ich kann

Abgesehen davon können Milli und ich über alles sprechen. Wir sind uns irgendwie ähnlich und verstehen uns blendend. Wenn in ein paar Wochen die Osterferien beginnen, wird sie die freien Tage bei mir verbringen, und das wird eine tolle Zeit. Wenn ich ihr nur endlich diesen Unsinn ausgeredet habe.

»Ich gebe mich auf gar keinen Fall als deine Mutter aus und gehe zu diesem Termin mit deinem neuen Klassenlehrer. Vergiss es!« Betont schwungvoll kippe ich die Schubkarre aus. »Das kann Cordula mal schön selbst machen.«

»Mama darf auf gar keinen Fall dahin!« Sie blickt mich mit einem Trotz in den Augen an, den ich sehr gut kenne. Aus dem Spiegel.

Ich stelle die Karre beiseite, greife nach dem Besen, der an der Stallwand lehnt, und fange an, das Stroh zusammenzukehren. »Und warum, wenn ich fragen darf?«

»Sie redet doch sowieso schon die ganze Zeit vom Internat. Und wenn sie erfährt, was ich angestellt habe, dann ist das für sie genau das Argument, das ihr noch gefehlt hat, um mich dahin zu schicken.«

Sie schiebt das Kinn vor. »Ich habe geklaut.«

»Geklaut?«, frage ich möglichst gelassen. »Wo denn? Was denn?«

»Beim Praktikum. Ratten.«

»Ratten?« Entgeistert halte ich beim Fegen inne. »Was für Ratten? Und wo sind die jetzt?« Unsinnigerweise schaue ich mich hektisch um, als könnte sie die Tiere hier im Pferdestall ausgesetzt haben.

Obwohl sie ehrlich verzweifelt ist, muss Milli grinsen. »Nicht hier. Mama wollte doch, dass ich das Praktikum bei dieser Pharmafirma mache. Am vierten Tag sollte ich die Käfige von den Versuchstieren saubermachen. In dem einen saßen zwei junge Ratten, die waren total zahm, sind sofort auf meine Hand gekommen und haben sich streicheln lassen. Da habe ich auf einer Liste gesehen, dass sie am nächsten Tag getötet werden sollen. Ich habe gar nicht mehr lange nachgedacht, sondern die beiden in einen Karton gepackt, und dann bin ich gegangen.«

»Ach du Scheiße! Und wenn die jetzt mit irgend so einem Todesvirus infiziert waren oder mutiert oder so was?«

»Kaya, ich bin nicht blöd. Die waren einfach nur in der Versuchsreihe überzählig. Ich weiß selbst, dass es falsch war, sie mitzunehmen, aber gleichzeitig war es auch

»Ach, Kleine.« Ich setze mich neben sie und nehme sie in den Arm. Ehrlich gesagt finde ich, dass das eher eine Heldentat war. Und das, obwohl ich wirklich nicht der größte Rattenfan bin. Was mich zu der Frage zurückbringt, wo die beiden Geretteten jetzt sind.

Sie nimmt die Hände von den Augen und starrt auf ihre Stiefeletten. »Bei Justus«, lautet ihre knappe Antwort, als wäre damit alles gesagt.

»Aha. Und wer ist dieser Justus?«

»Der ist eine Klasse über mir. Er hat schon zwei Ratten und hat gesagt, dass für Thelma und Louise auch noch Platz ist. Sie sind voll glücklich da.«

»Und die Pharmafuzzis vom Praktikum machen jetzt Stress, oder was?«

»Keine Ahnung. Ich bin da einfach nicht mehr hin. Und gestern kam der Brief von der Schule. Ich habe ihn abgefangen. Mama hatte noch irgendeine Professorenkonferenz und kam erst spät.«

»Mensch, Milli, warum bist du mit dem Problem nicht gleich gekommen? Einfach schwänzen. Das ist doch sonst nicht deine Art. Jetzt haben wir den Salat.«

Endlich sieht sie mich an. »Ich weiß das selbst. Ich wollte es aber nicht wahrhaben, und mit jedem Tag wurde es schwieriger, da wieder rauszukommen.«

Ich seufze. So was kenne ich. »Kommen wir denn

»Nee, Herr Fries ist ja neu an der Schule. Und meine Mama ist ja sowieso nicht so zu begeistern für Elternabende und Schulveranstaltungen. Hält sie für Zeitverschwendung.« Das passt zu meiner Schwester. Sie liebt Milli, was aber nichts daran ändert, dass ihr Umgang mit ihr dem mit einem Forschungsprojekt ähnelt: zielorientiert, sachlich und effizient. Deshalb ist das mit dem Internat leider nicht völlig aus der Luft gegriffen.

»Na gut.« Ich gebe mich geschlagen. Ich weiß nicht, ob man für Lehrertäuschung ins Gefängnis kommen kann, aber ich werde Milli den Gefallen tun. Dafür schuldet sie mir aber zehn Karren Pferdeäpfel aufsammeln.

Ich stehe vom Strohballen auf. »Bring mir eins von Cordulas Karrierefrau-Outfits aus ihrem Schrank mit. Und die Ersatzbrille. Ich sollte ihr so ähnlich wie möglich sehen, vielleicht hat der Typ sie gegoogelt.«

Milli umarmt mich. »Danke, danke, danke!«

Ich küsse sie auf den Scheitel. Sie ist schon so groß. War es nicht erst gestern, dass ich die Kleine zum ersten Mal im Arm gehalten habe?

*

Es ist Oktober, und durch die Zeitumstellung wird es spätnachmittags schon dunkel. Cordulas Baby ist da. Mein Vater hat mich von der Schule abgeholt und ist

Vielleicht ist mein Vater so still, weil er an Opa denkt, als wir mit dem Aufzug in den zweiten Stock fahren und durch die endlosen sterilen Gänge laufen. Oder er schweigt, weil er jetzt selbst Opa ist. Und das ist

Wir treten durch eine Glastür, die mit Störchen und Schnullern bemalt ist. Und dahinter ist alles anders. Überall hängen bunte Bilder und Babyfotos, es riecht nach Fencheltee und ist so warm, als würde man in Nizza aus dem Flugzeug steigen. Mein Vater klopft kurz an eine Zimmertür, öffnet sie und schiebt mich hindurch. Cordula sitzt in einem riesigen Krankenhausbett mit hochgestellter Lehne und sieht echt fertig aus. Sie hat blasse Haut, und die Haare, die sie sonst nie offen trägt, hängen ihr strähnig auf die Schultern. Mama dagegen ist energiegeladen wie immer. Sie strahlt uns mit geröteten Wangen an, schiebt mit Schwung den Stuhl zurück, auf dem sie an der Bettseite gesessen hat, stürzt zu uns und drückt erst mich, dann Papa an ihren weichen Oberkörper. Meine Mutter ist klein und dick,

Cordula lächelt matt, doch neben der Müdigkeit in ihrem Gesicht scheinen ihre Augen ungewohnt zu strahlen. Sie senkt den Blick. In ihrer Ellenbeuge liegt ein winziges Baby in einem riesigen Schlafsack. Sein Kopf ist rot und etwas zerknautscht. Trotz der Affenhitze hier drin hat es eine hellgelbe Wollmütze auf. Welpen sind niedlicher. Fohlen sowieso. Aber das sage ich natürlich nicht.

»Das ist also meine Nichte?« Das hört sich ziemlich erwachsen an, irgendwie cool.

Cordula nickt und hebt die Schultern dabei, als könne sie es selbst nicht ganz glauben. »Möchtest du Milena mal halten?« Ohne eine Antwort abzuwarten, streckt sie mir den Schlafsack mit Inhalt entgegen. Meine Schwester, die vier Wochen ihre Zimmertür abgeschlossen hat, weil ich ein einziges Mal heimlich an ihrer Stereoanlage war, und die mir nicht mal einen Schminkspiegel leiht aus Sorge, einen Scherbenhaufen zurückzubekommen, drückt mir ihr neugeborenes Baby in den Arm.

Das Baby öffnet die Augen. Einen Moment befürchte ich, dass es sofort anfängt zu schreien. Meine Nichte schaut mich eine Weile nachdenklich an. Sie runzelt die Stirn noch etwas mehr und formt mit den Lippen ein kleines O. Dann scheint sie mich als akzeptabel eingestuft zu haben, denn sie schließt die Augen und schläft weiter. Ich weiß, dass man mit siebzehn noch kein Kind kriegen sollte, obwohl man fast erwachsen ist. Ich weiß, dass Cordula ganz andere Pläne hatte und es für sie jetzt ziemlich schwierig wird. Das Baby hat alles verändert. Aber für mich ist in diesem Moment alles gut. »Willkommen, kleine Milli!« Ich spreche leise, um sie nicht zu wecken, und wiege sie ganz vorsichtig auf meinem Arm.

Meine Schwester grinst und streicht sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. »Tante Kaya darf das.« Wir tauschen einen Blick, und plötzlich ist es, als würden wir wieder in stiller Einigkeit Memory-Kärtchen umdrehen. Als ich Milli zurück in Cordulas Arme lege, flüstere ich: »Danke.«

Irgendwie habe ich das Gefühl, dass meine Schwester mich versteht.

*

Milli ist das größte Geschenk, das Cordula mir machen konnte. Eigentlich ist es gar keine so schlechte Idee, dass ich meiner Schwester diesen Termin in der Schule abnehme. Sie hat sowieso nie Zeit, und Lust auf ein Lehrergespräch schon gar nicht. Sie darf nur auf keinen Fall davon erfahren, sonst sind wir geliefert. Ich schaue Milli eindringlich an.

»Ich mach das nur dieses eine Mal!«

Sie nickt eifrig, und ich drücke ihr den Besen in die Hand.

»Na komm, du kannst gleich anfangen, deine Schulden abzuarbeiten.«

*

Zum Föhnen reicht die Zeit nicht, und ich binde die feuchten Haare zum Pferdeschwanz. Zum Glück muss ich von meiner Wohnung ja nur die Treppe runterpoltern und stehe schon direkt im Laden. Eine Schiebetür mit der Aufschrift Privat ist das Einzige, was Arbeit und Freizeit trennt, aber mir gefällt es so. Wahrscheinlich weil es in der Tierarztpraxis nicht anders war, in der ich

Ich sehe der Frau einen Moment zu, wie sie schweigend die Buchreihen entlanggeht, ab und zu eins aus dem Regal zieht, es betrachtet und dann vorsichtig zurückstellt. Dann trete ich zu ihr.

»Kann ich Ihnen helfen?«

Sie dreht sich etwas unsicher zu mir. »Vielleicht. Ich suche ein Buch, aber ich weiß den Titel und den Autor nicht mehr. Eine Freundin hat gesagt, Sie würden es bestimmt finden.«

»Ich kann es versuchen«, antworte ich lächelnd. Solche Anfragen kommen häufiger. Es hat sich rumgesprochen, dass ich ziemlich erfolgreich bin, wenn es darum geht, ein bestimmtes Buch zu finden, das man nicht einfach im Onlineshop bestellen kann. Ein Kunde hat mich mal »Buchjägerin« genannt, was ich für eine wunderbare Berufsbezeichnung halte. Die gesuchten Bücher könnten unterschiedlicher nicht sein. Mal handelt es sich um ein vergriffenes Exemplar, mal um eine seltene Erstausgabe oder eine limitierte Auflage. Ich ziehe eine Karteikarte aus der Schublade des uralten Schreibtischs, der hinter der Theke steht.

Wie sich herausstellt, ist das nicht sonderlich viel. Die Frau hat es vor zwei Jahren aus einem Hotelregal gezogen und als Urlaubslektüre verschlungen. Danach hat sie es zurückgestellt, aber die Geschichte hat sie nicht losgelassen. Trotzdem kann sie mir nicht viel mehr sagen, als dass es um eine Frau mit ungewöhnlichem Namen geht, der wahrscheinlich mit O beginnt. Am Anfang der Geschichte spielt sie als Kind im Garten, und dann folgt ihre ganze glücklich-traurige Lebensgeschichte.

»Fällt Ihnen noch etwas ein?«

Die Frau schüttelt bedauernd den Kopf. Wir vereinbaren einen Finderlohn, falls ich Erfolg habe, und ich notiere ihre Telefonnummer. An der Tür dreht sie sich noch einmal um.

»Ach ja, auf dem Cover waren gelbe Blumen.«

Ich notiere mir den Hinweis. Damit ist so manche Erstausgabe leichter zu finden. Ich liebe die Herausforderung, und oft braucht es nur ein bisschen Glück und die richtige Kontaktperson.

Wenig später wird es im Laden voll. Drei Schülerinnen wollen sich Bücher für ein Referat leihen, eine ältere Dame sucht einen Krimi für ihre Schwiegertochter, und Frau Schneider vom katholischen Frauenverein will für Karfreitag das Lesecafé reservieren. In diesem separaten Raum ist neben einer Anrichte mit großer Kaffeemaschine viel Platz für Leserunden und Buchclubs. Zu den Öffnungszeiten kann man sich an einen der Tische

Ich bin voll beschäftigt, als Amelie hereinkommt. Sie winkt mir nur kurz zu und nimmt dann mit einem Kaffee an einem der Tische Platz, bis ich Zeit für sie habe.

»Hi du, was machst du denn hier?« Ich ziehe mir einen Stuhl heran und setze mich so, dass ich die Ladentür im Auge behalten kann.

»Ich war in der Stadt shoppen und hab gedacht, ich könnte auf dem Rückweg vom Bahnhof doch mal meiner besten Freundin beim Arbeiten zuschauen.« Amelie war eine meiner ersten Stammkundinnen im Buch-Café, und ziemlich schnell hat sich eine enge Freundschaft entwickelt.

»Ganz schön frech! Warst du erfolgreich?«

Ich spähe neugierig in eine der drei Einkaufstüten.

Sie seufzt. »Viel zu erfolgreich. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich das perfekte Outfit für die Scheunenparty noch nicht gefunden habe.«

Es sind noch ein paar Wochen bis zur legendären Partynacht auf dem Bauernhof, aber Amelie plant ihr Styling gern langfristig. Ich tippe ihr mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze.

»Du brauchst doch nur feste Schuhe und eine regendichte Jacke. Und du wirst phantastisch aussehen!«

»Mag sein.« Sie legt ihren Kopf schief. »Was nichts

Ich muss lachen. Das alte Thema. Sie müsste sich einfach mal einen schnappen von denen, die ihr hinterhersabbern. Amelie sieht einfach gut aus. Sie hat eine Topmodelfigur, brünette lange Haare und mandelförmige Augen. Aber sie hat auch hohe Ansprüche, denen kaum ein Mann gerecht werden kann. Mal fünf gerade sein lassen für ein bisschen Spaß oder zumindest die Chance auf mehr gibt es bei ihr nicht. Ich sehe das nicht so eng.

Natürlich will ich irgendwann dem Mann fürs Leben begegnen, aber bis es so weit ist, muss ich mich eben mit den Männern für eine Nacht begnügen. Wir leben glücklicherweise nicht mehr in Zeiten, in denen ich sehnsuchtsvoll am Fenster sitzen muss und Blümchenmuster auf Tischdecken sticke, während ich auf einen Bräutigam warte.

Ich zwinkere Amelie zu. »Du weißt ja: Man muss viele Frösche küssen, bis man einen Prinzen findet. Und bis der auftaucht, kann man mit den Fröschen durchaus Spaß haben.«

Sie runzelt die Stirn. »Aber hast du gar keine Angst, dass du ihn dann vor lauter Fröschen gar nicht bemerkst? Dass dir gar nicht auffällt, dass Frosch Nummer 27 ein Prinz ist?«

Ich winke lachend ab. »Irgendwie wird er sich schon zu erkennen geben. Außerdem weiß ich ja genau, wie er sein soll.«

Ich lege den Kopf zur Seite und denke kurz nach. »Also, ich muss mit ihm reden und lachen und traurig sein können. Er muss damit klarkommen, dass mein Leben schon ziemlich voll ist mit Herzensangelegenheiten, und nicht versuchen, die zu verdrängen. Er muss sich also auch mal gut ohne mich beschäftigen können, aber natürlich soll er unglaublich gern mit mir zusammen sein und da sein, wenn ich ihn brauche.«

Amelie schmunzelt, und ich merke selbst, dass diese Beschreibung wohl kaum für eine Fahndung reicht. Aber irgendwann wird es sich einfach richtig anfühlen. Der Wunsch zu bleiben wird stärker sein als der Wunsch zu gehen, und mit jeder Kurve, die einen aus der Bahn werfen könnte, rutscht man näher zusammen.

Amelie stützt ihr Kinn auf beiden Händen ab.

»Ich wusste gar nicht, dass du so romantisch sein kannst.«

Ich grinse. »Bevor ich es vergesse: Der Sex muss natürlich auch göttlich sein.«

Sie verdreht die Augen. »War ja klar, dass das jetzt kommt. Ist ja auch eher selten, dass du eine Party allein verlässt.«

Sie übertreibt. Ich habe nichts gegen einen One-Night-Stand ab und zu, aber ich bin keine Nymphomanin. Und das Beste an Partys sind nicht die Männer, sondern die Freundinnen, die einen sowieso viel besser verstehen.

 

Erst als ich nach einem langen Tag im Bett liege, kann ich in Ruhe über Millis Lehrergespräch nachdenken. Vielleicht war es ein Fehler, sich darauf einzulassen. Aber ich habe es Milli versprochen. Und was soll dabei schon groß schiefgehen?

ICH BETRACHTE MICH zweifelnd im Spiegel. Cordulas graues Kostüm passt perfekt, und mit dem straffen Dutt und den dunkel geschminkten Augenbrauen sehe ich meiner Schwester tatsächlich ziemlich ähnlich. Aber als Nichts-als-Jeans-Trägerin weiß ich nicht wirklich, wie ich mich mit dem kurzen Rock bewegen soll, und drehe mich unsicher hin und her. Glücklicherweise hat Milli im Schuhschrank ihrer Mutter ein Paar Ballerinas gefunden, denn wenn ich jetzt noch auf Cordulas geliebten Absätzen laufen müsste, würde ich verzweifeln.

Milli klatscht begeistert in die Hände. »Yeah, so könntest du die gesamte Schulkonferenz täuschen.«

»Milli, wenn das auffliegt …« Mir ist ganz flau im Magen.

»Das fliegt nicht auf. Du machst das, Tante Kaya!«, jubelt sie und erntet einen bösen Blick. Ich kann es nicht leiden, wenn sie mich Tante nennt, weil ich mir dann uralt vorkomme, und das weiß sie genau.

»Wie sieht er überhaupt aus, dein Herr Lehrer?« Ich zupfe an der Nylonstrumpfhose herum. Irgendwie

»Oh, der sieht voll gut aus«, flötet sie, »ein bisschen wie Bryan Adams.«

Ich drehe mich mit hochgezogenen Augenbrauen zu ihr um. »Woher kennst du junges Ding denn Bryan Adams?«

»Ist das dein Ernst? Der ist voll cool. Weißt du noch, wie wir diesen Zeichentrickfilm mit den Wildpferden geguckt haben? Der hat die ganze Musik davon gemacht. So wie Bryan Adams auf dem Cover der CD aussieht, genauso sieht Herr Fries aus. Na ja, fast genauso.«

Ich muss lachen und schüttele den Kopf. Es ist schon lange her, dass Milli und ich den Film über den wilden Mustang Spirit gesehen haben, aber ich kann mich noch erinnern, wie beeindruckt sie war. Von ihrer Traumlehrerbeschreibung glaube ich kein Wort. Wahrscheinlich sieht er eher aus wie Hansi Hinterseer. Als letztes Accessoire meiner Verwandlung in mein Schwesterherz setze ich ihre Ersatzbrille mit dem schwarzen Rahmen auf. Sofort verschwimmt alles. »Viel sehen werde ich von diesem Herrn Fries sowieso nicht. Wie viel tausend Dioptrien hat deine Mutter? Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht aus Versehen mit einer Stehlampe unterhalte.«

 

Unser Plan ist einfach und hoffentlich gut genug. Ich werde besorgt und fürsorglich auftreten, beteuern, wie leid Milli das alles tut und wie schwierig es für sie war

Eigentlich bin ich für meine Schwester bestimmt nicht die bevorzugte Millibetreuerin, wenn die Schulferien sich mal wieder nicht nach ihren Kongress- und Seminarplänen richten. Ich befürchte, ich bin immer noch so eine Art Notlösung in Ermanglung geeigneter Alternativen. Da Cordula jetzt aber schon seit sieben Jahren immer wieder auf diese Notlösung zurückgreift, kann ich damit gut leben. Beim ersten Mal war Milli sechs Jahre alt. Sie war vom Kindergarten bereits abgemeldet, und die Schule hatte noch nicht begonnen, aber

 

Letztes Jahr hätte ich meine Milli-Lizenz allerdings fast verspielt. Ich wollte mit ihr unbedingt zur Pferdemesse Equitana fahren, und weil es da am Wochenende viel zu voll ist, hatte ich uns für donnerstags Karten besorgt und Milli für die Schule eine perfekte Magen-Darm-Virus-Entschuldigung geschrieben. Meine Nichte ist Klassenbeste, und es gab nichts zu verpassen, aber weil sie das Pflichtbewusstsein ihrer Mutter geerbt hat, brauchte es etwas Überredungskunst, um sie für den Ausflug zu begeistern. Wir schauten uns die Pferdeshows an, stöberten nach Reitstiefeln und kauften ein neues Lederhalfter und Leckerchen mit Lakritzgeschmack, so dass Milli ihr schlechtes Gewissen bald vergessen hatte. Was passiert ist, kann man eigentlich nur als Unglück im Glück bezeichnen. Es gab eine Aktion, bei der junge Reiter die Möglichkeit bekamen, auf einem Lipizzanerhengst der Spanischen Hofreitschule zu reiten, und Milli wurde tatsächlich ausgewählt. Mit strahlenden Augen durfte sie im großen Ring auf einem imposanten Schimmel

Deshalb habe ich keine Ahnung, was ich machen soll, wenn Millis Lehrer ihr ernsthaft Schwierigkeiten

 

Ich atme einmal tief durch und lege die Brille zurück ins Etui, das ich in die schicke kleine Handtasche gleiten lasse. »So, mein rattenrettendes Töchterlein. Deine Mutti setzt dich jetzt am Bahnhof ab und wird sich dann die Standpauke über deine schlechte Erziehung anhören.«

Milli lächelt gequält. »Das werde ich dir nie vergessen!«

Ich klopfe dreimal auf die alte Kommode. »Ach, Süße, drück einfach die Daumen, dass deine Chaostante es nicht vermasselt.«

*

Als ich pünktlich um vier an die Tür des Lehrerzimmers klopfe, ist mir schon etwas mulmig zumute. Sollte ich direkt auffliegen, würde ich so tun, als wäre es meiner Meinung nach abgesprochen gewesen, dass statt der Mutter die Tante zum Gespräch kommt. Aber unser Plan, Cordula aus der Sache rauszuhalten, wäre damit wahrscheinlich zunichte. Und die würde zur Furie werden, wahrscheinlich erst mal unsere Eltern in Frankreich verrückt machen, Milli statt ins Internat gleich ins Bootcamp schicken und mir für immer den Umgang verbieten.

Diese Gedanken sind nicht gerade das ideale Rezept

Er räuspert sich. »Guten Tag. Sie sind Frau Mahler, nehme ich an. Schön, dass Sie es so kurzfristig einrichten konnten.« Mann, entweder hat der Typ gestern gesoffen, oder es hat ihn ein Horrorvirus erwischt. Seine Stimme gleicht einem Reibeisen. »Sie müssen entschuldigen, ich habe eine verschleppte Halsentzündung, und Stimme schonen funktioniert in meinem Job leider nicht.«

Er scheint das lustig zu finden, also lächele ich freundlich. Irgendwie müssen wir ja miteinander warm werden.

»Das tut mir leid. Gute Besserung.« So, jetzt könnten wir mal zum Thema kommen. »Sie sind also Millis Klassenlehrer?«

»Ja, ich habe Milenas Klasse vor zwei Monaten als Vertretung übernommen. Beim letzten Elternabend haben wir uns noch nicht kennengelernt, glaube ich.« Er macht eine vorwurfsvolle Pause. Das geht ja gut los.

»Ja, dafür möchte ich mich entschuldigen. Leider bin ich sehr beschäftigt und schaffe es nicht immer, an solchen Veranstaltungen teilzunehmen.« Ich finde, ich mache meine Sache gar nicht schlecht. Zumindest scheint

»Ich schlage vor, dass wir im Besprechungsraum weiterreden.« Er öffnet eine Tür gegenüber vom Lehrerzimmer. »Möchten Sie etwas trinken?«

Ein Schnaps wäre nicht schlecht, denke ich. Laut sage ich: »Nein, danke. Mir wäre es lieb, wenn wir direkt zur Sache kommen könnten.«

Er hält mir die Tür auf, und ich betrete einen kleinen Raum. An einem Tisch stehen drei Stühle. Mir schlägt der Geruch von Kopierpapier, billigem Putzmittel und ewig geschlossenen Fenstern entgegen. Er zieht einen der Stühle zurück. »Das kann ich verstehen. Es ist ja auch nicht so ein schöner Anlass. Setzen Sie sich doch.«

Ich schaffe es, mich mit dem kurzen Rock halbwegs elegant niederzulassen, und versuche, ein möglichst betretenes Gesicht zu machen. »Ich will gleich sagen, dass Milli das Ganze wirklich leidtut.«

Er setzt sich mir gegenüber. »Das glaube ich Ihnen. Trotzdem müssen wir aufgrund der Schwere des Vorfalls nach einem bestimmten Verfahren vorgehen. Sie bekommen dabei gleich noch die Möglichkeit, sich zu äußern.«

Inzwischen kriege ich Gänsehaut. Eine Folge Lie To Me ist nichts dagegen. Wahrscheinlich führt der mich gleich in einen Glaskasten und schließt mich an einen Lügendetektor an. Da klopft es an der Tür.

»Ach, da ist Herr Kellermann, der

Ein zweiter Zeuge und schriftliches Beweismaterial waren nicht eingeplant. Ich habe keine Ahnung, ob der Mathelehrer mal irgendwann irgendwas mit Cordula zu tun hatte. Am liebsten würde ich die Flucht ergreifen. Aber da steht der kleine dicke Mann schon vor mir und drückt mir die Hand. Unwillkürlich schließe ich die Augen und warte auf ein Zeichen der Irritation oder Empörung. Doch er wendet sich kommentarlos ab, schlurft zu dem dritten Stuhl und lässt sich mit einem Seufzen draufsinken. Dann zückt er einen Kugelschreiber und lässt ihn erwartungsvoll klicken. Das Startsignal für den Verhörspezialisten.

»Ich werde Ihnen gleich den Sachverhalt zu Milenas Verstößen, so wie wir ihn rekonstruieren konnten, vorstellen. Danach haben Sie die Möglichkeit, sich dazu zu äußern. Dann werden wir versuchen, gemeinsam eine Konsequenz für Milenas Verhalten zu entwickeln. Sind Sie damit einverstanden?«

Und bist du damit einverstanden, dass ich dir gleich auf die Schuhe kotze? »Ja, natürlich«, sage ich zuckersüß, und der Herr Lehrer legt los. Er erzählt mir genau das, was ich schon weiß, aber seine Wortwahl und sein Tonfall würden eher dazu passen, dass Milli den Firmentresor leergeräumt hätte und mit dem Porsche vom

»Milli hat die Ratten nicht als Streich oder in böser Absicht mitgenommen. Sie konnte einfach den Gedanken nicht ertragen, dass sie getötet werden sollen. Sie weiß, dass es trotzdem falsch war. Vielleicht können wir der Firma den Schaden ersetzen? Mir wäre es recht, wenn wir das möglichst schnell und unkompliziert aus der Welt schaffen könnten.« Mir war schon klar, dass das dem Herrn Lehrer zu einfach wäre. Kein Wunder, dass seine Stimme sich so anhört, vielleicht sollte er sie wirklich mal ein bisschen schonen. Macht er natürlich nicht.

»Das Unternehmen sieht glücklicherweise von einer Anzeige ab. Nichtsdestotrotz bleibt es eine Straftat, die Konsequenzen nach sich ziehen muss, als Zeichen für Milena, aber auch für die anderen Schüler. Hinzu kommt, dass das Praktikum verpflichtend ist. Sie kann es ja schlecht während des laufenden Unterrichts nachholen.«

Mir kommt eine rettende Idee, mit der ich hoffentlich auch Mister Überkorrekt zufriedenstellen kann. »Wie wäre es, wenn Milli in den Osterferien das Praktikum nachholt? Das wäre doch gleichzeitig auch eine Strafe, denn die Ferien sind dann futsch.« Ich drücke unauffällig die Daumen.

»Das wäre zumindest eine Möglichkeit. Ich weiß

»Das kriege ich hin. Ich habe schon etwas in Aussicht.« Das entspricht nicht ganz der Wahrheit, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich die ideale Lösung gefunden habe. Herr Fries neigt abwägend den Kopf hin und her und macht mich langsam wütend. Etwas schärfer als ich will, sage ich: »Ich muss jetzt einfach mal sagen, dass Milli eine Gewissensentscheidung getroffen hat. Das mag nicht richtig gewesen sein, aber ich finde, man muss ihr hoch anrechnen, dass es mutig war und für die Ratten eindeutig das Beste, was ihnen passieren konnte!« Ich verschränke die Arme und lehne mich zurück. Aus den Augenwinkeln ahne ich, dass der Mitschreiber beifällig nickt, und auch Herr Fries ist zumindest kurz mal sprachlos. Seinen Gesichtsausdruck kann ich nicht deuten, was vor allem daran liegt, dass ich sein Gesicht durch die Brillengläser nur verschwommen sehe. Er fängt sich schnell wieder.

»Milena hat besonders durch das stillschweigende Schwänzen bei uns Lehrern sehr viel Vertrauen verloren. Ich werde also unangekündigt kontrollieren, dass sie das Ersatzpraktikum auch wirklich macht. Außerdem möchte ich, dass sie mir ihren Praktikumsbericht vor den Zeugniskonferenzen in einem zwanzigminütigen Vortrag vorstellt.«

Wow, Rattendiebstahl scheint zu den Kapitalverbrechen zu gehören. Aber weil Herr Fries sich anscheinend

»Milena soll mir bitte bis nächste Woche Bescheid sagen, wo sie das Ersatzpraktikum ableisten wird, und eine Bestätigung des Betriebs mitbringen.«

Jaja, alles klar, ich will einfach nur weg, und als ich endlich im Auto sitze, bin ich völlig erledigt. Die zehn Karren Pferdemist sind nichts dagegen. Selbst mit hundert Karren wäre ich für diese Tortur noch definitiv unterbezahlt.

DIESER JOB SOLLTE