Vollständige E-Book-Ausgabe der im Copress Verlag
erschienenen Printausgabe (ISBN 978-3-7679-1277-9).
Abbildungen Titel und Innenteil wurden großzügig zur Verfügung gestellt von:
Ubbo Bandi, Jens Hart, Klaus Hauptmann, Siggi Hauser, Udo Möller,
Wolfgang Radzuweit und Johann Schröpfer.
Weitere Abbildungen stammen aus dem Archiv des Autors
1. Auflage 2022
© 2022 Copress Verlag in der Stiebner Verlag GmbH
Hirtenweg 8 b, 82031 Grünwald
www.copress.de
Covergestaltung, Lektorat und Layout (Printausgabe): Pierre Sick
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ISBN 978-3-7679-2103-0
Ich frage mich manchmal, wie man es mit so einem Chaoten wie mir schon seit über 20 Jahren aushalten kann ...
Tag für Tag Action, Hunderte von Kilometern auf der Autobahn, lange und stressige Gespräche mit Geschäftspartnern, immer die Kamera unter dem Arm (»Hier, Gaby, filme mal ...«) und vieles mehr.
Die Antwort heißt Gabriele Luise. Sie sagt dann immer: »Ich bin doch deine Mitbewohnerin, da muss ich jetzt durch!«
VORWORT VON MICHAEL SCHUBERT
Der Name ist Programm: Egon Müller
VORWORT VON KARL MAIER
Egon Müller – Die schillerndste Figur des deutschen Bahnsports!
TEIL I – BENZIN IM BLUT
Der zwölfte Artist
Musikalischer Herzensbrecher
Glück auf zwei Rädern
Mein erster Pokal
Lehrjahre sind keine Herrenjahre
Junge Liebe, junge Eltern
Mit der Zündapp in den Trials
Gelernt ist gelernt
Der Nürburgring des kleinen Mannes
Erste Erfolge als Lokalmatador
TEIL II – KOMETENHAFTER AUFSTIEG
Das erste Jahr als Profi
Gutes Comeback und böser Rückschlag
Der Pfingstochs aus der Pfalz
Deutscher Meister!
Renndebüt in Großbritannien
»Des basst scho«
Sponsorensuche
Pech und Glück
Weltmeister!
Ein standesgemäßes Fahrzeug
Nachhaltige Fanartikel anno ‘74
Egeler und Sartorius
Erfolgreiche Titelverteidigung
Als Sandbahnweltmeister in der Speedway-Schule
Doch kein Hattrick
Geplatzte WM-Träume, aber immerhin Deutscher Meister
Gesundheit geht vor, oder?
Sündenbock im »Blauen Bock«
Das verlorene Visum
Mit dem Schlauch zwischen den Zähnen zum dritten WM-Titel
TEIL III – DER GROSSE COUP
Meister aller Klassen
Auslandserfahrungen
Unterwegs mit den Weltstars
Show-Business, mein zweites Standbein
Nach oben kommen ist schwer, oben bleiben noch schwerer
Speedway-WM-Finale in Wembley
Defektteufel
Das große Ziel im Kopf
Die Mühle der Qualifikation
Der Griff nach den Sternen
Wer’s glaubt ...
Haltlose Verschwörungstheorien
Willkommen in der Sowjetunion
Von der Mattscheibe verbannt
Mission Titelverteidigung geht schief
Vize-Weltmeister mit Leih-Motor
Die rote Linie überschritten
TEIL IV – LEBEN AM LIMIT
Deutsche Vereinsmeisterschaft mit Diedenbergen
Etwas ist faul im Staate Dänemark
Dirks Unfall
Allroundfahrer oder Spezialist?
Die große Promi-Abzocke
Am seidenen Faden
Die längste Zwangspause
Dauergast bei Dr. Havemann
Augen zu und durch
In der Formel Ford
Wintervorbereitung in Australien
Grasbahn-Weltrekord und Nordwestdeutscher Bahnmeister
Unglück in Down Under
Ein Plan muss her
Knapp am Podium vorbei
Der Kreis schließt sich
Eiskalt und zuckersüß – Pressearbeit Marke Egon Müller
Es lief wie geschmiert
Hinter den Kulissen
Mein Freund das Mikro
Rennsport-Events
Egon for President!
SCHLUSSBEMERKUNGEN
Geboren in einfachen Verhältnissen, aufgewachsen im Kiel der Nachkriegszeit avancierte Egon Müller in den 1970er-Jahren zu den erfolgreichsten deutschen Motorsportlern des 20. Jahrhunderts. Kaum ein Name ist dabei so eng mit dem Motorradsport verbunden wie seiner. Auch mehr als 20 Jahre nach dem Ende seiner aktiven Fahrerkarriere bringen unzählige Menschen seinen Namen in Verbindung mit einer Sportart, die in den 1970er- und 1980er-Jahren in Deutschland eine Hochzeit erlebte, nicht zuletzt durch Egon Müller. Für mich sind die Erfolge, die Egon Müller im In- und Ausland feiern durfte, kein Zufallsprodukt. Sie sind das Ergebnis harter Arbeit, eiserner Disziplin und dem unbändigen Willen, besser zu sein als die Konkurrenz, um letztlich den Fans zu gefallen. Applaus, das ist die wahre Gage des Künstlers, und Ruhm macht süchtig.
Moderatoren-Team Egon Müller/Michael Schubert
Egon Müller hatte alles. Dabei gab er sich nie nur mit den Erfolgen im Sport zufrieden. Stets wurde er angetrieben, sämtliche Talente, mit denen er gesegnet ist, zu nutzen, ob als Sänger oder Schauspieler, Moderator, Entertainer oder Kommentator. Keine Bühne war ihm zu klein, um seinen Fans das zu geben, was sie von ihm verlangten. Kaum ein deutscher Sportler nutzte seine Erfolge so vielseitig wie Egon Müller. Seine Medienpräsenz war während seiner aktiven Zeit als Rennfahrer atemberaubend. Kaum eine Talkshow oder Unterhaltungssendung, in der er nicht zu Gast war und in seiner ihm eigenen Art plauderte, stets ohne Manuskript.
Natürlich hatte und hat er nicht nur Freunde. Er polarisiert bis heute wie kaum ein anderer. Ich durfte in vielen Gesprächen und während unserer gemeinsamen Zusammenarbeit als Kommentatoren-Duo bei zahlreichen Rennveranstaltungen, aber auch in zahlreichen Interviews, die ich mit ihm führte, teilweise sehr persönliche Züge kennenlernen. Dabei offenbarte Egon Müller immer wieder, wie ihm unsachliche Kritik oder die Kehrseite der schillernden Medaille der Popularität zusetzten.
Betrachtet man die Karriere Egon Müllers, vom einfachen Jungen aus Kiel bis hin zum Superstar des Bahnsports, fällt mir unweigerlich der Vergleich des angloamerikanischen Prinzips vom Tellerwäscher zum Millionär ein. Ich kenne niemanden, der durch harte Arbeit und mit dieser Verbissenheit, wie er sie stets an den Tag gelegt hat, so an seiner Popularität und seiner Karriere gefeilt hat. Für mich ist Egon Müller ein echter Selfmadestar, der seinen Mitstreitern in Bezug auf Medienpräsenz und Selbstvermarktung stets um Längen voraus war.
Vielleicht ist es gerade diese Kombination aus dem Malocher, dem Ausnahmesportler und dem Paradiesvogel im Rampenlicht, die Egon Müller auch fast 40 Jahre nach seinem größten sportlichen Erfolg diesen großen Bekanntheits- und Popularitätsgrad verschafft. Dass Egon Müller mehr als nur der einzige deutsche Speedway-Weltmeister oder der singende Rock’n’Roll-Speedway-Man ist: Darüber berichtet dieses Buch des Kometen aus Kiel.
Ich wünsche Ihnen und Euch nun viel Spaß mit den persönlichen Erinnerungen und Einblicken in ein hochinteressantes Leben.
Anfang September 2020 – ich befand mich gerade mitten in einem Verkaufsgespräch für ein BMW-Motorrad – fragte meine Mitarbeiterin, ob sie einen Anruf durchstellen könne. Ich wollte wissen, ob es wichtig sei und wer dran war.
»Egon Müller!?« »Ja, freilich darfst den durchstellen!«
Erzrivalen aber auch Kumpel: Karl und Egon
»Egon, was ist los, was kann ich für dich tun? Bist du in Bayern, brauchst a Übernachtung?«
»Nein, ich bin es, Gabi.«
»Ach so, was gibt es?«
»Kannst du für Egon ein Vorwort schreiben?«
»Wo seid ihr denn gerade?«
»Auf dem Weg nach Hamburg, einen Oldtimer anschauen. Ich gebe dir Egon.« ... »Hallo Karl, wir hatten so viele gemeinsame Jahre auf den Rennstrecken, könntest du das Vorwort für mein neues Buch schreiben?«
Erst habe ich überlegt, denn so etwas habe ich doch noch nie gemacht ... , aber ich mach es für den größten Bahnfahrer der Bundesrepublik Deutschland!
1972, ich war 15 Jahre alt, bin ich mit meinem Vater zum Sandbahnrennen nach Pfarrkirchen gefahren. Schon damals hatte ich übrigens die »Bahnsport Aktuell« abonniert, sonst hätte ich gar nicht gewusst, dass es dort um die Deutsche Meisterschaft ging.
Das war das erste Mal, dass ich Egon leibhaftig habe fahren sehen. Meine Sympathien lagen seinerzeit allerdings bei Josef Angermüller, denn der war erstens auch aus Bayern, und zweitens mochte ich dessen lockere und unkomplizierte Art.
Ich habe die Bilder vom Finallauf heute noch im Kopf. Egon hätte zweifellos Deutscher Meister werden können, aber beim Start lagen Manfred Poschenrieder und Hans Siegl etwas vorne, wenn ich mich recht entsinne. Dann kam Egon, und der wollte mitten durch. Das hatten die Jungs aber erkannt und machten die Zange zu. Egon wurde – glaube ich – Dritter. Auffällig waren sein farbiger Lederanzug, sein etwas hochgebogener Lenker am Motorrad und natürlich seine überragende Fahrweise, und ich dachte mir dann: »dass ein Preiß so Motorradfahren kann, hätte ich nicht für möglich gehalten!« Ich war allerdings zu schüchtern, um mir von diesen Kerlen ein Autogramm zu holen. Die einzigen, die ich damals besaß, waren von Manfred Poschenrieder und Ivan Mauger!
Egon habe ich erst drei Jahre später bei meinen ersten Rennen persönlich kennengelernt. Den Tag werde ich nie vergessen, es war der 10. Oktober 1975, gleichzeitig mein Renndebüt, ein Grasbahnrennen in Buch am Buchrain für meinen damaligen Heimat-Club MSC Eichenried.
Ich gewann mein Rennen, und das war für mich natürlich eine Riesensache. Egon war auch verpflichtet und zu diesem Zeitpunkt amtierender Weltmeister! Ich habe ihn an diesem Tag jedoch nur im Fahrerlager gesehen, keinen Lauf von ihm. Aber abends wusste ich, dass auch er gewonnen hatte, was zu jener Zeit eigentlich fast schon selbstverständlich war. Wie damals üblich gab es eine Siegerehrung in einem Wirtshaussaal, unweit von der Rennbahn, und da sind wir beide uns das erste Mal »live« begegnet. Wir erhielten beide unsere Pokale, und Egon äußerte dann noch ein paar lobende Worte über mich und schenkte mir seine legendäre Egon-Müller-Mütze mit Widmung! Das war natürlich eine große Würdigung für mich, und ich war mächtig stolz darauf! Von dieser Szene habe ich heute noch einen Polaroid-Abzug. Das war schon etwas ganz Besonderes, von einem Weltmeister geehrt zu werden ...
In meiner ersten vollen Saison 1976 fuhr ich 16 Rennen, und wir begegneten uns hin und wieder im Fahrerlager, aber richtigen Kontakt hatten wir nicht zueinander. 1977 gab es allerdings schon einige Rennen, in denen ich gegen den Weltmeister antreten musste, das erste war ein Grasbahnrennen in Assen. Es hatte den ganzen Tag wie aus Kübeln gegossen, die Bahn war aufgeweicht, dreckig und schlammig. Egon spulte seine Runden ab, und ich merkte damals schon, dass er sich für keine Unannehmlichkeiten zu schade war. Er gewann das Rennen und hatte es allen wieder gezeigt! Am folgenden Tag war ein Grasbahnrennen in Celle auf Muttererde, wie die Norddeutschen zu sagen pflegen. Auf Deutsch gesagt war es ein plattgewalzter Acker, sehr anspruchsvoll und das bei eiskalter Witterung. Erneut stand Egon ganz oben auf dem Stockerl, ich wurde Fünfter, hatte allerdings den Weltmeister Barry Briggs geschlagen, und das war für mich schon was.
Ob es kleine Grasbahnrennen in Hessen waren oder Sandbahnrennen in Altrip oder Herxheim, wir liefen uns immer wieder über den Weg, und ich erkundigte mich manchmal nach der Übersetzung seiner Maschine. Ich erhielt auch stets eine Antwort – ob es natürlich die richtige war, weiß ich bis heute nicht ... Jedenfalls machte Egon mir gegenüber einen hilfsbereiten und freundlichen Eindruck, das muss ich schon sagen.
1977 ging ich bei meiner ersten Deutschen Meisterschaft in Bielefeld an den Start. Da habe ich zwar auch immer nur seinen Auspuff gesehen, war aber schon sehr nahe dran, nur zum Sieg gegen Egon hatte es bis dahin noch nicht gereicht. Es gab dann noch ein großes Rennen in Jübek, und wir hatten damals schon ein bisserl ein freundschaftliches Verhältnis, sonst hätte er mich und meine Mechaniker wahrscheinlich nicht eingeladen, ihn in Kiel zu besuchen.
Ich kann mich noch gut erinnern, als wir am späten Vormittag an einem Hochhaus klingelten. Auf mehreren Namensschildern stand »Egon Müller«, und wir läuteten ganz ehrfürchtig. Seine damalige Frau Christel öffnete uns. Egon war noch in der Schlafanzughose. Wir bekamen eine Tasse Englischen Tee und waren natürlich begeistert, dass er uns empfangen hat. Egon war ja immerhin zweifacher Weltmeister ... Später beim Rennen hielt ich lange in der Spitzengruppe mit, aber einmal mehr war Egon der schnellere und sackte die 10.000 Mark Preisgeld ein.
1978 wurde Egon zum dritten Mal Sandbahnweltmeister, noch dazu in Mühldorf bei uns in Bayern. Vor 30.000 Zuschauer musste ein Stechen mit Alois Wiesböck die Entscheidung bringen. Die Zeitungen waren voll davon, und es gab Fernsehauftritte im Bayrischen Rundfunk. Ich wurde damals Siebter, habe Egon aber immerhin in einem Lauf hinter mir gelassen ...
Ich war dann schon ein bisserl neidisch, denn alle redeten nur noch von Egon Müller, die anderen Fahrer waren uninteressant. Mir fiel natürlich auf, mit welcher Professionalität er sich vermarktete. Seine Gesangsauftritte hatten das Nötige dazu beigetragen, den Umgang mit der Presse beherrschte er perfekt, Egon suchte aber auch die Nähe zu den Fans und gab Autogrammstunden. Da konnte man sich schon eine Scheibe abschneiden, und ich habe mir da auch ein bisserl was abgeschaut ...
Es hat lange gedauert, bis ich Egon wirklich schlagen konnte und ein Rennen vor ihm als Sieger beendete. Man durfte natürlich nicht vergessen, dass der Bursche ja acht Jahre Vorsprung hatte und dementsprechend mehr Erfahrung. Das erste große Rennen 1980 war in Haßloch, das war zum Saisonauftakt der große Gradmesser. Wer das gewann, hatte im Winter gut gearbeitet, und mit dem war meist das ganze Jahr über zu rechnen – und tatsächlich schnappte ich Egon die Goldene Traube der Pfalz diesmal vor der Nase weg!
Von da an war der Konkurrenzkampf zwischen uns beiden größer geworden, jeder hatte seine eingefleischten Fans, die natürlich die Stimmung angeheizt haben, und die Emotionen kochten langsam höher. Den Veranstaltern spielte das selbstverständlich in die Karten: Ein Bayer und ein Preiß trafen aufeinander. Dieses Duell wollten die Leute sehen, und die Stadien füllten sich.
Als ich 1980 dann auf Egons Heimbahn in Scheeßel zum ersten Mal Weltmeister wurde, war das Freundschaftsverhältnis ein bisserl abgekühlt, was ja auch verständlich ist. Ich habe natürlich auch Sprüche losgelassen wie »dem Müller seine Zeit ist vorbei« oder »der soll zum Singen gehen!« usw. Das schmeckte ihm natürlich nicht besonders ... Mir war zu diesem Zeitpunkt noch nicht ganz bewusst, dass dieser Mensch genauso vom Erfolg besessen war wie ich und nur für den Sport gelebt hat und für seine weiteren Standbeine: Singen, Entertainment und Showbusiness.
Von da an ging der Schlagabtausch und das Gepoker dann richtig los: Auch ich hatte meine Schlagzeilen in der Presse, und somit waren wir dann harte Konkurrenten auf der Bahn und auch außerhalb. 1982 wurde ich zum zweiten Mal Weltmeister. Und Egon wurde Dritter hinter Alois Wiesböck, niemand hatte mehr so wirklich mit ihm gerechnet.
Aber dann kam 1983, und Egon witterte seine große Chance, in Norden Speedwayweltmeister zu werden. Jetzt im Nachhinein ist mir klar, dass er diesen Griff nach den Sternen das ganze Jahr über im Fokus hatte. Er bekam große Unterstützung von seinem damaligen Tuner und Mentor Otto Lantenhammer sowie von Giuseppe Marzotto, einem Italiener, der einen neuen, leichten Motor entwickelt hatte und ihn zum Erfolg führen wollte. Ich kann mich noch sehr gut an dieses Jahr erinnern, wir waren gemeinsam in Russland und fuhren die Qualifikation für Norden. Egon gewann, ich glaube ich war Zweiter. Mir fiel auf, dass er sein ganzes Augenmerk auf Speedway gelegt hatte. Ich weiß nicht, wie viele Motoren er ausprobierte und wechselte, bis er dann irgendwann damit zufrieden war.
Als das Speedway-WM-Finale dann immer näher rückte und beim Samstagstraining schon zigtausend Zuschauer mit ihren Tröten da waren, stieg die Spannung gewaltig. Es herrschten windige und sehr trockene Verhältnisse, und die Bahn war arschglatt. Der meiste Belag wurde vom Wind nach außen oder gleich ganz über die Barriere geweht.
Was ich nicht mitbekommen hatte, war, dass der Bahndienst nach dem Training die Anweisung erhalten hatte, die Bahn aufzureißen, den Belag reinzuziehen und alles zu wässern. Da hatten doch bestimmt Egon und »Lanti« die Finger im Spiel ... das mussten perfekte Bedingungen für deren Rakete gewesen sein!
Am Renntag war das Stadion mit 30.000 Menschen voll, die Spannung näherte sich dem Höhepunkt. Ich hatte nicht gedacht, dass Egon mit einem Sieg gerechnet hat und war direkt neben ihm in der Box, aber der Hund war hochkonzentriert, voll auf Kampf und Sieg vorbereitet, und er wusste: jetzt oder nie. Er konnte seine Motorpower mit dem GM-Motor voll ausspielen. Otto Lantenhammer hatte das Gerät perfekt auf ihn zugeschnitten und bis die Konkurrenz gecheckt hatte, dass die Arena durch die Bahnpräparation eher einer Mini-Sandbahn glich, hatte jeder WM-Anwärter schon Punkte eingebüßt. Alle waren frustriert und irritiert, und Egon hatte mit Maximalpunktzahl gewonnen. Er gewann jeden einzelnen Lauf, unvorstellbar, die ganze Speedway-Welt war auf den Kopf gestellt worden, und Egon war Weltmeister! Das war der größte Coup aller Zeiten: Egon ist der einzige deutsche Speedwayweltmeister, und das wird nach ihm auch keiner mehr schaffen.
Er hat damals – wie auch heute noch – seinen Namen vermarktet, wie kein anderer auf der Welt. Man muss sich das mal vorstellen: Egon war zwar Speedwayweltmeister, aber nicht Olympiasieger. Denen wird doch alles zugetragen, die brauchen sich doch um nix mehr zu kümmern!
Egon ist heute noch bekannt wie ein bunter Hund, und ich bin dankbar, mit ihm viele tolle Momente erlebt zu haben. Auch habe ich höchsten Respekt vor ihm, dass er den Sport mit seinem Engagement und seinen Show-Einlagen so nach vorne gebracht hat, denn so haben wir letztlich alle davon profitiert.
Eines muss ich allerdings noch loswerden. Als 1997 unsere Rennsport-Karrieren dem Ende zugingen, organisierte Egon sein Abschiedsrennen in Jübek. Er hat mich ein paarmal angerufen, ich sollte unbedingt kommen. Aber ich hatte die ganze Saison kein Rennen gefahren und war daher nicht so begeistert. Aber für Egon musste ich es einfach machen.
Leider habe ich das Rennen aber auch gewonnen und dafür 10.000 Mark Preisgeld erhalten. Die Hälfte davon habe ich für gute Zwecke gespendet, meinem besten Freund und Mechaniker Gerhard Ertl habe ich auch 500 Mark zugesteckt. Im Nachhinein tut es mir auch ein bisserl leid, Egon, dass ich dir ausgerechnet im Abschiedsrennen den Sieg geklaut habe. Hättest du mich vor dem Rennen gefragt, ob ich dich gewinnen lasse, hätte ich das natürlich gemacht, wenn wir uns den Gewinn geteilt hätten. Jetzt ist es aber so geschehen, und als Entschädigung lade ich dich zum Weißwurstessen ein, wann immer du auch in Bayern bist!
Für dein neues Buch wünsche ich dir, lieber Egon, viel Erfolg. Wie ich dich kenne, wirst du aber auch das gut hinbekommen. Vielen Dank, dass ich mit ein paar Zeilen hierzu beitragen konnte. Ich empfehle jedem: »Legt‘s euch das neue Buch zu, denn das ist genau so interessant wie Egon Müller selbst!«
Alles Gute, bleib bei Gesundheit. In der Hoffnung, dass wir uns noch oft sehen können,
Der 26. November 1948 war für meine Familie fast ein Tag wie jeder andere. Bloß – es wurde mal wieder ein Kind geboren. Das war tatsächlich nichts Besonderes. Denn es war schließlich das zwölfte Kind der Familie. Jedes Jahr Nachwuchs, das wurde mit der Zeit zur Gewohnheit und war deshalb auch nichts Aufregendes. Ich war ziemlich schmächtig ausgefallen und sah recht mickrig aus. Halt so ein richtiger Lütter, wie es in Norddeutschland heißt. Aber ich machte einen munteren, plietschen Eindruck, jedenfalls nach Aussage meiner Mutter.
Die ersten Probleme gab es, als man mir einen Namen geben wollte. Meine Mutter hatte einmal etwas von einem König Ludwig dem Zwölften gelesen. Das imponierte ihr. Und da ich das zwölfte Kind war, sollte ich Ludwig genannt werden. Deswegen heiße ich heute Egon. Denn meinem Vater gefiel Ludwig überhaupt nicht. Wegen dem König und so … Vor den Namen Ludwig wurde deshalb einfach Egon gesetzt. Damit hieß der »Lütte« also Egon Ludwig Müller. Das war ich.
Meine Kindheit verbrachte ich in Kiel und Eckernförde. Aufgefallen bin ich vor allem durch zwei Dinge: Zum einen sah ich immer etwas unterernährt und auch unter modischen Gesichtspunkten nicht ganz optimal aus. Das kam daher, dass ich praktisch immer mit Kleidungsstücken rumlief, die zuvor meine sechs Brüder schon getragen hatten. Die einzige Bügelfalte, die ich damals hatte, waren meine ausgebeulten Knie.
Zum anderen sorgte ich für Aufmerksamkeit durch meinen ausgeprägten Hang zu allem, was Räder hatte. So konnte ich schon Fahrrad fahren, bevor ich mein Bein über die Stange des Herrenmodells brachte. Ich löste das Problem damit, dass ich mein rechtes Bein durch den Rahmen steckte und in Schräglage in die Pedale trat. Später, als ich dann auf den Sattel raufkam, brillierte ich in unserer Straße und Umgebung durch waghalsige Fahrradartistik.
Das lag uns offenbar im Blut, denn mein Vater und meine zwei ältesten Geschwister, die sich »die Schaludis« nannten, waren mit einer Artistentruppe auf der ganzen Welt, unter anderem in Amerika, in Europa, insbesondere in Schweden unterwegs. Sogar im russischen Staatszirkus sind sie aufgetreten. Im Internet kann man einige Sachen sehen, mit Bildern von meinen Geschwistern mit Kunststücken, die sie aufgeführt hatten, zum Beispiel die einmalige Nummer auf dem Fahrrad zu fahren mit Kopf-auf-Kopf-Balancieren. Das hat auch bis heute keine andere Artistentruppe der Welt je wieder hinbekommen.
Ich erzähle das auch ein bisschen mit Stolz, weil man in unserer Familie bei zwölf Kindern irgendetwas Besonderes machen musste, um aufzufallen. Die Möglichkeit bot sich mir schon im knapp dritten Lebensjahr. Da bekam ich von irgendjemandem ein Dreirad geschenkt. Das hatte es mir sofort angetan. Ich versuchte es natürlich gleich in alle Richtungen zu bewegen und probierte alles aus, was damit möglich war. Voller Begeisterung stellte ich fest, dass man damit sogar auf zwei Rädern fahren konnte. Das nutzte ich natürlich gleich aus und führte es den erstaunten Nachbarn vor. Sätze wie: »Oh, der kleine Müller, der ist heute wieder so verrückt«, konnte ich hören.
Wir hatten damals in Eckernförde in der Prinzenstraße ein starkes Gefälle. Zudem führte die Straße unten in eine scharfe Linkskurve, und man konnte nicht sehen, ob da nun ein Auto entgegenkam oder ein LKW oder eben nur jemand mit einem Kohlenwagen unterwegs war. Ich jagte mein Dreirad mit Highspeed runter, doch irgendwann war der Nervenkitzel vorüber, und ich begann mit zusätzlichen Kunststücken wie aufstellen und freihändig fahren. Stürze blieben logischerweise nicht aus, und ich zog mir schon als Knirps die eine oder andere Gehirnerschütterung zu.
Man brachte mich dann nach Hause, und ich hörte immer von ganz weit meine Mutter klagen: »Oh, mein Gott, was ist wieder los? Was ist denn das für ein Kind? Was ist denn mit dem los, dass der immer so viele Dinge macht, die uns in Angst und Schrecken versetzen?« Und wenn ich einmal mehr mit zerschundenen Gliedern heimgebracht wurde, war klar, dass meine Mutter alles andere als erfreut war.
Als ich endlich groß genug war, um Fahrrad zu fahren, wurde die Straße endgültig zu meiner Bühne – sehr zum Leidwesen der örtlichen Polizei. Den Beamten blieb manchmal vor Schreck fast das Herz stehen. Eines Tages erwischten sie mich im Höllentempo bergab fahrend mit einem Fuß auf dem Lenker, mit dem anderen auf dem Sattel stehend. Nichts für schwache Nerven – aber mir machte das ungeheuren Spaß. Der Geschwindigkeitsrausch hatte mich schon früh in seinen Bann gezogen. Dann und wann lieferte mich die Polizei wegen solcher Verfehlungen gegen die allgemeine Straßenverkehrsordnung natürlich inklusive Standpauke zu Hause ab. Na ja, irgendwie waren die Jungs ja im Recht, wenn ich mir das heute so überlege ...
Fast hätte mich so ein »Kabinettstückchen« auf dem Rad sogar das Leben gekostet. Und das kam so: Vom Schrottplatz hatte ich mir einen alten Kinderwagen besorgt, den ich mit einem Stück Draht an meinem Fahrrad fixierte. Stolz fuhr ich mit meinem »Seitenwagen-Gespann« umher, und wenig später ging es wie eine gesengte Sau die Straße hinunter. Mein »Seitenwagen« kam plötzlich ins Schlingern, und ich wartete gespannt darauf, wann er sich von meinem Rad lösen würde. Bevor es aber dazu kam, tat es einen Schlag, und ich landete unsanft auf dem Hosenboden. Gott sei Dank, denn im Eifer des Gefechtes und weil der Seitenwagen auf dem Kopfsteinpflaster so herrlich schepperte, hatte ich übersehen, dass sich am Ende der Straße ein unbeschrankter Bahnübergang befand. Ich merkte nur noch einen Lufthauch. Da fuhr auch schon, Zentimeter vor meiner Nasenspitze, ein Zug vorbei. Ich musste wohl einen Schutzengel gehabt haben ...
Als ich zehn Jahre alt war, wurde meine Mutter krank. Prompt schaltete sich die Fürsorge ein. Ich wurde in das Missionskinderheim in Eckernförde eingewiesen. Das war damals wirklich toll für mich. Hier hatte alles seine Ordnung, gab’s eine heile Welt, Geborgenheit. Ich lernte, dass man abends seine Sachen anständig zusammenlegte, dass man auch Schuhe putzen muss und sonst noch allerhand Sachen, die eigentlich normal waren, ich jedoch nicht kannte. Zum Beispiel, dass man sich morgens und abends die Zähne putzt und wie man sich beim Essen benimmt. Sicher werden jetzt einige sagen, »das kann der Egon auch heute noch nicht richtig«. Zuvor konnte ich es aber überhaupt nicht.
In diesem Heim gefiel es mir prächtig, es war immer etwas los, und man konnte sich richtig entfalten. Die Schwestern hatten viel Verständnis und halfen uns, wo sie nur konnten. Reine Freude hatten sie jedoch nicht immer mit mir. Zweimal flog ich die herrliche Steilküste in der Nähe herunter – satte 21 Meter tief. Einmal hatte ich mich beim Versteckspielen verlaufen, bin kilometerweit in die falsche Richtung marschiert. Ein netter Herr hat mich schließlich aufgegabelt und ins Heim zurückgebracht. Trotzdem war ich bei den Schwestern beliebt, nicht zuletzt wegen meiner Musikalität.
Als ich ein paar Mark Taschengeld zusammen hatte, baute ich mir selbst eine Gitarre. Sie sah fürchterlich aus. Sie klang auch nicht so besonders, aber sie hatte eine unheimliche Wirkung. Mit zwei oder drei Griffen konnte ich nun selbst komponierte Songs spielen und am Ufer der Eckernförder Bucht schon das eine oder andere Mädchenherz verzücken ... Sie hieß Roswitha und war wunderhübsch, mit Wahnsinns-Locken und bezaubernden Augen. Mich hatte es voll erwischt, und ich spürte zum ersten Mal, dass Liebe eine unglaubliche Energiequelle sein kann. Ich komponierte also weiter Songs und versuchte, sie zu beeindrucken – und irgendwie gelang mir das auch ganz gut ...
Inzwischen lebte ich nun schon über ein Jahr im Heim ein glückliches, fröhliches und unbeschwertes Leben, das ich in vollen Zügen genoss. Ich wurde anerkannt, hatte mein Reich, kam mir vor wie »King Egon«. Da kam eines Tages die Leiterin und erklärte mir mit einem freundlichem Lächeln: »Egon, du darfst wieder nach Hause zu deinen Eltern.« Eine schöne Bescherung. Meine Mutter hatte sich nach ihrem langen Krankenhausaufenthalt gut erholt und war wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte. Zudem zeigte mein Vater nun mehr Familiensinn, und daheim herrschte halbwegs Ordnung.
Mein Vater holte mich ab und sagte »So, Egon, fünf Mark hab’ ich. Die will ich dir als Begrüßungsgeschenk geben, zur Feier des Tages, dass du wieder da bist. Was möchtest du dafür haben?« Für mich war das ganz klar. »Ich hätte gern ein Moped zum Basteln«, verblüffte ich meinen Herrn Papa. Und der war baff. Verständlich. Denn ganz normal ist es sicherlich nicht, wenn ein Elfjähriger sich ausgerechnet ein Moped wünscht. Zumal, wenn er noch so eine Miniportion ist, wie ich es damals war. Für mich gab es aber nichts Größeres und Tolleres als so ein knatterndes Vehikel. Motoren, Benzindampf – das zog mich magisch an. Immer, wenn so ein heißer Ofen an mir vorüberrauschte, überfiel mich eine seltsame Faszination. Ein unerklärliches Kribbeln zog mir durch Mark und Bein. Es war eine geheimnisvolle, aber bislang unerfüllte Sehnsucht.
Mein Vater schaute mich also zunächst einmal verwundert an und meinte: »In Ordnung, Junge. Du sollst ein Moped bekommen.« Zusammen sind wir dann zum Schrotthändler Radomski nach Kiel-Ellerbek gegangen. Stundenlang haben wir gesucht, kämmten den Autofriedhof durch, wühlten uns durch einen riesigen Blechhaufen. Plötzlich hielt ich wie elektrisiert an: Lag da doch eine Victoria. Eine wunderschön verrostete Victoria – ich konnte mein Glück kaum fassen. Der Motor dieses Gefährts befand sich hinten an der Seite unter dem Gepäckträger, und der Tank war mitten in den Gepäckträger eingebaut. Der Rost hatte flächendeckend wahre Orgien gefeiert. Der Motor drehte sich nicht mehr, es fehlten haufenweise Teile. Die gesamte Abdeckung für die Zündanlage war weg, und einen Vergaser suchte man auch vergeblich. Trotzdem, für mich war es das schönste Moped der Welt, denn es war meines. Voller Stolz habe ich es mit meinem Vater nach Hause geschoben.
Ich erinnere mich noch ganz genau: In der folgenden Nacht habe ich kaum geschlafen. Fünf- bis sechsmal bin ich aufgestanden, habe mich in den Keller geschlichen und nachgeschaut, ob mein »Motorrad« noch da war. Immer wieder musste ich es befummeln. Immer wieder streichelte ich es – mein Motorrad. Ein Traum war wahr geworden.
Am nächsten Tag kaufte ich mir Schmirgelpapier, eine Drahtbürste und ein paar Schraubenzieher. Dann ging es los. Ich zerlegte die Victoria bis ins kleinste Einzelteil. Das war noch verhältnismäßig einfach – doch wie sollte ich das nachher alles wieder zusammenfügen? Da kam mir die rettende Idee: Auf einem großen Bogen Papier zeichnete ich alle Teile ein. Es wurde eine wunderbare Skizze. Als ich mir allerdings den Motor vorgenommen hatte, half mir auch die Zeichnung nicht mehr weiter. Denn irgend so eine verflixte Feder stand unter Spannung, schoss plötzlich los – und schon hatte ich den Salat: Kugeln, Schrauben, Muttern – alles flog kreuz und quer durcheinander. Und alles war total verrostet.
Zwei Tage lang habe ich ununterbrochen gebürstet und gewienert, alles schön mit Öl saubergemacht. Es war eine Heidenarbeit – für mich aber das Höchste. Sogar den Motor habe ich nach einigem Basteln und Probieren wieder zusammenbekommen. Nur das Getriebe machte Schwierigkeiten. Irgendwas passte da nicht richtig. Sechs-, siebenmal baute ich es zusammen und dann wieder auseinander. Die Gänge ließen sich einfach nicht schalten. Irgendwann klappte es dann doch noch, und da stand sie nun: meine Victoria – keine Schönheit, aber mein.
Doch was ist ein Moped ohne Vergaser? Der fehlte ja noch immer. Ich ging also sofort los auf die Suche und graste sämtliche Fahrrad- und Mopedläden der Umgebung ab. Irgendwann hatte ich Glück und bekam ein passendes Stück. Und dann packte mich das Fieber wieder: Ich raste heim, baute den Vergaser drauf, besorgte mir einen dreiviertel Liter Benzin – mehr konnte ich mir nicht leisten – und dann kam der große Augenblick. Ich schob meine Victoria zum ersten Mal an. Mann, war das ein Gefühl, als der Motor »ptpt, ptpt« machte und plötzlich losknatterte. Ich kann mich noch genau entsinnen, als ob es gestern gewesen wäre. Ich war wie in einem Rausch. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl überkam mich.
»Ich hab’ den Motor zum Laufen gebracht!«, staunte ich immer wieder über mich selbst und platzte fast vor Stolz. Das war das absolut Größte für mich Lütten. Was hatten denn meine Kameraden, die so alt waren wie ich? Spielzeug, schöne Pullover, saubere, ganze Schuhe. Ich aber hatte ein Moped, ein richtiges Moped. Sonnenklar, dass ich mit meiner Victoria nun auch rumfahren wollte. Erstes Trainingsgelände war unser Hof, der einen wunderhübschen, moosbepflanzten Steilhang hatte. Ich stieg also rauf auf die Karre, und ab ging die Post. Klein Egon in Aktion. Das musste man gesehen haben. Erst drehte ich Kreise, dann sauste ich den Steilhang hoch und schwupp, wieder runter. Pausenlos, bis kein Benzin mehr im Tank war.
Immer nur im Hof fahren wurde mit der Zeit langweilig. Kurzerhand verlegte ich mein Trainingsrevier in den angrenzenden Obstgarten, sehr zum Ärger der Nachbarn, die sich bald recht lautstark beschwerten, denn meine Victoria war alles andere als leise. Und schon sah es zappenduster für mich aus – Fahrverbot. Ein bitterer Rückschlag.
Doch ich gab nicht auf. In den darauffolgenden Wochen stand ich regelmäßig nachts auf und schlich mich in eine nahegelegene Gartenkolonie. Da war eine wunderschöne, lange Strecke. Rundweg hieß das Ding, zwei Kilometer lang, ein paar tolle Kurven und mit einem ausgewachsenen Graben rechts, zwei Meter breit, eineinhalb Meter tief und voll Wasser.
Es kam, wie es kommen musste. Meine ersten »Fans«, Freunde aus der Schule, trieben mich eines Nachts zu immer neuen Höchstleistungen an, und ich wurde immer übermütiger, fuhr immer waghalsiger. Ein kleiner Moment der Unachtsamkeit, und schon flog ich mit Karacho in hohem Bogen in den Graben. Verdammter Mist. Triefend wie eine nasse Katze, verdreckt bis zum Gehtnichtmehr, krabbelte ich aus diesem verfluchten Graben. Anschließend zog ich mein Moped raus und schob es heim. Da gab es natürlich ein Mordstheater. Schließlich hatte ich meine beste, weil einzige Hose, komplett versaut, den Pullover ebenfalls und sollte am nächsten Morgen ja zur Schule. War das ein Zirkus! Zu allem Übel sperrte mein Vater auch noch das Moped weg – das war nun wirklich das Schlimmste, was mir passieren konnte.
Doch ich »rächte« mich auf meine Weise: In den folgenden Tagen und Wochen war mir kein Baum zu hoch, und keine Baustelle war vor mir sicher. Wo es gefährlich aussah, war ich nicht weit, turnte überall herum – und fiel regelmäßig auch irgendwo runter. Platzwunden, Gehirnerschütterungen, Abschürfungen und Verstauchungen. Meinem Vater wurde mit der Zeit angst und bange. Schließlich hatte er die Nase voll und meinte zu meiner Mutter: »Gib dem Egon sein Moped wieder, sonst bringt er sich noch irgendwo um.«
Jetzt durfte ich zwar wieder rumfahren, aber nur noch im Hof. Und der war halt verdammt eng, zu eng für mich und meine Mühle. An einem Nachmittag, meine Mutter hängte gerade Wäsche auf, gab ich Gas und sauste im Hof los. Ich höre sie noch kreischen: »Mensch, mach langsam!« Da war es schon zu spät. Ich bretterte voll durch den morschen Zaun und flog in hohem Bogen aufs Nachbargrundstück. Das lag immerhin vier Meter tiefer unten. Glatte Landung – dann krachte es. Ohne Vorankündigung flog mir mein Moped ins Kreuz. Es war schon ein Mist. Denn mehr als die Prellung schmerzte mich, dass mein Moped erneut für einige Wochen weggesperrt wurde.
Am Rande von Ellerbek gab es überall Gartenkolonien mit wunderschönen Sandwegen und leichten Kurven. Das war genau mein Ding, und dort gelangen mir auch meine ersten Drifts.
Mein bester Freund damals, Hossi Wichmann, wollte immer mit, und ich sagte »Och Mensch, Hossi, das Ding hat doch sowieso nicht so viel Power und wenn du da mit deinem Arsch noch drauf sitzt, geht der Koffer überhaupt nicht mehr.« »Ja nee, lass mich doch wenigstens mitfahren, und ich steig dann auch ab.« Hossi saß hinten drauf, und ich fuhr mit dem Apparat los. Auf einmal fing er an zu schreien: »Aua, aua, aua!« Ich rief nach hinten: »Hossi, was ist los?« »Halt an, halt an, halt an!« Dann drehte ich mich um und sah, dass sein ganzer Hintern brannte. Da der Tank ja im Gepäckträger verbaut war und Hossi mit seinem dicken Hintern drauf saß, war der Tank eingerissen und der Sprit lief heraus. Und weil die Zündung ja ohne Abdeckung war, musste der Funke irgendwie übergesprungen sein und das ganze Moped fing hinten an zu brennen. Damit kein größerer Schaden entstand, schmiss ich es sofort in einen Wassergraben hinein und Hossi mit seinem brennenden Hinterteil direkt hinterher.
Rückblickend betrachtet war es ein sehr lustiger Ausflug. Am Ende des Tages hatten wir eine halb verbrannte Kiste und konnten sie nur mit einiger Mühe wieder in Gang kriegen. Apropos Gang: Das Zweirad hatte nur einen Gang und deswegen kaum Beschleunigung und ebenso bescheidene Endgeschwindigkeit. Mit der Zeit war ich nicht mehr recht zufrieden. Außer den genannten Unzulänglichkeiten konnte man sie auch nicht gerade als »Komfortbolzen« bezeichnen. Wenn ich bloß an die nicht vorhandene Federung denke ... Zufällig kam mir zu Ohren, dass jemand in der Nachbarschaft eine Zündapp rumstehen hatte. Ein neueres Modell zwar, aber halt immer noch mit Keilriemen und so altmodischem Tüddelkram. Doch sie besaß immerhin schon eine Federung, und auf die war ich schließlich scharf. Einziges Problem war, dass das Ding nicht mehr zündete. Trotzdem tauschte ich meine fahrbereite Victoria gegen die mausetote Zündapp ein, die ich aber bald wieder flott bekam.
In der Schule lernte ich in dieser Zeit ein Mädchen kennen. Dagmar Gorechi hieß die. Sie hatte einen Bruder, der genauso motorfanatisch war wie ich. Er hatte ebenfalls ein altes Moped. Und was noch viel schöner war: Seine Eltern besaßen ein großes Grundstück in der Nähe von Kiel-Klausdorf. Hier kurvten wir nun stundenlang ungestört herum und lernten richtig fahren, mit allem, was dazugehörte wie aufgeschürfte Knie und aufgeschlagene Ellenbogen. Logisch, dass mir bei meinem Eifer und Lernfortschritt bald auch die Zündapp nicht mehr ausreichte. Nur ein einziger Gang – auf die Dauer war das einfach zu wenig. Schließlich war ich ja auch schon zwölf Jahre alt!