rowohlts monographien
begründet von Kurt Kusenberg
herausgegeben von Uwe Naumann
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, März 2016
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Redaktionsassistenz Katrin Finkemeier
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Umschlagabbildung akg-images, Berlin (Heinrich von Kleist. Pastellminiatur von Peter Friedel, April 1801. Geschenk Kleists an Wilhelmine von Zenge. Handschriftenabteilung, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz)
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Satz CPI books GmbH, Leck, Germany
ISBN Printausgabe 978-3-499-50696-3 (1. Auflage 2008)
ISBN E-Book 978-3-644-55421-4
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-55421-4
Sämtliche Werke und Briefe (im Folgenden zitiert als SWB), Frankfurt a.M. 1987–1997, Band 3, S. 167
Vgl. Rudolf Loch: Kleist. Eine Biographie. Göttingen 2003, S. 11 (im Folgenden zitiert als Loch)
Loch, S. 421
Heinrich von Kleists Lebensspuren. Hg. von Helmut Sembdner. München 1996 (im Folgenden zitiert als LS), 5a
SWB 4, S. 15; vgl. auch Kleists 15 Jahre nach dem Tod der Mutter an Rühle geschriebenen Brief: Wenn ich auf dich böse bin, so überlebt diese Regung nie eine Nacht, und schon als du mir die Hand reichtest, beim Weggehen, kam die ganze Empfindung meiner Mutter über mich, und machte mich wieder gut. (SWB 4, S. 425)
So Löffler in seiner letzten Frankfurter Predigt vom 14. September 1788; zitiert nach Loch, S. 18
LS 8
LS 14, 3. Bataillon
LS 12
Nach Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Band 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära: 1700–1815.3. Auflage. München 1996, S. 246f.
LS 15a
Kampagne in Frankreich, 19. September 1792 (Hamburger Ausgabe, Band 10, S. 235)
SWB 4, S. 14; dieser Brief ist allerdings noch vor der Belagerung von Mainz entstanden.
SWB 4, S. 250ff.
Vgl. SWB 3, S. 401
SWB 4, S. 18
LS 6 und 5a
SWB 4, S. 28
Brief vom 10. Dezember 1811
LS 17
LS 18
Zitiert nach Loch, S. 36f.
Brief vom 30. August 1800, SWB 4, S. 90
SWB 4, S. 27
SWB 4, S. 24
SWB 4, S. 31
SWB 4, S. 33 und 30
SWB 4, S. 30 und 33
SWB 4, S. 34f.
LS 24a, 24b, 25, 26
LS 28 und 29
Johann Friedrich Reitemeier: Notiz der Wissenschaften und der Vorlesungen über dieselben auf den Königl. Preußischen Universitäten; zu einem allgemeinen Studienplan für die dasigen Studierenden eingerichtet. Frankfurt a.d. Oder 1794, S. 52; zitiert nach Loch, S. 45
An Ulrike, Mai 1799, SWB 4, S. 39
Brief vom Mai 1799, SWB 4, S. 37
SWB 4, S. 42 und 43
SWB 4, S. 39 und 40
SWB 4, S. 44 und 45
SWB 4, S. 45f.
SWB 4, S. 47
SWB 4, S. 48
SWB 4, S. 47
LS 36
LS 38
Klaus Müller-Salget: Heinrich von Kleist. Stuttgart 2002 (im Folgenden zitiert als Müller-Salget), S. 37 (unter Bezugnahme auf eine Beobachtung von Hans Joachim Kreutzer)
SWB 4, S. 55 und 56
SWB 4, S. 53, 54, 55
SWB 4, S. 61 und 65
LS 38
Ebd.
SWB 4, S. 67 und 74
Brief vom 21. August, SWB 4, S. 80
Brief vom 25. November 1800, SWB 4, S. 170
Brief an Wilhelmine vom 13. September, SWB 4, S. 117ff.
Brief vom 21. August, SWB 4, S. 82
SWB 4, S. 164
Müller-Salget, S. 116
Brief vom 13. November, SWB 4, S. 150, 152, 153, 154 und 155
SWB 4, S. 152
Vgl. Kleists Brief an Ulrike vom 25. November 1800, SWB 4, S. 167–171
LS 46 und 47
Aktennotiz, LS 49
SWB 4, S. 148
Vgl. auch SWB 4, S. 195f., Brief vom 5. Februar 1801
Etwa im Brief vom 11. und 12. Januar 1801, SWB 4, besonders S. 178
Brief vom 31. Januar 1801, SWB 4, S. 187 und 188
SWB 4, S. 190 und 191
Brief an Marie von Kleist, Spätherbst 1807, SWB 4, S. 398; die Lesart Schmutz ist in der Forschung umstritten
SWB 4, S. 196
SWB 4, S. 198 und 199f.
SWB 4, S. 198f.
SWB 4, S. 197f.
SWB 4, S. 203
SWB 4, S. 204f.
SWB 4, S. 205f. und 206f.
SWB 4, S. 208f.
SWB 4, S. 211f., 208 und 212
SWB 4, S. 214f. und 216
SWB 4, S. 218
SWB 4, S. 220
LS 55a
Brief vom 21. Mai 1801 aus Leipzig, SWB 4, S. 224 und 225
Brief an Wilhelmine aus Göttingen vom 3. Juni 1801, SWB 4, S. 231
Brief vom 1. Mai 1802, SWB 4, S. 307
SWB 4, S. 231
SWB 4, S. 230
Brief vom 18. Juli 1801, SWB 4, S. 240
SWB 4, S. 253f.
LS 70
Vgl. SWB 4, S. 239, 246 und 252
Brief an Wilhelmine vom 28. Juni 1801, SWB 4, S. 234
SWB 4, S. 282f.
Brief vom 16. August 1801 an Louise von Zenge, SWB 4, S. 264f.
Brief vom 18. Juli 1801 an Karoline von Schlieben, SWB 4, S. 240f.
SWB 4, S. 256f.
SWB 4, S. 269
Brief vom 18. Juli 1801 an Karoline von Schlieben, SWB 4, S. 240
SWB 4, S. 265
SWB 4, S. 275f.
Jochen Schmidt: Heinrich von Kleist. Die Dramen und Erzählungen in ihrer Epoche. Darmstadt 2003, S. 28 (im Folgenden zitiert als Jochen Schmidt)
SWB 4, S. 273f. und 276
SWB 4, S. 284ff.
LS 62b
SWB 4, S. 308f.
«Selbstschau» (1842), LS 67a
SWB 4, S. 301
LS 67a
LS 135
LS 77aa und 77a
SWB 4, S. 309
LS 81a
LS 81c
LS 84
LS 89
SWB 1, S. 702
LS 94a und 94b
SWB 4, S. 312
SWB 4, S. 314
LS 105, 105a und 106
Nach dem Zeugnis von Fouqué, LS 107c
LS 102
LS 109b
SWB 4, S. 317
LS 112
Brief vom 3. Juli 1803, SWB 4, S. 316f.
LS 113
LS 114b
LS 114a
Brief vom 5. Oktober 1803, SWB 4, S. 320f.
LS 117
LS 119a und 119b
LS 119c
Brief vom 26. Oktober 1803, SWB 4, S. 321
LS 119c, 121a, 121c und 122b
SWB 4, S. 330
Vgl. Wielands Brief an Wedekind, LS 125a
Vgl. dazu Hilda M. Brown und Richard Samuel: Kleist’s Lost Year and the Quest for ‹Robert Guiskard›. Leamington Spa/Warwickshire 1981
In: Marie Haller-Nevermann und Dieter Rehwinkel (Hg.): Kleist – ein moderner Aufklärer? Göttingen 2005, S. 18 und 19 (im Folgenden zitiert als Bennholdt-Thomsen). Von Anke Bennholdt-Thomsen stammt auch der Hinweis auf Kleists mögliche Kenntnis des «Magazins zur Erfahrungsseelenkunde».
LS 130
Brief an Ulrike vom 24. Juni 1804, SWB 4, S. 322ff.
Vgl. SWB 4, S. 328f. und 332f.
Vgl. SWB 4, S. 336
Brief vom 23. April 1805, SWB 4, S. 337
SWB 4, S. 335ff.
LS 139
Vgl. SWB 4, S. 339
Vgl. SWB 4, S. 342ff. und 346f.
SWB 4, S. 342
SWB 4, S. 348f.
Vgl. SWB 4, S. 341
Vgl. LS 474a und 474b
Franz Herre: Napoleon. Eine Biographie. München 2006, S. 134
Brief aus der ersten Dezemberhälfte 1805, SWB 4, S. 351f.
SWB 4, S. 353f.
LS 147
«Meine Lebensreise» (1842), LS 146
«Mein Leben» (1821), LS 142
SWB 4, S. 362
SWB 4, S. 355f., 357f. und vgl. 359
LS 151a
Gegen Ende des Sommers absolvierte Kleist einen fünfwöchigen Badeurlaub in Pillau, dem Seehafen von Königsberg, um dort das Seebad zu gebrauchen; doch auch dort war ich bettlägrig, und bin kaum fünf oder sechsmal ins Wasser gestiegen. Brief an Ulrike vom 24. Oktober 1806, SWB 4, S. 363
SWB 4, S. 362
LS 347, vgl. auch LS 346
SWB 3, S. 143
SWB 3, S. 144
SWB 3, S. 186
Vgl. besonders Jochen Schmidt, S. 98ff.
Vgl. SWB 4, S. 362
SWB 4, S. 361f.
SWB 4, S. 364
LS 158 bis 160c
SWB 4, S. 371
SWB 4, S. 373ff.
LS 161
LS 162b
LS 154
LS 164a
LS 164b
LS 165a
SWB 4, S. 375
SWB 4, S. 376
SWB 4, S. 381
SWB 4, S. 384
Otto Freiherr von Schleinitz, «Aus den Papieren der Familie von Schleinitz» (1905), LS 193a
LS 192b
LS 195 und 196
LS 196
LS 191
LS 312
SWB 4, S. 388f.
LS 263c und 270c
SWB 4, S. 387
SWB 4, S. 398
SWB 4, S. 396
SWB 4, S. 398
Brief vom 8. Dezember 1808, SWB 4, S. 424
Vgl. LS 202a
SWB 4, S. 400f.
SWB 4, S. 398ff.
LS 200b
LS 185
LS 182a
LS 201
LS 206a
LS 217c
Vgl. LS 225a, 235a, 235b, 254, 267
LS 225b
Ludwig Uhland am 22. April 1808 an Karl Mayer, LS 227b
LS 225a
LS 263f.; vgl. auch LS 261, 262, 263, 263b, 263e, 264a, 265a
SWB 4, S. 407f.
LS 224
Vgl. Katharina Mommsen: Kleists Kampf mit Goethe. Frankfurt a.M. 1979 (st 512), S. 117–124
LS 239b
LS 242
LS 497
Nach: Helmut Sembdner: Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 1973, 1998, S. 92
LS 252, vgl. auch LS 267
Vgl. SWB 4, S. 411
LS 204
LS 258
SWB 4, S. 415
Ebd.
SWB 4, S. 417
Vgl. LS 276a bis 279c
SWB 4, S. 419
Nach dem Bericht von Varnhagen von Ense, LS 278
Aufgezeichnet von Rudolf Köpke, LS 271
Auf konspirative Missionen Kleists deutet immerhin eine Stelle in einem Brief an Ulrike vom Sommer 1808 hin: SWB 4, S. 421
Brief vom 26. Oktober 1840, nach SWB 2, S. 1084
Dieser Einfall geht wohl auf eine Erzählung im alttestamentarischen «Buch der Richter» (19, 29) zurück.
Auch Kunigunde von Thurneck, die hexenhafte Gegenspielerin Käthchens im märchenhaften Käthchen von Heilbronn, verdankt ihre Schönheit kosmetischen Künsten und zahlreichen Prothesen.
SWB 2, S. 1171f.
SWB 4, S. 436
Vgl. Heinrich von Kleists Nachruhm. Hg. von Helmut Sembdner. München 1997, S. 557
Zitiert nach SWB 2, S. 1206
SWB 2, S. 1212
SWB 2, S. 1192
Gemeint ist Lucius Junius Brutus, der Erste Konsul der Römer, der seine Söhne als antirepublikanische Verschwörer hinrichten ließ.
Dem Amtssessel römischer Konsuln
Vgl. SWB 4, S. 423f.
Vgl. SWB 4, S. 429f.
LS 311
LS 316
Brief vom 20. April 1809, SWB 4, S. 432
LS 317
Brief an Joseph von Buol vom 25. Mai 1809, SWB 4, S. 434
LS 328a, vgl. auch LS 328b
LS 328c
SWB 4, S. 437
LS 332a bis 332d
Vgl. SWB 4, S. 438
Vgl. SWB 4, S. 439f. und 441f.
SWB 4, S. 440f.
LS 350a bis 356
SWB 4, S. 442
LS 346 und 347
Vgl. LS 357 bis 361
SWB 4, S. 442f.
Vgl. LS 338
Bennholdt-Thomsen, S. 37
SWB 3, S. 259
SWB 3, S. 221
SWB 4, S. 448
SWB 4, S. 449
Brief vom 13. August 1810, SWB 4, S. 450
Nach dem Bericht von Friedrich August Staegemann, LS 402
Anzeige in den Berliner Zeitungen am 9. und 10. Oktober, LS 404
LS 420a
LS 426
LS 426c
LS 436e
Vgl. LS 436d
Brief vom 6. Dezember 1810, LS 437a
SWB 4, S. 460f.
Brief vom 12. Dezember 1810, SWB 4, S. 462f.
Vgl. Kleists Brief an Raumer vom 13. Dezember 1810, SWB 4, S. 463
LS 432
Nach Müller-Salget, S. 111
In seinen «Lebenserinnerungen» (1861) berichtete Raumer, dass Kleist Ende Februar unter Tränen eingestanden habe, ihm Unrecht getan zu haben. Zu seinem Verhalten sei er durch Dritte veranlasst worden (LS 483). Raumer vermutete, dass Adam Müller den «sehr gutmütigen Kleist» überredet hatte, auf diese Weise vorzugehen (LS 442).
Brief vom 26. Februar 1811, SWB 4, S. 476f.
Briefe vom 10. und 11. März 1811, SWB 4, S. 477f.
SWB 4, S. 485–491 und 493ff.
SWB 4, S. 479 und 480f.
SWB 4, S. 484 und 485; beide Briefe undatiert, vermutlich im Mai 1811 entstanden
Brief an Marie von Kleist vom Juli/August 1811, SWB 4, S. 497
SWB 4, S. 498
Brief von Ende Juli 1811, SWB 4, S. 496f.
Vgl. LS 506
Brief vom 9. September 1811, LS 507a
SWB 4, S. 518
Königliche Kabinettsorder an Kleist vom 11. September 1811(abgesandt am 17. September) und Brief des Königs an Marie von Kleist vom 18. September (daraus das Zitat), LS 507b und 507c
SWB 4, S. 505
SWB 4, S. 508f.
Vgl. LS 427b
Vgl. LS 522
Vgl. LS 532
Vgl. LS 531a
LS 526
SWB 4, S. 513
LS 528
Vgl. LS 531a
LS 533 und 534
Vgl. LS 540, 541 und 542
Vgl. LS 519a–c
LS 519b und 519a (Brief an Julian Schmidt vom 9. Juni 1858)
Heinrich von Kleist wurde im Oktober 1777 geboren und starb im November 1811 von eigener Hand. Er wurde nur 34 Jahre alt. Sein Leben ist keine Erfolgsgeschichte. Doch seine persönlichen Schwierigkeiten und Niederlagen bilden das Erfahrungsfundament eines Werkes, das an beunruhigender Faszination in der deutschen Literatur bis heute ohne Vergleich ist. Wem alles glückt, der wird um die Chance gebracht, sich in der Krise selbst zu begegnen. Er lebt an der Oberfläche seines Erfolgs und bleibt sich letztlich fremd. In Kleists Dramen und Erzählungen hingegen gerät die Hauptfigur zumeist in eine Lage, in der ihr gleichsam der Boden unter den Füßen weggerissen wird, in der mit einem Mal ihre ganze Existenz auf dem Spiel steht. Diese verzweifelte Situation bietet ihr jedoch die Möglichkeit, sich zu bewähren, Größe zu zeigen, und dadurch zu einer neuen, zu ihrer eigentlichen Identität zu finden. Als die Marquise von O…. von ihrem Vater verstoßen wird und gegen seinen Befehl nicht allein, sondern mit ihren Kindern (sie ist eine junge Witwe) das elterliche Haus verlässt, heißt es: Durch diese schöne Anstrengung mit sich selbst bekannt gemacht, hob sie sich plötzlich, wie an ihrer eigenen Hand, aus der ganzen Tiefe, in welche das Schicksal sie herabgestürzt hatte, empor.[1] Dieser Satz steht paradigmatisch für die innere Entwicklung der meisten Hauptfiguren Kleists, der jeweils eigene Lebenskrisen des Autors als Muster zugrunde liegen.
In Kleists Werken sind es oft äußere Umstände, die solche Lebenskrisen herbeiführen. In Kleists Leben scheinen diese Krisen hingegen vielfach aus seiner Persönlichkeitsstruktur resultiert zu haben, aus seiner Kompromisslosigkeit, seinem unüberwindlichen Widerwillen, sich für fremde Zwecke einspannen zu lassen. Kleist wollte ganz aus sich selbst heraus sein persönliches Glück gewinnen. Seine außerordentliche Veranlagung zum Unglücklichsein ist nur die Kehrseite dieses Wunsches – denn die modernen Lebensverhältnisse, die sich zu Kleists Lebzeiten auszubilden beginnen, scheinen dem Einzelnen zwar bisher ungekannte Möglichkeiten zu eröffnen, sein Leben selbst zu gestalten, unterwerfen ihn aber zugleich einer neuen und umfassenderen Form der Sozialdisziplinierung. Eine zunehmend engmaschig verwaltete Welt und die sich allgemein durchsetzenden, am materiellen Wohlstand orientierten Maßstäbe bürgerlicher Leistungsethik sorgen dafür, dass derjenige, der sich eigene, abweichende Ziele setzt, schnell zum Außenseiter wird. Dieses Dilemma ist grundlegend für Kleists Leben.
Viele Umstände von Kleists Biographie liegen, allem Forscherfleiß zum Trotz, nach wie vor im Dunkeln und werden sich wohl auch nicht mehr erhellen lassen. Nicht nur über Kindheit und Jugend, sondern auch über manche Phase seines späteren Lebens fehlen verlässliche Informationen. Diese unzulängliche Quellenlage ist selbst bereits sprechend: Sie zeigt, dass Kleists Bedeutung zu seinen Lebzeiten nur von wenigen Menschen erkannt wurde und dass man sich gerade nach seinem skandalumwitterten Tod lediglich unter Vorbehalten zu ihm bekannte. Nur ein Bruchteil der von Kleist vermutlich geschriebenen Briefe ist überliefert. Beispielsweise ist die gesamte Korrespondenz mit Leopold von Kleist, dem einzigen Bruder, verloren. Andere wichtige Briefpartner wie die Halbschwester Ulrike, die zeitweilige Verlobte Wilhelmine von Zenge und die angeheiratete Verwandte Marie von Kleist haben es für nötig befunden, die an sie gerichteten Briefe Kleists einer Vorzensur zu unterwerfen oder auch ganz zu unterdrücken – zahlreiche dieser Briefe sind nur in Abschriften oder bruchstückhaften Druckfassungen bekannt. Offenbar enthielten sie vieles, was den Empfängerinnen nicht für die Öffentlichkeit geeignet zu sein schien.
Immerhin sind rund 230 Briefe Kleists überliefert. Dagegen haben sich nur etwa zwei Dutzend Briefe an Kleist erhalten. Das liegt daran, dass Kleist nach seiner Kindheit nie mehr einen festen Lebensmittelpunkt hatte, dass seine Existenz immer provisorisch blieb. Nie ergab sich die Gelegenheit, persönliche Habe anzuhäufen und ein privates Archiv anzulegen. Immer wieder erfolgte ein neuer Aufbruch, mit leichtem Gepäck.
Kleists erhaltene Briefe sind von hohem Aussagewert, auch wenn sie wenig über die Entstehungsgeschichte seiner Werke verraten; jedoch geben sie, bei allen Stilisierungen und Rollenmustern, wesentliche Aufschlüsse über die Struktur seiner Persönlichkeit. Daher wird im Verlauf der Darstellung immer wieder aus ihnen zitiert.
Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist kam vermutlich am 10. Oktober 1777 in Frankfurt an der Oder zur Welt. Er war das fünfte Kind und zugleich der erste Sohn von Joachim Friedrich von Kleist. Dieser hatte nach dem Tod seines Vaters ein zuvor begonnenes Studium in Frankfurt an der Oder abgebrochen und war in die preußische Armee eingetreten. Die Militärlaufbahn hatte in der Familie Tradition. Bis zu Heinrichs Geburt konnten die Kleists sechzehn preußische Generäle und zwei Feldmarschälle vorweisen. 1806, im Jahr der Niederlage gegen Napoleon, gehörten fünfzig Mitglieder der Familie der Armee an.
Kleists Vater brachte es als Offizier weniger weit als viele seiner Vor- und Nachfahren. Erst 1767, im Alter von 39 Jahren, erhielt er den Befehl über eine Kompanie.[2] Seine späte Heirat im Jahr 1769 mag mit seinen verzögerten Beförderungen zusammenhängen. Seine Frau, Caroline Louise von Wulffen, war zum Zeitpunkt der Eheschließung mit vierzehn Jahren noch ein Mädchen. 1772 wurde die erste Tochter Wilhelmine geboren, zwei Jahre später folgte die Geburt der zweiten Tochter Ulrike, an deren Folgen Caroline Louise starb.
Kurz nach dem Verlust seiner Frau heiratete Joachim Friedrich von Kleist erneut. Im Gegensatz zu Caroline Louise brachte die achtundzwanzigjährige Juliane Ulrike von Pannwitz kein Vermögen mit in die Ehe. Aus dieser zweiten Verbindung gingen fünf Kinder hervor: Friederike (geboren 1775), Auguste (1776), Heinrich (1777), Leopold (1780) sowie Juliane (1784).
Das Haus, in dem Kleist und seine Geschwister ihre Kindheit verbrachten, stand neben dem des Stadtkommandanten, in unmittelbarer Nachbarschaft der Marienkirche. Erst 1788 war der Vater in der Lage, es zu kaufen. Teile des Hauses wurden untervermietet, wohl vor allem an Händler, die dreimal im Jahr zu der seinerzeit größten preußischen Gewerbemesse in Frankfurt an der Oder zusammenströmten.
Ins Jahr 1783 – Heinrich von Kleist war sechs Jahre alt – fällt ein für die Persönlichkeit des Vaters offenbar charakteristisches Ereignis. Friedrich II. (der Große) teilte dem Major von Kleist anlässlich einer Truppeninspektion mit, dass er sich keine Hoffnungen auf eine weitere Beförderung zu machen brauche, weil er seinen Dienst nicht mit ausreichendem Eifer erfülle. Kleists Vater nahm diese Demütigung nicht hin. Er schrieb dem König, dass dieser zwar über sein Leben, nicht aber über seine Ehre verfügen könne, welche er gekränkt habe. Deshalb bitte er um seinen Abschied. Weswegen es letztlich doch nicht zu diesem Schritt kam, ist ungeklärt. Der König scheint sich entschieden zu haben, die mutige Antwort seines Offiziers auf sich beruhen zu lassen. Gleichwohl machte er seine Ankündigung wahr. Kleists Vater blieb «der am längsten dienende Offizier in Majorsrang in der gesamten preußischen Armee»[3].
Ob die Kinder von dem Konflikt des Vaters mit dem König erfuhren, ist ungewiss. Zweifellos aber ist viel von der Haltung des Vaters auf Heinrich von Kleist übergegangen, dessen Entschlossenheit zur Selbstbehauptung freilich noch radikaler war.
«Als ich diesmal in Potsdam war, waren zwar die Prinzen, besonders der jüngere, sehr freundlich gegen mich, aber der König war es nicht – u wenn er meiner nicht bedarf, so bedarf ich seiner noch weit weniger. Denn mir mögte es nicht schwer werden, einen andern König zu finden, ihm aber, sich andere Unterthanen aufzusuchen./Am Hofe theilt man die Menschen ein, wie ehemals die Chemiker die Metalle, nämlich in solche, die sich dehnen u strecken lassen, u in solche, die dies nicht thun – Die ersten, werden dann fleißig mit dem Hammer der Wilkühr geklopft, die andern aber, wie die Halbmetalle, als unbrauchbar verworfen.»
Kleist an seine Halbschwester Ulrike am 25. November 1800 (SWB 4, S. 168)
Über Heinrich von Kleists Kindheit ist so gut wie nichts bekannt. Seinen ersten Unterricht erhielt er gemeinsam mit dem ein Jahr älteren Cousin Carl von Pannwitz, der bei der Familie wohnte, durch einen Privatlehrer, den Theologen und späteren Rektor der Frankfurter Bürgerschule Christian Ernst Martini. Jahrzehnte später beschrieb Martini seinen ehemaligen Schüler als einen «nicht zu dämpfende[n] Feuergeist, der Exaltation selbst bei Geringfügigkeiten anheimfallend, unstet, aber […] mit einer bewundernswerten Auffassungs-Gabe ausgerüstet»[4]. Für Kleist blieb Martini lange Zeit offenbar eine der wichtigsten Bezugs- und Vertrauenspersonen.
Wie intensiv war seine Beziehung zum Vater und zur Mutter? Wie viel Liebe und Geborgenheit erfuhr Kleist von seinen Eltern? Kleist war das fünfte Kind der Familie – wenn auch als erster Sohn in der herausgehobenen Rolle des Stammhalters; seine Mutter hatte bis Ende 1777 in drei Jahren drei Kinder zur Welt gebracht und war vermutlich schonungsbedürftig; das nächste Kind, Leopold, folgte erst zweieinhalb Jahre nach Heinrichs Geburt. Falls dieser, wie manche Kleist-Biographen vermutet haben, in seiner frühen Kindheit die Wohltat allgegenwärtiger elterlicher Liebe entbehren musste, so teilte er diese Erfahrung doch mit den meisten seiner Standesgenossen und überhaupt mit der Mehrzahl der Menschen im 18. Jahrhundert. Später scheint es nicht an Zuwendung gefehlt zu haben. In dem ersten erhaltenen Brief, den der fünfzehnjährige Kleist wenige Wochen nach dem Tod der Mutter an deren Schwester Auguste Helene von Massow schickte, spricht er von seiner verlorne[n] zärtliche[n] Mutter[5]. An seine Familie fühlte sich Kleist zeitlebens gebunden, ungeachtet aller Vorbehalte, mit denen die Verwandten seinen Lebensweg verfolgten. Das deutet auf die Erfahrung eines starken familiären Zusammenhalts während seiner Kindheit und Jugend.
Die geistigen Einflüsse, denen Kleist über die Vermittlung des Vaters als Kind ausgesetzt war, weisen in die Richtung aufklärerischer Menschenliebe. Der Chef der Frankfurter Garnison, bei dem der Vater als Stabsoffizier im benachbarten Kommandantenhaus täglich zu Mittag speiste, war der noch junge Prinz Leopold, ein Neffe Friedrichs des Großen. Leopold von Braunschweig war bildungsbeflissen – 1775 hatte Lessing ihn auf seiner Reise nach Italien begleitet – und philanthropisch gesinnt. Ebenfalls in unmittelbarer Nachbarschaft wohnte der Universitätsdozent für Theologie Josias Friedrich Christian Löffler, der zudem als Superintendent die Oberaufsicht über das Bildungswesen ausübte und in der Marienkirche als Prediger wirkte. Seine Vorstellungen, wie sich Christentum und aufgeklärte Vernunft miteinander verbinden ließen, stimmten in vieler Hinsicht mit dem überein, was als Gedankengut der Aufklärung ohnehin in der Luft lag. Jesus als sittlich und moralisch hochstehender Mensch stand im Mittelpunkt seiner Theologie. Auch Sokrates galt ihm – als antiker Aufklärer und durch seine Bereitschaft, für seine Überzeugungen mit dem eigenen Leben einzustehen – als Muster eines vorbildlichen Menschen. Zudem trat Löffler für lebenslanges Lernen ein, denn nur durch die «Freiheit des Geistes» gelange der Mensch «zu einer höheren Stufe der Vollkommenheit».[6] Solche Ideen sind offenbar bis zum Nachbarskind gedrungen und haben dessen geistige Entwicklung tief geprägt. In seinem 1799 am Ende der Militärjahre als Standortbestimmung und persönliches Credo verfassten Aufsatz, den sichern Weg des Glücks zu finden und ungestört – auch unter den größten Drangsalen des Lebens, ihn zu genießen! feiert Kleist Jesus und Sokrates als große erhabne Menschen, die sich der Gottheit – also nicht mehr einem personal gedachten Gott, sondern der Idee des Göttlichen, dem höchsten Ideal – angenähert hätten.
Gegenüber Wilhelmine von Zenge erklärt Kleist am 22. März 1801, er habe «schon als Knabe (mich dünkt am Rhein durch eine Schrift von Wieland) mir den Gedanken angeeignet, daß die Vervollkommnung der Zweck der Schöpfung wäre. […] Aus diesen Gedanken bildete sichso nach u nach eine eigne Religion,u das Bestreben, nie auf einen Augenblick hieniden still zu stehen, u immer unaufhörlich einem höhere Grade von Bildung entgegen-zuschreiten, ward bald das einzige Princip meiner Thätigkeit. Bildung schien mir das einzige Ziel, das des Bestrebens, Wahrheit der einzige Reichthum, der des Besitzes würdig ist.»
(SWB 4, S. 204)
Anfang 1788, im Alter von zehn Jahren, wurde Heinrich von Kleist zusammen mit zwei älteren Cousins im 80 Kilometer entfernten Berlin in die Privatpension des hugenottischen Predigers Samuel Henri Catel gegeben. Wahrscheinlich wurde er in der Privatschule von Catels Schwager Frédéric Guillaume Hauchecorne sowie am Collège Français unterrichtet. Die Beherrschung der französischen Sprache, die Aneignung französischer Bildung und Lebensart gehörten damals zum Erziehungsprogramm der preußischen Adelssöhne. Diese Phase von Kleists Ausbildung fand jedoch – wohl durch den Tod des Vaters – bereits nach wenigen Monaten ein jähes Ende. Lediglich für fünf Monate, von Januar bis Mai 1788, ist Kleists Anwesenheit in Berlin belegt. Vermutlich wurde er bald nach dem unerwarteten Todesfall, auch aus finanziellen Gründen, nach Frankfurt zurückgeholt.
Joachim Friedrich von Kleist starb, sechzigjährig, am 18. Juni 1788. Bereits am folgenden Tag wandte sich Kleists Mutter mit der Bitte um eine Pension an den König, nunmehr Friedrich Wilhelm II. Dieser ließ drei Tage später antworten, dass er «jetzt die gebethene Pension nicht bewilligen» könne, weil die für diesen Zweck bestimmten Fonds erschöpft seien «und sich dermahlen keine Vacance ereignet hat».[7] Auch der Versuch der Mutter, ihren ältesten Sohn in der preußischen Militärakademie unterzubringen, scheiterte. Zu allem Unglück wurde das Testament des Vaters, das juristisch nicht einwandfrei formuliert war, vom Frankfurter Stadtgericht angefochten. Zu diesem Schritt kam es offenbar erst ein Jahr nach dem Tode Joachim Friedrich von Kleists. Das Verfahren endete 1790 mit einem Vergleich zwischen Juliane Ulrike von Kleist und dem amtlichen Vormund ihrer Kinder, dem Justizkommissar George David Friedrich Dames, der fortan das Erbe der Kinder bis zu deren Volljährigkeit verwaltete.
Während der vier Jahre, die auf den Tod des Vaters folgten, liegt Kleists Leben gänzlich im Dunkeln. Wahrscheinlich verbrachte er diese Zeit in Frankfurt bei der Familie. Möglicherweise erhielt er wiederum Unterricht von Christian Ernst Martini. Mit vierzehn Jahren wurde Kleist schließlich als Gefreiter-Korporal ins preußische Regiment Garde[8] aufgenommen, das in Potsdam stationiert war. Kurz nach seinem Eintritt in die Armee wurde er am 20. Juni 1792 in der Frankfurter Garnisonskirche konfirmiert.[9]