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Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, August 2015

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ISBN Printausgabe 978-3-499-62943-3 (1. Auflage 2015)

ISBN E-Book 978-3-644-54621-9

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-54621-9

Vorwort

Dies ist ein Buch von meinen Schafen. Es ist kein Buch über Schafhaltung, nicht über Schafzucht, nicht über Dinge, die in bestimmten Jahreszeiten für Schafe getan werden müssen. Dieses Buch erzählt die Geschichten meiner Schafe, die ich hören kann, wenn ich einmal ganz leise werde. Es erzählt Geschichten von mir, die manchmal absehbar, oft unberechenbar passierten. Und es erzählt von den Momenten, in denen sich unsere Geschichten miteinander verwoben haben.

 

Ich bin Mitte der siebziger Jahre in Hannover geboren. Einzige Tochter einer Lehrerin und leidenschaftlichen Fotografin und eines promovierten Elektrotechnikers, der mit Leidenschaft das Farbfernsehen miterfand. Die Leidenschaft, Dinge zu tun, wurde mir in die Wiege gelegt. Meine Leidenschaft sind Schafe, meine Schafe.

Ich glaube, kaum ein anderes Nutztier wird so romantisiert wie das Schaf. Es ist meist weiß, meist weich und wollig. Ich will nicht bestreiten, dass ich genau aus diesem Grund zum Schaf kam. Aber ich habe in den letzten Jahren viel gesehen. Ich habe viel gelernt und viel verstanden. Heute habe ich meine Schafe, weil sie mir Milch und Wolle, Felle und Fleisch schenken. Und Ruhe. Es gibt kaum einen anderen Platz als den auf der Weide, auf dem ich besser wieder zu mir kommen kann. An dem sich Gedanken klären und Platz entsteht für neue Ideen. Dafür bin ich dankbar. Dafür gebe ich den Schafen Zeit, viel Zeit. Nicht nur die Zeit des Zäunens im Sommer und des Fütterns im Winter. Nicht nur die Zeit, wenn ihre Lämmer auf die Welt kommen. Es ist vielmehr die Zeit, in der ich sie sehe. Wenn ich zwischen ihnen stehe und das Spiel ihrer Ohren, die Bewegung ihrer Mäuler und den Tritt ihrer Beine beobachte. Wenn ich versuche, ihre Stimmungen aufzufangen. Wenn ich eine Frequenz finden kann zu fühlen, ob Zufriedenheit herrscht oder Mangel. Und wenn ich hören kann, was sie mir zu sagen haben. Das ist das Wertvollste, für beide von uns. Aber es ist auch das Schwerste, denn mein Kopf ist oft so voll mit menschlichen Belangen. Mit Ängsten und Sorgen und Egomanien, über die ein Schaf nur lachen kann.

Wenn ich dann nicht weiterkomme, frage ich Ulrike, die mir vor langer Zeit half, Wandas Kopf zu retten. Und die in den darauffolgenden Jahren noch vielen meiner Schafe zur Seite stand. Die so viel besser ist im Zuhören und ohne die dieses Buch nicht so klar hätte werden können.

 

Ich wusste nicht, wohin die Geschichten der Schafe mich führen würden, als ich anfing, die ersten Worte zu schreiben. Ich wusste nicht, über wen ich schreiben sollte, welche Schicksale mich so berührten, dass sie Kapitel um Kapitel füllen könnten. So viele Schafe gab es schon, so viele gibt es noch, und mit allen verbinden mich Situationen und Erlebnisse.

Wir wollen natürlich alle ins Buch. Aber das geht nicht. Also mach kein Theater daraus und entscheide, sagt Wanda. Es ist dein Buch, und wir sind bereit, uns unterzuordnen. Such die heraus, mit denen du am meisten verbinden kannst.

Ich beschloss, mich einfach treiben zu lassen. Und ich fing ganz vorne an.

In den Lebensphasen, in denen die Geschichten passierten, fühlte ich mich oft überfordert. Ich sah keinen Anfang und kein Ende, vor allen Dingen sah ich nicht, wie oft die Schafe meinem Verstand und meinem Herzen schon voraus waren. Ich denke, ich konnte es auch nicht sehen, denn der Weg, den ich eingeschlagen habe, ist nicht der geradlinige, sondern der mit den großen Steinen und unübersichtlichen Kurven. Das Buch hat mir geholfen, Abstand zu gewinnen zu Zeiten in meinem Leben, mit denen ich noch keinen Frieden gemacht hatte. Kapitel um Kapitel habe ich die Erinnerungen hervorgeholt und mich ihnen gestellt. Und mit diesem Abstand konnte ich in jedem noch so dunklen Moment das Gute und Richtige sehen. Meine Schafe haben mir dabei geholfen. Vierzehn Schafe, zwölf Monate, zwölf Kapitel.

Mai: Pipilotta oder Wie alles begann …

Mein Schafjahr beginnt im Mai. Denn in einem Mai kam Pipilotta, und in einem Mai ist sie wieder gegangen.

Pipilotta war mein erstes Schaf. Ihre Mutter ein Milchschaf, der Vater ein Rhönbock; sie hatte braune Ohren und braune Ringe um die Augen zu ihrer sonst weißen Wolle. Bildschön. Als ich sie das erste Mal sah, war sie gerade ein halbes Jahr alt.

Ich war bereits 27 und blickte auf ein Leben zurück, das aus meiner heutigen Sicht in einer anderen Welt stattgefunden haben musste.

Ich bin Einzelkind, unbeabsichtigt, und absolutes Wunschkind. Meine Eltern taten alles und das Beste für mich. Ich ging in den christlichen Kindergarten, in die Pfadfindergruppe und sonntags in den Kindergottesdienst. Ich lernte früh schwimmen und die Musik kennen, um mich später an den Wochenenden in Wettkämpfen zu messen und Beethovens Klaviersonaten zu spielen. Ich erlernte das Cellospielen und ging auf ein humanistisches Gymnasium, welches ich mit großem Latinum und Graecum abschloss. Mit 16 spielte ich noch mit meinen Puppen, und in den Ferien bereiste ich mit meiner Mutter und einem VW-Bus die nahe Welt. Mein Vater arbeitete viel und versorgte uns gut. Ich erlebte das, was man eine behütete Kindheit nennt, und ich fühlte mich auch so. Dennoch war eine Leere in mir, von der ich nicht wusste, woher sie kam, geschweige denn, wie sie zu füllen war. Mit 16 flüchtete ich mich in eine Magersucht, mit 18 zog ich aus und sah mich das erste Mal mit den Realitäten des Lebens konfrontiert. Ich ging in den Rettungsdienst, um Geld für Miete und Lebensmittel zu verdienen und um die Zeit bis zu einem Studium der Veterinärmedizin zu überbrücken. Und ich lernte das Partyleben kennen. Ich ließ die Sau raus. Ich holte nach, was ich meinte, in den letzten Jahren verpasst zu haben, und es dauerte nicht lange, bis ich mit Ecstasy und Koks neue Freiheit und neue Freunde fand. Und immer wieder und immer noch diese Leere in mir.

In dieser Zeit verstarb mein Vater. Leise, nach dreimonatigem Koma. Den Werten, die er und meine Mutter mir vermittelten, verdanke ich es, dass ich im Sommer 1995 in Berlin auf der Loveparade stand und wusste, dass das nicht mein Leben sein konnte. Dass die Sucht nach Vergnügen und Rausch mich in den Abgrund führte. Ich ließ alles stehen, meine Freunde, meine Drogen, und fuhr nach Hause. Ich kaufte mir von meinem letzten Geld einen Hund, und glasklar entstand in mir der Wille, zurück zu meinen Wurzeln zu gehen, zu den Wurzeln meiner Vorfahren – aufs Land. Die Ausbildung, die ich im darauffolgenden Sommer auf einem Bauernhof antrat, war Therapie und Erfüllung zugleich. Es war schwer. Nicht so sehr die körperliche Arbeit – ich bin groß und war immer schon sportlich – als vielmehr das plötzliche Leben in einer Großfamilie und Arbeitsgemeinschaft. Ich hatte absolut keine Ahnung von Landwirtschaft. Aber mein Leben begann JETZT.

 

Der erste Bauernhof, auf den ich kam, lag malerisch in der Wedemark. Ein typischer norddeutscher Backsteinbau mit großer Tenne, 20 Milchkühen und 40 Schweinen. Rechts von der Tenne ging es in den Kuhstall, geradeaus in die Küche, die Schlafzimmer lagen oben darüber. Die Kühe lebten noch in Anbindehaltung, kamen aber im Sommer nur zum Melken in den Stall, im Winter waren sie wenigstens tagsüber auf der Weide. Das Klimpern der Ketten und Schnauben der Tiere, wenn sie in der dunklen Jahreszeit im Stall blieben, gehört zu meinen schönsten Erinnerungen an diese Zeit. Gemolken wurde über eine Rohrmelkanlage, das heißt, der Melker trug das Melkgeschirr von einer Kuh zur anderen und molk im Sitzen zwischen den Tieren. Es war mein erster Kontakt mit dieser Arbeit überhaupt, und mit Begeisterung verschwand ich zwischen den dicken Kuhbäuchen, so dass mein Chef mich für ein wahres Melkwunder hielt. Noch an meinem ersten Tag saß ich auf dem Schlepper und lenkte mit klopfendem Herzen das Ungetüm über die Feldwege. Schweine füttern, Kühe holen, Ställe misten. Ich liebte es, und der Bauer war voll des Lobes. Erst in der Heuernte kam ich an meine Grenzen. Meine ungeübten Städterhände waren die schwere Arbeit nicht gewohnt. Bald konnte ich nachts vor Schmerzen nicht schlafen, eine Entzündung des Nervs lautete die Diagnose. Operation beider Hände, erst links, dann rechts, sonst würden innerhalb weniger Wochen Tastsinn und Bewegungsfreiheit vollends verschwinden. Dauer der Heilung: zwölf Wochen.

Ich war geschockt, verzweifelt, mein neugewonnenes Leben so schnell wieder verloren zu haben. Ich ging zurück in die Stadt, in meine Wohnung, und ließ mich behandeln. Zu dem Schmerz und der plötzlichen Untätigkeit kam die Angst, vor den tüchtigen Bauersleuten als Versagerin dazustehen. Ich ging weiterhin in die Landwirtschaftsschule und wartete darauf, dass ich wieder arbeiten konnte.

Als ich drei Monate später auf den Hof kam, war die Stimmung eine andere. Die herzliche Derbheit des Bauern war Zurückhaltung gewichen, und ich fühlte mich ausgeschlossen. Es trat ein, womit ich niemals gerechnet hatte: Ich musste den Hof verlassen, weil die Bauersfrau es nicht ertrug, dass ihr Mann mit einem weiblichen Lehrling die Tage verbrachte.

Jahre später erfuhr ich, dass es dort längst keine Kühe mehr gibt. Mastschweine in neugebauten Stallsystemen sichern nun das Einkommen der Familie.

 

Für mich war klar, dass ich meine Ausbildung in einem Milchviehbetrieb fortsetzen wollte. Es fand sich ein Hof mit 120 Milchkühen und Pensionspferdehaltung nebst Reithalle, auf dem ich sofort anfangen konnte. Hier wehte ein anderer Wind. Gemolken wurde in einem 12er-Fischgrät, was bedeutet, dass beidseitig eines Grubenganges jeweils fünf Kühe wie Gräten hintereinanderstehen. Der Melker sieht die Kühe hereinkommen, später nur noch Euter und Klauen und verrichtet seine Arbeit von der gefliesten Grube aus. Vorbei war es mit Kuhbäuchen und Melkgeschirren auf engstem Raum. Es fiel mir schwer, mir die Kühe anhand ihrer Euter einzuprägen, zu viele waren es, die in immer anderer Reihenfolge den Melkstand betraten. Das Futter wurde nicht mehr mit der Schubkarre in den Stall gefahren, sondern mit einem großen Mischwagen, den zu befüllen schnell meine Aufgabe wurde. In der dritten Woche zertrümmerte ich mit dem Siloschneider die Heckscheibe des Schleppers – der Klassiker unter Azubikatastrophen. Aber ich biss mich durch. Bald fand ich Gefallen an dieser größeren Betriebsamkeit. Hier arbeiteten der alte Bauer und seine Frau, der Sohn und bei Arbeitsspitzen wie der Getreide- oder Heuernte auch die Brüder mit. Das Gemeinschaftsgefühl, zusammen diese vielen Tiere zu versorgen und die Früchte der Felder einzubringen, tat mir gut. Das war eine Zukunft, die ich mir damals vorstellen konnte. Ich lernte schnell und viel auf diesem Hof.

Aber ich sah auch den enormen Druck, unter dem das Geld verdient werden musste, und ich erlebte, wie sich unter diesem Druck der mitfühlende Umgang mit dem Tier verbot. Kälber wurden im Schnelldurchgang aus ihren Müttern gezogen, weil die Gülle auf das Feld musste. Dass sie wenigstens ein paar Tage zusammenbleiben konnten, war unmöglich, denn die Milch brachte den Umsatz. Am schlimmsten war für mich aber der Umgang mit den Kühen, die nach fünf Jahren und vier Geburten nicht mehr die erwünschte Leistung brachten und einem Viehhändler verkauft wurden. Der Transporter kam, das Tier wurde verladen und verschwand vom Hof. Nicht nur einmal sah ich den Bauern dem Wagen hinterherschauen, und ich frage mich bis heute, ob ich ihn verurteilen oder mit ihm fühlen sollte. Und ich fragte mich, ob ich diese Landwirtschaft leben wollte, ob ich Tiere und Pflanzen «produzieren» wollte, denn so lautete die offizielle Bezeichnung der Lehrfächer in der Schule. Eine kurze Liaison mit einem Jungbauern aus dem Nachbardorf zeigte mir, dass es sich in anderen Betrieben mit anderen Tieren – konventionelle Masthähnchenhaltung – ähnlich verhielt. Aber ich kannte nichts anderes, und daher war es für mich richtig. Ich verließ den Hof nach einem Jahr mit dem Ziel, nach der Ausbildung die Meisterschule zu besuchen und später in einen Betrieb einzuheiraten.

 

Der Ausbildungsplan sah vor, das letzte Lehrjahr in einem gänzlich anderen Betrieb zu verbringen, und so verschlug es mich in ein winziges Dorf nahe Celle. Ein Biolandbetrieb mit 4000 Legehennen, Masthähnchen und Mutterkuhhaltung. Meine Vorurteile waren gewaltig. Zum einen betrachtete ich die Milchkuhhaltung als die Königsdisziplin der Landwirtschaft und konnte mit Hühnern rein gar nichts anfangen, zudem bedeutete Mutterkuhhaltung so gut wie keinen engen Kontakt mit den Tieren, die fast das ganze Jahr auf der Weide verbrachten. Und Bio – nun ja – war damals noch eine Nischenbewegung. Meine alten Chefs hatten kein gutes Haar daran gelassen.

Umso überraschter war ich, als ich am Ende eines Feldweges, kurz vor dem Nirgendwo, einen kleinen Einsiedelhof entdeckte. Ein leuchtend grüner Bauwagen verkündete, er sei der Hofladen, und auf dem Schild am Eingang hießen den Besucher alle Bewohner des Hofes willkommen. Geführt wurde der Betrieb von einem jungen Paar, nur wenig älter als ich, dessen Begeisterung für das, was sie taten, bald auf mich übersprang.

Hier lebten Hühner und einige Hähne in kleinen Gruppen zusammen. Die Ställe waren den natürlichen Bedürfnissen der Tiere entsprechend eingerichtet – besonderer Clou war ein ehemaliges Transportband einer Legebatterie, das der Chef zu einem Schlafplatz für seine Biohühner umfunktioniert hatte. Auf den umliegenden Wiesen widmeten sich die Tiere ausgiebig Würmern und dem Sonnenbaden, wobei ab und an eines dem Habicht zum Opfer fiel. Die Eier sammelten wir jeden Mittag mit der Hand ein, und ein heimlicher Wettstreit entbrannte darum, wer die meisten gefüllten Eierpappen übereinandergestapelt noch tragen konnte. Den Rekord von 17 Pappen hielt ungebrochen Artur, der polnische Angestellte.

Die Masthähnchen lebten in noch kleineren Gruppen in umgebauten Wohnwagen bei den Kühen auf der Weide. Nachdem sich immer wieder einzelne von ihnen in den Weidenetzen verfingen, ließen wir sie bald frei laufen. Und da Hühner sich nie weit von ihrem Unterschlupf entfernen, waren die Netze auch gar nicht notwendig.

Und die Kühe: Limousins, die in meinen Augen zu den schönsten, aber auch sportivsten Kuhrassen gehören. Stundenlang war ich damit beschäftigt, Weidezäune auszubessern und die Stromführung zu garantieren, denn die Herde wieder einzufangen war ein anstrengendes und nicht ganz ungefährliches Unterfangen. Nicht unbedingt der Bulle, der in der Herde mitlief, war die Gefahr, sondern vielmehr die Mütter mit ihren Kälbern. «Willst du dich umbringen», sagte meine Chefin, «dann geh zu der Kuh, wenn sie gerade gekalbt hat.» Einzig sie durfte sich der Mutterkuh nähern, um zu sehen, ob bei der Geburt alles glattgelaufen war.

Es gefiel mir auf diesem kleinen Hof. Eier und selbstgemachte Nudeln, Fleisch und Wurst verkauften wir auf dem Markt oder im Hofladen. Die Wertschätzung und Anerkennung der Kunden zeigte mir, dass diese Art der Landwirtschaft sehr wohl ein Miteinander mit dem Tier ermöglichte. Denn glückliche Kühe liefern gutes Fleisch, und glückliche Hühner große Eier.

Und dann kam die BSE-Krise. Über Nacht war das Rindfleisch keinen Pfennig mehr wert, und die Nachfrage nach Eiern verfünffachte sich. Natürlich wollten wir diese Nachfrage bedienen. Neue Räumlichkeiten für neue Hühner wurden bereitet, Ställe und Gruppen vergrößert. Es wurden weniger Eier aussortiert, aber die Menge reichte nicht aus. Also beschlossen wir, Eier zuzukaufen. Wir besuchten den ehemaligen Ausbildungsbetrieb der Chefin, und ich lernte meinen ersten 10000er Hühnerstall kennen. Ein Trumm von einem Gebäude, hell zwar, aber staubig. Und laut. Das Krakeelen der Hühner war unglaublich. Dazu das Rasseln der laufenden Futterbänder. Und dieser wahnsinnige Staub. Um den Stall herum Hektare grüner Wiesen mit vereinzelten Büschen darauf. Da ein Huhn sich aber nicht weit entfernt, waren die nahen Meter direkt um das Gebäude herum kaum noch als Wiese zu erkennen. Das sollte biologisch sein? Ich wollte nicht verurteilen, aber die Erkenntnis, dass das Tierwohl selbst in der ökologischen Landwirtschaft unter der Wirtschaftlichkeit zusammenbrach, erschreckte mich. Vielleicht aber war ich auch einfach nur naiv.

Wir fuhren nach Hause mit Paletten von Eiern, die uns aus den Händen gerissen wurden. Wir fuhren noch oft, denn ein Ende der Krise war nicht abzusehen, und die Baumaßnahmen auf unserem Hof gingen nur langsam voran. Trotz aller Arbeit verloren wir aber nicht die Freude an ihr. Unsere Hühner blieben weiterhin in den kleinen Ställen, die Hähnchen auf den Weiden. Und als ein blindes Huhn – Hühni! – auftauchte, durfte ich es in einer kleinen Ecke im Stall päppeln und versorgen.

Das Jahr neigte sich langsam dem Ende zu, und mir stellte sich die Frage, wie es nach Abschluss der Ausbildung weitergehen sollte. Ich war ratlos. Ich fand für mich keinen Weg, das Glück des Tieres – und Tiere halten wollte ich – mit einer Wertschöpfung zu vereinbaren, von der ich leben konnte. In einen Betrieb einheiraten wollte ich schon gar nicht mehr, also blieb noch ein Studium. Ich fand zudem, dass ein akademischer Titel mir gut stehen würde, also bewarb ich mich in einer Kleinstadt in Nordhessen, an deren Uni ökologische Landwirtschaft gelehrt wurde. Meine Chefs hatten ebenfalls dort studiert, und was sie erzählten, klang vielversprechend. Wir verabschiedeten uns voneinander in Freundschaft und mit dem Versprechen, uns irgendwann wiederzusehen.

 

So kam ich nach Witzenhausen. Dass sich hier mein weiteres Leben abspielen sollte, dass ich hier meinen Weg finden würde, war mir damals noch nicht klar. Denn der Anfang gestaltete sich recht holprig.

Aus der liebgewonnen Einöde des Celler Vorlandes kam ich zwar in eine Kleinstadt, war nun aber jeden Tag umgeben von Mitstudenten, Lehrkräften und Mitbewohnern. Von der harten körperlichen Arbeit und ständigen Bewegung an der frischen Luft kam ich in Vorlesungsäle und Chemielaboratorien. Nicht nur einmal gelang es mir nur mit Mühe, die Augen offen zu halten. Aber ich merkte schnell, dass ich vieles aus dem Lehrplan bereits aus der Berufsschule kannte, und so nahm ich mir immer öfter die Freiheit, mit meinem Hund die Gegend zu durchstreifen und die Skripte unter freiem Himmel zu lesen.

So traf ich auf Pipilotta. Ihre Wiese lag an einem von mir fast täglich genutzten Spazierweg, und was mir zuerst auffiel, war das bunte Durcheinander von Tieren, das dort lebte. Da waren zwei Ziegen – Lotte und Hugo, wie ich später erfuhr –, mehrere Gänse, fünf Kaninchen, Willi, das Hängebauchschwein, und Berta, das Schaf, mit ihren zwei Lämmern. Eines davon Pipilotta, die diesen Namen damals noch nicht trug. Ich war begeistert und beschloss, die Halter dieser kuriosen Mischung – unweigerlich Mitstudenten – auszumachen und meine Mitarbeit anzubieten. Das war nicht schwer, und die beiden nahmen meine Hilfe gerne an. Meine Aufgabe wurde es, morgens die Gänse und Kaninchen aus den Ställen zu lassen und die ganze Bagage zu füttern. Ich war sehr glücklich, neben der ganzen Theorie die Möglichkeit zu haben, praktischer landwirtschaftlicher Arbeit nachzugehen, die ich sehr vermisste.

Meine Zuneigung zu Pipilotta war nicht sofort da. Immerhin hatte ich bis dato noch nichts mit Schafen zu tun gehabt. Vielmehr faszinierte mich das kleine Schwein, das sich täglich durch die Wiese wühlte. Aber ich glaube, dass es Pipilotta von Anfang an klar war, dass wir zusammengehörten. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ich, als es Zeit war, die Lämmer abzugeben, sofort und ohne Umschweife erklärte, ich würde das Schaf kaufen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt nichts: weder eine Wiese noch einen Zaun, kein Winterfutter und keinen Stall. Ich konnte nur den Gedanken nicht ertragen, Pipilotta in fremde Hände zu geben.

Die Zeit drängte, Berta ging es nicht gut, und beide Lämmer sollten so schnell wie möglich weg, damit sich ihre Mutter von der anstrengenden Milchproduktion erholen konnte. Ich zog los und klapperte alle mir bekannten Schafhalter ab, die ich auf meinen Spaziergängen kennengelernt hatte, ob ich für ein paar Wochen ein kleines Schaf zu den ihren stellen durfte. Ich fand schnell jemanden, einen älteren Herrn, der seinen an einem Hang gelegenen Garten von fünf Schwarzköpfen kurz fressen ließ. Ich kaufte Pipilotta ein Halsband, und wir beide zogen mit viel Gejammere ihrerseits und viel Gemurmele, später Geschimpfe meinerseits los. Irgendwann kamen wir in ihrem neuen Zuhause an, und ich werde nie vergessen, wie das kleine Schaf an dem steilen Hang stand und kläglich in Richtung seiner Mutter blökte. Damals zerriss es mir fast das Herz, heute weiß ich, dass dieses Schauspiel meist nur von kurzer Dauer ist und bald das grüne Gras viel interessanter.

 

Der Sommer zog ins Land, die ersten Prüfungen standen an, und da ich bis auf tägliche Besuche keine Arbeit mit meinem Schaf hatte, widmete ich mich vermehrt meinem Studium – bis die beiden Studenten an mich herantraten und mich baten, für einige Monate die Betreuung ihrer Tiere zu übernehmen, sie würden für ein Praktikum nach Neuseeland reisen. Ich sagte sofort zu und organisierte, dass Pipilotta wieder in ihre alte Herde kam. Schon von weitem ging das Geblöke zwischen Berta und ihrer Tochter los. Ich konnte kaum glauben, dass sie sich nach so langer Zeit noch wiedererkannten. Ich wusste damals wirklich wenig über Schafe.

 

Der Winter kam, und die Arbeit wurde mehr. Ich fuhr das Wasser täglich warm auf die Weide, damit es nicht sofort gefror. Das Heu holte ich alle paar Tage vom Bauern, da ich keine großen Lagermöglichkeiten hatte. Ich sammelte altes Brot, über das sich Ziege, Schaf und Schwein gleichermaßen freuten. Nur die Kaninchen traf es hart. Nacheinander verschwanden sie aus ihren Ställen, um wahrscheinlich bei geizigen Menschen auf dem Weihnachtsteller zu landen. Ich erstattete Anzeige gegen Unbekannt, aber ändern konnte ich es nicht.

Am Heiligen Abend kam ich spät von einem Besuch bei meiner Mutter nach Hause. Es war bitterkalt, weit unter null Grad. Ich hatte Äpfel gekauft und Zwieback, Weihnachtsgeschenke für mein Schaf. Die Wege zur Wiese waren stark vereist, mit dem Auto konnte ich nicht dorthin. Ich musste es rund drei Kilometer entfernt stehen lassen und überlegte tatsächlich, ob ich den Weihnachtsbesuch ausfallen lassen sollte. Ich fror, bevor ich überhaupt den ersten Schritt tat. Aber das erste Weihnachten ohne Schaf? Undenkbar. Ich hüllte mich über dem Mantel in die Hundedecke und stapfte los.

Die Nacht war magisch. Ein Vollmond stand am Himmel, und der Fluss dampfte in der Kälte. Nebel hing zwischen den Bäumen, hell erleuchtet vom Mond. Es war still, einzig der Schnee knirschte unter meinen Schuhen. Als ich an der Wiese ankam und Pipilotta dort am Zaun stand und auf mich wartete, wurde mir klar, dass sie meine Zukunft war. Ich wusste nicht, wie, aber ich wusste, dass ich mir mit ihr eine Herde aufbauen wollte. Ich wusste, dass ich im nächsten Frühling mit meinem Schaf neue Wiesen finden würde, meine Wiesen. Dass es dort einen Stall geben würde, in dem neue Lämmer geboren würden. Dass wir zusammen das Geld verdienen würden, von dem wir alle leben könnten. Ganz klar war dieser Gedanke.

Ich habe sehr lange im Stall gesessen in dieser Nacht. Habe die Äpfel und den Zwieback verteilt, natürlich an alle. Habe den Tieren beim Fressen zugesehen. Ihrem dampfenden Atmen, als sich später alle ins Stroh legten. So sollte es sein. Ein paar Tiere, die ich alle kennen würde. Die alle Namen hätten und die ich von ihrer Geburt an bis zu ihrem Tod begleiten würde. Keines von ihnen würde ich in fremde Hände verkaufen.

Pipilotta lag neben mir. Sie strahlte eine große Gelassenheit aus, eine Gelassenheit, das Leben so zu nehmen, wie es ist und das Beste daraus zu machen. Das hatte sie tief in sich. Und das half mir oft in den folgenden Jahren, wenn es mal nicht so einfach und rund lief, wie ich es mir in dieser Nacht vorgestellt hatte. Ich erinnerte mich dann an diesen Moment und machte weiter.

 

Nach dem Winter kam der Frühling, und mit ihm trat die Werra über die Ufer. Unsere Wiese lag ebenfalls im Überschwemmungsgebiet, und die braunen Fluten näherten sich täglich mehr. Wie aber jetzt zu erkennen war, lag diese eine Wiese etwas erhöht. Während Äcker und Bäume im schlammigen Wasser verschwanden, trotzten Schafe, Ziegen und Schwein auf ihrer Insel dem Fluss. Es war wie ein Wunder.

Weniger wunderbar war es für mich, die ich ja irgendwie dorthin gelangen musste. Einziges funktionierendes Gefährt war in diesem Fall das Fahrrad, und so band ich meine Beine in riesige Müllsäcke und fuhr los. Anfangs konnte ich sogar noch einen Anhänger mit Heu ziehen. Als der aber von der Strömung umgerissen wurde und ich gleich mit, schnallte ich den Ballen fortan auf den Gepäckträger. Das Wasser war Gott sei Dank nicht tief.

Ich bezeichne dies aus heutiger Sicht als absolut leichtsinnig, damals war es ein Abenteuer. Nur stieg das Wasser immer weiter, und die Feuerwehr machte sich mit Schlauchbooten bereit, die kleine Herde zu retten. Aber wieder wie durch ein Wunder sank der Pegel in der darauffolgenden Nacht, und zwei Tage später hatte sich die Werra gänzlich in ihr Flussbett zurückgezogen. Ein bisschen schade fand ich es schon, denn Willi und Pipilotta im Schlauchboot hätte ich gerne gesehen. Die Tiere waren sicherlich heilfroh. Und für den nächsten Winter zog ich mit Schaf und Schwein an einen Berg um, den das Wasser niemals erreichen würde.

 

Viele solcher Geschichten passierten uns in den nächsten Jahren. Über einige habe ich gelacht, über andere geweint. Sie werden an anderer Stelle in diesem Buch erzählt. Pipilottas Geschichte endete Pfingsten 2008. Es war wieder Mai, es war sonnig und warm. Laue Nächte lockten Kinder – ich nenne sie so, auch wenn sie bereits älter waren – ins Grüne, und brodelnde Hormone verführten zu halsbrecherischen Taten. In diesem Fall zu Autorennen auf Feldwegen. Ich weiß nicht genau, was in jener Nacht passiert ist. Ich kann es mir nur vorstellen. Es muss furchtbar gewesen sein, für alle Schafe. Immer wieder aufflammende Scheinwerfer, heulende Motoren, die Aggressivität, die von diesen Kindern ausging. Noch heute treiben mir die Gedanken daran die Tränen in die Augen.

Ich kam wie jeden Morgen zur ersten Kontrolle an die Weide und bemerkte als Erstes, dass der Zaun am Boden lag. Er war zerfetzt, die Stäbe zerbrochen. Die Schafe allerdings waren alle noch da. Ungewöhnlich, da sie gerne jede Gelegenheit nutzen, um einen Spaziergang zu machen. Mir fiel weiter nichts auf an den Tieren. Ich verteilte etwas Hafer, und alle kamen, um zu fressen. Was mir sehr wohl auffiel, war, dass der Zaun im gegenüberliegenden Feld gelegen haben musste, da etliche Rapsschoten im Netz hingen. Ich hatte von Kindern gehört, die sich nachts hier herumtrieben, und beschloss sofort, die Tiere auf eine abgelegenere Wiese zu bringen. Ich steckte schnell die neuen Zäune und kehrte zurück, um mit der Herde loszulaufen.

Alles war wie immer. Beinahe. Wir waren fast angekommen, als mir auffiel, dass Pipilotta nicht wie sonst als Leittier vorwegging. Als Nächstes der Augenblick, der in Actionfilmen so gerne in Zeitlupe dargestellt wird: Ich drehte mich um, unsere Blicke trafen sich, und ich wusste sofort, dass irgendetwas absolut nicht stimmte. Pipilotta ging weit hinter der Herde, ihre beiden Lämmer dicht bei sich. Sie ging langsam und blieb immer wieder stehen. Ich bekam eine fürchterliche Angst.

Ich ließ die anderen Schafe einfach vorweglaufen und rannte zu ihr zurück. Ich redete auf sie ein und versuchte zugleich, irgendwelche Verletzungen auszumachen. Ich konnte nichts finden. Blut auf der weißen Wolle hätte ich sofort gesehen. Den Lämmern fehlte auch nichts. So gingen wir nur langsam weiter. Auf der neuen Wiese legte sie sich gleich unter einen Baum. Dort blieb sie. Ich fuhr alle zwei Stunden dorthin, brachte Wasser und Zwieback. Beides lehnte sie ab. Mir kam der grausame Gedanke, sie wäre an der Blauzunge erkrankt, einer neuen Seuche, die zu der Zeit gerade in Hessen ankam. Ich rief den Tierarzt, und als Pipilotta am nächsten Morgen Nasenbluten bekam – eines der ersten Symptome –, bestätigte mir dieser den Verdacht. Ich ließ sie behandeln, aber nichts half. Vielmehr schien sie immer mehr in sich zusammenzusinken. Ich hielt sie im Arm und sang ihr leise Lieder vor.

Zwei Tage später kam der Arzt, um sie einzuschläfern. Ich habe viel geweint an diesem Tag. Ich rief den Abdecker an und gab den Auftrag, das Tier zu obduzieren. Ich wollte wissen, ob meine Herde von der tödlichen Seuche bedroht war. Der Veterinär, der mich daraufhin kontaktierte, erklärte mir mit betroffener Stimme, er hätte so etwas noch nicht gesehen. Was denn um Gottes willen geschehen sei? Das Schaf, meine Pipilotta, hätte große Mengen Blut im Bauch, Rippen einseitig und Wirbel zum Teil gebrochen. «Gewaltiger Aufprall», hörte ich noch. Mir wurde schlecht. Schuldgefühle trafen auf neue Tränen, verzweifelte Wut wurde zu blankem Hass. Die Schuldgefühle überwogen. Ich hatte nichts gesehen. Ich hatte nichts gespürt – nicht das Richtige. Ich hatte Pipilotta auf einen letzten Umtrieb geschickt, und das tapfere Schaf war mir gefolgt.

 

Ich weiß bis heute nicht, wer diese Kinder waren. Natürlich habe ich Anzeige erstattet, aber ein paar Wochen später teilte mir ein offizielles Schreiben mit, dass die Untersuchungen eingestellt würden.

Hätte ich ihr helfen können? Ich glaube nicht. Mein Blick war damals noch nicht so scharf, wie er es jetzt ist. Ich habe meinen Frieden gemacht mit dieser Nacht. Und ich denke, dass Pipilotta das ebenfalls gemacht hat. Sie beschützte ihre Lämmer und überließ sie mir.

 

Ich denke viel an Pipilotta, heute noch. Ich bin ihr dankbar, so unendlich dankbar für das, was sie für mich getan hat. Wo wäre ich heute, wenn ich sie nicht getroffen hätte in diesem Mai? Pipilotta gab mir alles mit auf den Weg, was ich brauchte, um die Herde so aufzubauen, wie sie jetzt ist. Leise höre ich ihre Stimme.

Ich bin immer da, ich bin die Mutter aller Schafe, die bei dir sind, ich habe immer ein wachendes Auge auf euch. Aber du geh nach vorne, geh mit dem Leben. Du weißt alles, was du wissen musst, hör auf dein Herz und auf deine Intuition. Vertraue darauf und geh voran.

Ich verließ die Wiesen an diesen Wegen und zog mit den Schafen weit weg.

Juni: Wunibald oder Aus zwei mach vier

Als Pipilotta etwa ein Jahr alt war, beendeten meine Freunde ihr Studium und beschlossen, noch im selben Jahr nach Köln zu gehen. Natürlich mit Berta, Willi und den Gänsen. Das hieß für Pipilotta und mich, uns nach einer neuen Herde umzuschauen, denn alleine sind Schafe nicht gerne.

In einem zwei Kilometer entfernten Dorf standen ein paar Tiere zum Verkauf. Ich verabredete mich mit dem damaligen Besitzer und machte mich an einem sonnigen Samstag mit Rad und Hund auf den Weg. Ich war einige Zeit zu früh und beschloss, schon einmal einen Blick in die Scheune zu werfen, in der die Schafe standen. Als meine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, war das Erste, was ich sah, ein riesiger Bock mit schwarzer Wolle und aristokratischer Nase. Ein beeindruckendes Tier. Ruhig. Besonnen. Der Vater meiner zukünftigen Herde. Für mich war der Handel bereits geschlossen. Tatsächlich war der Schäfer sehr froh, dass ich Wunibald – das war sein Name – am liebsten sofort mitgenommen hätte. Wir wurden uns schnell einig, und ich konnte den Bock und noch ein weiteres Schaf, Silka, mein Eigen nennen. Ich war stolz und aufgeregt, denn ich war dabei, meine eigene landwirtschaftliche Existenz zu gründen, die jedoch gleich an der Frage zu scheitern drohte, wie ich mit den beiden zu meinen Wiesen gelangen sollte. Ich hatte weder ein großes Auto noch einen Anhänger, aber ich hatte ausgiebig Zeit. Also zu Fuß. Mit dem Schaf an der Leine im strahlenden Sonnenschein über den Berg. Ich war zwar immer schon unerschrocken im tierischen Umgang, die noch fremden Schafe und einige vielbefahrene Straßen auf unserem Weg aber ließen mich nervös werden. Unnötig, denn Wunibald folgte mir ruhig und zielstrebig, als wüsste er, dass am Ende des Weges etwas Wichtiges auf ihn warte. Lediglich die Länge der Reise zwang uns zu etlichen Pausen, so dass wir fast einen halben Tag brauchten, bis wir schließlich bei Pipilotta ankamen.