DAS BUCH
Als Kind wurde die junge und atemberaubend schöne Cat Benoit von dem kriminellen Gestaltwandler Rafe Cordeau entführt und gefangen gehalten. Jahre später gelingt ihr die Flucht, und sie kann sich in Texas eine neue Existenz aufbauen. Sie arbeitet in einem Café, findet neue Hobbys und wähnt sich zum ersten Mal seit langer Zeit in Sicherheit. Als sie dann noch dem unverschämt attraktiven Ridley Cromer begegnet, scheint Cats Leben endlich eine Wendung zum Besseren zu nehmen: Ridley, selbst ein Leopardenmensch, spürt, dass auch Cat das magische Erbe der Gestaltwandler in sich trägt und dass ihr Hal Von Don kurz bevor steht. Er verspricht ihr, sie vor Rafes Häschern zu beschützen und ihr durch die erste schwierige Verwandlung zu helfen. Schon bald wird aus der anfänglichen Freundschaft zwischen Cat und Ridley eine feurige Liebesbeziehung, und Cat lässt sich von den Wellen der Leidenschaft davon tragen. Für einen kurzen Moment des Glücks, kann sie sogar ihre schreckliche Vergangenheit in Rafes Gewalt vergessen. Doch ist Ridley wirklich der, der er zu sein behauptet? Und wie lange wird Cat ihre Liebe zu ihm vor Rafe geheim halten können?
DIE LEOPARDENMENSCHEN-SAGA:
Erster Band: Wilde Magie
Zweiter Band: Magisches Feuer
Dritter Band: Wildes Begehren
Vierter Band: Feuer der Wildnis
Fünfter Band: Dunkle Liebe
Sechster Band: Geliebte Jägerin
DIE AUTORIN
Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren elf Kindern lebt. Sie begann bereits als Kind zu schreiben und hat seit 1999 bereits mehr als dreißig Romane veröffentlicht, die in den USA mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden und regelmäßig auf den Bestsellerlisten stehen. Auch in Deutschland ist sie mit ihrer Schattengänger-Saga, der Leopardenmenschen-Saga, den Drake-Schwestern und der Sea-Haven-Saga äußerst erfolgreich.
Mehr zu Autorin und Werk erfahren Sie unter:
www.christinefeehan.com
Christine Feehan
Geliebte Jägerin
ROMAN
Aus dem Amerikanischen übersetzt
von Ruth Sander
Titel der amerikanischen Originalausgabe
CAT’S LAIR
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Deutsche Erstausgabe 10/2016
Redaktion: Sabine Kranzow
Copyright © 2015 by Christine Feehan
Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag,
München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung von Shutterstock /sakkmesterke
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-19771-1
V001
www.heyne.de
Für meine Amanda Martin,
in Liebe
1
Catarina Benoit erwachte von ihren eigenen Schreien. Schrecklichen, schmerzlichen Schreien, die im ganzen Raum widerhallten. Ihr Herz klopfte wie wild, sie war schweißgebadet, und das lange Haar hing ihr in feuchten Strähnen um den Kopf. Sie presste eine Hand auf den Mund, um die Schreie zu unterdrücken, und ihre Kehle fühlte sich wund an, während sie ihre Augen durchs Zimmer schweifen ließ. Schnell suchte sie alles ab. Wie immer.
Zuerst kontrollierte sie den oberen Bereich – alle Winkel, in denen er lauern konnte. Regungslos, aber sprungbereit. Dann überprüfte sie die Fenster. Sie waren vergittert, doch sie wusste, dass ihn das nicht aufhalten konnte, falls er sie gefunden hatte. Nichts konnte ihn aufhalten. Er kam in jedes Gebäude hinein, egal welches. Rafe Cordeau war einem Albtraum entsprungen.
Aber sie war sicher vor ihm. Es konnte nicht anders sein. Sie lebte völlig zurückgezogen. Sozusagen im Untergrund. Sie verließ das Haus nur bei Nacht. Die einzige Ausnahme war, dass sie kurz vor Sonnenuntergang eine Stunde laufen ging. Und sie arbeitete in einem ruhigen Stadtteil, in einem Laden, in dem niemand sie jemals vermutet hätte. Rafe würde nie dahinterkommen, nicht in einer Million Jahren. Diesmal würde er sie nicht finden. Sie hatte zu sorgfältig geplant. Hatte sogar genug Geld gestohlen, um neu anfangen zu können. Direkt aus seinem Safe. Dem, den niemand knacken konnte. Aber sie hatte es geschafft. Er würde sie nicht zu fassen bekommen. Nie wieder.
Sie ließ sich in die Kissen zurückfallen, rollte sich Schutz suchend zu einem kleinen Ball zusammen und wiegte sich sanft hin und her, um sich zu beruhigen und den schrecklichen Albtraum zu vergessen. Der bittere Geschmack lag ihr noch im Mund.
Doch während sie tief ein- und ausatmete, damit ihr rasender Puls langsamer wurde, hatte sie das Gefühl, dass irgendetwas in ihr sich streckte und reckte. Auch das jagte ihr Angst ein. Dieses Etwas, das ruhig auf die Gelegenheit wartete, aus ihr herauszukommen, und von dem sie fürchtete, es könnte ein Monster sein. Ein Monster, das er ihr eingepflanzt hatte, damit sie so wurde wie er.
Sie wusste, dass sie nicht wieder einschlafen würde. Obwohl an allen Fenstern dicke Vorhänge hingen, die die Sonne aussperrten, würde sie wach daliegen. Sie zwang sich, die Beine lang zu machen. Das tat weh. Jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte, weil sie so furchtbar angespannt war. Sie wusste aus Erfahrung, dass sie sich den ganzen Tag fühlen würde, als wäre sie mit einem Baseballschläger verprügelt worden.
Sie setzte sich auf, rutschte an die Bettkante und tastete wie immer zuerst nach der Pistole, die unter ihrem Kopfkissen versteckt war. Wenn sie die schwere Waffe in der Hand hielt, ging es ihr immer gleich besser. Sie trieb viel Sport und trainierte hart, obwohl sie wusste, dass sie trotzdem keine Chance gegen ihn haben würde, wenn er sie aufspürte. Dennoch lebte sie ihr Leben. Ein ruhiges, einsames Leben. Das seine Chancen, sie zu finden, reduzierte.
Sie ging unter ihre kleine Dusche. Die Vorrichtung bestand aus einem Schlauch mit einem Sprühkopf, der an einen kleinen Verschlag rund um einen Abfluss montiert war. Doch das kümmerte sie nicht. Sie war in Sicherheit. Sie wohnte nicht mehr in ihrem Auto, sondern in einem größtenteils leer stehenden Lagerhaus. Es gehörte ihrem Kampfsportlehrer, der ihr erlaubt hatte, es zu mieten, nachdem er herausgefunden hatte, dass sie in ihrem Auto schlief. Er hatte auch die Gitter vor den Fenstern für sie angebracht. Das Doppelschloss hatte sie selbst eingebaut.
Sie hatte alles getan, was nötig war, damit sie sich sicher fühlte, und dann hatte sie sich etwas geschworen: Sie würde jede einzelne Sekunde, die sie in Freiheit verbrachte, glücklich sein. Sie würde sich nicht abgeschnitten von der Welt im Lagerhaus verstecken, sie würde leben. Sie würde klug und umsichtig vorgehen, doch diesmal würde sie sich nicht verkriechen wie eine Maus. Es hatte ihr schon beim letzten Mal nicht viel genützt, ihr nur das bisschen Freiheit geraubt, das sie sich erobert hatte. Den Preis war das Ganze definitiv nicht wert gewesen. Deshalb würde sie es nun anders machen.
Catarina presste die Finger an die Schläfen, denn sie wollte nicht mehr daran denken, wie er sie damals gefunden hatte und wie schrecklich seine Strafe gewesen war. Ein Schauder schüttelte sie. Sie hatte teuer bezahlt, doch das hatte sie nur in dem Entschluss bestärkt, endgültig zu fliehen. Trotzdem hatte sie in ständiger Angst gelebt, und er hatte geglaubt, das sei ein Vorteil für ihn. Sie hatte ihn in dem Glauben gelassen und war dann erneut geflüchtet.
Ihr Leben hatte eigentlich erst mit ihrem Kampfkunstlehrer begonnen. Malcolm Hardy war Ende sechzig und schien gleich, als sie in seine Klasse gekommen war, bemerkt zu haben, dass irgendetwas mit ihr nicht stimmte. Er hatte nicht direkt Fragen gestellt, doch irgendwie hatte er herausgefunden, dass sie in ihrem Auto wohnte, und beiläufig von seinem leeren Lagerhaus erzählt. Das war der Anfang ihrer seltsamen Freundschaft gewesen.
Catarina war noch nie im Leben mit irgendjemandem befreundet gewesen und hatte sich zunächst argwöhnisch gefragt, warum er so nett zu ihr war. Malcolm hatte Monate gebraucht, bis sie ihm genug vertraute, um nach dem Unterricht noch etwas zu bleiben und ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Von ihrer Vergangenheit hatte sie ihm natürlich nichts erzählt, nur von ihrer Suche nach einem Job und einem sicheren Zuhause. Das Wort sicher hatte sie extra benutzt, in der Hoffnung, dass er sie verstehen würde – und so war es auch gewesen.
Als sie geflüchtet war, hatte sie keine Unsummen aus dem Safe entwendet, denn sie wollte Rafe, falls er ihrer vielleicht doch überdrüssig war, keinen weiteren Grund liefern, sie zu suchen. Das hieß, sie hatte nicht viel Geld. Und dass er seine Killer auf sie hetzen würde, falls er eben doch nicht mit ihr fertig war. In jedem Fall musste sie sparsam und wachsam sein.
Nach und nach hatte Malcolm sie mit seinen vielen kleinen Nettigkeiten überzeugt. Er war wie zufällig vorbeigekommen und hatte die Gitter an den Fenstern montiert, nachdem sie erwähnt hatte, dass sie ein wenig nervös sei. Und er war auch derjenige gewesen, der ihr Arbeit besorgt hatte, nachdem sie ihm von ihrem Traumjob erzählt hatte.
Catarina liebte ihre Arbeit. Der alte Kaffee-Schrägstrich-Bücherladen, in dem sie angestellt war, war eine Art Treffpunkt, wo Dichter und Schriftsteller freitags zusammenkamen und aus ihren Werken vortrugen. Der Laden war wie aus einer anderen Welt, und das gefiel ihr. Überall waren Bücher, und die Leute trafen sich, um zu reden und zu lesen und ihre Arbeit vorzustellen. Catarina fand es schön, dass der Ort ein Überbleibsel aus einer vergangenen Zeit war und dort ein treues Publikum von Leuten verkehrte, die definitiv ganz besonders waren.
Sie achtete darauf, niemals aufzufallen, deshalb kleidete sie sich in weite Jeans und T-Shirts. Ihr dichtes Haar wuchs schon immer schnell nach, und das wurde noch verstärkt, wenn sie es häufig schnitt. Sie hatte es aufgegeben, es kurz zu halten, und fasste es zu einem Pferdeschwanz oder einem Zopf zusammen und setzte oft noch einen Hut auf. Da alle, die ins Café kamen, Baskenmützen oder Filzhüte trugen, fiel das nicht weiter auf. Außerdem trugen die meisten Sonnenbrillen, sogar nachts, also versteckte sie ihre ungewöhnlichen kobaltblauen Augen ebenfalls hinter dunklen Gläsern.
Das Café hatte fast rund um die Uhr geöffnet, und sie hatte die Schicht, die von sieben Uhr abends bis drei Uhr morgens ging. Dann schloss der Laden. Er hatte großen Zulauf von Leuten, die auf einen Sprung hereinkamen, um sich vom Trinken, Tanzen und Feiern in den Bars zu erholen, die um zwei Uhr zumachten. Diese Klientel gefiel Catarina nicht besonders gut, aber sie hatte sich daran gewöhnt.
Eine Stunde verbrachte sie damit, auf den schweren Sandsack einzuschlagen, den Malcolm ihr aufgehängt hatte, die nächste mit Sit-ups und Push-ups. Dann streifte sie eine ausgeleierte Jogginghose über und lief los. So ging noch eine Stunde herum, und es wurde Abend. Noch einmal duschen, und sie konnte zum Café gehen.
Sie bemühte sich, sich nicht mit klopfendem Herzen zu fragen, ob der neue Lehrer, den Malcolm angestellt hatte, wohl wieder vorbeikommen würde. Sie sah ihn so gerne an. Er machte sowohl im Dojo als auch im Café eine gute Figur. Es war ihr noch nie passiert, dass sie sich in einen Mann verguckt hatte – das hatte sie sich nie getraut. Aber der Mann war etwas Besonderes. Alles an ihm war besonders.
Er kam seit einem Monat ins Dojo, und sie hatte ihn mit dem gleichen Misstrauen beobachtet, das sie allen Menschen entgegenbrachte, die neu in ihre Welt traten. Er war ohne jede Frage der schönste Mann, den sie je gesehen hatte. Er war ein brutaler Kämpfer, bewegte sich aber so elegant und geschmeidig wie ein Tänzer. Er war leichtfüßig, blitzschnell und gewandt. Und blieb immer, unter allen Umständen, gelassen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihn irgendetwas aus der Ruhe bringen konnte. Er verkörperte die Welt der Kampfkunst – und lebte nach ihren Regeln –, nicht nur im Dojo, sondern auch außerhalb.
Dennoch blieb sie auf Abstand, obwohl er sie im Dojo bemerkt und sogar ein- oder zweimal angelächelt hatte. Sie hatte nicht zurückgelächelt. Sie wollte niemanden ermutigen, sie anzusprechen, denn sie wollte keine Beziehung. Nicht dass sie nie mit jemandem sprach, doch er weckte Gefühle, die sie noch nie gehabt hatte. Aber sie sah ihn gern an. Vielleicht sogar ein bisschen zu gern.
Früher hatte sie nie erotische Fantasien oder Träume gehabt. Und sie war nie mit einem brennenden Verlangen nach Sex aufgewacht, oder mit Brüsten, die sich geradezu schmerzhaft nach der Berührung eines Mannes sehnten. Erst als sie Malcolms neuen Lehrer gesehen hatte, hatte sich etwas in ihr geregt. Irgendetwas hatte sich verändert, denn nun schwelgte sie plötzlich nachts, wenn sie nicht gerade Albträume hatte, in erotischen Träumen, die sie so erregten, dass sie ihr den Atem raubten. Dann endeten diese Träume abrupt, ihr Körper beruhigte sich, und alles war wieder in bester Ordnung. Sie musste sich definitiv von diesem Mann fernhalten, aber ansehen durfte sie ihn.
Zwei Wochen nachdem er bei Malcolm angefangen hatte, war er im Café aufgetaucht. Sie hatte ihn sofort bemerkt. Wie hätte es anders sein können? Wenn er sich bewegte, zog das faszinierende Spiel seiner Muskeln trotz des schwarzen T-Shirts darüber die Augen aller anwesenden Frauen auf sich. Ridley Cromer. Der Name war so seltsam und einzigartig wie der Mann selbst.
Catarina stand vor dem Café, schaute in die Fenster und war glücklich. Sie achtete stets darauf, sich bewusst zu machen, dass sie glücklich war. Das war wichtig. Wenn sie morgens aufwachte, redete sie sich immer, immer wieder ein, dass sie an diesem Tag glücklich sein würde.
»Hallo, meine Schöne.«
Sie erstarrte, und ihr Lächeln verschwand. Seltsam an Ridley Cromer war auch, dass sie ihn nie kommen hörte. Er bewegte sich völlig lautlos. Dabei hörte sie sonst alles und bemerkte jeden, der sich ihr näherte. Deshalb war sie auch eine so gute Kämpferin – weil sie jede Reaktion ihres Gegners vorhersah. Es war, als hätte sie eine Art Radar, der alles in ihrer Umgebung erfasste. Alles außer Ridley Cromer.
Mit angehaltenem Atem wandte sie den Kopf. Als ihre Blicke sich trafen, stieß sie unwillkürlich die Luft aus, als hätte sie einen Schlag in die Magengrube bekommen. Er hatte wunderschöne Augen. Und der Blick, mit dem er sie musterte, war sehr intensiv. Alles, was er tat, tat er sehr konzentriert. Wie ein Zen-Meister.
Catarina zwang sich, höflich zu nicken, denn wenn sie versucht hätte zu sprechen, hätte sie nur gequiekt wie eine Maus. Mehr wäre nicht aus ihr herausgekommen. Ridley Cromer war wirklich eine Augenweide. Ein Mann, von dem man schwärmen konnte. Oder in der Nacht auch träumen, aber man durfte nicht mit ihm reden. Sich nicht mit ihm einlassen. Nie. Diese strikte Regel sollten alle Frauen auf der Welt befolgen, wenn sie klug waren.
»Arbeitest du heute oder suchst du nur Gesellschaft?«
Seine Stimme war tief und sexy. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Sie schluckte schwer. Sie hatte noch nie von jemandem geschwärmt, und nun stand der Mann ihrer Träume direkt vor ihr und schaute mit freundlichem Blick und blitzend weißen Zähnen lächelnd auf sie herab. Man sollte ihn einsperren, zum Schutz der Frauen.
Catarina schüttelte den Kopf und griff nach der Türklinke. Da er gleichzeitig die Hand danach ausstreckte, landete seine auf ihrer. Ein unmissverständlicher Schauer rieselte ihr über den Rücken, ihr Magen zog sich zusammen, ihre Brüste begannen zu prickeln, und tief in ihrem Innern wurde es heiß. Nicht so wie nachts, wenn das Verlangen in ihr brannte, aber …
Er zog seine Hand nicht zurück, und sie konnte ihre nicht von der Klinke lösen, obwohl er sie nur ganz leicht berührte. Sie hätte ihre Hand wegziehen können, aber sie war wie gelähmt. Er nutzte das, um noch näher an sie heranzutreten, so nah, dass sie die Hitze seines Körpers spürte. Er war heiß wie ein Ofen. Als sein warmer Atem ihren Nacken streifte, wünschte sie sich, sie hätte ihr Haar nicht zusammengebunden, dann wäre das nicht passiert.
»Du heißt Cat, oder? Malcolm nennt dich Cat. Du bist seine Lieblingsschülerin. Dabei hat er so was vorher nie gehabt. Ich bin Ridley Cromer.«
Catarina schloss kurz die Augen. In ihren Ohren dröhnte es. Als ob es in ihrem Gehirn einen Kurzschluss gegeben hätte. Seine tiefe, sonore Stimme ging ihr unter die Haut und verbreitete sich in ihrem Blut wie eine berauschende Droge. Niemand rührte sie an. Niemand wagte das. Er hatte ein Tabu gebrochen. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte.
»Du bist schnell. Sogar sehr schnell«, fuhr er fort, als wäre ihm gar nicht aufgefallen, wie schlecht sie sich benahm, indem sie nicht antwortete. »Ich konnte nicht anders, ich musste dir neulich beim Sparring einfach zusehen. Du hast ja Typen fertiggemacht, die schon wesentlich weiter sind als du. Die viel mehr Erfahrung haben. Das war wunderschön anzusehen.«
Wunderschön anzusehen. Das würde sie sich merken und sich daran weiden, wenn sie allein war. Ein Kompliment. Aus dem Munde eines Mannes, der sicher jedem im Dojo überlegen war, wahrscheinlich auch Malcolm, war das ein sehr hohes Lob. Trotzdem konnte sie nicht ewig so stehen bleiben wie ein Idiot.
Endlich kam sie wieder zu Verstand, drückte hastig die Klinke herunter und warf ihm über die Schulter ein – wie sie hoffte – lässiges, dankbares Lächeln zu. Dann riss sie die Tür auf, trat einen Schritt zurück und stieß mit ihm zusammen. Direkt.
Er war wie ein Fels. Hart wie Stein. Automatisch legte er seine Arme um sie, damit sie nicht stürzte. Die Hitze, die von ihm ausstrahlte, brannte sich fast durch ihre Kleider.
Zu ihrem absoluten Entsetzen schlug die Tür wieder zu, als sie sich nach vorn warf, um von ihm wegzukommen. Fast wäre sie gegen das dicke Glas gestoßen, wenn er sie nicht schnell bei der Taille gepackt und sanft von der Tür weggezogen hätte.
Sie hatte in Gefahr geschwebt, und er hatte sie gerettet.
»Lass mich das besser machen, Kätzchen.«
Catarina schoss die Röte direkt ins Gesicht. Sie wäre am liebsten im Erdboden versunken, als sie diese typisch männliche Erheiterung in seiner Stimme hörte. Sie war eine Gans – eine dumme Gans, die die Zähne nicht auseinanderbekam –, und er würde sie für schwachsinnig halten. Aber – sie schnappte nach Luft – das war auch gut so. Er würde sie einfach stehen lassen und hoffentlich nie wieder mit diesen Augen ansehen. Diesen wunderschönen, antikgoldenen Augen. Gab es überhaupt so eine Augenfarbe?
Ridley hielt ihr die Tür auf und wartete. Glücklicherweise war sie imstande zu gehen, deshalb trat sie über die Schwelle und versuchte es noch einmal mit einem kleinen, hoffentlich dankbaren Lächeln über die Schulter. Dann stakste sie zur Theke und verstaute ihre Sachen dahinter.
Ganz gewiss gab es irgendwo im hinteren Bereich, wo niemand sie sehen konnte, ein paar Bücher, die einsortiert werden mussten. Jemand anders sollte den Kaffee machen, sie wollte sich nur noch verstecken.
»Oh, gut, dass du da bist, Cat.« David Belmont, der Besitzer des Poetry Slam, warf ihr eine Schürze zu. »Na los, Süße. Alle haben sich beschwert, weil mein Kaffee anscheinend nicht so gut schmeckt wie deiner. Ich habe dir tausendmal zugesehen und mache genau das Gleiche, aber irgendwie kommt etwas anderes dabei raus.«
»Du machst eben nicht gerne Kaffee, David«, erwiderte Catarina und band sich die Schürze um. Angesichts der Tatsache, dass ihm der Laden gehörte, fand sie das sehr lustig.
Sobald sie hinter der Kaffeemaschine stand, stellte sich David hinter die Theke, um die Bestellungen entgegenzunehmen. Dabei war er sichtlich in seinem Element, plauderte mit den Gästen, die er oft mit Namen kannte, und überredete sie, zusammen mit dem Kaffee auch noch etwas Gebäck zu kaufen. Er erinnerte sich sogar an die Gedichte und Geschichten, die einige von ihnen zum Besten gegeben hatten. Er war fantastisch im Umgang mit Kunden, so wie sie an der Kaffeemaschine. Sie waren ein tolles Team.
Catarina schaute nicht auf, wenn jemand bestellte. Es gehörte zu ihrer Strategie, stets im Hintergrund zu bleiben. Im Café nicht bemerkt zu werden. Leider gelang ihr das nicht, denn all ihre Kaffee-Kreationen waren großartig, und das war den Kunden aufgefallen. Sie war die beste Barista der Stadt, und deshalb kamen jeden Abend mehr Gäste.
Sie hatte hart gearbeitet, um sich insgeheim das nötige Wissen anzueignen. Sie hatte viel gelesen, unzählige Videos geguckt und Bücher übers Kaffeemachen auswendig gelernt. Doch davor hatte sie sich erst das Lesen beibringen müssen. Darauf war sie ein wenig stolz. Rafe würde nie, niemals darauf kommen, dass sie in einem Buchladen oder Café arbeiten könnte. Niemals. Für ihn war sie die arme kleine Catarina, die weder lesen noch schreiben konnte.
Sie hielt die Augen fest auf die Espressomaschine gerichtet, als sie Ridley seine Bestellung aufgeben hörte, mit dieser sonoren Stimme, die in ihrem Bauch tausend Schmetterlinge zum Flattern brachte. Sie wusste im Voraus, was er wollte, wie bei den meisten Stammkunden. Er kam noch nicht allzu lange ins Café, aber wenn er da war, war ihr seine Anwesenheit sehr bewusst – so wie allen anderen Frauen. Daher wusste sie genau, welchen Kaffee er wollte.
Und sie wusste auch, ohne aufschauen zu müssen, wo er sich hinsetzen würde. Er zog immer ein Buch hervor, meist eins über Meditation oder buddhistische Lehren, und las, während er seinen Kaffee trank. Er mochte ihren Kaffee. Sie hatte ihn beobachtet, heimlich natürlich, und er machte immer ein zufriedenes Gesicht. Das war ihr Verdienst. Sie war vielleicht keine gute Gesprächspartnerin, aber sie machte unglaublich guten Kaffee.
Catarina zwang sich, erst fünfzehn weitere Bestellungen zu erledigen, ehe sie aufsah. Sofort begegnete sie seinem Blick. Fast wäre sie in seine wunderschönen, goldglitzernden Augen hineingefallen. Sie lief rot an. Sie merkte es. Aber sie konnte es nicht verhindern. Er warf ihr ein kleines, aufreizendes Lächeln zu. Schnell schlug sie die Augen nieder, ohne zurückzulächeln, und konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit.
Ein Blick und schon wurde ihr ganz flau im Magen. Was war bloß mit ihr los? Sie reagierte nicht körperlich auf Männer. Das war einfach nicht in Ordnung. Sie konnte doch nicht so dumm sein, sich eine Beziehung zu wünschen. Das könnte jemanden das Leben kosten. Jedenfalls hatte sie ohnehin viel zu viel Angst davor. Sie wusste ja nicht einmal, was sie sich unter einer Beziehung vorstellen sollte.
Aber er sah verdammt gut aus, gestand sie sich mit einem versteckten Lächeln ein. Verdammt gut. Die vertraute Geräuschkulisse des Cafés beruhigte ihre Nerven. Und der Duft von Kaffee und frischem Gebäck ließ auch sie lockerer werden. Als es dunkel wurde, begann der Dichter-Wettstreit. Meist gab es bei den Gedichten nicht viel zu lachen, aber sie hörte sie trotzdem gern.
Bernard Casey, ein Stammkunde, der normalerweise als Erster ans Mikrofon ging, ließ sich von David seinen Caramel Macchiato geben, nahm einen Schluck und beugte sich über die Theke, so wie jeden Abend.
»Hey, Kaffeefrau, das schmeckt mal wieder himmlisch.«
Catarina schenkte ihm ein Lächeln. Bernard war ungefährlich. Er war nur an seinem Kaffee und seinen Gedichten interessiert. »Hey, Kaffeemann, das freut mich.« Er sah sie nur dann an, wenn er ihr dieses Kompliment machte.
Es war ihre Standard-Begrüßung. Danach winkte Bernard ihr zu und setzte sich an den Tisch, an dem er immer saß – direkt vor dem Mikrofon, damit er sicher sein konnte, dass er der erste und letzte Kandidat des Abends sein würde.
Ridley beobachtete Catarina über den Rand des Buches hinweg, an dem er kein Interesse mehr hatte. Sie war wunderschön, und sie hatte Angst. Sogar sehr große Angst. Sie glaubte offenbar, ihr gutes Aussehen verstecken zu können, aber ein Mann musste schon blind sein, um es nicht trotz der schlabbrigen Kleidung und der mühsam gebändigten Haarpracht zu bemerken.
Ihre Sonnenbrille konnte nicht verbergen, dass ihr Teint perfekt war, und wenn sie die Brille abnahm und einen mit ihren ungewöhnlichen kobaltblauen, manchmal sogar violetten Augen ansah, die von langen, dunklen Wimpern gerahmt wurden, war es wie ein Schlag in die Magengrube, und man kam – nun ja – auf gewisse Gedanken.
Und dann war da noch ihr Mund. Volle Lippen mit einem schönen Schwung. Am Ende ganz leicht nach oben gebogen. Schon allein ihre Unterlippe konnte einen Mann dazu bringen, auf die Knie zu fallen und die ganze Nacht von ihr zu träumen. Wenn sie diese Lippen zu einem kleinen, abwesenden Lächeln verzog, das verriet, dass sie mit ihren Gedanken ganz woanders war, musste sich jeder Mann, der diesen Namen verdiente, herausgefordert fühlen. Und für ein Lächeln, wie sie es gerade Bernard geschenkt hatte, dem armen Kerl, der seine Gefühle für sie in Gedichten ausdrückte, hätte jeder Mann einen Mord begangen.
Sie war überhaupt nicht so, wie er gedacht hatte. Er hatte sie im Dojo bei ihren Kursen und ihrem Training mit Malcolm beobachtet. Sie war konzentriert und intelligent, was beim Kampf sehr wichtig war. Außerdem war sie schnell, hatte gute Reflexe, und sie bewegte sich so geschmeidig und graziös, dass es ihm den Atem verschlug. Er war nicht der einzige Mann im Dojo, der innehielt, um ihr zuzuschauen.
Er hatte sie für eine Herzensbrecherin gehalten. Das Zeug dazu hatte sie. Bei dem Gesicht und der Figur. Und dazu diese Stimme. Sie sprach sehr leise und ein wenig schleppend, was ihn unwillkürlich an den lauen Sommerabend erinnerte, als er unter einem dunklen, mit unzähligen funkelnden Sternen besetzten Himmel im Boot über den Bayou geglitten war, mit einer nackten Frau im Arm.
Sie hätte vor Selbstvertrauen strotzen sollen. Immerhin hatte sie welches, wenn sie gegen die Männer kämpfte, die Malcolm für sie auswählte, die aber bislang alle an ihr gescheitert waren – egal, welchen Rang sie hatten. So schnell war sie. Sie hatte auch Selbstvertrauen, wenn sie hinter der Espressomaschine stand, und das aus gutem Grund. Auch dafür reichte es, dass sie nachts um drei allein nach Hause ging, obwohl sie das besser nicht tun sollte.
Aber sie schaute keine Männer an. Sprach nicht einmal mit ihnen. Sie flirtete nicht. Er hatte sie nicht ein einziges Mal mit irgendjemandem schäkern sehen. Weder mit einem Mann noch mit einer Frau. Sie war ihm ein absolutes Rätsel, doch er würde dieses Rätsel lösen.
Er war absichtlich so nah an sie herangetreten, dass sie sich bedrängt fühlte, weil er sehen wollte, wie sie reagierte. Sie hatte sich nicht verteidigt. Und ihn auch nicht zum Teufel geschickt. Sie war einfach erstarrt vor Angst. Das hatte ihn verwirrt, was nicht allzu häufig vorkam. Und auch gereizt, was noch seltener vorkam. Darüber hinaus war etwas Merkwürdiges in seinem Körper vorgegangen.
Er war ein Mann, der immer alles unter Kontrolle hatte. In jeder Situation. Das machte ihn aus. Er hatte sein Leben fest im Griff. Er war ein echter Kerl, der gern das Sagen hatte und stets bekam, was er wollte. Da war er stur. Frauen, insbesondere Herzensbrecherinnen, interessierten ihn nicht besonders. Catarina allerdings … Als sie mit ihrem weichen Körper gegen seinen geprallt war und er ihre nackte Haut berührt hatte, hatte er plötzlich Heißhunger auf sie bekommen. Er wollte sie. Nur für sich allein. Das war ihm noch nie passiert.
Er schaute auf seine Arme hinunter, auf die Tattoos, die er sich im Laufe der Jahre hatte stechen lassen. Sie ließen ihn gewalttätig wirken. Das wusste er. Und das war gut so. Außerdem trug er sein Haar absichtlich ein wenig länger als die meisten, damit andere Männer gleich gewarnt waren. Sie beeilten sich, ihm aus dem Weg zu gehen, wenn er etwas haben wollte. Besonders, wenn es um eine Frau ging.
Er hatte es leicht beim weiblichen Geschlecht. Er brauchte sich keine große Mühe zu geben, und das war okay, doch es dauerte nie länger als ein oder zwei Nächte – jedenfalls nicht für ihn. Aber diese Frau … Sie würde in seinen Armen in Flammen aufgehen und unersättlich sein. Das sah er schon auf den ersten Blick. So wie jeder andere Mann, der in ihre Nähe kam. Der Unterschied war, dass die meisten anderen sich zügelten und auf ein Zeichen warteten, das niemals kommen würde. Das war ganz sicher nicht der richtige Weg, mit einer Frau wie Catarina umzugehen. Sie musste von einem Mann erobert werden, der genau wusste, was er wollte.
Cat spürte, dass Ridleys Blick auf ihr ruhte. Sie brauchte nicht aufzuschauen, um zu wissen, dass er sie beobachtete. Ihr Körper reagierte wie von selbst so, als stünde er direkt vor ihr. Sie wurde unruhig und ungeduldig, und dieses Wilde, das in ihr lauerte, begann, sich zu regen. Ihre Haut wurde ihr zu eng, sie bekam keine Luft mehr, und ihr Schädel fühlte sich an, als würde er gleich platzen. Einen schrecklichen Augenblick lang wurde ihr glühend heiß, und sie spürte wieder dieses schreckliche Brennen im Schritt. Sie war so gierig nach Sex, dass es ihr den Atem raubte.
Entsetzt riss sie sich die Schürze herunter und warf sie David zu. »Ich brauche eine Pause, nur eine ganz kleine.«
Selbst in ihrer Zufluchtsstätte, am einzigen Ort, an dem sie andere Menschen treffen konnte, versuchte ihre Vergangenheit sie einzuholen. Sie war sich bewusst, dass Ridley sie sofort wachsam ins Auge fasste, aber sie würdigte ihn keines Blicks. Die Vergangenheit war zu nah. Noch aus einer Entfernung von tausend Meilen kontrollierte er sie. Sie konnte keinen anderen Mann ansehen, ohne dass etwas Furchtbares in ihr vorging.
Die deckenhohen Bücherregale standen eng beieinander. Catarina schlängelte sich hindurch und stieß die Hintertür auf. Die kühle, erfrischende Luft traf ihr Gesicht, und die Nacht hüllte sie in eine dunkle Decke. Sie holte mehrmals tief Luft und ging nach draußen. Es war schön, die kalte Luft auf der Haut zu spüren. Sie nahm den Hut ab und setzte sich auf die Treppenstufen, die zur Hintertür führten.
Seltsamerweise hatte sie immer eine sehr gute Nachtsicht gehabt, und in den letzten Monaten war sie sogar noch besser geworden. Es gefiel ihr, im Dunkeln sehen zu können, denn sie liebte die Nacht. Nachts war die Welt völlig anders, und sie fühlte sich wohl darin. So als gehörte sie dazu. Und das konnte Rafe ihr nicht wegnehmen.
»Kätzchen?«
Sie musste einen Aufschrei unterdrücken und fuhr so schnell herum, dass sie fast von den Stufen gefallen wäre. Ridley stand hinter ihr im Türrahmen. Sein großer, kräftiger Körper wirkte beruhigend und beängstigend zugleich. Er kam nach draußen, schloss die Tür und ließ sich neben ihr nieder.
»Alles in Ordnung? Du bist vorhin ganz blass geworden.«
Seine Stimme wirkte hypnotisch. Jedenfalls auf sie. Sie nickte, denn er löste den Blick nicht von ihrem Gesicht und musterte es eindringlich.
Plötzlich runzelte er die Stirn. »Hast du etwa Angst vor mir? Ich habe die ganze Zeit gedacht, du wärst bloß schüchtern, aber du hast Angst vor mir.« Das war eine Feststellung.
Catarina wandte das Gesicht ab. Glücklicherweise war dieses Etwas in ihr, das hervorzukommen drohte, was auch immer es sein mochte, zusammen mit dem schrecklichen Verlangen verschwunden, von Ridley gestreichelt und geküsst zu werden.
Sanft griff er nach ihrem Kinn und drehte ihren Kopf wieder in seine Richtung. »Ich würde dir nie etwas tun. Du kennst mich nicht, aber ich würde niemals die Hand gegen eine Frau erheben. Das ist nicht meine Art. Ich bin neu in der Stadt, und du bist im Dojo und machst fantastischen Kaffee, nichts weiter. Ich suche nur ein wenig Gesellschaft, Cat. Jemanden, mit dem ich reden kann. Mehr nicht. Das ist alles.«
Es war unmöglich, ihm in die Augen zu schauen und ihm nicht zu glauben. So nah bei ihm konnte sie seinen Duft riechen, und er gefiel ihr. Er war sehr angenehm. Sehr maskulin. Die Wimpern um seine unglaublichen, goldenen Augen waren lang und dicht. Und seine Tattoos waren genauso kompliziert und faszinierend wie er. Sie zogen sich über beide Arme und lenkten die Aufmerksamkeit auf seine beeindruckenden, gut definierten Muskeln.
Er sah sie immer noch an, ohne auch nur einmal zu blinzeln, seine Finger hielten ihr Kinn, sanft, aber entschlossen. Fast hätte sie vergessen, wie fasziniert sie allein schon von seinen Augen war. Sie zwang sich, Luft zu holen, und lächelte ihn an. Doch ehe sie etwas sagen konnte, schüttelte er den Kopf.
»Ich habe die echte Version gesehen, Cat. Vorhin bei Bernard. Du hast ihm ein richtiges Lächeln geschenkt, das strahlende, das jeden Mann schon von Weitem umhaut. Ich will kein falsches Lächeln. Entweder du zeigst mir das echte oder du lässt es. Und ich sage dir noch einmal, dass ich Frauen nicht wehtue.«
Seine Stimme war wie Samt auf der Haut. Catarina erschauerte. »Tut mir leid, aber ich habe keine Angst vor dir.« Das war eine glatte Lüge. »Ich rede nur nicht sehr viel.« Und das war lahm. Sogar mehr als das. Sie benahm sich völlig idiotisch, aber vielleicht war das ihre Rettung.
Endlich ließ Ridley ihr Kinn los, rückte aber nicht von ihr ab. Auf der engen Treppe drückte sich sein Oberschenkel fest an ihren. »Du hast Pech, Kätzchen, mir kann man nichts vormachen, ich merke, wenn ich angelogen werde. Ich habe mein Bestes getan, damit du keine Angst vor mir hast, aber anscheinend glaubst du mir nicht. Also muss ich dir wohl zeigen, dass ich ein netter Kerl bin.«
Catarina war sich sicher, dass er das nicht war. Dabei war er nicht wie Rafe. Ganz und gar nicht. Aber er war gefährlich. Sie kannte viele gefährliche Männer, und der, der neben ihr saß, war ganz bestimmt kein Schmusekater. Er war ein Raubtier, ein Muskelpaket mit Killerinstinkt. Aber er war nicht böse. Nur Furcht einflößend. Und ein Herzensbrecher.
Sie seufzte, denn es gefiel ihr gar nicht, dass sie es bedauerte, dass er sie losgelassen hatte – dass jede einzelne Zelle in ihrem Körper auf ihn reagierte. Er war gut zehn Jahre älter und sehr viel erfahrener. Er hatte Narben. Tattoos. Ein unerschütterliches Selbstvertrauen und harte Linien im Gesicht, die seine männliche Schönheit jedoch noch steigerten.
Und sie wusste, was er sah, wenn er sie anschaute. Sie hatte immer jung ausgesehen, und sie war gerade mal einundzwanzig. Sicher hielt er sie für eine Frau, auf die man aufpassen musste, so wie Malcolm es tat. Dann fühlte sie sich sicher. Und das brauchte sie, besonders im Umgang mit diesem Mann.
»Vielleicht habe ich ja tatsächlich ein wenig Angst vor dir«, gestand sie widerwillig. »Schließlich habe ich dich im Dojo gesehen, und das kann einem schon Angst einjagen.« In dieser Hinsicht sagte sie die Wahrheit, und falls er es wirklich merkte, wenn er angelogen wurde, würde er hören, dass sie es ehrlich meinte.
»Das ist eine Kampfsporthalle. Hier sind wir in einem Café. Wenn du nicht vorhast, dich ans Mikrofon zu stellen und ein richtig schlechtes Gedicht zum Besten zu geben, hast du nichts zu befürchten«, versicherte er ihr.
Seine Stimme klang so lässig amüsiert, dass sie gern mitgelacht hätte, doch gleichzeitig auch so sexy, dass sie keinen Ton herausbekam. Hastig räusperte sie sich. »Mit Leuten zu plaudern fällt mir nicht leicht.«
»Aber mit Malcolm sprichst du. Du lachst sogar mit ihm. Sonst habe ich dich bisher mit niemand lachen sehen.«
Catarinas Herz machte einen Satz. Sie versteifte sich und merkte, dass er es merkte. Doch sie konnte sich beim besten Willen nicht entspannen. Hatte er sie etwa beobachtet? Aus welchem Grund? Was hatte das zu bedeuten? Ein wenig erschrocken darüber, dass sie so paranoid war, dass eine solch simple Feststellung bei ihr einen Fluchtreflex auslöste, biss sie sich auf die Unterlippe.
»Malcolm ist eben etwas Besonderes.«
»Ich weiß, dass er dein Freund ist«, räumte Ridley ein. »Und er passt auch gut auf dich auf und erzählt nichts über dich.«
Wachsam richtete sie den Blick auf ihn und sah ihn durchdringend an. »Hast du ihm Fragen über mich gestellt?«
»Natürlich habe ich das. Du bist wunderschön. Und geheimnisvoll. Ein echter Hingucker im Dojo. Ehrlich, Kätzchen, so etwas Schönes wie dich habe ich noch nie gesehen. Du bist schnell und gewandt und teuflisch gut. Du hast James Marley mit einem Schlag zu Boden geschickt. Einem einzigen. Du hast ihn genau am richtigen Punkt getroffen, und er ist umgefallen wie vom Blitz getroffen. Deine Augen sind ungewöhnlich und deine Haare auch. Du hast das schönste Gesicht, das ich je gesehen habe. Und du willst mir erzählen, dass Malcolm nicht ständig nach dir gefragt wird? Frauen wie du gehen nicht nachts allein durch die Straßen. So was bringt nur Ärger.«
Catarina stieß den Atem aus. »Du bist mir gefolgt?« Das konnte nicht sein. Sie hätte es bemerkt.
»Jedes Mal, wenn du abgeschlossen hast und zum Lagerhaus zurückgegangen bist. Hast du wirklich geglaubt, ich würde eine Frau um diese Zeit allein nach Hause gehen lassen? Irgendeine? Geschweige denn eine Frau wie dich? Vergiss es.«
Irgendetwas in seinen Augen jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Heiße Wut. Jäh aufgewallt und dann schnell unterdrückt. Er hatte wirklich etwas dagegen, dass sie allein nach Haus ging.
Er war in den letzten zwei Wochen jede Nacht bis drei Uhr morgens im Café gewesen. Aber sie hatte weder gehört noch gesehen, dass er ihr gefolgt war, sie hatte es schlicht nicht bemerkt. Und das war schlecht. Das konnte sie sich nicht leisten. Normalerweise hatte sie in dieser Hinsicht einen sechsten Sinn, und dennoch hatte er sich jede Nacht an ihre Fersen geheftet.
»Ich kann selbst auf mich aufpassen.«
»Cat, sogar Malcolm würde dir sagen, dass das nicht realistisch ist. Du bist sehr gut, daran zweifelt niemand, aber du bist klein. Wenn dich ein Typ richtig zu fassen bekommt, bist du erledigt. Du bist klug genug, um das zu wissen. Aus der Distanz kannst du dich verteidigen, aber wenn er weiß, was er tut, umgeht er deine Deckung, und dann bist du geliefert. Warum fährst du nicht mit deinem Auto? Das wäre viel sicherer.«
Sie wollte ihm nicht sagen, dass ihr das Benzin zu teuer war. Er brauchte nichts über ihre finanzielle Situation zu wissen, aber sie würde kein teures Benzin verschwenden, wenn sie zu Fuß zur Arbeit gehen konnte. Sie hatte es ja nicht weit.
»Das geht dich nichts an«, sagte sie, obwohl sie wusste, dass sich das verkrampft und steif anhörte. Schließlich war sie auch verkrampft und steif. Und es ging ihn nichts an.
Wieder blitzte etwas in seinen Augen auf. Heiße Wut und eiserne Entschlossenheit. Und wieder rebellierte ihr Magen. Er war einschüchternd und sexy zugleich, eine Kombination, mit der sie nichts zu tun haben wollte.
»Ich werde mich trotzdem um dich kümmern, ob es dir passt oder nicht. Nach Ladenschluss ist die Hälfte der Männer hier betrunken. Was glaubst du, warum sie herkommen?«
»Ich mache tollen Kaffee, und das hat sich rumgesprochen. So können sie ein wenig ausnüchtern. Ins Poetry Slam zu gehen gibt ihnen etwas Zeit, den Abend ausklingen zu lassen.«
Ridley gab einen abfälligen Laut von sich, eine Art Knurren, das sie so erschreckte, dass sich ihr Fluchtinstinkt rührte.
»So naiv kannst du doch wohl nicht sein. Allein in den zwei Wochen, die ich hier gewesen bin, hat sich die Kundschaft zwischen Mitternacht und drei Uhr verdoppelt. Und sie besteht hauptsächlich aus Männern, die kommen, weil sie hoffen, bei dir landen zu können. Sie starren dich die ganze Zeit über an und überlegen, wie sie dich am besten ins Bett kriegen. Ein paar von ihnen haben sicher schon herausgefunden, dass du zu Fuß nach Hause gehst, und möglicherweise schmieden sie schon Pläne, die dir nicht gefallen dürften, gegen die du aber allein nichts ausrichten kannst.«
Catarina sprang auf, doch er war schneller und hielt sie am Handgelenk fest. Dann erhob er sich ebenfalls, bohrte die zornigen goldenen Augen in ihre blauen und sah sie noch durchdringender an als zuvor. Sein Blick ging so tief, dass sie fürchtete, er könnte all ihre Geheimnisse entdecken.
»Lauf nicht vor mir weg. Ich sage dir nur die Wahrheit. Was Männer und ihre Absichten angeht, lebst du offensichtlich in einer Traumwelt.«
Sie legte den Kopf schief und vergaß ihre Zurückhaltung. »Könntest du mir dann bitte sagen, was deine Absichten sind?«, fragte sie herausfordernd.
Als sie sah, wie sein Blick sich veränderte, wusste sie, dass sie einen furchtbaren Fehler begangen hatte. Seine Augen begannen zu schimmern wie flüssiges Gold und nahmen sie noch genauer ins Visier. Diesmal schien sie sein Interesse geweckt zu haben. Echtes Interesse. Vorher war sie diejenige gewesen, die auf ihn konzentriert gewesen war und sich in ihrem Kopf dummen Fantasien hingegeben hatte, und er war ihr wirklich nur gefolgt, um auf sie aufzupassen – das verstand sie nun, oder zumindest glaubte sie es. Doch gerade eben, in dieser Sekunde, hatte sich etwas geändert.
Ihr Ton war zu aufsässig gewesen. Sie konnte es nicht ungeschehen machen, denn nun beäugte er sie voller Neugier. Sie zwang sich, Luft in ihre brennende Lunge zu saugen, und versuchte, ihren Arm aus seinem Griff zu befreien.
Er ließ nicht locker, sondern fuhr mit dem Daumen über die Innenseite ihres Handgelenks, über die Stelle, an der ihr Puls pochte, ganz zart nur, und dennoch schlug ihr Herz schneller, und das Blut strömte heißer durch ihre Adern. Sie hätte gern weggeschaut, doch es war unmöglich, seinem intensiven Blick zu entrinnen.
»Hoppla, Kätzchen. Du scheinst ja recht angriffslustig zu sein.«
»Jedenfalls angriffslustig genug, um mich zu verteidigen, wenn jemand mir auf dem Nachhauseweg auflauert.«
»Da bin ich anderer Ansicht.«
»Das interessiert mich nicht«, sagte sie und zerrte wieder an ihrer Hand.
Er ließ immer noch nicht los, aber er tat ihr nicht weh; ganz im Gegenteil, sein Daumen, der weiter sacht über ihren Puls strich, jagte Hitzewellen durch sie hindurch.
»Mich aber.«
»Das ist nicht deine Aufgabe.« Plötzlich flößte er ihr wieder Angst ein. Er durfte ihr nicht nachlaufen. Schon gar nicht bis nach Hause.
»Aber ich habe beschlossen, sie zu meiner zu machen.«
Er sprach so leise, dass er kaum zu verstehen war, doch sein Tonfall ging ihr durch und durch und warf sie völlig aus der Bahn. Es fühlte sich fast so an, als wäre sie in einem Traum gefangen gewesen, aus dem sie nun zum ersten Mal erwachte und plötzlich merkte, wie es war, wenn es zwischen einem Mann und einer Frau funkte. Bislang hatte sie gedacht, dass diese Anziehung ganz sicher einseitig war, dass nur sie etwas für ihn empfand, und das war auch gar nichts Schlimmes – nur alberne Tagträume eben.
Aber das, was gerade geschehen war, war etwas völlig anderes. Ihre Reaktion auf ihn war so heftig, dass sie beinahe animalisch war. Sie kam sich vor wie ein Tier, ein Weibchen, das einem interessierten Männchen begegnet und es zugleich animieren und vor ihm weglaufen will.
Vielleicht war dieses Spiel ja sogar nötig, um beiden etwas zu beweisen. An Ridleys herausforderndem Blick sah sie, dass es ihm ähnlich erging. Das war einfach nicht zu übersehen.
Sie schüttelte den Kopf und trat zwei Schritte zurück, um Abstand zu gewinnen, obwohl er sie nicht freigab und sie die Augen nicht von ihm losreißen konnte. Was war bloß mit ihr los? Ihr Mangel an Selbstbeherrschung war erschreckend. Sie durfte jetzt keinen Fehler machen. Sie wagte es nicht.
»Ich habe kein Interesse daran, eine Beziehung zu führen. Ich habe keine One-Night-Stands und gehe auf kein Date. Ich möchte keine Aufmerksamkeit von dir oder irgendeinem anderen Mann. Also lass mich jetzt bitte los.«
Sie brachte die Worte kaum heraus. Irgendetwas in ihr, etwas, von dessen Existenz sie nichts geahnt hatte, wollte sich nicht von diesem Mann lösen. Er war wunderschön. Sexy. Intelligent. Und gefährlich. Alles, was eine Frau an einem Mann attraktiv fand. Alles, was sie attraktiv fand, obwohl sie gar nichts davon gewusst hatte.
Unbeeindruckt schaute er mit seinen erstaunlichen Augen einen langen Moment fragend in ihre. Dann wurden seine Züge weicher, der männlich interessierte Blick verschwand so schnell aus seinem markanten Gesicht, wie er gekommen war, und wich einem sanften Ausdruck. Ohne sie loszulassen, hob er mit der freien Hand ihren Hut auf und reichte ihn ihr.
»Du hast wirklich Angst vor mir, stimmt’s? Ich werde dir nichts tun, Cat. Egal, was du denkst, ich tue dir nichts.« Wieder strich seine sonore Stimme wie Samt über ihre Haut, und seine Augen hypnotisierten sie. Er hatte nicht geblinzelt. Nicht ein einziges Mal. Sie hatte aufgepasst. Er war voll und ganz auf sie konzentriert.
Ihr wurde flau im Magen, und ihre Brüste spannten. Jede einzelne Stelle, an der er ihre bloße Haut berührt hatte, brannte, als hätte er ihr ein Mal aufgedrückt.
Sie hasste es, dass sie so stark auf seine Stimme und seine Augen reagierte, deshalb benahm sie sich so, wie es immer am besten gewesen war. Sie schlug die Augen nieder und nickte folgsam. Einem Mann wie Ridley war sie nicht gewachsen. Das war ihr klar. Sie traute sich nicht, sich mit ihm anzufreunden. Sie hätte doch keine Ahnung, was sie mit ihm anfangen sollte.
Endlich ließ er sie los. Sofort zog sie ihren Arm an sich und drückte das Handgelenk an ihre Brust, als könnte sie so seine Wärme speichern. Dann warf sie ihm unter den Wimpern hervor einen letzten Blick zu und eilte an ihm vorbei ins Haus.