Der Doppelgänger

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Inhaltsverzeichnis

Endnoten

  1. Schestilawotschnaja Straße: Die heute Majakowski-Straße geheißene liegt im zentralen Litejny-Bezirk von St. Petersburg.

  2.  … grünen, grauen, blauen, roten und auch sonstigen bunten Scheinen: Die grünen waren Drei-Rubel-Scheine, die grauen Fünfzig-Rubel-, die blauen Fünf-Rubel-, die roten Zehn-Rubel-Scheine.

  3.  … en passant: französisch, nebenbei, beiläufig.

  4. abordieren: vom französischen aborder abgeleitet, sich jemandem nähern, ihn anreden.

  5.  … der Weg ist breit …: In der Bergpredigt, Matthäus 7,13, heißt es: »Denn weit und breit ist der Weg, der ins Verderben führt, und viele wählen diesen Weg.« Leo Tolstoi vermerkte in Für alle Tage. Ein Lebensbuch folgendes Zitat mit »nach Gogol«: »Der Weg des Lebens ist breit, aber viele kennen ihn nicht und wandeln den Weg des Todes.« Er bezog sich wohl auf Nikolaj Gogols Tote Seelen.

  6. Gostiny Dwor: wörtlich übersetzt: Gästehof, wurden in Russland Markthallen genannt, in denen die angereisten Kaufleute auch wohnten, bis ihre Waren verkauft waren; das hier gemeinte Petersburger Warenhaus wurde in den Jahren 1761–1785 von Bartolomeo Francesco Rastrelli und Jean-Baptiste Vallin de La Mothe entworfen und errichtet. Es nimmt am Newski Prospekt, der Flaniermeile und Prachtstraße, bei einer Fassadenlänge von mehr als einem Kilometer fast ein gesamtes Stadtviertel ein.

  7. Façon: französisch, Mode, Machart.

  8.  … einer mageren nationalen Zeitung: höchstwahrscheinlich eine Anspielung auf Die nordische Biene (Severnaja pčela), einen Almanach, herausgegeben von Faddej Bulgarin, der auch ein Agent der sog. Dritten Abteilung war, einer Abteilung des Geheimdienstes, und in seiner Zeitschrift mit besonderem Eifer das von Zar Nikolaus I. (1796–1855) geförderte Programm der Russifizierung und Orthodoxierung propagierte.

  9. entre nous: französisch, unter uns.

  10. dem Jäger läuft das Wild entgegen: abgeleitet von einem russischen Sprichwort, das übersetzt »Die Beute folgt dem Jäger« lautet.

  11. Das Diner beginnt wohl kaum vor vier …: In Russland war es üblich, sehr spät zu Mittag zu essen.

  12. sans façon: französisch, zwanglos, ungezwungen.

  13. französischen Minister Villèle: Jean Baptiste Guillaume Marie Anne Séraphin Joseph, Comte de Villèle (1773–1854), ein Ultraroyalist, hatte in der Zeit der französischen Restauration in den 1820er Jahren mehrere Ministerposten inne, führte zeitweise auch das Kabinett an und beförderte den Jesuitenorden, der im Jahr 1713 auf Betreiben der Könige von Frankreich, Portugal und Spanien von Papst Clemens XIV. aufgehoben worden war – eine von den Aufklärern begrüßte Maßnahme –, da die Jesuiten nicht gewillt waren, sich den absolutistischen Ansprüchen der Herrscher zu beugen, und vor allem in Frankreich die pontifikale Macht gebrochen werden sollte. Einige Jesuiten fanden in Russland Zuflucht, da die Zarin Jekaterina die Große die Vorteile des jesuitischen Schulsystems zu schätzen wusste und zudem Seelsorger für die katholische Bevölkerung Polens brauchte. 1814 wurde der Orden restauriert. – Herr Goljadkin schöpft sein Wissen aus Almanachen und Lesebüchern, wie etwa der Lesebibliothek von Ossip Senkowski (siehe auch Anmerkung zu S. 102, Baron Brambeus).

  14. Belsazars Hofe: Belsazar war nach der Bibel König von Babel und Gelagen sehr zugetan: »König Belsazar machte ein herrliches Mahl seinen tausend Gewaltigen und soff sich voll mit ihnen. Und da er trunken war, hieß er die goldenen und silbernen Gefäße herbringen, die sein Vater Nebukadnezar aus dem Tempel zu Jerusalem weggenommen hatte, dass der König mit seinen Gewaltigen, mit seinen Weibern und mit seinen Kebsweibern daraus tränke.« (Daniel 5,1–3)

  15. Veuve Clicquot: Der Champagner der Witwe Clicquot gelte, so heißt es 1865 in der Allgemeinen Moden-Zeitung (herausgegeben von Dr. A. Diezmann in Leipzig), »… der allgemeiner Meinung nach als der beste der Welt«.

  16. Jelissejew: 1815 von Pjotr Jelissejew, einem aus der Leibeigenschaft entlassenen Gärtner, gegründetes Handelskontor für Luxusgüter, später das berühmteste Feinkostgeschäft in St. Petersburg.

  17. Homer oder Puschkin: Während Homer (um 800 v. Chr.) mit seinen Werken Ilias und Odyssee als Vater der europäischen Dichtung gilt, die er aus der erzählten Tradition ins Schriftliche übertrug, wird Alexander Puschkin (1799–1837) als Begründer der modernen russischen Literatur und der russische Nationaldichter verehrt.

  18. Demosthenes: Der Athener (um 384 v. Chr.–322 v. Chr.), in seiner Jugend ein Stotterer, überwand dieses Handicap und wurde der wortgewandteste Redner Griechenlands.

  19. Kavaliere, die größtenteils Französisch mit den Damen parlierten: Französisch war die Sprache des Hofes und des Adels, viele Adlige sprachen kein Russisch oder lernten es – wie etwa der Romancier Iwan Turgenjew (1818–1883) – in der Kindheit nur von den Leibeigenen.

  20.  … türkische Wesir Marzimiris … nebst der durchlauchtigen Markgräfin Luise: Figuren aus Der Roman vom Abenteuer des englischen Milord George und der brandenburgischen Markgräfin Friederike-Luise (1782; Povest’ o priključenii aglinskogo milorda Georga i o Brandeburgskoj markgrafine Friderike-Luize) von Matwej Komarow (1730?–1812?), über dessen Leben so gut wie nichts bekannt ist und dessen abenteuerliche Werke noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts ungeheuer populär waren.

  1. Retirade: fluchtartiger militärischer Rückzug, vom gleichbedeutenden spanischen retirada entlehnt.

  2.  … arabischen Emire … den grünen Turban, den sie zum Zeichen der Blutsverwandtschaft mit ihrem Propheten Mahom tragen …: Der Prophet Mohammed soll zeitlebens, so die islamische Überlieferung, gerne grüne Gewänder und einen grünen Turban getragen haben. Grün wird deshalb nach seinem Tod zur Farbe seiner Erben, der Scherifen oder Emire von Mekka.

  3.  … die Polka … noch neu und modisch: In den 1840er Jahren in Mode gekommen, entwickelte sie sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Form des bürgerlichen Protestes gegen die Starrheit der höfischen Tanzordnung. Im Gegensatz zu den Hoftänzen benötigte man beim Walzer und bei der Polka – die noch größere Spontaneität und Freiheit zuließ – keinen Tanzführer, die Tanzpaare konnten sich frei im Raum bewegen.

  4. Fontanka: ein Arm der Newa, einer der 93 Flüsse und Kanäle St. Petersburgs, an dem viele Adelspalais stehen und der die Fontänen des Sommergartens speiste; daher der Name.

  5. Kanonensalve: Bei starken West- und Nordwinden war Petersburg von den Fluten der Ostsee bedroht. Nach der verheerenden Überschwemmung von 1777 veranlasste Zarin Jekaterina die Große, die Bevölkerung durch Signale, die durch Kanonenschüsse, Glockengeläute, Flaggen und Laternen gegeben wurden, vor der drohenden Gefahr zu warnen.

  6. »das Kästchen öffnete sich leicht«: Zitat aus Krylows Fabel Das Kästchen, darin ein Besserwisser, ein Jünger der Mechanik, in jenem ein Geheimnis und einen komplizierten Schließmechanismus vermutet; er probiert, drückt und zieht bis zur Erschöpfung daran herum und gibt dann auf. Ein anderer nimmt sich sorglos der Sache an. Der letzte Satz lautet lapidar: »Das Kästchen öffnete sich leicht.« Iwan Andrejewitsch Krylow (1769–1844) gilt als der bedeutendste Fabeldichter Russlands, er ist bis heute beliebt und wird viel zitiert.

  7. Schnee und Neue: (die) Neue, Ausdruck aus der Jägersprache für frisch gefallenen Schnee.

  8. der große Suworow: Der russische General Alexander Wassiljewitsch Suworow (1730–1800) kämpfte u.a. im Siebenjährigen Krieg, in den Russisch-Türkischen Kriegen und im zweiten Koalitionskrieg gegen Frankreich; er war für seine Marotten berühmt und gab in einem der Türkenkriege das Signal zum Angriff, indem er wie ein Hahn krähte.

  9. per pedes: lateinisch, zu Fuß.

  10. das Gemälde Brjullows: Gemeint ist das Gemälde »Der letzte Tag von Pompeji« von Karl Brjullow (1799–1852), welches er 1833 in Italien beendete und 1834 nach Russland brachte, es wurde in der Petersburger Akademie der Künste ausgestellt und sorgte für ein großes gesellschaftliches Echo.

  11. das Gitter des Sommergartens: Der Sommergarten ist eine barocke Parkanlage, die sich ursprünglich von der Newa bis zum Newski Prospekt erstreckte, Zar Peter der Große ließ sie um 1710 an seinem Sommerpalais anlegen; ihre Fontänen wurden mit dem Wasser aus der später so genannten Fontanka gespeist; das filigrane eiserne Parkgitter an der Newa-Seite, das der Architekt Georg Friedrich Veldten, der Schöpfer der Eremitage, um 1771 entwarf, ist bis heute berühmt – und soll, so will es die Anekdote, Anfang des 19. Jahrhunderts einen Engländer so außerordentlich beeindruckt haben, dass er abreiste, ohne eine andere Sehenswürdigkeit besucht zu haben.

  12. hier/die Kunst der Verse sprießt wie Blumenzier: Zitat aus dem Ballett Die neuen Lorbeeren (Novye lavry) des Dichters Alexander Sumarokow (1717–1777), einer der Begründer der russischen Kunstdichtung, das mit Musik von Hermann Friedrich Raupach und Josef Starzer und der Choreographie von Franz Anton Hilverding 1759 in St. Petersburg zur Feier des Sieges der russischen Armee über die preußische bei Kunersdorf (im Siebenjährigen Krieg) aufgeführt wurde.

  13. Nordischen Biene: eine 1825 vom Schriftsteller und Journalisten Faddej W. Bulgarin (1789–1859) begründete politische Zeitung (siehe auch Anmerkung zu S. 34).

  14. Baron Brambeus: Die 1833 erschienenen Phantastischen Reisen des Baron Brambeus (Fantastičeskie putečestvija Barona Brambeusa) des in Litauen geborenen Orientalisten, romantischen Schriftstellers und Journalisten Ossip Julian Iwanowitsch Senkowski (1800–1858), die er unter dem Pseudonym Baron Brambeus veröffentlichte, waren ein Bestseller des Zarenreichs.

  15. ein Quatrain: eine vierzeilige ursprünglich französische Gedichtform.

  16.  … übermäßigen Gebrauch von Mohnsaft: Das aus der Kapsel des Schlafmohns gewonnene Opium war das wohl beliebteste Rauschmittel des 19. Jahrhunderts und gehörte zu den wichtigsten Exportgütern des Osmanischen Reiches.

  17. Pjotr: die russische Form des Namens Peter, deren Diminutiv Petruschka ist.

  18. tête-à-tête: französisch, unter vier Augen, vertraulich.

  19. Grischka Otrepjew, dem Pseudo-Demetrius …: Als Pseudo-Demetrius oder falscher Dimitri wurden in der russischen Geschichte drei Männer bezeichnet, die vorgaben, Dimitri Iwanowitsch, der Sohn des 1592 ermordeten Zaren Iwan des Schrecklichen, zu sein. Der erste, Grischka Otrepjew, tauchte um 1600 während der Herrschaft von Boris Godunow auf, wurde nach dessen Tod 1605 zum Zaren gekrönt und im Jahr darauf bei einer Revolte ermordet. Der zweite erschien um 1607 und wurde 1610 getötet, der dritte meldete seine Ansprüche 1611 an, wurde 1612 von den Kosaken als Zar anerkannt und noch im selben Jahr hingerichtet.

  20.  … um die Schlange zu zertreten, die da machtlos im Staub um sich beißt: Hier zitiert Dostojewski Alexander Puschkins Versdrama Mozart und Salieri (Mocart i Sal’eri, 1830) – »Wann war Salieri – dieser stolze Mann –/ein schnöder, ein verachtenswerter Neider,/die Schlange, die man tritt und die im Tode/noch machtlos um sich beißt im Staub der Erde?« (Übersetzung: Alexander Nitzberg).

  1. zum Pasquillischen: von Pasquille, Schmäh- oder Spottschrift; seit der Antike beliebt, lebte die Pasquille im 16. Jahrhundert wieder auf, als dem Volk von Rom die Macht des Papsttums als erdrückend erschien – die Römer machten ihrem Unmut mit anonymen Epigrammen und kurzen satirischen Versen auf öffentlichen Statuen Luft. Die berühmteste war die des »Pasquino« auf der Piazza Pantaleo. Die Pasquille erfreute sich so großer Beliebtheit, dass Papst Hadrian VI. (1522–1523) drohte, den Pasquino in den Tiber werfen zu lassen.

  2.  … die Zeit zu säen ist vorbei, nun aber kommt die Zeit zu ernten: Anspielung auf Prediger 3,1–2: »Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde. Geboren werden und sterben, pflanzen und ausrotten, was gepflanzt ist …«

  3. Da kommt ein Mensch und wird angenommen; aber angenommen, nur mal angenommen …: auch bei Dostojewski ein seltsames Wortspiel – »ustroilsja«/»ustroilsja« –, das wohl den assoziativen Gedankenverlauf Goljadkins zeigen soll.

  4.  … entkleidete sich ganz …: Möglicherweise wird hier auf die Herkunft des Namens Goljadkin, das russische gol’ bedeutet nackt, angespielt; doch auch Alexander Puschkin soll in seinem Haus im Adamskostüm herumgegangen sein und so Besuchern die Tür geöffnet haben.

  5. Goljadkin hat erst einen Brief geschrieben; zu der Verwirrung ob der Briefe siehe auch S. 304–306 im Nachwort des Übersetzers.

  6. tournure: französisch, Wendung.

  7. bon ton: französisch, der gute Ton, Anstand; auch: die gute Gesellschaft, die vornehme Welt.

  8. primus inter pares: lateinisch, Erster unter Gleichen, als solchen bezeichnete sich der römische Kaiser Augustus (63 v. Chr.–14 n. Chr.), der demonstrative Bescheidenheit an den Tag legte, in seinen Res Gestae Divi Augusti (Die Taten des vergöttlichten Augustus).

  9.  … jeder Mensch ist sein eigener Hüter: eine antwortende Variation auf die Frage des Kain, nachdem er den Abel erschlug: »Soll ich meines Bruders Hüter sein?« (1. Mose 4,9)

  10. Narren Balakirew: Iwan Balakirew (1699–1763), war ein russischer Adeliger an den Höfen von Zar Peter dem Großen sowie der Zarinnen Anna und Jekaterina der Großen. Im 19. Jahrhundert kursierten Bücher mit Anekdoten über den »Narren Balakirew«. Unter seinen volkstümlichen Portraits steht oft der Satz, Balakirew wäre stets aufrichtig und hätte »unter der Larve des Närrischen immerzu die Wahrheit gesprochen«.

  11. Elftes Hauptstück: In der russischen Ausgabe von 1846 wird dieses Kapitel irrtümlich als »Zwölftes Hauptstück« aufgeführt, im Folgenden wurde dann »Dreizehntes …«, »Vierzehntes …«, »Fünfzehntes …« gezählt.

  12. unser russischer Faublas: eine Anspielung auf die erfolgreiche Trilogie Les Amours du Chevalier de Faublas, Die Liebesabenteuer des Chevalier de Faublas (Une Année de la vie de Faublas, Ein Jahr im Leben Faublas’, 1787; Six Semaines de la vie de Faublas, Sechs Wochen im Leben Faublas’, 1788; La Fin des amours du Faublas, Das Ende der Liebesabenteuer Faublas’, 1790) von Jean-Baptiste Louvet de Couvray (1760–1797). Die galanten, frivolen Romane, die sich in Russland großer Beliebtheit erfreuten, erzählen vom jungen Faublas, der sich, kaum sechzehnjährig, in die noch jüngere Sophie verliebt, sich von der älteren Madame de B*** verführen lässt und dann seinerseits zahlreiche Frauen verführt. Ein wesentliches Element ist Faublas’ Crossdressing, in Frauenkleidern verführt er verheiratete Damen, deren Ehemänner sich wiederum an die vermeintliche Schöne heranmachen.

  13. Freidenkerei: die geistige Haltung eines Freidenkers, eines Freigeists, der sich nicht durch Autoritäten, insbesondere religiöse oder kirchliche, bevormunden lässt, sondern kraft seines eigenen Verstandes die Dinge der Welt ergründet. Die Bezeichnung »Freidenker« kommt aus dem Englischen, der irische Naturphilosoph William Molyneux (1656–1698) nannte 1697 in einem Brief an den Vordenker der Aufklärung John Locke (1632–1704) den Verfasser des um eine vernunftgemäße Erklärung des Christentums bemühten Buches Christianity Not Mysterious (1696, Das Christentum ohne Geheimnis) John Toland einen »candid freethinker« (unvoreingenommenen Freidenker). John Anthony Collins, ein Schüler von Locke, führte schließlich 1713 in seinem Werk A Discource of Freethinking, occasioned by the Rise and Growth of a Sect call’d Freethinkers den Begriff in den öffentlichen Diskurs ein; der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) übertrug die Bezeichnung 1715 erstmals mit »Freidenker« ins Deutsche. Von Seiten der in Frage gestellten Autoritäten gab es natürlich Gegenwind, der evangelische Pastor Johann Anton Trinius tat in seinem 1759 erschienenen Freydenker-Lexicon Freidenker als »Atheisten, Naturalisten, Deisten, grobe Indifferentisten, Sceptiker und dergleichen Leute« ab.

  14. Polizeilichen Nachrichten: Gemeint ist die Zeitung Nachrichten der St. Petersburger Stadtpolizei, die von 1839–1917 erschien und u.a. über kuriose Vorfälle in der Hauptstadt berichtete.

  15. Pokulieren: das Zechen, Bechern, entlehnt aus dem gleichbedeutenden lateinischen poculare, zu poculum Trinkgefäß, Becher, Trank.

  16.  … die mittels einiger Forscher aus deutschen Landen … angeschlagene Reputation … Mahom, des türkischen Propheten …: Die beiden Herren Goljadkin scheinen ihr Wissen aus Romanen, gern reißerischen Kolportageromanen, Verserzählungen und Lyrik zu ziehen. So tat etwa der russische Orientalist Ossip Senkowski unter seinem Pseudonym Baron Brambeus (vgl. Anmerkung zu S. 102) Mohammed als Heuchler und Lügenpropheten ab und wetterte gegen seinen deutschen, in Heidelberg wirkenden Kollegen Gustav Weil (1808–1889). Dieser übersetzte erstmals werkgetreu die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht ins Deutsche (1837–1841; allerdings ließ sein Verleger Friedrich Gottlob Franckh (1802–1845) die Übersetzung durch den Schriftsteller August Lewald (1792–1871) von frivolen Stellen befreien), veröffentlichte eine Historisch-kritische Einleitung in den Koran (1844–1878) sowie 1843 Mohammed der Prophet, sein Leben und seine Lehre. Diese wohlwollende Prophetenbiographie fußte auf arabischen Quellen wie der Sīra al-Ḥalabīya des Kairoer Religionsgelehrten Nūraddīn al-Halabī (1567–1635). Im deutschsprachigen Raum hatten Gelehrte unter der Führung von Jacob Reiske (1716–1774) im 18. Jahrhundert begonnen, die Arabistik als selbständige philologische Disziplin zu etablieren. Die Beschäftigung mit den orientalischen Sprachen ging mit dem Studium der Geschichte der islamischen Welt, die als bedeutender Teil der Menschheitsgeschichte aufgefasst wurde, einher. Im frühen 19. Jahrhundert förderte der Wiener Orientalist Joseph von Hammer-Purgstall (1774–1856) die Loslösung der orientalischen Studien von der Theologie.

  17. Reich mir die Hand, mein Leben: die deutsche Übersetzung der ersten Worte des Duetts Là ci darem la mano aus Wolfgang Amadeus Mozarts (1756–1791) Oper Don Giovanni (1787), deren Held wie Faublas ein großer Verführer der Damen war. Im russischen Original steht hier die Anfangszeile eines Gassenhauers mit einem sehr ähnlichen Text.

  18. Entrechat: im Ballett ein gerader Sprung in die Höhe, bei dem die Fersen in der Luft (mehrmals) gekreuzt übereinandergeschlagen werden.

  19. Märchen von der Wurst: Gemeint ist das Märchen Les Souhaits ridicules (Die törichten Wünsche) von Charles Perrault (1628–1703), das in Versen erstmals 1693 erschien, in Prosa dann 1697 in der Sammlung Contes de ma Mère l’Oye (Märchen der Mutter Gans).

  20. Gouvernement Wjatka: heute die Oblast Kirow, im nordöstlichen Teil des europäischen Russlands, etwa 1100 Kilometer von St. Petersburg entfernt, tiefste Provinz.

  1.  … da Sie Ihr Haupt hinlegen: vgl. Matthäus 8,20: »Jesus sagt zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt hinlege.«

  2. Chwalynischen Meeres: alte Bezeichnung für das Kaspische Meer, abgeleitet von den Chwalisen, die im 9. und 10. Jahrhundert an dessen Westseite am Einfluss der Wolga lebten.

  3. Kleinrussland: historische Bezeichnung für den nördlichen Teil der heutigen Ukraine.

  4. Chemisetten: eine gestärkte, einknöpfbare Hemdbrust, abgeleitet vom französischen chemise, Hemd.

  5. Plumeau: mit Federn (französisch: plumes) gefüllte Bettdecke.

  6. Atlas: speziell gewebter Seidenstoff mit stark glänzender Oberfläche.

  7. Madame Française: französische Madame, französische Dame.

  8. Emigrantin Falbala: falbala, französisch für Rüschen, Firlefanz. Der Ausdruck »die Emigrantin Falbala« stammt aus Alexander Puschkins heiterem Poem Graf Nulin (1836) und ist sprichwörtlich für oberflächliche französische Erzieherinnen geworden.

  9. Voyage: französisch, Reise.

  10. in Ihre Hände befehle ich mein Geschick: Paraphrase von Psalm 31,6.

  11. Surcoûp: beim Kartenspiel ein Überstechen des Trumpfes.

  12.  … dass ich in Nachfolge alberner Abenteuerromane … beim Anblick Ihrer so kühlen Klause …: Dieses Motiv erscheint in Friedrich Schillers Ballade Ritter Toggenburg (1797), bekannt in der russischen Übersetzung von Wassilij Schukowski (1818); der Ritter Toggenburg muss nach der Rückkehr vom Kreuzzug erfahren, dass die von ihm Geliebte den Schleier genommen hat, so baut er sich eine Hütte mit Blick auf ihr Kloster … doch als sie sich nach Jahren an einem Fenster zeigt, ist er »eine Leiche«. Das Motiv der Hütte erscheint auch in Schillers Gedicht Der Jüngling am Bache (1803), das ebenfalls Wassilij Schukowski ins Russische übersetzte (1838): »Raum ist in der kleinsten Hütte/Für ein glücklich liebend Paar.« – was wiederum eine Reminiszenz an Christoph Martin Wielands (1733–1813) Verserzählung Musarion (1768) sein dürfte, in der es heißt: »›… Allein mein Haus ist klein.‹ – ›Und wenn es kleiner wäre, für eine Freundin hat die kleinste Hütte Raum.‹«

  13. Jean-Jacques Rousseau: Der Aufklärer (1712–1778) sah im Fortschritt eine Gefahr für die Sitten, 1749 schrieb er: »In dem Maß, in dem unsere Wissenschaften und Künste zur Vollkommenheit fortschritten, sind unsere Seelen verderbt geworden.« Die neuen Umgangsformen entstünden aus dem anerzogenen und daher unnatürlichen Zwang, seine wahren Gefühle zu verbergen. »Keine aufrichtigen Freundschaften mehr, kein wirkliches Ansehen, kein gegründetes Vertrauen. Verdächte, Argwohn, Furcht, Kälte, Reserve, Hass, Verrat verbergen sich ständig unter dem gleich aussehenden und scheinheiligen Schleier der Höflichkeit – hinter jener so gepriesenen Urbanität, die wir der Aufklärung unseres Jahrhunderts verdanken.« Frauen wies er Tugenden wie Sanftmut, Bescheidenheit und Mütterlichkeit zu, die sie, vorzugsweise auf dem Lande, bewahren sollten.

  14. Als er jedoch wieder zu sich kam …: Die Romanfassung von 1866 endet folgendermaßen: Als er jedoch wieder zu sich kam, stellte er fest, die Pferde trugen ihn auf einem Weg, der ihm unbekannt war. Links und rechts nur schwarze Wälder; ansonsten war alles wüst und leer. Aber plötzlich gefror er vor Schreck: Zwei glühende Augen starrten ihn an, und diese zwei Augen glänzten im Dunkeln mit unheilverkündender Freude. Nein, das ist nicht Christian Iwanowitsch! Wer aber ist es? Oder doch er? Er ist es! Das ist Christian Iwanowitsch, aber nicht der alte, vielmehr der neue, der andere Christian Iwanowitsch … – Christian Iwanowitsch, ich … ich, nein, rein gar nichts. Christian Iwanowitsch –, stammelte unser Held schüchtern und bebend, bemüht, soweit es nur möglich war, den erschröcklichen Christian Iwanowitsch mit Ergebenheit und Demut zu besänftigen. – Sie werden bekommen frei Kost und Logis, mit Brennholz, mit Licht und Domestik, was Sie gar nicht haben verdient –, erklang streng und erschröcklich, wie ein Richtspruch, die Antwort von Christian Iwanowitsch. Unser Held schrie auf und packte seinen Kopf. Ach! Er hatte das schon lange im Voraus geahnt!

  15. Textgrundlage für die Pläne und Entwürfe: Fedor Dostoevskij: Polnoe sobranie sočinenij, Izdatel'stvo Nauka, Bd. 1, (Hrsg. G. M. Fridlender), S. 432ff., Leningrad 1972.

  16. Ich bin bei den Beketows: Dostojewski war eng mit den Brüdern Andrej (1825–1902, Botaniker, Rektor der Universität St. Petersburg), Alexej (?–?; hatte mit ihm an der Ingenieurschule studiert) und Nikolaj (1827–1911, Professor für Chemie an der Universität Charkow) Betekow befreundet, die sich für den französischen Frühsozialisten Charles Fourier begeisterten. Nachdem die Kritiker seinen Doppelgänger verrissen hatten, besuchte er regelmäßig ihren literarischen Zirkel und lebte 1846/1847 mit ihnen in einer Wohngemeinschaft.

  17. Gehe zu Turg<enjew>: Iwan Turgenjew (1818–1883) gilt als einer der ersten russischen Romanciers, die die Nöte und Ängste der russischen, auch der bäuerlich-leibeigenen, Gesellschaft thematisierten; seinen literarischen Ruhm begründeten die 1852 erschienenen Erzählungen Aufzeichnungen eines Jägers. 1867 kam es zum Zerwürfnis zwischen Dostojewski und Turgenjew, der slawophile Dostojewski glaubte, Russland müsste gesellschaftlich und politisch einen eigenen Weg gehen; Turgenjew, der seit 1855 im Ausland, hauptsächlich in Paris und Baden-Baden, lebte, war der Überzeugung, Russland müsste sich nach westlichen Ideen reformieren; ihre Feindschaft zelebrierten sie fortan öffentlich.

  18. Es kommt schon fast zu den Manilow’schen Generälen: Manilow ist eine Figur aus Nikolaj Gogols Roman Die toten Seelen (1842), ein rührseliger, schwärmerischer Gutsbesitzer, der sich am Ende des zweiten Kapitels, nachdem sein Freund Tschitschikow, der Held des Romans, ihn besucht hat, ausmalt, wie er und Tschitschikow die Moskauer Gesellschaft mit ihrer inniglichen Freundschaft so bezaubern, dass der Zar sie zu Generälen macht.

  19. Pargolowo: Ort im Norden St. Petersburg mit Sommerpalais des Adels.

  20. Élie de Beaumont: in ganz Europa hochangesehener Geologe (1798–1874), der sich vor allem mit der Entwicklungsgeschichte der Gebirgsbildungen befasste, seit 1853 ständiger Sekretär der Académie des Science (Akademie der Wissenschaften) in Paris, seit 1857 korrespondierendes Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg.

  1. Die verborgensten Geheimnisse der Beamtenseele à la Tolstoi: wahrscheinlich eine Anspielung auf Kosma Prutkow, siehe Anmerkung 12 unten.

  2. Petits-jeux: französisch, wörtlich: kleine Spiele; gemeint ist ein damals sehr beliebtes Gesellschaftsspiel, bei dem sich die Teilnehmer Geheimnisse und verborgene Gedanken anvertrauten, ähnlich wie bei »Wahrheit oder Pflicht«.

  3. Perikles: griechischer Staatsmann (um 490 v. Chr.–429 v. Chr.), dessen demokratische Reformen in Athen u.a. auch den einfachen Bürgern politisches Mitspracherecht gaben.

  4. Louis XVI.: Der französische König Ludwig XVI. (1754–1793), ein schwacher, unentschlossener Herrscher, der sich gegen gesellschaftliche Reformen wehrte, wurde im Zuge der Terrorherrschaft während der Französischen Revolution guillotiniert.

  5. Petits je<ux> innocents: französisch, wörtlich: unschuldige kleine Spiele; vgl. Anmerkung 8 zu Petits-jeux.

  6. Kosma Prutkow: Im 19. Jahrhundert für seine Aphorismen, Lyrik, Prosa und Dramen berühmt, zudem Beamter, in dessen Nachlass sich ein »Projekt über die Einführung eines einheitlichen Denkens in Russland« fand; sein Nonsens-Dramolett Fantasija entfachte bei seiner Uraufführung im Kaiserlichen Theater in Sankt Petersburg im Januar 1851 in Anwesenheit von Zar Nikolaus I. einen Skandal; allerdings war Prutkow ein imaginärer Schriftsteller, die ihm zugeschriebenen Werke wurden von dem bekannten Schriftsteller und Dramatiker Alexei Tolstoi (1817–1875, ein Vetter des berühmten Leo Tolstoi) sowie dessen Cousins Alexej (1821–1908) und Wladimir (1830–1884) Schemtschuschnikow verfasst.

  7. … er sei ein Garibaldi: Guiseppe Garibaldi (1807–1882), Kämpfer, der sich in Italien und Südamerika für die Freiheit einsetzte und sich daher den Namen »Held zweier Welten« (Eroe dei due Mondi) erwarb, sowie der charismatischste Vertreter der italienischen Einigungsbewegung (Risorgimento), die gegen den päpstlichen Kirchenstaat, das bourbonische Königreich Neapel und das österreichische Kaiserreich kämpfte; von den einen wurde er romantisch verklärt, von den anderen als »Räuber« oder »roter Teufel« (wegen der roten Hemden, die er und seine Freischärler trugen) verdammt; so ist auch weiter unten im Text der Entwürfe vom »Räuber Garibaldi« die Rede – in diesem Hinweis klingt allerdings auch die im 19. Jahrhundert ungemein populäre Räuberliteratur mit hauptsächlich wildromantischen italienischen Protagonisten an, die Christian August Vulpius (1762–1827, Goethes Schwager) 1799 mit seinem Roman Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann einleitete.

  8. Progressist: Anhänger des Fortschrittsglaubens bzw. einer fortschrittlichen Partei.

  9. Sauerstoff und Wasserstoff: Die beiden Gase waren erst im 18. Jahrhundert entdeckt worden (der Sauerstoff in den 1770er Jahren u.a. von dem deutsch-schwedischen Apotheker und Chemiker Carl Wilhelm Scheele, der Wasserstoff 1766 vom englischen Forscher Henry Cavendish); die Namen – »oxygene« (»Säurebildner«) und »hydrogène« (»Wassererzeuger«) – erhielten sie vom französischen Chemiker Antoine Laurent Lavoisier, der die Bedeutung der Gase für die Atmung und Wasserbildung und damit für das Leben entschlüsselte.

  10. … bei Lomowski: Alexander Lomowski (?–1893) war seit Kindertagen mit Dostojewski befreundet.

  11. Petraschewski: Michail Petraschweski (1821–1866), ein Anhänger Charles Fouriers (siehe unten, Anmerkung 19), dessen Wohnung ab 1844 zu einem Treffpunkt von Intellektuellen, die dem utopischen Sozialismus anhingen, wurde, daraus bildete sich der Zirkel der sogenannten Petraschewsken, dem auch Dostojewski angehörte. 1848 versuchte Petraschewski, eine Untergrundbewegung zum revolutionären Kampf gegen das repressive Regime des Zaren Nikolaus I. (1796–1855) zu gründen, im Jahr darauf wurde er mit einigen Mitstreitern, darunter Dostojewski, verhaftet, zum Tode verurteilt und in letzter Minute zu Zwangsarbeit und lebenslanger Verbannung verurteilt.

  12. Timkowski: Konstantin Timkowski (1814–1881) lebte in Reval, kam ab und an nach St. Petersburg, wo er lose zum Petraschewski-Zirkel gehörte; 1848 erlebte Dostojewski einen Fourier-Vortrag von Timkowski, den er für einen außerordentlichen Menschen hielt, der in der Lage sei, eine Idee herauszukristallisieren, zu erklären und über alles andere zu stellen.

  13. Das System Fouriers: Der französische Gesellschaftstheoretiker, Frühsozialist und utopische Visionär Charles Fourier (1772–1837) erläuterte in seinem 1808 erschienen Werk Théorie des quatre Mouvements (Theorie der vier Bewegungen), alle Bereiche des Kosmos – Natur und Geschichte, Gesellschaft und Individuum – seien dem aus Isaac Newtons Gravitationstheorie abgeleiteten Gesetz der wechselseitigen Anziehungs- oder Assoziationskraft unterworfen und eben nicht der Vernunft. Daraus leitete er seine »Theorie einer genossenschaftlichen Ordnung« samt freier Liebe (Théorie de l’ Unité universelle, 1822); »Die neue industrielle und sozietäre Welt« (Le nouveau monde industriel et sociétaire 1829/30) sowie »Die falsche, zerstückelte, abstoßende, lügnerische Industrie und das Gegenmittel: die natürliche, wahrhafte und anziehende Industrie« (La fausse industrie 1833/36) ab.

Das Erwachen des Titularrats Goljadkin. Sein Ankleiden, sein Aufbruch zu dem Ort, wohin zu begeben er sich beflissen. Herrn Goljadkins Rechtfertigung vor der eigenen Person und die daraus gewonnene Maxime, sich in all seinem Wandel immerzu von Beherztheit und Freimut leiten zu lassen, welche nicht ohne gewisse Noblesse. Sowie der Ort, an den Herr Goljadkin letztendlich zu gelangen geruht.

Noch hatte die Uhr nicht acht geschlagen, als der Titularrat Jakow Petrowitsch Goljadkin aus einem langen Schlaf erwachte, gähnte, sich rekelte und letztendlich seine Augen ganz und gar aufschlug. An die zwei Minuten lag er freilich regungslos in seinem Bett, wie ein Mensch, der noch nicht mit Gewissheit sagen kann, ob er nun ganz und gar erwacht sei oder aber weiterhin schlafe, ob das, was sich um ihn herum ereignet, tatsächlich und wahrhaftig geschieht und nicht etwa bloß eine Fortspinnung seiner wirren und nebligen Träume ist. Doch schon bald begannen Herrn Goljadkins Sinne, immer klarer und schärfer ihre gewohnten alltäglichen Eindrücke zu beherzigen. Vertraut blickten ihn die rußigen dreckig grünen staubigen Wände seines kleinen Zimmers an, mit der Kommode aus roter Kirsche, den Stühlen aus rotem Kirschimitat, dem Tisch, bestrichen mit rotem Lack, dem türkischen lederartigen Diwan von

– Aber, aber, was ist denn das? –, dachte Herr Goljadkin. – Wo bleibt Petruschka? – Noch immer denselben Aufzug tragend, blickte er erneut hinter die Trennwand. Und wieder war hinter der Trennwand von Petruschka nicht die leiseste Spur, hitzig und ganz und gar außer sich war einzig der Samowar dort am Boden, der unentwegt fortzulaufen drohte und glühend vor Zorn nur pausenlos brabbelte, in lispelndem stammelndem Kauderwelsch an Herrn Goljadkin gewandt, so als wollte er sagen: Ihr lieben Leute, bitte, nehmt mich, ich bin doch schon längst am Siedepunkt.

– Die Livree ist gebracht worden, Herr.

– Dann zieh sie an und sieh zu, dass du herkommst.

Nachdem er die Livree angezogen hatte, betrat Petruschka mit blödsinnigem Lächeln das Zimmer seines gnädigen Herrn. Kostümiert war er geradezu hanebüchen. Er trug eine grüne, stark abgenutzte Lakaienlivree mit goldenen, aber bereits absplitternden Tressen, vermutlich für einen Menschen genäht, der Petruschka um einiges überragte. In der Hand einen Hut, ebenfalls mit Tressen und grünen Federn, und an der Seite einen Lakaiendegen mit lederner Scheide. Letztendlich, um das Bild abzurunden und seiner Lieblingsgewohnheit zu frönen, stets häuslich leger im Negligé zu wandeln, war Petruschka auch jetzt barfüßig. Herr Goljadkin musterte Petruschka rundum und war, wie es schien, überaus zufrieden. Ganz offensichtlich war die Livree

– Und was ist mit dem Wagen?

– Der Wagen steht bereit.

– Für den ganzen Tag?

– Jawohl. Fünfundzwanzig Scheine.

– Und die Stiefel sind gebracht?

– Die Stiefel sind gebracht.

– Sind gebracht, gnädiger Herr! Verstanden, du Schafskopf? Los, gib sie her.

Seine Freude zum Ausdruck gebracht habend darüber, dass die Stiefel gut passten, geruhte Herr Goljadkin, nun Tee zu trinken, sich frischzumachen und zu rasieren. Er rasierte sich mit äußerster Sorgfalt, machte sich mit demselben Eifer frisch, schlürfte auf die Schnelle etwas Tee und schritt dann über zum Allerwichtigsten – zu seiner Ankleidezeremonie: Als Erstes schlüpfte er in eine Hose, die beinahe absolut neuwertig war; legte sich dann ein Chemisett mit kleinen Bronzeknöpfen an, als Nächstes eine Weste mit schrillen hübschen Blümchen; um den Hals knüpfte er sich ein buntes Seidentuch, zuletzt zog er seinen Uniformrock an, ebenfalls nagelneu und gründlich gereinigt. Beim Ankleiden schielte er wiederholt voller Liebe auf seine Stiefel, hob allaugenblicklich mal den einen, mal den anderen Fuß, weidete sich an der Façon und murmelte unentwegt etwas vor sich hin und würdigte seine Grübeleien hin und wieder mit zwinkernden expressiven Grimassen. Im Übrigen aber war Herr Goljadkin an diesem Morgen mehr als zerstreut, sonst hätte

Christian Iwanowitsch Rutenspitz

Doktor der Medizin und der Chirurgie