Iny Lorentz

Die Tochter der Wanderapothekerin

Roman

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Iny Lorentz

Hinter dem Namen Iny Lorentz verbirgt sich ein Münchner Autorenpaar, dessen erster historischer Roman »Die Kastratin« die Leser auf Anhieb überzeugte. Mit »Die Wanderhure« schafften sie den Durchbruch. Seither folgt Bestseller auf Bestseller und die Romane wurden in zahlreiche Länder verkauft. Die Verfilmungen der »Wanderhuren“-Romane, der »Pilgerin«, des »goldenen Ufers« und der »Ketzerbraut« begeisterten Millionen Fernsehzuschauer. Für die Verdienste um den historischen Roman erhielten sie 2017 den »Wandernden Heilkräuterpreis« der Stadt Königsee und wurden in die Signs of Fame des Fernwehparks Oberkotzau aufgenommen. Die Bühnenfassung der »Wanderhure« in Bad Hersfeld 2014 war ebenso ein Riesenerfolg wie die vielen Aufführungen der »Wanderhure« durch Theaterlust. Besuchen Sie auch die Homepage der Autoren: www.inys-und-elmars-romane.de

Impressum

© 2019 der eBook-Ausgabe Knaur eBook

© 2019 Knaur Verlag

Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Redaktion: Regine Weisbrod

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: © FinePic; © DigitalVision Vectors/ZU_09

ISBN 978-3-426-45240-0

 

 

 

 

Zur Erinnerung an eine tapfere Frau:
Sandra Hunger, geb. Vogler
von der Buchhandlung Lese-Hunger

Erster Teil

Ein verrückter Plan

1.

Manfred Haug bewunderte die Selbstbeherrschung seines Herrn. Seit einer geschlagenen Viertelstunde ließ Friedrich von Schwarzburg-Friedrichsthal die Vorwürfe und Beschimpfungen seiner Ehefrau über sich ergehen, ohne sie, wie es sogar sein Recht gewesen wäre, mit ein paar Ohrfeigen zum Schweigen zu bringen. Dabei verwendete Ihre Durchlaucht Karoline Louise Ausdrücke, die selbst ein Waschweib erröten lassen würden. Im Augenblick wurde sie etwas leiser, doch war dies nicht aufkommender Vernunft, sondern allein der Tatsache geschuldet, dass ihr schlichtweg die Luft wegblieb.

»Es wird mein Tod sein!«, rief sie mit klagender Stimme. »Ich bin bereits bei meiner letzten Niederkunft gestorben!«

Dafür seht Ihr noch sehr lebendig aus, dachte Manfred und wünschte sich, es ihr ins Gesicht sagen zu können.

Auch Fürst Friedrich schüttelte über diesen unbesonnenen Ausspruch den Kopf. »Ich weiß, die Zeit Eurer ersten Schwangerschaft war schwer …«

Vor allem für meinen armen Herrn und uns Bedienstete, setzte Manfred still hinzu, während Karoline Louise ihrem Mann schroff über den Mund fuhr. »Es war grauenhaft! Ich habe mich gefühlt wie eine Kuh und hatte einen Wanst, der in kein Kleid mehr gepasst hat. Und Ihr sagt nur, es wäre schwer gewesen.«

»Ich habe Euren Mut und Eure Kraft bewundert, mit der Ihr unseren Sohn unter Eurem Herzen getragen und ihn geboren habt«, erwiderte Friedrich, um ihr zu schmeicheln. Diese Worte bewirkten aber nicht mehr, als wenn man auf ein brennendes Haus spuckt und hofft, damit das Feuer löschen zu können.

Karoline Louise schrie auf und schlug mit beiden Fäusten auf ihren Gemahl ein. »Daran seid Ihr schuld! Ihr hättet Rücksicht auf meine schwache Konstitution nehmen müssen. Stattdessen habt Ihr es nicht abwarten können, mich erneut in diesen delikaten Zustand zu versetzen. Ihr wollt, dass ich bei der Geburt umkomme, damit Ihr Eure grässliche Mätresse heiraten könnt!«

Diese Anklage war für Friedrich wie ein Schlag ins Gesicht. »Weder wünsche ich Euren Tod, noch habe ich eine Mätresse!«, erklärte er mühsam beherrscht.

»Alles Lüge!«, schrie seine Frau ihn an. »Ihr habt bereits bei der Geburt meines beklagenswerten Fritzchens darauf gelauert, dass ich mich zu meinen Ahnen geselle, um die Tochter dieser Salbenmischerin als Euer Weib heimführen zu können. Ich habe doch mit eigenen Augen gesehen, wie Ihr mit ihr getändelt habt. Für Euch bin ich nur der Bauch, der Euren Nachfolger gebären muss, weil die Kinder mit dieser Hure niemals erbberechtigt sein werden.«

»Madame, ich war überglücklich, als Ihr die letzte Geburt trotz aller Eurer Bedenken gut überstanden habt, und ich bete zu Gott, dass Ihr es auch diesmal tun werdet. Wie bereits vor zwei Jahren lasse ich den besten Arzt für Euch rufen, der im ganzen Römischen Reich zu finden ist. Eure Befürchtungen werden grundlos sein.«

Friedrich konnte nicht verhindern, dass seine Stimme an Schärfe zunahm. Seine Gemahlin hatte ihn bereits während ihrer ersten Schwangerschaft mit den wildesten Vorwürfen überhäuft und ihm und den übrigen Bewohnern von Schloss Friedrichsthal das Leben zur Hölle gemacht. Damals hatte die schlimmste Zeit allerdings erst ab dem fünften Schwangerschaftsmonat eingesetzt, nachdem die Beschwerden seiner Gemahlin stärker geworden waren. Diesmal sah es anders aus, denn ihr Leibarzt hatte erst am Vortag die Schwangerschaft bestätigt und erklärt, dass es bis zur Niederkunft noch sieben Monate dauern werde.

Der Gedanke, eine so lange Zeit Tag für Tag die Zornausbrüche seiner Frau ertragen zu müssen, ließ Friedrich erstarren. Schon während Karoline Louises erster Schwangerschaft hatte er das Schloss mehrmals verlassen und sich bei Verwandten aufgehalten. Der Gedanke, in den nächsten Monaten erneut zwischen Rudolstadt, Sondershausen, Hildburghausen und Altenburg hin- und herreisen zu müssen, um den Vorwürfen seiner Frau zu entgehen, reizte ihn jedoch wenig.

»Beruhigt Euch, Madame! Ihr seid nicht die erste Frau, die ein Kind gebären wird, und werdet auch nicht die letzte sein«, sagte er, um an ihre Vernunft zu appellieren.

Sie unterbrach ihn mit einer weiteren wilden Anklage. »Ihr seid so herzlos wie ein Stein! Ich bin von zartem Wesen, und bereits die erste Niederkunft hätte mich beinahe umgebracht. Die zweite werde ich nicht überleben.«

»Euer Durchlaucht, bitte erregt Euch nicht so!«, warf nun ihr Leibarzt ein. »Auch wenn die erste Niederkunft schwierig gewesen sein mag, so gebären Frauen im Allgemeinen beim zweiten Mal viel leichter.«

»Ihr seid ebenso herzlos wie mein Gemahl!«, schrie Karoline Louise ihn mit sich überschlagender Stimme an. »Gewiss seid Ihr mit ihm im Bunde. Ihr beide wollt mich in eine kalte Gruft bringen, damit er seine Hure heiraten kann.«

»Madame, diese Unterstellung nehmt Ihr zurück!« Der Arzt fühlte sich in seiner Berufsehre gekränkt, erhielt aber nur weitere Beschimpfungen als Antwort. Schließlich wandte er sich mit eisiger Miene an Friedrich. »Euer Durchlaucht! Nach diesen Beschuldigungen sehe ich mich gezwungen, Euch zu bitten, mich von meinen Aufgaben als Leibarzt Eurer Gemahlin zu entbinden. Unter diesen Umständen kann ich ihr nicht mehr dienlich sein.«

»Mein lieber Doktor, sie hat es gewiss nicht so gemeint«, antwortete Friedrich in dem Versuch, ihn zum Einlenken zu bewegen.

Seine Frau machte diesen Vorsatz jedoch sogleich zunichte. »Ich habe es genau so gemeint!«, schleuderte sie ihm und dem Arzt entgegen. »Ihr habt mir beide schon bei meiner ersten Schwangerschaft nach dem Leben getrachtet, und diesmal werde ich es durch eure Schuld verlieren!«

»Euer Durchlaucht, wie Ihr seht, ist es vergebens, auf die Vernunft Eurer Gemahlin zu hoffen. Ich bitte Euch daher um meinen Abschied.«

Der Arzt verbeugte sich vor Friedrich, ohne Karoline Louise noch einmal anzusehen. Bereits die Zeit ihrer letzten Schwangerschaft hatte er nur mit Mühe durchgehalten. Dabei war wenigstens nicht er beschuldigt worden, sondern nur ihr Gemahl.

Friedrich begriff, dass er den Mann nicht mehr aufhalten konnte, und nickte. »Kommt später in meine Privatgemächer! Ich werde Euch ein Empfehlungsschreiben ausstellen und Euch für Eure bisherige Arbeit belohnen. Und Euch, Madame, sage ich, dass Ihr den Arzt rufen und Euch von ihm beraten lassen könnt, der Euren Vorstellungen entspricht.«

Der letzte Satz galt seiner Gemahlin und sollte diese beruhigen, weil sie es nun selbst in der Hand hatte, welcher Arzt ihr während ihrer Schwangerschaft beistehen sollte.

»Wie soll ich armes, schwaches Weib einen guten Arzt finden?«, kreischte Karoline Louise empört auf. »Ihr seid ein Rohling sondergleichen! Ihr wollt, dass ich sterbe!«

Nach diesem letzten Ausbruch war ihre Kraft erschöpft, und sie brach weinend zusammen.

Friedrich wandte sich mit einer missmutigen Geste an ihre Zofe. »Bringen Sie meine Gemahlin in ihr Schlafgemach und sorge Sie dafür, dass sie sich hinlegt. Sobald sie gelasseneren Gemüts ist, soll sie an ihre Freundinnen schreiben, damit diese ihr einen guten Arzt und Geburtshelfer empfehlen können. Ich selbst kann und werde diese Angelegenheit nicht betreiben, da meine Gemahlin einen von mir bestimmten Arzt ablehnen würde.«

Die Frau musterte den Fürsten mit einem Blick, der deutlich zeigte, dass sie ihn genau wie ihre Herrin für einen Rohling hielt. Dann fasste sie Karoline Louise unter und führte sie hinaus.

2.

Der letzte hysterische Ausbruch seiner Gemahlin hatte Friedrich mehr zugesetzt als alle, die er während ihrer ersten Schwangerschaft hatte erleben müssen. In seinen Privatgemächern forderte er seinen Kammerdiener auf, ihm einen Cognac einzuschenken.

Manfred reichte ihm mitfühlend das Glas. »Manchmal braucht man einen kräftigen Schluck, Euer Durchlaucht. Aber Ihr solltet es nicht zur Gewohnheit werden lassen, Euren Ärger über Eure Gemahlin in Cognac zu ertränken.«

»Das will ich auch nicht«, antwortete Friedrich und nippte nur an der goldbraunen Flüssigkeit. »Wenn ich nur wüsste, wie ich die nächsten sieben Monate überstehen soll«, setzte er bedrückt hinzu.

»Wenn ich Eurer Durchlaucht einen Ratschlag erteilen darf …«, begann Manfred.

»Das darfst du jederzeit, mein Guter!«, sagte Friedrich mit einem dankbaren Blick auf den Mann, der ihm seit zwanzig Jahren treue Dienste leistete.

»Ich würde Eurer Durchlaucht vorschlagen, die nächsten sieben Monate fern von Friedrichsthal zu verbringen. Während der ersten Schwangerschaft Ihrer Durchlaucht hat es sich erwiesen, dass Eure Gemahlin etwas leichter zu ertragen war, wenn Eure Durchlaucht sich auf Reisen befand.«

»Woher weißt du das? Du hast mich doch begleitet?«

»Ihr vergesst, dass meine Ehefrau die Mamsell hier im Schloss ist und daher zurückbleiben musste. Sie hatte sehr viel mit Eurer Gemahlin zu tun.«

»Die Ärmste«, sagte Friedrich voll von echtem Mitleid.

»Gabi kommt gut damit zurecht. Auch helfen ihr die anderen Bediensteten. Eure werte Gemahlin konnte während der Zeit, die sie bisher auf Schloss Friedrichsthal verbracht hat, nur wenig Zuneigung bei der Dienerschaft erringen.«

Manfred klang ein wenig bitter, denn im Grunde benahm Karoline Louise sich so, als hätte man sie dazu verurteilt, hier auf Friedrichsthal in schlimmster Verbannung zu leben.

Gabi war Manfreds Ehefrau und als Mamsell der weiblichen Dienerschaft übergeordnet. Friedrich vertraute ihr ebenso bedingungslos wie ihrem Ehemann, denn ihre Treue zu ihm war sprichwörtlich. Wenn Gabi sagte, sie komme mit seiner schwangeren Gemahlin zurecht, dann stimmte das auch.

»Nur, was soll ich in der Zeit tun?«, fragte er mehr sich selbst als Manfred.

Dieser räusperte sich. »Wenn Euer Durchlaucht mir erlauben, Euch einen weiteren Ratschlag zu erteilen …«

»Rede nicht lange darum herum! Heraus mit der Sprache«, unterbrach Friedrich ihn.

»Ich würde Eurer Durchlaucht eine längere Reise empfehlen und nicht nur Besuche in Hildburghausen und anderen, nahe gelegenen Residenzstädten. Dort kämen gewiss Fragen auf, weshalb Ihr Eurer Heimat so lange fernbleibt. Man war bereits während der letzten Schwangerschaft Eurer Gemahlin darüber verwundert, obwohl Ihr damals immer wieder nach Friedrichsthal zurückgekehrt seid.«

»… und es hier kaum länger als eine Woche ausgehalten habe! Bei Gott, die meisten Frauen werden schwanger und gebären Kinder, ohne sich dabei so zu echauffieren, wie Karoline Louise es tut.« Friedrich schüttelte bedrückt den Kopf und sah Manfred dann neugierig an. »Wohin würdest du mir raten zu reisen?«

»Nach London vielleicht, wo König Georg II. Euch gewiss empfangen wird, auch nach Paris zu König Ludwig XV., zu König Christian VI. von Dänemark …«

»Und warum nicht gleich zum Sultan der Osmanen?«, unterbrach Friedrich die Ausführungen seines Kammerdieners mit dem Anflug eines Lächelns.

»Das wäre wirklich eine weitere Reise – und eine gefährliche dazu, wenn ich das hinzufügen darf!« Manfred klang so ruhig, als würde er mit seinem Herrn die Speisenfolge des abendlichen Banketts besprechen.

Friedrich überlegte kurz und winkte ab. »In London und Paris war ich bereits auf meiner Kavalierstour, und Kopenhagen habe ich vor drei Jahren aufgesucht. Wenn, will ich etwas Neues sehen. Wie wäre es mit Rom?«

»Dort lebt der Papst. Als Lutheraner, der Ihr seid, würde ich diesen Herrn nicht sehen wollen«, wandte Manfred ein. »Wenn Ihr Vergnügen sucht, dann wählt Venedig! Erzählte Graf Manteuffel nicht letztens, dass dort bald Karneval gefeiert wird? Es würde das Gemüt Eurer Durchlaucht gewiss aufheitern, daran teilzunehmen.«

Manfreds Vorschlag hatte etwas für sich. Manteuffel war ein Mann von Welt und hatte einiges über den während des Karnevals in der Lagunenstadt herrschenden Mummenschanz berichtet, so dass Friedrich Lust bekam, in diese Stadt zu reisen.

»Ich wünschte, Martin Just könnte mitkommen. Er war mir stets der angenehmste und amüsanteste Reisebegleiter«, sagte er nach einer Weile. »Aber Martin steht nun einmal in den Diensten von Fürst Ernst August von Sachsen-Weimar.«

»Der ihm auf Euren Wunsch hin gewiss Urlaub geben wird«, unterbrach Manfred seinen Herrn.

»Das würde er!« Friedrich überlegte kurz und lachte auf. »Es wäre wie damals auf meiner Kavalierstour! Bei Gott, das ist jetzt schon über acht Jahre her! Erinnerst du dich noch, wie Martin und ich, als der Ehemann der einen und Bruder der anderen Schönen überraschend zurückkehrten, aus dem Schlafzimmerfenster in einen Graben springen mussten und triefend nass in unser Quartier zurückgekehrt sind?«

»Ich muss bemerken, dass Euer Durchlaucht und Herr Martin damals wegen des Bades in diesem Graben nicht besonders gut gerochen haben«, erklärte Manfred und brachte seinen Herrn damit erneut zum Lachen.

Friedrich wurde aber rasch ernst. »Ich sollte mich mehr beherrschen, sonst hört mich noch eine der schleimigen Schlangen, die sich um Karoline Louises Füße ringeln, und meldet dieser, ich hätte gelacht, weil meine ungeliebte Gemahlin ihrer Niederkunft und damit ihrem Tod entgegensieht.«

Er kniff die Lippen zusammen. Die Vorwürfe seiner Ehefrau hatten ihn zutiefst verletzt. Auch wenn er Karoline Louise nicht aus Liebe, sondern der Pflicht gehorchend geheiratet hatte, weil seine Braut dem Familiengesetz zufolge aus einem mindestens gleichrangigen Haus stammen musste, hatte er alles getan, um ihr ein guter Gatte zu sein. Anders als viele Herren seines Standes hatte er auf eine Mätresse verzichtet und Karoline Louise nie Anlass zur Eifersucht gegeben.

Dabei gab es durchaus eine junge Frau, bei der sein Herz schneller schlug, wenn er an sie dachte. Ihr Rang war jedoch zu gering, um sie heimführen zu können, und er achtete sie zu sehr, um sie zu fragen, ob sie seine Mätresse werden wolle. Er seufzte und wandte sich Manfred zu.

»Ich werde deinem Vorschlag folgen und mich auf eine längere Reise begeben. Zuvor werde ich Weimar aufsuchen und Martin bitten, uns zu begleiten. Er will gewiss genauso wie ich etwas von der Welt sehen.«

»Wann wollen Eure Durchlaucht aufbrechen?«, fragte Manfred.

»Gleich morgen! Nimm die Kutsche mit dem Gepäck und fahre voraus. In Weimar nehme ich im Elephant Quartier. Melde mich als Baron Tiefenwald an. Ich reise inkognito.«

»Sehr wohl, Herr Baron!«

Manfreds Miene änderte sich um keinen Deut, obwohl etliches an Arbeit vor ihm lag. Er musste nicht nur die Reisetruhen seines Herrn und seine eigene packen, sondern auch dafür Sorge tragen, dass Kutschen ohne Wappen angespannt und der Kutscher und der Rest der Reisegesellschaft so gekleidet waren, dass sie nicht als Bedienstete des erst vor kurzem gefürsteten Hauses Schwarzburg-Friedrichsthal zu erkennen waren.

3.

Nicht nur für seinen Kammerdiener, auch für Friedrich gab es etliches vorzubereiten. So musste er seine Reisekasse füllen und überschlagen, wie viel Geld er in Münzen für eine Reise brauchte, die mehr als ein halbes Jahr dauern sollte. Dann suchte er zwei treffsichere Pistolen heraus, dazu seine Lieblingsflinte und einen Degen. Als er daran dachte, dass er Martin Just mitnehmen wollte, verdoppelte er die Zahl der Waffen. Danach suchte er einen Almanach heraus und las darin, was über die Länder geschrieben stand, die er aufsuchen wollte.

Dies stellte ihn vor die Frage, wohin er wirklich reisen wollte. Venedig und der dortige Karneval sollte nicht der Endpunkt seiner Reise sein, sondern erst der Beginn. Der Wunsch, Neues und Unbekanntes zu sehen, richtete seine Gedanken wieder auf das Osmanische Reich, denn dazu gehörte auch Griechenland, die Heimat der großen Weisen des Altertums. Es lockte Friedrich, Athen zu besuchen, die Stadt eines Themistokles und Sokrates. Konstantinopel drängte sich ebenso in seine Gedanken. Einst war es eines der großen Zentren des Römischen Reiches gewesen und die Stadt von Kaiser Justinian. Von da aus war es nicht mehr weit nach Zypern und von dort nach Jerusalem. Die Vorstellung, die Stätten zu sehen, an denen Jesus Christus gewirkt hatte, und seine Hand in das Wasser des Jordans tauchen zu können, hatte etwas Betörendes.

»Ich muss mit Martin darüber reden, damit er mir diese Flausen austreibt«, spottete Friedrich über sich selbst, dabei wusste er, dass sein Freund mit derselben Begeisterung wie er zu jenen geheimnisvollen Orten reisen würde.

Die Zeit für die Vorbereitungen war im Grunde zu kurz, doch gegen Abend konnte Manfred melden, dass am nächsten Morgen alles bereitstünde.

Friedrich nickte ihm dankbar zu. »Sehr gut! Mögen wir bei unserer Rückkehr ruhigere Wogen vorfinden.«

»Das ist auch meine Hoffnung.« Manfred verbeugte sich und trat dann auf Friedrich zu, um diesen für das Nachtmahl umzukleiden.

Angesichts der Stimmung im Schloss hatte Friedrich sich für gedeckte Farben entschieden und setzte die riesige, schwarze Perücke auf, die anderenorts bereits als unmodisch galt. Sein dunkelblauer Rock passte wie angegossen, ebenso seine leicht hellere Kniehose. Füße und Waden bedeckten allerdings helle Strümpfe, und seine Schuhe waren rot, um seinen hohen Rang zu betonen.

»Auf der Reise will ich mich schlichter kleiden und vor allem überall dort auf eine Perücke verzichten, wo sie nicht unbedingt notwendig ist«, erklärte Friedrich, als Manfred ihm das Halstuch reichte und mit Argusaugen zusah, wie sein Herr es selbst band.

»Das habe ich mir bereits gedacht und bei der Auswahl der Garderobe Eurer Durchlaucht darauf Rücksicht genommen«, antwortete sein Kammerdiener.

»Nenne mich ab jetzt Herr Baron«, forderte Friedrich ihn auf.

»Das werde ich ab dem Augenblick tun, in dem Eure Durchlaucht in der Kutsche sitzen und als Baron Tiefenwald auf Reisen gehen. Hier im Schloss würde es nur zu Irritationen führen.«

Manfreds Mahnung war berechtigt. Karoline Louises Entourage würde sofort annehmen, er reise inkognito zu seiner angeblichen Mätresse, und seine Gemahlin weiter gegen ihn aufhetzen.

»Sollen sie ruhig glauben, ich wolle nach Rudolstadt oder Sondershausen fahren, um die dortigen Verwandten zu besuchen«, sagte Friedrich und nickte seinem Kammerdiener dankbar zu.

»Wie ich vorhin von meiner Ehefrau erfahren habe, fühlt Ihre Durchlaucht sich zu unwohl, um das Mahl in Eurer Gesellschaft einnehmen zu können«, meldete Manfred.

»Für die Nachricht hast du dir einen Taler extra verdient«, rief Friedrich aufatmend, denn er hatte sich während des Essens bereits weiteren Beschimpfungen seiner Gemahlin ausgesetzt gesehen.

Es wurde ein angenehmes Mahl, da Karoline Louises Vertraute ebenfalls fernblieben und außer Friedrich nur jene drei Herren teilnahmen, die das kleine Fürstentum in seinem Namen verwalteten.

Friedrich erklärte ihnen, dass er sich auf eine längere Reise begebe, und sah alle drei verständnisvoll nicken.

»Das ist ein weiser Entschluss, Euer Durchlaucht«, erklärte sein Haushofmeister, der sich nur mit Grauen an die Ausbrüche der Fürstin während ihrer ersten Schwangerschaft erinnerte.

»Ich hoffe, es ist so weit alles in Ordnung, dass ich das Land ohne Sorge verlassen kann?«, wollte Friedrich wissen.

»Aber ja, Euer Durchlaucht«, erklärte sein Sekretär und stellte dann die Frage, die ihm am wichtigsten dünkte: »Soll ich Euch begleiten?«

Friedrich schüttelte den Kopf. »Da ich während der Zeit, in der meine Gemahlin guter Hoffnung ist, nicht zurückkehren werde, ist es besser, Ihr bleibt. Ich vertraue Euch mein Land und meine Familie an.«

»Ich danke Eurer Durchlaucht!« Der Mann verbeugte sich und wirkte erleichtert.

Auch wenn Schwarzburg-Friedrichsthal unter den Ländern des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation sowohl von der Größe wie auch von der Bevölkerungszahl her einen der hinteren Ränge einnahm, benötigte es eine funktionierende Verwaltung. Bei der ersten Schwangerschaft der Fürstin hatte er Friedrich auf dessen Reisen begleitet und sich nur während der kurzen Besuche seines Herrn zu Hause um seine Aufgaben als Verwalter kümmern können. Ihm war es damals nur mit Mühe gelungen, ein Chaos zu vermeiden. Wenn er jetzt noch länger hätte fernbleiben müssen, wären die Auswirkungen womöglich sehr viel schlimmer geworden.

»Wäre Schwarzburg-Friedrichsthal nicht nur ein kleiner Punkt auf der Karte des Reiches, sondern größer und bedeutender, würde ich Euch zum Kanzler oder Ersten Minister ernennen«, sagte Friedrich nachdenklich.

»Ich bin mit meinem Rang voll und ganz zufrieden«, antwortete sein Sekretär und meinte es ehrlich.

In bedeutenderen Residenzen würde er, da er keine Empfehlungen hatte und niemand ihn protegierte, nur einen nachrangigen Posten als Schreiber bekommen. Hier aber war er der Erste nach dem Fürsten und hielt in dessen Namen die Fäden der Verwaltung in der Hand.

»Eine Belohnung muss sein, und zwar für euch alle. Es sei euch erlaubt, mich nach meiner Rückkehr daran zu erinnern«, versprach Friedrich und ließ sich das Mahl schmecken.

Danach bat er die drei Herren in seinen Salon und erklärte ihnen bei einem Glas Cognac, was er während seiner Abwesenheit von ihnen erwartete. Als er sie verabschiedete, war es bereits spät.

»Eure Durchlaucht sollten sich zu Bett begeben. Ihr habt den Wagen zu früher Stunde bestellt«, mahnte ihn Manfred.

»Ich weiß! Trotzdem verlasse ich meine Gemächer noch einmal für kurze Zeit. Bereite alles für morgen vor!«, sagte Friedrich lächelnd zu seinem Kammerdiener, der ihm in all den Jahren zu einem väterlichen Freund geworden war, und trat zur Tür.

Ein Lakai öffnete ihm, und ein anderer ging ihm, da es in den Fluren bereits dunkel war, mit einer Laterne voraus.

Vor der Zimmerflucht, in der sein Sohn untergebracht war, wartete Friedrich, bis der Lakai die Tür geöffnet hatte. Innen war es noch hell, und er hörte, wie Gabi der Kinderfrau erklärte, dass sie Nachlässigkeit nicht dulde.

»Ich werde Seiner Durchlaucht vorschlagen, eine andere Wärterin für Prinz Friedrich bestimmen zu dürfen«, setzte Gabi mit Nachdruck hinzu.

Rasch trat Friedrich in die Kammer und sah die Wirtschafterin mit zornigem Gesicht vor der Kinderfrau stehen. »Was gibt es?«, fragte er angespannt.

Die beiden Frauen zuckten zusammen, denn im Allgemeinen mischten sich so hohe Herrschaften nicht in die Belange der Kinderbetreuung ein.

Gabi fasste sich als Erste. »Als ich vorhin nachsehen kam, ob alles in Ordnung wäre, hatten sowohl die Kinderfrau wie auch die Amme das Kinderzimmer verlassen und waren nicht aufzufinden.«

»Ich war nur kurz in den Gemächern Ihrer Durchlaucht, um ihr zu berichten, wie es ihrem Sohn geht«, sagte die Kinderfrau.

»Nur kurz?«, platzte Gabi heraus. »Die Windel des Kindes war schon länger nicht gewechselt worden! Ich habe es vorhin selbst getan.«

»Er muss erst kurz vorher in die Windeln gemacht haben«, verteidigte die Kinderfrau sich.

»Das hat er nicht!« Gabi klang zornig, denn die Kinderfrau hatte sich schon mehrfach als unzuverlässig erwiesen. Mit einer energischen Bewegung wandte sie sich Friedrich zu. »Wenn Eure Durchlaucht einverstanden sind, werde ich Ilse, die frühere Zofe Eurer Mutter, mit der Pflege Eures Sohnes betrauen. Ilse liebt Kinder und wird ihr Herzblut für den Kleinen geben.«

»Die Pflegerin des Erben bin ich!«, rief die Kinderfrau zornig. »Ich lasse mich nicht verdrängen, nur damit diese dumme Kuh einen Posten im Schloss bekommt. Weshalb ist sie denn zurückgekommen? Doch nur, weil ihre Herrin nicht mehr zufrieden mit ihr war und sie entlassen hat.«

Gabi verteidigte Ilse vehement. »Sie hatte sich den Arm gebrochen und wurde von Ihrer Durchlaucht Anna Sybilla hierhergeschickt, damit sie sich erholen kann. Auch wurde ich gebeten, sie hier, sobald ihr Arm wieder verheilt ist, nach ihren Möglichkeiten zu beschäftigen.«

Da Friedrich Ilse kannte, nickte er. »Tue, wie es dir am besten dünkt«, sagte er zu Gabi und musterte danach die bisherige Kinderfrau. Eine von Karoline Louises Hofdamen hatte sie holen lassen und sich, wie es jetzt aussah, wenig Mühe mit der Auswahl gegeben.

»Man soll ihr Geld geben, damit sie Friedrichsthal verlassen und mehrere Monate davon leben kann«, sagte er zu Gabi und wandte sich seinem Sohn zu. Der kleine Friedrich lag in seinem Bettchen, die kleinen Hände zu Fäusten geballt, und schien seinem regen Mienenspiel nach zu träumen. Er war gut ein Jahr alt, noch ein wenig zierlich, aber so gesund, wie ein Kleinkind es sein sollte. Auf jeden Fall hatte er einen gesunden Schlaf, denn er hatte sich von dem recht scharf geführten Gespräch nicht stören lassen.

»Mein Kleiner! Jetzt werde ich dich einige Monate lang nicht sehen.« Friedrich widerstand nur mit Mühe dem Wunsch, das Kind zu streicheln, da er es nicht wecken wollte.

Nach einem letzten Blick auf seinen Sohn wandte er sich an Gabi. »Kümmere dich um alles, was meinen Sohn betrifft!«

»Das werde ich! Als Erstes werde ich der Amme Beine machen, dass sie Fritzchen öfter stillt, und die Speisen überwachen, die er bereits zu sich nehmen kann. Er sollte ein wenig mehr auf den Rippen haben. Auch darum hat sich dieses dumme Ding hier nicht gekümmert!«

Sie warf der eben entlassenen Kinderfrau noch einen zornigen Blick zu und scheuchte sie aus dem Zimmer.

Friedrich folgte den beiden und wandte sich dann den Gemächern seiner Gemahlin zu. Dort beschied ihn deren Kammerfrau, dass Ihre Durchlaucht sich bereits zu Bett begeben habe. Sie stellte sich so vor die Tür des Schlafgemachs, als wollte sie ihn daran hindern, einzutreten.

Das hatte Friedrich auch nicht vor. »Teile Sie Ihrer Durchlaucht mit, dass ich mich bereits morgen auf Reisen begeben werde. Sie selbst soll sich von einer ihrer hochwohlgeborenen Freundinnen einen guten Arzt und Geburtshelfer empfehlen und diesen hierherholen lassen, auf dass ich sie in guter Obhut weiß.«

Mit den Worten drehte Friedrich sich um und verließ den von Parfümdüften überschwängerten Raum. Als er wieder in seiner Zimmerflucht angelangt war, forderte er Manfred auf, ein Fenster zu öffnen, damit er frische Luft atmen konnte.

»Ist für morgen alles bereit?«, fragte er.

Manfred nickte gravitätisch. »Dies ist es, Euer Durchlaucht!«

»Gut. Dann sagen wir unserer Heimat für etliche Monate Valet. Ich bin gespannt darauf, wie Martin meinen Vorschlag aufnehmen wird. Nicht, dass er in Weimarer Diensten bequem geworden ist und das Risiko scheut.«

»Was ich mir, wie ich Herrn Martin kenne, nicht vorstellen kann«, antwortete Manfred und half seinem Herrn, den straff anliegenden Rock auszuziehen.

4.

Friedrich reiste am nächsten Morgen ab, ohne seine Gemahlin noch einmal zu Gesicht zu bekommen. Es kam ihm wie eine Flucht vor, gleichzeitig aber auch wie eine Befreiung, denn seine Ehe mit Karoline Louise war alles andere als glücklich. Mehr denn je haderte er mit den Hausgesetzen, die ihm eine Ehe mit einer Frau unter seinem Stand untersagten. Nein, das taten sie nicht, korrigierte er sich selbst. Sie erklärten nur, dass die Kinder aus einer solchen Verbindung nicht erbberechtigt waren.

Er fragte sich, ob der Wunsch, Schwarzburg-Friedrichsthal als eigenständiges Fürstentum im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu erhalten, den Ärger mit seiner Ehefrau aufwog. Wohl hatte Karoline Louise ihm den erhofften Erben geboren und war erneut schwanger, daher konnte man ihr nicht vorwerfen, ihre Pflicht versäumt zu haben. Aus dem Grund hätte er sie auch gerne umsorgt und alles getan, damit das werdende Leben gesund zur Welt kam und seine Gemahlin die Niederkunft gut überstand. Aber diesen Dienst ließen ihre hysterischen Ausbrüche nicht zu.

Zum Glück konnte er zumindest sicher sein, dass Gabriele Haug sich um das Wohlergehen seiner Gemahlin kümmerte. Die Ehefrau seines Kammerdieners würde sich auch von den Mitgliedern des engeren Hofstaats um Karoline Louise nicht in die Führung des Haushalts dreinreden lassen. Ihr Mann musste ihn jedoch begleiten, und daher würde Gabi ihren Manfred erst in etlichen Monaten wiedersehen. Ein wenig bedauerte Friedrich dies, doch er konnte unterwegs nicht auf seinen Kammerdiener verzichten, der ihm auch als Reisemarschall dienen würde.

Auch Manfreds und Gabis Sohn Hartwig würde sie begleiten. Friedrich hatte vor, dem jungen Mann als Dank für die Treue seiner Eltern ein Studium zu ermöglichen, wollte aber, dass er zuvor etwas von der Welt sah. Manfred hatte den Jungen sofort unter die Lakaien eingereiht, die mit ihnen kommen würden.

Als Friedrich aus dem Fenster seiner Kutsche blickte, entdeckte er ein ganzes Stück vor sich den Wagen, mit dem Manfred als Reisemarschall vorausfuhr, um den Gasthof auszusuchen, in dem sie zu Mittag speisen würden. Anschließend würde Manfred zu jener Herberge weiterfahren, die als Platz für die Übernachtung vorgesehen war. Wenn Friedrich nachkam, würde das Abendessen für ihn bereitstehen und sein Bett mit der eigenen Bettwäsche überzogen sein.

Außer Manfreds Vorauswagen und seiner eigenen Kutsche gehörte noch ein Gefährt für das Gepäck zu ihrem Reisezug, dazu die drei Kutscher mit ihren jeweiligen Gehilfen sowie vier Lakaien, von denen zwei hinten auf seiner Kutsche standen und zwei in Manfreds Wagen mitfuhren, um alles für seine Ankunft an den einzelnen Raststellen vorzubereiten.

Die Reise verlief dank dieser guten Planung problemlos, und so rollte die Kutsche mit Friedrich bereits am Abend des zweiten Tages in Weimar ein. Nach der Kontrolle am Tor, bei der Friedrich sich als Baron Tiefenwald auswies, stieg er am Markt aus der Kutsche und machte sich zu Fuß auf zu Martin Justs Wohnung, während sein Reisezug vor dem Elephant hielt, um dort Quartier zu nehmen.

Nicht wenige sahen wohlgefällig hinter dem jungen Herrn im knielangen, dunkelblauen Samtrock und der fast ebenso langen, hellblauen Weste her, die seine hellbraune Kniehose fast ganz verdeckten. Friedrichs braune Perücke wurde von einem flachen Dreispitz gekrönt, und seine Socken waren so weiß wie Schnee.

So gekleidet betrat er kurz darauf das Haus, in dem Martin Just zwei große Zimmer bewohnte, und forderte den Hausbesorger auf, ihn bei seinem Freund anzumelden.

»Sehr wohl, gnädiger Herr! Der Herr Assessor ist vorhin gekommen und befindet sich in seinem Appartement. Ihr kommt gerade richtig, denn in Kürze würde der Herr Assessor gewiss in seinen Lieblingsgasthof gehen, um dort zu Abend zu speisen.«

»Ich wäre auch dorthin gegangen«, antwortete Friedrich und folgte dem Hausbesorger in den zweiten Stock, in dem sich nur die beiden Räume befanden, die Martin Just bewohnte.

Der Hausbesorger klopfte an die Tür und rief: »Herr Assessor! Hier ist ein Herr erschienen, der Euch zu sprechen wünscht.«

»Soll eintreten«, antwortete dieser freundlich.

Sofort riss der Hausbesorger die Tür auf und trat beiseite, damit Friedrich sie passieren konnte. »Bitte, der Herr!«, sagte er und hoffte auf ein Trinkgeld.

Gewohnt, dass sein Kammerdiener dies für ihn erledigte, vergaß Friedrich, ihm etwas zu geben, und ging direkt auf Martin zu.

»Willkommen, mein Freund!«, rief dieser erfreut und umarmte ihn.

Da er Friedrich kannte, reichte er dem Hausbesorger, der neugierig draußen stehen geblieben war, eine Münze und schloss eigenhändig die Tür. Dann füllte er zwei Gläser mit Wein und reichte eines dem Freund.

»Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?«, fragte er Friedrich und betrachtete ihn dabei mit Sorge.

Sie hatten einander zwei Jahre lange nicht gesehen, doch in der Zeit schien Friedrich noch unglücklicher geworden zu sein. Dafür aber gab es nach außen hin keinen Grund. Immerhin war Friedrich als der Vierte seines Namens Herr von Schwarzburg-Friedrichsthal und mit den edelsten Geschlechtern im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation verwandt. Selbst der erst vor kurzem beendete Krieg zwischen Preußens neuem König Friedrich II. und der ebenfalls neuen habsburgischen Regentin Maria Theresia hatte sein kleines Land nicht in Mitleidenschaft gezogen. Durch den Verkauf von Nahrungsmitteln und Viehfutter an die österreichischen, aber auch an die kaiserlichen und preußischen Truppen war sogar viel Geld nach Friedrichsthal geflossen.

Martin fiel etwas ein. »Wurde Schwarzburg-Friedrichsthal wegen der Hilfe, die es dem Kaiser geleistet hat, nicht letztens in den Rang eines Fürstentums erhoben?«

Friedrich nickte lachend. »Es hat Seiner Majestät, Kaiser Karl VII. tatsächlich gefallen, die Fürstenkrone auf mein Wappen zu setzen, nachdem ich zugelassen habe, dass eines seiner halbverhungerten bairischen Regimenter bei deren Rückzug vor Maria Theresias Truppen von Friedrichsthal aus mit Lebensmitteln versorgt wurde. Mich bedrückt die Rangerhöhung eher, denn ich komme mir vor wie ein Sperling, der mit Adlern und Falken fliegen soll. Immerhin wird Schwarzburg-Friedrichsthal von etlichen Grafschaften in Preußen, Sachsen und Österreich sowohl an Größe wie auch an Einwohnern übertroffen. Die Einzige, der mein neuer Rang sehr gefällt, ist Karoline Louise.«

»Diese Meinung solltest du besser für dich behalten. Wenn sie allgemein bekannt würde, könnte man dich für äußerst verschroben halten. Immerhin versucht jeder Edelmann im Heiligen Römischen Reich, seinen Stand und sein Renommee zu verbessern!«

Auch Martin lachte und fragte sich, wie verzweifelt Kaiser Karl VII. gewesen sein musste, wenn er einen vergleichsweise geringen Dienst gleich mit einer solchen Belohnung vergalt.

»Ich erzähle den Grund für die Rangerhöhung nur dir, denn wir sind Freunde. Du wirst es gewiss nicht weitertragen.« Obwohl Friedrich lächelte, blieb ein bitterer Ausdruck auf seinem Gesicht.

»Ich werde selbstverständlich schweigen«, antwortete Martin und musterte Friedrich genauer. »Irgendetwas bedrückt dich!«

»Sehe ich so betrübt aus?«

»Das nicht, aber ich spüre es! Immerhin waren wir fünfzehn Jahre lang fast jeden Tag zusammen. Da bemerkt man vieles, was anderen entgeht.«

»Und du hast recht. Ich fühle mich bedrückt. Meine allergnädigste Frau Gemahlin ist zum zweiten Mal guter Hoffnung. Danke Gott, Martin, dass du dir dein Weib einmal aussuchen kannst, wie du es willst, und nicht von Konventionen und Traditionen gezwungen wirst, diejenige deines Standes zu heiraten, die dir am wenigsten missfällt.« Friedrich seufzte und winkte dann mit beiden Händen ab. »Ich hätte anders entscheiden sollen, doch Karoline Louise entsprach genau den Anforderungen, die die Gemahlin eines Reichsgrafen von Schwarzburg-Friedrichsthal erfüllen muss. Ich Narr dachte, sie wäre noch die beste Wahl. Der Name Karoline Xanthippe hätte jedoch besser zu ihr gepasst.«

»Ist es so schlimm?«, fragte Martin, der Friedrichs Gemahlin nur bei der Hochzeit und noch einmal vor zwei Jahren bei einem kurzen Besuch gesehen hatte.

»Es ist noch schlimmer!« Friedrich lachte bitter und schüttelte den Kopf. »Sie hat sich bereits während ihrer ersten Schwangerschaft schlimmer aufgeführt als ein Marktweib und mir bei allem, was ich ihr anempfohlen habe, vorgeworfen, ihren Tod zu wollen, um …«

Er rettete sich in ein Hüsteln. Das, was ihm auf der Zunge gelegen hatte, durfte er selbst Martin nicht offenbaren.

»Sie beschuldigte mich, ich wolle eine meiner Geliebten heiraten, die ich angeblich haben soll«, fuhr er fort. »Dabei weiß sie genau, dass laut der Verfügung meines Ahnen, Friedrichs I., der jeweilige Herr von Schwarzburg-Friedrichsthal aus dem Schoß einer hochadeligen Dame kommen muss. Wie soll ich da eine Tänzerin oder ein bürgerliches Mädchen heiraten? Die Reichsgrafschaft würde nach meinem Tod wieder an das Reich und damit an den Kaiser zurückfallen, und meine Nachkommen würden nur ein einfaches von Friedrichsthal im Namen tragen.«

»Aber sie hat dir doch vor etwas mehr als einem Jahr den ersehnten Erben geboren. Ist sie damit denn nicht zufrieden?«, fragte Martin verwundert.

Friedrich senkte betrübt den Kopf. »Zufrieden? Bei Gott, sie wirft mir vor, keine Rücksicht auf sie genommen und sie zu schnell wieder geschwängert zu haben. Sie werde diese Schwangerschaft gewiss nicht überleben, und dann könne ich meine Hure heiraten.«

»Wenn ich dich so anhöre, bin ich froh, bislang noch nicht auf Freiersfüßen gegangen zu sein.«

Martin tat der Freund leid, denn Friedrich war ein gutaussehender junger Mann mit ausgezeichneten Manieren, stets freundlich und zuvorkommend und niemand, der einem anderen etwas Schlechtes wünschte.

»Du solltest dem weiblichen Geschlecht nicht mit Verachtung begegnen«, mahnte Friedrich ernst. »Wohl gibt es Frauen wie Karoline Louise, doch andere wie deine Frau Mutter sind dagegen wie ein heller Stern.«

»Das ist sie! Meine Mutter hat das Herz auf dem rechten Fleck.«

Martin lächelte. Seine Mutter war in ihrer Heimatstadt Königsee so etwas wie eine Berühmtheit. Als junges Mädchen war sie als Wanderapothekerin durch die Lande gezogen, um der Familie Heimat und Brot zu erhalten. Nach der Heirat mit seinem Vater hatte sie diesen aus dem Kerker gerettet, in den man ihn wegen eines Mordes gesteckt hatte, der von einem anderen begangen worden war. Vor etwa zwanzig Jahren hatte sie sich Friedrichs angenommen und diesen vor Attentätern gerettet, die ihn hatten umbringen wollen. Als Dank dafür war er selbst zusammen mit Friedrich erzogen worden und hatte gemeinsam mit ihm studiert. Nun konnte er sich Doktor Martin Just nennen, und ihm standen Türen offen, die für den Sohn eines einfachen Laboranten aus Schwarzburg-Rudolstadt verschlossen geblieben wären.

»Auch deine Schwestern stechen unter den Frauen und Mädchen heraus.« Friedrich dachte vor allem an Lena, die Ältere der beiden.

Lena war schön, wenn auch ein wenig spottlustig, und hatte als Patenkind des Herrn von Tengenreuth eine ausgezeichnete Bildung erhalten. Außerdem war sie die einzige junge Frau, für die er mehr als nur eine gewisse Zuneigung empfand.

»Gibt es bereits einen jungen Mann, der Lenas Herz oder das von Hilde gewonnen hat?«, fragte er.

Martin schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste. Dabei wäre es bei Lena an der Zeit. Sie ist immerhin schon fünfundzwanzig Jahre alt und wird, wenn sie nicht aufpasst, noch als alte Jungfer enden. Sie gibt sich aber auch alle Mühe, dies zu werden. Jeder junge Mann, der sich um sie bewerben will, muss nicht nur ihre Zunge fürchten, sondern auch ihren Zeichenstift! Bei ihrem letzten Besuch hat sie eine ihrer Zeichenmappen hiergelassen. Bis jetzt habe ich mir nur die Porträts ihrer Verehrer angesehen. Vielleicht hast du Lust, sie ebenfalls zu betrachten, damit du weißt, was ich meine?«

»Sehr gerne! Lena ist eine ausgezeichnete Zeichnerin und Malerin und könnte damit ihr Brot verdienen.«

Friedrich war auf die Bilder neugierig, während sein Freund kurz auflachte.

»Lena wollte zwei Gemälde verkaufen, doch als ihr nur ein Viertel dessen geboten wurde, was ein junger Maler für seine Bilder erhalten hat, obwohl diese schlechter waren als die ihren, hat sie abgelehnt«, erklärte Martin, während er die Zeichenmappe aus dem Schrank zog.

»Lena ist anscheinend sehr fleißig gewesen«, sagte er lachend und öffnete die Mappe. »Magst du noch ein Glas Wein?«

Friedrich hatte sein Glas geleert und reichte es ihm nun. »Gerne! Dein Wein ist so, wie ich ihn am liebsten trinke.«

»Schließlich kenne ich dich lange genug!« Martin lächelte und füllte beide Gläser. Sein Freund sah sich unterdessen die Bilder an und musste trotz seiner trüben Stimmung lächeln.

»Deine Schwester ist wirklich ein Biest! Sieh dir an, wie sie diesen Jüngling dargestellt hat. Ist er so stattlich gebaut?« Friedrich wies auf eine Zeichnung, bei der ein junger Mann von enormem Umfang abgebildet war.

»Es handelt sich um den Sohn eines Amtmannes aus Hessen-Kassel. Er war über dieses Bild äußerst empört, ebenso der Nächste über das seine!« Als Martin das Blatt umschlug, kam die Zeichnung eines jungen Mannes zum Vorschein, der sich durch steckendürre Beine und einen mageren Brustkorb auszeichnete.

»Lena ist wirklich eine Spottdrossel«, stimmte er Friedrich zu und nahm sich die nächste Zeichnung vor. Diese zeigte ebenfalls einen jungen Mann mit übertriebenen Makeln.

Friedrich strich sich nachdenklich über die Stirn. »Ein Mann, der Lena wirklich liebt, würde über die Bilder lachen und ihr sagen, sie hätte ihn ausgezeichnet getroffen.«

»Die jungen Herren, die bei ihr vorgesprochen hatten, waren im Grunde nur an der Mitgift interessiert, die Herr von Tengenreuth für sie ausgeschrieben hat, und sehr verärgert, weil sie diese nicht einsacken konnten«, antwortete Martin bissig.

»Dann waren es Narren!«, erwiderte Friedrich und blätterte weiter. Das nächste Bild zeigte seine Gemahlin Karoline Louise mit einem äußerst hochmütigen Ausdruck, mit dem sie die spitze Nase zur Decke streckte.

»Das muss Lena gezeichnet haben, als sie uns kurz nach der Geburt meines Erbens in Herrn und Frau von Tengenreuths Begleitung besucht hat«, sagte Friedrich leise. »Sie hat mein Weib ausgezeichnet getroffen, denn für diese sind einfache Leute Dreck unter den Füßen. Man sollte ihr nach Xanthippe noch einen zweiten Beinamen geben, nämlich Arroganzia!«

Martin begriff, dass sein Freund seine Frau von Herzen verabscheute. Für die weitere Ehe versprach dies nichts Gutes. Um Friedrich auf andere Gedanken zu bringen, lachte er gepresst und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, meine Schwester hat nur drei Menschen mit solchen Porträts verschont, nämlich meine Eltern und dich! Ich hingegen bin bereits mehrfach ihrem spitzen Pinsel zum Opfer gefallen.«

Friedrich blätterte das Blatt mit seiner Gemahlin um. Auf dem nächsten Bild sah er sich selbst verewigt. An seiner Figur war nichts auszusetzen, auch wenn seine Kleidung arg übertrieben wirkte. Sein Gesicht wies jedoch einen derartig dümmlichen Ausdruck auf, dass Martin sich für seine Schwester schämte.

»Wie kam Lena dazu, dich in einer solchen Weise zu zeichnen? Wenn die Eltern dieses Bild sehen, wird sie sich wünschen, es niemals gemalt zu haben!«

Friedrich hob beschwichtigend die rechte Hand. »Ereifere dich nicht. Es gibt wahrlich Schlimmeres auf der Welt als diese Zeichnung deiner Schwester.«

Da sein Freund dieses Thema offenbar nicht weiterverfolgen wollte, nahm Martin ihm die Zeichenmappe ab und legte sie beiseite. »Sage mir lieber, was dich dazu getrieben hat, dein geliebtes Friedrichsthal zu verlassen und mich aufzusuchen. Du bist gewiss nicht ohne Grund gekommen.«

»Dir kann man nichts verheimlichen«, antwortete Friedrich, der noch immer das wenig schmeichelhafte Bild vor sich sah. Hatte Lena nicht recht gehabt, ihn so zu porträtieren?, fragte er sich. Immerhin hatte seine Gemahlin sie damals in seiner Gegenwart übelst beleidigt, und er war nicht in der Lage gewesen, Karoline Louise so zurechtzuweisen, wie sie es verdient hätte. Traurigkeit überkam ihn, denn mit Lena hatte er die einzige Liebe seines Herzens verloren und wusste nicht einmal, ob sie noch bereit war, ihn als Freund anzusehen.

Er nahm sich zusammen, trank einen Schluck Wein und betrachtete die Wohnung, die Martin gemietet hatte. Sie bestand aus zwei Zimmern, von denen das eine zum Schlafen und das andere zum Wohnen diente. Durch die offene Schlafzimmertür blickte er auf ein schmales Bett, einen Schrank und einen Waschtisch, während das Zimmer, in dem sie sich befanden, über einen Tisch mit zwei Stühlen, einen Ohrensessel, einen Schreibsekretär und eine große Kommode verfügte.

Auf jemand wie ihn, der ein großes Schloss gewohnt war, wirkte diese Umgebung einengend. Trotzdem würde er sich in nächster Zeit an ähnliche Unterkünfte gewöhnen müssen. Nachdem er sein Glas wieder auf den Tisch gestellt hatte, sah er Martin mit einem schmerzlichen Lächeln an.

»Meine allerholdeste Gemahlin sagte, sie könne es nicht mehr ertragen, mich zu sehen. Daher habe ich beschlossen, Friedrichsthal zu verlassen und erst zurückzukehren, wenn ihre Schwangerschaft vorbei und das Kind glücklich zur Welt gekommen ist.«

»Bis dorthin wird es doch gewiss noch Monate dauern!«, rief Martin überrascht.

»Beinahe sieben – und ich würde noch zwei dazutun«, antwortete Friedrich bitter.

»Und was willst du in der Zwischenzeit unternehmen?«

Friedrichs Miene entspannte sich etwas. »Ich werde auf Reisen gehen und frage dich, ob du mitkommen willst. Nachdem dieser dumme Krieg zwischen Preußen und Österreich endlich vorbei ist, stehen uns alle Wege offen.«

Zwar stand Martin in den Diensten des Fürsten von Sachsen-Weimar, doch er wusste, dass er jederzeit unbegrenzten Urlaub erhalten würde, um Friedrich zu begleiten. Daher nickte er, ohne zu zögern, und stellte die Frage, wohin die Reise gehen sollte.

»Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht«, antwortete Friedrich ausweichend. »Es sollen allerdings nicht dieselben Städte sein, die wir beide bei meiner Kavalierstour besucht haben.«

»Dann bleibt nicht mehr viel übrig, es sei denn, du willst zu den Muselmanen oder gar weiter nach Indien reisen.«