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rowohlts monographien

begründet von Kurt Kusenberg

herausgegeben von Uwe Naumann

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2019

Copyright © 1969 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

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Redaktionsassistenz Katrin Finkemeier

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Umschlagabbildung ullstein bild – histopics (Jacques Offenbach. Fotografie von Nadar, um 1870)

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ISBN Printausgabe 978-3-499-50155-5 (5. Auflage 1997)

ISBN E-Book 978-3-644-00426-9

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-00426-9

Anmerkungen

Namensänderungen dieser Art waren bis zum Inkrafttreten des Personenstandsgesetzes (in Preußen seit 1874, im Reich seit 1875) verhältnismäßig einfach durchzuführen.

Eine erneute Ausweisung der seit 1798 wieder zugelassenen Juden wird erwogen; die im Kölner Theater gegebene Posse «Unser Verkehr» nimmt es mit jeder späteren Art von «militantem Antisemitismus» auf.

Die jüdische Reformbewegung des 19. Jahrhunderts bringt zunächst eine Einführung der Landessprache in den bis dahin rein hebräischen Gottesdienst, dann Überprüfung aller Sitten und Gebräuche mit dem Ziel völliger Assimilation an die Gastvölker.

Bernhard Romberg (1767–1841), Begründer der deutschen Violoncellistenschule; ausgedehnte Konzertreisen, zeitweilig auch Professor am Pariser Conservatoire, Solocellist der Berliner Hofkapelle, Komponist vieler Virtuosenstücke für sein Instrument.

Aus den Jugenderinnerungen von Julia Offenbach-Grünwald, die diese Schwester des Komponisten 1902 aufgezeichnet hat; zit. n. Henseler: «Jakob Offenbach». Berlin 1930.

Webers «Freischütz» und «Preciosa», Beethovens «Fidelio» gehören ebenso zum damaligen Kölner Spielplan wie Aubers «Stumme» und «Maurer und Schlosser», Meyerbeers «Robert der Teufel», Rossinis «Teil» und «Barbier», Opern von Gaveaux, Boieldieu, Isouard, Paer und Spontini sowie die Vaudeville-Literatur von Angely, Blum und Holtei.

«Divertissementchen»: zu dieser wichtigsten Form des Kölner Karnevalstheaters, das Offenbach stärkste Anregungen gegeben hat, vgl. Carl Niessen: «Das rheinische Puppenspiel». Bonn 1928; J.J. Merlo: «Zur Geschichte des Kölner Theaters im 18. und 19. Jahrhundert». Köln 1890; W. Walter: «Der Karneval in Köln» (1873) sowie die gesamte Kölner Karnevalsliteratur, u.a. die Alben der Gesellschaft «Humorrhoidaria», usw.

Den Aufenthalt an der Grenze schildert sehr gut Alphons Silbermanns «Das imaginäre Tagebuch des Herrn Jacques Offenbach», Berlin 1960.

Darstellung Offenbachs im «Artiste» 1855, zit. n. Henseler, a.a.O.

Offenbach bewohnte mit anderen jungen Leuten zusammen eine Mansarde in dem Hause Rue des Martyres Nr. 23, in dem auch Heine gewohnt hat. Er ist dem Dichter jedoch nie begegnet.

Aus Offenbachs Autobiographie 1866.

Aus Offenbachs Histoire d’une valse (zwischen 1872 und 1876).

«Le Ménestrel» vom 19. März 1837.

Friedrich von Flotow: «Erinnerungen» («Deutsche Revue» 1881).

Die Legende vom «bösen Blick» Offenbachs hat ihn seit seinen Virtuosen-Jahren begleitet. Von ihr ist auch noch die aus viel späterer Zeit stammende Karikatur «Offenbach jettatore» inspiriert.

Le Moine bourru ou les deux poltrons ist der Originaltitel dieses ersten Buffo-Einakters. Seine «Unheimlichkeit» zog er aus der Erinnerung an den Mönch aus Victor Hugos «Glöckner von Notre-Dame». Die deutsche Übersetzung machte ihn zum «Knecht Rupprecht».

Brief vom 8. Juni 1844, zit. n. Brancour: «Offenbach». Paris 1929.

Mit Recht weist Henseler in seiner Offenbach-Biographie darauf hin, dass erst die deutsche Übersetzung aus dem Groß-Auguren in der Schönen Helena einen Oberrabbiner gemacht hat!

Adolphe Adam (1803–56), Komponist des «Postillon von Lonjumeau».

Zitat aus Offenbachs Selbstbiographie im «L’Autographe» 1864.

Die inzwischen aufgelösten und im Belagerungszustand verbotenen Bürgerwehren werden verulkt.

Siehe Anm. 20.

Ebd.

Ebd.

Léon und Fromental Halévy sind Söhne eines aus Deutschland eingewanderten jüdischen Tempelsängers, der lange Jahre in Paris als Vorbeter in einer der großen Synagogen tätig war.

Musiquette: von dem Kritiker Paroisse-Pougin (Pseudonym Pol Dax) erstmals angewandte Bezeichnung für «leichte Musik», aber auch für einaktige kleine Operchen und Operetten, eigentlich genau auf Offenbachs Einakterkunst geprägt; hierfür auch mit Vorliebe immer wieder angewandt.

Saynette: eigentlich spanische Bezeichnung für Lustspiel, Vaudeville, leichte Operette. Das Zitat stammt aus einem Brief Offenbachs an Alfred von Wolzogen, 1860; zit. n. Henseler, a.a.O.

Offenbachs Abhandlung über die Komische Oper aus dem Jahre 1856 ist ungekürzt in deutscher Übersetzung bei Henseler, a.a.O., und Silbermann, a.a.O., abgedruckt.

Offenbach hat seiner Mozart-Verehrung des Öfteren Ausdruck verliehen. Den Gedanken einer Mozart-Parodie hat er scharf zurückgewiesen. Die Bezeichnung «Mozart der Champs-Élysées» stammt nicht von ihm, sondern von Rossini. Besonders zur Zeit der Arbeit an Hoffmanns Erzählungen hat Offenbach sich viel mit der Lebensgeschichte Mozarts befasst.

Das Stück des Herzogs von Morny, an dem außer ihm die Librettisten Halévy, Crémieux und Lépine mitgearbeitet haben, das Offenbach vertont und 1861 aufgeführt hat, heißt «Monsieur Choufleuri restera chez lui le …». Es ist auch in der deutschen Fassung als «Salon Pitzelsberger» bekannt und oft aufgeführt worden.

So der zeitgenössische Kritiker Francisque Sarcey, zit. n. Schneidereit: «Jacques Offenbach». Leipzig 1966.

Zit. n. Silbermann, a.a.O.

Richard Wagner hat Offenbach diese Karikatur nie verziehen. Die große Zahl seiner feindseligen Äußerungen gegen Offenbach und seine Kunst ist bekannt. In einem dem französischen Komponisten Auber gewidmeten Artikel äußerte er über Offenbach: «Da ist nun allerdings die Wärme; die Wärme des Düngerhaufens: auf ihm konnten sich alle Schweine Europas wälzen.» In dem Lustspiel-Pamphlet «Eine Kapitulation», in dem Wagner Offenbach und ganz Frankreich nach der Niederlage von 1871 verhöhnt hat, widmete er Offenbach folgende Verse: «O wie süß und angenehm, / Und dabei für die Füße so recht bequem! / Krak! Krak! Krakerakrak! / O herrlicher Jack von Offenback!» Nach dem Ringtheaterbrand in Wien, der Hunderte von Opfern forderte und vor Beginn der zweiten deutschsprachigen Aufführung von Hoffmanns Erzählungen ausbrach, äußerte sich Wagner nach der Mitteilung seines Biographen Glasenapp wie folgt: «Was in einem solchen Theater beisammensitzt, ist das nichtsnutzigste Volk. Wenn in einer Kohlengrube Arbeiter verschüttet werden, da ergreift und empört es mich, da kommt mir das Entsetzen an über eine Gesellschaft, die sich auf solchem Wege Heizung verschafft. Wenn aber so und so viele aus dieser Gesellschaft umkommen, während sie einer Offenbachschen Operette beiwohnen, worin sich auch nicht ein Zug von moralischer Größe zeigt, – das läßt mich gleichgiltig, das berührt mich kaum.»

Das schönste Stück daraus, die Valse des rayons, hat Offenbach selbst noch in zwei weiteren Werken verwandt, einmal im großen Ballett seiner einzigen durchkomponierten Oper Die Rheinnixen, dann in einem Tanzbild des Roi Carotte. Im Jahre 1908 tauchte dieses Stück in einer Revue des Moulin-Rouge als Apachentanz auf und ist seitdem nie wieder aus den populären Musikprogrammen verschwunden.

Der Librettist Nuitter, ein Freund Offenbachs, war Advokat und hieß eigentlich Charles Truinet. Als Archivar der Pariser Oper hat er deren Geschichte geschrieben.

Alfred von Wolzogen, nicht zu verwechseln mit seinen Söhnen, dem Überbrettl-Autor Ernst von Wolzogen und dem Herausgeber der «Bayreuther Blätter», Hans Paul von Wolzogen.

Aus dem nachgelassenen Tagebuch des Schriftstellers Horace de Viel-Castel (1802–64), zit. n. Schneidereit, a.a.O.

Zitiert aus dem 5. Band der «Geschichte der französischen Literatur» von Victor Klemperer. Leipzig 1926.

Zitat aus Bekker: «Jacques Offenbach». Berlin 1909.

Zit. n. Silbermann, a.a.O.

Ebd.

Zitiert nach der Neuübertragung von Walter Felsenstein und Horst Seeger (Komische Oper, Berlin).

Aus einer Kritik von Oscar Bie im «Berliner Börsen-Courier», Juni 1929.

Die Neuinszenierung Walter Felsensteins in der Berliner Komischen Oper (1963) hat das Werk für unsere Zeit neu entdeckt und populär gemacht.

Zitiert aus «Die Fackel». Hg. von Karl Kraus. XXIX. Jahr, Nr. 757–758, April 1927.

Ludovic Halévy: «Notes et souvenirs 1871–1872». Paris 1889.

Neben Josephine Gallmeyer stellt «die Geistinger» für lange Jahre den Typus der Wiener Offenbach-Sängerin dar.

Siehe Anm. 45.

Als «Robinsonade» in Neufassung von Walther und Winkler auch in den dreißiger Jahren und nach dem Zweiten Weltkrieg wieder in Deutschland aufgeführt.

Die absurde Hof-, Liebes- und Verwechslungsgeschichte der Insel Tulipatan wirkt auf den heutigen Zuschauer fast wie eine vorweggenommene Parodie auf die spätere sentimentale Wiener Operette mit ihren Serenissimus- und Tanzscherzen.

Die Neufassung von Karl Kraus – aus zwei französischen Versionen zusammengestellt – hat dem Werk seit der Erstaufführung in der Berliner Krolloper 1931 eine Renaissance auch in Deutschland gebracht.

Zitiert aus einer Kritik von Walter Schrenk («Deutsche Allgemeine Zeitung», Berlin, 28. März 1931).

Nach Silbermanns «Tagebuch» (s. Anm. 8) sah die Liste der Aufführungen Offenbach’scher Werke für das Jahr 1869 folgendermaßen aus: Januar – Kairo: Schöne Helena; New York: Périchole; Wien: Périchole. Februar – Stockholm: Périchole. März – Brüssel: Geneviève; Paris (Opéra Comique): Vert-Vert; Paris (Bouffes): La Diva; New York: Pariser Leben. Mai – Wien: Tulipatan; Dublin: Großherzogin; Neapel: Orpheus. Juni – Salt Lake City: Großherzogin; Mexico City: Orpheus; London: Blaubart; Rio de Janeiro: Périchole. Juli – London: Orpheus; Berlin: Tulipatan; Madrid: Pariser Leben; Baden-Baden: Prinzessin von Trapezunt. August – London: Lieschen und Fritzchen; Prag: Périchole; Graz: Lieschen und Fritzchen; Graz: Tulipatan. September – Madrid: Geneviève; Prag: Orpheus; New York: Pariser Leben. Oktober – Kairo: Großherzogin; Valparaiso: Die beiden Blinden; Lissabon: Helena. November – Madrid: Blaubart; Madrid: Helena; Warschau: Helena; Valparaiso: Orpheus. Dezember – Paris (Bouffes): Trapezunt; Paris (Variétés): Banditen; Paris (Bouffes): Romance de la Rose; Neapel – Blaubart; Valparaiso: Großherzogin; Algier: Périchole.

Siehe Anm. 46.

Worte von Karl Kraus aus der «Fackel», XXXVII. Jahr, Nr. 916, November 1935. Seit einer Reihe von Jahren wird Die Kreolin am Münchner Gärtnerplatztheater in einer ausgezeichneten Neufassung von Ika Schafheitlein und Helmut Gauer gegeben.

Zit. n. Silbermann, a.a.O.

Offenbachs Notes d’un musicien en voyage wurden 1877 von ihm zusammengestellt und von seinem Freund, dem Kritiker Albert Wolff, herausgegeben und eingeleitet. Von Reinhold Scharnke stammt die verdienstvolle deutsche Übersetzung, Einleitung und Herausgabe (Berlin 1957)

Siehe Anm. 57.

Es ist die Operette «Le Petit Duc» von Lecocq, die zur Weltausstellung 1878 uraufgeführt wird und gerade wegen des geschickten Buches der beiden früheren Offenbach-Librettisten einen starken Erfolg hat.

Offenbach (in der Histoire d’une vals) und alle seine Biographen haben die Geschichte des «Walzers von Zimmer» erzählt, die Geschichte jener Wiegenlied-Melodie, von der Offenbach nur acht Takte kannte. Als er schließlich nach Jahren den Autor fand, starb dieser, ein alter, verlassener Mann, während einer Reise Offenbachs und hinterließ ihm mit anderen Reliquien die Aufzeichnung des Walzers, den Offenbach dann drucken ließ.

Auch Heinrich Heine berichtet («Die Romantische Schule», II, 1833), welch «große Reputation» E.T.A. Hoffmann in Frankreich hat. Auch vor den Contes d’Hoffmann sind seine Erzählungen u.a. von George Sand dramatisiert worden.

Jules Barbier und Michel Carré sind auch die Librettisten von Gounods Faust-Oper «Margarethe» und Thomas’ «Mignon».

1879 an Carvalho, den Direktor der Opéra-Comique.

Im ersten Spieljahr erlebte Hoffmanns Erzählungen in Paris 100 Wiederholungen. Am 7. Dezember 1881 fand in Wien die bejubelte deutschsprachige Erstaufführung statt. Am Abend darauf forderte der Ringtheaterbrand 400 Todesopfer, und die Oper galt als «Unglückswerk». Ein neuer Aufstieg zu einem der beliebtesten Werke des internationalen Repertoires begann 1905 mit der berühmten Aufführung in Hans Gregors Berliner Komischen Oper, die in der Inszenierung von M. Moris in sechs Jahren 400 Wiederholungen erlebte. Seitdem ist das Werk Besitz aller Opernbühnen. Berühmt unter unzähligen anderen Inszenierungen wurde die Aufführung der Krolloper Berlin im Bauhaus-Stil (1929, Ausstattung: Moholy-Nagy), Max Reinhardts Pracht-Inszenierung im Großen Schauspielhaus (mit Textergänzungen von Egon Friedell und Hans Sassmann, musikalischer Einrichtung von Leo Blech). In dieser Fassung wurde das Stück bei 3000 Zuschauerplätzen von November 1931 bis April 1932 einhundertfünfundsiebzigmal gegeben. In jüngerer Zeit haben Otto Maag und Hans Haug eine neue musikalische Fassung und deutsche Übersetzung vorgelegt. Sie wie auch Walter Felsenstein haben versucht – Letzterer unter Verwendung von Originaldialogen aus Barbiers und Carrés Schauspiel –, die mutmaßliche Urgestalt des Werkes wiederherzustellen. In allen Fassungen ist Offenbachs nachgelassener Oper der Erfolg gleichermaßen treu geblieben.

Hortense Schneider hat Offenbach um Jahrzehnte überlebt. Wie die Ex-Kaiserin Eugénie starb sie erst im Jahre 1920.

Hier sei auf die ausgezeichnete Arbeit von Siegfried Dörffeldt verwiesen: «Die musikalische Parodie bei Offenbach» (Dissertation. Frankfurt a.M. 1954), die die Frage der Musikparodie bei Offenbach von allen Gesichtspunkten aus erschöpfend behandelt.

Zitiert aus Oscar Bie «Der Tanz» (1925).

Hingewiesen sei besonders auf die grundlegende deutsche Offenbach-Biographie von Anton Henseler (s. Anm. 5), in der – zumindest auszugsweise – die abfälligen Urteile über Offenbach aus Literatur und Musikkritik zusammengetragen und den positiven Stimmen über seine Persönlichkeit und sein Werk gegenübergestellt sind.

Zitiert aus Hanslick «Die moderne Oper» (Berlin 1875–1884).

Aus einem Artikel in der Wiener Musikzeitschrift «Anbruch», 1929.

Buchtitel der deutschen Ausgabe von «The Joy of Music» (London 1960).

Jüdisches Elternhaus am Rhein

Am 20. Juni 1819 wird dem Synagogenkantor und Musiklehrer Isaac Offenbach in Köln, im Hause Alter Griechenmarkt Nr. 1, von seiner Frau, der geborenen Marianne Rindskopf, der zweite Sohn, das siebte Kind, geschenkt. Der Knabe erhält den Namen Jakob (Jacob). Das Geburtshaus steht nicht sehr weit entfernt von jenem Platz, der heute seinen Namen trägt.

Der Kölner Offenbachplatz mit seinem symbolgeschmückten Brunnen liegt vor dem nach dem Zweiten Weltkrieg neu erbauten Theaterkomplex der Stadt Köln, neben der berühmten Glockengasse, die für die Familie Offenbach eine fast gleich bedeutsame Rolle wie für den internationalen Ruhm der Rheinmetropole spielt. Er zeigt im Straßenschild Namen, Lebensdaten und Beruf des heute vielleicht berühmtesten Kölners an. Jenen Namen, der von 1933 bis 1945 in seiner Heimat nicht genannt werden durfte, den Namen eines Musikers, der alles andere als ein «Klassiker» ist, dessen Bild und Werk heute wie vor fünfzig, vor hundert Jahren umstritten, von den einen hymnisch gelobt, von den anderen eifervoll verdammt wird, dessen Erscheinung, Wirken und Schaffen aber aus dem Europa des 19. und 20. Jahrhunderts nicht wegzudenken ist.

Einen halben Kilometer vom Offenbachplatz an der neuen Kölner Oper entfernt, befindet sich die Straße oder Gasse, in der bis 1870 das Geburtshaus Offenbachs stand. Die Gegend hat sich heute verändert. Kaum zu ahnen, dass dieser Straßenzug ein Teil des Kölner Judenviertels war, in dem das kleine «Jaköble», auch «Köbesche» genannt, Trödlerwagen, Handelslärm, Verkäufergeschrei, das Volkstreiben aufgeregten Marktbetriebes als ersten Jugendeindruck mitbekommt und bewahrt. Diesen Lärm, dieses Gedränge, die Rufe in echt Kölscher Mundart, untermischt mit uraltem Ghetto-Jargon, wird Offenbach ebenso wenig vergessen wie die Musik, die er im vorbildlich bürgerlichen Familienkreis, vor allem von seinem musikbeflissenen Vater, vernimmt. Dieser Vater hat eine lange, nicht leichte Wanderschaft hinter sich. 1779 im kleinen, engen Judenviertel der Stadt Offenbach am Main geboren, trägt er den Namen Isaac Juda Eberst und ist der Sohn eines Synagogensängers und Jahrmarktsmusikanten. In einem jüdischen Druckereibetrieb hat er die Buchbinderei erlernt, aber stärker als diese handwerkliche Ausbildung wirkt sich Liebe zur Musik, eine Naturbegabung zum Singen und Spielen bei ihm aus. Als er zwanzigjährig, elternlos, arm, von schmächtigem Aussehen, die Heimatstadt verlässt, steht in seinem Judenpass, er habe die Absicht, «nach Carlsruhe und weiteres» zu reisen.

Aber Isaac Juda Eberst aus Offenbach schlägt nicht die südliche Route nach Baden ein, sondern wendet sich westwärts, jenen deutschen Gefilden zu, die im Verlauf der Napoleonischen Kriege an Frankreich gekommen sind, in denen die Juden bereits Staatsbürgerrechte besitzen, die ihnen das übrige Deutschland noch vorenthält. Den Rhein entlang zieht Eberst von Synagoge zu Wirtshaus, von Judenschul zu Hochzeitsfeier, am Sabbat die heiligen, alttestamentarischen Gesänge in den Betstuben intonierend, an Sonntagen und zur Feierabendzeit zu Tanz und Volksbelustigung aufspielend. Uralt ist diese Vereinigung des Heiligen und Profanen in der Musikübung der durch Zeiten und Länder wandernden, sesshaft werdenden und wieder vertriebenen europäischen Judengemeinschaften. Der Chasan, der Vorbeter, der am Sabbat der Gemeinde den heiligen Niggun singt, aus der Thorarolle prophetische Weisheit in jahrhundertealter psalmodischer Melodie vorträgt, spielt als Lezim am Sabbatausgang zu Freude und Fest, ist als witziger Volkssänger und Fiedler auch bei Nichtjuden beliebt und geschätzt. So auch Isaac Juda Eberst, «der Offenbacher» oder «der aus Offenbach» genannt, der als Musikant mit Glauben und Temperament – um des Unterhalts willen im Notfalle auch wieder als Buchbindergeselle –, ein jüdischer Wandersbursch, den großen Strom entlangzieht.

In Deutz, dem Köln gegenüberliegenden Städtchen, wird er sesshaft, verliebt sich in ein jüdisches Mädchen, gründet mit ihm trotz Widerstands der Brauteltern einen Ehestand, er, der «Armmann», der Habenichts, mit der Lotterieeinnehmer- und Geldwechsler-Tochter Marianne Rindskopf, deren Familie generationenlang schon im Rheinland lebt und wirkt. Die tägliche Lebensnot ist damit noch nicht gebannt. Zwar gilt Deutz sozusagen als Vergnügungs-Vorstadt von Köln. Doch napoleonische Besatzung, Befreiungskriege und Einzug der neuen preußischen Herren ergibt auch ein wirtschaftliches Auf und Ab in der rechtsrheinischen Nachbarstadt Kölns, wo Eberst sich nun endgültig «Offenbach» nennt[1] und, um seine schnell wachsende Familie einigermaßen durchbringen zu können, neben seiner Tanzbodenfiedlerei recht oft auch wieder als Handwerker tätig werden muss. Das hindert ihn nicht, sich in weltlicher und geistlicher Literatur umzusehen, Liedmusik zu komponieren, eine der schon bei Goethe erwähnten «Handwerksopern», das Singspiel «Der Schreiner in seiner Werkstatt», zu verfassen, das er mit kunstbeflissenen Deutzer Bürgern auch zu halböffentlicher Aufführung bringt.

1816 beschließt Isaac Juda Offenbach, den Rhein zu überqueren, um sich mit Frau und inzwischen fünf Kindern in Köln niederzulassen; es ist kein leichter Entschluss. Denn wenn der wirtschaftliche Aufschwung von Deutz infolge der Zeitumstände auf Jahre unterbrochen scheint, sind doch auch die Aussichten in Köln alles andere als rosig. Seit dem Einzug der Preußen weht hier wieder ein stark antisemitischer Wind, in den Ämtern, im gesellschaftlichen und auch im künstlerischen Leben spürbar.[2] Aber allen Gefahren zum Trotz können sich die seit 1798 wieder geduldeten und seit 1802 in einer Gemeinde zusammengeschlossenen Kölner Juden halten, und die Übersiedlung Isaac Offenbachs und seiner Familie ist endgültig.

Mehrere Jahre hindurch figuriert Vater Offenbach in einem Kölner Adressbuch der Gewerbetreibenden als einziger professioneller Musiklehrer der Stadt; vielseitig wie in allem, unterrichtet er nebeneinander Gitarre, Flöte, Violine und Gesang, schreibt Übungsstücke für alle diese Disziplinen, um mit Stunden, Schreiben, Komponieren recht und schlecht die vielköpfige, weiterwachsende Familie zu ernähren. Froh und dankbar über die im Jahre 1825 erfolgte Berufung zum Vorbeter der Kölner Synagogengemeinde, versieht «Vater Offenbach» nicht nur einen anstrengenden Dienst, unterrichtet daneben, liest, schreibt und publiziert in ununterbrochener Folge. Ein heller Kopf, mit allen Entwicklungen und Tendenzen seiner Zeit vertraut, befasst er sich besonders mit der großen jüdischen Reformbewegung der Assimilationsjahre.[3] Im Zuge ihrer Bestrebungen gibt Vater Offenbach 1838 eine neue deutsche Übersetzung der «Hagadah» heraus, jenes häuslichen Ritualbuches zum Passah-, dem jüdischen Überschreitungs-Fest, in dessen musikalischer Umrahmung er althergebrachtes jüdisches Musikgut mit romantischer, balladesker Liedmusik deutscher Provenienz mischt. Eines der darin veröffentlichten Lieder Isaac Offenbachs (das sogenannte Lämmchenlied) ist fälschlicher-, aber verständlicherweise unter dem Namen des späteren Operetten-Komponisten («Jacques Offenbach») in die jüdisch-religiöse Hausliteratur eingegangen. Es zeigt die Art, in der Isaac Offenbach sein Kantorenamt versteht. Mit offenem Ohr lauscht er der Musik Schuberts, Schumanns, Webers. Vor allem des Letzteren Oper «Freischütz» macht auf ihn tiefsten Eindruck (wie auch Sohn Jakob diese Vorliebe des Vaters sein ganzes Leben hindurch teilt und des Öfteren in Wort und Schrift betont). Nach alter jüdischer Spielmannsart übernimmt Isaac Offenbach so manche volkstümliche Melodie zeitgenössischer, weltlicher Komposition in seine teils dramatisch akzentuierte, teils mit Gesangskoloraturen und Instrumentalimitationen ausgestaltete synagogale Vortragskunst, die sich dem musikalisch begabten Sohn einprägt, ja, in Jakob Erinnerungen und Anregungen fürs ganze Leben hinterlässt.

Das Elternhaus mit seiner Zärtlichkeit, seiner religiösen Verbrämung aller Alltagsdinge, das Singen, Spielen, Komponieren des Vaters, in dem sich Tempelgesang und moderne Opernfloskeln, deutsches, typisch rheinisches Volksliedgut und Tanzrhythmus neuester Mode in seltsam plastischer Form mischen, wird in Jakobs Gedanken und Träumen, auch in seiner Komposition bis ans Ende seiner Tage fortleben. Die Erinnerung an Kölner Kindheitseindrücke wird seiner tänzerischen, oft mit beißendem Spott karikierenden Musik immer wieder jenen exotischen Klang und die erregende Melodienfülle geben, die nicht zuletzt das Wesen Offenbach’scher Kunst ausmachen, die sie über Zeit- und Stilwechsel lebendig erhalten.

Dass jedes der Offenbach-Kinder ein Instrument zu spielen hat, ist ebenso selbstverständlich, wie Vater Isaac alles tut, um seinen Sprösslingen nach Möglichkeit eine Schul- und Allgemeinbildung angedeihen zu lassen. Er ist nicht nur mit viel Erfolg bestrebt, das Vorbeteramt bei der Gemeinde auszubauen, er setzt nicht nur für die inzwischen vielköpfige Familie eine Dienstwohnung in einem der Synagoge unmittelbar benachbarten Haus, Glockengasse Nr. 7, durch, er schickt auch seine Kinder in die auf demselben Synagogengrundstück untergebrachte jüdische Grundschule. Von deren Unzulänglichkeit berichtet nicht nur ein amtliches Schriftstück der städtischen Schulkommission in Köln – auch der damalige Schulkamerad Jakobs, Albert Wolff, später, zur großen Offenbach-Zeit, in Paris Kritiker und Feuilletonist am «Figaro», hat nicht gerade Günstiges über die Zustände dieser Bildungsanstalt in seinen Memoiren und Artikeln hinterlassen. Vater Offenbach, der 1839 ein «Allgemeines Gebetbuch für die israelitische Jugend, hebräisch und deutsch» herausgibt, versucht durch häusliche Nachhilfe den Mangel eines geregelten Schulstundenplans auszugleichen. Dass ihm neben dem Musikalischen dabei das Religiöse am wichtigsten erscheint, versteht sich schon aus seinem Amt, wenn er auch einem sehr liberalen, mit den weltlichen Lebenserfordernissen der neuen Zeit im Einklang stehenden religiösen Stil zuneigt.

Für den kleinen Jakob wird allerdings der musikalische Unterricht neben ein paar Unterweisungen eines französischen Sprachlehrers das Wichtigste im Rahmen der häuslichen Lehrgänge. Den Sechsjährigen lehrt der Vater das Violinspiel, in dem Jakob sehr bald überdurchschnittliche musikalische Begabung zeigt. Mit acht Jahren überrascht er den Vater, der ihn auch in die Grundlagen der musikalischen Komposition einzuweisen sucht, mit eigenen kleinen Schöpfungen. Der Neunjährige entdeckt im Hause ein Cello, versucht ihm Töne zu entlocken, wozu die kindlichen Kräfte kaum ausreichen. Heimliches Studium, Selbstunterricht auf dem Dachboden erschließen ihm mit der Zeit dann doch die Geheimnisse dieses Instruments, das mehr und mehr sein Liebling wird. Ein Zufall lässt Vater und Familie schließlich die heimliche Cello-Leidenschaft des Knaben entdecken – sei es, dass Vater Offenbach eines Tages die geheimen Etüden seines Sohnes in der Wohnung hört, sei es, wie die Legende erzählt, dass bei einem Haydn-Quartettspiel Köbesche für den erkrankten Cellisten dessen Part prima vista übernimmt. Jedenfalls sucht Isaac Offenbach für seinen zehnjährigen Sohn, da er selber den «Bass» (wie das Instrument altmodisch noch heißt) nicht spielt und lehrt, einen geeigneten Lehrer, den er in dem Glaubensgenossen und damals schon alternden Cello-Virtuosen Joseph Alexander findet.

«Herr Alexander», wie der Volksmund ihn nennt, in früheren Jahren ein Meister seines Fachs, dessen bei Breitkopf und Härtel erschienene «Anleitung zum Violoncellspiel» vielen Schülern und Enkelschülern als wertvolle Anregung gedient hat, ist zur Zeit, da der junge Offenbach sein Zögling wird, immer noch ein auch von der Presse beachteter Künstler. Gleichzeitig aber ist er ein Kölner Original, das sich den etwas abseitigen Volkstypen des Althändlerviertels – allerdings auf gänzlich anderer Sozial- und Bildungsstufe – anreihen lässt. Durchaus nicht unvermögend, geizig bis zum Exzess, in unmöglichem Aufzug durch die Straßen ziehend, mit jeder Geste den ihm verliehenen Spitznamen «Der Künstler» rechtfertigend, muss er für den kindlichen Cellisten Offenbach eine Zeitlang doch ein unschätzbarer Lehrer gewesen sein. Manche Kenntnis klassischer Musikstücke, auch melodische Floskeln aus Alexanders Cello-Piècen, lassen sich unschwer in späteren Offenbach-Kompositionen ebenso wie die Vorbeter- und Geiger-Melodik Vater Offenbachs wiedererkennen. Alexander, in seiner Glanzzeit einer der gefeiertsten Romberg-Spieler[4], vermittelt seinem Schüler die Werke des von ihm hochgeschätzten Violoncell-Komponisten, darüber hinaus jenen gefühlsgeladenen und zugleich hochdramatischen Vortragston, der an so vielen gerade jüdischen Meistern dieses Instruments im 19. Jahrhundert gerühmt wird.

Das bei «Herrn Alexander» für teures Unterrichtshonorar Erlernte muss auch finanziellen Gewinn für die immer noch mangelhaft versorgte Familie bringen: Aus der Schwester Isabella und den Brüdern Julius und Jakob stellt Vater Offenbach ein Instrumentaltrio zusammen, das in verschiedensten Kölner Altstadt-Etablissements Unterhaltungskonzerte gibt. Manches Mal wird nachmittags in Kaffeezirkeln, des Abends an alten Kölner Stammtischen musiziert. Dabei wird das Alter der Sprösslinge, um die Wunderkind-Sensation zu verstärken, ein wenig herabgesetzt. Für Entwicklung und Laufbahn des kleinen Cellospielers werden die Eindrücke bei diesen Kaffeestuben- und Wirtshauskonzerten ebenso bestimmend wie das im Elternhaus und in der Synagoge Gehörte, gilt es doch, durch leichte Unterhaltungsmusik, durch Opern- und Liedmelodien der Zeit wie durch «schmissig» vorgetragene Tänze das Unterhaltungsbedürfnis eines einfachen, bunt zusammengewürfelten Publikums zu befriedigen.

Schon jetzt fällt der Arbeitseifer, die Zähigkeit des noch kindlichen Instrumentalisten auf. Während das «Wunderkind» mit seinen Geschwistern in Wirtshäusern musiziert, wird das Cellostudium so weit vorangetrieben, dass «Herr Alexander» Vater Offenbach gegenüber meint: «Da setzt der Lotterbub sich hin und spielt Stücke, die ich nicht einmal zu spielen wage!»[5] Was bei dem «Künstler» zu lernen war, hat Köbesche sich angeeignet. Bei dem angesehenen Mitglied des Kölner Theaterorchesters Bernhard Breuer setzt der Zwölfjährige seine Studien fort, und nicht nur auf dem Cello, das er mit jener etwas frühreifen Virtuosität jetzt beherrschen lernt, die ihm kurze Zeit später die Pforten des Pariser Konservatoriums öffnen wird. Auch in die Grundlagen des Generalbassspiels wird Offenbach bei seinem zweiten Cellolehrer eingeweiht. Das beim Vater schon im musikalischen Satz Erlernte wird jetzt eilig vervollkommnet und überprüft. Jakobs erste gedruckte Komposition, ein Divertimento über Schweizerlieder für das Violoncello und begleitendes Streichquartett, ist zwar ganz im Stile seines ersten Lehrers Alexander geschrieben, benutzt dessen rhapsodisch-gefühlvolle Art in der Melodik ebenso als Anregung und Vorbild wie die eindringlich-schwermütigen Synagogal-Kompositionen des Vaters, aber sie ist seinem neuen, zweiten Lehrer gewidmet.

Und dieser Lehrer Bernhard Breuer wird nach vielerlei Richtung einer seiner wichtigsten Förderer. Jakob lernt durch ihn die Aufführungen des Kölner Theaters kennen, zu dem ihm Breuer als Orchestermusiker des Hauses Zutritt verschafft; er sieht und hört die Werke des damals gängigen Opern- und Vaudeville-Repertoires[6], spielt daraus im Unterricht wohl auch wesentliche Bruchstücke. Als melodische Anregung werden sie bis zu seinem Lebensende immer wieder bei ihm wirksam sein, wie die Synagogengesänge seines Vaters und der witzig-freche Volkston der Karnevalslieder, die dem kleinen Kneipenmusikanten in Kölner Gaststätten entgegenklingen, die er improvisierend mitspielen und mitsingen muss.

Lehrer Breuer tut ein Übriges, Jakob Offenbach den Kölner Karneval zum nie vergessenen Jugenderlebnis zu machen. Breuer gehört zu den Karnevalskomponisten seiner Zeit. Köln, das 1823 den ersten großen Karnevalszug in heutiger Form durch seine Straßen ziehen sieht, klingt wider von Liedern, die das Volk sich selber schafft, die es Liedschöpfern wie Breuer dankbar aus den Händen reißt und zu Volksliedern werden lässt. Was ein Volksfest, was Massenvergnügen ist, das lernt der mit den Geschwistern im Wirthaus Cello spielende Jakob Offenbach als Zehn- bis Zwölfjähriger kennen, das zeigt ihm Breuers Karnevalskomposition im häuslichen Unterricht auf höherer Stufe wieder. In den Gassen und Straßen Kölns, im Hänneschen- und Volkstheater lernt er auch karnevalistische Theaterkunst, das echt Kölsche Divertissementchen, kennen.[7]

Was Offenbach an Kölner Karnevalstheater in diesen Jahren sieht, die Verulkung des antiken olympischen Götterreiches, die Verspottung mittelalterlichen Sagengutes, die Parodie auf das moderne städtische Leben in seiner Vaterstadt, das wird ihn begleiten in jene andere, größere Metropole, die bald seine Wahlheimat werden soll. Und wenn er sich viele Jahre später in Paris so heimisch fühlen wird, dass er die Tatsache seines «Preußentums» am liebsten «ausradieren» möchte: Die Lieder seiner Kindheit, das Karnevalstheater seiner Geburtsstadt am Rhein haben ihn nie verlassen. Mehr als eines seiner Haupt- und Meisterwerke zieht wesentliche Anregungen aus Kölner Divertissementchen, und bis in die späten Werke hinein verfolgt ihn – nicht als Dämon, sondern als unverlorene, geliebte Kindheitserinnerung – die deutsch-jüdische Heimat in Köln, das Elternhaus, der synagogale Gesang, die Kneipenmusik und das Theater der Volkstypen, der mitsingenden, mittanzenden Bürger und Handwerker, der Frauen und Männer aus rheinischem Volk, für die er zum ersten, nicht zum letzten Mal in seinem Leben, als Kind noch, der Unterhalter, der Aufspieler zum Tanz, der mit Beifall und Laune belohnte Musiker ihres Amüsements gewesen ist.

Nicht lange allerdings dauert diese erste Musikerzeit, im Kindesalter und mit dem elterlichen Haus als Rückhalt. Die raschen Fortschritte, die Jakob im Cellospiel, in der Harmonie- und Kompositionslehre macht, seine aufgeweckte Art, sein Fleiß und seine Ausdauer lassen es Vater Offenbach ratsam erscheinen, nach neuen Lehrern, nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten. Auch der vier Jahre ältere Bruder Julius, nach Vater Offenbachs Meinung ein überdurchschnittlich begabter Geiger, soll nach Möglichkeit mit Jakob zusammen an einem «richtigen Konservatorium», das Köln nicht aufzuweisen hat, fachgemäße Ausbildung erhalten.

Viel hat der auf seine Söhne stolze Vater vom Pariser Konservatorium gehört, und aus dem Freundes- und Bekanntenkreis der Familie sind bereits mehrere strebsame junge Leute in die französische Hauptstadt gegangen, um dort ihr Glück zu versuchen. Paris gilt als die aufgeschlossenste und vorurteilsloseste Stadt Europas, in der schon eine Reihe von Künstlern ausländischer und jüdischer Herkunft ihr Glück gemacht haben; die bekanntesten unter ihnen sind Heine und Meyerbeer.