Jan Weiler

Berichte aus dem Christstollen

Illustriert von Larissa Bertonasco

Rowohlt E-Book

Inhaltsübersicht

Über Jan Weiler und Larissa Bertonasco

Jan Weiler, 1967 in Düsseldorf geboren, ist Journalist und Schriftsteller. Er war viele Jahre Chefredakteur des SZ-Magazins und Kolumnist beim Stern. Sein erstes Buch «Maria, ihm schmeckt’s nicht!» gilt als eines der erfolgreichsten Romandebüts der letzten Jahre. Es folgten: «Antonio im Wunderland» (2005), «Gibt es einen Fußballgott?» (2006), «In meinem kleinen Land» (2006), «Drachensaat» (2008), «Mein Leben als Mensch» (2009), «Das Buch der 39 Kostbarkeiten» (2011) und «Mein neues Leben als Mensch» (2011). Jan Weiler lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in der Nähe von München. Seine Kolumnen erscheinen in der Welt am Sonntag und auf seiner Homepage www.janweiler.de.

 

Larissa Bertonasco, geboren 1972 in Heilbronn, studierte Italienisch und Kunstgeschichte in Siena und Hamburg, dort anschließend Illustration an der HAW. Seit 2003 zeichnet sie als Freie für Magazine, gestaltet Bücher und ist Mitherausgeberin von SPRING, dem Heft der Zeichnerinnen. Sie hat zwei Kinder und lebt zusammen mit dem Maler Ari Goldmann in Hamburg.

Über dieses Buch

Showdown zur Weihnachtszeit

Spätestens wenn der Adventskalender hängt, läuft der Countdown: Weihnachten droht mit allen Konsequenzen für Figur und Nervenkostüm. Da muss man als Glühweinhasser auf den Weihnachtsmarkt und als Nikolaus in die Schule. Da verwandeln sich Kinder in Wunschmonster und Ehefrauen in backende Nervenbündel. Und natürlich wird das Fest nicht stiller, wenn auch noch der italienische Schwiegervater zu Besuch kommt, um als Hexe verkleidet die Kinder zu bescheren ...

In 17 Kolumnen, von Sankt Martin bis Karneval, lässt Jan Weiler die Weihnachtszeit lebendig werden. Ein Heidenspaß!

 

Impressum

Die Geschichten in diesem Band erschienen zuerst als Kolumnen unter dem Titel «Mein Leben als Mensch» im Stern und in der Welt am Sonntag.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, November 2013

Copyright © 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt

(Umschlagabbildung: © Larissa Bertonasco, Agentur Susanne Koppe, www.auserlesen-ausgezeichnet.de)

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Printausgabe 978-3-463-40654-1 (1. Auflage 2013)

ISBN E-Book 978-3-644-31271-5

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-31271-5

Zum Geleit

Ganz schwer zu sagen, wann die Weihnachtszeit genau anfängt. Man könnte den Zeitpunkt auf den Moment festlegen, wo das Plätzchenbacken losgeht und der Glühwein abgefüllt wird. Das geschieht, investigativ recherchiert und von der Nahrungsmittelindustrie unbestritten, Mitte Juli. Man kann aber nicht ernsthaft ein Buch über die Weihnachtszeit mit einem Text beginnen, der davon erzählt, wie sich ein Zehnjähriger im Hochsommer am Pool Gedanken darüber macht, was er sich zu Weihnachten wünschen soll. Obwohl, warum eigentlich nicht? Na gut, beim nächsten Mal.

Für dieses Buch habe ich aufwendige und immens kostspielige Feldforschungen betrieben und überall herumgefragt, wann die Weihnachtszeit beginnt. Am Ende stand fest: Sie fängt am 11. November an. Das ist der Martinstag. Und sie endet an Karneval, genauer gesagt am Aschermittwoch. Letzteres deswegen, weil es danach ewig dauert bis zum nächsten größeren Party-Event namens Ostern, während die Zeitspanne zwischen Weihnachten und Karneval einen halbwegs zusammenhängenden Ereignis-Flow ergibt.

Und um genau diesen Fluss irgendwie miteinander verbundener Vorkommnisse geht es in diesem kleinen Buch; um die merkwürdige Spannung, die mit dem plötzlichen Auftauchen von Mandarinen im Supermarkt beinahe schlagartig aufglimmt und mit dem nervtötenden Schneeschippen Mitte Februar jäh endet.

Dazwischen liegen zauberhafte, manchmal auch grauenhafte Wochen – von denen man komischerweise spätestens im September hofft, dass sie bald wieder beginnen mögen.

Shock and Awe

Auf Sankt Martin habe ich mich als Junge immer sehr gefreut. Der Sankt Martin war ein römischer Soldat zu Pferde. Er kam zum Parkplatz vor der Grundschule geritten und traf dort auf einen am Boden sitzenden Bettler, welcher einen höchst authentischen Eindruck auf mich machte. Ich war jedenfalls froh, dass der Bettler danach einen Job als Hausmeister der Grundschule bekam. Viel später begriff ich, dass er tatsächlich erst Hausmeister war und dann zusätzlich noch Bettler am Martinstag wurde und eben nicht umgekehrt. Ist ja auch egal.

Sankt Martin zog ein eindrucksvolles Schwert und tat so, als bestünde sein Umhang nicht aus zwei gleich großen Teilen, die er bloß auseinanderziehen musste. Dann hieb er mit dem Schwert durch den Stoff und übergab eine Hälfte dem Bettler. Dieser erhob sich, um dem Martin zu danken, aber da hatte sich dessen Pferd bereits umgedreht und trug den Heiligen äpfelnd vom Parkplatz, worauf alle Kinder das Lied vom Sankt Martin sangen.

Der Bettler lief in die Schule und gab – nun als Hausmeister verkleidet – jedem Kind mit Bezugsschein eine Papiertüte. Darin befanden sich in meiner niederrheinischen Heimat eine Mandarine, etwas Spekulatius, Bonbons, Nüsse sowie ein Weckmann. In dieses Männlein aus hellem Hefeteig war eine Gipspfeife eingebacken. Die zog sogar. Wir stahlen meiner Mutter eine Lord Extra, stopften den Tabak in die Weckmannpfeife und rauchten hinter den Brombeeren am Friedhof. Schmeckte erstklassig, fanden wir. Trotz dieser warmen Erinnerungen an den Hausmeister und die Gipspfeife ist mir Sankt Martin inzwischen nicht mehr besonders wichtig. Meinem Sohn Nick umso mehr.

Dies begriff ich, als er heulend aus der Schule kam. Seinem von Weinstottern unterbrochenen Vortrag entnahm ich, dass seine La-La-La-Laterne ka-ka-ka-ka-pu-hu-hu-hutgegangen sei, als er sie seinem Kumpel Finn über die Birne habe ziehen müssen, weil dieser so do-ho-ho-ho-of gewesen sei. Um 17 Uhr seien Martinssingen und Martinsfeuer, und wenn er keine La-La-La-Laterne habe, könne er sich auch gleich umbringen.

Ich tröstete ihn, wie man einen kleinen Jungen tröstet, nämlich mit den Worten: «Dafür hast du’s dem Finn aber ordentlich gezeigt», doch mein Sohn weinte und weinte, und das kann ich gar nicht ertragen. Also schlug ich ihm vor, eine neue Laterne zu basteln.

Nun ist aber Basteln so gar nicht mein Ding. Etwa zu der Zeit meines ersten Martinsfeuers habe ich meiner Mutter einmal einen Topflappen gehäkelt, welchen sie sofort kommentarlos und vor meinen Augen in den Müll geworfen hat. Und sie war wirklich eine gute Mutter, an ihr lag es nicht. Doch jetzt hatte ich keine Zeit, meine handwerklichen Unzulänglichkeiten zu beweinen. Eine Laterne musste her. Wie ging das noch mal?

Aus Pappe vier Rahmen bauen. Die Rahmen quaderartig verkleben. Mit Butterbrotpapier als Fenster ausstatten. Aber das Butterbrotpapier muss man natürlich VORHER bemalen, nicht hinterher, sonst reißt alles, und man kann von vorne anfangen. Mist. Noch mal. Aus Pappe die Rahmen bauen. Butterbrotpapier bemalen. Von innen an die Rahmen kleben. Dies aber BEVOR man die Rahmen miteinander verklebt. Mist. Noch mal. Und den Boden nicht vergessen. Da muss ein Teelicht drauf. Dafür muss man aber auch oben ein Loch in der Laterne lassen, sonst kann man das Licht weder reinstellen noch auspusten, geschweige denn anzünden. Mist. Noch mal. Nach dem vierten Versuch hyperventilierte Nick und schalt mich Bastelnull und ganz miserablen Papa.

Da fielen mir die Gartenfackeln ein. Stinkende Dinger, wie sie bei Sommerfesten und beim Ku-Klux-Klan Verwendung finden. Ich suchte im Schuppen nach den Dingern, fand sie nicht, dafür aber etwas viel Besseres: den Gasbrenner. Ich zünde damit Grillkohle an und verkokele Unkraut. Das Gerät besteht aus einer Gasflasche, an der ein langer oranger Schlauch angebracht ist. Dieser mündet in einem Metallstab, an dessen Ende sich ein Brenner und ein Abzug befinden. Man zündet eine kleine Flamme an, und immer wenn man den Abzug betätigt, schießt fauchend eine Stichflamme von einem halben Meter Länge hervor.

Ich stellte das Ding auf eine Sackkarre, und wir gingen zum Martinszug. Zwischendurch zog Nick am Gasbrenner. Worte können das selige Lächeln des Kindes nicht beschreiben. Und die Gesichter der anderen Kinder und ihrer Eltern auch nicht. Ich sage nur: Shock and Awe. Schock und Ehrfurcht. Selbst Sankt Martin war schwer beeindruckt.

Niebel alaaf!

Erstaunlicherweise ehren die Deutschen am 11