Impressum

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel «Vespasian. Masters of Rome» bei Corvus/Atlantic Books, Ltd., London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Juli 2019

Copyright © 2019 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Vespasian. Masters of Rome» Copyright © 2014 by Robert Fabbri

Redaktion Tobias Schumacher-Hernández

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung HAUPTMANN & KOMPANIE Werbeagentur, Zürich

Umschlagillustrationen Tim Byrne;

Karte Umschlaginnenseite Peter Palm, Berlin

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Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen

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ISBN Printausgabe 978-3-499-27644-6 (1. Auflage 2019)

ISBN E-Book 978-3-644-40646-9

 

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-40646-9

Jon Watson-Miller,
Matthew Pinhey, Rupert White

und Cris Grundy – Jungs, ich danke euch.

 

Und im Gedenken an Steve Le Butt, 1961–2013,

der vor uns gen Westen gesegelt ist.

Britannien, März A.D. 45

Der dichter werdende Nebel zwang die Turma aus zweiunddreißig Legionären, ihre Pferde zum Schritt zu bremsen. Das Schnauben der Tiere und das Klimpern des Zaumzeugs klangen gedämpft durch den Dunst, der die kleine Einheit umfing.

Titus Flavius Sabinus zog seinen feuchten Mantel fester um die Schultern und verfluchte im Stillen das elende Klima hier im Norden. Zugleich verfluchte er seinen direkten Vorgesetzten, General Aulus Plautius, den Oberbefehlshaber der römischen Invasionsstreitmacht in Britannien, weil dieser ihn unter solch widrigen Bedingungen zu einer Besprechung beordert hatte.

Der Befehl war völlig überraschend gekommen. Als der Bote, ein Tribun aus Plautius’ Stab, am Vorabend mit einem einheimischen Führer im Winterlager der XIIII Gemina am Mittellauf des Tamesis eingetroffen war, hatte Sabinus mit letzten Befehlen für die bevorstehende Feldzugsaison gerechnet. Warum sollte Plautius von ihm verlangen, fast achtzig Meilen nach Süden zu reiten, um ihn im Winterquartier der II Augusta zu treffen, der Legion seines Bruders Vespasian? Es erschien seltsam, nachdem die Legati aller vier Legionen erst vor einem Monat im Hauptquartier ihres Generals in Camulodunum zusammengekommen waren.

Widerstrebend überließ Sabinus das Kommando über die XIIII Gemina seinem neu eingetroffenen obersten Tribun Gaius Petronius Arbiter und ritt im Morgengrauen mit einer Eskorte, dem Boten und seinem Führer gen Süden. Es versprach, ein frostiger, aber klarer Tag zu werden. Erst als sie am frühen Nachmittag hinauf auf die Ebene ritten, die sie jetzt überquerten, begann sich der Nebel zu senken.

Sabinus warf einen Blick auf den einheimischen Führer, einen rotgesichtigen Mann mittleren Alters, der zu seiner Rechten auf einem stämmigen Pony ritt. Die Witterung schien ihm nichts anzuhaben. «Kannst du dich bei diesem Nebel überhaupt noch orientieren?»

Der Brite nickte, dass sein langer Schnurrbart schaukelte. «Dies ist das Land meines Stammes, der Dobunner. Ich habe hier oben gejagt, seit ich reiten gelernt habe. Die Ebene ist ziemlich flach und eintönig, wir müssen uns nur in südlicher Richtung halten, mit leichtem Einschlag nach Westen, dann

Sabinus ging darüber hinweg, dass der Mann ihn nicht mit «Herr» angeredet oder sonst irgendwelche Achtung vor seinem Rang an den Tag gelegt hatte. Er wandte sich an den Tribun zu seiner Linken. «Traut Ihr seinen Fähigkeiten, Alienus?»

Alienus’ jugendliches Gesicht nahm einen respektvollen Ausdruck an. «Absolut, Herr. Er hat mich zu Eurem Lager geführt, ohne ein einziges Mal vom Weg abzukommen. Ich weiß wirklich nicht, wie ihm das gelingt.»

Sabinus musterte den jungen Mann kurz und entschied, dass seine Meinung nicht zählte. «Wir werden hier unser Nachtlager aufschlagen.»

Der Führer wandte sich erschrocken an Sabinus. «Wir können nicht draußen auf der Ebene schlafen.»

«Warum nicht? Eine feuchte Mulde ist so gut wie die andere.»

«Nicht hier. In dieser Gegend wandeln bei Nacht die verlorenen Seelen. Sie suchen nach einem Körper, von dem sie Besitz ergreifen können, um in diese Welt zurückzukehren.»

«Blödsinn!», versetzte Sabinus trotzig. Doch ihn beschlich ein leises Unbehagen, denn er hatte es vor seinem Aufbruch versäumt, seinem Schutzgott Mithras das passende Opfer zu bringen – im Lager der XIIII Gemina hatte es keinen geeigneten Stier gegeben. Stattdessen hatte er einen Widder geopfert, aber ihm war nicht recht wohl dabei gewesen.

Der Führer beharrte: «In einer bis zwei Stunden können wir die Ebene hinter uns lassen, und dann durchqueren wir

«Außerdem hat General Plautius ausdrücklich verlangt, dass wir bis morgen Mittag bei ihm sind», erinnerte Alienus ihn. «Wir müssen so lange weiterreiten, wie wir können, Herr.»

«Euch behagt wohl diese Geschichte von den verlorenen Seelen nicht, Tribun?»

Alienus ließ den Kopf hängen. «Nicht besonders, Herr.»

«Vielleicht wäre eine Begegnung mit ihnen Eurer Kühnheit ja förderlich.»

Alienus erwiderte nichts.

Sabinus warf einen Blick über die Schulter. Gerade konnte er das Ende ihrer kurzen Kolonne wieder schwach erkennen. Der Nebel schien sich ein wenig zu lichten. «Also gut, wir reiten weiter. Aber nicht aus Angst vor den Toten, sondern um pünktlich beim General zu sein.» In Wirklichkeit fürchtete der abergläubische Teil von Sabinus das Übernatürliche ebenso, wie sein praktischer Anteil Plautius’ Zorn fürchtete, wenn er den General warten ließ. Deshalb war er froh, seinen Befehl zurückziehen zu können, ohne das Gesicht zu verlieren. Niemand sollte denken, dass er an die zahlreichen Geschichten von Geistern glaubte, die angeblich diese fremde Insel bewohnten. Doch das Gerede von den verlorenen Seelen gefiel ihm nicht, und noch weniger gefiel ihm die Vorstellung, die Nacht in ihrem Reich zu verbringen. Während seiner Zeit in diesem nördlichen Land hatte er viele solche Geschichten gehört, genug, um zu glauben, dass wenigstens in manchen ein Körnchen Wahrheit steckte.

Seit vor achtzehn Monaten Camulodunum gefallen war und die Stämme im Südosten Britanniens kapituliert

Es war ein zähes Vorankommen gewesen, denn die Stämme hatten aus den Fehlern von Caratacus und seinem Bruder Togodumnus gelernt. Die beiden hatten die Legionen kurz nach der Landung in direktem Kampf zurückschlagen wollen, da sie zahlenmäßig überlegen waren – eine Taktik, die desaströs gescheitert war. In den zwei Tagen, in denen sie versucht hatten, den Vormarsch der Römer am Fluss Afon Cantiacii aufzuhalten, waren mehr als vierzigtausend ihrer Krieger gefallen, darunter auch Togodumnus. Das hatte die Entschlossenheit der Briten im südöstlichen Teil der Insel tief erschüttert, und die meisten hatten wenig später kapituliert. Nicht so Caratacus. Er war mit mehr als zwanzigtausend Kriegern nach Westen geflohen, und viele, die sich nicht der römischen Herrschaft beugen wollten, hatten sich ihm angeschlossen.

Eine leichte Brise kam auf und wehte in Böen von Osten nach Westen, sodass der Nebel vor ihnen zu wirbeln begann und es rechts von Sabinus aufklarte. Er richtete sich im Sattel auf, erleichtert, dass die Sicht besser wurde, wenn auch nur ein paar Dutzend Schritt weit in eine Richtung. Er murmelte ein Gebet zu Mithras, bat ihn, mit seinem Licht die Düsternis dieser nebligen Insel zu erhellen und ihm beizustehen …

Aus politischen Gründen hatte Plautius nördlich des Tamesis zwei Monate lang haltmachen und warten müssen, bis Kaiser Claudius kam und das Verdienst und den Ruhm für die Eroberung Camulodunums einheimste. Indessen hatte die XIIII Gemina westwärts entlang des Flusses die Gegend ausgekundschaftet. Und in dieser Zeit hatte Sabinus von seinen Offizieren die ersten Berichte über seltsame Erscheinungen und widernatürliche Vorfälle gehört: Ein Legionär war sterbend aufgefunden worden, gehäutet und dennoch in seiner Uniform. Seine letzten Worte waren gewesen, Dämonen hätten ihm die Haut von den Gliedern gefressen. Ein anderer hatte tot dagelegen, völlig blutleer, aber ohne eine Wunde am Körper oder eine Spur davon, dass der Lebenssaft in den Boden gesickert wäre. Immer wieder wurden geisterhafte Gestalten in langen Gewändern gesichtet, von denen ein übernatürliches Leuchten ausging, vor allem nahe der Grabhügel der Alten und der vielen Monumente aus Holz und Stein, die anscheinend ebenso wie die heiligen Haine Zentren der barbarischen Religion der Briten waren.

Anfangs hatte Sabinus diese Berichte der überschießenden Phantasie der abergläubischen Soldaten zugeschrieben. Doch dann, nach Claudius’ Abreise, hatte er im letzten Monat der Feldzugsaison seine Legion weiter landeinwärts

Im folgenden Jahr waren sie langsam weiter landeinwärts vorgedrungen, hatten eine Wallburg nach der anderen eingenommen und Überfälle auf ihre Versorgungslinien und Hinterhalte durch Caratacus’ Krieger abgewehrt. Je weiter sie kamen, desto stärker wurde sein Unbehagen, und so war er beinahe erleichtert, am Ende der Saison seine Legion wieder nach Süden zu führen, zu ihrem Winterquartier am Tamesis. Im vergangenen Monat, als die Legati in Camulodunum mit Plautius zusammentrafen, um den Feldzug der nächsten Saison zu planen, hatte er das Thema gegenüber Vespasian angesprochen, doch sein Bruder hatte seine Angst als Legionärsgarn abgetan. Allerdings hatte der Ausdruck seiner Augen bei Sabinus den Verdacht geweckt, dass er selbst ein ähnliches Unwohlsein empfand.

Sabinus versuchte, seine Besorgnis beiseitezuschieben, während die Kolonne langsam weiter über die mit Büscheln zähen Grases bewachsene Ebene ritt. Die Brise frischte auf und trieb den Nebel in Schwaden und Wirbeln bald da-, bald dorthin. Manchmal klarte es genügend auf, dass sie den Weg vor sich erkennen konnten, bis Augenblicke später die nächste Bö ihnen die Sicht wieder verschleierte.

Um sich von den abergläubischen Gedanken abzulenken, die die gespenstische Umgebung in ihm wachgerufen hatte,

«Wie?» Der junge Tribun blinzelte, als tauchte er gerade aus einem Tagtraum auf. «Entschuldigung, Herr, was habt Ihr gesagt?»

Sabinus wiederholte die Frage.

«Nein, Herr, ich stamme von der Südküste Britanniens. Ich bin der Enkel von Verica, dem König der vereinigten Stämme der Atrebaten und Regner. Mein britannischer Name lautet ebenfalls Verica, nach meinem Großvater.»

Das überraschte Sabinus. «Euer Latein ist ausgezeichnet.»

«Danke, Herr. Mein Großvater floh vor fünf Jahren nach Rom, nachdem Caratacus ihn aus seinem Königreich vertrieben hatte, und nahm mich mit. Wie alle britannischen Prinzen im Süden hatte ich bereits eine gute Ausbildung in Latein erhalten, und so beherrschte ich die Sprache bald fließend.»

«Dann hat Claudius Euch die Bürgerrechte verliehen?»

«Ja, und er erhob mich in den Ritterstand. Ich nahm den Namen Tiberius Claudius an und fügte dann spaßeshalber den Beinamen Alienus hinzu. So wurde ich ein Römer, wie mein Großvater es wünschte. General Plautius nahm mich ihm zuliebe in seinen Stab auf, damit ich meine Laufbahn

Sabinus nickte beifällig zu diesem durch und durch römischen Bestreben. «Ich habe Vericas Tod sehr bedauert. Er starb im vergangenen Monat, nicht wahr?»

«Er war alt und rechnete damit. Er starb ohne Reue. Immerhin hatte er sein Königreich wiedererlangt, war offiziell zum Klientelkönig Roms erklärt worden und hatte in seinem Neffen Cogidubnus einen starken Erben.»

«Warum hat er nicht seinen Sohn zum Erben ernannt?»

Alienus lächelte. «Er sagte, ich sei zu jung, das Volk würde mich nicht anerkennen. Ich verstehe das: Wie könnte ein Neunzehnjähriger ein Volk beherrschen, das ihn seit fünf Jahren nicht gesehen hat? Außerdem genießt Cogidubnus das Ansehen eines Mannes, der sich Rom widersetzte, ehe er unterworfen wurde. Ich hingegen stehe als einer da, der sich freiwillig den Legionen Roms angeschlossen hat.»

«Dann werdet Ihr also wieder nach Rom gehen, nachdem Ihr …» Ein stärkerer Windstoß vertrieb den Nebel um sie herum und enthüllte für einen Moment einen Grabhügel keine zehn Schritt zu ihrer Linken. Sabinus blieben die Worte im Halse stecken. Gleich darauf wehte die Brise den Dunst wieder vor das Grab, doch das Bild blieb in seinen Geist eingebrannt.

Düsteres Raunen und Murren ertönte aus der Kolonne hinter ihnen. Offenbar war er nicht der Einzige, der den unheilverheißenden Anblick bemerkt hatte. Als er sich umschaute, sah er, dass nicht wenige der Soldaten den Daumen in die rechte Faust geschlossen hatten und ausspuckten, um den bösen Blick abzuwehren. Decurio Atilius rief die

Wieder bewegte sich der Nebel vor ihnen, und Sabinus vergaß seinen Gedanken; sein Herz setzte einen Schlag aus. Auf ihrem Weg erschien das Bein eines Riesen, breit und massiv, als hätte das Ungeheuer einen großen Schritt auf sie zu gemacht und wäre in diesem Moment dort aufgestampft – nur dass kein Dröhnen zu hören gewesen war, kein Beben der Erde zu fühlen. Gleich darauf materialisierte sich das zweite Bein ebenso lautlos aus dem Dunst. Entsetzte Soldaten rissen an den Zügeln ihrer Pferde, sodass viele der Tiere stiegen und ihr Wiehern die Stille zerriss. Sabinus sah erschrocken hin. Jetzt wurde der Unterleib sichtbar, doch die Taille war noch immer im Nebel verborgen. Dann kam zu jeder Seite ein weiteres Bein zum Vorschein – wenigstens drei der Monster standen nebeneinander vor ihnen.

Sabinus zog sein Schwert und warf einen Blick über die Schulter. «Atilius, bildet zwei Linien. Bleibt dicht zusammen!», brüllte er dem Anführer seiner Eskorte zu, die zusehends in Panik geriet. Dann wandte er sich wieder der Bedrohung zu, und ihm stockte der Atem. Der Wind wurde stärker, mehr Beine erschienen zu beiden Seiten, und sie alle waren durch einen einzigen langen Unterkörper verbunden,

Er bändigte sein Pferd und wollte sich dem einheimischen Führer zuwenden, doch der war verschwunden. «Scheiße! Alienus?» Auch der junge Tribun war nicht zu sehen. Hinter ihm gelang es dem Decurio, wieder ein wenig Ordnung in die Truppe zu bringen. Dann erspähte Sabinus zu seiner Linken zwei davongaloppierende Pferde. Während sie im Dunst verschwanden, materialisierten sich geisterhafte Gestalten, die bald sichtbar, bald unsichtbar auf ihn und seine Eskorte zukamen. Kaltes Grauen stieg in ihm auf – dieser Anblick war kein Hirngespinst. Er schaute in die andere Richtung. Dutzende weiterer unwirklicher Gestalten näherten sich, schemenhaft im wirbelnden Dunst, als schwebten sie über den nebelverhangenen Boden.

Sie waren umzingelt.

Als die ersten Schleudergeschosse von beiden Seiten die Turma trafen, empfand Sabinus wider alle Vernunft Erleichterung. Dies waren keine verlorenen Seelen, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, die man bekämpfen und töten konnte.

Schreie ertönten, doch es waren tierische Laute, keine menschlichen. Die Schleuderer zielten tief, auf die Beine der Pferde. Sie waren nicht gekommen, um zu töten, sondern, um Gefangene zu machen.

«Atilius!», brüllte Sabinus und zeigte mit seinem Schwert nach Norden, in die Richtung, aus der sie gekommen waren. «Unsere einzige Chance ist, vereint zwischen ihnen durchzubrechen.»

Sabinus trieb sein Pferd an. «Mir nach!» Trotz des unebenen Geländes wagte er es, im leichten Galopp zu reiten. Die überlebenden Soldaten folgten ihm und zogen ihre Spathae, die Schwerter der Kavallerie, um sich den Weg zwischen ihren Peinigern hindurch freizukämpfen, die kaum mehr fünfzig Schritt entfernt waren.

Eine weitere Salve Schleudergeschosse schlug in ihre Reihen ein, und sechs Pferde stürzten kopfüber zu Boden. Ihre Mäuler pflügten das Gras auf, als die zertrümmerten Vorderbeine unter ihnen einknickten. Vergebens flehten die Reiter ihre Kameraden an, sie nicht zurückzulassen.

Ein Geschoss pfiff an Sabinus’ Knie vorbei. Die Schleuderer zielten noch immer tief. Er trieb sein Pferd mit den Fersen an und schlug mit der Breitseite seines Schwertes fest auf das Hinterteil ein, sodass das Tier zu vollem Galopp beschleunigte. Die Schleuderer ergriffen die Flucht. Sabinus’ Herz raste, Hoffnung stieg in ihm auf. Doch gerade als er glaubte, sie könnten ihre Angreifer niederreiten, wuchs ein

Der Turma blieb keine Zeit, zu reagieren, ehe sie in die Dornenhecke aus geschärftem Eisen hineinstürmte. Die Klingen zerschnitten die angespannten Muskeln der Pferde und durchschlugen knirschend ihre Knochen, um in die Brusthöhlen einzudringen und lebenswichtige Organe zu verletzen. Die gewaltigen Herzen pumpten mit äußerster Kraft, sodass das Blut aus den furchtbaren Wunden der aufgespießten Tiere nur so spritzte. Ihr Schwung trieb die Speerspitzen bis zu den eisernen Querstücken hinein.

Sabinus wurde durch den abrupten Halt vorwärts auf den Hals seines Tieres geworfen, und sein Helm mit dem roten Helmbusch flog über die feindliche Linie hinweg. Im nächsten Moment wurde er wieder zurückgeschleudert, da das verwundete Tier sich aufbäumte, schrill wiehernd vor Qual. Dabei riss es dem blutbespritzten Krieger den Speer aus den Händen und zerschmetterte dem Mann daneben mit seinen Hufen den Schädel.

Sabinus prallte mit solcher Wucht auf den Boden, dass ihm die Luft wegblieb. Er besaß gerade noch die Geistesgegenwart, sich zur Seite zu wälzen, ehe das Pferd erst aufs Hinterteil und dann auf den Rücken fiel. Die Beine des Tiers zuckten kraftlos in der Luft, als versuchte es noch im Sterben davonzugaloppieren.

Sabinus kam keuchend auf die Knie, da spürte er einen Schlag auf den Kopf und sah weißes Licht. Ehe er in

 

Ein Schrei brachte Sabinus wieder zu sich – ein Angstschrei, kein Schmerzensschrei. Er schlug die Augen auf, sah jedoch nichts als Grashalme. Er lag bäuchlings, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Sein Kopf hämmerte. Als der Schrei verstummte, hörte er leisen Sprechgesang.

Sabinus versuchte, sich herumzuwälzen, da krampfte sein Magen sich zusammen. Ein Schwall von Erbrochenem ergoss sich ins Gras. Es schmeckte sauer im Mund, und als ihm die Flüssigkeit auch aus der Nase lief, drehte ihm der Gestank erneut den Magen um.

Schnell und flach atmend, schaffte er es, sich auf den Rücken zu wälzen. Er spuckte aus, um den widerlichen Geschmack loszuwerden. Der Nebel hatte sich gelichtet, gerade ging die Sonne unter. Er hob den Kopf und erkannte, dass er in dem Steinkreis lag. Verschwommene Gestalten bewegten sich darin. Wieder erhob sich der Schrei und übertönte den Gesang. Eine der Gestalten hob einen Arm, hielt kurz inne und ließ ihn dann mit Wucht herabschnellen. Der Schrei brach abrupt ab, es folgten ein langgezogenes Röcheln und dann Stille.

Plötzlich spürte Sabinus, wie es kälter wurde. Jetzt, da er allmählich klarer sah, konnte er die Gestalten ausmachen. Sie waren schmutzig. Ihr verfilztes Haar fiel ihnen bis zur Mitte des Rückens, ihre zu Strähnen gezwirbelten Bärte waren ebenso lang. Jeder trug ein langärmeliges Gewand, das an der Taille gegürtet war und bis zu den Fußknöcheln reichte. Diese Kleidungsstücke mochten einmal weiß gewesen sein,

Sabinus zitterte und ließ den Kopf stöhnend wieder ins Gras sinken. Wenn er irgendetwas mehr fürchtete als die Geister dieser Insel, so waren es ihre Diener: die Druiden.

«Ihr seid also wach, Legatus», sagte eine bemerkenswert heitere Stimme.

Sabinus drehte den Kopf und sah Alienus, der auf ihn zukam. «Du mieser kleiner Verräter!»

«Aber nicht doch. Ein Verräter ist jemand, der sein eigenes Volk betrügt. Das könnt Ihr mir schwerlich vorwerfen, schließlich bin ich ein Prinz der Atrebaten.» Alienus ging neben ihm in die Hocke. «Nicht alle aus meinem Volk haben vor Rom das Knie gebeugt wie mein feiger Großvater oder mein ruhmsüchtiger Vetter, der mir mein Geburtsrecht gestohlen hat und jetzt statt meiner herrscht. Sie haben meinem Volk Schande bereitet. Caradoc – oder Caratacus, wie Ihr ihn nennt – mag der Feind meines Volkes gewesen sein, aber wenigstens leistet er Widerstand gegen die Invasoren. Er ist von unserem Blut und würde unsere Sitten und unsere Götter ehren. Deshalb sollten wir ihn dabei unterstützen, Euch ins Meer zurückzustoßen.»

«Damit Ihr weiter hier am Rand der Welt Eure kleinlichen Zankereien austragen könnt?»

«Für Euch mag diese Insel der Rand der Welt sein, aber für uns ist sie die ganze Welt, und bevor Ihr kamt, waren wir frei, unser Leben nach unseren eigenen Gesetzen und Gebräuchen einzurichten. Könnt Ihr uns einen Vorwurf machen, weil wir das beibehalten wollen?»

«Nein, aber Ihr seid wirklichkeitsfern.» Wieder zitterte Sabinus, seine Zehen waren schon gefroren. «Rom ist

«Nicht jetzt, da wir Euch haben.»

«Wie meint Ihr das?»

«Heute ist die Frühjahrs-Tag-und-Nacht-Gleiche. Die wenigen Überlebenden Eurer Eskorte haben zu Ehren des Tages ihr Blut auf den Altären unserer Götter vergossen, Ihr jedoch nicht. Ihr seid derjenige, auf den wir es abgesehen hatten. Wir wussten, wenn wir Euch in die Falle locken wollten, musste es geschehen, ehe Ihr wieder auf Feldzug geht. Danach hättet Ihr nicht mehr geglaubt, dass Plautius Euch zu sich befiehlt.»

Eine tiefe Kälte kroch in Sabinus’ Beinen hoch, und seine Zähne begannen zu klappern. «Wie habt Ihr es angestellt, sein Siegel zu fälschen?»

«Das ist gar nicht so schwer, wenn man Zugang zu Dokumenten hat, auf denen das Siegel noch intakt ist. Ihr habt drei Monate, um dahinterzukommen.»

«Wozu? Warum tötet Ihr mich nicht gleich?»

«Oh, dazu seid Ihr zu kostbar. Es wäre eine Vergeudung. Die Druiden haben entschieden, ein römischer Legatus sei das mächtigste Opfer, das man den Göttern für Caratacus darbringen kann, um ihn für seinen Kampf zu stärken.» Alienus zog eine Augenbraue hoch und zeigte mit angedeutetem Lächeln auf Sabinus. «Dieser Legatus seid Ihr.» Dann wies er mit einer Kopfbewegung auf die Druiden, die in den goldenen Strahlen der untergehenden Sonne standen, welche durch zwei der Tore in dem Steinkreis genau auf den Altar fielen. «Und Myrddin, der Oberste ihres Ordens, der über diese Dinge Bescheid weiß, hat entschieden, der günstigste

Sabinus schaute zu den Druiden hinüber, die ihren Gesang fortsetzten, und ihm wurde bewusst, dass die Sonnenstrahlen keine Wärme spendeten. Stattdessen ging von der Gruppe eine kalte, böse Macht aus, die wie ein frostiger Hauch in ihn eindrang. Alienus schien jedoch nichts davon zu spüren. Sabinus’ Gedanken wurden träge, er war nicht mehr in der Lage, Fragen zu stellen. Ihm war, als würden seine Augen von Reif überzogen. Mit einer letzten kraftlosen Anstrengung spuckte er dem Spion seinen nach Erbrochenem schmeckenden Speichel ins Gesicht. «Bis dahin bin ich nicht mehr hier. Mein Bruder wird kommen, um mich zu befreien.»

Alienus wischte sich mit dem Handrücken die Wange ab und lächelte freudlos. «Darüber braucht Ihr Euch keine Gedanken zu machen – Myrddin hat mir aufgetragen, dafür zu sorgen, dass er herkommt und seine dem Untergang geweihte Legion mitbringt. Ihr werdet mir sicher beipflichten, dass zwei Legati viel mächtiger sind als einer. Ein Brüderpaar wird das ideale Opfer sein, um der Streitmacht, die Caratacus gerade aufstellt, die Gunst der Götter zu sichern. Und Myrddin bekommt immer, was er will.»

Sabinus sah nur noch Weiß. Die Kälte ergriff von seinem Herzen Besitz. Er spürte, wie eine böse Macht ihn in die Bewusstlosigkeit hinabzog, und er schrie, bis seine Ohren taub wurden. Doch kein Laut kam über seine erstarrten Lippen.

Britannien, Frühjahr A.D. 45

Vespasian verknotete seinen Kinnriemen, sodass die Wangenklappen eng anlagen. Er schüttelte den Kopf – der Helm saß fest. Zufrieden nickte er dem Sklaven zu, der ihm aufwartete, einem Mann Anfang zwanzig. Dieser trat vor, legte ihm einen schweren Mantel aus tiefroter Wolle um die Schultern und verschloss ihn mit einer bronzenen Spange in Form eines Steinbocks, dem Emblem der II Augusta. Vespasian war dankbar für das wärmende Kleidungsstück, denn die zwei Feuerbecken konnten die morgendliche Kälte nicht aus dem Zelt vertreiben. Er prüfte, ob sein Schwert locker in der Scheide steckte, dann wandte er sich an den Sklaven, der von seinem Werk zurücktrat. «Du kannst gehen, Hormus.»

Mit einer kurzen Verbeugung wandte Hormus sich ab und verschwand durch die Vorhänge, mit denen der Schlafbereich im hinteren Teil des Praetoriums abgeteilt war – das Hauptquartier der Legion im Herzen des Lagers, wo der Legatus der II Augusta wohnte.

Vespasian nahm seinen Becher mit angewärmtem Wein von einem niedrigen Tisch und ging zu seinem Schreibpult, auf dem ordentlich aufgestapelte Wachstafeln und Bündel eingerollter Schriftstücke lagen. Er setzte sich und klappte die Wachstafel mit der Nachricht auf, die ihm eine schlaflose Nacht bereitet hatte. Während er an seinem Morgentrunk

«Ja, Herr?», antwortete der Sklave und eilte durch die Vorhänge herein.

«Schreibe Folgendes auf und schicke unverzüglich einen Boten damit los.»

Hormus setzte sich an sein kleineres Sekretärspult, nahm einen Stilus und eine frische Wachstafel und gab seinem Herrn mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass er bereit sei.

«An Gaius Petronius Arbiter, den obersten Tribun der Vierzehnten Gemina, von Titus Flavius Vespasianus, Legatus der Zweiten Augusta. Seid gegrüßt.

Mein Bruder, Titus Flavius Sabinus, ist um die Zeit der Frühjahrs-Tag-und-Nacht-Gleiche nicht im Lager der Zweiten Augusta erschienen, noch wurde hier überhaupt eine Besprechung zwischen General Plautius, mir selbst und meinem Bruder anberaumt. Ich weiß über Tribun Alienus Bescheid, er ist der Enkel des verstorbenen Verica vom Stamm der Atrebaten. Ich erinnere mich vage, ein paarmal mit ihm zu tun gehabt zu haben, als er während der letzten zwei Jahre in Plautius’ Stab diente, und ich habe keinen Anlass, an seiner Integrität zu zweifeln. Ebenso wenig habe ich allerdings einen Grund anzunehmen, dass er nicht noch immer auf der Seite der Rebellen stehen könnte. Wie kam er dazu, meinen Bruder zu einer Besprechung zu holen, die es nicht gab? Wenn Ihr Euch sicher seid, dass sie vor fünfzehn Tagen wirklich hierher aufgebrochen sind, so kann ich nur annehmen, dass Alienus in Wahrheit niemals einer der unseren war, sondern ein britannischer Spion. Demzufolge ist mein

Sabinus, fast fünf Jahre älter als Vespasian, hatte ihn seine ganze Kindheit hindurch drangsaliert und als jungen Mann mit Verachtung behandelt. Doch in den letzten etwa zwölf Jahren war ihre Beziehung allmählich besser geworden und zu gegenseitigem Respekt gereift. Dass Vespasian seinem Bruder geholfen hatte, den verlorenen Adler der Legio XVII zu suchen, hatte die beiden Brüder schließlich so weit geeint, dass sie ohne ständige Zankereien miteinander umgehen konnten. Narcissus, der mächtige Freigelassene des Kaisers Claudius, hatte gedroht, Sabinus für seinen Anteil an der Ermordung Caligulas hinrichten zu lassen wie alle seine Mitverschwörer. Doch dank der Intervention von Narcissus’ Kollegen Pallas, einem alten Bekannten der Brüder, war Sabinus’ Beteiligung vertuscht und sein Leben verschont worden – unter der Bedingung, dass die Brüder den letzten noch verschollenen Adler zurückholten. Der war vor sechsunddreißig Jahren, im Jahr von Vespasians Geburt, im Teutoburger Wald verlorengegangen, wo der germanische Rebell Arminius drei Legionen vernichtend geschlagen hatte.

Die Rückführung des Adlers nach Rom war nicht ganz nach Plan verlaufen. Immerhin war er gefunden worden, und die Brüder standen wieder in der Gunst der eigentlichen Macht in Rom: nicht des Kaisers, sondern seiner Freigelassenen. Sabinus hatte sich eingestehen müssen, dass er seinem Bruder das Leben verdankte, und so beendete Vespasian nun schweren Herzens seinen Satz: «… tot.»

Er entließ den Sklaven mit einer Handbewegung, leerte

Vespasian wurde aus seinen Gedanken gerissen, als die beiden Wachen draußen vor dem Zelt geräuschvoll Haltung annahmen. Gleich darauf marschierte der Lagerpräfekt Maximus, der dritthöchste Offizier der Legion, forsch herein und grüßte zackig und so routiniert, wie es seinen fast dreißig Dienstjahren entsprach.

Vespasian erhob sich aus Respekt vor dem Mann, der ihm im Rang untergeordnet, an Erfahrung jedoch überlegen war. «Ja, Maximus?»

«Die Legion ist in Stellung, Herr! Wir erwarten Eure Befehle, falls die Verhandlungen nicht erfolgreich verlaufen sollten.»

«Redet Cogidubnus mit ihnen?»

«Sie haben sich geweigert, ihn und seine beiden Leibwachen in die Festung einzulassen, deshalb musste er vor dem Tor verhandeln. Er ist noch dort oben.»

«Gut, ich komme.»

 

Vespasian trat aus dem Tor des Lagers der II Augusta auf einer flachen Hügelkuppe, von wo der Hang sanft zu einem kleinen Fluss hin abfiel. Die Wachen am Tor hielten den

Sein Primus Pilus Tatius, der ranghöchste Centurio der Legion, und Valens, sein Tribun mit breiten Streifen, warteten draußen zusammen mit den fünf Tribunen mit schmalen Streifen – Jünglinge um die zwanzig, die hier waren, um zu lernen. Eine Viertelmeile vor ihnen ragte eine weitere Anhöhe auf, rund wie ein riesiger Maulwurfshügel, dreihundert Fuß hoch und an der Basis eine halbe Meile im Durchmesser. Ein Streifen ebenen Geländes trennte sie vom umliegenden sanften Hügelland. Diese Anhöhe war wie geschaffen für einen stark befestigten Zufluchtsort, und in der Tat waren die Befestigungsanlagen eindrucksvoll. Am oberen Viertel des Hanges waren zwei breite Gräben ausgehoben, jeder zehn Fuß tief und mit im Feuer gehärteten Spießen bestückt. Das Gelände davor war steil und vollständig gerodet bis auf den abseitigen Westhang, wie Vespasian festgestellt hatte, als er bei seiner Ankunft darum herumgeritten war. Dieser Hang war zu steil für einen Angriff, und so hatte man das Gebüsch dort stehen lassen. Hinter dem inneren Graben war der Aushub zu einem steilen Wall festgestampft worden, auf dem eine Palisade aus dicken, doppelt mannshohen Baumstämmen errichtet war. Hunderte Krieger standen dort aufgereiht, und hinter ihnen, zwischen den Dutzenden runder Hütten auf der Kuppe, warteten noch zahlreiche weitere mit ihren Frauen und Kindern. Vespasian wusste aus leidvoller Erfahrung, dass auch viele von diesen mit Schleudern und Wurfspeeren zu töten verstanden.

Auf dem Abhang zwischen Vespasian und dieser Wallburg stand die II Augusta in zwei Treffen zu je fünf Kohorten. Reihe um Reihe eisengerüsteter schwerer Infanterie,

Anlass für das Manöver war die Meldung eines britannischen Spions gewesen, der bei Cogidubnus im Sold stand. Er hatte berichtet, eine große Streitmacht versammle sich in der Festung, möglicherweise unter dem Kommando von Caratacus persönlich. Sie bereite sich auf einen Vorstoß nach Osten vor, hinter die Linie der vorrückenden II Augusta, um deren Versorgungslinien anzugreifen. So wäre die Legion gezwungen gewesen, umzukehren und sie abzuwehren, was ihren Frühjahrsfeldzug erheblich verzögert hätte.

Am vergangenen Abend war die Legion so plötzlich eingetroffen und hatte die Wallburg so schnell umzingelt, dass keiner der Briten mehr hatte fliehen können. Die es über die Palisade geschafft hatten, waren schnell von Vespasians batavischen Reitern getötet oder gefangen genommen worden. Diese Kavallerieeinheit war eigens dazu abgestellt worden,

Jetzt wird Caratacus’ Plan nicht mehr aufgehen, dachte Vespasian mit einem selbstzufriedenen kleinen Lächeln. Die Angst um seinen Bruder schob er beiseite, um sich auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Vor vier Jahren, als er das Kommando über die II Augusta übernommen hatte, hätte ihn die Szene noch beeindruckt, die sich ihm hier bot. Inzwischen aber, nach zwei Jahren Feldzug in Britannien, hatte er sich an den Anblick gewöhnt. Er zählte im Kopf nach und kam zu dem Schluss, dass dies seine neunte Belagerung war.

Obwohl der Umfang der Wehranlagen fast eine Meile maß, gab es nur einen Eingang, und der lag hier vor Vespasian. Allerdings führte kein gerader Weg hinauf. Die Übergänge über die Gräben waren versetzt, sodass Angreifer gezwungen waren, einen Zickzackkurs einzuschlagen, wobei ihre Flanken dem Geschützhagel von den Kriegern auf den Wällen ausgesetzt sein würden. Viele der Gallier würden bei einem Frontalangriff ihr Leben lassen, noch ehe sie das Tor erreichten, und viele weitere würden bei dem Versuch sterben, es mit dem Aries, dem Rammbock, aufzubrechen. Dessen hölzernes Dach war mit nassem Leder überzogen zum Schutz vor den Feuerschalen, welche die Gegner zweifellos vom Wall hinunterwerfen würden.

Doch Vespasian hoffte, dass es gar nicht erst dazu kommen würde. Gerade sah er drei britannische Reiter ihre

Vespasian und seine Offiziere beobachteten schweigend, wie die Männer herangaloppierten. Ihnen war klar, dass die Kunde, die sie brachten, über ihr Schicksal an diesem Tag entscheiden würde.

Die Legionäre wurden unruhig, als die Reiter durch ihre Formation kamen, doch Centurionen und Optiones stellten mit barschen Befehlen die Ordnung wieder her.

«Ich glaube, die Jungs sehen Cogidubnus schon an, dass er keine guten Nachrichten bringt», murmelte Maximus.

Vespasian knurrte. «Natürlich bringt er keine guten Nachrichten. Wer würde aus einer Festung fliehen wollen, die kurz vor der Kapitulation steht?» Sein Gesicht nahm einen gequälten Ausdruck an, während die Reiter näher kamen und ihr Anblick Maximus’ Vermutung bestätigte. Doch er wusste auch: Dass die Briten in der Wallburg sich nicht ergeben wollten, konnte bedeuten, dass der Siegespreis umso größer wäre.

«Ihr Häuptling Drustan hat geschworen, dass sie

Vespasian versteifte sich. «Er ist dort drin, nicht wahr?»

Cogidubnus wechselte ein paar Worte in seiner eigenen Sprache mit dem Geretteten, nickte und antwortete: «Ja, Legatus, er ist dort drin. Mein Mittelsmann hier sagt, er ist vor zwei Tagen eingetroffen.»

Vespasian warf einen Blick auf den Spion, erstaunt, dass solch wertvolle Informationen aus einer so unwahrscheinlichen Quelle kommen konnten. Der Mann hielt den Kopf gesenkt. Mit seiner zerlumpten Kleidung wirkte er eher wie ein Sklave denn wie ein Krieger. «Und nun hofft er zu entkommen, während ein ganzer Unterstamm sich für ihn opfert.»

«Es scheint so.»

Vespasian wandte sich an seine Offiziere. «Meine Herren, ich will, dass vor dem Angriff das gesamte Gelände umstellt wird. Niemand darf durch unsere Linien schlüpfen. Ich habe das Gefühl, dass wir durch unseren schnellen Vorstoß Caratacus in die Enge getrieben haben.»

 

Nach weniger als einer halben Stunde war die II Augusta neu in Stellung gebracht. Jede Kohorte hatte sich in vier Reihen zu je einhundertzwanzig Mann formiert. Schweigend umringten sie die Anhöhe, damit niemand entkommen konnte. Vespasian schaute den Hang hinauf, über die Köpfe der

Vespasian beruhigte sein Pferd, dann ließ er den rechten Arm fallen. Der Cornicen neben ihm blies einen einzigen tiefen, dröhnenden Ton auf seinem gewundenen Horn in der Form des Buchstabens G. Gleichzeitig hielt bei jeder Ballista ein Soldat eine brennende Fackel an die ölgetränkte Watte, die um die Spitzen ihrer drei Fuß langen hölzernen Bolzen gewickelt war, und die Hamaner zündeten an kleinen Feuern entlang ihrer Linie die Pfeile an. Bogensehnen summten, die Geschütze krachten, und Hunderte brennender Geschosse flogen durch die Luft und hinterließen Spuren aus schwarzem Rauch wie in den Himmel gepflügte Furchen.

Der Angriff hatte begonnen.

Die erste Salve ging über die Palisade hinweg und schlug in die Wände aus Flechtwerk mit Lehmbewurf und in die Strohdächer der zahlreichen Hütten dahinter ein. Die Schreie Verwundeter zeugten davon, dass nicht nur Gebäude getroffen wurden. Während die Hamaner von ihren starken Recurvebogen aus Holz und Horn eine zweite Salve lösten, sah Vespasian befriedigt die ersten dünnen Rauchfähnchen aus der Wallburg aufsteigen. Die Hamaner ließen noch sechs

Ein junger Tribun kam im Galopp den Hang herunter auf Vespasian zu.

«Sind die Gallier bereit, Vibius?», fragte Vespasian, als der Jüngling sein Pferd anhielt und grüßte.

«Jawohl, Herr. An die beiden unterstützenden Kohorten wurden Sturmleitern ausgegeben, wie Ihr befohlen habt.»

«Und Valens’ Ablenkmanöver?»

«Ja, Herr, er hat genügend Bohlen, um den ersten Graben zu überbrücken.»

«Reitet wieder zu ihm hinunter und richtet ihm aus, er soll nicht warten, bis die gallischen Auxiliartruppen das Tor erreicht haben. Ich will, dass er sich sofort in Marsch setzt, um so viele Briten wie möglich davon abzulenken, die Brände zu bekämpfen. Verstanden?»

«Jawohl, Herr!» Mit einem flüchtigen Gruß wendete Vibius sein Pferd und galoppierte unter einer weiteren Salve Brandpfeile davon.

Diesmal blies der Mann zwei kürzere Töne. Sofort zielten die Hamaner tiefer und lösten Pfeil um Pfeil auf die Krieger auf der Palisade. Die Männer an den Ballistae richteten ihre Geschütze ebenfalls neu aus. Als die ersten Bolzen in die von Rauch umwölkte Palisade einschlugen, waren darauf bereits keine Gegner mehr zu sehen. Sie waren in Deckung gegangen. Solange die Situation es nicht zwingend erforderte, wollen sie nicht ihr Leben riskieren – ihnen allen war klar, dass dies sehr bald der Fall sein würde.