Inhaltsverzeichnis

Allgemeine deutsche Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände – Brockhaus, Leipzig 1833

Gleich zu Beginn das Wichtigste: Beethoven war Bonner! Er wurde in Bonn geboren, am 16. oder 17. Dezember 1770, und sein Herz hat immer an Bonn gehangen. Egal, was er tat, schrieb, sagte: Er hat es als Bönnsche Jung getan. Dass seine Karriere in Wien überhaupt geklappt hat, hat damit zu tun, dass er als Bonner überall in der Welt zurechtgekommen wäre – selbst in Bonn! Deshalb muss ich als Wahlbonner aus Südtirol natürlich erst mal was zum Bönnschen in Beethoven und zum Verhältnis dieser Stadt zu ihm schreiben, weil das in allen Biographien ziemlich untergeht.

Das fängt schon mal damit an, dass das ›van‹ eine hübsche rheinische Charade ist: kein richtiges ›von‹, aber ein bisschen mehr als gar nichts ist es doch! Und das bei einem, der – wie jeder richtige Rheinländer damals und heute – natürlich Republikaner war. Wenn der Münchner oder der Wiener heute noch Chromosomal-Monarchist ist (von denen kann ja keiner ohne Krönchen leben), war die rheinische Art auch zu Beethovens Zeiten schon ein bisschen anders: Man ertrug die Monarchen, mochte sie aber nur dann, wenn man mit ihnen abends auch mal ein Kölsch trinken konnte. Andernfalls konnten sie dem Rheinländer ›dä

Und Ludwig van Beethoven war geradezu ein Parade-Republikaner. Vielleicht noch nicht während seiner Zeit in Bonn. Aber in Wien, wo jeder Laternenanzünder ein kaiserlich-königlicher war und wo mit Hofratstiteln die Straßen gepflastert wurden, schliff sich sein rheinisch-republikanisches Politikverständnis zu einer Waffe, die auch seinen Werken innewohnt. Das spürten die Zeitgenossen und reagierten darauf. Mit Jubel die einen, mit Verständnislosigkeit die anderen, weil neben der musikalischen Größe eben auch die politische Botschaft verstanden wurde: Bei der Suche nach einem musikalischen Ausdruck für die Menschheit kann es kein oben und unten geben, sondern nur ein »Alle Menschen werden Brüder«.

Für mich ist diese Dimension Beethovens ohne seine rheinische Jugend nicht erklärbar. Wir wissen, dass es eine schlichte, einfache Jugend war und schon dem Kind rheinische Weetschafte nicht unbekannt waren – und damit auch das dominante Gefühl an rheinischen Theken: Hier sind alle gleich. Oder anders gesagt: Unser Ludwig muss im kaiserlich-königlichen Wien, wo er täglich mit Fürsten, Adel und Jedönsräten konfrontiert war, schon beim Aufstehen esu ene Hals gehabt haben. Umso mehr, als er auf sie angewiesen war.

Insofern ist es eine, wie ich finde, lohnende Aufgabe, den rheinischen Wurzeln im Werk Ludwig van Beethovens nachzugehen. Ohne diesen »rheinischen Teppich« ist zumindest eine Geschichte gar nicht auslotbar,

»Wie ich in Teplitz ens der Goethe jetroffen habe, sind mir spazierenjejangen, un da kamen uns die Kaiserin von Österreich mit dem janzen Hofstaat und Jedönsräten und allem entjejen und der Goethe wollte denen schon Platz machen. Da hab ich für der Goethe jesagt: ›Bleibt nur in meinem Arm hängen, sie müssen uns Platz machen, wir nicht.‹ Aber dem Goethe wurde dat mit jedem Schritt unanjenehmer, er reißt sich plötzlich von mir los, tritt an die Seite und zückt der Hut bis zur Erde. Ich möchte mal sagen: ein Bild des Jammers, ne. Dieser Dichter, und dann der Hut bis zur Erde! Ich natürlich mitten durch durch die janze Bagage, kurz der Kaiserin zujenickt, hatte sich der Fall. Die haben sich auch alle brav verneigt und mich jejrüßt. Paar Schritte bin ich weiter jejangen und hab dann auf der Goethe jewartet. Und wie der kam, hab ich ihm jesagt, damit er es sich auch merkt: ›Auf Sie hab ich gewartet, weil ich Euch ehre und achte, wie Ihr es verdient, ne, aber jenen habt Ihr zu viel Ehre anjetan.‹ Hehe – hatte der natürlich einen Satz roter Ohren!«

So oder so ähnlich hat unser Ludwig die Geschichte im Wiener Griechen-Beisl oder im Sauerhof in Baden bei Wien wahrscheinlich erzählt.

 

Das Verhältnis der Städte Bonn und Wien zu Beethoven erinnert mich sehr an die Geschichte vom

Die Wiener haben Millionen Anlässe zu feiern, die brauchen kein eigenes Beethovenfest. Die Bonner hätten allen Grund zu feiern, bekommen es aber mangels Masse nicht mit Grandezza hin. Den Wienern langt das Heiligenstädter Testament und eine betagte Aufseherin im Beethoven-Museum, die lieber im Schubert-Haus ihren Dienst verrichten würde (»Und was is? I häng da beim Beethoven umanand, dabei vergötter ich den Franzl!«); die Bonner tun sich schon schwer damit, Beethovens Geburtshaus vernünftig in Szene zu setzen. Zugegeben: Die Dinge haben sich gebessert, aber sie sind noch lange nicht da, wo sie sein könnten.

Gut, könnte man sagen, selbst schuld. Wer sich sein Leben lang zu allen querlegte wie der pockennarbige Beethoven, muss sich nicht darüber wundern, wenn die Nachwelt ihn vernachlässigt. Wie gesagt: Die Tellerwäscher würden einen der ihren sicher feiern, wenn er einer der ihren geblieben wäre. Nur: Wäre Ludwig Tellerwäscher, also in Bonn geblieben, wäre sein Ruf sicher branchenintern geblieben, das heißt: bönnsch. Und da liegt der Hase im berühmten Pfeffer. Die Provinz verzeiht nur schwer, wenn einer der ihren sie verlassen hat. Und genau das ist, glaube ich, der Grund, warum die Bonner mit Beethoven nicht so wirklich zurechtkommen.

Gut, neben Beethoven hat Bonn schon noch einiges zu bieten: Luigi Pirandello war dort; August Macke hat dort mit Franz Marc sein wundervolles (und einziges) Fresko gemalt (das nach Münster ins Westfälische Landesmuseum verkauft wurde, weil die Stadt Bonn kein Geld dafür hatte); die erste Leber wurde von Dr. Gütgemann, einem waschechten Bonner, in Bonn transplantiert (Kölschtrinker ahnen: Wo denn sonst?!) – und auch Johann Peter Salomon, der Haydn nach London gebracht, dort seine Konzerte organisiert und den Namen »Jupiter-Symphonie« erfunden hat, war gebürtiger Bonner (was in Bonn übrigens außer den Profis keiner mehr weiß). Also ein bisschen mehr als Zwickau oder Kerpen isset schon.

Aber wenn ich mich so umschaue, was Bonn alles für Beethoven tut, muss ich feststellen: nicht so viel! Festspiele, die niemanden in Atem halten, ein Archiv, das immerhin eine Hausnummer von der Stadt erhalten

Ja, ja, es ist in den letzten zehn Jahren besser geworden. Aber Bonn geht mit Beethoven immer noch um wie mit einem, der vergessen hat, sich beim Einwohnermeldeamt abzumelden: Ist zwar hier gemeldet, aber lebt doch eigentlich in Wien, also sollen die doch gucken.

Daran sind allerdings nicht die Bonner allein schuld. Es liegt auch an Anton Schindler, dem langjährigen »persönlichen Referenten« Beethovens (bis zu seinem Tod und – selbsternannt – weit darüber hinaus!) und großen Biographie-Verzerrer. Und es liegt am 19. Jahrhundert mit seiner monumentalen Denkmal-Verehrung der »deutschen« Größen – ich sage nur »Deutsches Eck«, Porta Westfalica, Arminius, Niederwald, Walhalla et cetera et cetera. Kurz: Die Philosophie des »Am-deutschen-Wesen-soll-die-Welt-genesen« hat niemandem gutgetan, am wenigsten den Künstlern.

Heinrich Heine beschreibt übrigens Herrn Schindler so:

»Minder schauerlich als die Beethovensche Musik war für mich der Freund Beethovens, l’ami de Beethoven, wie er sich hier überall produzierte, ich glaube sogar auf Visitenkarten. Eine schwarze Hopfenstange mit

Die beiden (Schindler und das 19. Jahrhundert) haben aus Beethoven jedenfalls einen derartigen Superman gemacht, dass für den normalen »man« kein Platz mehr blieb und bis heute die Bonner wenig Lust verspüren, so ein titanisches Überwesen als einen der ihren anzusehen: Beethoven als der um jeden Ton Ringende, von seinem Genie gepeitscht, von seinem Künstlerbewusstsein gezwungen, nur das Erhabene und Wahre zu leben, die Fackel der Menschheit unter größten Qualen in der Hand haltend. Man muss nur Ewald Balser im Film »Eroica« von 1949 als Beethoven sehen, um zu verstehen: So kann es nicht wirklich gewesen sein.

 

Vater Johann besaß eine Weinhandlung, er starb quasi im Delirium; Ludwigs Oma war so jot dabei, dass sie nach Köln in ein Heim eingeliefert wurde (für damals heißt das wirklich was!), und Ludwig selbst trank in seiner Wiener Zeit (also immerhin fast dreißig Jahre lang) pro Tag im Schnitt zwei Flaschen Weiß- und eine Flasche Rotwein. Er hatte halt nicht die Ausgeglichenheit eines Giuseppe Verdi – ebenfalls Sohn eines Weinhändlers.

Wenn Freunde da waren, kam schon mal die eine oder andere Flasche Schaumwein dazu. Am Alkohol starb er ja letztlich auch. Und am Blei, mit dem man damals noch den Wein »haltbar« gemacht hat. Schindler hat jedenfalls das halbe Leben Beethovens verbiegen müssen, um den Eindruck eines »Trunkenbolds« erst gar nicht entstehen zu lassen.

Außerdem: Beethoven eroberte Wien zunächst eher als Pianist denn als Komponist. Da ließ er nichts aus, was »imageförderlich« sein konnte. Graf Fries veranstaltete zum Beispiel ein Duell zwischen Daniel

 

Und die Frauen? Beethoven hatte zwar nie eine Ehefrau, aber Affären genug, auch wenn sie nie lange hielten. Freund Breuning wundert sich in seinem Tagebuch darüber, dass Beethoven, obwohl meistens unrasiert, ungepflegt und im Zimmer herumspuckend, sehr viel Glück bei den Frauen gehabt habe. Aber das kennt man ja: Klavier spielen, komponieren, etwas ungepflegt auftreten und das alles mit einem machomäßig pockennarbigen Gesicht, dem auch etwas Animalisches anhaftet – da sind sie fertig, die Frauen. Aber man kennt auch, dass das nie lange hält. Also war er bei all seinem Erfolg einsam und trauerte der nie Erreichbaren hinterher, wie sein Brief an die unsterbliche Geliebte zeigt.

Geschäftlich clever war er auch, eben ein richtig rheinisches Schlitzohr. Aber das musste man damals wohl sein, es gab ja noch keine GEMA. Er verkaufte seine Kompositionen gleich mehreren Verlegern gleichzeitig

Und er hatte Humor, und zwar rheinisch-bissigen.

Alles in allem war er also ein toller Hecht, unser Ludwig, und wert, dass wir ihn zu seinem 250. Geburtstag gebührend feiern.

 

Dabei werde ich Sie nicht mit Musiktheorie et cetera erschlagen oder gar mit hochgelehrten Einordnungen seiner Meisterwerke, sondern ich werde versuchen, Ihnen seinen Alltag zu schildern und dabei ein paar Missverständnisse auszuräumen, die sich im Laufe der Jahrhunderte eingeschlichen haben.

Zum Beispiel, dass er ein armer Hund gewesen sei, der in rheinischer Isoliertheit in Wien sozial vor sich hin habe darben müssen, nach dem Motto: nur Donau, kein Rhein – nirgends! Nee, nee, unser Ludwig hat in Wien eine sehr lebendige rheinische Entourage um sich gehabt und hat sie beileibe nicht dauernd aufgesucht, er hat sie auch oft genug vor den Kopf gestoßen.

Oder mit der Vorstellung, dass er einsam gewesen sei, ja, die Einsamkeit geradezu gesucht habe, wie René Descartes, der jahrzehntelang vor den Leuten floh, um

Ich möchte Ihnen den geselligen Griesgram, den weltfernen Finanzjongleur, den hoffnungslos erfolglosen Casanova schildern, der am liebsten glücklich verheiratete Ehefrauen anbaggerte, und zwar mit geschlossener Hose, sich nächtens aber mit offener Hose von Freunden Escort-Service-Maderln ins Haus liefern ließ. Ich werde Ihnen vom Mietnomaden Ludwig erzählen, von seinen grauenvollen Kochkünsten, werde Ihnen erzählen, was und wie viel er getrunken hat und wie es überhaupt mit seiner Gesundheit aussah, kurz: Der Ludwig – jetzt mal so gesehen. Er soll vor uns dastehen wie ein Mensch, der zwar zu den ganz Großen der Menschheit gehört, der aber gleichzeitig ein völlig normaler Typ war, dem man amüsiert beim Leben zugucken kann. Er war weder der gebrochene Titan noch der verzweifelte Ringer mit dem Schicksal, eher Ludwig, der laute, polternde Mieter in der zweiten Etage, unter dem keiner wohnen wollte, noch nicht mal die Nachwelt. Deshalb hat sie ihn sich lieber schön geguckt! Viel Spaß! Auch beim Blättern in den vielen Dokumenten – so können Sie sich selbst ein Urteil bilden!

Beethovens Leben im Rheinland – und wie trotzdem etwas aus ihm geworden ist

Ich möchte mit einer Geschichte anfangen, die wahr ist und die exemplarisch zeigt, wie viel Verwirrung um das deutsche Kulturgut Beethoven im kollektiven Bewusstsein herrscht.

Ein deutscher Bundespräsident – der Name tut nichts zur Sache … – äußerte kurz nach Amtsantritt den Wunsch, mit seiner Frau das Beethovenhaus exklusiv zu besichtigen, also ohne störende Zuschauer links und rechts. Natürlich wurde dem Wunsch entsprochen und das Paar durch das Haus geleitet. Kurz bevor man zum Geburtszimmer Beethovens kam, sagte der Bundespräsident zu seiner Frau: »Und jetzt, liebe …, kommen wir in das Zimmer, in dem Ludwig van Beethoven gestorben ist, nachdem er, blind geworden, von Wien nach Bonn gekommen war.«

Mehr ist zu dieser kleinen Begebenheit nicht zu sagen, oder?!

Versuchen wir also das, was wirklich war, ein bisschen zu sortieren.

 

Wahrscheinlich ist unser Ludwig am 16. Dezember 1770 geboren, einem Sonntag. Weil man damals bei jeder

Papa van Beethoven hatte einen besonders guten Grund zur eiligen Taufe: Ludwigs älteres Brüderchen Ludwig Maria ist ein Jahr vorher gerade einmal sechs Tage alt geworden und auch die drei Nachzügler, Anna Maria Franziska, Franz Georg und Maria Margarete Josepha, hat es zwischen 1779 und 1787 im zartesten Kindesalter dahingerafft. Na gut, neben der allgemein hohen Kindersterblichkeit kamen da vielleicht die Alkohol-Gene von Papa Johann dazu – und die von der Oma väterlicherseits.

Am Montag, dem 17. Dezember, ist unser Ludwig jedenfalls getauft worden, und das war wahrscheinlich der erste Tag nach der Geburt. Hebammen konnten damals noch nicht schreiben, sonst hätten wir sicher eine genauere Notiz über den Zeitpunkt der Geburt Beethovens.

Apropos Taufe – da muss ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen: Kurt Masur, der große Dirigent, war im Jahr 2008 zu Besuch in Bonn und fragte an der Rezeption seines Hotels, wo denn Beethoven getauft

 

Beethovens wahre Taufstätte, die alte Remigiuskirche, die 1800 vom Blitz zerstört wurde und abgetragen werden musste, stand am heutigen Blumenmarkt und war damals natürlich unbeheizt. Johann van Beethoven, der frischgebackene Papa, hat am Sonntagabend mit seinen Freunden (alles Musiker, und wie die zulangen können, ist ja hinlänglich bekannt) die Geburt begossen. Jetzt, am Montagmorgen, gibt er dem Pfarrer Bescheid, er hätte da wen zum Taufen, und läuft mit dem Kleinen rüber in die Kirche. Er nimmt die beiden Taufpaten mit, Ludwig van Beethoven, der Opa, und die Frau des Nachbarn, Gertrud Müller, genannt Baums Jechtrud! Es ist der 17. Dezember und eiskalt! Das Taufbecken ist zugefroren, der Pfarrer muss erst mal mit dem Eispickelchen etwas Eis crushen, damit man überhaupt taufen kann. Und da steht nun der Papa und hält den kleinen Ludwig in den Armen. Er macht dem Baby den Oberkörper frei, Ludwig läuft vor Kälte sofort blau an, und dann setzt er den Kleinen in den ersten Windeln seines Lebens auf das Eis. Der Pfarrer holt das Taufschäufelchen (so was gab’s damals für die Winterzeit in den ungeheizten

Woran sich das Unterbewusstsein unseres Ludwigs Jahrzehnte später vielleicht wieder erinnert, als er im Februar 1804 die ersten Skizzen zu seiner fünften Sinfonie niederschrieb. Ihm fehlte noch die zündende Idee, so sehr er sich auch bemühte, es fiel ihm einfach nichts ein. 1804 war ein schweinekalter Winter, Beethoven lebte auf der Mölkerbastei Nr. 8 im »Pasqualatischen Haus« im 4. Stock, brachte im Unterhemd gerade das Leergut runter, bevor er weitermachen wollte. So nach dem Motto: Ein bisschen Kälte erfrischt und pustet das Hirn durch. Er fluchte über die erbärmliche Kälte, da fiel ihm seine Taufe ein und die Geschichte über sein vor Kälte stotterndes Schreien. Fertig war das Hauptmotiv der fünften Sinfonie. Heute wissen wir ja, dass solche Traumata, wie bei der Taufe mit nacktem Oberkörper auf Eis zu liegen, uns ein Leben lang begleiten können …

 

Jetzt möchte ich ein bisschen springen (das werde ich noch öfter tun, am besten gewöhnen Sie sich schon mal dran, denn eine Biographie nach dem Motto: »Das war im Dezember 1770 und jetzt kommt der Januar 1771. Über den gibt es allerdings nix zu berichten, sodass

Nun ist unser Ludwig also getauft und das Leben kann losgehen. Da muss ich aber einen Moment einhaken, denn Beethoven ist es nicht anders gegangen als allen Promis. Nix interessiert die Leut mehr als das private und privateste Leben bekannter Menschen, ich sage nur Lady Di, da wird gewühlt und geschnüffelt, dass es selbst einer Trüffelsau schlecht wird, und die verstehen ja wirklich was von Wühlen und Schnüffeln. Gerüchte gelten als Nachrichten, üble Nachrede als Recherche und Häme als Würdigung. Und wenn dann doch mal einer genauer hinschaut und sieht, dass alles halb so wild war, ist die Enttäuschung groß. Das allerdings ist kein Alleinstellungsmerkmal unserer heutigen Zeit, über die Konservative klagen, sie sei moralisch verwahrlost, nein, Herrschaften, das hat es immer schon gegeben. Wie zum Beispiel Aristophanes in seinen Komödien über Sokrates herzog, das hatte absolut »Daily Mirror«- oder »Bild«-Niveau. Sei’s drum. Bei unserem Ludwig war das ähnlich wie bei Mozart: Rankten sich bei diesem die Gerüchte um seinen Tod (Verschwörungstheorien ohne Ende, von »Der is vom Salieri aus Neid vergiftet worden« bis hin zu »Der hat sich die Syphilis g’fangen und hat sich viel zu viel Quecksilbersalben draufg’schmiert bis er tot umg’fall’n is«), so bildeten sich bei Beethoven Legenden um seine Abstammung.

Der Bonner Freund Beethovens aus alten Tagen, Franz Gerhard Wegeler, will diesen Schmutz aus der Welt schaffen und schreibt am 28. Dezember 1825 aus Koblenz an Ludwig van Beethoven einen Brief, in dem er einen großen Bogen über die Jahrzehnte schlägt:

»Wenn du binnen den 28 Jahren, daß ich Wien verließ, nicht alle zwei Monate einen langen Brief erhalten hast, so magst du dein Stillschweigen auf meine ersten als Ursache betrachten. Recht ist es keineswegs und jetzt um so weniger, da wir Alten doch so gern in der

Willst du, so will ich die Welt hierüber des Richtigen belehren. Das ist doch wenigstens ein Punkt, auf den du antworten wirst.«

Fast ein Jahr später, am 10. Dezember 1826 antwortet Beethoven und entschuldigt sein Säumen:

»Freylich hätte pfeilschnell eine Antwort … erfolgen sollen; ich bin aber im Schreiben überhaupt etwas nachlässig, weil ich denke, daß die bessern Menschen mich ohnehin kennen. Im Kopf mache ich öfter die Antwort, doch wenn ich sie niederschreiben will, werfe ich meistens die Feder weg, weil ich nicht so zu Schreiben im Stande bin, wie ich fühle … Du schreibst, daß ich irgendwo als natürlicher Sohn des verstorbnen Königs von Preußen angeführt bin; man hat mir davon schon

Was Freund Wegeler dann in seinen »Biographischen Notizen über Ludwig van Beethoven« auch getan hat. Mit Erfolg. Denn hatte Brockhaus in der 1830er-Ausgabe dieses Gerücht noch kolportiert – in der 1833er-Ausgabe war es bereits verschwunden.

Dennoch geistert dieses Gerücht immer wieder bis heute durch die Beethoven-Biographien – so wadenbeißerisch-hartnäckig ist offenbar nach wie vor das Interesse daran, die Großen auf das unerträgliche Niveau des privaten Luder-Fernsehens herabzuziehen.

 

Bleiben wir bei den nicht minder amüsanten Fakten: Beethoven wurde in eine Familie hineingeboren, die etwas Besonderes war. Der Opa väterlicherseits stammte aus Mechelen in Belgien, war ein braver Musiker in kurfürstlichen Diensten am Hof in Bonn, Bass und Dirigent, und besserte sein Einkommen durch einen Weinhandel auf. Er selbst war wohl einigermaßen ausgeglichen, seine Frau allerdings hatte die rheinische Krankheit: Schabau. Das heißt Schnaps und war damals das Volksgetränk für die einfachen Leute. Die konnten sich keinen Wein leisten, außerdem lehnten sie ihn ab, weil die

Übrigens hat man in der Zeit Säuglingen einen schnapsgetränkten Schnuller in den Schnabel gesteckt, damit sie ruhig blieben. Eine bewährte Methode auch in meiner Heimat: In Südtirol behauptete man noch in den 1950er Jahren, die »Unterlandler« (das ist die Gegend südlich von Bozen, wo der wunderbare Wein herkommt) seien deshalb so dumm, weil sie in Leps getränkte Schnuller zuzeln mussten, während die Eltern beim Wimmen waren, also bei der Weinlese. Leps ist kein Most, sondern ein eigens hergestellter »Wein«, der aus dem gemacht wurde, was von den Trauben nach dem Einstampfen und Entsaften im Bottich übrig geblieben ist. Er schmeckt grauenhaft, hat weniger Alkohol als richtiger Wein und dient deshalb als erfrischender Quasi-Wein bei der Feldarbeit zur Stärkung – und um die Monotonie dieser Arbeit etwas geschmeidiger zu machen. Und genau da durften die Babys nicht stören, also hat man ihren Schnuller in Leps getunkt und Ruhe war!

Maria Josepha van Beethoven, geborene Poll, Ludwigs Oma, war jedenfalls – und das sollte man würdigen – eine der ersten großen bekennenden Alkoholikerinnen des Rheinlandes. Gottfried Fischer (Bäckermeister und

»… eine stille gute Frau, die aber dem Trunck so stark ergeben war, womit er [der Opa vom Ludwig] so vill heimliche Leiden ertragen hat, dass er nachher zuletzt auf den Gedanken gekommen war, dass er sie nach Köln in Pangsion gethan.« Beethovens Großmutter ist also im Schabau-Stübchen der Geschlossenen in Köln gestorben, für damals ein eher seltenes Familienereignis. Gerüchten zufolge soll sie die Urheberin der Hymne »Einer geht noch, einer geht noch rein« gewesen sein, aber mündliche Überlieferungen aus diesem Dunstkreis stehen immer auf unsicheren Beinen. 1775 ist sie jedenfalls »im Glas geblieben« (eine südtirolerische Redensart, wenn einer, der kein Weinverächter war, gestorben ist). Unser Ludwig hat sie kaum oder gar nicht gekannt, als sie starb, war er gerade mal fünf Jahre alt. Den Opa, der 1773 gestorben war, hat er zwar auch kaum gekannt, aber hoch geehrt: Sein Porträt in Öl hat der Enkel bis zum Schluss immer mitgenommen und in seinen Wohnungen prominent ausgestellt. Es ist bis heute gut erhalten – klar, Öl konserviert – und hängt im historischen Museum der Stadt Wien. Kann man hingehen und gucken, aber wirklich lohnen tut sich’s nicht. Er hält ein Notenblatt in der Hand, der Porträtist hatte aber ein Schärfeproblem: Sein Pinsel war so unscharf eingestellt, dass man nicht erkennen kann, was das denn für Noten sind, die der Porträtierte da in der Hand hält. Ludwig hätte es vielleicht gewusst, hat uns aber nix darüber

 

Der Dirigent und Weinhändler Ludwig van Beethoven (der Opa), der beste Verbindungen zum niederländischen und belgischen Markt unterhielt, hatte sich also in Bonn niedergelassen und war ein geschätzter Mann.

Bonn war damals ein Städtchen mit 9560 Einwohnern (1770), das ausschließlich vom Kurfürsten lebte. Fabriken oder Handel in größerem Umfang gab es nicht (das hätten die Kölner wahrscheinlich auch gar nicht zugelassen). »Das ganze Bonn wurde gefüttert aus des

Alexander Wheelock Thayer, ein amerikanischer Diplomat (1817–1897) und Musikschriftsteller, dessen Verdienst es ist, die Beethoven-Biographie seiner Zeit geschrieben zu haben, die heute noch überwiegend Gültigkeit hat, schildert die kleinstädtische Idylle Bonn so: