Robert Gernhardt
Weihnachten mit Robert Gernhardt
Herausgegeben von
Johannes Möller
FISCHER E-Books
Robert Gernhardt (1937–2006) lebte als Dichter und Schriftsteller, Maler und Zeichner in Frankfurt am Main und in der Toskana. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Heinrich-Heine-Preis und den Wilhelm-Busch-Preis. Sein umfangreiches Werk erscheint bei S. Fischer, zuletzt »Toscana mia« (2011), »Hinter der Kurve« (2012) und »Der kleine Gernhardt« (2017).
Johannes Möller, Jahrgang 1968, arbeitet als Jurist im Bundeswirtschaftsministerium. Über Robert Gernhardt publizierte er unter anderem in der Zeitschrift für Literatur text+kritik und in der Süddeutschen Zeitung. Zusammen mit Lutz Hagestedt hat er den Band »Was das Gedicht alles kann: Alles« mit Robert Gernhardts Texten zur Poetik herausgegeben (2010).
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Das Weihnachtsfest verbindet sich mit einer der bekanntesten Geschichten der Welt und ruft so die Nacherzähler ebenso auf den Plan wie die zweifelnden Zuhörer. An Weihnachten knüpfen sich schöne wie schreckliche Kindheitserinnerungen, abendländische Hochkunst ebenso wie unglaublicher Kitsch. In all dieses Facetten schillert das Weihnachtsfest über alle Gattungsgrenzen hinweg in Gernhardts Gesamtwerk. Der vorliegende Band ist eine neue Auswahl aus der unerschöpflichen Fundgrube des Gernhardt’schen Werks und versammelt seine witzigsten, schönsten und nachdenklichsten Gedichte, Geschichten und Zeichnungen zum Fest.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© 2017 S. Fischer Verlag GmbH, Hedderichstr. 114, D-60596 Frankfurt am Main
Covergestaltung: buxdesign, München
Coverabbildung: Robert Gernhardt
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-490526-6
»Da ist ein Baum,
ist immer grün,
wächst nicht in der Savanne.
Wächst da, wo Deutschlands Blumen blühn,
und winters auf ihm Kerzen glühn –
wie heißt der Baum?«
»Marianne?«
Vorschlag für ein zeitgemäßes Lesebuch der zweiten Klasse
ICH BIN ERIKA.
JETZT KOMMT WEIHNACHTEN.
ICH SCHENKE VATI EIN TISCHFEUERZEUG ZU 22,50 DM.
VATI SCHENKT MICHAEL TENNISSCHLÄGER ZU 22 DM.
MICHAEL SCHENKT MUTTI EINE SCHÄLMASCHINE ZU 19,70 DM.
MUTTI SCHENKT MIR SCHALLPLATTEN IM WERT VON 18 DM.
4,50 DM MUSS ICH NOCH BEKOMMEN.
VON WEM?
ICH BIN SO GESPANNT AUF WEIHNACHTEN.
15.6. Jeman, Geschäftemachender WimS-Redakteur, schlägt auf der Elf-Uhr-Konferenz vor, stärker religiöse Themen zu berücksichtigen. Die Bildung unseres Volkes ließe auf diesem Gebiet sehr zu wünschen übrig, erklärt er und erzählt zur Veranschaulichung eine Geschichte, die ihm gestern zugetragen wurde:
»In der Schule sollen die Kinder ein Weihnachtsbild zeichnen. Der kleine Max malt Maria, Josef, den Heiland in der Krippe, Ochs, Esel und einen kleinen, runden, lachenden Mann. Wer denn das sei, will die Lehrerin wissen.
»Das ist Owi«, erklärt der Piefke. »Owi?« – »Ja, es heißt doch ›Stille Nacht, Heilige Nacht, Gottes Sohn, Owi lacht …‹«
Chefredakteur Zirfeld schweigt nachdenklich. Dann wendet er sich an Leihbischof Klamm: »Jeman hat recht. Bis morgen möchte ich alles Material über diesen Owi auf den Tisch haben, verstanden?«
»Verstanden«, nickt Klamm und das Redaktionsgespräch wendet sich wieder Frauen und Pferden zu.
daß zwar das 1000jährige Reich und der Turm von Siloah zusammengefallen sind, Weihnachten und Ostern jedoch noch nicht.
Was ist für Sie das größte Unglück? Der Schwarze Tod.
Wo möchten Sie leben? Im Eldorado.
Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück? Bekannt zu sein wie ein bunter Hund.
Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? Die der Grünschnäbel.
Ihre liebsten Romanhelden? Der Grüne Heinrich.
Ihre Lieblingsgestalt in der Geschichte? Barbarossa.
Ihre Lieblingsheldinnen in der Wirklichkeit? Rosa Luxemburg.
Ihre Lieblingsheldinnen in der Dichtung? Scarlett O’Hara.
Ihre Lieblingsmaler? Grünewald.
Ihr Lieblingskomponist? Verdi.
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten? Daß ihm noch vor etwas graut.
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten? Daß sie noch erröten kann.
Ihre Lieblingstugend? Weisheit.
Ihre Lieblingsbeschäftigung? Blaudereien am Karmin.
Wer oder was hätten Sie sein mögen? Arthur Rubinstein.
Ihr Hauptcharakterzug? Preußisch-Blau.
Was schätzen Sie bei Ihren Freunden am meisten? Daß ihnen vor mir nicht graut.
Ihr größter Fehler? Daß ich so häufig preußisch bin und so selten blau.
Ihr Traum vom Glück? Weiße Weihnacht an der Côte d’Azur.
Was wäre für Sie das größte Unglück? Farbenblindheit.
Was möchten Sie sein? Ein rotierender Grüner.
Ihre Lieblingsfarbe? Schmöll.
Ihre Lieblingsblume? Goldlack.
Ihr Lieblingsvogel? Die gelb-grüne Zornnatter.
Ihr Lieblingsschriftsteller? Joseph Roth.
Ihr Lieblingslyriker? Die Blues-Barden.
Ihre Helden in der Wirklichkeit? Die Männer von Greenpeace.
Ihre Heldinnen in der Geschichte? Die Frauen vom Roten Kreuz.
Ihre Lieblingsnamen? Bianca, Violetta, Bruno.
Was verabscheuen Sie am meisten? Grausamkeit.
Welche geschichtlichen Gestalten verachten Sie am meisten? Nero und den Mann aus Braunau.
Welche militärischen Leistungen bewundern Sie am meisten? Die Teilung des Roten Meeres.
Welche Reform bewundern Sie am meisten? Die Freiheitsbewegungen der Farbigen.
Welche natürliche Gabe möchten Sie besitzen? Alles versilbern zu können.
Wie möchten Sie sterben? Hellsichtig.
Ihre gegenwärtige Geistesverfassung? Und nun geht’s umbra, umbra, umbra täterää.
Ihr Motto? Ich weiß, daß ich nichts weiß.
Was ihr gleich hört,
ist ein Weihnachtsgedicht,
bei dem man etwas raten kann.
Ich sag schon jetzt: Leicht wird es nicht.
Gesucht wird ein besonderer Mann:
also aufgepasst!
Wer stapft da durch den Winterwald?
Es ist ein Mann mit Bart, sprich: alt.
In einer Hand hält er was fest.
Halb scheint’s ein Sack. Halb ist’s ein Rest.
Nun schwenkt er den durch Wald und Nacht.
Ach je, wer hat den leer gemacht?
›Caramba auch!‹ schreit er besessen,
›Hab ihn ja selber leergefressen!
Tausende von Schokobohnen
Sollten brave Kinder lohnen,
Mengen schöner süßer Sachen
Alten Menschen Freude machen.
Naschsucht trieb mich zur Verzehrung:
Na! Wird das eine Bescherung?!
So. Hier endet mein Gedicht,
doch das Weihnachtsrätsel nicht.
Nein, ich frag nicht nach dem Mann,
den wohl jeder raten kann.
Vielmehr frag ich, wo er steckt.
Durch sein Vielfraßsein erschreckt,
hat sich unser Held verkrochen,
ganz versteckt. Der arme Mann!
Fangt schon mal zu suchen an.
Wo? Ich sag nur: Im Gedicht.
Aber mehr verrat ich nicht.
Also nachdenken!
Lösung siehe Anhang
An ihnen vorbeispazierend entwickle ich eine Überlegung: Daß diese drei besonders groß und rund geformten Steine früher sicherlich den Dorferzähler auf den Plan gerufen hätten.
Es waren einmal drei wunderschöne junge Männer, die wissen wollten, wer von ihnen der Schönste sei. Da trafen sie auf eine wunderschöne Frau und sprachen also: Du bist die Schönste von uns, und deshalb sollst du den Apfel aus Paris bekommen, gegen Nachnahme, bitte hier links unten quittieren!
Da aber seufzten die Dorfbewohner auf und sagten: Du bringst aber auch alles durcheinander, Dorferzähler! Die Geschichte mit Paris und dem Apfel geht ganz anders, und außerdem kennen wir sie schon. Erzähl uns was Neues!
Da hub der Dorferzähler abermals an und sprach: In Grimoli lebte einmal ein Kaufmann, der hatte drei Töchter. Eines Tages ging er auf Reisen, und da fragte er seine Töchter, was er ihnen mitbringen solle. Da sagte die älteste: Bring mir einen Edelstein mit! Darauf riefen die beiden anderen: Ich will auch einen Edelstein! Ich auch! Da aber der Kaufmann schon etwas schwerhörig war, verstand er nur, daß er drei Steine mitbringen sollte, und als er von seiner Reise zurückkehrte … »Wie langweilig!« riefen die Dorfbewohner. »Wir hatten gehofft, du hättest eine wirklich spannende Geschichte auf Lager, Dorferzähler!«
Da besann sich der Dorferzähler abermals und hub zum dritten Mal an: »Ihr kennt doch die Geschichte von den Heiligen Drei Königen …«
»Kennen wir!« riefen die Dorfbewohner.
»Nein, ihr kennt sie nicht«, sagte da der Dorferzähler. »Denn in Wirklichkeit ist sie ganz anders verlaufen.«
»Wie denn?« riefen die Dorfbewohner.
»Folgendermaßen: Die Heiligen Drei Könige folgten ihrem Stern nicht bis zur Krippe in Bethlehem, wie erzählt wird, sondern kehrten am Ortseingang auf einen, wie sie meinten, Begrüßungsschluck ein. Doch dabei blieb es nicht. Sie tranken und tranken, und als sie kein Geld mehr hatten, setzten sie ihre Geschenke als Zahlungsmittel ein, all den Weihrauch, die Myrrhe und das ganze Gold, das sie eigentlich dem Jesuskind am Abend dieses sechsten Januar hatten überreichen sollen.«
»Ja, und dann?« wollten die Dorfbewohner wissen.