Sophie Andresky

Tiefer

Erotische Verführungen

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Die Mundhure

Fünfzehn Minuten mit McMiez

La Gouvernante

Der Deal mit B.

Ka Sünd auf der Alm

Frau Dr. Knigge spricht

Der Held im Tulpenbeet

Frauennabel

Die Nacht der Hennen

Wintersonne

All inclusive

Die Ladenhüterin

Der dicke Carl vom Dach

Die erotischen Zonen des Hängebauchschweins

Santa Baby

Die Besetzungscouch

Das dritte Auge

Mein fast perfekter Liebhaber

Zicke sein

Lilly und Bodo tun es

Sojasauce rezeptfrei

Mexikobeige

Das Mauerkaktus-Mädchen

Fick mich – eine Art Nachwort

 

In Liebe für Marcus.

Weil du weißt, wer ich wirklich bin.

Die Mundhure

In guten Nächten mache ich sechs- bis siebenhundert Mark im Ulysses. Ich bleibe, bis es draußen hell wird und auch der letzte Kunde auf allen vieren zum Taxistand gekrochen ist. Die Zeit zwischen Sonntagmorgen und Freitagmittag kommt mir viel unwirklicher vor als das bunt zuckende Licht, die dröhnende Musik, die noch tagelang als schrilles Fiepen in meinem Kopf sitzt wie ein großes Insekt. Ich bin als Studentin eingeschrieben, Betriebswirtschaft, aber mal ehrlich: Der wahre Betrieb ist woanders, und die Wirtschaft ankurbeln kann ich im Ulysses auch besser als im Hörsaal. Wenn mich jemand fragt, was ich so mache, antworte ich: «Ich bin sozusagen selbständig» oder: «Ich habe viel mit Menschen zu tun.» Das reicht dann schon.

Den Rest der Woche sitze ich mit einer Jumbotasse Milchkaffee am Fenster, schütte esslöffelweise Zucker hinein und trinke die heiße Brühe, während meine Füße in dicken grauen Bergsteigersocken auf der Heizung liegen und ich Kreuzworträtsel löse. Dieser heiße Zuckerkaffee ist oft alles, was ich koche, ist meine Nährlösung. Und wenn es dann Zeit wird, stehe ich auf, reibe mir den Hintern und gehe ins Bad. Ich verwandle mich. Das Girlie in den Armeeklamotten mit dem blauen Wischmopp auf dem Kopf verwandelt sich zu der Sphinx, für die meine Kunden viel Geld bezahlen: langes glattes blaues Haar, in der Mitte gescheitelt, weiß bemalte Lippen, farbige Kontaktlinsen, eine zerlöcherte Jeans und auf die Brüste zwei große Aufkleber mit Pfauenfederaugen. Fertig.

Ich packe meine Sachen in eine Handtasche und zwänge mich in ein Paar Stilettopumps. Als ich das erste Mal versuchte, darauf zu gehen, hatte ich die Anmut von Goofy auf Glatteis. Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich ein Gesetz erlassen, dass alle Männer ein Pflichtjahr auf Pumps machen müssen, damit sie wissen, was sie uns antun.

In guten Nächten sind die Tanzflächen und vor allem die Barhocker voll, aber die Nischen, in denen rote Plüschsofas stehen, relativ frei. Man sitzt tief darin, und manchmal rutscht ein Mädchen bis zur äußersten Kante und spreizt die Knie weit, damit jemand, der vor ihr auf der Tanzfläche steht, sie bemerkt und mitnimmt. Das sind die Schlüpfermädchen, obwohl sie oft nicht mal einen tragen. Die wissen genau, was die Männer im bunten Licht der Nischen zu sehen bekommen. Wenn dann einer mit den Augen genau zwischen den Schenkeln von so einer hängen bleibt, saugt sie ihn zu sich heran. Von ihrem rasierten, buntpuscheligen oder Intimschmuck-behängten Pfläumchen geht ein Sog aus, der Typ hört auf zu tanzen, starrt hypnotisiert in die feuchte Spalte und würde am liebsten hineinschlüpfen, mit der Zunge voran.

Ich habe so etwas nicht nötig. Die Männer kommen zu mir. Ältere oft, die jungen sind zu ungeduldig, die wollen ran ans Fleisch. Die wippen und hüpfen die ganze Zeit wie Pfaue auf der Balz und springen die Mädchen an, statt mit ihnen zu sprechen.

In guten Nächten sind im Ulysses Männer, die mich kennen. Die genau wissen, wie so etwas abläuft, die mich zu schätzen wissen und entsprechend bezahlen. Wir treffen uns in den Nischen, denn nur da ist es leise genug, um sich zu unterhalten – vorausgesetzt, man steht oder sitzt sehr nah beieinander, aber das gehört sowieso zu meinem Job. Ich suche mir immer ein Sofa, von dem aus ich alles genau im Blick habe, ich gewöhne mich an die Lautstärke, das Hämmern der Beats im Magen. In eine Disko wie das Ulysses kommt niemand zum sportlichen Spaßhaben oder Tanzen. Im Grunde geht es nur um Sex. Die Männer tragen ihre Erektionen vor sich her, als wären sie der heilige Gral. Und die Frauen sind ganz Brüste. Unter engen Fähnchen tragen sie Pushups oder gar nichts. Jedes Gramm Bauchfett wird bis unters Kinn gepresst, bis es aussieht, als trügen sie hochgerutschte Kokosnusshälften unterm Hemd. Die Anfängerinnen kommen in schwarzer Kleidung, weil sie glauben, dass Schwarz sexy ist, ist es auch, aber nicht in der Disko. Was im Schwarzlicht am besten aussieht, sind weiße Oberteile auf gebräunter Haut, die springen einen richtig an. Und ums Besprungenwerden geht es immerhin. Alles hier ist Onanie. Na ja, im Grunde ist es Verzweiflung. Die Singles sind frustriert, weil sie Singles sind. Und die Paare, weil sie nicht mehr baggern können. Die Älteren sind frustriert, weil sie neben dem ganzen Frischfleisch wie Dörrobst aussehen, und die Teenies sind frustriert, weil sie fettige Haare haben und Pickel und nicht wissen, wohin mit ihren viel zu langen Armen und Beinen. Und weil sie ständig so tun müssen, als wüssten sie, was sie wollen, wenn sie vor den anderen Halbgaren herumspringen. Dabei hat man in dem Alter überhaupt keine Ahnung. Als ich dreizehn war, habe ich in der Bravo gelesen, dass sich die Länge des Schwanzes verdoppeln kann, wenn er steif wird. Ein paar Seiten später stand nun, der Euroschwanz sei etwa 16 cm lang. Also: 32 Zentimeter in Gefechtsstellung. Jungsein ist echt scheiße.

In guten Nächten bewege ich mich erst einmal, manövriere mich vorbei an Holzfällertypen, die auf der Tanzfläche herumtapsen wie angeschossene Grizzlybären, und gealterten Frauen, die direkt vor einem der Stehtische wippen und ihre eigene Handtasche zwischen den fleckigen Gläsern antanzen. Die wissen genau, dass ihre Handtasche das Einzige ist, was heute Nacht mit ihnen nach Hause geht, und drum sind sie nett zu ihr. Ich arbeite mich vor bis zu einem Pärchen, einer Frau mit weichem Mund, der man nicht gleich ansieht, dass sie auch Geheimnisse hat, und ihrem Mann, der von ihr zum Tanzen überredet wurde, der sein Hemd über der Hose trägt und bei dem das niedlich aussieht.

Ich genieße es zu tanzen, die Füße fest auf dem Boden, und nur der Oberkörper zuckt und ruckelt, sodass sich die kleinen Kirschbrüste unter meinem Oberteil bewegen wie Kugeln in einem Flipperautomat. Ich gebe meiner Hüfte einen Stoß nach rechts und fühle, wie meine Knochen nachschwingen, alles an mir schwingt. Ich wäre gerne dicker. Ich hätte gerne einen Arsch, der die Hose prall ausfüllt, wenn ich in die Knie gehe, und ich hätte gerne kleine Röllchen über dem Hosenbund, wenn ich mit der Hüfte kreise. Und ich hätte gerne Brüste, große Brüste, die ich wackeln lassen kann beim Tanzen. An mir ist eigentlich gar nichts dran. Als hätte mich das Leben abgenagt wie ein halbes Hähnchen vom Grill. Vielleicht bin ich deshalb so erfolgreich, meine Kunden mögen das. Die wollen keine saftige, wirkliche, fleischige Frau, die wollen ein Nichts, ein Hauch von einem Etwas. Die wollen nicht in mich hineintauchen wie in die Schlüpfermädchen mit ihren prallen Oberschenkeln und rosigen Hintern, die wollen, dass ich in sie krieche, dass ich da in ihrem Kopf eine Leere fülle, und um in diese Männer hineinzukommen, muss ich sehr, sehr schmal sein, fast unsichtbar. Und so bin ich auch. Im Grunde bin ich eher ein Hologramm als eine Frau.

Heute ist eine gute Nacht, das merke ich gleich. Eine Nische ist noch fast frei. Ein Pärchen sitzt da, ein Frollein mit seinem Herrchen. Er zupft sich ständig an seinem ersten Ziegenbart herum, ohne zu bemerken, wie uncool das ist, und sie hat den Sexappeal eines Frottébezugs und zwitschert immer wieder, was für ein «Hype» das hier im Ulysses ist, als wäre sie eine Schallplatte mit einem Sprung. Die haben von nichts eine Ahnung, nicht mal vom Küssen, das sieht aus, als würden sie sich gegenseitig die Mandeln ablecken – na ja, vielleicht will sie mal Kieferchirurgin werden oder HNO-Ärztin, wenn sie groß ist. Aber stören werden sie mich auch nicht. Ich mache meinen Job sehr professionell, ehrlich gesagt, bin ich die beste Mundhure in diesem Laden, vielleicht auch die einzige.

Ich bestelle etwas und sehe mich um. Eine Gruppe von Typen in weiten Seidenhemden versucht es vergeblich bei zwei Vorstadtfriseusen, denen wohl heute Abend der Föhn explodiert ist. Eine hübsche Schwarze wehrt sich gegen die Zudringlichkeiten eines speichelnden Michelin-Männchens. Das Sofa ist weich, und das Trockeneis, das immer wieder über die Tanzfläche geblasen wird, riecht betäubend süßlich, fast möchte ich schlafen, aber man lässt mich nicht. Milz steht vor dem Tisch, hebt eine Hand hoch, dreht mir die Innenfläche zu und bleibt dann mit eingefrorenem Lächeln stehen wie eine Schaufensterpuppe. Er ist immer noch ein ganz Kerniger, nicht mehr ganz so muskulös wie damals, als er eine Rollschuh-Nummer in einem Varieté hatte und jeden Tag zweimal seine Frau durch die Luft wirbelte, aber immer noch tadellos. Seine nackte Brust unter dem offenen Hemd ist unbehaart und fest. Seine Beine sehen endlos aus in der Lederhose und den hochhackigen Stiefeln. Sein Gesicht mit den grauen Augen und dem schönen breiten Mund wirkt fast künstlich, seine Glatze wechselt die Farbe im Rhythmus der Beleuchtung. Je länger ich ihn ansehe, desto mehr erinnert er mich an einen schönen, verkommenen Bruder von Meister Proper. «Hallo Milz», sage ich und lege meinen Kopf gegen die Sofalehne. Er gleitet neben mich. «Meine Schöne …», er streichelt meine Wange und küsst mich auf den Hals. Eine scharfe Knoblauchfahne weht mich an, als hätte er einen Pesttoten im Hals. Manche Leute halten Mundgeruch für eine besonders papstfreundliche Form der Verhütung. Ich schiebe ihn weg. «Lass mich, Milz.» Er legt einen Hundertmarkschein auf den Tisch. Das Frollein sieht mich ungläubig an, wahrscheinlich tritt sie gerade ihr Herrchen unter dem Tisch, damit der nichts verpasst von den ach so unglaublichen Dingen, die hier vor sich gehen. «Komm schon», schmeichelt Milz, «mach hinne. Mein Leben ist so trostlos ohne dich. Und in meiner Hose», er zippt den Reißverschluss auf und wieder zu, das Leder knirscht, «tut sich sonst gar nichts. Meine Frau verzweifelt, ich verzweifel, also mach’s mir.» Ich räkel mich. Milz legt einen zweiten Hunni dazu. Ich lasse das Geld in meiner Handtasche verschwinden und sehe ihn an. «Was soll’s denn sein?», frage ich mit dem Charme einer Wurstverkäuferin. Er lehnt sich zurück. «Mach einfach», sagt er, «es ist echt nötig.» Ich setze mich aufrecht hin und sehe mich um. «Da ist eine Frau», sage ich. So fange ich meistens an, und dabei suche ich eine, die passen könnte. Ich finde sie an der Bar. «Die da hinten an der Theke, die mit dem weißen Schlauchtop und den Krähenfüßen, als wäre ihr ein ganzer Adler durchs Gesicht gelatscht. Die mit der riesigen Nase wie ein Beagle. Eben hatte sie noch einen trägerlosen BH an, wahrscheinlich wusste sie nicht genau, was sie hier will, aber vor ein paar Minuten hat sie ihn ausgezogen. An der Bar. Snoopy hat sich einfach das Top hochgeschoben und die Häkchen auf dem Rücken von dem Typen hinter ihr aufmachen lassen, dem, der jetzt mit der Barmaid spricht. Ganz kurz sah man ihre Titten, sie hatte irgendwas darauf tätowiert, genau konnte ich das nicht sehen von hier aus.» Das HNO-Frollein am Tisch schluckt und sieht ungläubig von mir zu der Frau an der Bar und zurück. Die wird sich noch wundern. Ich rede weiter: «Snoopy will geleckt werden, das sieht man. Die glaubt, dass sie sich alles kaufen kann, was sie will. Erst war sie auf den jungen Chinesen da hinten scharf, siehst du den? Den mit der weiten schwarzen Hose, der mindestens zehn Jahre jünger ist als sie, also ist sie näher an ihn rangetanzt und hat sich an ihm gerieben. Er wusste gar nicht, wo er mit sich hinsollte. Seinen Ständer habe ich bis hierhin gesehen. Ich garantiere dir, der hat noch nie seine Nase in eine Muschi gesteckt, der weiß gar nicht, was er machen soll mit seiner Zunge, wahrscheinlich saugt er ihr eher den Kitzler raus, statt auf die Idee zu kommen, mit breiter Zunge darüber zu lecken, damit die ganze Muschi heiß und saftig wird.» Milz schluckt. «Sie haben also zusammen getanzt, und die Frau hat ihm erklärt, was sie will und was sie ihm zahlen wird. Und dann hat sie plötzlich an der Bar dieses Mädchen gesehen.» – «Welches?» Milz zwirbelt sich die Brustwarze unter dem Hemd. Das Herrchen guckt jetzt genauso verstört wie sein Frollein. «Na das, was da neben ihr tanzt mit dem T-Shirt, auf dem ‹Titanic 1912 Swim-team› steht.» Das Mädchen bietet sich richtig an, geht in die Knie, fasst sich an die Oberschenkel, ein Träger rutscht ihr immer über die Schulter, und die Frau steht da an den Tresen gelehnt und überlegt sich, was sie mit den beiden Hüpfern gleich anstellt. Ich denke nach. «Was sie nicht weiß», raune ich, «ist, dass alles ganz anders kommen wird. Noch glaubt sie, sie wird ihre Privatvorstellung so durchziehen: sie mit gespreizten Beinen draußen neben dem Imbiss an die Wand gelehnt, der Junge kniend vor ihr, seine Zunge in ihrer Möse, sein Finger fickt gleichzeitig das Mädchen, das wiederum die Frau mit der Zunge küsst und sie an seinen Tittchen spielen lässt. Aber das wird nicht passieren.» Ich stehe auf und stelle mich hinter Milz, der die Frau an der Theke und den jungen Asiaten fixiert und mit einer Hand unter dem Tisch seinen Schwanz durch das Leder massiert. Das Pärchen muss nicht alles mitkriegen. Wenn sie hören wollen, was jetzt passiert, sollen sie zahlen. Sie halten die Spannung aber nicht aus, sondern gehen tanzen, ganz eng, obwohl es ein schnelles Lied ist. Jede Wette, dass die gleich nach Hause fahren und sich auf ihrem Öko-Flokati durchvögeln und sich dabei irre verwegen vorkommen. Akustische Parasiten, sich von mir aufgeilen lassen, aber nicht zahlen, ich liebe so was. Milz stöhnt. «Was siehst du?», röchelt er, «was siehst du?» Ich habe magische Augen. Ich sehe Dinge, die andere nicht sehen, und besser noch: Die Dinge verändern sich unter meinem Blick, so, wie ich das will. Die Frau zum Beispiel spricht jetzt tatsächlich das Mädchen an, vielleicht will sie Feuer, oder sie fühlt sich an ihre Tochter erinnert, wer weiß, aber ich sage: «Guck hin! Snoopy bietet ihr Geld an, sie weiß etwas über dieses Mädchen, ich glaube, sie hat sie auf dem Klo beim Koksen erwischt. Sie droht ihr, sie bei den Security-Leuten anzuzeigen, es sei denn, sie geht jetzt raus und zieht sich schon mal den Slip aus, gleich, warte, na bitte.» Das Mädchen verschwindet in der Menge. Der Chinese tanzt näher zur Bar heran. «Er will wissen, ob der Deal noch gilt. Das Mädchen steht schon draußen mit blankem Möschen neben dem Imbiss, und gleich geht die Frau ihr nach, und der Junge wartet noch, trinkt etwas, damit es nicht auffällt, aber wir beide», ich hauche in Milz’ linkes Ohr, «wir wissen ja, was da passiert.» Er nickt und keucht leise. «Draußen fangen die beiden schon mal an, befühlen sich gegenseitig die heißen Muschis und reiben die Brüste aneinander.» – «Mach was Dominantes», keucht Milz heiser, und ich stöhne innerlich, Muschilecken kann ich minutenlang beschreiben, in der Zeit hätte ich mir die überraschende Wendung ausdenken können, aber Milz ist ein Kunde mit einem sehr eigenen Geschmack. «Was die Frau nämlich nicht weiß», sage ich gedehnt, «ist, dass die beiden zusammenarbeiten, das Mädchen und der Chinese. Und der ältere Mann da vorne, der dir ein bisschen ähnelt, siehst du den, mit der Glatze? Der gehört auch dazu.» Der Glatzkopf hatte schon länger mit einem Schein an der Bar gestanden, über seinem Arm hängt eine Jacke, es ist also klar, dass er jetzt gehen wird. «Siehst du, er geht den beiden jetzt nach, im Vorbeigehen befiehlt er dem Chinesen, drinnen zu bleiben und sich eine andere Frau zu suchen, es ist ja noch früh, und drei schaffen sie immer. Er geht also raus und lässt seine Handschellen aufschnappen, die er immer dabei hat, ganz leise, damit die Frau, die da ganz mit der Pflaume des Mädchens beschäftigt ist, es nicht hört, aber die hört sowieso nichts. Mach jetzt die Augen zu, Milz, und entspann dich», hauche ich. Milz gehorcht, das tun meine Kunden immer. «Er tritt also zu den beiden, und schnappschnapp hat er der Frau die Hände gefesselt. Sie gurrt mehr, als dass sie sich wehrt, weil sie glaubt, es ist ein Spiel, und das ist es ja auch. Er kniet sich vor sie hin und fängt an, sie zu lecken.» – «Fickt er sie dann?», fragt Milz mich, als wäre ich die Märchentante auf der Bettkante. «Mmmm», brumme ich, «er dreht sie um, macht ihre Beine ganz breit, das Mädchen zieht ihm schnell ein Gummi über, und los geht’s. Während er sie durchfickt, klaut ihr das Mädchen das Portemonnaie aus der Handtasche, das merkt sie gar nicht, weil sie so mit Jammern und Stöhnen beschäftigt ist. Und als der Mann seinen Schwanz aus ihr herauszieht, nimmt er ihren Slip mit und zieht ihr auch das Schlauchtop aus und schließt dann erst die Handschellen auf. Und ratzfatz ist er mit dem Mädel wieder drinnen.» – «Sie muss halb nackt zum Auto?», fragt Milz, «mit schaukelnden Brüsten und ganz harten Spitzen in der Kälte?» Dass ihm das gefällt, wusste ich, am Ende trabt bei ihm immer irgendeine Mieze halb nackt über einen Parkplatz, er braucht so was. Ich setze mich wieder aufs Sofa und stecke mir eine Zigarette an, Milz bekommt keine von mir, die raucht er später zusammen mit seiner Frau, hoffe ich für sie. Er sieht mir nicht mehr in die Augen, murmelt «Firma dankt» und rutscht vom Sofa. Sein Ständer presst sich deutlich gegen das Leder. Wenn seine Frau Glück hat, fährt er gleich nach Hause, wirft ein Pfefferminz ein und wiederholt ihr die Geschichte. Wenn nicht, schafft er es nur bis zu den Toiletten am Ausgang und besorgt es sich da in einer Kabine selbst. Das ist mein Job. Ich erzähle Geschichten. Und im Morgengrauen gehe ich randvoll mit diesen Geschichten, die ich gesehen, erfunden und erzählt habe, nach Hause. Manchmal schreibe ich sie auf und schicke sie an Zeitschriften. Manchmal setze ich mich auch einfach nur mit einer Tasse Kaffeenährlösung ans Fenster und denke über alles noch einmal nach, fühle, wie mein Gehör durch das Fiepen hindurch wieder zurückkehrt und sich mein Magen, in dem die Bässe immer noch hämmern, beruhigt. Die Kids im Ulysses nennen das «Chillen», dieses Runterkommen. Ich denke über dieses merkwürdige Wort nach, das neuerdings alle benutzen und das ich nicht mal übersetzen kann, und zünde mir eine Zigarette an. Die berühmte Zigarette danach. In guten Nächten gönn ich mir die.

Fünfzehn Minuten mit McMiez

Es gab einen Rumms, ein Scheppern, und dann, nach einigem Schaukeln, stand das Shuttle still. Yoko seufzte, nestelte an ihrem Sicherheitsgurt und legte ihren Ringfinger auf die Sensortaste, um die Luke zu öffnen. «Du parkst wie ein Neandertaler aus dem 20. Jahrhundert», sie streckte sich, «diese Shuttles sind so unbequem. Jetzt hoffe ich für dich, dass wenigstens das Motel gut ist.» Zip ignorierte ihre Sticheleien und stieg ebenfalls aus. Das Shuttle stand etwas schief, aber noch innerhalb der angegebenen Begrenzung vor dem leuchtenden Beta-Motel. Durch die gläserne Außenwand sah man hinein in Zimmer und Korridore, die Aufzüge glitten an steilen Treppen vorbei, die wie immer nur Dekoration waren. Alles war Dekoration. Auch die nackten Frauen in den Schallduschen, die Männer, die in dreidimensionalen Fernsehsendungen saßen, oder die Putzandroiden, die man durch die Glaswand geschäftig herumfuhrwerken sah, waren Dekoration, Holographien, die von kleinen Projektoren oben am Dach auf die Außenwand geworfen wurden, um den ankommenden Gästen eine persönliche Atmosphäre zu vermitteln. In Wirklichkeit war die Außenfront aus dem neuen, denkenden Kunststoff, fensterlos, selbständig klimatisierend und biologisch abbaubar.

Yoko und Zip gingen auf die Eingangstür zu, der Sand knirschte unter ihren Füßen, und beide zogen unwillkürlich die Köpfe ein, als ein heißer, staubiger Wind unter ihre Kleidung fuhr. Sie zogen ihre Karten durch das Lesegerät und bestätigten ihre Buchung mit dem Ringfingerabdruck und der Buchungsnummer mj1967. Drinnen leuchteten in Vitrinen Getränke, Süßigkeiten und Konserven. Grelle Schriftzüge auf Automaten priesen die neusten Designerdrogen an, und für Gesundheitsfanatiker gab es die unvermeidliche Sauerstoffbar, auf die ein wahrscheinlich betrunkener Gast «Millenium-Ökos!» geschmiert hatte. Ein dreidimensionales Holoplakat warb für den angrenzenden Nationalpark «Wunderwelt Afrikas» und dessen größte Attraktion, eine Herde geklonter Giraffen. Das Motelzimmer war fensterlos und schalldicht, das Band mit den Hintergrundgeräuschen spielte nostalgische Straßenszenen, Autohupen, schreiende Händler, brüllende Kamele, schrille Pfiffe. Yoko lachte. «Ach, Urlaub in einem Beta-Motel, ist das herrlich. Ich bin so froh, im Beta-Club zu sein! Die Alphahotels sind hochgestochen vornehm und die Gamma-Pensionen schmierig, wie schön, dass wir ein Beta-Motel gebucht haben.» Sie ließ sich aufs Bett fallen, einfach so, ohne vorher ihren Virendetektor einzuschalten, die Bettwäsche würde nach ihrem Auszug morgen früh zusammen mit der gesamten Einrichtung eingeschmolzen und neu aufbereitet werden. Sie schälte sich aus ihrem Overall. Das Material des Plumeaubezugs, wiederum dieser neue denkende Kunststoff, fühlte sich weich und seidig an. Yoko räkelte sich auf dem Bett. Auch Zip hatte sich mittlerweile ausgezogen. «Ups, weißt du was», murmelte Yoko, und Zip grinste, «hast schon wieder Schaum vorm Mund, was?» Sie fühlte mit einem Finger vorsichtig zwischen ihren Beinen nach, «meine Muschi ist ganz feucht, wahrscheinlich durch die Vibrationen im Shuttle. Sieh mal, die Härchen sind schon ganz seimig.» Sie öffnete weit die Knie und hob ihm das Becken entgegen. Zip nickte und strich über seinen Ständer. «Ich auch. Ist das nicht romantisch, dass wir beide zusammen fransig sind? Das ist doch eine Leistung nach drei Ehejahren.» – «Und was jetzt?», Yoko sah sich in dem Raum um, «sieh doch mal nach, ob sie Fick-Androiden im Schrank haben.» Aber der Schrank war leer, Fickandroiden gehörten erst bei Alpha-Hotels zum Standard. «Auch keine Popp-Pillen im Nachttisch? Nicht mal eine Handmuschi oder Kabel für Cybersex?» Zip schüttelte den Kopf, dann sah er das Schild, das auf der Wand der Schalldusche angebracht war, «na wenigstens einen McMiez. Ist doch praktisch, dass es die überall gibt. Da bin ich aber echt gespannt, ob die das hier so hinkriegen wie zu Hause.» Yoko hielt schon ihr Videohandy in der Hand und wählte. Eine elektronische Stimme meldete sich nach dem ersten Piep. «Hallo, hier ist McMiez, Ihr freundlicher Hostessen-Service. Wir leiten Sie jetzt automatisch durch unser Angebot. Möchten Sie eine Mieze unter dreißig, dann wählen Sie bitte die Eins, möchten Sie eine Mieze zwischen dreißig und fünfundvierzig, wählen Sie bitte die Zwei, möchten Sie eine Mieze zwischen fünfundvierzig und …» Zip nahm ihr das Handy weg und drückte dabei aus Versehen mit dem Daumen auf die Fünf. «Na super», lachte Yoko, «du hast uns gerade eine siebzigjährige Mieze bestellt, vielen Dank.» Die elektronische Stimme redete weiter: «Möchten Sie eine Mieze mit blonden Haaren, drücken Sie die Eins, möchten Sie …» Yoko schnappte wieder das Handy und drehte sich damit auf den Bauch, Zip warf sich über sie und versuchte, es ihr wegzunehmen. Schließlich landete es auf dem Fußboden, und Yoko erwischte es gerade noch, als die elektronische Stimme sagte: «Vielen Dank, Sie haben eine siebzigjährige, transsexuelle Mieze ohne Haare mit Dominaausstattung für Badewannenspiele gebucht. Bestätigen Sie die Bestellung jetzt mit Ihrem Ringfingerabdruck, und in fünfzehn Minuten ist die Mieze bei Ihnen.» Yoko schaltete das Handy aus und sah Zip an. «Und was jetzt? Mensch, ich bin so fransig, ich muss ficken, sonst kommt mein Biorhythmus durcheinander.» Zip rieb an seinem aufgerichteten Schwanz auf und ab und überlegte. «Wir können einen 3-D-Porno laufen lassen und versuchen, es mit der Schalldusche zu machen.» – «Klar, wir können uns auch Bärenfelle umhängen und in Höhlen leben. Mein Kitzler ist groß wie ein Startknopf im Shuttle, ich muss ficken, ich sag dir das.» Yoko stand vom Bett auf und nahm sich einen neuen Overall aus einem Vakuumpack, «dann fahren wir eben zum nächsten McMiez-Schalter, der muss hier ja irgendwo sein.» Motels und McMiez-Schalter waren meistens in der Nähe von Landebahnen und Kommunikationsknotenpunkten. Mit dem Navigationssystem im Shuttle hatten sie den Schalter bald gefunden. Yoko rutschte auf ihrem Sitz hin und her. «Mach den Drive-In, ich hab’s eilig!» Zip fuhr in die vorgezeichnete Bahn, senkte das Fenster und drückte auf den Knopf über dem Monitor. Das Bild der elektronischen Empfangsmieze erschien. «Die sieht schon mal aus wie überall», sagte Zip.

«Hallo», schepperte die Stimme, «was kann ich für Sie tun?»

«Einmal McMiez, bitte.»

«Zum Hiervögeln oder zum Mitnehmen? Beim Mitnehmen hat die Mieze einen Mantel an.»

«Zum Mitnehmen. Wir vögeln sie im Shuttle.»

«Und welches Angebot hätten Sie gerne zur Mieze? Wir haben McToy mit Spielzeug, McBoy für Knabenliebhaber, Mcfriend für Gruppensex, McMoist für Badewannen- und Schallduschenspiele, McLook, dabei darf dann einer zusehen …»

«McLook», rief Yoko vom Beifahrersitz, «und zwei Miezen, einen rothaarigen Mann und eine schwarze Frau», sie blinzelte Zip zu und flüsterte: «Mal testen, ob die wirklich das ganze Angebot parat haben.» Dann sagte sie wieder lauter: «Die Frau bitte als halb afrikanische, halb asiatische Mieze. Normalprogramm hetero, mit ihm Fick von hinten», «und die Mieze französisch», ergänzte Zip.

«Bitte fahren Sie jetzt vor zur Kasse», schepperte die Stimme, «dort bekommen Sie die Nummer Ihrer Nische. Bitte bestätigen Sie Ihre Auswahl mit dem Ringfingerabdruck.»

Es gab einen Rumms, ein Scheppern, und dann, nach einigem Schaukeln, parkte das Shuttle. Der Platz vor dem McMiez war hell erleuchtet. Rundherum wippten die Shuttles im Takt. Miezen in allen Altersklassen und mit allen Haarfarben und Figuren gingen vom Schalterhaus zu den Kunden, verschwanden im Inneren und tauchten nach exakt fünfzehn Minuten wieder auf. Sie trugen alle die gleiche Uniform. Die Frauen steckten in pokurzen Schlauchkleidern, die vorne durch einen großen Klettverschluss zusammengehalten wurden. Wenn man keine Sonderausstattung bestellt hatte, trugen alle die gleiche Hochsteckfrisur und Stiefel mit halbhohen Absätzen. Die Männer kamen in kurzen Overalls, die ebenfalls von einem großen Klettverschluss geschlossen wurden. Das Geräusch der Klettverschlüsse hörte man auf dem ganzen Parkplatz, als würde ständig jemand Zips Namen wispern. Alle Mitarbeiter trugen das blaugelbe McMiez-Logo auf dem Busen.

Das McMiez-Imperium hatte vor mehr als hundert Jahren als kleines Vorstadtbordell mit Cybersex-Angeboten und interaktiven Videospielchen angefangen und war mittlerweile ein weltweiter Konzern, der überall seine Filialen hatte und dessen Logo man von sämtlichen Shuttlerampen aus leuchten sah. Auf der ganzen Welt waren die Miezen gleich ausgestattet, kosteten das Gleiche, rochen nach dem gleichen Parfum und taten das Gleiche. Die Kunden wussten genau, was sie fürs Geld bekamen, und die praktischen Ficks wurden ein Renner.