Prof. Dr. Sven Gottschling | Dr. Katja Welsch

Übers Sterben reden

Wie Kommunikation in schwierigen Situationen gelingt

FISCHER E-Books

Inhalt

Über Sven Gottschling & Katja Welsch

Sven Gottschling (Jahrgang 1971) ist Chefarzt am Zentrum für Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie des Uniklinikums des Saarlandes. Aus seiner langjährigen Erfahrung im Umgang mit schwerstkranken Patienten, weiß er, wie überaus wichtig Gespräche über das Sterben sind, aber auch wie schwierig es manchmal sein kann, diese frühzeitig anzustoßen.

 

Die Diplom-Psychologin Katja Welsch (Jahrgang 1985) arbeitet am Zentrum für Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg/Saar als therapeutische Teamleitung sowie Leiterin des Forschungsbereichs dieser Abteilung. Dort begleitet sie Patienten und deren Angehörige, die mit einer lebensverkürzenden Erkrankung konfrontiert sind. Daher weiß sie, wie viel Angst und Unsicherheit Gespräche über das Sterben bei den Betroffenen auslösen.

 

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Über dieses Buch

Angesichts des bevorstehenden Todes fehlen vielen Menschen die Worte. Dabei gibt es oft noch so viel zu sagen. Wie aber der Sprachlosigkeit und der eigenen Hilflosigkeit am Sterbebett eines nahen Menschen begegnen?

Der Palliativmediziner Sven Gottschling gibt gemeinsam mit der Psychotherapeutin Katja Welsch praktische Hilfestellung in dieser extrem belastenden Situation.

Wie bereite ich mich auf das Gespräch vor? Als Angehöriger, als Betroffener?

Wie viel Wahrheit verträgt ein Mensch?

Wie kann ich Trost spenden?

Was kann ich machen, wenn Sprechen nicht mehr möglich ist?

Wie spreche ich mit den Ärzten und dem Pflegepersonal?

Welche Dinge muss ich regeln?

Sven Gottschling und Katja Welsch lassen keine Frage offen, nehmen Ängste und begleiten den letzten Weg zu einem guten Ende.

Impressum

Erschienen bei FISCHER E-Books

 

© 2019 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main

 

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.

ISBN 978-3-10-491153-3

Und wenn wir nicht mehr lindern können,

dann können wir trösten.

Und wenn wir nicht mehr trösten können,

dann sind wir immer noch da.

Stefan Einhorn, schwedischer Arzt

»Findet immer den Mut zu sprechen und den Willen, Dinge zu klären. Denn Stille wiegt schwer wie ein Stein. Und Steine werden zu Mauern. Und Mauern trennen Menschen.«

Unbekannt

Ob Betroffener, Angehöriger oder medizinischer Profi – das Sprechen über das Sterben und den Tod fällt uns allen schwer. Die Verunsicherung darüber, wie, wann und ob man überhaupt darüber sprechen darf oder soll, ist groß. Es ist das letzte große Tabuthema, dem wir nach Kräften aus dem Weg gehen wollen. Betroffene möchten ihre Angehörigen schützen, Ärzte und Angehörige befürchten, dass Erkrankte ein solches Gespräch nicht verkraften könnten. Alle Beteiligten fühlen sich durch die starken emotionalen Reaktionen, die dabei ausgelöst werden können, ge- und oftmals auch überfordert. Eigentlich hat niemand das Gefühl, auf diese Gespräche tatsächlich vorbereitet zu sein, denn es ist nicht leicht, mit den eigenen Ängsten, persönlicher Betroffenheit und Unsicherheit umzugehen und sich dabei der eigenen Sterblichkeit bewusstzuwerden.

Schwerkranke Patienten verlieren im Laufe ihrer Erkrankung vieles, das es zu betrauern gilt: Gesundheit, Vitalität, die bisherigen Lebensperspektiven, aber auch die

Und ganz zum Schluss ist der nahende Verlust des Lebens zu verkraften und zu betrauern. Aus der anfangs nur unterschwellig vorhandenen Angst zu sterben wird Gewissheit. Selbst die wenigen Menschen, die es schaffen, sich mit dem eigenen Tod wirklich zu arrangieren, quälen sich mit anderen Themen, wie mit der Frage, wie das Sterben denn tatsächlich ablaufen wird: Wird es qualvoll werden? Kann der Arzt mir zumindest die schlimmsten Beschwerden nehmen? Kann ich in Würde sterben?

 

Aus unserer Erfahrung als Palliativexperten wissen wir, dass viele Menschen leidvolles Sterben in ihrem Umfeld schon persönlich erlebt haben oder es aus Erzählungen kennen. Nichtmediziner verbinden das Sterben oft mit vielen irrigen Vorstellungen und Schreckensszenarien. Aufklärung gibt hier sowohl dem Betroffenen als auch den Angehörigen und Freunden die Möglichkeit, Informationen richtig einzuordnen und die verbleibende Lebenszeit aktiver und bewusster zu gestalten.

Die Belastung der Angehörigen ist oft viel größer als die des Patienten. Während sich alle um den Kranken bemühen, werden die Angehörigen vernachlässigt oder – und das ist

Natürlich vermeiden wir alle gerne unangenehme Themen, aber wenn wir es nicht schaffen, mit Betroffenen, mit Angehörigen oder auch als Angehörige mit den Patienten offen zu sprechen, bleiben alle mit ihren Ängsten alleine. Jedes Gespräch ist die Chance zu entlasten, jedes Gespräch ist ein Gespräch gegen die Angst.

Diese Gespräche zuzulassen bedeutet auch, die damit verbundenen Gefühle erst einmal stärker zu spüren. Wir wissen jedoch aus Untersuchungen, dass das Sprechen über Abschied, Tod und Sterben im Vorfeld, die Trauer der Angehörigen nach dem Tod reduziert.

Zudem stellt sich die Mehrzahl der Betroffenen das Ende häufig unnötig schrecklich vor und leidet dementsprechend stärker. Wie entlastend könnte hier ein offenes Gespräch sein!

 

Gespräche mit Sterbenskranken und deren Angehörigen sind ein Teil, wenn nicht der wichtigste Teil unserer täglichen Arbeit auf der altersübergreifenden Palliativstation am Universitätsklinikum Homburg. Wir wissen sehr wohl, wie hoch die Hürden sind, über das Sterben zu sprechen, und wie viele Missverständnisse es dabei gibt. Die große, oftmals lähmende Angst davor, etwas Falsches zu sagen – entweder weil man wenig Erfahrung im Umgang mit sterbenskranken Menschen hat, oder selbst schlimme Erfahrungen mit Krankheit gemacht hat –, sind dabei die größten Hindernisse.

Die wesentlichen Grundvoraussetzungen dafür, dass Gespräche übers Sterben gelingen, sind Ehrlichkeit und eine

 

Tatsächlich gibt es beim Reden übers Sterben nur wenige Dinge, die man wirklich falsch machen kann. Vermeidet man bagatellisierende, vermeintlich tröstende Floskeln wie »wird schon wieder« oder »Die Zeit heilt alle Wunden« (an die Angehörigen gerichtet), und gelingt es, wirklich offene Worte zu finden, anstatt drum herumzureden, hat man schon sehr viel richtig gemacht. Das gilt sowohl für Ärzte, die sich gern hinter ihrer Fachsprache verschanzen, als auch für Sterbende, die ihre Angehörigen beruhigen wollen, oder für Angehörige, die mit aller Gewalt versuchen, ihre Verzweiflung zu verbergen. Obwohl wir alle immer wieder in unterschiedlichste Rollen schlüpfen, geht es gerade bei diesem existentiellen Thema nicht darum, die Erwartungen der anderen zu erfüllen. Sowohl Sterbende als auch ihre Angehörigen haben höchst feine Antennen dafür, ob das Gegenüber aufrichtig ist. Darf jeder so sein, wie er sich wirklich fühlt, nimmt es den Druck aus dem Gespräch, und das ist eine Qualität für sich.

Das Ende eines Lebens kostet viel Kraft, versuchen Sie nicht, eine Fassade aufrechtzuerhalten, sondern investieren Sie die Kraft darin, zu den Gefühlen des anderen und damit zu den wirklich relevanten Botschaften durchzudringen.

Mit dieser Motivation und dem Wissen, dass sich die meisten Menschen nicht oder zumindest unzureichend für ein Gespräch über das Sterben gerüstet fühlen, haben wir dieses Buch geschrieben.

 

Katja Welsch und Sven Gottschling

Man lebt nur einmal,

und wenn man es richtig macht,

dann reicht das auch.

Unbekannt

Wenn man erzählt, dass man mit Palliativpatienten, das heißt lebensbegrenzt erkrankten Menschen, arbeitet, ist die Reaktion meist ein ungläubiges bis entsetztes »Echt? – Wie hältst du das denn aus?«. Warum ist die Beschäftigung mit dem Sterben so unangenehm? Nimmt einem der Tod tatsächlich die Freude am Leben, und wirft er nur Fragen auf? Und: Was bringt uns dazu, das – zugegebenermaßen – schwierige, traurige und schmerzhafte Thema Sterben wieder mehr ins Leben holen zu wollen, auch in das von jungen und gesunden Menschen?

Renate Selzer ist 64 Jahre alt, als sie mit starken Schmerzen bei uns auf der Palliativstation aufgenommen wird. Ohne Vorwarnzeichen war bei ihr Lungenkrebs diagnostiziert worden, der so vehement voranschreitet, dass sie schon sehr schwach und bettlägerig ist. Sie hadert mit ihrem Schicksal, ist aber zugleich auch sehr wütend auf sich selbst. »Ich habe mein Leben mit Verschieben verbracht, auf morgen, auf in drei Jahren, auf die Zeit nach der Rente. Und jetzt erlebe ich

Nichts ist schlimmer, als mit dem Gefühl sterben zu müssen, das Leben nicht genutzt und genossen zu haben. Das hängt von der Lebenszeit ab, über die wir verfügen, kann aber auch unabhängig davon sein. So erleben wir in unserem Praxisalltag immer wieder hochbetagte Menschen, die trotz eines hohen Alters sehr mit dem Sterben hadern, weil sie das Gefühl haben, nie richtig mit dem Leben begonnen zu haben. Ein hohes Alter muss nicht automatisch damit verbunden sein, den Tod zu akzeptieren. Und selbst wenn man ein

Aber zurück zu der Frage, warum es auch bzw. gerade für gesunde und auch jüngere Menschen sinnvoll ist, sich die eigene Endlichkeit von Zeit zu Zeit vor Augen zu führen. Wenn man dies tut, führt es in der Regel dazu, dass man den Ist-Zustand mit dem Soll-Zustand abgleicht. Das heißt, man betrachtet sein Leben unter den Aspekten: Was ist mir wichtig? Was möchte ich erreichen? Bin ich auf dem richtigen Weg? Schaffe ich es, mich selbst zu verwirklichen? Vor dem Hintergrund der eigenen Endlichkeit wird einem bewusst, dass man seine Träume und Wünsche nicht aufschieben sollte, sondern sofort beginnen sollte, das Hier und Jetzt in seinem Sinne zu gestalten.

Verstehen Sie uns nicht falsch: Es geht nicht darum, die Angst vor dem Tod kleinzureden. Der Tod darf auch weiterhin etwas bleiben, worauf Ihnen Antworten fehlen. Eine mehr oder minder große Angst bzw. Unsicherheit diesbezüglich ist durchaus normal und angemessen. Hätten wir keinerlei Angst vor dem Tod, würde sich vielleicht der Großteil der Menschen aus dem Leben verabschieden, sobald sie sich mit Problemen konfrontiert sehen. Insofern erfüllt die Angst vor dem Tod eine wichtige Funktion.

Dennoch: Das Bewusstmachen der eigenen Endlichkeit soll nicht zu Trauer, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit führen, sondern ganz im Gegenteil eher dazu, dass Sie Ihre Träume in den Blick nehmen, nichts aufschieben und sich immer mal wieder fragen, ob das Leben, das sie führen, auch dasjenige ist, das sie führen möchten.

»Damit muss ich mich jetzt noch nicht befassen, dafür habe ich später noch Zeit.« Viele von uns, die gesund sind oder zumindest glauben, es zu sein, wiegen sich in einer Sicherheit, die es nicht gibt, und schieben den Tod weit von sich weg. Aber letztlich weiß niemand, wann es so weit sein wird. Jeden Tag kann es aus den verschiedensten Gründen dazu kommen, dass unser Leben auf den Kopf gestellt wird: Durch eine niederschmetternde Diagnose oder einen tragischen Unfall, wie uns die Plakate an der Autobahn so drastisch vor Augen führen, die ein zersplittertes Handydisplay zeigen, auf dem eine junge Frau und ihre kleine Tochter zu sehen sind – daneben ein großes Kreuz, unter dem steht: »Marie (38), abgelenkt durch eine SMS«. Natürlich sollen Sie jetzt nicht jeden Tag mit dem Gedanken aufwachen, dass es morgen sowieso schon vorbei sein kann. Aber gerade im Fall eines Unfalls oder einer plötzlich auftretenden Krankheit kann es für Ihre Angehörigen, die wahrscheinlich noch den Schock, den diese Nachricht in ihnen ausgelöst hat, verdauen müssen, sehr entlastend sein, wenn Sie Vorkehrungen getroffen und über Ihre Wünsche im Fall Ihres plötzlichen Versterbens gesprochen haben.

Giovanni Rossi erleidet mit 50 Jahren aus dem Nichts heraus einen Herzinfarkt mit Kreislaufstillstand. Eine Reanimation rettet zwar sein Leben, aber er hat massive Hirnschäden davongetragen und wird für immer ein Pflegefall bleiben. Seine Ehefrau – völlig überwältigt von dem Ereignis – hatte nie mit ihrem Mann über Krankheit, Sterben und Tod gesprochen. Weder hat er eine Patientenverfügung noch eine

 

Ähnlich ergeht es den Eltern der 19-jährigen Lea Kurtz, die beim Schwimmen im Freibad verunglückt ist und bei der nur noch der Hirntod festgestellt werden kann. Grundsätzlich kommt hier eine Organspende in Betracht. Der zuständige Arzt befragt die Eltern, ob Lea einen Organspendeausweis besitzt oder sich jemals zu dem Thema geäußert hat. Die Eltern haben mit ihrer Tochter nie darüber gesprochen. Für sie ist es extrem schwer, in dieser Situation eine Entscheidung zu treffen, und sie haben zudem Angst, die falsche zu treffen, die nicht im Sinne von Lea wäre. Herr und Frau Kurtz entscheiden sich gegen eine Organspende. Doch damit ist es nicht getan – anschließend stehen weitere Entscheidungen an: Feuer- oder Erdbestattung? Friedhof oder Friedwald? Auch bei diesen Fragen sind die Eltern überfordert.

 

Dierk Bläuer ist selbständiger Dachdeckermeister, und sein Betrieb ist sein Lebenswerk, auf das er sehr stolz ist. Beide Söhne sind ebenfalls Dachdeckermeister, arbeiten als Angestellte in unterschiedlichen Firmen. Dierk Bläuer war es immer wichtig, dass sein Betrieb nach seinem Tod weitergeführt wird und in Familienbesitz bleibt. Er hat sich jedoch nie Gedanken darüber gemacht, wie dies konkret

Die Beispiele zeigen, welche Folgen es haben kann, wenn man nicht rechtzeitig über die letzten Dinge im Leben gesprochen hat und entsprechende Vorkehrungen getroffen wurden. Das ist spätestens dann unumgänglich, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt. Aber es sollte auch ohne aktuellen Anlass erfolgen, vor allem, wenn Sie Verantwortung für andere tragen. Stellen Sie sich nur vor, Sie und Ihr Partner bzw. Ihre Partnerin haben kleine Kinder. Endlich wollen Sie sich wieder etwas Zeit zu zweit gönnen. Sie haben einen Tisch in Ihrem Lieblingsrestaurant reserviert und einen Babysitter organisiert. Sie verbringen einen wunderschönen Abend, doch auf dem Heimweg nimmt Ihnen jemand die Vorfahrt, und bei dem folgenden schweren Unfall sterben Sie und Ihr Partner bzw. Ihre Partnerin. Was soll aus Ihren Kindern werden? Bei wem sollen sie aufwachsen? Deshalb:

Merke

Suchen Sie das Gespräch mit Ihren Angehörigen. Sagen Sie, dass Ihnen das Thema wichtig ist. Fragen Sie sie auch danach, was sie sich vorstellen. Halten Sie Ihre Wünsche schriftlich fest. Welche Dokumente dafür wichtig sind, erfahren Sie in diesem Buch. Wichtig ist, dass Sie in

Der Umgang mit dem Tod ist schwer genug. Wenn durch Sie nichts geregelt wurde und Ihre Angehörigen Entscheidungen treffen müssen, ohne zu wissen, was in Ihrem Sinne ist, stellt dies eine zusätzliche Belastung dar, der Sie vorbauen können.

Ein Bekannter erzählte uns vor einiger Zeit völlig entrüstet von einem Aufklärungsgespräch, das er mit einem Chirurgen anlässlich eines geplanten kleinen Eingriffs an einem Leistenbruch führte. Dieser hätte ihn doch allen Ernstes gefragt, ob er eine Patientenverfügung habe. Prinzipiell darf man sich die Frage stellen, ob das bei einem Routineeingriff bei einem kerngesunden 50-Jährigen eine vertrauensbildende Maßnahme war. Andererseits schwingt bei jeder Behandlung, auch bei jedem Routineeingriff, ein gewisses, nicht einzuschätzendes Risiko mit. Nicht nur bei einer Krebserkrankung besteht die Gefahr zu sterben, auch bei chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) zum Beispiel, unter der Millionen Deutsche leiden. Trotz intensivster medizinischer Behandlung führt COPD in der Regel zu einem verfrühten Tod. Dies geschieht oft im Rahmen eines plötzlich aufgetretenen Infektes der Luftwege, das heißt durch ein Bakterium in der Lunge oder durch ein Grippevirus. Aus einer leidlich stabilen Lage wird plötzlich eine lebensbedrohliche Situation.

Es ist wirklich nie zu früh, sich darüber Gedanken zu machen, was man sich am Lebensende für sich selbst wünscht. Auch die Entscheidung, sich nicht mit diesen Fragen

Versuchen Sie sich einmal in die Rolle jener Angehörigen hineinzuversetzen, und Sie werden uns beipflichten, dass sich das nicht wirklich gut anfühlt. Wenn Sie es bislang als vielleicht gesunder Mensch nicht geschafft haben, sich mit dem Thema Vorausverfügungen im Krankheitsfall zu beschäftigen, dann sollten Sie das schleunigst ändern.

Eines können wir Ihnen versprechen: Wenn Sie sich Ihre Gedanken dazu gemacht und sie in mehr oder minder ausführlicher Form zu Papier gebracht haben und mit Ihren engsten Vertrauten über Ihre Wünsche und Vorstellungen in bestimmten Krankheitssituationen gesprochen haben, werden Sie merken, wie groß das Gefühl der Entlastung ist. Dann nämlich müssen Sie sich nicht mehr mit diesen Themen beschäftigen. Zum einen haben Sie für sich die Klarheit gefunden, und zum anderen haben Sie die Menschen, die Ihnen am wichtigsten sind, für den Ernstfall entlastet. Und bedenken Sie auch: Je geringer das eigene Krankheitsgefühl, je geringer die Einschränkungen, desto weniger bedrohlich ist auch die Auseinandersetzung

Wir wissen von vielen Patienten, die wir über die Jahre betreut haben und betreuen, dass es gerade bei weit vorangeschrittenen Erkrankungen, wie zum Beispiel metastasierten Krebserkrankungen, sehr schwer ist, im Angesicht eines vielleicht nicht mehr allzu weit entfernten Sterbens diese Themen anzugehen. Auch reagieren viele Angehörige unserer Patienten immer wieder überrascht, wenn wir sie in Gesprächen dazu ermutigen, diesen Zeitpunkt zu nutzen, um sich Gedanken über eigene Wünsche und Vorstellungen zu machen und diese zu Papier zu bringen. Je länger die Themen wie Vollmacht oder Patientenverfügung auf die lange Bank geschoben werden, desto mehr wächst der Druck und desto stärker wird das Unwohlsein. Es ist ein bisschen wie mit der Steuererklärung: Je näher der Abgabetermin rückt, desto unbequemer wird es. Erkrankte, die die Vorsorge für sich ignorieren, schieben diesen Schwarzen Peter ihren Angehörigen zu.

Besonders dramatisch ist es in den Fällen, bei denen die Hinterbliebenen minderjährige Kinder sind. »Ja, aber es gibt doch die Taufpaten«, mögen Sie jetzt einwerfen. Das können zwar Ihnen nahestehende Menschen sein, die Ihnen glaubhaft versprochen haben, sich im Notfall um Ihre Kinder zu kümmern, familienrechtlich relevant ist eine solche Taufpatenschaft aber keineswegs.

Bei Patienten mit schwerwiegenden, aber prinzipiell heilbaren Erkrankungen, wie bestimmten Krebserkrankungen, denen wir eine Auseinandersetzung mit diesen Themen empfehlen, geht es uns nicht darum, ihnen die Hoffnung auf eine Heilung zu nehmen. Gleichwohl möchten wir sie

Facts

Im Jahr 2018 veröffentlichte die IAHPC, die Internationale Gesellschaft für Hospiz- und Palliativversorgung, eine neue Definition von Palliativversorgung. Diese verdeutlicht noch einmal, dass Palliativmedizin eben nicht Medizin am Lebensende bedeutet, sondern wesentlich mehr. In der Definition heißt es: »Palliativversorgung ist die aktive und umfassende Versorgung von Menschen jeden Alters mit schwerem gesundheitsbezogenem Leiden infolge schwerer Erkrankung und insbesondere von Menschen nahe am Lebensende. Sie zielt auf eine Verbesserung der Lebensqualität von Patienten, deren Familien und Zugehörigen ab.«

Früher vertrat man den Standpunkt, gerade bei einer Krebserkrankung lange mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln den Tumor zu bekämpfen und ein drohendes Scheitern möglichst gar nicht oder so spät wie möglich zu thematisieren. Man gab an, damit dem Patienten nicht die letzte Hoffnung nehmen zu wollen, aber in Wirklichkeit war es wohl auch für die Ärzte der wesentlich bequemere Weg. Denn solange man einem Patienten noch den trügerischen Strohhalm einer weiteren Chemotherapie hinhalten konnte, musste man sich nicht dem anspruchsvollen Gespräch über einen Alternativplan stellen, sollte die weitere Behandlung nicht sinnvoll sein.

2010