Daniela Ohms
Wie Treibholz im Sturm
Roman
Knaur e-books
Daniela Ohms wurde 1978 in Rheda-Wiedenbrück in NRW geboren. Sie ist in Westfalen auf einem Bauernhof aufgewachsen, zwischen Natur und Tieren in einem riesigen Haus, auf dessen Dachboden sich die Familiengeschichte von 500 Jahren finden ließ. So ist es kein Wunder, dass sie bereits in ihrer Jugend mit dem Schreiben begann. Später studierte sie Literaturwissenschaften mit den Nebenfächern Geschichte und Psychologie. Heute lebt die Autorin mit Mann und Kindern in Berlin.
© 2018 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
© 2018 Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
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Redaktion: Franziska Fischer
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: Trevillion Images / Ildiko Neer; © FinePic / shutterstock
ISBN 978-3-426-44393-4
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Für alle, die in ihrem Herzen noch immer Piratinnen sind. Insbesondere für Jenny – danke, dass ich mir dein Brot leihen durfte.
Und für Katharina und Tanja – wisst ihr noch, das Räuberspiel?
24 Da ließ der Herr auf Sodom und Gomorra Schwefel und Feuer vom Himmel herabregnen
25 und vernichtete von Grund auf jene Städte, die ganzeUmgebung, alle Einwohner der Städte und was auf dem Erdboden wuchs.
Bibel, 1. Buch Mose, Kapitel 19
Hamburg, 24. Juli 1943
Drückend und schwer lag die Hitze über Hamburg, wie eine zähe Schicht aus frisch gekochtem Gelee, die noch nicht erhärtet war, in der aber jede Bewegung zum Erliegen kam, weil es zu anstrengend wäre, dagegen anzukämpfen. Einzig am Elbufer war die Hitze erträglich, denn hier wehte ein lauer Wind über den Fluss heran, der alle Samstagsausflügler bei Laune hielt. Familien und Freunde saßen auf Decken im Sand, um ihr Picknick zu verzehren, andere wagten ein Bad am Flussufer, und überall rannten Kinder umher, die sich am wenigsten von der Hitze stören ließen.
In all dem Trubel saß Hannah still auf ihrer Decke und hatte nur Augen für das kleine blond gelockte Mädchen mit seinem Vater, die am Flussufer standen und die Schwäne fütterten. Während Robert das halb trockene Brot mit seiner gesunden Hand festhielt, riss Kathrinchen kleine Bröckchen davon ab und warf sie zu den Schwänen ins Wasser. Obwohl sie schwungvoll ausholte, flogen die Brotstückchen häufig nicht weit genug. Aber jedes Misslingen quittierte sie mit einem so niedlichen »Ohwei, ohwei«, dass Robert immer wieder ein leises Lachen entfuhr. Schon lange hatte Hannah sein Lachen nicht mehr gehört, und auch heute versiegte der Klang fast ebenso abrupt, wie er begonnen hatte. Dennoch war Roberts Rückkehr ihr ganz persönliches Wunder. Kathrinchen hatte wieder einen Vater. Vor gut zwei Jahren, noch vor ihrer Geburt, hatte der Krieg ihn einverleibt und ihn erst jetzt wieder ausgespuckt – zwar mit einer zertrümmerten Schulter, die niemals ganz heilen würde, dafür jedoch lebendig und nicht mehr kriegsverwendungsfähig. Die zerstörte Schulter mochte schmerzlich sein. Hannah hingegen war froh darüber, ihren Mann zurückzuhaben und ihn nicht mehr an der Ostfront zu wissen. Dass der Krieg ihren großen Bruder das Leben gekostet hatte, war Trauer genug.
»Ohwei, ohwei.« Wieder warf Kathrinchen das Brot nur knapp vor sich in den Sand. Dieses Mal schien der Schwan die Geduld zu verlieren. Mit langem Hals wuchtete er sich aus dem Wasser und watschelte auf das Mädchen zu, das kaum so groß war wie der mächtige Vogel.
»Wei, ohwei!« Kathrinchens Tonfall nahm eine panische Note an. Hastig versteckte sie sich hinter den Beinen ihres Vaters, der ebenfalls drei Schritte vor dem Schwan zurücktrat und das Mädchen mit sich schob.
Das Tier hingegen wollte nichts weiter als das Brot. Sobald es die Beute im Schnabel hatte, watschelte es zurück zum Wasser und ließ sich behäbig hineingleiten.
Hannah holte ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und wischte sich damit den Schweiß ab, der sich langsam, aber sicher auf ihrer Stirn und im Nacken sammelte. Der Sommer 1943 war ein Jahrhundertsommer, der seit seinem Beginn mit Hitze und Trockenheit über Hamburg herrschte. Ein Sonnentag reihte sich an den vorherigen, und selbst die Nächte waren lau. Es war ein Sommer, der von friedlichen Zeiten flüsterte und ihnen vorgaukelte, der Krieg fände nur in weiter Ferne statt. Aber Hannah war auf der Hut. Die Floskeln vom Sieg erfüllten sie ebenso mit Misstrauen wie die Heldentaten, die der Volksempfänger verkündete, und immer, wenn sie gezwungen war, den deutschen Gruß anzuwenden, wurde sie von tiefer Abscheu ergriffen. Ihre Zweifel am Nationalsozialismus waren größer denn je, und ihre Gedanken wurden immer einsamer. Sie sprach immer weniger und wenn, dann nur noch leise und mit Bedacht. Was in ihrem Kopf vorging, durfte um keinen Preis nach außen dringen. Immerhin hatte sie ein Kind zu versorgen.
Der vertraute Geruch von Pfeifenrauch schlich sich in ihre Nase. Ohne den Blick von seiner Apothekerzeitschrift zu heben, paffte ihr Vater an dem Pfeifchen, das er sich gerade angezündet hatte. Einzig die Sorgenfalten auf seiner Stirn verrieten, dass ihm nicht alles gefiel, was er in der Zeitung las. Zu viel Rassenforschung und Nazimedizin, vermutete Hannah.Wie sehr ihr Vater das alles verachtete, wusste sie schon lange. Jedoch wurden auch seine Worte von Jahr zu Jahr verhaltener. Immerzu schien er darauf zu achten, nicht das Falsche zu sagen, während sein Lächeln immer trauriger wurde. Daheim in seiner Apotheke sprach er einzig über Medizin und Krankheiten und allenfalls über das Wetter. Währenddessen wirbelte ihre Mutter durch die fünf Zimmer ihrer Wohnung, wies das Mädchen an, auch ja kein Staubkörnchen zu übersehen, und konzentrierte sich mit größtem Eifer auf die Küche und ihre Enkeltochter. Nur, um nicht über ihren gefallenen Sohn nachzudenken. Pauls ehemaliges Zimmer ähnelte bis heute einer Gedenkstätte, das niemand anderer nutzen durfte, ganz gleich, ob es im Rest der Wohnung allmählich zu eng wurde.
Hannah selbst pendelte zwischen alldem hin und her, half in der Apotheke aus, ging mit Kathrinchen spazieren und las auf der Bank neben dem Spielplatz in den pharmazeutischen Lehrschriften – den Nazis zum Trotz, die nicht nur dafür verantwortlich waren, dass der Studienbereich schon vor Beginn des Krieges wieder geschlossen worden war, sondern die auch dafür gesorgt hatten, dass ihr Vater keine Zulassung für die Ausbildung von Lehrlingen bekam. Wilhelm Mertens mochte zwar von lückenloser, ach so arischer Abstammung sein und befand sich damit in der offiziellen Position, eine Apotheke führen zu dürfen. Doch sie wohnten auf dem Grindelberg, mitten im jüdischen Geschäftsviertel von Hamburg, und in den Augen der Nazis pflegten sie die falschen Kontakte. Zehn Jahre lang hatten sie miterleben müssen, wie ihre jüdischen Nachbarn und zugleich besten Freunde schikaniert, enteignet, in Judenhäusern eingepfercht und am Ende in den Osten evakuiert worden waren. In den letzten Jahren hatte es viele Momente gegeben, in denen es schwer gewesen war, nicht laut zu schreien und Protest zu üben.
Doch die ersten beiden Kontrollbesuche der Gestapo waren bedrohlich genug gewesen, um das Schweigen zu lernen, um nach außen den Schein zu wahren und sich nicht mehr als Judenfreunde zu zeigen. Dennoch blieb im Nazireich kaum etwas unbemerkt, und die Spatzen pfiffen von den Dächern, dass Wilhelm Mertens und seine Familie in den entscheidenden Momenten nicht applaudierten, sondern beschämt zu Boden sahen. Hannah wusste schon lange, dass das der wahre Grund dafür war, warum sie auch in einer anderen Apotheke keine Lehrstelle für ihr Vorexamen fand.
Nein, Hannah Riedel, geborene Mertens, Mutter der zweijährigen Katharina Riedel und Ehefrau des Obergefreiten Robert Riedel war vielleicht erst 21 Jahre alt, aber sie ließ sich nicht so leicht in die Irre führen. Der Krieg war eine menschengemachte Katastrophe von ungeheurem Ausmaß, und jeder, der behauptete, er würde eines Tages ein »erfolgreiches Ende« nehmen, log nicht nur sich und anderen etwas vor, er verleugnete auch, dass unzählige unschuldige Menschen im Krieg starben. Ganz gleich, wie sehr die wohlhabenden Bürger im schönen Hamburger Harvestehude ihren oberflächlichen Frieden pflegten, nichts konnte Hannah darüber hinwegtäuschen, dass sie sich im Krieg befanden. Und nichts konnte sie darüber hinwegtrösten, dass viele der neuen Geschäftsleute nur deshalb wohlhabend waren, weil sie sich am Besitz der enteigneten Juden bereichert hatten.
Selbst der Jahrhundertsommer mit seinen sonnigen Tagen und milden Nächten machte ihr nichts vor. Wenigstens hier, am Elbufer, zusammen mit Kathrinchen, Robert und ihren Eltern hätte sie gern von einer schöneren Zukunft geträumt. Doch nicht einmal das schien ihr zu gelingen.
»Kommt ihr Kuchen essen?«, rief ihre Mutter über den Strand. Etwas entfernt unter einem Sonnenschirm hatte sie eine Picknickdecke ausgebreitet und den Kuchen darauf angerichtet.
Hannah erhob sich und ging zu ihr, zeitgleich mit Kathrinchen, die kichernd durch den Sand tappte und »Kuchen essen« zurückrief. Robert kam langsam hinter ihr her, und erst aus der Nähe erkannte Hannah, dass die Hitze ihm sichtbar zu schaffen machte.
Seit einem Monat war er zurück in Hamburg, aber erst vor einer Woche war er aus dem Lazarett entlassen worden. Seitdem wohnte er mit Hannah und Kathrinchen in dem alten Kinderzimmer bei ihren Eltern. Schon vor ihrer Hochzeit war Robert in den Krieg eingezogen worden. Ihre Trauung hatte in seinem ersten Heimaturlaub stattgefunden, sehr spontan und vollkommen überhastet, nachdem sich herausgestellt hatte, dass Hannah schwanger war. Zwei Tage später musste er wieder an die Front, und seither hatten sie sich kaum noch gesehen. Einmal kurz nach Kathrinchens Geburt und danach erst wieder vor einem halben Jahr, als er schon einmal verletzt nach Hause gekommen war. Daher hatten sie noch nicht die Möglichkeit gehabt, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Aber jetzt durfte er endgültig bleiben. Niemand konnte mit einer zertrümmerten Schulter schießen. Und da es der rechte Arm war, kam auch eine Schreibtischtätigkeit für ihn nicht in Betracht.
Als Hannah ihn zum ersten Mal im Lazarett besucht hatte, war eine unbeschreibliche Erleichterung über sie hergefallen. Ein Teil davon war noch immer da, während sie nun auf der Decke saßen und Kuchen aßen. Warme Dankbarkeit erfüllte sie, als Robert Kathrinchen auf seinen Schoß zog und begann, ihr ein Märchenbuch vorzulesen. Die Kleine kicherte und gackerte, wenn er seine Stimme verstellte, um wie ein Zwerg zu sprechen, und sie riss die Augen weit auf, als er die böse Stiefmutter imitierte. »No’mal«, verlangte sie, sobald er fertig war, und Hannah brauchte die ganze zweite Märchenlesung, um dem warmen Gefühl nachzuspüren, das durch sie hindurchsickerte, wenn sie den beiden zusah.
Endlich hatte sie eine richtige Familie. Von nun an könnte sie glücklich sein.
Den ganzen restlichen Nachmittag bemühte Robert sich darum, seiner Tochter das Wort »Papa« beizubringen. Immer wieder sprach sie es nach, ohne zu begreifen, was es bedeutete. Erst am späten Nachmittag, während sie ihre Sachen zusammenpackten, um zu gehen, zupfte sie Robert am Ärmel und sagte »Papa« zu ihm. In jenem Moment hob er den Kopf und schaute Hannah so glücklich an, wie sie ihn seit seinem Kriegseinsatz nicht mehr gesehen hatte.
Am Abend brachten sie Kathrinchen gemeinsam ins Bett. Zusammen saßen sie auf ihrer Bettkante, und Hannah überließ es Robert, Schneewittchen noch einmal vorzulesen. Ganz gleich jedoch, wie oft Kathrinchen es hörte, immer wieder rief sie »No’mal«, so lange, bis ihre Augen zufielen und ihr kleines Kindergesicht mit einem friedlichen Lächeln im Schlaf versank.
Robert streichelte mit der linken Hand über ihre blonden Löckchen, weiter über ihre Stirn bis zu ihrer Stupsnase. »Sie ist ein Wunder«, flüsterte er. Für eine ganze Weile vertiefte er sich in Kathrinchens Anblick, bis er sich zu Hannah umdrehte und sie traurig anlächelte. »Sie sieht aus wie du.« Damit hob er die Hand an Hannahs Gesicht, strich über ihre Wange und streifte durch ihre Locken.
Die Berührung kribbelte auf ihrer Haut. Viel zu selten hatten sie sich berührt, seitdem er zurück war. Nicht mehr als eine vorsichtige Umarmung am Anfang, hin und wieder eine Hand, die sich fragend zum anderen wagte. Doch meistens lag eine stille Fremde zwischen ihnen. Nur damals, im Spätsommer und Herbst vor Hannahs Abitur, in jener Zeit, in der Kathrinchen entstanden war, waren sie sich wirklich nah gewesen. Seitdem hatte der Krieg sie immer weiter auseinandergetrieben.
Als hätte sich der Gedanke auf Robert übertragen, zog er die Hand zurück auf seinen Schoß. Mit einem Ruck stand er auf, ließ den Blick über den großen Kleiderschrank, über die Eichenkommode und den Sekretär streichen, auf dem Hannahs Lehrbücher lagen. An dem Ehebett, das seine Eltern ihnen zur Hochzeit geschenkt hatten, blieb er hängen – kurz bevor er sich wieder zu Hannah drehte. Seine Hand griff zur Brusttasche seines Hemdes, nestelte an der Zigarettenpackung und ließ sie dann stecken. »Lass uns ausgehen. Spazieren gehen. Nach draußen, an die Alster.«
Da war er wieder: der Krieg. Zusammen mit der sengenden Ostsonne hatte er sich in Roberts Gesicht gebrannt. Seine Haut schimmerte grau unter der dunklen Bräune, feine Schweißperlen glänzten auf seiner Stirn.
Sie hatten noch nicht darüber gesprochen, aber Hannah ahnte, was in ihm vorging. Das Stillsitzen am Abend fiel ihm schwer, das Ruhen und Nachdenken, die kreisenden Gedanken und Bilder. Er musste in Russland furchtbare Dinge gesehen haben.
Furchtbare Dinge getan haben …
Hannah konnte ihn nicht danach fragen. »Natürlich«, antwortete sie. »Lass uns ausgehen!«
Sie verließen das Zimmer, lehnten die Tür an und sagten Hannahs Eltern Bescheid, die wie jeden Abend im roten Salon saßen. Ihre Mutter mit einer Stickarbeit auf dem Schoß und ihr Vater mit seiner Tageszeitung und der Pfeife, deren Rauch in Ringen über ihm aufstieg. »Geht ihr nur«, murmelte er über die Schlagzeilen hinweg. »Wir hüten euren Schatz wie unser eigenes Leben.« Damit hob er den Kopf und schenkte Hannah ein Lächeln. Müde Wärme schimmerte in seinen Augen.
Auch ihre Mutter lächelte, doch in ihrem Gesicht lag Sorge. Seit Pauls Tod war es ihr wichtig, ihre Liebsten in ihrer Nähe zu versammeln. »Aber bleibt nicht zu lange«, mahnte sie. »Bis die Luftwarnungen beginnen, seid ihr wieder zurück, ja?«
Luftwarnungen, Fliegeralarm … fast jede Nacht heulten die Sirenen. Sobald die Dunkelheit hereinbrach, kamen die englischen Militärflugzeuge vom Meer. Doch zumeist glitten die Bomberströme einfach nur über Hamburg hinweg. Überhaupt war es in diesem Sommer vergleichsweise ruhig geworden. Die meisten Ziele der Briten lagen im Ruhrgebiet: militärische Anlagen, Rüstungsindustrie, Munitionslager – hauptsächlich darauf hatten sie es abgesehen. In Hamburg hatte es bislang zwar nicht viele Angriffe gegeben, und diese hatten sich jedes Mal auf das Hafengebiet konzentriert, das weit genug vom Grindelviertel entfernt lag. Dennoch jagte jedes Flugzeuggeräusch und jedes Motorenbrummen Hannah Angst ein. Immerhin war es schon vorgekommen, dass sich einzelne Bomber in die Wohnviertel verirrten. Heute hingegen wollte sie keine Angst spüren. Wenigstens jetzt, einen Abend lang, wollte sie mit ihrem Mann den milden Sommerabend genießen, wollte durch die Straßen schlendern wie damals, als sie sich kennengelernt hatten. Die Sicht war klar, keine Gefahr also, dass Flieger versehentlich die Innenstadt bombardieren würden. Sie würden sich einfach vom Hafen fernhalten und nicht mehr sein als das: ein Paar, das endlich wieder zusammen war.
»Im Ruhrgebiet wurden vor Kurzem ganze Städte bombardiert«, fügte ihre Mutter hinzu. »Seid bitte vorsichtig und haltet euch in der Nähe von Luftschutzbunkern.«
Hannah nickte schnell. In solchen Situationen war es am besten, ihre Mutter zu beschwichtigen. »Natürlich, Mama. Wir passen auf.«
Ihre Mutter öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, doch ihr Vater brummte dazwischen: »Annemarie! Nun lass die beiden mal. Sie haben sich doch gerade erst wiederbekommen.«
»Nach meinem Dafürhalten ist Eimsbüttel sicher«, erklärte Robert. Für einen Moment war er wieder ganz der Alte, während er Hannah den gesunden Arm um die Schultern schob. »Wir haben hier keine Industrie, und der Hafen ist weit genug entfernt. Außerdem besitzt Hamburg eine der besten Flaksicherungen in Deutschland. Achtzig Flak- und zweiundzwanzig Scheinwerferstellungen. Die Bomber hätten kaum eine Chance, bis hierher zu finden. Also machen Sie sich keine Sorgen, Frau Mer…«, er unterbrach sich selbst, setzte noch einmal an, weil er seine Schwiegermutter versehentlich gesiezt hatte, »… Annemarie.«
Das Lächeln ihrer Mutter wurde milder, fast schien es Hannah, als huschte ein roter Schimmer über ihre Wangen. »Ja, dann …«, stammelte sie, »dann wünsche ich euch einen schönen Abend.«
Robert zog Hannah in den Flur. Während sie in ihre Sommersandalen schlüpfte, nahm er seinen Hut von der Garderobe und stülpte ihn über das mit Gel glatt gestrichene blonde Haar. Mit der Anzughose, dem weißen Hemd und seinem Hut sah er aus wie ein feiner Herr. Nur der verletzte Arm in der Schlinge ließ erahnen, dass er bis vor Kurzem ein Soldat in zerrissener Uniform gewesen war.
»Hast du deine Papiere dabei?« Hannah musste sichergehen.
Robert legte die Hand auf seine Hosentasche und nickte grimmig. Seine Entlassungspapiere und den Wehrpass mit seinem Wehruntauglichkeitsvermerk musste er immer bei sich tragen. Zu groß war die Gefahr, während einer Kontrolle als Deserteur verdächtigt zu werden.
Gemeinsam traten sie vor die Wohnungstür, aber Robert stieg nur langsam die drei Stockwerke des Mietshauses nach unten. Derweil sah er sich im Treppenhaus um, als hätte er noch nie stuckverzierte Decken und marmorvertäfelte Wände gesehen. Draußen vor der Tür blieb er stehen, zog ein Taschentuch hervor und tupfte sich über die Stirn.
Im sommerlichen Abendlicht konnte Hannah erkennen, dass sich die Schweißperlen auf sein ganzes Gesicht verteilten. »Du hast Schmerzen«, stellte sie fest. »Soll ich dir was aus der Apotheke holen?«
Robert sah an ihr vorbei auf die grün gestrichene Apothekentür mit den geschnitzten Ornamenten und den bunten Butzenscheiben und auf die Stuckverzierung rund um das Ladenfenster. Erst im letzten Sommer hatten sie die gesamte Fassade streichen lassen, mitsamt den Erkern, den Loggias und den verspielten Türmchen neben dem Spitzgiebel. Ihr Vater hatte ein vornehmes Rot ausgesucht und die Fensterrahmen, Reliefs und Stuckverzierungen weiß absetzen lassen. Seitdem war sein Mietshaus eines der schönsten am Grindelberg. Vielleicht, um den Nazis zu zeigen, dass Wilhelm Mertens wirtschaftlich keinen Schaden genommen hatte. Oder um endgültig die Spuren zu vernichten, die der Kleber der Judenfreunde-Plakate auf ihren Wänden hinterlassen hatte. Oder um zwischen den anderen Läden Mimikry zu betreiben, nachdem die neuen Ladenbesitzer alles dafür getan hatten, die ehemals jüdischen Geschäfte in etwas Urdeutsches zu verwandeln.
Die größtmögliche Tarnung, zu der sich ihr Vater durchgerungen hatte, war der Werbespruch, der seit letztem Jahr in geschwungenen Lettern unter ihrem Apothekennamen prangte: Mertens-Apotheke, Deutsche Medizin für deutsche Volksgenossen.
Damit und mit dem Hitlerrot an seiner Hausfassade hatte ihr Vater wohl alles Menschenmögliche getan, um die Nazibedrohung von seiner Familie abzuwenden.
Hastig und ohne auf Roberts Schweigen zu achten, schloss Hannah die Apothekentür auf, lief in den Ladenraum und knipste hinter dem Tresen die Arbeitslampe an. Nur aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, dass Robert ihr folgte. »Wie stark sind deine Schmerzen?«
Er räusperte sich verlegen. »Abends sind sie am stärksten.«
Sie hob den Kopf, gerade rechtzeitig, um zu bemerken, wie sein Blick den verschlossenen Schrank mit dem Morphium streifte. »Komm bloß nicht auf die Idee, dass ich dir davon etwas geben dürfte.«
Robert schaute sofort nach unten. »Nein, natürlich nicht.«
Hannah ließ ihren Finger über das Pyramidon-Döschen, die hellblaue Novalgin-Packung und das Aspirin-Gläschen gleiten. »Novalgin ist das Stärkste, was ich dir verabreichen darf, ohne in Teufelsküche zu geraten.« Sie wählte eine angebrochene Ampulle, stellte ein kleines Glas Wasser bereit und zählte 35 Tropfen von dem Schmerzmittel hinein, etwas weniger als die Höchstdosis. »Wenn das nicht ausreicht, könntest du vor dem Schlafengehen noch eine Tablette Luminal nehmen«, erklärte sie, während Robert die Medizin trank. »Das ist ein Schlafmittel, aber es verstärkt auch die schmerzsenkende Wirkung. Allerdings müssten wir dazu meinen Vater fragen. Ich bin hier nur die unausgebildete Aushilfskraft.« Hannah schenkte ihm ein vorsichtiges Lächeln.
»Danke.« Er stellte das Glas zurück auf den Tresen. »Es wird schon gehen.«
Hannah räumte die Ampulle wieder in die Schublade, spülte das benutzte Glas und stellte es zurück in den Schrank. Gemeinsam gingen sie nach draußen. Sobald sie die Tür abgeschlossen hatte, fing sie an zu erzählen, was sie gerade erst in einem Artikel gelesen hatte: »Metamizol, also der Wirkstoff von Novalgin, ist ein Pyrazolon-Derivat, genauso wie Aminophenazon, der Wirkstoff von Pyramidon. Aber es wurde erst 1922 auf dem Markt eingeführt und ist im Vergleich zu Pyramidon ein echter Fortschritt, weil es wasserlöslich ist.« Sie redete sich in Begeisterung, drehte sich wieder zu Robert um und ging neben ihm den Bürgersteig entlang. »Deshalb kann man es auch intravenös verabreichen, und manche behaupten, dass es dem Morphin in seiner Wirkung schon sehr nah kommt, nur ohne das Suchtpotenzial.« Hannah verstummte. Erst jetzt fiel ihr auf, dass Robert abwesend vor sich hin starrte. »Entschuldige, das interessiert dich gar nicht, oder?«
»Wie bitte?« Mit leichter Verzögerung schaute er zu ihr.
Sie verzog das Gesicht. »Die Vorzüge von Novalgin gegenüber Pyramidon, mein Pharmazeuten-Chinesisch.«
»Nein«, gestand er. »Ich verstehe nicht viel davon. Sei mir nicht böse.« Ein schiefes Schmunzeln legte sich um seinen Mund, nur noch eine schwache Spur von dem lustigen Robert, den sie vor drei Jahren kennengelernt hatte. Früher hatte er immer einen Scherz gewusst, hatte zu allem eine schlagfertige Bemerkung gefunden und so lustige Anekdoten erzählt, dass ihm die Mädchen lachend zu Füßen gelegen hatten. Jetzt tat er nichts mehr davon, und Hannah konnte nur vermuten, dass seine Fronterfahrung keine lustigen Anekdoten hergab. Dinge, die nicht lustig waren, schien er lieber gar nicht zu erzählen. Seitdem er zurück war, musste sie jedes einzelne Wort mühsam aus ihm hervorlocken. Bis jetzt wusste sie noch nicht einmal, auf welche Weise er verletzt worden war. Seit Tagen wand sie sich darum herum, ihn einfach zu fragen.
Eine bessere Gelegenheit als jetzt würde sie nicht finden. »Wie ist das mit deiner Schulter passiert?«
Roberts Blick irrte in ihre Richtung, sprang gleich darauf zu Boden. Mit einer fahrigen Bewegung fingerte er die Zigarettenpackung aus seiner Brusttasche. »Granatsplitter.« Mit dem Mund zog er eine Zigarette aus der Öffnung. Für einen endlosen Moment klemmte der Glimmstängel zwischen seinen Lippen, während er mit einer Hand ein Streichholz hervorkramte, an einer Hauswand stehen blieb und den Zündkopf daran entlangstrich. Es war ein mühsames Unterfangen, und plötzlich kam Hannah sich herzlos vor, weil sie ihrem einarmigen Ehemann die Zigarette nicht einfach anzündete. Aber sie wollte es nicht. Sie hasste den kratzigen Rauch in ihrem Hals und das Husten, das sich nicht unterdrücken ließ. Robert konnte froh sein, dass sie ihm den Vortrag ersparte, der mit jeder Zigarette durch ihre Gedanken huschte. Sie könnte ihm von den älteren Patienten erzählen, die mit chronischem Husten in ihrer Apotheke standen und um mildernde Medikamente baten, oder ihm von den Rauchern berichten, die weit vor ihrer Zeit starben, wenn auch meistens erst nach langer Quälerei und grausigen Lungen- und Tumorleiden.
Tatsächlich hatten erste Studien einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebserkrankungen festgestellt, und selbst wenn diese These noch nicht abschließend bewiesen werden konnte, war Hannah überzeugt davon, dass die Qualmerei der Grund sein musste, warum Frauen älter wurden als ihre rauchenden Männer.
Aber wie könnte sie ihrem verletzten Mann einen solchen Vortrag halten, nachdem er gerade erst den Ostfeldzug überlebt hatte? Vor dem Krieg hatte er noch nicht geraucht. Vermutlich war es die einzige Möglichkeit, um sich im Angesicht des Todes wenigstens ein bisschen zu beruhigen.
Allzu gern wollte Hannah ihm helfen, wollte ihm einen Teil der Last von den Schultern nehmen. Dafür müsste er jedoch erzählen, was er erlebt hatte. Sie versuchte es noch einmal: »Wie ist es an der Front? Ich habe keine Vorstellung davon.«
Robert nahm einen langen Zug von der Zigarette. Das Geräusch, mit dem er den Qualm in die Luft blies, klang nervös. »Es ist schlimm. Sehr schlimm.« Er pflückte einen Tabakfussel von seiner Zunge und schnipste ihn auf den Bürgersteig. »Wenn du keine Vorstellung davon hast, sei froh.«
Hannah unterdrückte ein Seufzen. Vielleicht sollte sie sich an den Gedanken gewöhnen, dass er seine Erfahrungen nicht mit ihr teilen würde. Ihr Blick schweifte die Straße entlang über die vierstöckigen Wohn- und Geschäftshäuser, die sich mit ihren verspielten Gründerzeitfassaden aneinanderschmiegten. Schmale Türmchen und aufwendige Stuckverzierungen buhlten um Aufmerksamkeit und verrieten die romantische Ader früherer Architekten. Auf den ersten Blick sah das Grindelviertel noch immer so aus wie in ihrer Kindheit. Neben ihnen rumpelte eine Kutsche über das Kopfsteinpflaster, und das Trappeln der Pferde vermischte sich mit dem Bimmeln der Straßenbahn. Autos fuhren heute fast genauso selten wie damals, da das Benzin aufgrund des Krieges rationiert wurde.
In diesem Moment rasten drei Hitlerjungen auf ihren Fahrrädern an ihnen vorbei und schnitten die Kutschpferde so knapp, dass die Tiere scheuten. Kurz darauf verschwanden die Knaben nach links in die Hansastraße, in der die Schule lag, auf die Hannah bis vor gut zwei Jahren gegangen war. Während ihrer Kindheit hatte die Straße noch Helene-Lange-Straße geheißen, ebenso wie die Mädchenschule, an der sie ihr Abitur gemacht hatte. Aber Frauenrechtlerinnen waren den Nazis nicht das richtige Vorbild für die Jugend, also hatten sie Straße und Schule umbenannt.
Hannah konnte nichts gegen das Seufzen tun, das aus ihrem Mund entwich. Früher hatte sie dieses Viertel geliebt: das bunte Leben zwischen den jüdischen und deutschen Geschäften, die Spiele mit den anderen Kindern. Wie eine große Geschwisterschar waren sie gewesen, wenn sie zwischen den Geschäften ihrer Eltern umhertobten oder hinten in den Höfen Verstecken spielten. Abstecher in die Läden und Restaurants hatten sich gelohnt, weil sich immer jemand fand, der ihnen Äpfel oder Bonbons zusteckte, manchmal sogar ein Stück Torte weiter unten im Schloß-Kaffee.
Inzwischen war kaum noch etwas von damals übrig. Nur die reinblütig deutschen Familiengeschäfte hatten die letzten Jahre unbeschadet überstanden. In allen anderen Läden hatten die Besitzer gewechselt. Direkt nach der Enteignung der jüdischen Inhaber waren die Naziemporkömmlinge herangeströmt, hatten die Häuser mitsamt ihrem Inventar und den Läden günstig ersteigert und sich auf dem Grindelberg ausgebreitet wie stechende Blutsauger. Mit Rückendeckung der Obrigkeit hatten sich die neuen Bewohner ins gemachte Nest gesetzt und dafür gesorgt, dass die alten jedes Wort genau abwägen mussten, um nicht als Judenfreund denunziert zu werden.
Der familiäre und tolerante Tonfall früherer Nachbarschaftsgespräche war in beißendes Misstrauen umgeschlagen. Selbst das Spiel der Kinder und die Gedanken der Jugendlichen wurden in der Hitlerjugend darauf abgerichtet, etwaige Volksfeinde sofort zu erkennen. Manchmal kam es Hannah so vor, als wäre sie die Einzige, an der die neuere Entwicklung der Jugend vorbeigegangen war. All ihre Freunde schienen sich angepasst zu haben. Vielleicht täuschte sie sich auch, vielleicht lag es nur daran, dass es zu gefährlich war, mit Freunden und Bekannten über solche Themen zu reden. Nicht einmal mit Robert konnte sie ein offenes Gespräch führen. Nicht einmal bei ihm konnte sie sicher sein, auf welcher Seite er stand. Er wäre nicht der erste Ehemann, der seine Frau verriet.
Während sie vom Grindelberg nach rechts in die Werderstraße einbogen, spürte sie wieder die Fremde, die zwischen ihnen schwebte, als würden sie zu dritt spazieren gehen. Robert lief auf ihrer rechten Seite, mit der gesunden Hand in ihrer Mitte. Sie könnten sich aneinander festhalten, wenn sie wollten. Aber sie taten es nicht, auch nicht, nachdem er den verglühten Zigarettenstummel weggeworfen und ihn mit der Schuhsohle ausgetreten hatte.
Das warme Glück dieses Sommertages bekam einen Sprung, wie eine zarte Verästelung aus Rissen, die sich durch die schöne Oberfläche ihrer jungen Familie zog. Oder war dieser Sprung schon immer da gewesen? Hatte ihre Erleichterung über Roberts Rückkehr nur für kurze Zeit über das hinweggetäuscht, was zwischen ihnen nicht stimmte? Denn wenn sie ehrlich war, war der Gedanke nicht neu: Womöglich war es ein Fehler gewesen, Robert zu heiraten. Viel zu schnell war das mit Kathrinchen passiert. Und wenn sie jetzt darüber nachdachte, wurde ihr klar, wie wenig sie sich gekannt hatten. Der lachende, strahlende Robert hatte sie mit seiner Leichtigkeit beeindruckt. Genauso wie sich jedes junge Mädchen von einem charmanten Witzemacher beeindrucken ließ. Sie war stolz gewesen, weil er von allen, die er hätte haben können, ausgerechnet sie umgarnt hatte.
Inzwischen war ihr klar geworden, dass er sie nur deshalb ausgesucht hatte, weil sie hübsch war und blonde Engelslöckchen besaß. In ihrem Inneren passten sie nicht zueinander – und wenn es Kathrinchen nicht gäbe, würden sie sich wohl höchstens noch auf der Straße grüßen.
»Wenn ich im Unternehmen meines Vaters angefangen habe, sollten wir uns eine eigene Wohnung nehmen.« Robert ging langsamer und wies auf die Häuser, die neben ihnen aufragten. Abseits der Einkaufsstraße befanden sich ausschließlich Wohnungen darin, wenn sie auch noch immer genauso groß und in der gleichen Weise mit Zierleisten, Ornamenten und Rundbogen geschmückt waren wie die Geschäftshäuser auf dem Grindelberg. Nur vereinzelt standen neuere Jugendstilgebäude dazwischen, deren Pracht nicht mehr ganz so verspielt wirkte.
Hannahs Blick fiel auf die Schlinge, in der Roberts verletzter Arm versteckt lag. Wieder wurde ihr klar, welch unfassbares Glück er hatte. Nicht nur, dass er aus dem Krieg zurückgekehrt war – jedem anderen böte sich mit einer solchen Verletzung kaum noch eine Berufsperspektive. Vermutlich würde er seinen rechten Arm nie wieder benutzen können, wenn er Pech hatte, noch nicht einmal zum Schreiben. Aber sein Vater handelte mit Kaffee, Tee und Kakao und besaß ein riesiges Lagerhaus in der Speicherstadt. In seiner Jugend hatte er klein angefangen, aber die Jahre unter den Nazis hatten es ihm ermöglicht, sein Unternehmen um ein Vielfaches zu vergrößern. Hannah wusste nicht, wie viele jüdische Konkurrenzunternehmen von ihm aufgekauft worden waren – in jedem Fall waren es genug, um von der kleinen Villa an der Parkallee in eine große Villa an der Alster zu ziehen.
Auch Letztere hatte vermutlich einem Juden gehört.
Nein, Robert Riedel musste auch mit einem invaliden rechten Arm nicht um seinen Lebensunterhalt fürchten. Um in dem Unternehmen seines Vaters eine gute Figur zu machen, musste er nur gut reden können, gern reisen und als i-Tüpfelchen seinen verlorenen Charme wiederfinden.
»Mein Vater hat schon angedeutet, dass er uns eine Reihenvilla spendieren möchte.« Plötzlich war sein Lächeln wieder da, ein kurzes Strahlen, das sein Gesicht zum Leuchten brachte.
Wenn Robert sie früher so angesehen hatte, war ihr Puls zuverlässig in Aufruhr geraten. Doch heute wartete Hannah vergeblich auf diese Reaktion. Tatsächlich war da nichts, nur die Erkenntnis, dass sein Lächeln nicht mehr bis in seine Augen vordrang. In seinen Pupillen lag noch der gleiche einsame Schmerz wie vorher.
»Was ist?« Sein Lächeln zerfiel. »Eine richtige, kleine Villa, nur für uns. Mit einem Garten nach hinten, für unser Kathrinchen und ihre kleinen Geschwister. Freust du dich nicht?«
Wenn sie in dieser Zeit eine Villa fanden, die leer stand, dann war es sicher ebenfalls eine, die sie einem jüdischen Vorbesitzer stehlen würden.
»Wir können uns auch ein Dienstmädchen leisten, wenn es das ist.« Ein bettelnder Unterton setzte sich in seine Stimme. »Komm mit. Ich zeig dir was.« Jetzt nahm er sie doch an die Hand, zog sie nach links in die Hochallee. Vor einer kleinen Reihenvilla mit barock geschweiftem Giebel, Rundbogenfenstern und winzigen Butzenscheiben in den Oberlichtern blieb er stehen. »Dieses hier.« Wieder huschte ein Lächeln über sein Gesicht.
Das Haus war schön. Dennoch zog sich Hannahs Magen zusammen. »Ich bin mir nicht sicher«, flüsterte sie. »Das kommt so plötzlich.«
Roberts Lächeln verschwand. »Du willst doch nicht ernsthaft bei deinen Eltern im Kinderzimmer bleiben?« Mit einem Mal klang er ärgerlich. »Und dann noch zusammen mit mir. Wir drei, eingepfercht auf wenigen Quadratmetern. Deine Mutter lässt ja nicht einmal zu, dass wir das Zimmer deines Bruders nutzen dürfen, während hier«, er streckte den Arm in Richtung des Hauses, »eine Villa auf uns wartet.«
Hannah biss sich auf die Wangen. Ihre Eltern würden todtraurig sein, wenn sie zusammen mit Kathrinchen auszog.
»Was genau habe ich falsch gemacht? Warum zeigst du mir die kalte Schulter?« Die Falten auf Roberts Stirn drückten zugleich Wut und Hilflosigkeit aus. »Ist es, weil du dir dein Leben anders vorgestellt hast? Weil du eine unabhängige Frau werden wolltest, die studiert und sich bildet, als wäre sie ein Mann? Und weil du jetzt doch nur mit unserem Kind zu Hause hockst und Mutter bist?« Er redete sich in Rage, die Muskeln an seinen Wangen zuckten. »Für das Problem wüsste ich eine Lösung: Wenn du unbedingt arbeiten willst, kannst du meine Sekretärin werden. Ich brauche eine Schreibkraft, um meine Geschäfte zu führen.«
Eine Schreibkraft? Hannah konnte nichts gegen das Schnauben tun, das durch ihre Nase entwich. Die Wut kochte so plötzlich in ihr hoch, als hätte sie schon lange auf der Lauer gelegen. »Deine Sekretärin?«, blaffte sie. »Du hast rein gar nichts begriffen, wenn du das ernst meinst! Ich wollte Apothekerin werden! Ich kann dir sämtliche Wirkstoffgruppen und ihre Geschichte rauf und runter beten. Ich kenne die meisten Nebenwirkungen auswendig und könnte den Patienten so manche Diagnose selbst stellen. Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich deine Schreibkraft werden will?!«
Robert wich vor ihr zurück. Enttäuschung erschien in seinem Gesicht. Seine Stimme klang schwach, als er den nächsten Vorschlag machte: »Wir könnten den Handel auf Pharmazeutika erweitern. In den letzten Jahren sind manche Handelszweige dünn besetzt. Vielleicht finden wir eine Marktlücke.«
Hannah begriff sofort, was er nur andeutete: »Du willst also von den Lücken im Handelsnetz profitieren, die durch die Evakuierung der Juden entstanden sind? Noch mehr profitieren, als du es eh schon tust? Ausgerechnet mir zuliebe?«
Die sogenannte Evakuierung hatte ihre beste Freundin fortgerissen, und er müsste das wissen. Auch wenn sie niemals offen über ihre Einstellung zu den Juden geredet hatten – dass ihre Nachbarin Klara, Kindheitsgefährtin und beste Freundin, eine Jüdin war, war ihm bekannt.
Robert hob seine unverletzte Hand, gerade so, als wolle er sie abwehren. »Lass uns nicht streiten, Hannah.« Er klang müde. »Es geht mir nicht gut. Ich dachte, es wäre eine schöne Idee, nach alldem unsere Zukunft zu planen.«
Hannah hielt den Atem an. Sie schaute noch einmal zu der kleinen Reihenvilla. Von innen waren Vorhänge vor die Fenster gezogen. Plötzlich tat Robert ihr leid, wie er den Kopf senkte und mit hängenden Schultern dastand. Sie wusste, dass er sie nie ganz verstehen würde. Tatsächlich würde sie auf keinen Fall in ein Haus ziehen, das den Juden gestohlen worden war. Doch für heute hatten sie genug gestritten. Er hatte den Vorschlag fürsorglich gemeint, und sie konnte wenigstens so tun, als dächte sie darüber nach. »Also gut«, flüsterte sie. »Ich überlege es mir.«
Robert setzte sich wieder in Bewegung, ließ die Villa hinter sich und schaute weiter zu Boden. »Das mit Klara«, murmelte er. »Das tut mir leid. Ich weiß, dass sie deine beste Freundin war.«
Klaras Erwähnung stach in Hannahs Herz. Ihre beste Freundin war immer so optimistisch gewesen. Ihre ganze Familie hatte immer an das Gute im Menschen geglaubt.
»So schlimm wird es schon nicht werden«, hatte ihr Vater gesagt, als Hitler 1933 die Macht übernommen hatte.
»Von jetzt an wird alles besser«, hatte Klara behauptet, als ihr Vater sie von der Hansa-Oberrealschule genommen hatte, auf die sie zusammen mit Hannah gegangen war. Immerhin hatte sie einen Platz auf der israelitischen Töchterschule bekommen, und auch Hannah war erleichtert gewesen, weil ihre Lehrer nun endlich nicht mehr ihre beste Freundin nach vorn riefen, um die »äußeren Merkmale der Juden« besser erklären zu können. Seitdem der neue Direktor ihre Schule übernommen hatte, war es unerträglich geworden, ihre Freundin so leiden zu sehen. »Es sieht schlimmer aus, als es ist.« Mit diesen Worten hatte Klara 1938 in den Trümmern ihres Ladens gestanden, kurz bevor ihr Vater sein Geschäft gänzlich verloren hatte. Danach hatte sie ihren Lieblingssatz nur noch auf Hannah angewendet: »So schlimm wird es schon nicht werden«, war ihre Meinung zu Hannahs ungeplanter Schwangerschaft, ausgerechnet ein gutes halbes Jahr vor ihrem Abitur. »Ich werde dir helfen, dann bekommen wir das schon hin.« Damit hatte Klara sie in den Arm genommen und ihr die Tränen abgewischt.
So weit war es jedoch nicht mehr gekommen. Nur vier Monate nach Kathrinchens Geburt, Ende Oktober 1941, hatte Klara den Deportationsbefehl erhalten. Seitdem hatte Hannah nichts mehr von ihr gehört.
So lange schon brannte diese eine Frage in ihrem Magen. Auch jetzt, inmitten der Hochallee zwischen den prächtigen Reihenvillen, drängte sie sich in den Vordergrund – und zum ersten Mal konnte Hannah sie nicht länger zurückhalten. »Als du im Osten warst, bist du ihnen dort begegnet? Weißt du, was mit den Juden passiert ist?«
Robert fuhr zu ihr herum. Nackter Schrecken lag in seinem Blick, nur ganz kurz, ehe er fahrig den Kopf schüttelte und ein weiteres Mal die Zigarettenpackung hervorholte. »Der Osten ist sehr weitläufig, weißt du.« Wieder zog er eine Zigarette mit dem Mund aus der Packung, nahm sie zwischen die Finger, um besser sprechen zu können. »Vielleicht sollten wir ins Kino gehen. Ich glaube, einen längeren Spaziergang halte ich nicht durch.«
Hannah bemerkte den frischen Schweiß in seinem Gesicht. Selbst die Haut in seinem Nacken glänzte vor Nässe. Aber waren es die Schmerzen, die er nicht mehr aushielt? Oder ihre Fragen? Oder beides zusammen?
In jedem Fall kam es ihr falsch vor, ihn noch weiter zu quälen. »In Ordnung«, murmelte sie und schlug an seiner Seite den Weg zur Grindelallee ein. Wenn sie nicht zu spät kommen wollten, mussten sie sich sputen. So schnell, wie Robert gehen konnte, eilten sie die Hochallee hinunter, überquerten die Ostmarkstraße und liefen weiter den Grindelhof entlang. Auf dem Bornplatz fiel Hannahs Blick auf den neu errichteten Hochbunker, genau dorthin, wo bis zu ihrer Zerstörung 1938 die Synagoge gestanden hatte. Aber Hannah wollte nicht länger darüber nachdenken, nicht jetzt, nicht heute.
Sie erreichten die Thalia-Lichtspiele gerade noch rechtzeitig, um zwei Karten für die Abendvorstellung von Münchhausen zu ergattern. Die Wochenschau hatte längst begonnen, als sie sich durch den dunklen Kinosaal auf ihre Plätze schoben. Ganz gleich jedoch, was sie in der Wochenschau erzählten, und ganz gleich, wie lustig und märchenhaft der Film auch war, Hannah fiel es schwer, sich darauf zu konzentrieren. Immer wieder schweiften ihre Gedanken zurück zu ihrem Spaziergang und dem Streit mit Robert. Um keinen Preis konnte sie in der enteigneten Reihenvilla wohnen. Dennoch hatte er nicht unrecht. In dem Zimmer bei ihren Eltern war es zu klein für sie drei. Sie sollten sich tatsächlich etwas Eigenes suchen. Nur diese eine Bedingung musste sie stellen: kein Haus, das einem Juden gehört hatte.
Als die Vorstellung dem Ende entgegenging, war sie fest entschlossen, sich mit Robert zu versöhnen und ihm den Kompromiss vorzuschlagen. »Wie geht es deiner Schulter?«, fragte sie, als der Vorhang vor die Leinwand fiel und die Zuschauer sich erhoben.
»Es ist schon besser.« Ein mattes Lächeln schimmerte auf seinem Gesicht. »Dein Schmerzmittel hat geholfen.« Etwas schwerfällig stand er auf und setzte sich den Hut zurück auf den Kopf.
»Was ich dir noch sagen wollte …«, begann Hannah, »du hast recht. Wir können nicht alle zusammen bei meinen Eltern wohnen.«
Sein Lächeln veränderte sich, changierte zwischen Überraschung und Erleichterung. Er öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, aber Hannah war noch nicht fertig. »Allerdings fühle ich mich unwohl, wenn wir …«
Genau in dem Moment drang das Heulen der Sirenen von draußen herein, das jaulende Auf und Ab des Fliegeralarms.
Hannah spürte, wie das Blut aus ihren Adern wich. »Kathrinchen! Wir müssen nach Hause.«
Auch in Roberts Gesicht zeichnete sich bleicher Schrecken, doch sofort fasste er sich wieder. »Die Flak wird das richten. Die kommen gar nicht bis hierher.«
»Bitte bleiben Sie ruhig«, rief der Vorführer in das Publikum. »Wir kennen das doch schon. Verlassen Sie geordnet den Saal und begeben Sie sich in einen Bunker oder Luftschutzraum.«
Trotz aller Ermahnungen drängelten sich die Kinobesucher zum Ausgang. Manche riefen die Namen ihrer Freunde durch den Saal, andere raunten Anweisungen und Ratschläge.
»In den Keller!«, kommandierte ein Mann knapp vor ihnen. »Das geht am schnellsten.«
»Nein, zum Bunker am Bornplatz!«, entgegnete die Frau neben ihm. »Da sind wir sicherer.«
»Ach was. Das ist doch ohnehin wieder nur Fehlalarm«, vermutete eine andere Frau. »Die fliegen an uns vorbei.«
Hannah versuchte, sich ebenfalls zu beruhigen. Fast jeden Abend gab es Luftwarnungen und Fliegeralarm, aber in diesem Jahr hatte es überhaupt erst einen Angriff gegeben, der nennenswert war. Und der war schon Monate her. Warum sollte es ausgerechnet heute anders sein? Nur weil sie nicht zu Hause war, fühlte es sich bedrohlicher an. Sie bemühte sich, in Roberts Nähe zu bleiben, während die Menschenmenge sie Richtung Eingang drückte. Doch immer wieder drängten sich andere zwischen sie. Robert fiel hinter ihr zurück, und Hannah wurde zu sehr geschoben, um sich umzudrehen. Jetzt musste sie ebenfalls rufen, um ihn zu erreichen. »Wohin?«, schrie sie. »Robert? Wohin?«
Falls er antwortete, hörte sie ihn nicht. Sie wollte sich noch einmal umdrehen, aber die Menschen schoben sie durch die Tür in den winzigen Vorraum. Hier gab es nur das Kassenhäuschen und die Tür zum zweiten Kinosaal. Auch von dort kam ein Strom fremder Menschen. Manche machten Anstalten zu rennen, andere hielten sie fest, damit keine Panik ausbrach.
»Robert?« Hannah schrie, die Menschen drängelten. Es war unmöglich, sich umzudrehen. Wenn sie es täte, würde sie rückwärts weitergedrückt, würde hinfallen und von den fliehenden Zuschauern überrannt werden. Sie musste zuerst nach draußen. Dort würde sie auf Robert warten.
Im nächsten Augenblick stand sie im Freien. Die Sirenen heulten, die Scheinwerfer der Flak rasten über den Himmel, suchten nach Flugzeugen und reflektierten an Millionen von flirrenden Punkten, die von oben herabrieselten. Was war das? Das waren keine Flugzeuge. Das war etwas anderes, Kleineres. Spätestens bei diesem Anblick ahnte Hannah, dass es heute Abend ernst wurde. »Robert!?« Wieder schrie sie, trat an der Hauswand zu Seite und konnte sich zum ersten Mal umdrehen. Doch so viele Menschen strömten aus dem Kino, dass sie nicht erkennen konnte, ob Robert dabei war. Genauso gut könnte er längst an ihr vorbeigerannt sein – oder noch hinten im Saal warten, bis die Drängler draußen waren. Ja, so musste es sein. Mit seiner verletzten Schulter wollte er sich bestimmt nicht in der Menschenmasse umherschubsen lassen.
Hannahs Herz raste, während sie sich dichter an die Hauswand presste. Unzählige Menschen rannten über die Straße, verließen panisch Hauseingänge, trugen Koffer in den Händen oder kleine Kinder auf den Armen. Überhaupt war die Straße voller Kinder, größere, die vorausliefen, und kleinere, die von ihren Müttern mitgezogen wurden. Die meisten eilten zum Hochbunker am Bornplatz.
Kathrinchen! Wenn sie jetzt losliefe, könnte sie es vielleicht noch bis zu ihrem Haus am Grindelberg schaffen und dort mit ihrer Familie in den provisorischen Luftschutzkeller fliehen. Doch was war mit Robert? Sie durfte ihn nicht allein lassen. Sonst würde er sie hier draußen suchen und sich selbst nicht rechtzeitig in Sicherheit bringen.
Der Menschenstrom aus dem Kino riss ab. Nur vereinzelt kamen noch Leute heraus. Hannah hetzte zurück zur Tür, durch den Vorraum in den Kinosaal. Dort wurde sie von dem Vorführer abgefangen. »Wohin willst du, Mädchen?«
»Zu meinem Mann!« Sie schrie lauter als beabsichtigt, hörte die Hysterie in ihrer Stimme.
»Da ist niemand mehr. Er wird längst draußen sein, dein Mann.« Der Vorführer hielt sie an der Schulter. »Komm mit, Mädchen. Wir müssen in den Bunker.«
Im Vorraum trat die dicke Kassiererin von einem Bein aufs andere. »Los! Schnell!« Sie schob sich vor zum Eingang.
Hannah wollte an ihr vorbeilaufen, nach rechts, die Grindelallee hinauf, bis sie in den Grindelberg überging. Wenn Robert nicht mehr hier war, musste er längst auf dem Weg dorthin sein, zu Kathrinchen.
Warum war sie nicht sofort losgerannt? Warum hatte sie nur gewartet?
Sie musste sich an der Kassiererin vorbeidrängen, um nach draußen zu gelangen. Im gleichen Moment hörte sie die ersten Detonationen. Von links aus rückten sie näher. Hannah zögerte, blieb stehen und schaute den Berg hinauf. Sie würde es nicht mehr schaffen. Zu schnell kamen die Flugzeuge näher.
»Mädchen, komm!« Die Kassiererin fasste ihre Hand, zog sie mit sich nach links und wuchtete ihren massigen Körper erstaunlich schnell voran.
Hannah gab den Widerstand auf, ließ sich zum Bunker am Bornplatz führen, während die Bomber auf sie zudröhnten. Eine Detonation folgte auf die nächste, die Luft war erfüllt von knisternden Metallstreifen, die auf die Straße niederflatterten.
In der Tür zum Bunker stand jemand und winkte sie heran. »Schnell! Wir müssen schließen.«
Dann waren sie in der schützenden Dunkelheit, die Kassiererin, der Vorführer und Hannah. Vor ihnen im Bunker wisperte das Murmeln unzähliger Menschen. Die schwere Stahltür rastete hinter ihnen ein, gerade rechtzeitig, ehe die Bomber über Rotherbaum hinwegdonnerten, kurz bevor die erste Detonation den Bunker erschütterte.
Kinder heulten auf, Erwachsene stießen gedämpfte Schreie aus. Erst jetzt bemerkte Hannah, wie voll es war. Dicht an dicht saßen die Menschen beieinander. Nicht die Hausgemeinschaft eines einzelnen Mietshauses, sondern unzählige Fremde, die auf wenigen Habseligkeiten hockten und ihre Kinder im Arm hielten. Das Licht der schummerigen Notbeleuchtung ließ ihre Gesichter matt und fahl erscheinen.