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Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2019

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ISBN 978-3-644-00347-7

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-00347-7

«Nie lebte Klaus intensiver, angespannter, tätiger als in den ersten Jahren der Emigration; darum wohl auch: nie glücklicher», schreibt Golo Mann in seinen 1975 publizierten Erinnerungen an seinen Bruder und kommt zu dem Urteil: «Der Herausforderung der deutschen Tyrannei hielt er nicht nur stand, sie erst führte ihn auf die ihm erreichbare Höhe.»

Klaus Mann war in der Weimarer Republik ein literarischer Außenseiter, ein Enfant terrible gewesen. Indiskret, kapriziös und vom Vaternamen begünstigt hatte er seinen Weg als Schriftsteller begonnen. Im Exil aber fand er seine Aufgabe: Er wurde ein Repräsentant der aus Deutschland vertriebenen Literatur.

Am 13. März 1933 verließ Klaus Mann Deutschland – knapp sechs Wochen, nachdem die Nazis die Macht übernommen hatten. In den folgenden Jahren lebte er vorwiegend in Amsterdam. Doch hielt er sich auch häufig in Paris und an der Côte d'Azur auf, besuchte die Schweiz (wo seine Eltern ab Herbst 1933 in Küsnacht bei Zürich wohnten), kam als Gast nach Moskau und nach Barcelona, reiste nach Wien, Prag, Budapest – um nur die wichtigsten Stationen zu nennen.

Die äußere Unstetigkeit scheint Klaus Mann, der sich schon in seiner Jugend aufs internationale Pflaster wagte und ausgedehnte Reisen unternahm, in seiner literarischen Produktivität kaum beeinträchtigt zu haben. Trotzdem: Exil bedeutet immer Entwurzelung und Verunsicherung. Den Schock, der damit verbunden ist, konnte er schneller überwinden als viele andere Intellektuelle, die damals Nazi-Deutschland verließen. Auch Klaus Mann wäre lieber in Berlin oder München geblieben. An der Richtigkeit seiner Entscheidung zweifelte er jedoch zu keinem Zeitpunkt. «Die Emigration war nicht gut. Das Dritte Reich war schlimmer», heißt es lakonisch in seiner Autobiographie «Der Wendepunkt».

Die Gegnerschaft zum Faschismus gab Klaus Manns Leben und Schreiben einen klaren Sinn. Er sprach auf Kongressen und

Im September 1933 erschien das erste Heft einer Zeitschrift, die Klaus Mann selbst herausgab und redigierte. Sie trug den programmatischen Titel «Die Sammlung». Die monatlich veröffentlichten Hefte enthielten Aufsätze über Literatur und Politik, dazu aktuelle Polemiken, neue literarische Texte, Rezensionen und Glossen. Bemerkenswert ist die Vielfalt von Positionen und Richtungen, die in der «Sammlung» zu Wort kamen – der Herausgeber nahm den im Titel formulierten Anspruch ernst und machte aus seiner Zeitschrift ein echtes Forum der antifaschistischen Literatur.

«Vor einem so starken und so ruchlosen Feinde, wie der Faschismus einer ist, auf relativ geringen Meinungsverschiedenheiten untereinander bestehen, anstatt sich zusammenzutun zur Abwehr: das wäre eine Dummheit von schon unmoralischem Ausmaß.» Dieser Überzeugung, die er in einem Mitte 1935 publizierten Aufsatz formulierte, waren Klaus Manns Aktivitäten der ersten Exiljahre verpflichtet. Er betätigte sich, wo er nur konnte, als Vermittler – vorurteilslos und aufrichtig. Und immer wieder beklagte er den Mangel an geistiger Toleranz, den er bei vielen Weg- und Kampfgefährten der Emigration feststellen mußte.

«Schöngeistig, aber militant» – so hat Klaus Mann das Konzept der «Sammlung» auf den Punkt gebracht. Er selbst näherte sich in den frühen Exiljahren sozialistischen Positionen. Das bedeutete keine parteipolitische Festlegung; aber er war doch zunehmend fasziniert von der Idee des Sozialismus – wie auch vom Versuch ihrer Realisierung in der Sowjetunion. Klaus Manns «Notizen in Moskau», im Oktober 1934 in der «Sammlung» veröffentlicht, sind ein Zeugnis der politischen Neuorientierung ihres Autors. «Denn ich spüre doch wieder, daß es eine Zukunft

Seine großen Vorbilder waren, mehr denn je, der Onkel Heinrich Mann und der französische Schriftsteller André Gide. Von beiden übernahm er den Anspruch, eine Synthese zwischen Individualismus und Kollektivismus, zwischen der bürgerlichen Französischen Revolution und der sozialistischen Russischen Revolution zu suchen und zu propagieren. Beide übrigens, Heinrich Mann wie Gide, hatte Klaus Mann für das Patronat der Zeitschrift «Sammlung» gewinnen können (als dritter für dieses Amt stellte sich Aldous Huxley zur Verfügung).

Ein unkritischer Parteigänger der Sowjetunion war Klaus Mann nie – auch nicht in der Zeit, als er die Volksfront-Strategie der Kommunisten unterstützte. Er sei gern bereit, «Differenzen zurückzustellen. Es ist nicht ihre Stunde», schrieb er dem deutschen, im Moskauer Exil lebenden KP-Funktionär Hans Günther am 31. Juli 1934. Doch verschwieg er, wo es ihm geboten schien, keineswegs die gravierenden Unterschiede, die ihn – in politischen wie in ästhetischen Fragen – von den Kommunisten trennten. Auch davon zeugen sehr deutlich die «Notizen in Moskau».

Besonders empfindlich reagierte er Ende 1934, als ihn Informationen über eine restriktive Wende in der Sexualpolitik der Sowjetunion erreichten. Eine zentrale staatliche Verordnung vom 7. März 1934 bestimmte, daß alle Republiken ihr Strafgesetzbuch durch einen Homosexuellen-Paragraphen zu ergänzen hatten. Klaus Mann, der aus seiner eigenen homoerotischen Veranlagung nie ein Hehl gemacht hatte, registrierte die Nachricht mit äußerster Betroffenheit: «In dem Lande, das wir für das aufgeklärteste und fortgeschrittenste der Welt halten möchten, hat man die Liebesform, von der wir sprechen, aufs neue unter grausame Strafe gestellt.» Sein Aufsatz «Homosexualität und Faschismus», aus dem dieses Zitat stammt, wurde zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für wirkliche Toleranz. In dem Umgang einer Gesellschaft mit ihren Außenseitern und Minderheiten sah Klaus Mann zu Recht einen Gradmesser für ihre Humanität.

Die Zeitschrift «Sammlung» erschien in Amsterdam, in der

Der Absatz der «Sammlung» war nicht kostendeckend. Nach zwei Jahrgängen mußte der Verlag die Zeitschrift einstellen; im August 1935 erschien das letzte Heft. Die Verluste waren inzwischen so beträchtlich geworden, daß sie die Existenz des Buchverlags bedrohten. Für Klaus Mann war das Ende der «Sammlung» eine bittere Enttäuschung. Mangelnder Qualität war das finanzielle Fiasko gewiß nicht geschuldet – vielmehr wertete der Herausgeber das Ende seines Blattes als Beweis, «daß eine literarische Monatsrevue unter den heutigen Umständen ohne erhebliche Zuschüsse nicht lebensfähig ist» (Brief an Lion Feuchtwanger, 19. August 1935). Und wer hätte im Exil solche Zuschüsse aufbringen sollen?

Solche Probleme kannten jene Autoren nicht, die in der Heimat geblieben waren und sich mit den braunen Machthabern arrangiert hatten. «Ihre Einnahmen sind sicherer und sehr viel größer als unsere, und sie haben einen festen ‹Markt›, auf den sie rechnen können. Sie haben den Rundfunk, viele Theater und große Zeitungen», heißt es in dem programmatischen Artikel «Drinnen und draußen». Den Exil-Schriftstellern dagegen standen nur beschränkte Publikationsmöglichkeiten zur Verfügung. «Wir haben nicht viel. Wir sind arm. Unser Markt ist zerstreut über den Kontinent und über den ganzen Planeten.» Trotzdem wollte Klaus Mann nicht tauschen mit den Dichtern, die sich den Anordnungen der Reichsschrifttumskammer beugten: «Es ist besser, die Wahrheit ins Ungewisse zu rufen, als einer kompakten unwissenden Masse bezahlte Lügen zu erzählen.»

In dem Essay «Zahnärzte und Künstler», der diesem Band den Titel gab, stellt Klaus Mann die Frage nach der moralisch-politischen Verantwortung des Künstlers. Die Überzeugung, daß

Nicht zufällig ging der Autor in seinem Aufsatz «Zahnärzte und Künstler» ausführlich auch auf Gustaf Gründgens ein. In Gründgens, mit dem er in den zwanziger Jahren befreundet war und zusammen Theater spielte, sah Klaus Mann den Typus des Intellektuellen verkörpert, der Geist und Moral verrät zugunsten der eigenen Karriere. Gründgens war 1933 in Nazi-Deutschland geblieben und stieg dort zum gefeierten, hochdekorierten Star auf. Daß ein Künstler, der sich derart mit den Mächtigen arrangiert, einen Teufelspakt eingeht – diese Überzeugung wurde 1936 zum Ausgangspunkt für Klaus Manns Roman «Mephisto», sein bis heute bekanntestes literarisches Werk.

 

«Zahnärzte und Künstler» ist die bisher umfassendste Edition der Publizistik Klaus Manns aus dem frühen Exil. Aufgenommen wurden mehr als 100 Beiträge, darunter einige Erstdrucke aus dem Nachlaß. Auf Vollständigkeit ist die Sammlung nicht angelegt.

Das editorische Konzept des vorliegenden Buches entspricht dem des Bandes «Die neuen Eltern», mit dem die Neuausgabe von Klaus Manns essayistischen Schriften vor einem halben Jahr begann. Die Texte sind weitgehend chronologisch angeordnet; dem Leser wird es so möglich, dem Autor auf den Wegen und Abwegen seines Denkens zu folgen. Das auf diese Weise entstehende, manchmal verblüffende Nebeneinander von Texten

Der vorliegende Band schließt ab mit dem Zeitpunkt, als Klaus Mann an Bord des Dampfers «Statendam» den Atlantik überquert, um in den USA erstmals eine ausgedehnte Vortragstournee zu absolvieren. Es ist noch kein endgültiger Abschied von Europa, aber eine Situation, in der ihm die persönliche wie die weltpolitische Zukunft höchst ungewiß scheinen. In seinem Tagebuch notiert Klaus Mann am Tag der Abfahrt von Rotterdam: «Gedankenvoll und etwas traurig. Was kommt nun?»

 

Hamburg, im Januar 1993 Uwe Naumann/Michael Töteberg

München, März 1933

Der zehnte März 1933. Wir sind in der Schweiz Skifahren gewesen; an diesem Tag – gerade an diesem – reisen wir nach München zurück. Wir haben, dort oben, die politischen Nachrichten verfolgt und am Radio erfahren, wie die deutschen Wahlen ausgegangen sind. Aber die heroische Reinheit und Unbeteiligtheit der großen Gebirgslandschaft ließ uns etwas gleichgültiger sein gegen Meldungen, deren Inhalt für das Leben der Nation wie für unser eigenes Leben entscheidend war. – Zeitungen in St. Margarethen. Was in uns noch an heroisch-idyllischer Stimmung war, ist mit einem Schlage zerstört. Wir erfahren von der veränderten Situation in München; vom Rücktritt der katholischen Regierung, von deren Mut und Klugheit wir zu viel erwartet hatten; von der Einsetzung des General Epp als Kommissar – jenes Generals, dessen äußerst militärische und zum Letzten entschlossene Physiognomie wir noch aus jener Zeit in Erinnerung hatten, da er, bald nach dem Krieg, als Führer der «weißen Truppen» im reaktionären München eingezogen war. – Die Reise verläuft weiter in einer sowohl gedrückten als gespannten Stimmung: typische Stimmung der katastrophalen Momente, der Kriegsausbrüche und der großen Bankrotte, gemischt aus Bitternis und, trotz allem, sensationslüsterner Neugierde.

München scheint ruhig. Aber wenn man genauer hinhorcht, spürt man die Spannung, die Unruhe aller dieser Menschen, die sich, auf dem Bahnhofsplatz schon, durcheinanderdrängen – eine Spannung, die sicher bei vielen eine glückliche, zukunftsfreudige ist, bei vielen aber auch eine verzweifelte. – Wir hatten München so sehr anders gekannt, und gerade während der letzten Monate: als einen Zufluchtsort derer, die den preußischen Faschismus

Nun also begrüßten uns von den Dächern der öffentlichen Gebäude die Hakenkreuzfahnen, die im Winde ihres Triumphes flatterten, und von allen Anschlagsäulen die Aufrufe, die General Epp «an sein Volk» richtete. – Der Chauffeur, der uns von der Bahn abholte, hatte ein verstörtes Gesicht, er war wirklich ganz blaß. «Wenn ich den Herrschaften einen Rat geben darf», sagte er mit recht weißen Lippen, «halten Sie sich in den nächsten Tagen zurück.» –Zu Hause, als wir das Radio anstellten, schrien uns die Stimmen der Männer an, von denen ein unbegreifliches Volk sich hat allen Ernstes einreden lassen, daß es «Führer» seien. Das ist nicht auszuhalten. – Man ruft Freunde an. – In öffentlichen Lokalen mag man sich nicht mehr treffen, und wenn man nun in den vertrauten Zimmern beisammen ist, kommt man sich schon als «Verschwörer» vor. Die Telephongespräche sind überwacht, man spricht in Andeutungen und dunklen Formeln. – Es wird uns schnell klar, daß wir nicht nur stimmungsmäßig, sondern auch in einem realeren Sinn zu leiden haben würden. Die ersten jener Nachrichten werden bekannt, die später als «Greuelpropaganda» bezeichnet wurden; man hätte es aber niemals nötig gehabt zu übertreiben – wie es dann natürlich geschehen ist: das, was wahr ist, genügt. – Mancher, mit dem man sich in Verbindung setzen will, ist schon verhaftet, zum Beispiel der Anwalt, der uns in den letzten Jahren beriet. Andere Verhaftungen wirken noch überraschender, etwa die des Direktors der Münchener Kammerspiele, Otto Falckenberg, eines durchaus unpolitischen Künstlers und Ästheten von außerordentlichem

In diesem von General Epp regierten München waren wir vom 11. bis zum 13. März. So lange brauchten wir, um uns darüber klarzuwerden, daß wir zunächst das Land verlassen müßten, das im Begriff ist, alles das zu zerstören, was seinen Wert, seinen Reiz und seine Würde ausgemacht hat unter den Völkern der Erde.

Kultur und «Kulturbolschewismus»

Der Ausdruck «Kulturbolschewismus» ist die Waffe, mit welcher die heute Deutschland beherrschenden Mächte jede geistige Leistung unterdrücken, die nicht ihren eigenen politischen Tendenzen dient. Was «Kulturbolschewismus» eigentlich ist, wäre schwierig zu definieren. Wie das ganze Pathos dieses «neuen Deutschland» ist auch dieser Begriff am leichtesten aus dem Negativen zu erklären. (Das neue deutsche Pathos bewährt sich sehr viel leichter gegen als für etwas: gegen den Marxismus, gegen den Versailler Vertrag, gegen die Juden.) Der Geist des «Kulturbolschewismus» ist also zunächst einmal kein rein nationalistischer Geist – womit er eigentlich schon gerichtet ist. Im

Interessanter, als diesem in seiner völligen Unklarheit grotesken Begriff des «Kulturbolschewismus» nachzugehen, ist es festzustellen, was er in Deutschland an kulturellen Werten jetzt schon alles vernichtet hat. Wir wollen dabei hier nicht von Organisationen sprechen, die ihrem Wesen nach zwischen Geist und Politik stehen und deren Ehrgeiz vielleicht dahin geht, zwischen diesen beiden in Deutschland so getrennten Elementen zu vermitteln – etwa der Liga für Menschenrechte, der Roten Hilfe, den verschiedenen pazifistischen Verbänden: ihre Unterdrükkung könnte noch als eine im Interesse der Herrschenden notwendige Aktion aufgefaßt werden, die sich eben um den Geist nicht kümmern darf. Es genügt, wenn wir uns auf das rein kulturelle Gebiet beschränken. Die neuen Herren scheinen sich, gerade auf diesem Gebiet, sehr reich zu fühlen; oder aber: ihr Gewissen ist gerade hier noch unempfindlicher, als wir es sonst kennen.

Ein Gebiet, auf dem mit besonderer Brutalität «durchgegriffen» wird (wie ein so hübscher Lieblingsausdruck des neuen Jargons lautet), ist natürlich das der Jugenderziehung. Es ist von entscheidender Wichtigkeit, daß man den kindlichen Köpfen und Herzen einzig und allein die Bekanntschaft mit jenen Idealen vermittelt, die man heute die «neuen» nennt – etwas paradoxerweise, da es ja eigentlich die ältesten sind. Verboten wurden

Was die Wissenschaft und im besonderen die Universitäten betrifft, so ist ihr Niveau schon durch den Antisemitismus bedroht, der gerade hier besonders wütend ist. Die deutschen Universitäten waren seit Jahren eine Hochburg der Reaktion. Prominente jüdische Gelehrte wurden an der Ausübung ihres Amtes gehindert, und zwar von Burschen, die auf dieser Erde keinen Verdienst hatten außer dem, der arischen Rasse anzugehören, und auch das ließe sich noch bezweifeln. Der Skandal in Breslau um den Professor Cohn trug sich vor dem offiziellen Herrschaftsantritt Adolf Hitlers zu; ebenso manch anderer Skandal dieser Art in Heidelberg, München, Hamburg usw. Gerade in diesen Kreisen war man auf den neuen Ton vorbereitet. – Als Albert Einstein, dessen Vermögen man beschlagnahmt hat und der auf seine deutsche Staatszugehörigkeit verzichtete, seinen Austritt aus der Akademie erklärte, antwortete diese dem berühmtesten Gelehrten Deutschlands, daß sie keinen Anlaß habe, diesen Austritt zu bedauern. So haben wir unsererseits keinen Anlaß, es zu bedauern, wenn das deutsche gelehrte Leben international sehr bald nicht mehr in Frage kommen wird.

Das Schicksal der großen linksgerichteten oder liberalen Verleger scheint noch nicht ganz entschieden. Es wäre gar zu

Die deutsche Presse existiert nicht mehr, jede Meinungsfreiheit, auch die bescheidenste, ist mit einem bemerkenswerten Radikalismus (der den der Italiener womöglich noch übertrifft) unterdrückt. Die Zeitungen der Linksparteien sind bekanntlich samt und sonders verboten. Die «große liberale Presse» ist aufgekauft, oder, soweit dies noch nicht, doch gezwungen, mit den

Den Theatern wird ihr Repertoire meistens von einem «Kampfbund für deutsche Kultur» diktiert; übrigens würden sie es auch sonst nicht wagen, andere als nationalistische Stücke aufzuführen. Die Intendanten, soweit sie jüdisch oder politisch nicht einwandfrei sind, müssen gehen, darunter die Verdienstvollsten und Besten, wie Gustav Hartung in Darmstadt, der André Gides «Oedipe» herausgebracht hat – wenn sie nicht auch noch verprügelt werden, wie es dem Direktor Barnay in Breslau erging. Nicht einmal der ganz große Ruhm schützt, wie der Fall Max Reinhardt beweist, dem man verbietet, in dem Deutschen Theater, das er begründet hat, zu inszenieren. Auch schauspielerisches Genie wird den jüdischen deutschen Schauspielern nicht wieder auf eine deutsche Bühne verhelfen: Elisabeth Bergner, Pallenberg, Kortner, die Massary (um nur die größten Namen zu nennen) würden ausgezischt werden – wenn man es überhaupt noch einmal so weit kommen ließe, daß sie sich zeigten. Männer wie Piscator können schon seit längerer Zeit in Deutschland nicht mehr arbeiten.

Der Rundfunk, der ohnedies nicht eben fortschrittlich war, ist

Man scheut nicht einmal vor der Schändung der Musik zurück, der Kunstart, zu der die Deutschen das sentimentalste und respektvollste Verhältnis haben. Einige der größten deutschen Dirigenten sind Juden. Diese werden von nun an im Auslande arbeiten müssen. Der Fall Bruno Walters hat am meisten Aufsehen gemacht. Die Fälle von Klemperer, Kleiber, Blech sind nicht weniger sensationell. Berlin darf nicht nur kein geistiges Zentrum mehr sein; es soll auch seinen Rang als Musikstadt einbüßen. Der boykottierte Dirigent muß nicht einmal Jude sein, es genügt, wenn sonst irgend etwas an ihm einigen SA-Männern mißfällt: der Fall von Fritz Busch, dem seine Tätigkeit als Generalmusikdirektor der Dresdener Oper unmöglich gemacht wurde. Sogar Toscanini wird boykottiert, weil er seinerseits gegen den Boykott Bruno Walters zu protestieren wagte. Ohne Frage wird es der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-Partei eine Kleinigkeit sein, dem musikverständigen deutschen

Selbstverständlich ist, daß es der Malerei nicht anders gehen darf als allen übrigen Kulturgebieten. Auch hier heißt es: Schluß mit den Experimenten, zurück zur guten alten Zeit, die Siegesallee wird wieder Mode! Das erwachende Deutschland hat ein starkes Penchant zum Kitsch. Bei einem verhafteten Literaten wurde als besonders kompromittierend festgestellt, daß man an seinen Wänden Blätter von George Grosz gefunden habe – wobei sicher nicht nur die politische Gesinnung des Grosz, sondern mehr noch seine «revolutionäre» Zeichentechnik anstößig wirkte. Paul Klee, Kokoschka, Beckmann haben von den deutschen Mauern zu verschwinden. Wer weiß, ob Cézanne und van Gogh noch geduldet werden. – Die Hamburger Sezession wurde verboten, ehe sie noch eröffnet war: sie stand im Verdacht des Kulturbolschewismus. Die Galerie Flechtheim in Berlin ist geschlossen. In Dessau wurden die Noldes, Kokoschkas usw. aus dem Museum gerissen und von den wackeren SA-Leuten beschmiert. Das Wort «Expressionismus» – von dem die guten Nazis so wenig wie von dem Wort «Marxismus» wissen, was es bedeutet – wird synonym mit «Bolschewismus» gebraucht. – Noch mißtrauischer ist man in der Architektur gegen moderne Bestrebungen. Das flache Dach, zum Beispiel, gilt von vornherein als eine Art Landesverrat – Gott weiß warum. Architekten wie Poelzig oder Gropius haben im Neuen Deutschland nichts mehr zu suchen, das andere «aufbauwillige» Kräfte braucht. Die Schließung des Dessauer Bauhauses war nur der Auftakt zur Vernichtung neuer architektonischer Tendenzen.

Man sieht: es wird nichts ausgelassen, wir könnten unsere bittere Liste über Tanz und Photographie bis zu Kunstgewerbe und Körperkultur fortsetzen. Kultur und Politik sollen «gleichgeschaltet» werden (um ein anderes neudeutsches Lieblingswort zu gebrauchen). Dies durchzuführen hat man ohne Frage die

Brief an Gottfried Benn

Le Lavandou, den 9. 5. 33

Lieber und verehrter Herr Doktor Benn,

erlauben Sie einem leidenschaftlichen und treuen Bewunderer Ihrer Schriften mit einer Frage zu Ihnen zu kommen, zu der ihn an sich nichts berechtigt als eben seine starke Anteilnahme an Ihrer geistigen Existenz? Ich schreibe diese Zeilen nur in der Hoffnung, daß Sie mich als verständnisvollen Leser Ihrer Arbeiten etwas legitimiert finden, eine offene Frage an Sie zu richten. – In den letzten Wochen sind mir verschiedentlich Gerüchte über Ihre Stellungnahme gegenüber den «deutschen Ereignissen» zu Ohren gekommen, die mich bestürzt hätten, wenn ich mich hätte entschließen können, ihnen Glauben zu schenken. Das wollte ich keinesfalls tun. Eine gewisse Bestätigung erfahren diese Gerüchte durch die Tatsache, die mir bekannt wird, daß Sie – eigentlich als einziger deutscher Autor, mit dem unsereins gerechnet hatte – Ihren Austritt aus der Akademie nicht erklärt haben. Was mich bei der protestantischen Frau Ricarda Huch nicht verwundert und was ich von Gerhart Hauptmann, der seine Rolle als der Hindenburg der deutschen Literatur mit einer bemerkenswerten Konsequenz zu Ende spielt, nicht anders erwartet hatte, entsetzt mich in Ihrem Falle. In welcher Gesellschaft befinden Sie sich dort? Was konnte Sie dahin bringen,

Da sind wir ja wohl beim entscheidenden Punkt. Wie gut habe ich Ihre Erbitterung gegen den Typus des «marxistischen» deutschen Literaten (fatalster Vertreter: Kracauer) immer verstanden, und wie sehr habe ich sie oft geteilt. Wie blöde und schlimm war es, wenn diese Herren in der «Frankfurter Zeitung», im «Börsencurier» oder in ihren verschiedenen «Linkskurven» Dichtungen auf ihren soziologischen Gehalt hin prüften. Das war ja wirklich zum Kotzen, und niemand hatte mehr unter

Ich habe zu Ihnen geredet, ohne daß Sie mich gefragt hatten; das ist ungehörig, ich muß noch einmal um Entschuldigung bitten. Aber Sie sollen wissen, daß Sie für mich – und einige andre – zu den sehr Wenigen gehören, die wir keinesfalls an die «andere Seite» verlieren möchten. Wer sich aber in dieser Stunde

 

Ich wäre Ihnen dankbar für jede Antwort.

Meine Adresse:

Hotel de la Tour, Sanary s.m. (VAR)

Ihr

Klaus Mann

Antwort auf die «Antwort»

Diese Äußerung ist ohne Frage die weitaus schwächste literarische Arbeit, die mir von Gottfried Benn bekannt geworden. Die neue Gesinnung mag herzerhebend sein; jedenfalls wirkt sie drückend auf das Niveau. 1914 war das meistens nicht anders. Wer da plötzlich in die patriotische Ekstase geriet, wurde ein schwacher Schriftsteller – wenigstens so lange die Ekstase dauerte. – Die noch geglückteste Stelle in Benns Artikel ist die, wo er noch einmal – zum wievielten Mal? – seine Vision des mythischen Menschen skizziert; aber eben sie ist pures Selbstziel, routiniertes Pathos, unfrisch. Wo er schlicht werden möchte und so herzhaft vom Volk, den Jahreszeiten und den einfachen Dingen spricht, ist er schon ganz vom «Völkischen Beobachter» beeinflußt, seine Stimme bibbert, er wird völlig konventionell. Andere Stellen wieder kann man nur als demagogisch bezeichnen, sie sind wirklich nicht mehr ganz anständig; ich meine vor allem die, wo er den Rundfunkhörern und den Lesern der «Deutschen Allgemeinen Zeitung» vor Augen führt, wie wir Emigranten da in

Ja, man muß es schon aussprechen: Benns Erklärung ist derart, daß es sich kaum lohnte, sie hier wiederzugeben – wenn sie nicht so ungeheuer symptomatisch wäre. Wenn es daheim so wirr und nicht mehr ganz anständig schon in den Köpfen von Rang aussieht – wie dann erst in den anderen. Behüte uns der Himmel vor diesem neuen biologischen Typ!

Benn meint, daß er meine Terminologie nicht mehr verstünde. Mich macht seine Ausdrucksweise erst recht fassungslos. Wenn einer schon so weit ist, daß er das Dritte Reich, diese höllischste Blamage einer zweitausendjährigen Geschichte, für «eine der großartigsten Realisationen des Weltgeistes überhaupt» hält – dann gibt es mit ihm wohl kaum noch eine Verständigungsmöglichkeit. Wenn man den Hitler als ein Genie bezeichnet, das sich von Napoleon nur noch dadurch unterscheidet, daß es legitim und echt volkstümlich ist, dann treibt man entweder satanische Scherze, oder aber man ist der lächerlichsten aller Massenpsychosen mit einem Radikalismus verfallen, der mir schlechthin ungesund scheint. – Wir haben all das Schöne und Große nicht miterlebt, wir können es nicht beurteilen? Was für eine Behauptung! Als ob wir nicht seit Jahren von Rundfunkrede zu Rundfunkrede mitverfolgt hätten, wie eine Horde von Wilden die Ideale schlechthin der Menschheit bedrohte. Nun ist es soweit, aus der Drohung ist Herrschaft geworden, die Barbarei ist komplett – und da verkünden diese Dichter und Denker, das Wort Barbarei habe überhaupt gar keine Bedeutung mehr, das sei novellistischer Schnickschnack – und erklären sich so mit ihr, der Barbarei selbst, identisch.

Was für Behauptungen sie aufstellen, welche Argumente sie benutzen! Dieser Scherz mit den Rund- und Spitzbogen – was soll denn das, das ist ja gar keine Parallele, erst denkt man, man liest nicht recht, wie kann man denn so was Schiefes, Sinnloses niederschreiben. – Wie platt dies alles, wie ausgeleiert, dieses

Welche Entwürdigung eines enormen Talents – ich finde, daß es erschütternd ist. Jede Pointe eine Plattheit, ein Danebenhauen. «Meinen Sie – fragt er mich aus Königswusterhausen –, sie (die Geschichte) sei in französischen Badeorten besonders tätig?» Wie er nur so tückisch fragen mag, eine rhetorische Frage nennt man das wohl, denn das fühlt doch jeder Rundfunkhörer: Nein. In den französischen Badeorten, da ist die Geschichte gewiß besonders untätig, dort schläft sie, das ist ja klar, und mit ihr die Emigranten. Das erinnert mich an den österreichischen Offizier, der während des Krieges sagte: «Eine russische Revolution? Wer soll denn die machen? Vielleicht der Herr Trotzki im Café Central?» Ja, sehen Sie, da saß die Weltgeschichte eben mal im Café Central und nicht in der Wiener Hofburg; und in dem kleinen Hotelzimmer, das Lenin in Zürich bewohnte, da saß sie doch vielleicht auch ein wenig. Hat heute das Braune Haus sie gepachtet? Man kann ja Überraschungen erleben, wo und wie sie plötzlich wirksam wird.