Impressum

Geschrieben in Berlin 1929/30 auf Russisch. Erstveröffentlichung in der Zeitschrift «Sowremennyje sapiski», Paris, November 1930 und als Buch im Verlag «Russkije Sapiski», Paris, 1938. Englische Übersetzung von Dmitri und Vladimir Nabokov unter dem Titel «The Eye» im Verlag Phaedra, New York, 1965. Deutsche Übersetzung von Dieter E. Zimmer unter dem Titel «Der Späher» im Rowohlt Verlag, Reinbek, 1985 und 1992.

 

Der Text folgt: Vladimir Nabokov, Gesammelte Werke, Band 2, Frühe Romane, herausgegeben von Dieter E. Zimmer.

 

Überarbeitete Ausgabe November 2018

Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg

Copyright © 1985, 1992, 2018 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«The Eye» Copyright © 1965 by Vladimir Nabokov

Veröffentlicht im Einvernehmen mit The Estate of Vladimir Nabokov

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ISBN Printausgabe 978-3-499-13568-2 (Ausgabe 2018)

ISBN E-Book 978-3-644-00233-3

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-00233-3

Anmerkungen

1

Liebesroman des welschschweizer Autors Claude Anet (Pseudonym für Jean Schopfer, 1868–1931), erschienen 1920. Er spielt in Südrussland vor der Revolution und handelt von einem jungen Mädchen, das seine Liebe bis zum Happy End unter einem Air von Unempfindlichkeit und Zynismus verbergen muss. Im russischen Original wird der Titel nicht zitiert; dort ist die Rede von einem Roman «über irgendeine russische Maid namens Ariadne».

2

Im russischen Original lautet der Satz nur: «… wie das gebeugte Bein auf dem Pressephoto von einem Fußgänger mit Aktentasche (auf dem Weg zu irgendeiner Konferenz).» Das in der englischen Fassung eingefügte Bild des eine Gigue tanzenden Politikers hält Don Barton Johnson für eine Anspielung auf den Freudentanz, den Hitler aufführte, als er 1940 die Nachricht vom Sieg über Frankreich erhielt; die Photoserie erschien am 21. Oktober 1940 in Life unter der Überschrift «Hitler Dances: Führer does Jig for Victory». (D. Barton Johnson: Eyeing Nabokov’s Eye. In: Canadian-American Slavic Studies, 19 (3), Herbst 1985, Seite 328–350.)

3

In der russischen Fassung die Ergänzung «Tränen machten mich blind».

4

Monna Vanna, symbolistisches Theaterstück von Maurice Maeterlinck aus dem Jahr 1902. Der eigentliche Name der Titelheldin ist Giovanna Colonna. Der (männliche) Spitzname ‹Wanja› (wörtlich Iwanchen) ist wohl einem anderen Theaterstück entnommen, Tchechows Onkel Wanja (1896).

5

In Kapitel 1 fällt niemals der Name des Ich-Erzählers, des Hauslehrers, der sich am Ende erschießen will.

6

Er zitiert aus dem Gedicht Winmaja ushassam woiny (Wenn ich den Schrecken des Krieges lausche, 1856) von Nikolaj Alexejewitsch Nekrassow (1821–1877), aber verdreht seine Aussage ins Gegenteil. Sinngemäß schrieb Nekrassow: Wenn ich den Schrecken des Krieges lausche, bedauere ich bei jeder Todesnachricht weder den Freund noch die Frau, die über seinen Tod hinwegkommen werden, nicht einmal die Helden selbst, sondern ihre unglücklichen Mütter. (Das Gedicht ist auf Russisch und Englisch enthalten in: Vladimir Nabokov: Verses and Versions, Hg. Brian Boyd und Stanislav Shvabrin, Harcourt, Orlando, FL, 2008, S. 312/13.)

7

Im russischen Original lautet der Dialog: «Weinstock: Hast du Ruhe gefunden? Lenin: Nein. Ich leide. Weinstock: Möchtest du mir etwas vom Leben jenseits des Grabes erzählen? Lenin (nach einer Pause): Nein … Weinstock: Wieso? Lenin: Da ist Nacht.»

8

Im russischen Original riechen englische Zigaretten für Smurow nach Honig, für Muchin nach Backpflaumen.

9

Ewno Fischelewitsch Asef (1869–1918), berüchtigter russischer Doppelagent, gleichzeitig Leiter der (terroristischen) Kampforganisation der Sozialrevolutionären Partei, als der er 1905 unter anderem die Ermordung von Großfürst Sergej Alexandrowitsch organisierte, und hochrangiger Mitarbeiter der zaristischen Geheimpolizei Ochrana, als der er die ganze Kampforganisation der Sozialrevolutionären Partei verriet. Wurde 1908 zum Tode verurteilt, 1915 in Deutschland als russischer Spion verhaftet, starb eines natürlichen Todes in Berlin.

10

Als Fundort seiner neu beschriebenen Arten hat Linné des öfteren in pratis Vestmanniae angegeben, d.h. «auf den Wiesen von Västmanland», seiner Heimatprovinz. Der Schmetterling, dessen taxonomisches Schicksal Nabokov hier beschreibt, ist der Dukatenfalter Heodes (früher Lycaena) virgaureae (L., 1758). Das taxonomische Schicksal (so viele Unterarten, dass schließlich niemand mehr sicher ist, welches die ursprüngliche Art war) teilt er mit dem verwandten Kleinen Feuervogel (Lycaena phlaeas [L., 1761]), sodass Nabokov hier auch diesen im Sinn gehabt haben könnte. Aber phlaeas kann nicht gemeint sein; dessen Typusexemplar hat sich im Gegensatz zu dem von virgaureae nicht zweihundert Jahre lang erhalten.

11

Das ‹Malzbier› haben Dmitri und Vladimir Nabokov in der englischen Fassung mit ‹root beer› wiedergegeben.

12

Im russischen Original schreibt Roman Bogdanowitsch nicht nach Tallinn, sondern nach Reval.

13

Statt siebzig Pfennig Wechselgeld verschwindet im russischen Original eine Mark.

14

Statt «Diesen Baron Dingsda» steht im russischen Original «Du meinst Korff». Da Nabokovs Großmutter väterlicherseits eine Baronin Korff war (deutscher Name Maria Freiin Schmysing genannt von Korff, 1842–1925, aus kurländischem Adel), handelt es sich hier möglicherweise um einen in der englischen Fassung dann getilgten Hitchcock’schen Cameo-Auftritt des Autors in seinem Werk.

15

Im russischen Original steht nichts von den lila Alpen der Schokoladenreklame, sondern nur: «Ich bedeckte den Brief mit der Hand.» In der englischen Fassung handelt es sich nicht um eine Anspielung auf das Lila von Milka-Schokolade, sondern auf die Schokolade, die der Protagonist von Nabokovs Roman Ottschajanije/Despair (Verzweiflung, geschrieben 1933) fabriziert.

16

Im russischen Original lautet dieser Satz nur: «Ich habe eingesehen, dass das einzige Glück dieser Welt darin besteht, zu beobachten, zu spionieren [sogljadatajstwowat], sich selber und die anderen zu mustern, keine Schlüsse zu ziehen – einfach hinzuschauen.» Der Rest ist ein Zusatz der englischen Fassung, wahrscheinlich dazu bestimmt, den Titel The Eye unmissverständlich abzustützen: «… nichts zu sein als ein großes, leicht glasiges, ein wenig blutunterlaufenes, niemals zuckendes Auge.» (The Eye, Das Auge, ist gleichlautend mit The I, Das Ich. Der Titel besagt also: Das Ich ist nur noch Auge.)

17

Brian Boyd: Vladimir Nabokov: The Russian Years. Princeton, NJ: Princeton University Press, 1990, Seite 345.

18

Sowremennyje sapiski, XLIV, November 1930, S. 91–152; Auszüge daraus erschienen kurz davor in der Pariser Emigrantenzeitung Poslednije nowosti, am 12. Oktober 1930, S. 2–3.

19

D. Barton Johnson: Eyeing Nabokov’s Eye. In: Canadian-American Slavic Studies, 19 (3), Herbst 1985, S. 328–350.

20

V. Nabokov-Sirine: L’Aguet, ins Französische übersetzt von Denis Roche, in: Les Œuvres libres, Paris, Band 164, 1935, S. 313–381.

21

Jane Grayson: Nabokov Translated: A Comparison of Nabokov’s Russian and English Prose. Oxford: Oxford University Press, 1977.

Diese Frau, diese Mathilde, habe ich im ersten Herbst meines Emigrantenlebens in Berlin kennen gelernt, in den frühen zwanziger Jahren zweier Zeitspannen, der des zwanzigsten Jahrhunderts und der meines widerwärtigen Lebens. Jemand hatte mir gerade eine Hauslehrerstelle bei einer russischen Familie verschafft, die noch keine Zeit gehabt hatte, arm zu werden, und die noch immer an den Phantasmen ihrer alten Petersburger Gewohnheiten festhielt. Mit Kindererziehung hatte ich keinerlei Erfahrungen – hatte nicht die geringste Ahnung, wie man mit ihnen umzugehen hat und worüber man mit ihnen redet. Es waren zwei, zwei Jungen. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich auf demütigende Weise unsicher.

Sie zählten nach, wie viel ich rauchte, und angesichts dieser ihrer rücksichtsvollen Neugier hielt ich meine Zigarette in einem ungewohnten, unbeholfenen Winkel, so als rauchte ich zum ersten Mal; immer wieder fiel mir Asche auf den Schoß, und dann wanderte ihr klarer Blick aufmerksam von meiner Hand zu dem blassgrauen Pollen, der nach und nach in die Wolle hineingerieben wurde.

Mathilde, die mit ihren Eltern befreundet war, besuchte sie oft und blieb dann zum Abendessen. Als bei

Später kam ihr Mann aus Paris und begleitete sie, wenn sie zum Abendessen erschien; er war ein Mann wie alle andern, und ich achtete nicht weiter auf ihn – mir fiel nur seine Angewohnheit auf, sich vor dem Sprechen mit einer raschen Folge von Grunzlauten in seine Faust hinein zu räuspern; und auch sein schwerer schwarzer Stock mit dem glänzenden Knauf, mit dem er auf den Boden zu klopfen pflegte, während Mathilde den Abschied von ihrer Gastgeberin in einen munteren Monolog verwandelte. Nach

Mathilde war nicht meine erste Mätresse. Vor ihr hatte mich eine Näherin in St. Petersburg geliebt. Auch sie war füllig gewesen, auch sie hatte mir zugeredet, einen bestimmten Schundroman zu lesen (Murotschka, die Lebensgeschichte einer Frau). Beide diese ausladenden Damen stießen während des sexuellen Sturms ein schrilles, erstauntes, kindliches Piepsen aus, und manchmal kam es mir vor, als sei alles eine Kraftvergeudung gewesen, was ich durchgemacht hatte, als ich aus dem bolschewistischen Russland flüchtete, indem ich unter Todesängsten die finnische Grenze überquerte (selbst wenn es im D-Zug war und ausgestattet mit einem prosaischen Ausweispapier), nur um von einer Umarmung zu einer fast identischen anderen überzuwechseln. Außerdem begann mich

Wenn ich mich dann mit leerem Zigarettenetui nach Hause schleppte, mein Gesicht in der Morgenbrise brannte, als hätte ich soeben Bühnenschminke entfernt, und bei jedem Schritt ein pochender Schmerz durch meinen Kopf hallte, inspizierte ich oft mein kümmerliches kleines Glück von allen Seiten, staunte, bemitleidete mich und fühlte mich mutlos

Es war so um sechs. Die Zimmerluft wurde schwer von Abenddämmerung, und ich konnte kaum noch die Zeilen der humorvollen Tschechow-Geschichte erkennen, die ich meinen Zöglingen mit stolpernder Stimme vorlas; doch traute ich mich nicht, das Licht anzumachen: Diese Jungs hatten einen seltsamen, unkindlichen Hang zur Sparsamkeit, einen gewissen scheußlichen Trieb zum Haushalten; sie kannten die genauen Preise von Wurst, Butter, Elektrizität und verschiedenen Automodellen. Während ich also laut Die Kontrabass-Romanze