Inhaltsübersicht

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2015

Copyright © 2015 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Redaktion Susann Rehlein

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages

Umschlaggestaltung Hafen Werbeagentur, Hamburg

Abbildung ullstein bild - Heritage Images/Museum of London

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.

ISBN Printausgabe 978-3-499-26957-8 (1. Auflage 2015)

ISBN E-Book 978-3-644-54051-4

www.rowohlt.de

ISBN 978-3-644-54051-4

Teil I

1.

Vierzehn Stunden, sieben Minuten und 36 Sekunden vor der Explosion, die alles verändern sollte, saß Matthieu Savary in der Kantine des CERN und stocherte in seinem Kartoffelbrei.

Das Institut war eine drei Milliarden Euro teure Einrichtung, in der die Geheimnisse der Materie und des Kosmos erforscht wurden. Was man der Kantine nicht ansah. Der Raum mit den Resopaltischen wirkte weder besonders kostspielig, noch ließ er an Visionen oder gar das Weltall denken. Es roch nach Frittierfett und Putzmitteln, und die Gespräche, die dank der schlechten Akustik den großen Raum mit einem diffusen Brummen füllten, drehten sich um denkbar alltägliche Dinge.

Wenigstens Savary, während er auf seinem Teller die Möhrchen von den Erbsen trennte, dachte über die eine Sekunde nach, über den entscheidenden Moment, der das Geheimnis der Welt und des Lebens enthielt. Es war die Sekunde nach dem Urknall, die alles, was existierte, ermöglicht hatte: ihn selbst. Den weißen Arbeitskittel, den er trug. Das Essen, das vor ihm stand. Das Wasserglas, in dem die Kohlensäure vor sich hin sprudelte. Und den Nebel da draußen hinter den Kantinenfenstern, durch die man bei gutem Wetter über die Grenze hinweg bis nach Frankreich schauen konnte. Alles, wirklich alles, das komplette Universum hing von dieser einzigen Sekunde ab. Dem Moment, in dem es für einen kurzen Augenblick die perfekte Symmetrie gegeben hatte. Doch dann, dann war etwas geschehen, was diese Symmetrie aus den Fugen geraten ließ. Ein Riss, der den Beginn der Welt bedeutete.

Das Leben war im Prinzip nichts anderes als ein großer Bruch. Immer und überall. Broken symmetry, dachte er, und zog mit der Gabel eine Diagonale durch seinen Kartoffelbrei.

«Hey, Matthieu! Wann glaubst du, werden wir es endlich finden?» Aaron Singleton von der Cambridge University balancierte sein Tablett vorbei. Mit dem Kinn deutete er auf den Sticker, den er an seinem Sweatshirt trug: Hunting the Higgs!

Das Higgs jagen, ja, natürlich! Die armen Idioten, dachte Savary. Higgs-Boson, pathetisch auch das «Gottesteilchen» genannt. Alles, was die Wissenschaft über das Weltall und die Naturgesetze zu wissen glaubte, basierte auf diesem einen Elementarteilchen. Vor drei Jahren war eine Versuchsreihe gelungen, von der man annahm, dass durch sie das sogenannte Higgs-Teilchen nachweisbar sei. Seine Existenz würde das Gedankengebäude der gesamten modernen Physik bestätigen. Tausende von Wissenschaftlern waren damit beschäftigt, die riesigen Datenmengen besagter Versuchsreihe auszuwerten. Ohne Unterlass starrten sie auf ihre Monitore, um endlich die Anomalie zu finden. Ein paar von ihnen hatten in ihrer Euphorie den Medien gegenüber behauptet, man hätte das Higgs inzwischen aufgespürt, aber das stimmte nicht.

«Wäre es nicht viel spannender, wir fänden es nicht?», gab Matthieu zurück. «Dann könnten wir in der Physik noch mal ganz von vorne anfangen. Wäre das nicht großartig?» Er grinste, und Singleton wurde blass. Das Higgs-Teilchen interessierte Matthieu schon lange nicht mehr. Er hatte es bereits vor zwei Jahren gefunden. Und seinen Nachweis vorsorglich für sich behalten. War seine Entdeckung für ihn doch erst der Beginn einer Entwicklung, die heute zu ihrem Ende kommen würde. Matthieu lächelte, als er daran dachte. Singleton machte, dass er weiterkam. Lag es an seinem Humor, dass er alleine am Tisch saß, oder ahnten all die fleißigen Arbeitsbienen ringsum, dass er ein Verräter war?

Matthieu Savary war siebenundzwanzig Jahre alt und von mittlerer Statur. Sein mattes Allerweltsgesicht fiel vor allem dadurch auf, dass sich das Blau der Augen mit dem Rot seiner Haare zu beißen schien. Bleu, blanc, rouge oder einfach nur la tricolore hatten sie ihn früher auf dem Gymnasium scherzhaft genannt. Bleu, blanc, rouge, das war auch Matthieus Heimat. Er war im fünften Arrondissement von Paris aufgewachsen, hatte dort die Eliteschule Louis-le-Grand besucht und als Jahrgangsbester verlassen. Es folgte ein Studium der Physik am University College in London und der City University of New York, das er in atemberaubender Geschwindigkeit und Effizienz zu einem erfolgreichen Abschluss brachte. Bevor er am CERN angefangen hatte, lehrte er am Niels-Bohr-Institut von Kopenhagen, wo er eine Doktorarbeit über die Simulation von Elementarteilchenprozessen verfasste.

Mit anderen Worten: Savary war der Shootingstar der Szene. Ein Umstand, der ihm viele Bewunderer und ebenso viele Neider bescherte. Er genoss Privilegien, von denen der Rest des Personals nur träumen konnte: So durfte er nicht nur über ein erhebliches finanzielles Budget frei verfügen, er hatte auch uneingeschränkten Zugang zu allen Sektionen. Ein Sonderrecht, das außer ihm nur dem Generaldirektor der Organisation vorbehalten war. Das damit verbundene Prestige war Matthieu Savary ziemlich egal. Seit sein Gehirn zu denken begonnen hatte, war es ihm immer und ausschließlich um die Sache gegangen.

Zügig schaufelte er sein Essen in sich hinein. Heute Abend wäre es so weit. Er würde warten bis nach Mitternacht. Dann würde er einsteigen in ATLAS und sich hineinwerfen in ein Loch aus hochverdichteter Materie. Möglicherweise würde dieser Akt seinen Tod bedeuten. Möglicherweise würde es die größte Entdeckung der Menschheitsgeschichte werden.

Er war gespannt.

Matthieu Savary nahm einen Schluck aus seinem Wasserglas und unterdrückte einen Rülpser. Wieder sah er hinaus in den Nebel, wo sich zwischen einigen Abluftröhren die Raucher zu sammeln pflegten. Die Schweizer Luft war noch frisch in diesem April, und die Frau, die im Moment alleine dort unten stand, hatte die Arme um ihren Leib geschlungen. Sie fror – kein Wunder bei dem kurzen Rock. Ihre schlanken Beine in den Stiefeln traten auf der Stelle. Sie fiel auf, schon wegen der Kleidung, die sich abhob vom Jeans-und-Holzfällerhemd-Einerlei der Physiker, dem die wenigen Frauen, die hier arbeiteten, betont konservative Kostüme entgegensetzten. Sie nicht, bemerkte Matthieu. Sie hatte etwas von einem bunten Vogel. Ihr Blick war ziellos in die Ferne gerichtet. Matthieu bezweifelte, dass sie in dem Nebel irgendetwas von der Landschaft, ja, dass sie überhaupt irgendetwas sah. Und wieso schaute Matthieu sie jetzt schon so lange an, dass man beinahe sagen konnte, er beobachtete sie? War es die Strähne, die sich aus dem Haar gelöst hatte? Waren es ihre von der Kälte geröteten Finger? Oder lag es daran, dass sie dort so verloren herumstand, gehüllt in eine Einsamkeit, die sich, so schien es Matthieu, auch nicht auflösen würde, wenn sich um sie herum eine Menschenmenge drängte? Sie neigte sich nach vorne, um die Zigarette in dem Betonaschenbecher auszudrücken. Dann ging sie mit energischen Schritten auf die Glastür zu und verschwand.

Er bemerkte sie wieder, als sie die Kantine durchquerte. Auch hier wirkte sie wie ein Fremdkörper. Gegen seine Gewohnheit blickte er ihr nach und sah, wie sie an einem Tisch stehen blieb, um dort einen der indischen Wissenschaftler anzusprechen. Vielleicht, überlegte er, war sie eine Schreibkraft, der man die Delegation aus Neu-Delhi zugewiesen hatte. Das Englisch, das sie sprach, hatte eine stark schwyzerdütsche Färbung, und ihr Lachen klang kehlig. Nach einem kurzen Wortwechsel nahm sie das leere Essenstablett des indischen Wissenschaftlers und trug es für ihn zum Transportband. Sie bewegte sich mit provozierend wiegenden Hüften, das Tablett auf den Fingerspitzen balancierend wie eine Profikellnerin. Dabei lachte sie über die Schulter zurück zu dem Inder, der sitzen geblieben war. Eine lässige Diva, die für ihren Auftritt den Applaus entgegennahm.

Wo war sie hin, die Einsamkeit?, fragte sich Matthieu Savary. Wo war die Melancholie abgeblieben, die ihn so angezogen hatte? Er war seltsam enttäuscht. Da bemerkte er, wie die Fremde im selben Schwung, mit dem sie das Tablett an seinem Bestimmungsort absetzte, das leere Glas darauf an sich nahm und in einem Plastikbeutel verschwinden ließ. Zuerst dachte Matthieu, er sähe nicht recht. Sie wandte sich ab, schloss das Beutelchen mit einer gleitenden Bewegung und verließ zügig die Kantine. Was war sie? Kriminalpolizei? Geheimer Werkschutz? Spion? Oder einfach nur irre?

«Hey!» Savary war schon aufgestanden, um sie zur Rede zu stellen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Es war wieder Singleton, er hielt sein Funktelefon in der Hand.

«Der Generaldirektor will dich sehen. Sofort, sagt er.»

«Ja, aber …» Matthieu versuchte, über die Schulter seines Kollegen noch einen Blick auf die geheimnisvolle Frau zu werfen. Doch die war verschwunden. Verwirrt wandte Matthieu sich um.

Der Druck auf seiner Schulter wurde stärker. «Sofort, hat er gesagt.» In Singletons Gesicht spiegelte sich eine gewisse Schadenfreude.

2.

Was der Generaldirektor mit «sofort» offenbar tatsächlich gemeint hatte, war eine lange Wartezeit in seinem Vorzimmer. Hier durfte Matthieu darüber nachdenken, ob er wirklich so privilegiert war, wie er gedacht hatte, und worin seine Verfehlung womöglich bestand. Arme Sünder warten zu lassen war ein altes Hausmittel der Macht, und es funktionierte.

Ob sie etwas herausgefunden hatten? War etwa seine kleine Privatforschung aufgeflogen? Hatte irgendeine der tausend Arbeitsbienen seine Datenaufzeichnungen durchschnüffelt und war auf seine Unterschlagung gestoßen, die das CERN, das noch immer sein Higgs-Teilchen jagte, bereits mehrere Millionen Euro gekostet haben dürfte? Oder schlimmer noch: Hatten sie sein Geheimnis entdeckt? Verdammt, er war doch bloß einen Schritt – eine Nacht noch – von dem Beweis entfernt, den er brauchte. Nur noch vierundzwanzig Stunden, und er wäre kein Außenseiter mehr. Kein aus dem Ruder gelaufenes Genie, sondern … Matthieu, der in dem Vorzimmer wie ein Tier im Käfig auf und ab gelaufen war, hielt inne. Ja, was würde er dann sein? In einer ironischen Geste breitete er die Arme aus. Der Nobelpreis wäre ihm sicher. Ach was: Dieser dubiose Wissenschaftspreis aus Stockholm würde seiner Leistung nicht annähernd gerecht werden. Er wäre viel bedeutender. Matthieu Savary wäre so etwas wie der neue Messias. Das … oder tot.

«Wo sind sie denn, die Touristen aus der Zukunft?», fragte eine Stimme hinter der Tür. Matthieu erstarrte. Also doch. Es war so weit. Für einen Moment bekam er keine Luft mehr.

Es dauerte eine ganze Weile, bis er begriff, dass es eine Computerstimme war, die da sprach. Und dass er sie kannte. Natürlich, sie gehörte Stephen Hawking, dem wohl berühmtesten lebenden Physiker. Er hatte diesen Satz auf einem der letzten Kongresse geäußert, wo er seine Ansicht untermauert hatte, dass Zeitreisen in die Vergangenheit nicht möglich und solche in die Zukunft nur mit viel Aufwand zu bewerkstelligen seien. Mittels Raumschiffen, die mit Lichtgeschwindigkeit flögen. Matthieu hatte damals im Publikum gesessen und keinen Mucks von sich gegeben. Und er hatte gelächelt. Stephen Hawking. Der Mann im Rollstuhl war nichts anderes als ein Scharlatan. Eitel und im Grunde zutiefst unwissend.

Jetzt trat Matthieu näher an die Tür. Nach einer Weile atmete er erleichtert auf. Es war, wie er es sich gedacht hatte: Der Generaldirektor spielte eine Aufzeichnung ab, nichts weiter. Matthieu hörte auch den Rest von Hawkings Vortrag. Dann klickte es. Jemand hatte die Aufzeichnung ausgeschaltet.

«Sie können das Material gerne für die Ausstellung haben.» Es war die Stimme des Generaldirektors, Doktor Doktor Leon Carl Rodriguez.

Eine Frauenstimme antwortete ihm: «Danke. Hawking kommt immer gut an. Die Leute lieben ihn.»

Unwillkürlich schob Matthieu die Tür auf. Er erwartete ein kehliges Lachen, einsame Augen und einen kurzen Rock. Die aparte Gestalt der Unbekannten aus der Kantine.

Stattdessen schaute ihn eine junge Frau an, die ein wenig zu viel auf den Hüften hatte. Ein dicker Bauernzopf aus dunklem Haar war um ihren Kopf geschlungen. Ihr Blick war so offen und neugierig, dass er schon beinahe aufdringlich wirkte. Der Generaldirektor unterbrach seine Rede und hob seinen Blick aus dem Ausschnitt einer in der Tat gutgefüllten Bluse. Rodriguez strich sich über den Schnurbart, der so jettschwarz war wie seine Haare. Er hätte das Ebenbild eines Hidalgo sein können, eines stolzen spanischen Ritters. Dazu fehlten ihm allerdings etwa dreißig Zentimeter Lufthoheit und eine gewisse Schärfe der Gesichtszüge. Auch war das Weiß seiner Augen unangenehm gelblich. «Ah, da kommt ja unser Genie», rief Rodriguez ohne die geringste Wärme in der Stimme. «Frau Doktor Freitag, darf ich Ihnen Monsieur Savary vorstellen?»

Die Angesprochene hielt ihm ihre Hand hin. Er trat auf sie zu und deutete einen Handkuss an. «Tut mir leid, dass ich einfach so hereingeplatzt bin.» Linkisch zog sie ihre Rechte zurück.

«Frau Doktor Karoline Freitag», fuhr der Generaldirektor fort, «ist die Kuratorin der Ausstellung, die demnächst in unseren Räumen zu sehen sein wird. ‹Zeitreise durch den Kosmos›, heißt sie nicht so?», wandte er sich an die Historikerin und fügte dann für Matthieu hinzu: «Etwas für Laien.»

Sie öffnete den Mund, überlegte es sich dann aber offenbar anders. Der Generaldirektor genoss die allgemeine Verlegenheit. «Ja, genau», rief er dann plötzlich und schnippte mit den Fingern. «Monsieur Savary sollte Ihnen den Tafelanschrieb entwerfen. So etwas kann er.» Mit einem Lächeln wandte er sich an Matthieu. «Frau Doktor Freitag dachte an eine altmodische Schultafel, wo jemand mit Kreide eine Zeitlinie aufmalt und alle wichtigen Daten markiert, vom Urknall über die Entstehung der Materie bis zu den Dinosauriern und schließlich zu uns.» Der Generaldirektor unterstrich das Gesagte mit großen Gesten. Beim ‹Uns› nahm er Haltung an, als wäre er selbst das Ziel aller kosmischen Entwicklung gewesen.

Jetzt sagte die junge Frau doch etwas: «Ich dachte eigentlich an ein Video, projiziert auf eine Großleinwand in der Eingangshalle, wo ein Wissenschaftler zu sehen ist, der genau dieses Kreidemodell entwirft. Anschließend wird es dann per Computer animiert. Auf diese Weise bekommt die ganze Sache ein Eigenleben. Alles wird anschaulicher.»

Der Generaldirektor machte ein verständnisloses Gesicht. «Die Dinos fressen dann wohl die Quarks, oder was?», sagte er.

Karoline Freitag war beleidigt.

«Nun, Savary, wäre das nichts für Sie?» Rodriguez lächelte wieder.

«Ehrlich gesagt, ich fühle mich für so etwas nicht qualifiziert», antwortete Matthieu.

Karoline Freitag klappte ihre Aktenmappe zu. Sie klopfte kurz darauf, wie um sich zu versichern, dass sie alles eingepackt hatte. «Ich störe Sie dann nicht weiter», stellte sie knapp fest und verließ den Raum.

Der Generaldirektor neigte den Kopf und schaute ihr nach. Erst jetzt bemerkte Matthieu, dass ihre Jeans in Gummistiefeln steckten. «Dass die jungen Frauen heutzutage keine Röcke mehr tragen …» Der Generaldirektor formte den Umriss ihrer Hüften mit den Händen nach und schnalzte dabei mit der Zunge. «Sie als Franzose müssen das doch sicher bedauern.»

Matthieu enthielt sich eines Kommentars.

Sein Chef betrachtete ihn. Schlagartig war der freundliche Nachglanz auf seinem Gesicht verschwunden. «Die Stunde der Wahrheit, Savary. Lassen Sie uns Tacheles reden.»

Matthieu hätte am liebsten die Augen geschlossen. Doch er blinzelte nicht einmal.

3.

Der Generaldirektor wanderte um seinen Schreibtisch, bis er an einem Bürosessel aus Schweinsleder angekommen war. Nun wandte er sich Savary zu. Der erwartete, dass sich sein Gegenüber im nächsten Moment setzte. Doch das tat Rodriguez nicht. Er stand einfach da und sah dem angeblich genialsten Wissenschaftler seines Instituts unverwandt in die Augen. Dabei atmete er hörbar. Langsam und tief. Matthieu wurde unruhig, sein Blick begann zu flackern.

«Haben Sie mir vielleicht etwas zu sagen, Savary?», fragte der Generaldirektor in ruhigem Ton, dem plötzlich etwas Väterliches anhaftete.

Eigentlich nicht, dachte Matthieu, in dessen Kopf sich die Hypothesen überschlugen, was denn genau der Anstaltsleiter von ihm hören wollte.

Der Generaldirektor ließ sich geräuschvoll in die Sitzgelegenheit fallen. Matthieu erkannte ein Lächeln auf den Lippen des Vorgesetzten. Siegessicher und arrogant. Was hatte Rodriguez gegen ihn in der Hand?

«Nun denn …» Rodriguez zog eine Schublade heraus. Er entnahm ihr einen Hefter, den er aufblätterte, bis er an eine bestimmte Stelle gekommen war. Dann sah er Matthieu über die Seiten hinweg an. Mit einem Blick, der sagen wollte: Jetzt hast du noch die Chance auf ein freies Geständnis. Doch wenn ich anfange zu lesen, ist es zu spät.

Matthieu rührte sich nicht.

Der Generaldirektor las vor: «Eine Mikrowasserpumpanlage, 32000 Euro. Eine gasdichte Folie aus Neopren, acht Quadratmeter, 4000 Euro. Ein weltraumtaugliches Druckausgleichsgerät, 70000 Euro. Fasergewebe aus feuerfestem Aramid, 20000 Euro. Und jetzt kommt’s: ein Titanschild der NASA, das selbst gegen Mikrometeoriteneinschläge eine Resistenz von 99 Prozent aufweist, 2,4 Millionen Euro!» Rodriguez’ Handfläche klatschte auf den Tisch. Gleichzeitig flog der Hefter durch die Luft, prallte an Matthieus Brust ab und fiel zu Boden. «Was zum Teufel läuft hier, Savary?»

«Moment», antwortete Savary und bückte sich nach dem Papierbündel. Jetzt hieß es Zeit gewinnen. Dazu war jedes Mittel recht.

«Verarschen Sie mich nicht! Ich bin vielleicht kein solches Genie wie Sie, aber deswegen bin ich noch lange nicht bescheuert! Und eines weiß ich: Die Sachen, die da bestellt worden sind, haben nichts, aber auch gar nichts, mit den Forschungen hier am CERN zu tun!»

Matthieu richtete sich wieder auf. Behutsam strich er über die zerknitterten Seiten. Aaron Singleton, fuhr es ihm durch den Kopf. Er musste dem Chef die Listen gegeben haben. Ruhig sah er Rodriguez in die Augen. Wenn er jetzt nicht reagierte, dann würde sein Kartenhaus zusammenfallen. Er räusperte sich. «Das Gegenteil ist der Fall, Herr Generaldirektor. Die von mir georderten Spezialgeräte und Materialien sind ausschließlich für eine Modifikation von ALICE vorgesehen. Wie Sie wissen, konzentriert sich das Institut beinahe nur noch auf ATLAS, was den Nachweis von Higgs-Boson angeht. Ausgehend von der Annahme, dass es unbedingt eine Kollision von Protonen sein muss, bei der das Higgs-Teilchen zutage tritt. Nun gehöre ich zu den Menschen, die auch scheinbar unumstößliche Theorien anzweifeln, und darüber hinaus bin ich – wie Sie wissen – bekannt dafür, dass meine alternativen Lösungsansätze zum Erfolg führen. Ich habe die Theorie entwickelt, dass auch bei einer Kollision von schweren Teilchen, zum Beispiel Blei-Kernen, das Higgs nachweisbar sein kann. Dazu bedarf es allerdings einiger Veränderungen im Detektorraum ALICE. Hierfür sind die Komponenten vorgesehen, die auf dieser Einkaufsliste aufgeführt sind. Und noch ein Wort zu dem Titanschild, wenn Sie erlauben.» Matthieu legte eine Kunstpause ein. «Sie wissen doch selbst, Señor Rodriguez, dass bei einer Kollision schwerster Teilchen mit quasi Lichtgeschwindigkeit Kräfte freigesetzt werden, die denen von Meteoriteneinschlägen gleichen. Erinnern Sie sich bitte an den Vorfall von 2008. Hätten wir damals schon die Detektorkammern mit einem Titanschild versehen, dann wäre es vermutlich nicht zu einer Entzündung des Heliums gekommen. Über die Kosten, die dieser Unfall verursacht hat, will ich gar nicht reden. Im Vergleich hierzu sind die 2,4 Millionen Euro, die Sie zitieren, doch Peanuts!» Matthieu lehnte sich zurück.

Doktor Doktor Leon Carl Rodriguez dachte nach. Man sah, dass er an dem kaute, was Matthieu gesagt hatte. Als nach zehn Sekunden der Generaldirektor immer noch schwieg, wusste Matthieu, dass er gewonnen hatte.

4.

Es war fünf Uhr nachmittags, und Karoline Freitag hockte in einem Erdloch. Sie starrte hinauf zu der Höhe, die es zu erobern galt. Sie fror. Der verdammte Nebel kroch in alle Kleider, und ihre Fußlappen waren bereits nass. Sie packte den Fichtenspieß fester, den sie selbst geschlagen hatte, und dachte an Rodriguez und diesen arroganten französischen Physiker, der erklärt hatte, er fühle sich für eine Zusammenarbeit mit ihr «nicht qualifiziert». Diese Mistkerle! Dachten, sie könnten sie demütigen. Hielten sich für den Nabel der Welt. Hatten von nichts eine Ahnung. Die Wut hielt sie warm. Ihre Fingernägel waren eingerissen und schwarz vor Schmutz, das Haar hing ihr wirr in die Stirn. Über der Anhöhe zeigten sich die ersten Banner. Sie hörte Pferde wiehern. Die Trommeln setzten ein. Karolines Herz klopfte schneller, als sich die Umrisse der Helme zeigten. Sie spürte, was Hass bedeutete. Sie fühlte, in allen Gliedern, was es hieß, sich selbst zu verlieren.

Hinter ihr kam das Kommando: «Stürmt!»

Karoline riss den Mund auf und brüllte: «Raaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!!!!!» Sie achtete nicht auf den schlammigen Grund. Große Feldsteine, egal. Sie sah nur die Männer. Und dem ersten, der sich ihr entgegenstellte, hieb sie den Speer quer übers Gesicht.

 

Eine Stunde später war alles vorbei. Der Leiter ihrer Gruppe ging mit einer Thermoskanne herum. «Sehr gut», lobte er, «faszinierend.» Vor Karoline blieb er stehen. Sie sah zu ihm auf. Voller Schlamm, erschöpft, aber glücklich. Er grinste. «Die Speere taugen eben doch zum Angriff, was?» Womit sie ihre These bewiesen hätten: Nach Abschuss der Pfeile waren die Bogenschützen nicht wehrlos. Sie blieben nicht hinter den im Boden steckenden Stangen in Deckung, um sich vor der Kavallerie zu schützen. Sie nahmen die Dinger und wurden Teil des kämpfenden Fußvolkes. Man musste mit ihnen rechnen. «Verdammt, ja!»

Karoline zeigte ihm den hochgereckten Daumen. Sie wusste, es würde wenige Menschen auf der Welt geben, die ihre Begeisterung teilten. Wie viele Historiker beschäftigten sich schon mit der Dynamik von Schlachten, wie etwa der von Azincourt, wo einfache Bogenschützen ein Ritterheer besiegten? Die meisten Geschichtswissenschaftler studierten entweder die Quellen oder schrieben bei ihren Kollegen ab. Die wenigsten machten sich vor Ort die Füße schmutzig. Und keiner, da war Karoline sich sicher, hatte je ausprobiert, wie es war, in einer mittelalterlichen Schlachtreihe zu stehen, mit nichts als Filzkleidern am Leib und einer hölzernen Waffe in der Hand, wenn ein Schlachtross auf einen zu donnerte. Aber wie wollte man die Geschichte verstehen, wenn man nicht wusste, wie sie sich anfühlte? Sie hatte einmal Kollegen gegenüber die Bemerkung gemacht, dass jeder Historiker, der sich nicht wünsche, bei einem Aufmarsch der SA dabei gewesen zu sein, um die Dynamik am eigenen Leib zu spüren, seinen Titel nicht wert sei. Das hatte sie die Privatdozentur an der Freien Universität Berlin gekostet. Aber Karoline stand dazu. Sie pustete auf ihren Kaffee und leckte sich das Blut vom Zahnfleisch. Was ein Duell war, das fand man nicht mit Larp-Waffen heraus.

«Hey, Thomas», hörte sie ihren Kollegen hinter sich. «Ist das etwa Thermo-Unterwäsche? Runter damit, aber schnell. Du kennst die Regeln.»

Der ertappte Sünder stand unter dem fröhlichen Spott seiner Kollegen auf und ging an einen Feldstein, pissen. Es dampfte, er bekam Applaus dafür. Nieselregen setzte ein.

Karoline schaute hinunter. Dorthin, wo Meyrin und das CERN liegen mussten. Andere Welten, wie aus der Zeit gefallen. So sauber, klinisch, steril. Es schüttelte sie. Einen Moment lang stellte sie sich vor, wie sie ihre Lanze nahm und diesen Savary damit samt seinem Computermonitor aufspießte. Vom Leben keine Ahnung, dachte sie, aber die ganze Welt erklären wollen. Sie beschloss, unbedingt ihn die Zeichnung für ihre Videoanimation anfertigen lassen. Und sie würde ihn dabei quälen.

Thomas klatschte in die Hände. «Jetzt, wo mein Arsch in der Schweizer Luft hängt», rief er, «machen wir einen zweiten Durchgang, oder wie sieht’s aus?»

Sie griffen zu ihren Waffen.

 

Später im Zelt gingen sie die Videodokumentation durch. Das hier war nicht Azincourt, aber sie hatten ein vergleichbar ansteigendes Gelände gewählt und die Breite des Feldes durch Absperrungen festgelegt. Es gehörte einem Biobauern, der zum Glück aufgeschlossen für ihre Unternehmung war. Bereitwillig hatte er das Gelände in einer Tiefe gepflügt, von der sie aufgrund ihrer Forschungen annahmen, dass sie der Furchentiefe einer spätmittelalterlichen Wintersaat entsprach. Den Rest hatte das Schweizer Regenwetter unternommen. Bis an die Knie hatten sie im Matsch gestanden. Karoline war dankbar gewesen, dass sie keinen der Ritter hatte darstellen müssen. Es musste klaustrophobisch gewesen sein, in voller Rüstung dort festzustecken.

Um Mitternacht brannte vor dem Zelt ein Lagerfeuer. Es gab selbstgebrautes Bier und Met. Ein Spanferkel drehte sich am Spieß. Wer gekämpft hatte, der durfte auch feiern.

5.

Die grünen Leuchtziffern seiner Armbanduhr zeigten 2:37. Matthieu schloss die Tür des Kontrollraums und wartete, bis alle Neonröhren brannten. Dann ging er nach vorne zur zentralen Steuerungseinheit und drückte den Hauptschalter. Das Computersystem fuhr hoch, die Bildschirme schalteten sich einer nach dem anderen ein, an den Decken, den Wänden und bei den kleineren Kontrolleinheiten auf den Tischen. Der große Monitor in der Mitte zeigte den Large Hadron Collider aus der Vogelperspektive. Das Plasmalicht der einzelnen Bereiche strahlte in einem friedlichen, tiefen Blau. Innerhalb der nächsten Stunden würde die Anzeige des Systems alle möglichen Farben annehmen, das Attribut «friedlich» würde auf keine von ihnen zutreffen. Matthieu ließ seinen Blick über die vier Detektorkammern des ringförmigen Beschleunigertunnels wandern. Schließlich fokussierte er einen Raum namens ATLAS. Er zog den weißen Arbeitskittel aus, faltete ihn sorgfältig zusammen. Während er sich setzte, legte er den Kittel auf einem Stuhl ab. Matthieu loggte sich in den Zentralrechner ein und nahm die Einstellungen für die Protoneninjektion vor. Als er das Feld erreichte, das die Aufprallgeschwindigkeit der Elementarteilchen abfragte, gab er 127 ein, gefolgt von einem Komma. Für einen Moment hob er die Finger von der Tastatur. Das, was jetzt kam, war das, was ihn von all seinen Kollegen unterschied. Eine Zahl, so undenkbar für die einen, so einfach und simpel für ihn. Was jetzt kam, das war der Quantensprung im Denken. Etwas, wozu den anderen Wissenschaftlern die Fähigkeit und der Mut fehlten.

Matthieu legte seinen rechten Zeigefinger auf die Taste π. Dann drückte er auf Enter. Auf der großen Anzeigetafel blinkte das Wort «Injection».

Matthieu sprang auf, rannte zur Haupttür für die Sicherheitsschleusen und tippte in rasender Geschwindigkeit den Zugangscode ein.

Die Ziffern seiner Uhr zeigten 2:54.

***

Hannah Rüthli brachte das Außer-Betrieb-Schild an und versperrte die Tür des Waschraumes von innen. Dann zog sie einen der Müllbehälter zu sich, drehte ihn um, stieg darauf und machte sich daran, das Lüftungsgitter vom Schacht zu heben. Das Plastik quietschte über die Kacheln. Sie musste ihr Gleichgewicht neu tarieren, doch sie fiel nicht. Hannah hatte die Beweglichkeit einer Katze. Mit einer Kletterwand daheim in ihrem Loft sorgte sie dafür, dass es so blieb. Aus der Röhre holte sie ihren Rucksack. Daraus ihre Arbeitskleidung. Sie tauschte Minirock und Stiefel gegen einen schwarzen Sweater, Turnschuhe und eine Jeans. In den Bund steckte sie nach kurzem Check ihre Pistole, eine HK P 2000. Sie konnte damit umgehen. Doch wenn alles lief, wie es sollte, würde sie die Waffe nicht brauchen. Bei keinem ihrer bisherigen Aufträge hatte Hannah von der Schusswaffe Gebrauch gemacht. Es war schlicht nie jemand da gewesen, der sie hätte aufhalten wollen.

Hannah plante genau. Sehr genau. In der Lüftungsöffnung befand sich ein Sicherheitsanzug des CERN, den sie überzog. Auch die Kapuze verschloss sie, bis von ihrem Gesicht nur noch Augen, Nase und Mund zu sehen waren. Es ging Hannah nicht um Sicherheit gegen Strahlen. Sie wollte vor allem nicht erkannt werden, falls sie zu dieser späten Stunde wider Erwarten doch jemandem begegnen sollte. Sie hatte den Betrieb nun zwei Wochen beobachtet. Immer wieder gab es Nachteulen, die in ihren Büros durcharbeiteten. Damit musste sie rechnen.

Im Spiegel warf Hannah der fremdartigen Gestalt, zu der sie geworden war, einen flüchtigen Blick zu. Auf dem Namensschild am Anzug stand «Taylor». Wer immer das war.

Ein letztes Mal stieg sie auf ihre Behelfsleiter und griff in den Schacht. Diesmal zog sie eine Plastiktüte mit einem gebrauchten Trinkglas heraus, dazu Klebestreifen und einen Latex-Handschuh.

Hannah schaute auf ihre Armbanduhr.

***

Matthieu betrat den Tunnel des Teilchenbeschleunigers, in dessen Mitte sich das eigentliche Herzstück der Anlage befand. In einem blau lackierten Metallrohr, das im Umfang etwas größer als ein gewöhnliches Abwasserrohr war, wurden die Protonen gegenläufig auf quasi Lichtgeschwindigkeit gebracht, um sie dann in den Detektorkammern kollidieren zu lassen. Der Tunnel selbst maß eine Strecke von knapp 27 Kilometern. Matthieu hatte den nächstliegenden Einstiegspunkt zu ATLAS gewählt. Trotzdem würde er noch eine Wegstrecke von neun Kilometern zurücklegen müssen. Die Kammer ALICE lag mit einer Entfernung von viereinhalb Kilometern wesentlich näher und wäre die weitaus praktikablere Lösung gewesen. Doch in ALICE war es unmöglich gewesen, ein stabiles Schwarzes Loch zu erzeugen. Matthieu hatte den Versuch nach Testreihe vier aufgegeben.

Er griff nach dem Lenker des Rennrads, das er hier vor wenigen Stunden mit der nötigen Ausrüstung bestückt hatte, und trat in die Pedale. In 19 Minuten würde die Kollision in der Detektorkammer erfolgen. Er musste schnell sein.

Verdammt schnell.

***

Vorsichtig, ganz vorsichtig, stellte Hannah das Glas auf die Ablage des Waschbeckens. Das Klirren hallte in dem gekachelten Raum. Sie zog die Sicherungsstreifen vom ersten der fünf Klebestreifen und ging in die Knie. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete sie die Oberfläche des Glases. Als sie den Daumenabdruck gefunden hatte, brachte sie konzentriert den Klebestreifen darüber an, drückte ihn fest und wartete. Kein übermäßiger Druck, hatte der Mann ihr erklärt, der ihr diese Technik beigebracht hatte. Sonst würden die Abdrücke der Papillen verfälscht. Und kein Zittern. Aber das war beim Knacken eines Tresors oder beim Außer-Gefecht-Setzen einer Alarmanlage nicht anders. Man durfte keine Nerven zeigen. Noch besser, man hatte gar keine. Diese seltsame Kaltblütigkeit, die Hannah auszeichnete, war schon ihrem ersten Mentor aufgefallen. Damals, in der Gang, als sie noch eines von vielen Straßenkindern gewesen war. Diese kalte Ruhe hatte ihn veranlasst, sie zu sich zu holen und auszubilden. Als Hannah sicher war, den Abdruck ganz bedeckt zu haben, und sie keine Luft mehr unter dem dünnen Plastik entdecken konnte, pulte sie die Ecke des Klebestreifens wieder hoch und zog an. Der Streifen riss am Rand leicht ein. Hannah fluchte. Es gab nur den einen Versuch. Ein Schweißtropfen rann über ihre Stirn. Es wäre vermutlich klüger gewesen, die Kapuze des Schutzanzuges erst ganz zum Schluss aufzusetzen. Jetzt war es zu spät. Sie biss sich auf die Lippen und zog. Endlich, mit einem kaum hörbaren Geräusch, löste der Klebestreifen sich vom Glas. Hannah hielt ihn hoch. Ein perfekter Abdruck. Sie lächelte. Nun musste sie ihn nur noch auf den Handschuh applizieren, dessen eine Fingerkuppe sie schon vorbehandelt hatte. Damit würde sie an jedem Scanner auf ihrem Weg vorbeikommen.

Es konnte alles so einfach sein.

***

Matthieu sprang vom Rad, riss die beiden Satteltaschen vom Gepäckträger und rannte die stählerne Treppe hinauf. Hektisch, aber dennoch konzentriert gab er einen zwölfstelligen Code in das Türöffnungssystem ein, dann hielt er seinen linken Daumen an den Scanner.

ATLAS war im Prinzip nichts anderes als ein zwanzig Meter langer Zylinder, der mit 15000 Mikropixeldetektoren und 50 Millionen Sensoren ausgekachelt war, die während eines sekundenlangen Aufpralls von Elementarteilchen zig Millionen von Bildern zu schießen hatten. Die riesigen Datenmengen, die die Rechner des CERN in dieser einen Sekunde aufzeichneten, bildeten letztendlich das Rohmaterial, das über Jahre hinweg von Tausenden Mitarbeitern einer peinlich genauen Sichtung unterzogen wurde. In ihren engen Büros hockten sich die CERNler den Hintern platt und taten dabei so, als wäre die staubtrockene Arbeit der Diagrammauswertung eine verwegene Unternehmung. Zu «Jägern des Higgs» hatten sie sich selbst erklärt, um der ganzen Angelegenheit einen Anstrich von Abenteuer zu geben. Vermutlich war eine solche Sichtweise notwendig, damit die Forscher bei ihrer stinklangweiligen Tätigkeit nicht ins Koma fielen.

 

Die Tür der Detektorkammer öffnete sich lautlos. Matthieu lächelte. Nachdem er den Raum betreten hatte, entnahm er den Satteltaschen einen Koffer und einen Schutzanzug, den er während der letzten Jahre selbst angefertigt hatte. Neben dem portablen Kristallaggregat, das für die Rückreise benötigt wurde, war der Spezialanzug eine der größten Herausforderungen gewesen. Er musste nämlich gleichzeitig radioaktiver Strahlung, extremer Kälte und starken Magnetfeldern trotzen. Matthieu zog den Anzug an, klappte das Helmvisier aus Titanglas herunter. Dann umfasste er den Henkel des Koffers. Als er die Mitte des Raumes erreicht hatte, sagte er: «127,π Gigaelektronenvolt.» Und dann, als plötzlich in der Luft ein kleiner schwarzer Punkt erschien: «Das Geheimnis der Welt und allen Lebens in einer einzigen Sekunde.»

Der schwarze Punkt wurde größer.

6.

Die Explosion erfolgte unterirdisch. Niemand sah, wie die Flammen sich den Korridor entlangfraßen. Brüllend blähten sie sich auf, um gleich danach in sich zusammenzufallen. Zurück blieben Asche und Gestank. Es regnete Metall, Monitore platzten. Die Kameras, die begonnen hatten, ihre Aufnahmen zu den Rechnern zu senden, schmolzen zusammen, und der Schaumregen der automatischen Löschsysteme setzte ein.

Oben in den leeren Büros bebte nur der Boden. Kaffeetassen rutschten von ihren Ablagen und zerschellten. Bilder fielen von den Wänden. Im Erdgeschoss des Ostflügels zerbrachen mehrere Scheiben. Erst mit der Aktivierung der Warnanlagen setzte auch oberirdisch das Chaos ein: Sirenen röhrten, Blinklichter rotierten, Tore schlossen sich krachend und vollautomatisch. Funkrufe, von Computern ausgesandt, knisterten durch die Leitungen. Bei allen Feuerwehren und Polizeistationen der Umgebung klingelten die Telefone. Und wenig später flackerte es blau auf den Straßen.

 

In einem Computerraum in London hob Sadie Fletcher ihr Handy ans Ohr. «Ja», meldete sie sich knapp.

«Explosion im CERN, LHC, Sektor 42», hörte sie die technisch verfremdete Stimme sagen.

«Unser Mann?», wollte sie wissen.

«Sieht so aus.»

Sadie Fletcher überlegte. «Holen Sie ihn raus», sagte sie dann.

«Könnte schwierig werden. Er ist mittendrin. Als wir sein Handy zuletzt geortet haben, war er im Tunnel.»

«Holen Sie ihn.» Sadie Fletcher fügte ihrem Befehl nichts hinzu.

 

«Und?», fragte eine tiefe Stimme hinter ihr. Eine aromatische Rauchwolke stieg auf. Pfeife. Robert McConnell, Scottish Blend.

Sie wandte sich nicht um nach dem Mann, der dort im Nadelstreifenanzug stand. «Wie es aussieht», sagte sie, «hat er es geschafft.»

***

Als es knallte und der Rauch unter der Tür hindurchquoll, fuhr Hannah Rüthli herum und zog ihre Pistole. Die Luft wurde plötzlich stickig, das Knistern kam näher. Einen Moment lang zögerte sie, dann wandte sie sich wieder dem Plutonium-Kondensator zu. Schnell griff sie sich den Gegenstand und packte ihn in ihren Rucksack. Sie steckte ihre Waffe zurück in das Holster. Etwas lief nicht nach Plan. Sie musste sich beeilen.

Niemand hatte gesehen, wie sie das Glas stahl. Niemand hatte sie im Waschraum bei ihren Vorbereitungen beobachtet. Kein Mensch hatte Hannah zum Large Hadron Collider kommen sehen, und es würde auch keine Spur von ihr zurückbleiben. Die Kameras auf ihrem Weg hatte sie erfolgreich ausgeschaltet, eine nach der anderen. Nichts würde bleiben als ein Gerücht. Jetzt galt es nur noch, unbemerkt wieder zu entkommen. Normalerweise gelang ihr das. Hannahs Raubzüge fanden leise statt. Manchmal sogar, ohne dass der Betroffene sie je bemerkte. Absolute Diskretion, das war ihr Markenzeichen. Und ihre Auftraggeber verließen sich darauf.

 

Die Verwüstung, auf die sie draußen traf, beunruhigte Hannah. Das war nicht ihr Stil. Einen Moment lang fragte sie sich, welchen Fehler sie gemacht hatte. Ihr Herz schlug schneller. Wie war es möglich gewesen, dass ihr Eindringen den Alarm ausgelöst hatte? An welcher Stelle hatte sie versagt? Sie analysierte die Situation und zwang sich, durchzuatmen. Das hier war nicht ihr Werk. Konnte es nicht sein. Doch jetzt musste sie das Durcheinander für sich nutzen. Entscheidend war, dass sie hier rauskam, bevor die Polizei eintraf. Sie zog die Riemen des Rucksacks fest und setzte sich in Bewegung. Sie war topfit, durchtrainiert und bereit, die Kilometer bis zum nächsten Ausstieg in vollem Lauf zurückzulegen. Sie blickte in den Löschnebel und überlegte, welche Richtung sie nehmen sollte, als sie plötzlich die Umrisse eines Menschen erkannte. Es war ein Mann. Er kam auf sie zu getaumelt und streckte die Arme nach ihr aus. Alarmiert trat Hannah einen Schritt zurück. Der Mann stolperte, stürzte zu Boden. Regungslos blieb er auf dem Rücken liegen. Hannah ging zu ihm. Seine Augen waren aufgerissen. Unnatürlich blau leuchteten sie in dem verbrannten Gesicht.

Sie versuchte, seinen Zustand abzuschätzen. Seine Kleidung hing in Fetzen, von den Haaren waren nur noch Borsten übrig, aus einem Ohr floss Blut. Hannah spürte das Zucken in ihren Füßen. Das hier war nicht ihre Angelegenheit. Sie hatte einen Auftrag, und sie musste zum Treffpunkt. Die Ware abgeben. Das Geld kassieren. Zurückkehren in ihren Unterschlupf. Der Mann würde vielleicht sterben. Seine Lippen bewegten sich. Er versuchte, etwas zu sagen. Sie musste gehen. Jede weitere Sekunde, die sie hier herumstand, würde die Sache unnötig verkomplizieren. «Scheiße, verdammt!» Was sollte sie tun?

Noch einmal sah sie ihm in die Augen. Dann hockte sie sich neben ihm hin.

***

Matthieu konnte es nicht glauben. Sie war es. Die schöne Unbekannte aus der Kantine. Er sah sie rauchen. Er sah sie lachen. «Du», sagte er. Seine Finger tasteten ihr entgegen. Er fühlte Kunststoff, fühlte Metall. Ein Namensschild auf ihrem Schutzanzug. Er klammerte sich daran fest. «Du», wiederholte er. «Du …»

***

Hannah Rüthli sprang erschrocken auf. Sie erinnerte sich an einen anderen Menschen, an einem anderen Ort, der sich so an sie geklammert hatte. Panisch riss sie sich los. Das Schild blieb in seiner Hand. Egal. Ihr richtiger Name stand sowieso nicht drauf. Sie rannte los, schaute nicht mehr zurück. Trotzdem sah sie es noch vor sich. Die Hand, die sich nach ihr ausgestreckt hatte. Die Hand, die nach verbrannter Haut roch. «Du!», hatte er geflüstert. Er hatte nach ihr gerufen. Das war mehr, als sie ertrug.

Nein, nein und verdammt noch mal nein!, schrie sie innerlich. Ich bin es nicht! Ich bin nicht die, die du meinst! Schon längst nicht mehr.

Hannah rannte, als ginge es um ihr Leben.

7.

Frau Doktor Freitag, mein Gott, wie sehen Sie denn aus?» Trotz des allgemeinen Chaos hielt der Generaldirektor einen Moment inne. «Waren Sie etwa zusammen mit diesem Savary dort unten?»

«Wie, was? Nein.» Karoline wischte mit den Händen über ihre schlammverkrustete Filzkleidung. Die tapferen Kämpfer auf der Hochebene hatten in Decken gewickelt um ihre Lagerfeuer gelegen, als die Explosion im Tal sie geweckt hatte. Karoline war aufgesprungen, als die Sirenen einsetzten und sich abzeichnete, dass alle Rettungskräfte der Umgebung eine Sternfahrt zum CERN unternahmen. Mit Hilfe einer Fackel hatte sie den Weg ins Tal gefunden. «Meine Ausstellung!», rief sie atemlos. «Meine Exponate. Die Tonbänder!» Dann hielt sie inne. «Wieso Savary?»

Rodriguez hob die Hände. «Wer sonst könnte so eine Katastrophe anrichten? Dieser Vollidiot!» Im nächsten Moment wandte er sich einem der Feuerwehroffiziere zu.

Savary, dachte Karoline und konnte ein Gefühl der Genugtuung nicht unterdrücken. Jetzt hatte er mehr Ärger am Hals, als bloß ein Video für Laien zu drehen. Geschah ihm recht. Sie blieb stehen, als sie an seinem Büro vorbeikam. Er residierte gar nicht so weit weg von ihr. Allerdings hatte er eine der Waben mit eigenem Waschraum. Karoline beschloss, sich dort den schlimmsten Schmutz abzuwaschen, ehe sie in ihr eigenes kleines Kabuff ging. Momentan würde er wohl kaum dagegen protestieren können. Sie machte das Licht an. Ordentlich sah es nicht aus in der Höhle des Genies. Überall lose Blätter und Grafiken, tonnenweise Skizzen und Staub. Das papierlose Büro war wohl auch in der Welt der kosmischen Physik noch Zukunftsmusik. Aber immerhin hatte die Explosion nicht allzu viel Schaden angerichtet. Sie musste unten in den «Eingeweiden» stattgefunden haben, wie sie die unterirdische Anlage bei sich selbst nannte. Sie hatte dort keinen Zugang. Nirgendwo, wo ein Finger- oder Iris-Scan nötig war. Sie war Fußvolk, weiter nichts. Karoline entdeckte einen altmodischen Plattenspieler, der sich noch drehte. Neugierig setzte sie den Tonarm auf. Die ersten Takte von Mussorgskys «Bilder einer Ausstellung» erklangen. Es war eine Klavierversion. Eine ganz hervorragende, wie sie zugeben musste. Den Anschlag erkannte sie schon nach wenigen Tönen. Trotzdem nahm sie die Plattenhülle in die Hand. Dort stand, wie sie es sich gedacht hatte, «Jonathan Silver». Der gab übermorgen in Sydney eines seiner raren Konzerte. Ihre in Berlin lebende Schwester hatte sie eingeladen, sich das zusammen live im Fernsehen anzuschauen. Karoline hatte sich herausgeredet.

Im selben Augenblick bemerkte sie, dass der Computer eingeschaltet war. Sie suchte die Maus unter all dem Müll, fand sie und klickte den Bildschirm an. «Eine neue Nachricht», stellte sie fest. Von Matthieu Savary an sich selbst, gesendet von seinem Handy vor knapp einer Stunde. Eine Stunde! Karoline erstarrte. Das musste kurz vor dem Unfall gewesen sein. Das konnte wichtig sein. Vielleicht hatte Matthieu eine Versuchsanordnung dokumentiert, bei der dann etwas schiefgelaufen war. Vielleicht ließ sich so alles nachvollziehen. Einen Moment erwog sie sogar, dass es ein Bekennervideo sein könnte, in dem das Genie des CERN gestand, warum es die eigene Forschungsanlage sabotiert hatte. Sie traute diesem Savary so einiges zu. Und wenn er ein Schwarzes Loch geschaffen hatte?, fragte sie sich. Eines, das stabil war und nun alles verschlang, wie einige Außenseiter des Faches es schon lange befürchteten? Ihr Finger zitterte, als sie die Datei anklickte.

Sie sah eine nächtliche Straße, Autos, einen Platz mit vielen Fahnen, Menschenmengen, und dazu hörte sie Geräusche. Die Kamera bewegte sich, es war schwer, in der Hektik etwas Genaues zu erkennen. Dann plötzlich das Gesicht eines Mannes, den sie kannte. Er starrte herüber zur Kamera, wandte sich wieder ab. Ging über die Straße. Sie hörte das Auto, ehe sie es sah. Es ging alles so schnell. Der Mann wurde wie eine Stoffpuppe hochgeschleudert, dann von den Rädern mitgeschleift. Unwillkürlich schloss sie die Augen. Als sie sie wieder öffnete, lag der Körper reglos da, neben ihm eine Aktentasche, aus der weiße Blätter flatterten, langsam, eines nach dem anderen. Das Auto war fort. Dafür andere Wagen. Schreie, Rufe. Die Kamera fuhr hoch, wie weggeschlagen, raste über die Menschen und Fahnen hinauf in den Himmel. Vor dem sich einen Moment lang abzeichnete, was Karoline Freitags Atem aussetzen ließ: die Silhouette des Opernhauses von Sydney.

Die letzten Töne des Klavierstückes erklangen.

Mit Mühe schaffte Karoline es, die Übertragung auszuschalten, die zu Ende war und sich eben selbst neu lud. Nein, dachte Karoline. Das hatte sie nicht gesehen. Das eben war nicht Jonathan Silver gewesen, er verblutete nicht auf irgendeiner Straße. Ihre Schwester hätte längst angerufen. Er gab ein Konzert in Sydney, übermorgen. Karoline Freitag flüchtete in die Waschkabine und schloss sich ein. Ruhe jetzt. Sie drehte das kalte Wasser auf und klatschte sich zwei Hände voll ins Gesicht. Schmutz rann in das weiße Porzellanbecken. Sie hob den Kopf und schaute sich an: das Haar voller Dreck, Schlieren auf der Stirn. Auf dem Flur wurden Schritte laut.

Jemand war ins Büro gekommen. Karoline Freitag besaß genug Geistesgegenwart, das Licht zu löschen.

«Wir nehmen alles mit», sagte ein Mann. Er sprach Englisch mit einem nordischen Akzent. «Die Polizei darf auf keinen Fall irgendetwas finden.» Es folgten Gerumpel und Flüche.

Karoline stand stumm in der Finsternis und starrte dorthin, wo ihr Spiegelbild gewesen wäre, wäre der Raum erleuchtet gewesen. Unter der Tür in ihrem Rücken bemerkte sie nach einiger Zeit eine kleine Lichtleiste, die immer wieder von vorbeigehenden Füßen verdeckt wurde. Blink an, blink aus.

«Die Festplatte checken wir nicht jetzt! Mach das später.»

«Chef, der Plattenspieler läuft.»

Karoline hielt den Atem an. Der verdammte Plattenspieler. Er war schon gelaufen, als sie kam. Dieser Savary war vergesslich. Aber wussten diese Fremden das auch? Sie hörte Schritte. Konnte nur erahnen, was geschah.

Der Fremde hatte seine Hand auf das Gerät gelegt. «Heiß», stellte er fest. «Der läuft schon lange.» Dann die Erlösung: «Gehen wir.»

Ein letztes Klicken, endlich herrschte Stille. Wie ein Déjà-vu setzte erneut die herrliche Musik von Jonathan Silver ein. Karoline sank in sich zusammen und begann zu weinen.

8.

Matthieu Savary hörte Stimmen. Sie waren weit entfernt. Sie gingen ihn nichts an.

«Ist er wach?», fragte eine Frau, und ein Mann antwortete. An der Decke war Stuck, Weiß in Weiß. Von draußen Licht, so viel Licht.

«Wie wird er es aufnehmen?», fragte die Frau.

Diesmal verstand Savary den Mann. «Wie würden Sie es aufnehmen?» Die Stimme kam aus einem dunklen Fleck, dessen Ränder im Licht zerfransten.

Aufnehmen, dachte Savary. Ich habe eine Aufnahme gemacht. Die muss ich … Ich muss etwas … In seinem Kopf drehte sich alles. Er öffnete den Mund, zumindest glaubte er das. Er war nicht sicher, alles fühlte sich irgendwie taub an. «Aufnahme.» Hatte er es gesagt? Um ihn herum wurde es still. Und mit einem Mal spürte er etwas: Durst. Seine Kehle war trocken. Er hatte furchtbare Halsschmerzen. Jemand setzte ein Glas an seine Lippen. Er trank und ließ sich zurücksinken. Jetzt war alles besser. Savary schloss die Augen und lächelte. Er hatte es geschafft. Musik setzte ein. Mussorgsky. Er konnte es hören. Mussorgsky und das Licht. Er schlief ein.

***

Der Arzt neigte sich über ihn und betrachtete abwechselnd das entspannte Gesicht Savarys und den Monitor. «Armer Kerl.» Er schüttelte den Kopf. «Sie sagen, Sie haben die Mittel, ihm die entsprechende Therapie zukommen zu lassen?»

Sadie Fletcher nickte.

«Das wird ein Vermögen kosten.» Doktor Reber schaute sie immer noch nicht an. Er war ein relativ junger Mann, hatte aber im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen nicht versucht, sich mit einem Bart seriöser zu machen. Mit seinem langgezogenen Gesicht, in dem die großen dunklen Augen dominierten, sah er wie ein Talmudschüler aus. Voller Melancholie und Wissensdurst.

Sie blieb kurz angebunden. «Alles, was nötig ist.»

Doktor Reber räusperte sich. «Dann können wir von ein, zwei Jahren ausgehen. Danach muss man sehen. Alles hängt davon ab, wie die Therapie anschlägt. Die Strahlung hat so ziemlich jedes lebenswichtige Organ seines Körpers erwischt. Aber es hat schon Wunder gegeben, wissen Sie?»