Immanuel Kant
Prolegomena zu einer jeden
künftigen Metaphysik
Mit einer Einführung und
begleitenden Texten
Herausgegeben von
Edition philosophie Magazin
FISCHER E-Books
Edition philosophie Magazin: eine exklusive Auswahl zentraler philosophischer Texte durch das »philosophie Magazin«.
Mit dem ungekürzten Originaltext sowie
– einer sachkundigen Einleitung von Volker Gerhard
– einer Zeitleiste zu Leben und historischem Kontext
– Erläuterungen der Grundbegriffe des jeweiligen Werks
– mit Beiträgen von Frank M. Wuketits, Marcus Willaschek sowie Otfried Höffe zur bleibenden Bedeutung des Werks
Kants ›Prolegommena‹ ist die Kurzfassung seiner ›Kritik der reinen Vernunft‹, eines der wichtigsten Bücher in der Philosophiegeschichte überhaupt. Hier legt er seine Vernunftkritik und seine Kritik an der Metaphysik in knapper und zugänglicher Weise dar – die ideale Einführung in seine Gedankenwelt.
Covergestaltung: hauser lacour kommunikationsgestaltung gmbh, Frankfurt
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2016 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403690-8
Rusticus exspectat, dum defluat amnis: at ille
Labitur et labetur in omne volubilis aevum. Horat. 1
1 Übersetzung des Herausgebers: »Der Bauer wartet, bis der Strom sich verlaufe: der aber wälzt sich, strömt und wird strömen in alle Zeit.«
Gleichwohl nannte Hume eben diese zerstörende Philosophie selbst Metaphysik, und legte ihr einen hohen Wert bei. »Metaphysik und Moral, sagt er (Versuche 4ter Teil, Seite 214, deutsche Übers.), sind die wichtigsten Zweige der Wissenschaft; Mathematik und Naturwissenschaft sind nicht halb so viel wert.« Der scharfsinnige Mann sahe aber hier bloß auf den negativen Nutzen, den die Mäßigung der übertriebenen Ansprüche der spekulativen Vernunft haben würde, um so viel endlose und verfolgende Streitigkeiten, die das Menschengeschlecht verwirren, gänzlich aufzuheben; aber er verlor darüber den positiven Schaden aus den Augen, der daraus entspringt, wenn der Vernunft die wichtigsten Aussichten genommen werden, nach denen allein sie dem Willen das höchste Ziel aller seiner Bestrebungen ausstecken kann.
Es ist unmöglich zu verhüten, daß, wenn die Erkenntnis nach und nach weiter fortrückt, nicht gewisse schon klassisch gewordne Aus|drücke, die noch von dem Kindheitsalter der Wissenschaft her sind, in der Folge sollten unzureichend und übel anpassend gefunden werden, und ein gewisser neuer und mehr angemessener Gebrauch mit dem alten in einige Gefahr der Verwechselung geraten sollte. Analytische Methode, sofern sie der synthetischen entgegengesetzt ist, ist ganz was anderes, als ein Inbegriff analytischer Sätze: sie bedeutet nur, daß man von dem, was gesucht wird, als ob es gegeben sei, ausgeht und zu den Bedingungen aufsteigt, unter denen es allein möglich. In dieser Lehrart bedienet man sich öfters lauter synthetischer Sätze, wie die mathematische Analysis davon ein Beispiel gibt, und sie könnte besser die regressive Lehrart, zum Unterschiede von der synthetischen oder progressiven, heißen. Noch kommt der Name Analytik auch als ein Hauptteil der Logik vor, und da ist es die Logik der Wahrheit, und wird der Dialektik entgegengesetzt, ohne eigentlich darauf zu sehen, ob die zu jener gehörige Erkenntnisse analytisch oder synthetisch sein 1.
1 Akad.-Ausg.: »seien«.
Siehe Kritik S. 713.
Ich gestehe gern, daß diese Beispiele nicht solche Wahrnehmungsurteile vorstellen, die jemals Erfahrungsurteile werden könnten, wenn man auch einen Verstandesbegriff hinzu täte, weil sie sich bloß aufs Gefühl, welches jedermann als bloß subjektiv erkennt und welches also niemals dem Objekt beigelegt werden darf, beziehen, und also auch niemals objektiv werden können; ich wollte nur vor der Hand ein Beispiel von dem Urteile geben, was bloß subjektiv gültig ist, und in sich keinen Grund zur notwendigen Allgemeingültigkeit und dadurch zu einer Beziehung aufs Objekt enthält. Ein Beispiel der Wahrnehmungsurteile, die durch hinzugesetzten Verstandesbegriff Erfahrungsurteile werden, folgt in der nächsten Anmerkung.
Um ein leichter einzusehendes Beispiel zu haben, nehme man folgendes. Wenn die Sonne den Stein bescheint, so wird er warm. Dieses Urteil ist ein bloßes Wahrnehmungsurteil, und enthält keine Notwendigkeit, ich mag dieses noch so oft und andere auch noch so oft wahrgenommen haben; die Wahrnehmungen finden sich nur gewöhnlich so verbunden. Sage ich aber: die Sonne erwärmt den Stein, so kommt über die Wahrnehmung noch der Verstandesbegriff der Ursache hinzu, der mit dem Begriff des Sonnenscheins den der Wärme notwendig verknüpft, und das synthetische Urteil wird notwendig allgemeingültig, folglich objektiv und aus einer Wahrnehmung in Erfahrung verwandelt.
So wollte ich lieber die Urteile genannt wissèn, die man in der Logik particularia nennt. Denn der letztere Ausdruck enthält schon den Gedanken, daß sie nicht allgemein sind. Wenn ich aber von der Einheit (in einzelnen Urteilen) anhebe und so zur Allheit fortgehe, so kann ich noch keine Beziehung auf die Allheit beimischen: ich denke nur die Vielheit ohne Allheit, nicht die | Ausnahme von derselben. Dieses ist nötig, wenn die logische Momente den reinen Verstandesbegriffen untergelegt werden sollen; im logischen Gebrauche kann man es beim Alten lassen.
Wie stimmt aber dieser Satz: daß Erfahrungsurteile Notwendigkeit in der Synthesis der Wahrnehmungen enthalten sollen, mit meinem oben vielfältig eingeschärften Satze: daß Erfahrung, als Erkenntnis a posteriori, bloß zufällige Urteile geben könne? Wenn ich sage, Erfahrung lehrt mir etwas, so meine ich jederzeit nur die Wahrnehmung, die in ihr liegt, z.B. daß auf die Beleuchtung des Steins durch die Sonne jederzeit Wärme folge, und also ist der Erfahrungssatz so fern allemal zufällig. Daß diese Erwärmung notwendig aus der Beleuchtung durch die Sonne erfolge, ist zwar in dem Erfahrungsurteile (vermöge des Begriffs der Ursache) enthalten, aber das lerne ich nicht durch Erfahrung, sondern umgekehrt, Erfahrung wird allererst, durch diesen Zusatz des Verstandesbegriffs (der Ursache) zur Wahrnehmung, erzeugt. Wie die Wahrnehmung zu diesem Zusatze komme, darüber muß die Kritik im Abschnitte von der transz. Urteilskraft, Seite 137 u. f. nachgesehen werden.
Diese drei aufeinander folgende Paragraphen werden schwerlich gehörig verstanden werden können, wenn man nicht das, was die Kritik über die Grundsätze sagt, dabei zur Hand nimmt; sie können aber den Nutzen haben, das Allgemeine derselben leichter zu übersehen und auf die Hauptmomente Acht zu geben.
Die Wärme, das Licht etc. sind im kleinen Raume (dem Grade nach) eben so groß, als in einem großen; eben so die innere Vorstellungen, der Schmerz, das Bewußtsein überhaupt nicht kleiner dem Grade nach, ob sie eine kurze oder lange Zeit hindurch dauren. Daher ist die Größe hier in einem Punkte und in einem Augenblicke eben so groß als in jedem noch so großen Raume oder Zeit. Grade sind also größer, aber 1 nicht in der Anschauung, sondern der bloßen Empfindung nach, oder auch die Größe des Grundes einer Anschauung, und können nur durch das Verhältnis von 1 zu 0, d.i. dadurch, daß eine jede derselben durch unendliche Zwischengrade bis zum Verschwinden, oder von der Null durch unendliche Momente des Zuwachses bis zu einer bestimmten Empfindung, in einer gewissen Zeit erwachsen kann, als Größen geschätzt werden. (Quantitas qualitatis est gradus.)
1 Akad.-Ausg. erwägt: »also Größen, aber«.
Nicht (wie man sich gemeiniglich ausdrückt) intellektuellen Welt. Denn intellektuell sind die Erkenntnisse durch den Verstand, und dergleichen gehen auch auf unsere Sinnenwelt; intelligibel aber heißen Gegenstände, so fern sie bloß durch den Verstand vorgestellt werden können und auf die keine unserer sinnlichen Anschauungen gehen kann. Da aber doch jedem Gegenstande irgend eine mögliche Anschauung entsprechen muß, so würde man sich einen Verstand denken müssen, der unmittelbar Dinge anschauete; von einem solchen aber haben wir nicht den mindesten Begriff, mithin auch nicht von den Verstandeswesen, auf die er gehen soll.
Crusius allein wußte einen Mittelweg: daß nämlich ein Geist, der nicht irren noch betriegen kann, uns diese Naturgesetze ursprünglich eingepflanzt habe. Allein, da sich doch oft auch trügliche Grundsätze einmischen, wovon das System dieses Man|nes selbst nicht wenig Beispiele gibt, so sieht es bei dem Mangel sicherer Kriterien, den echten Ursprung von dem unechten zu unterscheiden, mit dem Gebrauche eines solchen Grundsatzes sehr mißlich aus, indem man niemals sicher wissen kann, was der Geist der Wahrheit oder der Vater der Lügen uns eingeflößt haben möge.
1. Substantia. 2. Qualitas. 3. Quantitas. 4. Relatio. 5. Actio. 6. Passio. 7. Quando. 8. Ubi. 9. Situs. 10. Habitus.
Oppositum, Prius, Simul, Motus, Habere.
Über eine vorgelegte Tafel der Kategorien lassen sich allerlei artige Anmerkungen machen, als: 1) daß die dritte aus der ersten und zweiten in einen Begriff verbunden entspringe, 2) daß in denen von der Größe und Qualität bloß ein Fortschritt von der Einheit zur Allheit, oder von dem Etwas zum Nichts (zu diesem Behuf müssen die Kategorien der Qualität so stehen: Realität, Einschränkung, völlige Negation) fortgehen, ohne 1 Correlata oder Opposita, dagegen die der Relation und Modalität | diese letztere bei sich führen, 3) daß, so wie im Logischen kategorische Urteile allen andern zum Grunde liegen, so die Kategorie der Substanz allen Begriffen von wirklichen Dingen, 4) daß, so wie die Modalität im Urteile kein besonderes Prädikat ist, so auch die Modalbegriffe keine Bestimmung zu Dingen hinzutun, u.s.w Dergleichen Betrachtungen alle ihren großen Nutzen haben. Zählt man überdem alle Prädikabilien auf, die man ziemlich vollständig aus jeder guten Ontologie (z. E. Baumgartens) ziehen kann, und ordnet sie klassenweise unter die Kategorien, wobei man nicht versäumen muß, eine so vollständige Zergliederung aller dieser Begriffe, als möglich, hinzuzufügen, so wird ein bloß analytischer Teil der Metaphysik entspringen, der noch gar keinen synthetischen Satz enthält und vor dem zweiten (dem synthetischen) vorhergehen könnte, und durch seine Bestimmtheit und Vollständigkeit nicht allein Nutzen, sondern, vermöge des Systematischen in ihm, noch überdem eine gewisse Schönheit enthalten würde.
1 Akad.-Ausg. erwägt: »Negation) stattfinde, ohne«.
Wenn man sagen kann, daß eine Wissenschaft wenigstens in der Idee aller Menschen wirklich sei, so bald es ausgemacht ist, daß die Aufgaben, die darauf führen, durch die Natur der menschlichen Vernunft jedermann vorgelegt, und daher auch jederzeit | darüber viele, obgleich fehlerhafte, Versuche unvermeidlich sind, so wird man auch sagen müssen: Metaphysik sei subiective (und zwar notwendiger Weise) wirklich, und da fragen wir also mit Recht, wie sie (obiective) möglich sei.
Im disjunktiven Urteile betrachten wir alle Möglichkeit, respektiv auf einen gewissen Begriff, als eingeteilt. Das ontologische Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines Dinges überhaupt (von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten kommt jedem Dinge eines zu), welches zugleich das Prinzip aller disjunktiven Urteile ist, legt den Inbegriff aller Möglichkeit zum Grunde, in welchem die Möglichkeit jedes Dinges überhaupt als bestimmter 1 angesehen wird. Dieses dient zu einer kleinen Erläuterung des obigen Satzes: daß die Vernunfthandlung in disjunktiven Vernunftschlüssen der Form nach mit derjenigen einerlei sei, wodurch sie die Idee eines Inbegriffs aller Realität zu Stande bringt, welche das Positive aller einander entgegengesetzten Prädikate in sich enthält.
1 Akad.-Ausg.: »bestimmbar«.
Wäre die Vorstellung der Apperzeption, das Ich, ein Begriff, wodurch irgend etwas gedacht würde, so würde es auch als Prädikat von andern Dingen gebraucht werden können, oder solche Prädikate in sich enthalten. Nun ist es nichts mehr als Gefühl eines Daseins ohne den mindesten Begriff und nur Vorstellung desjenigen, worauf alles Denken in Beziehung (relatione accidentis) steht.
Es ist in der Tat sehr merkwürdig, daß die Metaphysiker jederzeit so sorglos über den Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanzen weggeschlüpft sind, ohne jemals einen Beweis davon zu versuchen; ohne Zweifel, weil sie sich, so bald sie es mit dem Begriffe Substanz anfingen, von allen Beweistümern gänzlich verlassen sahen. Der gemeine Verstand, der gar wohl inne ward, daß ohne diese Voraussetzung keine Vereinigung der | Wahrnehmungen in einer Erfahrung möglich sei, ersetzte diesen Mangel durch ein Postulat; denn aus der Erfahrung selbst konnte er diesen Grundsatz nimmermehr ziehen, teils weil sie die Materien (Substanzen), bei allen ihren Veränderungen und Auflösungen, nicht so weit verfolgen kann, um den Stoff immer unvermindert anzutreffen, teils weil der Grundsatz Notwendigkeit enthält, die jederzeit das Zeichen eines Prinzips a priori ist. Nun wandten sie diesen Grundsatz getrost auf den Begriff der Seele als einer Substanz an, und schlossen auf eine notwendige Fortdauer derselben nach dem Tode des Menschen (vornehmlich da die Einfachheit dieser Substanz, welche aus der Unteilbarkeit des Bewußtseins gefolgert ward, sie wegen des Unterganges durch Auflösung sicherte). Hätten sie die echte Quelle dieses Grundsatzes gefunden, welches aber weit tiefere Untersuchungen erforderte, als sie jemals anzufangen Lust hatten, so würden sie gesehen haben: daß jenes Gesetz der Beharrlichkeit der Substanzen nur zum Behuf der Erfahrung stattfinde, und daher nur auf Dinge, so fern sie in der Erfahrung erkannt und mit andern verbunden werden sollen, niemals aber von ihnen auch unangesehen aller möglichen Erfahrung, mithin auch nicht von der Seele nach dem Tode gelten könne.
Ich wünsche daher, daß der kritische Leser sich mit dieser Antinomie hauptsächlich beschäftige, weil die Natur selbst sie aufgestellt zu haben scheint, um die Vernunft in ihren dreisten Anmaßungen stutzig zu machen, und zur Selbstprüfung zu nötigen. Jeden Beweis, den ich für die Thesis so wohl als Antithesis gegeben habe, mache ich mich anheischig zu verantworten, und dadurch die Gewißheit der unvermeidlichen Antinomie der Vernunft darzutun. Wenn der Leser nun durch diese seltsame Erscheinung dahin gebracht wird, zu der Prüfung der dabei zum | Grunde liegenden Voraussetzung zurückzugehen, so wird er sich gezwungen fühlen, die erste Grundlage aller Erkenntnis der reinen Vernunft mit mir tiefer zu untersuchen.
Die Idee der Freiheit findet lediglich in dem Verhältnisse des Intellektuellen, als Ursache, zur Erscheinung, als Wirkung, statt. Daher können wir der Materie in Ansehung ihrer unaufhörlichen Handlung, dadurch sie ihren Raum erfüllt, nicht Freiheit beilegen, obschon diese Handlung aus innerem Prinzip geschieht. Eben so wenig können wir vor reine Verstandeswesen, z.B. Gott, so fern seine Handlung immanent ist, keinen Begriff von Freiheit angemessen finden. Denn seine Handlung, obzwar unabhängig von äußeren bestimmenden Ursachen, ist dennoch in seiner ewigen Vernunft, mithin der göttlichen Natur, bestimmt. Nur wenn durch eine Handlung etwas anfangen soll, mithin die Wirkung in der Zeitreihe, folglich der Sinnenwelt anzutreffen sein soll (z.B. Anfang der Welt), da erhebt sich die Frage, ob die Kausalität der Ursache selbst auch anfangen müsse, oder, ob die Ursache eine Wirkung anheben könne, ohne daß ihre Kausalität selbst anfängt. Im ersteren Falle ist der Begriff dieser Kausalität ein Begriff der Naturnotwendigkeit, im zweiten der Freiheit. Hieraus wird der Leser ersehen, daß, da ich Freiheit als das Vermögen, eine Begebenheit von selbst anzufangen, erklärete, ich genau den Begriff traf, der das Problem der Metaphysik ist.
Herr Platner in seinen Aphorismen sagt daher mit Scharfsinnigkeit ß 728, 729: »Wenn die Vernunft ein Kriterium ist, so kann kein Begriff möglich sein, welcher der menschlichen Vernunft unbegreiflich ist. – In dem Wirklichen allein findet Unbegreiflichkeit statt. Hier entsteht die Unbegreiflichkeit aus der Unzulänglichkeit der erworbenen Ideen.« – Es klingt also nur paradox und ist übrigens nicht befremdlich zu sagen, in der Natur sei uns vieles unbegreiflich (z.B. das Zeugungsvermögen), wenn wir aber noch höher steigen und selbst über die Natur hinaus gehen, so werde uns wieder alles begreiflich; denn wir verlassen alsdenn ganz die Gegenstände, die uns gegeben werden können, und beschäftigen uns bloß mit Ideen, bei denen wir das Gesetz, welches die Vernunft durch sie dem Verstande, zu seinem Gebrauch in der Erfahrung vorschreibt, gar wohl begreifen können, weil es ihr eigenes Produkt ist.
So ist eine Analogie zwischen dem rechtlichen Verhältnisse menschlicher Handlungen, und dem mechanischen Verhältnisse der bewegenden Kräfte: ich kann gegen einen andern niemals etwas tun, ohne ihm ein Recht zu geben, unter den nämlichen Bedingungen eben dasselbe gegen mich zu tun; eben so wie kein Körper auf einen andern mit seiner bewegenden Kraft wirken kann, ohne dadurch zu verursachen, daß der andre ihm eben so viel entgegen wirke. Hier sind Recht und bewegende Kraft ganz unähnliche Dinge, aber in ihrem Verhältnisse ist doch völlige Ähnlichkeit. Vermittelst einer solchen Analogie kann ich daher einen Verhältnisbegriff von Dingen, die mir absolut unbekannt sind, geben. Z.B. wie sich verhält die Beförderung des Glücks der Kinder = a zu der Liebe der Eltern = b, so die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts = c zu dem Unbekannten in Gott = x, welches wir Liebe nennen; nicht als wenn es die mindeste Ähnlichkeit mit irgend einer menschlichen Neigung hätte, sondern, weil wir das Verhältnis derselben 1 zur Welt demjenigen ähnlich setzen können, was Dinge der Welt unter einander haben. Der Verhältnisbegriff aber ist hier eine bloße Kategorie, nämlich der Begriff der Ursache, der nichts mit Sinnlichkeit zu tun hat.
1 Akad.-Ausg.: »desselben«.
Ich werde sagen: die Kausalität der obersten Ursache ist dasjenige in Ansehung der Welt, was menschliche Vernunft in Ansehung ihrer Kunstwerke ist. Dabei bleibt mir die Natur der obersten Ursache selbst unbekannt: ich vergleiche nur ihre mir bekannte Wirkung (die Weltordnung) und deren Vernunftmäßigkeit mit den mir bekannten Wirkungen menschlicher Vernunft, und nen|ne daher jene eine Vernunft, ohne darum eben dasselbe, was ich am Menschen unter diesem Ausdruck verstehe, oder sonst etwas mir Bekanntes ihr als ihre Eigenschaft beizulegen.
Es ist mein immerwährender Vorsatz durch die Kritik gewesen, nichts zu versäumen, was die Nachforschung der Natur der reinen Vernunft zur Vollständigkeit bringen könnte, ob es gleich noch so tief verborgen liegen möchte. Es steht nachher in jedermanns Belieben, wie weit er seine Untersuchung treiben will, wenn ihm nur angezeigt worden, welche noch anzustellen sein möchten, denn dieses kann man von demjenigen billig erwarten, der es sich zum Geschäfte gemacht hat, dieses ganze Feld zu übermessen, um es hernach zum künftigen Anbau und beliebigen Austeilung andern zu überlassen. Dahin gehören auch die beiden Scholien, welche sich durch ihre Trockenheit Liebhabern wohl schwerlich empfehlen dürften, und daher nur vor Kenner hingestellt worden.
Bei Leibe nicht der höhere. Hohe Türme, und die ihnen ähnliche metaphysisch-große Männer, um welche beide gemeiniglich viel Wind ist, sind nicht vor mich. Mein Platz ist das fruchtbare Bathos der Erfahrung, und das Wort transzendental, dessen so vielfältig von mir angezeigte Bedeutung vom Rezensenten nicht einmal gefaßt worden (so flüchtig hat er alles angesehen), bedeutet nicht etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht, sondern, was vor ihr (a priori) zwar vorhergeht, aber doch zu nichts Mehrerem bestimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntnis möglich zu machen. Wenn diese Begriffe die Erfahrung überschreiten, dann heißet ihr Gebrauch transzendent, welcher von dem immanenten, d.i. auf Erfahrung eingeschränkten Gebrauch unterschieden wird. Allen Mißdeutungen dieser Art ist in dem Werke hinreichend vorgebeugt worden: allein der Rezensent fand seinen Vorteil bei Mißdeutungen.
Der eigentliche Idealismus hat jederzeit eine schwärmerische Absicht, und kann auch keine andre haben, der meinige aber ist lediglich dazu, um die Möglichkeit unserer Erkenntnis a priori von Gegenständen der Erfahrung zu begreifen, welches ein Problem ist, das bisher noch nicht aufgelöset, ja nicht einmal aufgeworfen worden. Dadurch fällt nun der ganze schwärmerische Idealism, der immer (wie auch schon aus dem Plato zu ersehen) aus unseren Erkenntnissen a priori (selbst derer 1 der Geometrie) auf eine andere (nämlich intellektuelle Anschauung) 2, als die der Sinne schloß, weil man sich gar nicht einfallen ließ, daß Sinne auch a priori anschauen sollten.
1 Akad.-Ausg.: »selbst denen«.
2 Akad.-Ausg.: »intellectuelle) Anschauung«.
Der Rezensent schlägt sich mehrenteils mit seinem eigenen Schatten. Wenn ich die Wahrheit der Erfahrung dem Traum entgegensetze, so denkt er gar nicht daran, daß hier nur von dem bekannten somnio obiective sumpto der Wolffischen Philosophie die Rede sei; der bloß formal ist, und wobei es auf den Unterschied des Schlafens und Wachens gar nicht angesehen ist, und in einer Transzendentalphilosophie auch nicht gesehen werden kann. Übrigens nennt er meine Deduktion der Kategorien und die Tafel der Verstandesgrundsätze: »gemein bekannte Grundsätze der Logik und | Ontologie auf idealistische Art ausgedrückt«. Der Leser darf nur darüber diese Prolegomenen nachsehen, um sich zu überzeugen, daß ein elenderes und selbst historisch untichtigeres Urteil gar nicht könne gefället werden.
Akad.-Ausg.: »wurde«.
Akad.-Ausg.: »jener«.
Akad.-Ausg.: »kam«.
Akad.-Ausg.: »seien«.
Akad.-Ausg.: »darin er«.
Übersetzung des Herausgebers: »sie halten das faule Vieh, die Drohnen, von den Körben fern.«
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg.: »als Principien«.
Akad.-Ausg.: »in ihm«.
Akad.-Ausg.: »jenem Begriffe«.
Nach der Vaihinger-Sitzlerschen Hypothese gehören die Abschnitte 2 bis 6 des Paragraphen 4 an das Ende dieses Paragraphen.
Nach der Vaihinger-Sitzlerschen Hypothese gehören die folgenden fünf Abschnitte an das Ende des Paragraphen 2. Der Anfang des dritten dieser fünf Abschnitte sollte demgemäß lauten: »3) Eigentlich metaphysische Urteile«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg.: »sei«.
Akad.-Ausg. erwägt: »wenigstens einige«.
Akad.-Ausg.: »seien«.
Übersetzung des Herausgebers: »Was du mir so zeigst, das glaube ich nicht und verabscheue ich.«
Akad.-Ausg.: »müßten«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg.: »begnügen muß und«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg. erwägt: »sondern nur synthetisch«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg. erwägt: »von«.
Akad.-Ausg.: »solche Verschiedenheit im«.
Akad.-Ausg.: »Phantasie sind und«.
Akad.-Ausg.: »seien«.
Akad.-Ausg.: »Vorstellung«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg.: »halte«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg.: »vorstelle«.
Akad.-Ausg.: »dieselbe«.
Akad.-Ausg.: »von deren Natur«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg. erwägt: »Wahrnehmungen«.
Akad.-Ausg.: »Ursache«.
Akad.-Ausg.: »§ 21 [a]«.
Akad.-Ausg. erwägt: »jenem«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg.: »als der anderen«.
Akad.-Ausg.: »vorstellt, d.i. ein«.
Akad.-Ausg.: »Naturwissenschaft«.
Akad.-Ausg.: »enthalten«.
Akad.-Ausg.: »Der«.
Akad.-Ausg.: »Der«.
Akad.-Ausg.: »und kann niemals«.
Akad.-Ausg. erwägt: »beides«.
Akad.-Ausg. erwägt: »daß in ihr alle«.
Akad.-Ausg.: »nichts anders«.
Akad.-Ausg.: »eines oder des andern«.
Akad.-Ausg.: »der sich dieser«.
Akad.-Ausg. erwägt: »Analytik«.
Akad.-Ausg.: »gleich sind, aber«.
Akad.-Ausg.: »abnimmt«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg.: »Kugelflächen«.
Akad.-Ausg.: »desselben«.
Akad.-Ausg.: »ist, wo daher jene«
Akad.-Ausg.: »auch alle zu«.
Akad.-Ausg.: »psychologisch«.
Akad.-Ausg.: »Vernunftideen«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Das Original bringt zu diesem * keine Anmerkung.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg.: »erkennen kann, und«.
Akad.-Ausg.: »des letztern«.
Akad.-Ausg.: »seien«.
Akad.-Ausg.: »Zeit, noch der«.
Akad.-Ausg. erwägt: »Aufgabe unmöglich macht, man«.
Akad.-Ausg.: »einer noch vorhergehenden«.
Akad.-Ausg. erwägt: »nämliche«.
Akad.-Ausg.: »völlig befriedigt haben sollte«.
Akad.-Ausg.: »entspringen, müssen aufgelöset«.
Akad.-Ausg.: »psychologische«.
Akad.-Ausg.: »wollten«.
Akad.-Ausg.: »immateriellen«.
Akad.-Ausg.: »Erfahrungsgrundsätzen«.
Akad.-Ausg. erwägt: »und uns also«.
Akad.-Ausg. erwägt: »meine«.
Akad.-Ausg.: »immanenten (empirischen) Gebrauchs«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg. erwägt: »übertragenen«.
Akad.-Ausg.: »die doch nicht«.
Akad.-Ausg.: »unserer«.
Akad.-Ausg.: »zu bringen, zusammennehme: so«.
Akad.-Ausg. erwägt: »bedarf, wenigstens als möglich angenommen werden können.«
Akad.-Ausg.: »642«.
Akad.-Ausg.: »seien«.
Akad.-Ausg.: »Verfassung, um allmählig«.
Akad.-Ausg.: »jedermann, den die«.
Akad.-Ausg.: »Wissenschaft (der Metaphysik) aber«.
Akad.-Ausg.: »wollen, die Rede ist, ist«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg.: »sind«.
Akad.-Ausg. erwägt: »und blos die«.
Akad.-Ausg. (nach dem Wortlaut der Rezension): »transscendentellen«.
Akad.-Ausg.: »ich, um allen«.
Akad.-Ausg. (nach dem Wortlaut der Rezension): »die gemein angenommene«.
Akad.-Ausg.: »von der Möglichkeit«.
Akad.-Ausg.: »seine«.
Akad.-Ausg.: »und sich in«.
Akad.-Ausg.: »das Werk«.
Von Martin Duru
Königsberg, der politische und kulturelle Mittelpunkt Ostpreußens im 18. Jahrhundert. Ein kleines Haus im Stadtzentrum. Es ist fünf vor fünf in der Früh. Lampe, der Hausdiener, dem man noch immer den früheren Soldaten anmerkt, betritt das Schlafzimmer und sagt in unerbittlichem Tonfall: »Es ist Zeit.« Ohne das geringste Murren schlägt der Herr die Laken zurück. Er ist klein, gerade 1,59 Meter, mager, mit eingefallener Brust, die linke Schulter sitzt ein wenig höher als die rechte, die Augen sind auffallend blau. Sein Name ist Immanuel Kant. Der Tag beginnt mit dem immer gleichen Ritual und folgt dann dem immer gleichen, minuziös eingehaltenen Stundenplan. Was seine Moralphilosophie angeht, wurde Kant Rigorismus vorgehalten – zumindest in puncto Selbstdisziplin trifft dieser Vorwurf ins Schwarze.
Punkt fünf Uhr sitzt der Philosoph am Schreibtisch, um zu frühstücken: zwei Tassen Tee und eine Pfeife – die erste und einzige des Tages. Danach kleidet er sich sorgfältig an, setzt seine weiß gepuderte Perücke auf, darüber den Dreispitz und macht sich auf den Weg zur Arbeit. Um sieben Uhr beginnen Kants Vorlesungen an der Albertus-Universität, später hält er sie im Untergeschoss seines Hauses in der Prinzessinnenstraße ab. Kant starb hier am 12. Februar 1804; 80 Jahre zuvor, am 22. April 1724, war er als viertes von neun Kindern eines Königsberger Sattlermeisters geboren worden. Abgesehen von seiner Zeit als Hauslehrer bei Adelsfamilien in der ostpreußischen Provinz, hat Kant seine Heimatstadt nie für längere Zeit verlassen. Niemals ist er ins Ausland gereist, nie hat er sich in eines der intellektuellen Zentren der Umgebung wie Riga begeben. Selbst den Ruf an die Universität Erlangen verschmähte er unter Verweis auf seine enge Verbundenheit mit Königsberg.
Bevor Kant 1770 endlich den lang ersehnten Lehrstuhl für Logik und Metaphysik an der heimischen Universität erhielt, verdingte er sich als Privatdozent. Neben Philosophie unterrichtete er auch Theologie, Pädagogik, Mathematik, Physik, Mechanik, und als einer der Ersten führte er in Deutschland Geographie als akademische Disziplin ein, das Fach war ihm Privatpassion. Die Berichte von Missionaren und Forschungsreisenden regten ihn zu eigenen Betrachtungen über die Völker entlegener Kontinente an. Einige seiner Ausführungen sind deutlich dem Zeitgeist verhaftet und rufen heute Befremden hervor. Dennoch sah der sesshafte Kant sich selbst als Kosmopolit, als »Weltbürger«.
Bis zum späten Vormittag dauern die Vorlesungen. Unmittelbar danach macht sich Kant ans eigentliche philosophische Geschäft. Die Einrichtung seines Arbeitszimmers ist einfach, aber komfortabel. Das Porträt Rousseaus hängt an der Wand. Die Zimmertemperatur muss konstant auf 75 Grad Fahrenheit (23 °C) gehalten werden. Kant war von derart zarter Konstitution, dass schon »ein frisch gedrucktes, noch feuchtes Zeitungsblatt« genügte, um ihm einen Schnupfen zu bescheren. Nicht ohne Stolz blickt er am Ende seines Lebens auf sein Werk zurück, das er seiner »schwächlichen Leibesbeschaffenheit« durch eine der Vernunft untergeordnete Lebensführung abgetrotzt hat. Begonnen hat er dieses Werk im Jahr 1746 mit den »Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte« – einer Schrift von nahezu schwärmerischer Vernunftgläubigkeit, noch weit entfernt von der philosophischen Sprengkraft seiner drei Kritiken: Die erste schrieb Kant 1781 nach einer fast zehnjährigen Phase des Nachdenkens und Verwerfens innerhalb von fünf Monaten »gleichsam wie im Flug« nieder. Allerdings floppte die erste Ausgabe der »Kritik der reinen Vernunft«.
Mit der zweiten, überarbeiteten Fassung von 1787 gelang ihm der Durchbruch in der gelehrten Welt. Als moralphilosophische Hauptschrift folgte im Jahr 1788 die »Kritik der praktischen Vernunft«, und mit der »Kritik der Urteilskraft« von 1790