Bei den Tannen

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Inhaltsverzeichnis

Personen und Handlungen dieses Romans sind frei erfunden. Im Burgfried von Reinegg sind das Flehen und Zerren mancher verdammten Seelen noch zu hören und zu spüren. In Bezug auf Ortsbeschreibungen nimmt sich das Buch Freiheiten heraus.

Es gibt da drei Schwestern, so erzählen es die Leute im Tal, und wenn etwas passiert, etwas Schlimmes passiert, in diesem Tal im Herzen Südtirols, so etwas Schlimmes, wie es der liebe Gott nur alle paar Jahrzehnte passieren lässt, dann ist die Familie der drei Schwestern daran schuld. Denn so ist es immer schon gewesen.

 

Die drei Schwestern, das sind die Jöchler Hedwig, die älteste, hagere Gestalt, blasser Teint, pechschwarzes Haar. Die Jöchler Lisa, die mittlere, kastanienbraunes Haar, Sommersprossen, rote Pausbacken. Die Jöchler Susanne, die jüngste, das Nesthäkchen, die Nachzüglerin, goldblondes Haar. Alle drei sind sie ledig, weil sich kein Mannsbild mit so einer einlassen will. Alle drei sind nicht getauft, weil der Herr Pfarrer, recht hat er, so sagen die Leute im Tal, kein Kind taufen lässt, von dem man nicht weiß, wer der Vater ist. Denn dann würde er ja Probleme bekommen, der Pfaff, und zwar mit dem lieben Gott, seinem Chef sozusagen, dem Unfehlbaren, weil, wenn man nicht weiß, wer der Vater eines Kindes ist, dann könnte ja auch, auszuschließen

 

Das alles erzählen sie über die Jöchlerinnen, die Leute im Dorf, und die, die nicht mehr leben, die schon oben beim lieben Herrgott sind oder unten beim Beelzebub, die haben früher ganz Ähnliches erzählt, über die Mutter der drei Schwestern. Und die, die viel länger schon in ihren Gräbern verrotten, die erzählten ganz Ähnliches von der Großmutter und von der Urgroßmutter – und so geht das schon seit Anbeginn der Zeit. Von den Jöchlerinnen kommt nichts Gutes, darauf kannst du Gift nehmen, das sagen die Leute im Dorf. Das erzählen die Älteren den Jüngeren, und die Jüngeren erzählen es ihren Kindern und Kindeskindern, und so wird es auf ewig weitergehen. Das ist das Gesetz der dunklen Welt.

Da kann die Sonne noch so hell über dem Sarntal strahlen, heller als sonst irgendwo, da kann der hellblaue Himmel noch hellblauer glitzern über Südtirol, hellblauer als sonst irgendwo, der pulvrige Schnee auf den Gipfeln kann noch pulvriger schimmern als sonst irgendwo, die sattgrünen Wiesen noch sattgrüner leuchten als sonst irgendwo, die kerngesunden Kühe noch kerngesünder muhen als sonst irgendwo.

Nichts hilft gegen die Jöchlerinnen. Auch nicht, dass man keine Jöchlerin je innerhalb der Friedhofsmauern begraben hat, was selbst, wenn man wollte, nicht ginge, weil sich die Jöchlerinnen immer schon, wenn es an der Zeit war zu gehen, wie die wilden Tiere in den Wald verkrochen haben und einfach nicht mehr daraus hervorgekommen sind.

Nein, es ist kein Kraut gewachsen gegen diese Jöchlerinnen. Man muss wohl, das sagen sie, die Leute aus dem Sarntal, das Schlimme, das sie bringen, hinnehmen. Beten, einfach

***

Iss so, hatte sie in einem ihrer unzähligen Bestseller einmal geschrieben, als ob jeder Bissen dein letzter wäre. Der letzte Bissen ihres Lebens nun bestand aus feinster Wildhasenpastete auf einem Tannenzapfenchip, gekrönt von einer Walderdbeere, die wiederum mit drei Tröpfchen Bärlauch-Espuma garniert war.

Sie schloss die Augen, so wie sie das immer tat. Sie versuchte, alles auszublenden, doch es gab so viel auszublenden, ihr Leben war derart turbulent, alles ausblenden, das war ein Ding der Unmöglichkeit.

Vorgestern war sie noch in San Francisco gewesen, bei einer exklusiven Chardonnay-Verkostung, zuvor war sie eine Woche durch Japan gereist, um eine für sie persönlich organisierte Seminarreihe über antike Techniken der Sushi-Zubereitung zu besuchen, gestern hatte sie schließlich in der Nähe von Modena, in dem Dörfchen Rubiera, am Flüsschen Secchia, Station gemacht. Dort hatte sie den Chefredakteur der Frankreichausgabe ihres Gourmetmagazins Sette Forchette getroffen.

Sie hatten sich zu einem Mittagessen beim

Martin hatte das Lokal leer räumen lassen und an diesem Tag keine anderen Gäste hereingelassen, geschlossene Gesellschaft, dabei hatte sie ihm, diesem liebenswerten Nervenbündel von Spitzenkoch, doch vorab extra, weil sie es schon ahnte, ausrichten lassen, dass er ihretwegen bitte nicht das gesamte Lokal auf den Kopf stellen möge. Sie hatte dann selbst noch einmal angerufen, um zu unterstreichen, dass er sich – Antonio, mein lieber Antonio, ich bitte dich, dio mio!, beim Leben meiner Hunde, große Gourmetkritikerinnenbitte – bloß keine Umstände machen sollte. Er hatte nicht auf sie gehört.

Nun also war sie im Sarntal. Endlich wieder. Dass sie die Konsistenz dieses Chips stets genossen hatte, dachte sie noch. Gleichzeitig verschmolz sie mit der von ihr vor Jahren entwickelten Schmatztechnik, die sie in einem ihrer Bestseller – Die Kunst des Kauens – beschrieben hatte. Der Tannenzapfengeschmack mit dem Gusto der feinen Wildhasenpastete und dem Hauch Waldbärlauch. Mit der Zunge drückte sie die weiche Walderdbeere gegen die Innenseite der Schneidezähne, sie spürte, wie der Saft der Erdbeere auf das Gemisch aus Bärlauch, Tannenzapfen und Wildhase tropfte. Sie hoffte, etwas zu schmecken, und ja, für den Bruchteil einer Sekunde war ihr, als schmeckte sie tatsächlich etwas. Alles

Doch dann, innerhalb von Sekundenbruchteilen spürte sie, dass etwas nicht stimmte. Erst dachte sie, dass es mit einer der Zutaten zu tun haben musste, die sie soeben geschluckt hatte, vielleicht war eine nicht von bester Qualität, oder … Sie hatte solche Angst, den Gedanken zu Ende zu denken. Sie schaffte es auch nicht.

Denn ihr wurde nun schwindelig, sie versuchte aufzustehen, sich am Stuhl festzuhalten, griff daneben, wankte leicht, drehte sich halb. Wankend sah sie noch einmal durch die bodentiefe Fensterfront auf die Lichtung hinaus, die den Blick über das Tal freigab. Am Horizont schimmerten die Dolomitengipfel in der prallen Mittagssonne, der Schlern, der Rosengarten, das Weißhorn, die Marmolata. Ihr blieb kurz die Luft weg, ob der Schönheit. Aus kurz wurde lang. Sie japste, schnappte, nichts, kein Sauerstoff, der Blick verschwamm, von rechts sah sie eine Gestalt herbeieilen, dann eine zweite, sie verlor jegliches Zeitgefühl, erkannte gerade noch die Gesichtszüge der Chefköchin, Hedi, auf die sie einst eine Hymne verfasst hatte.

Dann wurde ihr schwarz vor Augen. Hedis Stimme klang gedämpft, wie aus einer fernen Welt.

»Signora Manfredi …«

Sie duzte ihre Lieblingsköchinnen und Lieblingsköche stets, von denen ihr viele zu Freundinnen und Freunden geworden waren. Diese aber siezten sie weiterhin, eine Carla Manfredi duzte man nicht. Auch nicht, wenn man sie eine Freundin nannte, und selbst dann nicht, wenn sie vor einem zusammenbrach, nicht mehr atmete, nur noch zitterte, Schaum im Mundwinkel.

Sie dankte ihm, dann froren die Gedanken ein. Sie spürte es regelrecht. Es war also wohl doch nicht so, dass das ganze Leben an einem vorbeizog, keine Kindheitserinnerung, keine Erinnerung an die Eltern, denen sie ihr Leben lang nicht verzeihen konnte, dass sie nicht an sie geglaubt hatten. Hirnstillstand, nur die Ohren hörten noch das Winseln ihrer beiden Hunde, die stets, darauf bestand sie, unter dem Tisch sitzen durften, während sie speiste.

Dann war da nichts mehr. Carla Manfredi wurde achtundfünfzig Jahre alt. Sie hinterließ das bedeutendste Gourmetmagazin der Welt, eine Wohnung in der römischen Via dei Condotti mit Blick auf die Spanische Treppe, ein geschätztes Vermögen von rund dreißig Millionen Euro, ein Bankschließfach mit Goldschmuck im Wert von rund 1,2 Millionen, einen Bentley, cremefarben, Baujahr 1972, einen Afghanischen Windhund und einen Volpino Italiano, die beide, so lautete das Gerücht, ihr Hundefutter nur anrührten, wenn es vorab mit feinstem, kalt gepresstem sizilianischem Olivenöl garniert und mit zweiundsiebzig Monate gereiftem Parmesan untermischt worden war.

1

Es war nun bereits über ein halbes Jahr her, doch Grauner hatte sich all die Wochen und Monate nicht überwinden können, hierherzukommen. Er sah sich um, Silvia Tappeiner, seine Assistentin, hatte ihm erklärt, wo es ungefähr lag. Sie war anfangs jeden Tag hier gewesen, das wusste er, und auch jetzt noch kam sie mindestens einmal die Woche vorbei.

Mit dem Tod eines Kollegen ging jeder anders um. Man musste jedem seine Art der Trauer, der Bewältigung, des Verdrängens, des Friedenschließens mit dem Unumkehrbaren lassen.

Commissario Johann Grauner, der nicht nur Kommissar bei der Mordkommission in Bozen war, sondern auch Viechbauer, auf einem Hof hoch über dem Eisacktal, musste verdrängen, um wenigstens tagsüber für ein paar Stunden Frieden zu finden. Denn im Schlaf holten ihn die Dämonen wieder ein. Nacht für Nacht, seitdem es passiert war, Anfang des Jahres. Der Tod eines engen Kollegen war das Schlimmste, was einem Polizisten geschehen konnte.

Grauner unterdrückte einen Fluch, hob nur böse die Faust zum Himmel. Er schaute sich um, sah alte Frauen und alte Männer zwischen den Gräbern umherschleichen. War er jetzt einer von denen, die es zum Friedhof zog, um sich schon mal umzusehen, weil das ewige Friedhofsdasein Tag für Tag näher kam? Aber nein, verwarf er den Gedanken, er war ja nicht deshalb hier.

 

Er hatte geweint, als es geschehen war, seine Frau und seine Tochter waren bei ihm gewesen. Bei der Arbeit musste er stark sein, für seine Mitarbeiter da sein. Er hatte bei den Begräbnisvorbereitungen mitgeholfen. Solange es etwas zu tun gegeben hatte, war es ihm gelungen zu verdrängen.

Er hätte eigentlich gar nicht hier, in Bozen, begraben werden sollen. Doch dann stellte sich heraus, dass die Raten für das Grab seiner Familie schon seit Jahren nicht mehr bezahlt worden waren. Niemand hatte sich darum gekümmert. Das

Grauner und Tappeiner hatten sich der Sache sofort angenommen, ein unbelegtes Grab gekauft und alles Weitere veranlasst.

Doch je näher der Tag des Begräbnisses gekommen war, der Moment, in dem man einfach still dasteht, den soeben noch lebenden, lachenden, glücklichen Kollegen im Sarg weiß, den Sarg in der Erde verschwinden sieht, desto schlimmer wurde alles.

 

Nein, er hatte beim Begräbnis nicht dabei sein können. Es war einfach nicht gegangen. Er hatte es einfach nicht geschafft. Er habe die Grippe, hatte er am Telefon gelogen und ob der tumben Lüge hatten ihn tatsächlich sofort Fieberschübe und Schüttelfrost heimgesucht. Er hatte sich tagelang mit Schuldgefühlen im Bett gewälzt. War er schuld am Tod des Kollegen? Die Antwort darauf war immer gleich. Er war der Vorgesetzte gewesen. Niemand hatte ihn beschuldigt. Nur er selbst fühlte sich schuldig. Irgendwie. Sie beide hatten anfangs ihre Schwierigkeiten miteinander gehabt, waren sich über die Jahre dann aber nähergekommen. Jüngere Kollegen sollten niemals vor ihrem Chef sterben. Nie!

 

Er zog das Handy hervor, scrollte zur Nachricht von Tappeiner, in der sie ihm den Standort des Grabs beschrieben hatte. Er vermutete bereits, dass ihn sein Unterbewusstsein hier so hilflos herumirren ließ, weil es ihn nicht an diesem Grab stehen haben wollte. Ihn nicht den schlichten Grabstein, das darauf angebrachte Foto erblicken lassen wollte. Das junge Gesicht, das bübische Lächeln. Nicht den Namen …

»Wo?«, fragte er nur. Dann legte er auf. Und machte kehrt.

2

»Wo?«, fragte er, »wo ist er?«

Sie schaute verlegen zu Boden. Schaute auf das Chaos. Am Anfang hatte sie ein paarmal für ihn aufgeräumt, auch für ihn gekocht, sie hatte ihn bemuttert, hatte es gerne getan, doch irgendwann hatte sie beschlossen, dass es aufhören musste. Nur wenn sie aufhörte, würde er wieder in die Selbstständigkeit zurückfinden.

Dachte sie. Hoffte sie. Irgendwie.

»Bei ihm?«, fragte er weiter.

Sie nickte.

Nun schaute er zu Boden. Ebenso verlegen. Schweigend. Es war nun ein halbes Jahr her, dass er tot war, sie hatten immer noch keinen Weg gefunden, darüber zu reden. Da war nur Schweigen. Gemeinsames verlegenes Schweigen. Vielleicht musste das so sein, dachte sie.

 

Sie hatte anfangs jeden Tag am Grab gestanden. Noch heute, ein halbes Jahr später, stand sie jede Woche einmal da. Sie legte frische Nelken hin. Sprach zu ihm. Piero war tot. Piero Marché, Sovrintendente della Polizia di Stato.

Es war alles so schnell gegangen. Er hatte zwei Schüsse

Er wurde drei Wochen später aus der Moskwa gefischt. Kehle durchgeschnitten. Igor Koloff, genannt Иису́с, war tot. Und seine Verlobte, Cleo Garebani, ebenso. Erschlagen in ihrer Einzelzelle. Wohl von Inhaftierten anderer Camorra-Clans und mithilfe korrupter Aufseher, welche die Mörder zu ihr gelassen hatten. Der Garebani-Clan war am Ende. Saltapepe in Sicherheit. Vor ihnen. Aber nicht vor sich selbst.

 

Piero Marché war als Held gestorben. Er hatte nicht leiden müssen. Vielleicht würde ihnen das ein bisschen Trost spenden, irgendwann. Er war gestorben, um ihn zu retten. Sie drehte sich zu Claudio. Sein Gesicht war finster, seine Schläfen ergraut, er sah, ein halbes Jahr später, zehn Jahre älter aus. Aus dem Krankenhaus war er nach wenigen Wochen entlassen worden, die körperlichen Wunden waren verheilt, die seelischen nicht. Er hatte wochenlang nicht geredet, seine Wohnung nicht verlassen, er hatte Schreianfälle bekommen, wenn sie die Vorhänge beiseitegeschoben oder die Fenster geöffnet hatte.

Sie war manchmal die Nacht über bei ihm geblieben. Aus Angst, er würde alles beenden wollen. Es durfte nicht zu Ende sein. Er musste wieder zu sich finden. Zu ihnen finden. Sonst wäre Pieros Tod umsonst gewesen.

Als der Frühling verging und der Sommer kam, wurde

»Außerirdisch gut«, hatte sie gesagt.

Er hatte gelächelt. Es war das erste Mal seit Monaten, dass sie ihn hatte lächeln sehen.

»Du müsstest die Pasta al Pomodoro meiner Mutter kosten, Silvia«, hatte er geantwortet, »die schmeckt wirklich wie von einer anderen Welt.«

 

Sie strich ihm übers Haar, sprang auf, zog die Vorhänge beiseite, öffnete die Fenster, die warme, etwas stickige Augustluft drang ins Innere. Auch das Hupen der Autos, das Quietschen der Reifen, das Rattern eines Zuges, der den Eisack entlangraste. Der Bozen-Lärm.

»Steh auf, Claudio. Komm mit in die Questura!«

Es war vor drei Wochen gewesen, da hatte er es endlich bis ins Treppenhaus geschafft, auch hinaus, ein paar Schritte die Straße rauf und runter. Dann rüber zum Eisack, die Promenade entlang. Zum Bäcker, zum Gemüsehändler, in ein Café, eine Pizzeria. Doch weiter war er nicht gekommen. Der Polizeipsychologe war zweimal bei ihm gewesen. Ein drittes Mal hatte er ihm nicht mehr aufgemacht. In der Questura war er seit Januar nicht mehr aufgetaucht.

»Geh, Silvia«, er winkte ab, schloss die Augen, zog die hellblaue Bettdecke hoch. »Grüß mir den Grauner schön.« Dann verschwand er unter der Decke, auf der das Vereinslogo des SSC Napoli abgebildet war.

Es war kaum Verkehr in Bozen. Über dem Talkessel hing eine dicke, muffige Hitzeglocke. Die Stadt war wie leer gefegt. Ihre Einwohner hatten sich hinter den geschlossenen Fensterläden ihrer Wohnungen verkrochen, oder sie hatten es den Touristen gleichgetan und waren in die Täler, auf die Berge und an die Seen geflüchtet.

Der Asphalt dampfte, auf den Talferwiesen war das Gras verbrannt, der Wasserstand der Talfer war auf einem Rekordtief, das Schmelzwasser des Winters längst aus dem Sarntal hinausgeflossen. Selbst in der Mitte des Baches ragten bereits einige größere Steine aus dem Wasser. Am Rande des Bachbetts waren Sandbänke zum Vorschein gekommen, auf denen sich vereinzelt Bozner dem Sonnenbad hingaben.

Grauner lenkte den Panda die Straße entlang ins Sarntal hinein, die Fahrbahn durchzog die Sillschlucht, die sich hinter Bozen auftat, ihre Felsen ragten steil und von den Gezeiten der Jahrtausende flach geleckt in die Höhe, Tunnel taten sich auf, zwischen den Tunneln ging es neben der Straße steil die Schlucht hinab, nur die Leitplanke trennte Fahrbahn und Abgrund.

Schnell hatte er die große Stadt hinter sich gelassen, tat sich eine völlig neue Welt vor ihm auf. Grauner öffnete das Fenster einen Spaltbreit, drehte die Klimaanlage zurück und Mahlers Fünfte weiter auf. Er hatte eine Weile genug gehabt von Mahler, hatte es kurz mit Brahms versucht, dann mit Kammermusik, dann mit Wagner, schließlich, wenn auch nur etwa zehn Minuten lang, mit Alban Berg, vergebens. Er hatte sich von Sara das neue Album von Beyoncé andrehen

Er hatte sich am nächsten Morgen beim Melken nicht getraut, von der Milch zu kosten, er hätte es nicht ertragen, hätte sie genauso gut geschmeckt wie nach der Mahler-Beschallung. Oder besser gar. Natürlich wusste er nicht, ob Mahler die Kühe bessere Milch geben ließ. Aber er wollte es eben glauben. Das reichte doch manchmal im Leben. Sich selbst ein bisschen belügen, sich selbst ein bisschen verschaukeln, das musste doch erlaubt sein, oder? Er jedenfalls gestattete es sich.

Er wünschte sich noch ein paar schöne, sorglose Arbeitsjahre, dann die Pension. Glücklich mit Alba, seiner Frau. Wissend, dass Sara, seine Tochter, sehr bald irgendwo erfolgreich studieren würde. Sie wollte weg. Er hatte damit seinen Frieden gemacht. Er hatte schließlich verstanden: Es gab nur eine einzige, kleine Chance, dass sie den Hof eines Tages doch übernehmen würde. Wenn er sie heute ziehen ließ. Nur dann würde sie morgen, irgendwann, vielleicht, er hoffte es so sehr, zurückkehren. Er musste sie gehen lassen, um sie nicht zu verlieren.

Alba hatte ihm diese Taktik nahegelegt. Ihm, dem Taktiker. Doch im Privaten war ihm Taktik fremd. Privat platzte immer alles sofort aus ihm heraus. Alles Gefühl, alles Verlangen. Er konnte nicht anders. Er wollte nicht anders. So war er, so mochte er es, so liebte ihn seine Frau, so, er ahnte, hoffte es, liebte ihn auch seine Tochter.

 

Über den Wiesen lagen die Wälder, über den Wäldern die Felsen, über den Felsen die Gipfel, und darüber leuchtete die buttergelbe Sonne am wolkenlosen Himmel. Grauner sog gierig die Würze des Kuhmists ein, der sich fein in die Frischluft mischte, er erreichte den Hauptort des Tals, Sarnthein, lenkte den Panda durch die engen Gassen, musste einem Traktor Platz machen, dann einem Bauern, der seinen Ochsen spazieren führte.

Vor der Bar saßen ein paar Männer. Weingläser in der Hand. Einer rauchte Zigarre, ein zweiter Pfeife, einer hatte sich hinter dem Südtirol Kurier versteckt. Grauner hatte vor ihnen gehalten, aufgewirbelter Dorfstaub legte sich auf die Windschutzscheibe. Sie taten einige Sekunden lang so, als bemerkten sie ihn nicht. Nur langsam, gemächlich, herablassend drehten sich zuerst der eine, dann ein zweiter, schließlich auch der mit der Zeitung zu ihm hin.

Dorfstolz. Der Commissario liebte es. Die Sarner waren besonders stolze Talmenschen. Von den Boznern wurden sie als Hinterwäldler verlacht. Sie wiederum lachten nicht über die Bozner, ignorierten sie vielmehr, was viel schlauer und

 

Grauner fragte nach dem Restaurant Tan, er hatte schon einige Male von dem Lokal gehört, ihm war bekannt, dass es ein ganz besonderes sein sollte, weltbekannt, doch er hatte keine Ahnung, wo genau es sich befand, und das, obwohl er sich im Sarntal gar nicht mal so schlecht auskannte. Schon manches Mal war er hier gewesen. Zum Wandern und Skifahren, zweimal beruflich.

Einmal war es ein Fehlalarm gewesen. Ein Bauer hatte aufgeregt die Polizei gerufen. Jemand habe seine Bäuerin entführt, umgebracht wahrscheinlich. Doch dann hatte sich herausgestellt, dass die Bäuerin schlicht keine Lust mehr auf ihren Bauern gehabt und einen anderen gefunden hatte. Den Dorfmechaniker. Ermittlung eingestellt.

Der zweite Einsatz war kein Fehlalarm gewesen. Ein Tischlerlehrling hatte seinen Tischlermeister erpresst. Der Meister hatte mit Marihuana gedealt, er hatte im Wald von Pens, unterhalb des Penser Jochs, eine kleine Plantage bewirtschaftet. Die Ware ließ er seiner Kundschaft in ausgehöhlten Holzpellets zukommen. Der Lehrling wollte ins Geschäft einsteigen. Fifty-fifty. Sonst, so drohte er, würde er alles dem Bürgermeister verraten. Als der volltrunkene Meister den Lehrling daraufhin packte, ihn zur Holzschneidemaschine zog und die Maschine anmachte, erklärte sich der Lehrling bereit, sich eventuell mit zwanzig Prozent zufriedenzugeben. Dann schrie er nur noch. Zuerst um Hilfe. Dann um seine rechte Hand, die auf den mit Holzspänen übersäten Tischlereiboden fiel. Dann um seine linke, dann verstummte er. Für immer.

 

»Da«, sagte er, »immer da entlang, zum Dorf hinaus, die Wiesen hoch, in den Wald hinein.«

Ein Weiterer trat etwas näher an Grauners Panda heran, bückte sich zum Fenster hinab, kniff die Äuglein zusammen. Starrte ihn an. Grauner starrte zurück. Blicken standhalten, das konnte er. Das hatte er ein Leben lang geübt. Ganz am Anfang seiner Polizeikarriere tat er sich schwer damit, sah weg, sobald ihn einer anstarrte. Ein Zeichen der Schwäche, das lernte er bald. Dann übte er. Zuerst im Schlafzimmer, vor dem Spiegel. Dann im Stall. Mit Marta, Mitzi, Margarete, Bella, Burgunda, Lisbetta, Johanna, Marianna, Kunigunda. Als selbst der Ochs, Blacky, den er einst hatte, zuerst zu Boden blickte, da wusste er, jetzt konnte er es.

Er betrachtete das Gesicht des alten Mannes. Ein Bauer wohl. Viechbauer. So wie auch er einer war. Nur Viechbauern stand das Leben so sehr ins Gesicht gezeichnet, die Natur, die harte Arbeit. Tiefe Furchen durchzogen die von der Sonne gegerbten Wangen. Die Augenbrauen standen wild, wie von einem Stromschlag zerzaust, in alle Richtungen ab, die Lippen waren beinahe schwarz.

»Fremder!«, krächzte der Mann schließlich. »Wenn ich Sie wäre, würde ich nicht da hochfahren. Ich würde umdrehen, wieder nach Bozen hinausfahren.«

Die Männer im Hintergrund nickten. Grauner hob eine Augenbraue.

»Alles verloren«, grummelte einer der Männer aus dem Hintergrund.

»Jetzt hilft nur noch beten. Wenn überhaupt«, murmelte ein anderer.

»Das Böse, das Böse …«, flüsterte Grauner mehr in sich hinein. Dann schmunzelte er. Die Männer hatten keine Ahnung, wer er war. Sie hatten keine Ahnung, dass er immer dahin musste, wo das Böse war, wo Böses geschehen war.

***

Das Dorf Sarnthein verschwand im Rückspiegel, die Sandstraße führte ihn in Schlangenlinien den Hang empor und an einer saftigen Wiese entlang. Die Kühe drückten sich in die matten Schatten der Fichten und Tannen, bald führte auch der Weg in den Wald hinein. An einem Zaun, der die Wiese von den Bäumen trennte, entdeckte Grauner ein kleines Holzschild, das einen Pfeil bildete. Drei eingeritzte Buchstaben darauf.

»Tan«, flüsterte er.

Alles um ihn verdunkelte sich. Das grüne Geflecht ließ die Augustsonne nicht in den Schatten des Waldes stechen. Der Duft war betörend. Es roch nach trockenem Harz, feuchtem Holz, nach frischer Erde. Nach Glück. Erneut wand sich die Straße in engen Kurven in die Höhe, dann tat sich eine

Grauner bremste, neben den Polizeiwagen entdeckte er einen alten cremefarbenen Bentley. Er wusste, dass manche Menschen beim Anblick von Oldtimern von Glücksgefühlen übermannt wurden. Bei ihm war das nicht so. Er hatte sich heute sowieso kein Glücksgefühl verdient, fand er. Schon beim Losfahren hatte ihn das schlechte Gewissen ereilt, denn kurz war er froh gewesen, dass Tappeiner ihn angerufen hatte. Froh darüber, umkehren zu dürfen, nicht an Marchés Grab treten zu müssen. Sein Tod lastete so schwer, erdrückte ihn beinahe. Er hoffte, ein neuer Fall, dieser Fall, würde alles besser machen. Er verfluchte sich selbst, seine Gedanken. Was für eine böse, böse Hoffnung.

4

Die Dame, die selbst jetzt, tot, noch immer nobel und elegant aussah, lag rücklings auf dem Boden. Sie wirkte wie einbalsamiert. Ihre Haare waren etwas altmodisch geföhnt, überhaupt konnte man meinen, sie käme aus einer anderen Zeit. Sie trug einen violetten Seidenblazer, eine eierschalenfarbene, befleckte Seidenbluse und ein dünnes Goldkettchen um den Hals. Grauner glaubte, in der Form des goldenen Anhängers eine Gabel erkennen zu können.

Die Tote trug eine schwarze Hose, ihre Füße steckten in dunklen Strümpfen, die ebenfalls eierschalenfarbenen

Grauner blickte die Umstehenden an, Silvia Tappeiner, seine Assistentin, Max Weiherer, den Chef der Scientifica, und Staatsanwalt Martino Belli, seinen Vorgesetzten. Tappeiner nickte ihm zu, Weiherer ebenso. Belli schielte auf den gedeckten Tisch, neben dem die Tote lag.

Die weiße Tischdecke war unbefleckt. Silberbesteck lag neben dem halb leeren Teller. Grauner konnte nicht genau erkennen, was sich darauf befand. Viel war es nicht. Zwei kleine Törtchen. Eines ganz. Eines umgestürzt, halb gegessen. Von dort, wo die Ermittler standen, und auch vom Tisch aus bot sich ein atemberaubender Blick in die Ferne. Über die Wälder hinweg, hinunter zu den Wiesen, auch die in der Sonne glitzernden Dächer von Sarnthein waren zu erkennen. Weiter im Süden, hinter dem Taleingang und noch hinter Bozen, war sogar das weiße Schimmern der Dolomiten zu sehen.

Grauner ließ das Panorama auf sich wirken, dann schaute er wieder auf den Tisch und auf das halb verzehrte Gericht. Der Commissario aß am liebsten in seiner Stube und am liebsten das, was ihm seine Alba kochte.

 

Vor vielen Jahren hatte er sich in den Kopf gesetzt, nun auch einmal das Kochen zu erlernen, so schwer konnte das doch nicht sein. Seine Alba half ja schließlich auch im Stall mit, warum sollte er dann nicht, als Gegenleistung sozusagen, in der Küche Hand anlegen.

Er überraschte sie einmal, eines Abends. Gedeckter Stubentisch. Kerzenlicht. Dieses undefinierbare Etwas auf den

»Herr Johann Grauner«, flüsterte sie ihm im Bett vor dem Einschlafen ins Ohr. Herr Johann Grauner, so nannte sie ihn nur, wenn es ihr wirklich ernst war. »Mein lieber Herr Johann Grauner, ich liebe dich wirklich sehr, alles, na ja, fast alles an dir liebe ich. Ich will für den Rest meines Lebens mit dir zusammen sein, aber bitte, bitte, bitte überlasse das Kochen mir.« Er war beleidigt, versuchte, es nicht zu zeigen, ahnte, dass sie es trotzdem sah. Er kochte seitdem nie mehr.

 

Er sah nun, wie sich Staatsanwalt Belli dem gedeckten Tisch näherte, interessiert das Gericht begutachtete. Grauner wunderte sich, dass sich um sie herum nur dieser eine Tisch befand. Das war doch ein Restaurant hier, wo saßen die restlichen Gäste? Hier hatte doch, so schätzte er, mindestens ein Dutzend Tische Platz.

Belli beugte sich immer tiefer über den Teller, schnupperte, schaute sich um, schien nach dem Törtchen greifen zu wollen, zögerte. Klar, dachte sich Grauner, dass sich der Herr Staatsanwalt bei einem Fall in einem Restaurant mehr fürs Essen als für das Opfer interessierte. Er schaute zu Weiherer, der sich gleich vergessen würde, dessen war er sich gewiss. Irgendetwas anfassen an einem von ihm zu untersuchenden Tatort, Todsünde.

»Herr Staatsanwalt, bei allem Respekt, lassen Sie …« Weiherer sprach überraschend kühl und ruhig.

Weiherer trat nun ebenso an den Tisch, nahm den Teller in die Hand, die in einem dünnen Plastikhandschuh steckte, hob ihn hoch.

»Es geht mir nicht nur um die Spuren, Herr Staatsanwalt.«

Belli schaute überrascht.

»Es geht mir um Ihr Leben.«

Weiherer senkte den Teller wieder, deutete dann auf die Törtchen. »Wir vermuten, dass diese Dame vergiftet worden ist.«

Sofort wanderten alle Blicke zum Teller. Belli erblasste, trat drei Schritte zurück, stolperte beinahe über den umgekippten Stuhl.

»Wie kommt ihr zu der Annahme?«, fragte Grauner überrascht. So kannte er den Chef der Spurensicherung gar nicht. Weiherer war keiner, der Vermutungen äußerte, keiner, der sich in die Belange von Kollegen einmischte. Ob jemand vergiftet wurde oder nicht, das festzustellen, war nicht Aufgabe der Spurensicherung. Das machte die Gerichtsmedizin. Außerdem: Wie wollte er das so schnell, noch hier vor Ort, festgestellt haben? Dafür musste die Leiche obduziert werden. Und das würde dauern. Mindestens eine Nacht.

»Vielleicht hat sich die Dame einfach verschluckt«, der Commissario hob die Schultern.

Weiherer schüttelte den Kopf. »Ich habe mir erlaubt nachzusehen«, er öffnete den eigenen Mund, deutete mit dem Zeigefinger hinein, dann auf die Leiche, »wir haben keine Speisereste gefunden. Weder in der Speiseröhre noch in der Luftröhre.«

Tappeiner räusperte sich. »Grauner, nach dem, was uns der zum Todeszeitpunkt anwesende Kellner erzählt hat, sah es auch nicht nach einem Herzinfarkt aus. Auf dem Teller haben sich laut dessen Aussage drei Pastetentörtchen befunden. Die Dame habe eines gegessen, vom zweiten probiert, dann sei sie plötzlich vom Tisch aufgestanden, habe sie nach Luft geschnappt, sich nicht an die Brust gefasst, sondern ihren Hals umklammert, schließlich sei sie zu Boden gefallen, röchelnd, mit Schaum vor dem Mund, dann war sie tot.«

»Vielleicht war sie ja auch gegen eine der Zutaten allergisch«, warf Grauner hinterher. Er blickte weiterhin skeptisch drein.

Tappeiner blieb stumm, schaute nur ernst. Grauner kannte diesen Blick. Sie winkte ihn zu sich heran, drehte sich dann um und ging voran. Alle folgten ihr. Sie gingen nicht zurück zur Eingangstür, sondern zu einer zweiten Tür, Tappeiner öffnete sie, schritt weiter voran, hinaus ins Freie, auf ein kleines Wiesenstück hinter dem Haus. Am Ende der kleinen Wiese begann der Wald.

Zwischen den ersten großen Bäumen stand, Grauner rieb sich die Augen, doch ja, er sah ganz recht, eine Küchenzeile aus massivem Stein. Daneben entdeckte er eine Feuerschale aus Bronze. An einem Baum stapelte sich Brennholz. Auf der anderen Seite des Baumes standen zwei Polizisten. Neben ihnen lagen zwei Hunde, ein großer schlanker, ein kleiner

 

»Jetzt noch mal schön von vorne«, sagte der Commissario und blickte in die Runde, »wer ist die Tote? Was ist passiert? Was machen diese beiden toten Hunde hier? Und was ist das überhaupt für ein eigenartiges Restaurant mit nur einem Tisch und einer Küche im Wald?«

***

Wenige Minuten später hatte sich der Commissario einen vagen Überblick über die Geschehnisse verschafft. Tappeiner war mit einigen Polizisten als Erste am Tatort gewesen, sie hatte bereits kurz mit der Chefköchin und dem jungen Kellner des Tan sprechen können, welche die nun tote Dame bewirtet hatten. Die beiden hatten ihr den Namen der Toten mitgeteilt, Carla Manfredi, eine Gourmetkritikerin aus Rom.

»Manfredi ist nicht irgendeine Gourmetkritikerin«, war Staatsanwalt Belli geschwind dazwischengegangen, »Carla Manfredi ist die Gourmetkritikerin schlechthin. Sie ist die Chefredakteurin von Sette Forchette, das Tan zählt zu den weltweit wenigen Empfehlungen des Magazins. Seit Jahren versuche ich, hier zu speisen«, fuhr Belli fort, »aber um in diesen seltenen Genuss zu kommen, muss man sich auf eine Onlinewarteliste setzen lassen. Ich warte schon seit Ewigkeiten und habe bereits mit zahlreichen mir zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, mich auf der Liste weiter nach vorne zu schwindeln, aber nichts hat bislang geholfen. Noch nicht einmal Carlo Minestroni, mein guter Freund, Unterstaatssekretär im Gesundheitsministerium …«

»Commissario, Commissario, in welcher Welt leben Sie denn …«

Grauner spürte, wie sich die Wut in ihm zusammenbraute. Er mochte die Welt, in der er lebte, ganz gerne. Er musste in keine Scheinwelt fliehen, so wie Belli, der anscheinend bereits ganz vergessen hatte, dass sie gerade ermittelten.

»… eine Carla Manfredi isst immer alleine. Zumindest beruflich. Das ist in jedem Zeitungsartikel über sie nachzulesen. Ich habe sie alle gelesen. Verschlungen. Eine wie die Manfredi setzt sich doch nicht in ein voll besetztes Restaurant. Wobei, dass sie stets alleine isst … aß, stimmt so ganz auch wieder nicht. Genauer genommen isst sie zu dritt.«

Er drehte sich zu den beiden toten Hunden.

»Die essen … äh … aßen stets mit. Tja, ein Jammer. Die Hunde dürfen … äh … durften diese unnachahmliche Spitzenküche genießen, und ich hänge auf den hintersten Plätzen einer Warteliste, ein Skandal eigentlich, nicht? Ich meine ja nur …«

Grauner hörte ihm schon nicht mehr zu. Er hatte über all die Jahre gelernt, im Gespräch mit Belli auf Stand-by zu schalten, dessen Geplapper nur noch stückweise wahrzunehmen. Er drehte sich zu Weiherer und Tappeiner, sah, wie sich Belli sofort den beiden dabeistehenden Polizisten zuwandte und weiterplapperte.

»Die Hunde haben auch von dem Essen gekostet«, murmelte Grauner.

»Deshalb die Vergiftungsvermutung.«

Wieder das Nicken. Grauner verstand. Das leuchtete ihm ein. Er überlegte kurz, dann erteilte er Befehle.

»Weiherer, sobald ihr mit der Toten fertig seid, möchte ich, dass sie unverzüglich in die Gerichtsmedizin nach Bozen gebracht wird. Sie und ihre beiden Köter. Wir müssen schnellstmöglich wissen, ob sie tatsächlich allesamt vergiftet worden sind. Wer war zum Zeitpunkt des Todes hier anwesend?«

Er drehte sich zu Tappeiner.

»Nur die zwei bereits genannten Personen. Hedwig Jöchler, genannt Hedi. Dreiundvierzig Jahre alt. Sie ist die Köchin und Besitzerin des Lokals und arbeitete alleine hier in dieser Waldküche. Ihre Hilfsköche und Hilfsköchinnen kommen nur abends dazu. Auch die Servicebrigade hatte heute Mittag frei. Nur der eine Kellner war anwesend: Paolo Sensi. Beide, Jöchler und Sensi, sitzen drüben bei den Polizeiautos. Je zwei Beamte sind bei ihnen, auch ein Polizeipsychologe.«

Grauner machte sich wieder auf in Richtung des Holzquadrats, bog dann nach rechts ab, um an der Seite des Gebäudes, am Waldrand entlang, wieder nach vorne, zum Parkplatz zu gelangen. Die anderen folgten ihm. Schließlich drehte er sich noch einmal um und rief: »Tappeiner, ich möchte, dass du den Kellner, diesen Sensi, noch einmal ausführlich befragst. Ich kümmere mich um Hedwig Jöchler.« Dann schaute er zum Staatsanwalt, der immer noch plapperte. Er hoffte, Belli würde bald fertig sein. Er brauchte ihn noch.