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Von Zlatan Ibrahimović liegen im Malik Verlag und im Piper Verlag vor:

Ich bin Zlatan

Adrenalin

 

Aus dem Italienischen von Barbara Neeb und Katharina Schmidt

 

© 2021 Zlatan Ibrahimović

© 2021 RCS MediaGroup S. p. A., Milano

Titel der italienischen Originalausgabe: »Adrenalina. My untold stories«, erschienen 2021 bei Cairo, RCS MediaGroup S. p. A., Mailand

© der deutschsprachigen Ausgabe:

Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Steffen Geier, Heidelberg

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de

nach einem Entwurf von PEPE nymi

Covermotiv: Settimio Benedusi
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

 

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Ich liebe Fallrückzieher.

Ich liebe es, in der Luft den Ball mit den Füßen zu treffen,

die doch die untersten Teile am Körper sind.

Ehe ich dann auf den Boden zurückfalle, betrachte ich

noch einen Augenblick die Welt auf dem Kopf.

Und in dem Moment stehen für mich alle anderen –

die Teamkollegen, der Schiedsrichter, die Zuschauer – kopf.

Es ist eine exklusive und sehr privilegierte Sicht.

Und sie gehört mir allein.

Ich widme dieses Buch allen, die gern

Regeln, Ansichten und Vorhersagen auf den Kopf stellen.

Denn nur wenn man hartnäckig und entschlossen,

mit Hingabe und Einsatz dem eigenen Instinkt folgt,

kann die eigene Sicht der Welt einzigartig sein.

Privilegiert und exklusiv.

Vor der Partie

(oder: über Adrenalin und Balance)

Mailand, Montag, den 4. Oktober 2021

 

Okay, ich füge mich meinem Schicksal.

Ich bin ein Gott, aber ein Gott, der älter wird.

Endlich nehme ich das zur Kenntnis, so wie ich zur Kenntnis genommen habe, dass mein Körper nicht mehr wie früher ist. Jahrelang habe ich die Signale ignoriert, die mein Körper an mich sendete, bevor ich mich entschlossen habe, auf sie zu hören. Ich kann mir nicht mehr einen Spurt nach dem anderen leisten, wie ich sie als junger Kerl hingelegt habe; wenn ich mich auspowere oder etwas abbekomme, brauche ich mehr Zeit, um mich zu regenerieren. Ich habe mein Spiel an meinen neuen Körper angepasst. Ich bin nicht mehr das ganze Spiel über mitten im Strafraum, wo einem die Bälle nur so um die Ohren fliegen. Oft nehme ich mich da raus und baue das Spiel auf, ich arbeite heute mehr für die Tore der anderen als für meine eigenen. Ich muss nicht mehr im Rampenlicht stehen. Was ich gewinnen musste, habe ich gewonnen. Heute möchte ich meine jungen Teamkollegen inspirieren und ihnen helfen, sich weiterzuentwickeln.

Ich bin vierzig Jahre alt und habe zwei Söhne, die inzwischen keine Kinder mehr sind, sondern Teenager. In diesem Alter zieht man normalerweise einen Strich unter sein bisheriges Leben und erste Bilanzen.

Genau das ist Sinn und Zweck dieses Buches.

Tagelang habe ich versucht, so zu tun, als ob nichts wäre, und nicht über meinen Geburtstag nachzudenken, der immer näher rückte. Ich habe es vermieden, an die Zahl 40 zu denken, aber dann stand sie gestern Abend vor mir, rot und riesig groß, über eine gesamte Hotelfassade. Man hatte dafür in einigen Zimmern das Licht eingeschaltet und in anderen nicht.

In diesem Mailänder Hotel hatte meine Frau Helena eine Überraschungsparty organisiert, die mich sehr gerührt hat. Dort waren meine Liebsten versammelt, so viele Freunde aus der ganzen Welt, Menschen, die in meinem Leben etwas bedeuten. Fußballlegenden waren gekommen, Trainer, sogar Spieler, die ich auf dem Feld hart angegangen war. Ich hätte nie erwartet, sie dort auf der Hotelterrasse wiederzusehen.

Eine Erklärung dafür gab mir Rino Gattuso: »Du warst immer du selbst, auch wenn du ihnen was auf die Knochen gegeben hast. Deswegen sind sie gekommen.«

Helena war großartig. Sie hatte das alles heimlich organisiert, und damit hat sie mir ein wunderbares Geschenk gemacht. Normalerweise bin ich es, der andere beschenkt.

Wie ich von Rosengård weggegangen bin, um Fußballmeister zu werden, habe ich schon oft erzählt. Ich bin mit einem abgewetzten Select-Ball am Fuß aufgewachsen, habe jeden umdribbelt, der sich mir in den Weg gestellt hat, dort im »Rosengarten«, der tatsächlich ein Sammelbecken für Migranten aus aller Herren Länder war. Ein Funke genügte, und schon schlugen wir uns die Köpfe ein. Aber dieses handtuchgroße Stück festgestampfte Erde war das Labor für meinen Fußball, die Schule, in der ich die Tricks gelernt habe, die mich zu Ibra gemacht haben.

Meine Eltern haben sich früh getrennt. Ich wurde hin und her geschoben zwischen einer Mutter, die sich abschuftete, um etwas zu essen auf den Tisch stellen zu können, und einem Vater, dessen Kühlschrank oft leer war. Was mir fehlte, nahm ich mir. Ich klaute Fahrräder und Klamotten, weil ich es satthatte, dass man sich in der Schule über mich lustig machte. Ich trug immer Fußballstutzen statt normaler Socken und Trikots von Malmö, die ich mir heimlich aus der Umkleide »besorgte«.

Dann hat mich der Fußball aus dem Getto katapultiert und in ein anderes Leben geführt. Ich bin nach Amsterdam gekommen, wo ich mir den ersten Porsche kaufte und Mino Raiola kennenlernte, meinen Agenten. Er und meine Frau Helena zählen zu den wichtigsten Personen in meinem Leben und werden es immer bleiben.

Mino ist viel mehr als ein Manager, er ist ein Freund, ein Bruder, ein Vater, alles. Er gab den Kurs meiner Karriere, meiner Triumphe vor, er hat mich aus den schwierigsten Momenten herausgezogen und für mich Tausende von Problemen gelöst. Je mehr ich an Verletzungen laborierte, desto näher war er mir.

Aus Holland hat mich Mino nach Italien gebracht, dann nach Spanien, zurück nach Italien, nach Frankreich, nach England, nach Amerika und wieder zurück nach Italien.

Helena war immer die Reifere und Verantwortungsbewusstere von uns beiden. Sie hat mir geholfen nachzudenken, sie hat mir Vernunft beigebracht und auch Geschmack, sie kann Schönes erkennen und selbst erschaffen. Und sie hat ein besonderes Gespür für Eleganz. Das war ihr Beruf und wird es auch dann noch sein, wenn ich mit dem Spielen aufhöre. Mit der Zeit hat sie meinen wilden Charakter ziemlich gezähmt, und vor allem hat sie mir das für mich Wertvollste auf der Welt geschenkt: meine Söhne.

Den Spieler Ibra kennen alle, aber den Menschen Ibra nicht.

Ich will versuchen, von diesem Menschen zu erzählen, jetzt, auf der Hälfte meines Wegs, zwischen meiner Geschichte als Fußballspieler, die allmählich zu Ende geht, und einer Zukunft, die anders sein wird und immer näher rückt, aber im Moment noch unklar ist. Dieses Buch spiegelt in seiner Gliederung meine aktuelle Situation zwischen diesen zwei Welten.

Jedes Kapitel beginnt mit Geschichten aus dem Fußball und endet in Reflexionen über das tägliche Leben: vom Tor zum Glück, vom Schiedsrichter zur Gerechtigkeit, vom Assist zur Freundschaft, von der Verletzung zum Tod …

Ich verstecke mich nicht, ich spiele nichts vor. Ganz so, wie es Gattuso gesagt hat. Ich gestehe zum Beispiel, dass mir der Gedanke ans Aufhören Angst macht. Je näher der Zeitpunkt kommt, mit dem Spielen Schluss zu machen, desto größer wird meine Angst vor der Zukunft: Wo werde ich das Adrenalin finden, das mir heute eine Auseinandersetzung auf dem Platz mit Giorgio Chiellini verschafft?

Adrenalin, der Titel dieses Buchs, ist das Schlüsselwort meines Lebens.

In allem, was ich mache, muss ich eine Herausforderung sehen und mich mit maximaler Leidenschaft einsetzen. Mit dem letzten Blutstropfen. So ist es immer gewesen, und so wird es immer sein. Ich muss das Adrenalin spüren, wie es in meinen Adern pulsiert. Das jetzt, mit vierzig Jahren, mit zwei großen Söhnen, anders pulsiert, weil ich andere Bedürfnisse habe. Habe ich mich früher mit Schiedsrichtern angelegt, unterstütze ich sie heute. Früher habe ich gerne gespalten, und für mich gab es nur eine Meinung – heute gehe ich nach Sanremo und bin gerührt, wenn ich die Liebe und den Respekt aller Italiener spüre. Aber trotzdem bekomme ich kaum Luft, wenn zu viele Menschen um mich herum sind. Dann hole ich eines von meinen Schätzchen aus der Garage, fahre auf die Autobahn, trete das Gaspedal durch und fahre den Tank leer, oder ich verschwinde in einen Wald auf der Suche nach Freiheit. Ich suche die Menschen, und gleichzeitig meide ich sie.

Das ist nicht der einzige Widerspruch, den ich an mir erkenne. Ich habe immer welche in mir gehabt, sie sind Teil meines Charakters. Neu ist, dass ich nun mit vierzig versuche, sie zu kontrollieren, wie ich auch gelernt habe, meine spontanen Reflexe unter Kontrolle zu halten. Heute kommt es selten vor, dass ein Verteidiger mich provozieren kann, so wie am Anfang meiner Karriere. Ich folge nicht mehr blind meinem Instinkt, ich denke, dass ich ausgeglichener geworden bin. Das habe ich der Zeit, Helena und Mino zu verdanken. Glaube ich. Ich suche in allem, was ich tue, nach Ausgeglichenheit. Auch bei der Erziehung meiner Kinder: Ich gleiche Disziplin mit Zärtlichkeit aus.

Das Wort »Gleichgewicht« kommt mir leichter auf Englisch über die Lippen: balance. Ich muss oft daran denken. Wenn ich früher nur Adrenalin war, so bin ich jetzt Adrenalin und balance.

Das ist nicht das Evangelium eines Gottes, sondern das Tagebuch eines vierzigjährigen Mannes, der mit seiner Vergangenheit abrechnet und der Zukunft direkt in die Augen blickt, als wäre sie ein weiterer von unzähligen Gegnern, denen es entgegenzutreten gilt.